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In Albanien streiten Umweltschützer, Unternehmer und Anwohner über den Bauneuer Staudämme. Die letzten natürlichen Wasserläufe Europas sind in Gefahr - und

mit ihnen einzigartige Biotope.

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Wenn Paul Meulenbroek ins Wasser steigt, bleibt man besser am Ufer zurück. Auf demRücken trägt er einen kleinen Motor, der Geräusche macht wie ein Laubbläser. Doch esgeht nicht darum, Luft zu pusten - der Biologe aus Wien erzeugt mit dem Motor Stromfür ein 400 Volt starkes elektrisches Feld, mit dem er Fische kurzzeitig lähmt und dannleicht einkeschern kann.

Meulenbroek steht bis zur Hüfte im blau schimmernden Wasser der Vjosa, ein wilderFluss im Süden Albaniens. Sein Gummianzug schützt ihn vor den Stromstößen. "Hiergibt es viele Jungfische", sagt der Biologe und gibt seinem Kollegen am Ufer ein silbernglänzendes Tier von knapp zehn Zentimetern Länge.

Die Forscher wollen sich einen Überblick über die im Wasser lebenden Artenverschaffen.

Das Vjosa-Tal, rund 50 Kilometer vor der Flussmündung in die Adria, gleicht einemParadies. Keine Straße, keine Brücke stört die Idylle. Immer wieder verzweigt sich der270 Kilometer lange Strom in seinem Unterlauf auf breiten Schotterbänken in zweioder mehr Arme, praktisch mit jedem Hochwasser verschiebt sich sein Bett.

Grüne Hügel flankieren das breite Tal, ganz oben liegt selbst Anfang Mai noch Schnee.Auf den Hängen wachsen Olivenbäume, Bauern bestellen ihre Felder auf denfruchtbaren Ebenen, eine Schafsherde zieht mit Glockengeläut vorbei.

Doch die Idylle im Süden Albaniens ist bedroht. Hier nahe Poçem, wo Meulenbroekgerade einen Fisch nach dem anderen aus dem Wasser holt, könnte schon bald einDamm gebaut werden für ein Wasserkraftwerk. Der typische Lebensraum derFlussfische wäre zerstört. Viele andere Tier- und Pflanzenarten drohten zuverschwinden. Die Bauern aus dem benachbarten Dorf Kutë verlören ihreLebensgrundlage, weil ihre Weiden und Felder unter Wasser stünden.

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Albanien ist noch kein EU-Mitglied, doch auch hier ist bei Großprojekten wie einemStaudamm eine Umweltverträglichkeitsprüfung gesetzlich vorgeschrieben. Dastürkische Unternehmen Kovlu Energji, das den Staudamm errichten will, hat einesolche Prüfung tatsächlich vorgelegt. Durchgeführt wurde diese von einer privatenConsultingfirma aus Tirana.

Doch für den Wiener Zoologieprofessor Friedrich Schiemer ist sie schlicht "eineKarikatur". "Das Papier besteht zu großen Teilen aus Passagen, die aus anderenGutachten eins zu eins kopiert wurden. Eine Bestandsaufnahme vor Ort hat es niegegeben."

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Noch können die Bauern aus Kutë ihre Schafe auf den Weiden nahe der Vjosa grasen lassen.

Arten-Check im Vjosa-TalGemeinsam mit albanischen Kollegen hat Schiemer nun eine solche Inventur von Floraund Fauna organisiert - unterstützt von den Umweltschutzorganisationen Riverwatchaus Wien und EcoAlbania aus Tirana. Wie einst Alexander von Humboldt arbeiten sichdie 30 Wissenschaftler aus Albanien, Österreich und Deutschland an drei vorabfestgelegten Routen quer durchs Tal.

Geologen vermessen das Flussbett millimetergenau und notieren Schottergröße undSedimentstruktur. Insektenforscher vergraben 150 mit Essig gefüllte Plastikbecher -Fallen für alles am Boden kriechende Kleingetier. Ein Biologe sammelt Pflanzen, um sieabends für ein Herbarium zu pressen. Ein anderer siebt Laub und lockeren Boden aufder Suche nach Schnecken und Muscheln. Ein Kollege schüttelt Gras und Gebüschund fängt auffliegende Insekten mit einem riesigen Kescher.

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Meulenbroek holt einen weiteren silbernen Fisch aus dem Wasser. "Könnte dieselbeArt sein wie eben, ich bin mir aber nicht sicher." Ein Gentest, durchgeführt in ein paarTagen an der Uni in Wien, wird Gewissheit schaffen. Dafür schneidet er beiden Tierenein zwei Millimeter kleines Stück von der Rückenflosse ab. "Das fehlende Flossenstückist kein Problem für die Tiere", versichert Meulenbroek. "Das wächst wieder nach."

"Ich hatte nur eine ungefähre Vorstellung, welche Arten man hier finden wird", sagt er.Mehr als 20 verschiedene hat er binnen drei Tagen gefangen - darunter Aale, Barbenund Meeräschen. Die meisten Arten kennt er nicht. Fast alle Tiere lässt er nach einerkurzen Untersuchung wieder frei.

Die größte Überraschung zappelt abends in einem zusätzlich ausgelegten Netz: ein 50Zentimeter langer Wolfsbarsch. "Der lebt in der Adria, Flüsse sind eigentlich nicht seinRevier. Der muss die ganze Strecke raufgeschwommen sein." Auch die Fischer ausdem Dorf staunen über den seltenen Fang.

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Die Wissenschaftler entdecken Insekten wie diese Springspinne, ...

Gäbe es den Staudamm bereits, würde es kein Fisch so weit schaffen. Die Vjosa istbislang völlig unverbaut, auch die Nebenflüsse sind bis auf zwei Ausnahmen frei vonWasserkraftwerken. "Das ist einzigartig in Europa", sagt Schiemer.

Albaniens wilde StrömeHier in Albanien sei das "geomorphologische Kontinuum" noch intakt, wie Schiemer esausdrückt. Hinter der sperrigen Bezeichnung verbirgt sich ein faszinierendesNaturschauspiel: Steine brechen weit oben im Gebirge nahe der Quelle vom Fels abund landen in der Vjosa. Mit jedem Frühjahrshochwasser werden sie weiter hinunterins Tal gespült. Die anfangs scharfen Kanten schleifen sich ab, typische Kiesel mitglatter, runder Oberfläche entstehen.

Jedes Hochwasser mahlt die Steine Stück für Stück kleiner - und ganz am Ende landensie als feiner Sand im Meer. Irgendwann spült Strömung die Sandkörner dann an einender vielen traumhaften Adriastrände.

Ein Staudamm unterbricht diesen seit Jahrmillionen laufenden Materialtransportvom Gebirge ins Meer.

Die Folgen spürten zuletzt die Bewohner von New Orleans in den USA. Wegen dervielen Dämme am Mississippi erreichten wichtige Sedimente das Meer nicht mehr, dieKüste erodierte immer mehr. Wo einst ein natürlich entstandener Wall das Hinterlandschützte, hatte das Hochwasser plötzlich freie Bahn. Hurrikan Katrina sorgte fürschwerste Überschwemmungen.

Trotzdem werden weltweit noch immer Tausende Wasserkraftwerke geplant. Allein inAlbanien sind es nach Angaben von Riverwatch mehr als 500, auf dem gesamtenBalkan fast 3000. Die meisten davon sind Kleinkraftwerke, die ohne Staudammauskommen. Bei ihnen nimmt ein Großteil des Wassers eine in den Berg gesprengteAbkürzung - es fließt durch Rohre mit starkem Gefälle. Im eigentlichen Tal, das um denBerg herumführt, fehlt dafür das Wasser, Fische und Vegetation haben das Nachsehen.

Hier sind Wasserkraftwerke gebaut oder geplant:

Dass Forscher aus Deutschland und Österreich im fernen Albanien für naturbelasseneFlüsse kämpfen, ist nicht frei von einer gewissen Ironie. Schließlich sind Donau, Rheinund Main in ihrer Heimat mit Staustufen gespickt und teils bis zur Unkenntlichkeitzubetoniert.

"Wir verlangen viel von den Albanern", bekennt einer der Wissenschaftler. "Bei uns hatsich früher ja auch niemand um naturbelassene Flüsse geschert."

Warum sollten die Albaner nicht tun dürfen, was in ganz Westeuropa getan wurde? "Alswir Wasserkraftwerke gebaut und Flüsse begradigt hatten, wussten wir nur wenig überdie komplexe Dynamik solcher Systeme", erklärt Schiemer. Erst in den letzten 20, 30Jahren habe man begonnen zu verstehen, wie wichtig intakte Flüsse für die Naturseien. "Wir wollen verhindern, dass die Albaner dieselben Fehler wiederholen, die wirschon gemacht haben."

Albanien bezieht seinen Strom praktisch nur aus Wasserkraft - und der Bedarf steigt.Überschüssige Energie könnte exportiert werden - als vermeintlich umweltfreundlicherÖkostrom.

Für Investoren ist das Land lukrativ. Die Löhne sind niedrig. Mit Schmiergeld lässt sichvieles regeln. Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Albanien aufRang 83, hinter Ländern wie Burkina Faso und Weißrussland.

Über Jahrzehnte war der Balkanstaat isoliert vom Rest der Welt. Noch heute, mehr als30 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft von Diktator Enver Hodscha,gleicht er einem Entwicklungsland.

Zwar gibt es in den Dörfern mittlerweile fast überall Strom, doch als Transportmittelsind Esel nach wie vor weitverbreitet. Straßen sind teils in katastrophalem Zustand. Daist jeder Investor willkommen. Auch wenn er auf Kosten der Natur Geschäfte macht.

"Die Vjosa ist vielleicht der falsche Ort, um ein Wasserkraftwerk zu bauen", sagtBiologe Sajmir Beqiraj.

Dabei ist fraglich, ob sich ein Kraftwerk an der sedimentreichen Vjosa überhauptlangfristig rechnet. Ein Stausee könnte schon nach 20, 30 Jahren mit Steinen undSedimenten zugesetzt sein. Das Fassungsvermögen des Sees sinkt dadurch, dem

Kraftwerk würde das nötige Wasservolumen für eine regelbare Stromproduktion fehlen.Dann müsste man den See teuer leer baggern, den Damm erhöhen oder das Kraftwerkschließen.

Hoffnung für die

DorfbewohnerAm Ende werden wohl Gerichte entscheiden, ob im Vjosa-Tal ein Staudamm gebautwird. Was zählt mehr? Ein paar neu geschaffene Arbeitsplätze und der Millionenumsatzdes Kraftwerks? Oder die einzigartige Natur und die Lebensgrundlage HunderterMenschen?

"Wir sind mit einer Klage zur Regierung gegangen, um den Bau zu verhindern", sagtIsmet Murataj, Bauer aus Kutë.

Einen ersten Erfolg konnten die Bewohner von Kutë im Mai feiern, als einVerwaltungsgericht in Tirana die vorliegende Umweltverträglichkeitsprüfung als"äußerst mangelhaft" einstufte. Gebaut werden darf deshalb vorerst nicht. Womöglichmuss der türkische Investor ein neues Gutachten erstellen. Er hat auf jeden FallBerufung eingelegt.

Bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach strengen EU-Regeln würde das Projektwohl glatt durchfallen. Denn bei ihrer fünftägigen Inventur haben die Forscher eineVielzahl seltener, in der EU gesetzlich geschützter Arten entdeckt. Zum Beispiel dieWürfelnatter, die Wechselkröte, den Laubfrosch und die EuropäischeSumpfschildkröte.

Eine EU-Richtlinie verbietet Eingriffe in die Natur, die den Erhaltungszustand daringelisteter Arten verschlechtern. Als noch größere Hürde gelten die einzigartigenBiotope des Vjosa-Tals. Solche für Flussauen typischen Lebensräume gebe eseuropaweit kaum, sagt Schiemer. Immer wieder würden sie überflutet. Dort lebendehoch spezialisierte Arten könnten nicht auf andere Standorte ausweichen.

Wäre Albanien in der EU, müssten die Biotope wegen des nahezu unberührtenZustands als sogenannte Natura-2000-Flächen ausgewiesen werden, meint derForscher. "Dann wäre das Tal vor Eingriffen geschützt." Albanien solle sich als ein Land,das in die Europäische Union wolle, schon jetzt an diese Regeln halten.

Die 1500 Einwohner des Dorfs Kutë verstehen nicht viel von Habitat-Richtlinien, Natura-2000-Flächen und Biodiversität. Von den Kraftwerksplänen haben sie aus den Medienerfahren. "Es gab keine offiziellen Informationen aus Tirana", sagt die 25-jährigeRomina Mustafaraj, Verwaltungschefin des Dorfes. "Es gab auch keine öffentlicheAnhörung." Die Menschen hätten Angst, ihre Lebensgrundlage zu verlieren.

Romina Mustafaraj, Verwaltungschefin des Dorfes Kutë.

Vor einigen Jahren waren die Bewohner des Vjosa-Tals schon einmal in einer ähnlichenLage. Damals wollte ein Baulöwe aus Italien einen Damm oberhalb von Kutë bauen. DieBagger rissen sogar schon die Hänge auf - doch dann war plötzlich Schluss. DerInvestor sei pleite, wurde gemunkelt.

"Für uns ist die Vjosa ein Glücksfall", sagt Friedrich Schiemer. "Hier können wiruntersuchen, was einen wilden Fluss ausmacht. Zu Hause geht das nicht mehr, dortgibt es keine mehr."

Wie lassen sich Naturschutz und die Nutzung von Wasserkraft vereinbaren?Diskutieren Sie mit im Forum! (/forum/wissenschaft/geplanter-staudamm-albanien-das-letzte-blaue-wunder-europas-thread-629399-1.html)

ImpressumAutor: Holger Dambeck

Fotos und Videos: Jonathan Miske

Redaktion: Heike Le Ker, Barbara Hans

Bildredaktion: Theresa Lettner

Dokumentation: Mara Küpper

Schlussredaktion: Hannah Panten

Grafik: Achim Tack

Datenquellen: Staudämme in Albanien: Euronatur, Riverwatch und Fluvius (2016) |Hydromorphologie Deutschland: Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (2000) viaUmweltbundesamt | Hydromorphologie Balkan: Fluvius (2012)

Programmierung: Anna Behrend, Chris Kurt, Alexander Trempler

Koordination Projekt "Expedition ÜberMorgen": Anna Behrend

Diese Reportage ist Teil des Projekts Expedition #ÜberMorgen(http://www.spiegel.de/uebermorgen).

© SPIEGEL ONLINE 2017 - Alle Rechte vorbehalten

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