0499 queer

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  • 8/16/2019 0499 Queer

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    QueerAPRIL 1999 – 9. JAHRGANG – NR. 97

    Die Monatszeitung für Schwule und Lesben

    DRUCKAUFLAGE: 79.000 EXEMPLARE – DM 6,80

    INHALT

    Gesamtausgabe

    < ÜberregionalImpressum.......................................  2

    Meinung...........................................  2

    Pro & Kontra .....................................4 Thema: „S/ M-Pornographie verbieten!“ Mit Stellungnah-men u.a. von Moderatorin Lilo Wanders, VerlegerinIlona Bubeck und Pornostar Wolff 

    Politik  ............................................. 5 Themen u.a.: Schwulenverband wird schwul-lesbisch,homosexuelle Lobbyarbeit in der EU, Schwulen-bewegung in Simbàbwe

    Wirtschaft .....................................  10

    Gesundheit.....................................  11> Aids-Patienten als Sklaven der Medizin?

    Interview mit Martin Dannecker ................  11Kultur ............................................  13> Literatur-Sonderseiten

    Schwul-lesbische Neuerscheinungen zurLeipziger Buchmesse...........................  16

    TV-Tips ..........................................  19

    Sport.............................................  20

    Service..........................................  21> Kleinanzeigen

    In diesem Monat wieder mit fast 1.000 Klein-anzeigen. Hier kann man eine neue Wohnungoder einen neuen Partner finden ................  21

    > StellenmarktArbeitsangebote und -gesuche aus der gaycommunity ......................................  22

    > TravelReisereportagen aus Sitges und Sylt sowie dieAngebote „unserer“ Reisebüros und Hotels ...  23

    > RatgeberDie Tips der Fachleute zu Recht, Finanzen undVersicherungen ..................................  28

    > KontaktHerzschmerz, Lust & Spiele, Harte Welle ......  29

    > Leder, Lust & SpieleInfos aus der Lederszene ......................  37

    < RegionalDieser Gesamtausgabe vonQUEER liegen alle fünf Regionalteile bei:

    Bayern/Österreich....................  Beilage

    Mitte-Süd................................  Beilage

    Norden ...................................  Beilage

    NRW.......................................  Beilage

    Osten.....................................  Beilage

    Ganz rechts: EinSchwuler in der DVU Jörg Fischer war Funktionär in DVU und NPD. InQUEER erzählt erexklusiv von seinem Leben als Homo in der rechtsextremen Szene

    VonBernhard Fumy

     

    anz rechts – Mein Leben in derDVU“ ist der Titel eines neuerschienenen Taschenbuchs. DasBesondere daran: Autor Jörg Fi-

    scher ist schwul. Er beschreibt seine stei -le Karriere als Nachwuchshoffnung inDVU und NPD, von der Anwerbung als13jähriger durch einen Angestellten derStadt Nürnberg bis zu seinem Ausstieg sie-ben Jahre später, bei dem sein zwischen-zeitlich erfolgtes schwules Coming-out eine nicht unerhebliche Rolle spielte. InQUEER verrät Jörg Fischer erstmals De-tails aus dem mehr oder weniger versteck-ten Homoleben in der rechten Szene.

    Sie erzähleninIhremBuch, daß Sie ihre er-stenschwulenErfahrungenmit „Genossen“aus der Partei gemacht haben. Wie gehtdenndas ineiner Partei, inder SchwulenhaßzumgutenTongehört?

    Das geht wirklich nur mit einer gewis-

    sen Schizophrenie, die aber in der DVU durchaus verbreitet ist. Praktisch hat sichdas einfach so ergeben: Wir waren schonlänger gut befreundet, sahen uns einesAbends gemeinsam einen Heteropornoan, es kam zu Berührungen, schließlichwurde eine mehr als zweijährige Bezie-hung daraus. Da wir beide in der Parteiaktiv waren, begann natürlich auch einanstrengendes Versteckspiel. Andererseitsgehörten wir zu den aktiven Parteikadern,denen eine private Verfehlung durchauszugestanden wird. Wichtig für die Parteiist immer nur, daß die Fassade aufrecht-erhalten wird, dann wird sowas durchausauch mal geduldet oder einfach totge-schwiegen. Das ändert aber nichts daran,daß Homosexualität als Krankheit ange-sehen wird. Verwerflich wird es, wennjemand diese „Krankheit“ offen auslebt,sein Schwulsein gar als etwas Schönes und

    Positives sieht.

    Es gab immer wieder Berichte vonrechtenschwulenSkins. Wie funktioniert das dennmitdieser Ideologie?

     Ich habe keine Erfahrungen mit orga-nisierten rechtsradikalen Schwulen ge-

    macht. Ich vermute auch eher, daß dieseLeute nur in schwulen Kreisen offen

    rechtsradikal auftreten, in rechtsradika-len Kreisen ihr Schwulsein jedoch ver-stecken. Aber ich kenne Anzeigen inschwulen Magazinen wie „Skinhead sucht deutsche Kameraden“. Einmal war in der„Box“ sogar eine Anzeige mit Foto undder Reichskriegsflagge im Hintergrund.

    Das ist natürlich schon schizophren, sichals Schwuler vor dem Symbol der Men-

    schen fotografieren zu lassen, die nachtslosziehen, um Schwule zu klatschen.

    Wie wichtig ist denndas Thema „Schwule“inrechtsradikalenKreisen?

    Das ist sehr konjunkturabhängig. Manspringt gerne auf gerade aktuelle The-

    men auf. Derzeit ist natürlich das Thema Ausländer und doppelte Staatsbürger-schaft dominierend. Sollte das Themagleichgeschlechtlicher Partnerschaften indiesem Sommer jedoch in Deutschlandaktuell werden, werden Rechtsradikalesicherlich mit auf den Zug aufspringen.

    Sie erwähnenindemBucheher amRande,daß auchIhr SchwulseinzudemEntschluß bei-

    getragenhat, aus demrechtenParteienspek-trumauszusteigen.

    Das liegt wohl daran, daß ich ein eherkopfgesteuerter Mensch bin und ich da-her im Buch den Ausstieg eher mit sach-lichen Argumenten und Widersprüchenbegründet habe. Inzwischen ist mir klar,daß der Wunsch, endlich offen meinSchwulsein ausleben zu können, durch-aus wichtig war. Vermutlich ist es auchkein Zufall, daß ich etwa drei Monate

     vor meinem Ausstieg erstmals in derschwulen Szene gelandet war, die michfasziniert hat. Kurioserweise war dies nacheiner Veranstaltung der „DeutschenLiga“ anläßlich eines Schlesiertreffens. Ichhatte die Veranstaltung im Nürnberger

     Maut kelle r zusammen mit JohannaGrund, der damaligen stellvertretenden

     Vorsitzenden der Republikaner, geleitet. Anschließend bin ich durch die Luitpold-straße geschlichen, wo ich von einemschwulen Lokal wußte. Trotz heftiger

     Angst, von einem Parteigenossen gese-hen zu werden, bin ich dann erstmals ineiner schwulen Bar gelandet.

    Gerhard Frey junior ist juristischgegenIhrBuchvorgegangen. Worumgeht es dabei?

    Gerhard Frey fühlt sich in seinen Per-sönlichkeitsrechten verletzt, weil ich ihmin einer Passage angeblich sexuelles In-teresse an mir unterstellt hätte. Ich steheaber weiterhin zu meinen Formulierun-gen. Trotzdem hat er in München einenRichter gefunden, der eine einstweilige

     Verfügung gegen die entsprechende Pas-sage des Buchs erwirkt hat, die nun vorder Auslieferung geschwärzt werden muß.Da werden sich die Juristen wohl nochlänger streiten. Daß die Partei meinen

     Ausstieg, vor allem aber meine öffentli-

    chen Auftritte gegen Rechtsradikalismusnicht gerne sieht, ist selbstverständlich.Es ist nicht auszuschließen, daß sich Teileder Szene berufen fühlen, mir eine kräf-tige Lektion zu erteilen. So mußte ich inden letzten Jahren mehrmals meinen

     Wohnsitz ändern, weil ich mitbekommenhatte, daß rechteKreise meine Adres-se herausbekommenhatten – und ich dadann natürlich nicht mehr in Ruhe lebenkonnte.

    < Jörg Fischer: „Ganzrechts – MeinLebeninderDVU“, rororo aktuell, Rein-bek 1999, DM14,90

     < Kommentar̈

    Die Community als SchutzengelVon Christian Scheuß

    ̂Nach einemSchlesiertreffenbesuchte er erstmals einGay-Lokal, allerdings ohneParteichef Gerhard Frey: Ex-DVU-Funktionär Jörg Fischer (li.) Foto [M]: dpa/Fumy

    Vor sechzig Jahren wurden Ho-mosexuelle in den Konzentra-tionslagern der Nationalsozia-listen ermordet, und doch sindSchwule und Lesben heute nicht au-tomatisch gegen den rechtsextremen

     Virus immun. Michael Kühnen wardas prominenteste Negativbeispieleines halbwegs offen schwulen Man-nes in der Neonazi-Szene.

    Immerhin: Der Gang in eineschwule Kneipe hat nun dem DVU-und NPD-Funktionär Jörg Fischergeholfen, „den hohen Stellenwert individueller Freiheiten, des Rechtsauf Selbstverwirklichung und Selbst-bestimmung eines jeden Menschenzu erkennen – unabhängig von Her-kunft, Geschlecht, Hautfarbe odersexueller Orientierung.“ Man magüber die Qualität und den Charakterder Sub noch so schimpfen, als Initi-

    alzünder fürs Coming-out und als Wegweiser für ideo logisch Verirrtefunktioniert sie wie eh und je: Dieschwul-lesbische Community fängt ihre „gefallenen Engel“ auf.

    Daß der Schutzengel-Effekt beimehemals stramm rechten Fischerfunktioniert hat, mag nun sichernicht daran liegen, daß man ihn am

     Tresen von links agitiert und damit geläutert hat. Der braune Schmutz

     wurde über den Weg des Herzensrausgespült. Selbstverwirklichungund Selbstbestimmung (Fischer hat die zentralen Punkte genannt), diefindet er in der Szene und nicht beiden (schwulen) Radikalen innerhalbder rechten Parteien.

    Ist die Homoszene dank dieser kol-lektiven Coming-out-Erfahrungnun gefeit gegen Rechtsradikalismusin den eigenen Reihen? Sicher

    nicht. Das von Fischer im Interview genannte Beispiel mit der Kleinan-zeige beweist, daß es schwule Män-ner gibt, die in dieser Schizophrenieleben. Und es zeigt, daß die Szene –hier speziell die einschlägige Presse– an manchen Stellen schlicht unsen-sibel ist.

    Diese Sensibilität zu gewährleisteneinerseits und den Ausstieg aus demRechtsradikalismus für dort einge-bundene Schwule (und auch Lesben)andererseits möglich zu machen, in-dem man diesen Weg ganz bewußt anbietet – dies ist eine der zentralen

     Aufgaben der Community.Die schwul-lesbische Gemeinschaft 

    ist mehr als ein Fun-, Service- und Wirtschaftsverbund, sie muß sich vielmehr ihrer demokratischen Funktionund ihres antifaschistischen Erbes be-

     wußt werden.

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      April 1999Meinung/ Interna2   QUEER

     < Kolumnë Hör nichts von denSchmuddelkindern...

    Helmut Ladwig über den „Fortgang“ Elmar Hörigs vom SWR

    Männer mit dickemBauchChristian Scheuß über ganz neue Perspektiven beim Kinder kriegen

    ̂Das HerausgeberteamScheuß/Schulze freut sichschon auf seine neuen Vaterrollen. Foto (M): Archiv

    Der SWR hat sich von ElmarHörig getrennt, weil er in derSendung Hit Hop am 21. März 99 in sein er Moderation un-

    freundliche Worte über Schwuleunterbrachte. Man glaubt, man hörenicht richtig: ein leidlich Prominen-ter und bekanntermaßen versierterRadiomoderator wird wegen einerschwulenfeindlichen Äußerung ge-schaßt. Was sind da für Zeiten an-gebrochen, fragt sich selbst der zeit-geistfirme Homosexuelle beim

     Aufschlagen der Zeitung mit dieser Meldung. Vor allem ob der Tatsa-che, daß er gerade auf der Straßeeinem Pulk pöbelnder Pubertieren-der entkam.

    Hörig sprach in seiner Moderati-on von „Warmen Wochen bei derBundesbahn“. Im Winter braucheman den Zug nicht mehr so sehr zuheizen und ,Bitte hinten anstellen’bekomme eine ganz andere Bedeu-tung. Huchherrjeh. Interpretativ 

    könnte man fast meinen, HörigsBundesbahn-Züge führen gerade-

     wegs nach Auschwitz mit den armen warme n Brüdern. Jetz t wird nurnoch die Rede vom „Schmuddel-Elmar“ oder „Hörig, dem Homo-Hasser“ sein.

    Der Südwestberg kreißte und ge-bar ein albernes Mäuschen. Nicht daßes mir gefiele, von einer fast 50-jäh-rigen heterosexuell veranlagtenDumpfbacke als potentielle Zug-Er-satzheizung bezeichnet zu werden.

     Meine besten FreundInnen dürfendas schon – bei Leuten wie Hörig je-doch finde auch ich das eklig. Aber deswegen jemanden rauszu-

     werfen? Was ist mit den ganzen Alltags-

    Hassern in meinem Leben? Das

    dumme Arschloch zum Beispiel, daszu Silvester einem kuschelnden Les-benpärchen Knallkörper hinterher-

     wirft oder di e Idi oten, d ie au f derStraße „schwule Sau“ rufen, weilman eine rote Schleife am Revers

    trägt. Oder all die anderen Hirnto-ten, die ich jeden Tag ertragen muß.

    Hoffen wir, daß das Beispiel desSWR Schule macht und ich bald alldiesen Idioten kündigen kann. Mit-ten auf der Straße. Formlos. Und

     vor allem fristlos.

    Besitzen Schwule eigentlich ei-nen tief in sich verborgenenGebärneid? Ein Gefühl, das inden Gehirnwindungen direkt nebender Kastrationsangst liegt? Ein Emp-finden, das sie – wenn auch uneinge-standen – mit Heteromännern wieProfessor Robert Winston teilen?Dieser gebärneidische Mensch ist Direktor einer Spezialklinik in Lon-don-Hammersmith. In der „Sunday 

     Times“ meinte er ganz ernsthaft,Schwangerschaft bei Männern seimöglich und erwünscht. Ärzte wür-den einem Mann einen Embryo mit-samt der Plazenta einpflanzen. Der

     Mann trüge ihn neun Monate aus.Das Baby käme per Kaiserschnitt zur

     Welt. Zweiflern hält der Topforscherder künstlichen Befruchtung erstaun-liche Fortschritte in der Technologieentgegen. Schwangere Männer seienganz bestimmt „möglich“, meint er.Einem Mann müßte freilich eine sohohe Dosis an weiblichen Hormonenzugeführt werden, daß ihm Brüste

     wachsen könnten. Nun werden sicherauch alle ex-männlichen Transsexu-ellen des Landes aufhorchen, weibli-che Hormone sind in dieser Bevöl-

    HaarigVon Michael Sollorz

    K ai und Peter kommen nicht mehr klar. Ich wurde gebeten, inihrem „emotionalen Chaos“ vermittelnd zu moderieren; sienannten das „Supervision“. Die zwei sind durchschnittlicheinkommensstark und intelligent, attraktiv, Linkswähler, EndeZwanzig, geborene Großstädter. Es dauerte vierzig Minuten, bis

     vereinbart war, wer beginn en würde. „Daß du dich rasierst“, eröff-nete Peter die Partie. „Er meint, auch untenrum“, wandte sich Kaian mich und offenbarte die gerade entdeckte Freude an „totalerNacktheit“ seines Leibes. „Das war doch früher nicht so“, argwöhntePeter, worauf Kai befand, Peter habe früher „bloß keine Haltungzu solchen Fragen gezeigt.“„Woher kommt das plötzlich?“beharrte Peter. Behutsam bat ichum Aufklärung: Wurde Verände-rung verhandelt oder eine Spiel-art von Verdacht - beides zufürchten, räumte ich ein, fändeunsereins ja die verständlichstenGründe. Doch das Paar mochtesich nicht festlegen. Keinesfallssei die Rede von Eifersucht; manlebe schließlich „offen“. Im fol-genden Lamento, das hier nim-mer Platz hätte, streifte mich ver-traut die Ahnung meiner

     Abkömmlichkeit.„Gefällt’s dir denn?“ fragte

    plötzlich Kai, „ich so als Ferkel?“ Darum ginge es nicht, argumentier-te Peter, sondern um Tatsachen, vor die er sich, zumal ohne diskutier-tes Motiv, im vermeintlichen Schutzraum ihrer Zweisamkeit unverse-hens gestellt sähe. Ich staunte, und staunte noch mehr, als Kai erklärte,Peters Kummer käme von seinen fortwährend unterdrückten „pädo-philen und heterosexuellen Anteilen.“ Das sei ihm doch Wurscht, em-pörte sich Peter, ob Kai aussähe „wie ein Hähnchen.“ Dann aber, nacheinigem Sinnen, in dessen Verlauf er sich dunkel verfärbte, fragte Pe-ter heiser: „Meinst du, ich denke beim Ficken an Frauen und Kinder?“Erneut und in aller Heftigkeit entbrannte nun auch in dieser Stube deralte Streit um ‘patriarchale Muster im sexuellen Erleben’, wobei, ver-mutlich ausgelöst durch Peters Vorwurf, Kai hinge zuviel mit ‘seinenLesben’ rum, diese vielversprechende gender-studies-ABM einen wich-tigen Aspekt hinzugewann, und zwar im synchronen Ausruf: „Was ha-ben unsere Arschlöcher mit dem Patriarchat zu tun?“ Sie schauten michan. Ich wußte es auch nicht. Aufs Klo geflohen und voller Scham, mal wieder aus Neugier und

    Eitelkeit einer Einladung gefolgt zu sein, kam mir der zuweilen mit sichtlichem Vergnügen ausgestoßene Seufzer des Verlegers Egmont F. in den Sinn, ungefähr des Inhalts, daß man, wenn es sie nicht schongäbe, die Homosexuellen sogleich erfinden müsse. Doch wer im Glas-haus sitzt, soll vorsichtig spülen, und zurück im Zimmer, noch zaghaf-ter sogar, hob ich den Finger und formulierte mit einer den Schmet-terlingen abgeschauten Behutsamkeit meine Frage: ob es womöglichhülfe, sich zu erinnern, welche Eigenarten sie einst aneinander ge-schätzt hatten. Was ich damit zu provozieren gedächte, zürnte Kai,und Peter fügte traurig hinzu: „Von wegen, du kommst als Freund.“Ich erklärte, nun gehen zu müssen. Den Lauster pac kte ich gar nicht aus; es ist gewiß unreflektiert, was der Mann über Liebe schreibt.Und viel zu hetero.

    Kai und Peter werden ihre „seit über einem Jahr von vielen benei-dete Beziehung zum 15. d. M. lösen.“ So eine Postkarte, die ebenkam, unterschrieben von beiden. Erstaunlich, wie organisiert amEnde manche Leute doch sind.< Michael Sollorz lebt als Schriftsteller („Orakel“, „Abel &Joe“) undKritiker in Berlin-Friedrichshain. Für QUEER   beleuchtet er denschwulen Alltag mit scharfemBlick. ImWechsel mit Texten vonLuise Schmidt ist seine Kolumne alle zwei Monate an dieserStelle zufinden.

    kerungsgruppebegehrt. DenSchwulen, diedas Weibliche inihrem Outfit und

     Auftreten späte-stens Ende der

     Achtziger abge-legt haben, be-reitet der Ge-danke eines„ver schandel -ten“ Körpers

     viel leich t schon wieder Unbeha-gen. Wer magschon wie derdickbäuchige Ar-nold Schwarzen-egger in der Ki-n o k o m ö d i e„Junior“ ausse-hen? Aber das ist halt der Preis einer Schwanger-schaft, die Frauen haben ja die sel-ben Figurprobleme, auch noch

    nach der Entbindung. Mal angenommen, aus dieser Hy-pothese würde sich nach Überwin-dung ethischer, medizinischer und

    gesellschaftlicher Hürden eine tat-sächliche Option entwickeln, was

     würde das für die gay community 

    bedeuten?Zum einen würden diese hochnot-

    peinlichen Rituale aufhören, in de-nen der beste schwule Freund mit rotem Kopf und der frisch erzeug-ten Spermaprobe aus dem Schlaf-zimmer kommt, um sie dem Les-benpärchen zu übergeben, das sichdamit und mit einer Spritze bewaff-net kichernd zurückzieht. Ist eineSchwangerschaft bei Männern erst möglich, wird die künstliche Be-fruchtung aus dem „Do it your-self“-Stadium in die Pflichtlei-stungen der Krankenkassengerutscht sein. Zum anderen wäredas der subversive Zugang zur Er-füllung des reichlich vorhandenenKinderwunsches bei Schwulen(wie Lesben). Man braucht nicht mehr darauf zu warten, bis zur ein-getragenen Partnerschaft auch das

     voll e Adop tions recht gehört .Zum dritten könnte das den

    dringend notwendigen Schub zueiner kinderfreundlicheren Com-munity geben. Wenn schwule

     Männ er erst mal schwa nger wa-ren, wissen sie, was Kinder krie-gen und Kinder pflegen wirklichheißt.

    ̂In Zukunft muß auchQUEER-Mitarbeiter Helmut Ladwig ohne Hörig imRa-dio auskommen. Foto: Dietrich Dettmann

    Herausgeber:Michael Berninger, ChristianScheuß, Micha Schulze, Bernd Tischer

    Verlag:Rosa Zone VerlagScheuß Schulze GbR

    Zentrale Anschrift:

    QUEERAachener Str. 6650674 KölnTelefon: (0221) 57 97 6– 0Telefax: (0221) 57 97 6– 66ISDN (PC): (0221) 57 97 6– 55eMail: [email protected]

    Telefon-Durchwahlen:(0221) 579 76 –Abo-Verwaltung: -76Anzeigenabteilung: -50, -40Buchhaltung: -69Geschäftsführung: -76Grafikabteilung: -60Kleinanzeigen: -30Redaktionsleitung: -10Sekretariat: -75Vertrieb: -69

    QUEER-Regionalbüro Nord:Pulverteich 23, 20099 Hamburg Tel. (040) 28 05 12 94Fax (040) 28 05 12 91

    eMail: [email protected]üro Ost:Danziger Str. 63, 10435 Berlin Tel. (030) 44 00 92 44Fax (030) 44 00 92 47

    Bankverbindung:Konto 766 29 76Stadtsparkasse KölnBankleitzahl 370 501 98

    Geschäftsführung und Verlags-leitung: Micha SchulzeChefredakteur:Christian Scheuß (v.i.S.d.P.)

    Druckauflage: 79.000 ExemplareDruck: dvz, HagenBelichtung: edv systeme césar,KölnRedaktionsschlußist stets der15. des Vormonats. Für unver-langt eingesandte Manuskripte,Fotos und Illustrationen wird nichtgehaftet.Veranstaltungsterminein denProgrammbeilagen und Regio-nalteilen werden kostenlosveröffentlicht. Honorare für Fotoshaben die Veranstalter zu tragen.Angaben ohne Gewähr.

    Anzeigenschluß ist immer der 15.des Vormonats. Es gilt die Anzei-genpreisliste Nr. 7 vom 1.1.1999

    Nachdruck  einzelner Artikel nur mitschriftl. Genehmigung des Verlags.

    Abonnement: Das J ahres-Abo ko-stet 60 DM (Ausland: 100 DM) undkann formlos bestellt werden (Geldin bar, als Scheck oder Überwei-sungsbeleg beilegen). QUEERwird im neutralen und verschlosse-nen Umschlag versandt.

    ISSN 0949-7773

    Auflage und Vertei-lung werden vonder IVW überprüft.

    QUEERDie Monatszeitung für Schwule und Lesben

     

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      April 1999Pro & Kontra4   QUEER

    S/M-Pornographie verbieten!Ein breites Bündnis von Politikerinnen fordert ein Pornographieverbot. Für sie ist Pornographie ein

    Verstoß gegen die Menschenwürde. Doch die Sex-Industrie boomt. Und gerade S/ M-Pornoserfreuen sich wachsender Beliebtheit.QUEER  fragte: Verbieten oder nicht?

    Anna BartholoméRedakteurinder „RotenFahne“, Gelsenkirchen

     Tatsächlich unterscheidet sichunser Standpunkt zu Por-

    nographie und Sadoma-s o c h i s - m us vo n d em Al ic eSchwarzers und Christine Bergmanns.

    Selbst wenn wir Pornographie oderauch sadomasochistische Praktiken fürein Folge der jahrhundertealten Her-abwürdigung vor allem der Frauenoder auch der Koppelung von Sexuali-tät und Gewalt halten, so lassen sichdiese Dinge nicht durch Verbote undGesetze aus der Welt schaffen. Solan-ge dies also Praktiken sind, die einver-nehmlich, sicher und gefahrlos zwi-schen erwachsenen Menschenpassieren, ist das deren Privatsache -zumal die Grenzen dabei höchst sub-

     jektiv sind und beispielsweise von ei-nem katholischen Moraltheologen bereits als Pornographie beurteilt wird, wasfür viele andere eine künstlerisch-erotische Darstellung sein mag. Allerdingsziehen wir scharfe Grenzen, wenn es um Abhängige oder Kinder geht. Darumfordern wir die Bestrafung von sexueller Ausbeutung und Gewalt und tretenfür das Verbot von Gewalt- und Kinderpornographie ein.

    Krista Beinstein

     Fotografin, Hamburg

     Verb ot e si ndimmer bedenk-

    l ich. Heute das Verbot von S /M-Por nogra -phie und morgen das Verbot der Homosexualität. In unsererchristlich-moralischen Gesell-schaft ist die Sexualität sehr un-terentwickelt, also wäre eine gutePornographie – mit oder ohneS/M – sehr wichtig. Das Pro-blem ist nur, es gibt weniggute Pornos, die kreati-

     ve , id ee nr ei ch e un dreflektierte Sex-Spielezeigen. Die sexual-feindliche Gesellschaft braucht ihre Abwertungsexueller Darstellungen,

    um sich in der künstlich er-zeugten Obszönität und Perver-sion zu weiden. Schmutziger Sex,heimlicher Sex, verbotener Sex, darinliegt das Geheimnis der Potenz - alsehemaliges Beichtstuhlmädel aus demkatholischen Wien weiß ich, wovonich rede. Die Pornographie – mit oderohne S/M – unter dem Ladentisch

     wür de wie der zum Renn er werd enund die schlechten, frauenfeindlichenProduzenten wieder reicher. Und dieKünstlerinnen würden verklagt. Sex inder Kunst, das wollen die Konservati-

     ven sowieso verhindern. Aber geradein der bildenden Kunst ist die sexuelleDarstellung schon immer wichtigerBestandteil gewesen.

    Kontra

    Holger Zill alias Wolff 

     Pornodarsteller undBuchautor, Berlin

    Zuerst möchte ich betonen, daß Por-nodarsteller im kommerziellen Genre

    nichts gegen ihren Willen tun. Es sindDarstellungen ihrer Sexualität, und die beruhen

    daher nicht auf Gewalt, sondern auf Lust. DieS/M-Nummer ist kein erzwungenes Spiel,

    sondern ein abgesprochener Ablauf, derauf Phantasien beruht, die vorher ausge-tauscht wurden. Die Aktion in einer S/M-Nummer geht meist nur so weit, wiebeide Beteiligten es zulassen. Das Vi-deo ist nur eine weitere Darstellungunserer Gesellschaft und spiegelt denZeitgeist wider. Ich finde es ungeheu-er wichtig, solche Themen zu präsen-tieren. Viele Leute haben das Verlan-gen, Geschehnisse der Kindheit oder

     was auch immer sexuell zu verarbeiten. Menschen, di e damit nichts zu tun ha-

    ben wollen, werden ja nicht genö-tigt, die Filme auszuleihen oderzu kaufen, geschweige

    denn, anzusehen. Ein Angebot beruh t im-

    mer auf Nachfrage,und speziell in den90ern hat sich einHang zu S/M undFetisch herauskri-

    stallisiert, der sogardie Grenzen zwischen

    schwul und hetero sprengt, denn bei Fetisch und S/M sind Eintei-lungen wie schwul und hetero zweitrangig. Eine Unterdrückung oder

    gar ein Verbot dieser Filme würde bedeuten, Aufklärung zu unterdrücken. Müßte man dann nicht auch mindestens die Hälfte aller Kinofilme vom Markt nehmen? Im Fernsehen laufen mehr Filme, die härtere Gewalt zeigen als in

    manchen S/M-Pornos. Wo ist die Grenze der Freiheit sich darzustellen?

    Lilo WandersModeratorinvon„Wa(h)re Liebe“, Hamburg

    Ich bin gegen ein Verbot, weil ich der Meinung bin, daß jede Form von Zen sur ei n Sch ritt in di e fal sche R ichtung i st.

    Die Erreichbarkeit dieser Materialien kann man natürlich ein-schränken. Pornographie dieser Art regt eher nicht zur Nachahmungan, sondern kann als Ventil für die Bedürfnisse dienen. Generell bin

    Kontra

    Pro

    Pro

    Nanna HeidenreichDipl. Sozialwissenschaftlerin,

    Berlin

    Das Verbot  von Porno gra-

    phie wurde ur-sprünglich damit be-gründet, daß sogenanntepornographische Bilder(sexuelle) Gewalt auslö-sen. In diesem Modell

     wird Pornographie aus-schließlich auf ein hetero-sexuelles Szenario und den männlichen Konsumenten bezogen (abgesehen

     von seinen sonstigen Unzulänglichkeiten) und hat damit herzlich wenig mit mir zu tun. Über straighte S/M-Pornographie und deren Bildgut zerbrecheich mir daher einfach nicht den Kopf. Ich bin aber auf jeden Fall generell gegenein Verbot von S/M-Pornographie, weil sich Begehren auf diese Art und Weisenicht regulieren lassen. Im besonderen jedoch lesbische S/M-Pornographie zu

     verbieten, käme mir schon deshalb nicht in den Sinn, weil ich keine Ausdrucks-form lesbischer Sexualität beschränken will. Wär’ ja noch schöner. Eine adäquateÜbersetzung von ‘queer’ ins Deutsche ist schließlich ‘pervers’. Und was die Aus-einandersetzung mit problematischen Bildern und Szenen angeht, ist diese amproduktivsten innerhalb der jeweiligen Zusammenhänge.

    Constance Ohms,AutorinundOrganisatorinvon

    „HessischLesbisch“, Frankfurt/M.

     Au s fe mi ni st is ch erForschung zur Gewalt an

    Lesben/Frauen und Mäd-chen ist bekannt, daß Pornogra-phie häufig nicht nur als Wichs-grundlage für Männer, sondernauch als „Gebrauchsanweisung“für die Vergewaltigung von Les-ben, heterosexuellen Frauen undMädch en dien t. Bei S/M Porno-graphie werden die Grenzen vonSexualität hin zu Macht, Ernied-rigung, Demütigung und Gewalt bewußt überschritten. Die Repro-duktion von Gewaltverhältnissenkann auch nicht mit einer Freiwil-l igkeit gerechtfertigt werden.Dennoch, S/M-Pornographie ge-

    setzlich verbieten? Ein klaresNein! Ein gesetzliches Verbot führt nur zu einer Verlagerung desProblems und trägt nicht zu sei-ner Lösung bei. Das Verbot derProstitution in Belgien hat diesverdeu tlic ht. Not wendi g ist in er-ster Linie nach wie vor eine Dis-kussion um Sexual i tät sowieMacht - und Gewalt verhäl tnisse .

    Kontra

    Diese Seite wurde zusammengestelltvon Ingrid Scheffer.

    Kontra

    Kontra

    ich ein Verfechter des Satzes, alle Beteiligten müssen einverstanden sein– auch die Darsteller. Fraglich ist, wie weit diese die Tragweite ihresHandelns überblicken. Pornographie kann nur Ersatz sein, und was

     Mensch en zum gegen seiti gen Vergnügen all ein mi teina nder un terne h-men, darf niemals einer Reglementierung ausgesetzt sein.

    Kontra

    Ich bin gegen ein Verbot, weil ich derMeinung bin, daß jede Form von Zensurein Schritt in die falsche Richtung ist

    Ulrike Ruge

    Lesbenpolitische SprecherinLV Hessen– B90/Die Grünen, Wiesbaden

    Ich bin für ein Verbot, daS/M-Por-

    nographie genau wie jede Art der Porno-graphie frauen- be-ziehungsweise men-schenverachtend undobendrein auch nochg e w a l t v e r h e r r l i -chend ist. Es ist füreinige „eingeweihte“

     Mensch en eine Vari-ante von Sexspielen.Das ist die Privatsa-che dieser Men-schen. Jedoch solltedie Veröffentlichung von Schriften und Fotos verbo-ten werden, um die Gefühle von „nicht eingeweihten“

     Mensche n nic ht zu v erletz en. Es wi rd wohl schwi erigsein, ein generelles Verbot zu erreichen. Eine Freiga-

    be kommt für mich aber nur als Kompromiß i n Frage:Nur dann, wenn es keine harte Pornographie ist undin einschlägigen Magazinen – die entsprechend ge-kennzeichnet sind – geschieht. Sonst ist nicht gewähr-leistet, daß Hefte mit harter Pornographie nicht in fal-sche Hände geraten - es braucht nur ein Magazin inder Straßenbahn liegenzubleiben. Am schärfsten mußKinderpornographie bekämpft werden, insbesondereauch ihre Verbreitung im Internet.

    Ilona BubeckVerlegerin, Querverlag, Berlin

    Die Kult-Autorin Pat Califia bezeichnet S/M

    positiv als ein Machtspielohne Privilegien mit sichtbarenHierarchien. Meines Erachtens

     werden in les bisch-s chwule r S/M-Pornographie heterosexuelle Nor-men durchbrochen: Ein Mann hat nicht nur phallische Macht, undeine Frau ist nicht nur zur Passi-

     vität ve rdammt. Durch Pornogra-phie erfahren wir von Phantasienanderer, die unseren ähnlich sind.Und lesbische Pornographie ist immer noch Mangelware. Porno-graphie zeigt sexuelles Begehren,deren Verbot einer Zensur lesbi-scher und schwuler Sexualität gleichkommt. Von daher bin icheindeutig gegen ein Verbot von S/M-Pornographie, solange diese kei-ne sexualisierte Gewalt, wie z.B.tatsächliche Folter, Verstümme-lung oder gar Mord reproduziert.Darüber hinaus fördern Verbotekein Klima der sexuellen Selbst-bestimmtheit. Um mit Califia zuschließen: „Queers have sex withother queers, right?“

    S/ M-Pornographie ist frauen-und menschenverachtendsowie gewaltverherrlichend

  • 8/16/2019 0499 Queer

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    April 1999 Inland 5QUEER ✆ (0221) 579 76-20  !!!!! Aachener Straße 66, 50674 Köln

    QUEER Politik

    Rosa Listen inHamburg ?

    Hamburg/ps – Lesben und Schwulein Hamburg können sich wieder un-erkannt bei der Polizei beschweren.

    Seit Anfang des Jahres wurden mit einem internen Fragebogen Perso-nen, die sich bei der Polizei be-schwerten, ohne ihr Wissen in dieKategorie „sexuelle Minderheit“eingeordnet. Die kritisierten Erhe-bungsbögen wurden nun von derPolizeiführung zurückgezogen unddie gesammelten Daten vernichtet.Dies geht aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des schwulenBürgerschaftsabgeordneten LutzKretschmann (SPD) hervor.

    Verkehrte WeltBonn/mk –  Noch vor einem Jahrlehnte die F.D.P. einen Gesetzent- wurf der damaligen Opposition ab,der den Eintritt eines hinterblie-benen Partners einer homosexuel-len Lebensgemeinschaft in den be-stehenden Mietvertrag vorsah. Die

    Begründung: Koalitionsdisziplin. Am 24. März nun waren die Rol-len vertauscht. So brachten die Li-beralen einen ähnlich lautendenGesetzentwurf ein und die Grünenstimmten zusammen mit der SPDgegen den Gesetzentwurf.

    InternationalerFrauentag

    Berlin/sis –  In über 1000 Städten wurde in diesem Jahr am 8. Märzder Internationale Frauentag be-gangen. Aufsehen erregende öffent-liche Aktionen wie die bundeswei-ten Frauenstreiks in den Jahren1993 bis 1995, als zahlreiche De-monstrationszüge durch alle großenStädte marschierten, gab es diesmal jedoch nicht. Den Grund sehen vie-le Frauenrechtlerinnen in „Ermü-

    dungserscheinungen“ und der all-gemeinen Politikverdrossenheit.

    Aktion JA-Wort!Köln/md – Mit einer großangeleg-ten Kampagne will der Lesben-und Schwulenverband in Deutsch-land (LSVD) die Bevölkerung fürdie eingetragene Partnerschaft be-geistern. Mit der „Aktion JA- Wort!“ wi ll der LSVD die Mei-nungsführerschaft bei diesem Thema erringen und einer mögli-chen Gegenoffensive der Konser- vativen frühzeitig entgegentreten.Gesucht werden auch Spender, diedie Kampagne finanziell unterstüt-zen. Infos gibt´s beim LSVD.

    Ehre, wemEhre gebührt

    Frankfurt/mk – 

    Der amerikanische AIDS-Forscher Robert Gallo ist am14. März mit dem Paul-Ehrlich-und Ludwig-Darmstaedter-Preisausgezeichnet worden. Mit 120 000 Mark ist der Preis die höchstdotier-te und wichtigste Medizin-Aus-zeichnung in Deutschland. Geehrt  wurde G allo für seine Verdiensteauf dem Gebiet der Virenforschungund für die Entdeckung humanerexogener Retroviren.

    Die Preisverleihung ist allerdings(nicht nur unter Wissenschaftlern)umstritten. Kritiker werfen demheute 62jährigen Betrug vor. Gallosoll die Ergebnisse einer französi-schen Forschergruppe um Luc Montagnier dazu mißbraucht ha-ben, um si ch einen HIV-Test paten-tieren zu lassen, der ihm jedes Jahr Millionen-Einnahm en beschert.

    Nach jahrelangem Streit wurde1994 ein Kompromiß geschlossen.Gallo mußte dabei auch zugebennicht der „Entdecker“ des HI-Vi-rus zu sein. Während der Preisverleihung kam

    es vor der Frankfurter Paulskirche zuProtesten. Auf Spruchbändern hieß esunter anderem: „Gallo gehört vor Ge-richt und nicht in die Paulskirche“.

     < News̈Von Markus Danuser

    Geschichtsträchtig ging es zuauf dem elften Verbandstagdes Schwulenverbandes inDeutschland (SVD) Anfang März inKöln. Die über hundert anwesendenMitg lieder stimm ten mit großer

    Mehrheit für eine Öffnung des Ver-bandes für Lesben und hoben damit den Lesben- und Schwulenverbandin Deutschland (LSVD) aus der Tau-fe. Dem denkwürdigen Beschlußvorausgegangen war eine engagiert geführte Diskussion, in der auch dieWiderstände gegen die Öffnung unddie Art ihrer Durchsetzung deutlichwurden.

    Gleich zu Beginn der Debatterechtfertigte SVD-Sprecher GünterDworek das eigenmächtige Vorge-hen des Sprecherrates, der nach demVorstoß einiger Frauen das Themainnerhalb weniger Monate zur Ent-schlußreife gebracht hatte. DiesesVerfahren sei „hart an der Grenze“gewesen, räumte Dworek ein. Er be-schwor aber gleichzeitig „den Man-tel der Geschichte“, den man nach

    dem Regierungswechsel in Bonnund den damit verbundenen Chan-cen für die rechtliche Gleichstellung„nur einmal ergreifen kann.“

    Ida Schillen, Grünen-Abgeordne-te im Berliner Abgeordnetenhausund neu gewähltes Vorstandsmit-glied des LSVD, versicherte, daß esden Lesben, die „lange Zeit die Min-derheit im Verband sein werden“,nicht um „Übernahme, sondern umZusammenarbeit“ gehe. Das„schwule Selbstbewußtsein werdenicht dadurch „geschmälert, daß einlesbisches Selbstbewußtsein hinzu-tritt.“ Auch „bei Kenntnis der Un-terschiede“ sei „eine gute und erfolg-reiche Zusammenarbeit möglich.“

    Mit einer Stimme sprechenSVD öffnet sich für Lesben / Kritik aus ostdeutschen Landesverbänden

    Zweifel daran hatten vor allem die Vertreter der ostdeutschen Landes- verbände, der Wiege des Anfang1990 in der DDR gegründeten SVD.Sie forderten, daß die Frauen zu-nächst durch die Gründung einesLesbenverbandes „ein eigenes

    Selbstverständnis entwickeln“ soll-ten und regten für eine Übergangs-zeit eine „enge Zusammenarbeit ohne organisatorische Einheit“ an.

     Andere Mi tglieder hatten Zweifel,ob Schwule und Lesben nach Errei-chen der Homo-Ehe „noch weitere

    Gemeinsamkeiten haben“ und be-fürchteten „eine schnelle Katerstim-mung auf beiden Seiten.“

    Halina Bendkowski, neben Doro-thee Markert und Ida Schillen dritteFrau im jetzt auf zwölf Mitgliedererweiterten LSVD-Bundesvorstand,zeigte sich angesichts dieser Beden-ken „etwas enttäuscht darüber, daß

     wir so wenig gewollt sind“, betonte

    aber gleichzeitig die Bereitschaft derLesben, „gemeinsam mit euchSchwulen für unsere politischen Zie-le zu kämpfen.“

    Geschlossenheit beim Strebennach rechtlicher Gleichstellung for-derte auch Volker Beck, LSVD-Sprecher und grünes Mitglied des

    Bundestages. „Der Graben verläuft nicht zwischen den Geschlechtern“,betonte er. Wenn man wolle, „daßdie Gesellschaft erkennt, daß sie mit uns kann“, müsse man „ihr zeigen,daß wir auch miteinander können.“

    Nach dem Grundsatzbeschluß zurErweiterung des SVD zum LSVD,der mit großem Beifall gefeiert wur-de, kam es trotz der geübten Selbst-kritik des Vorstandes doch noch zueiner Debatte über die(un)demokratischen Zustände im

     Verband. Viele Mitglieder, darunterauch einige Gegner der Erweite-rung des Verbandes, bemängeltendie zu späte und unzureichende In-formation und mahnten für die Zu-kunft eine stärkere Einbindung derBasis an. Zu einer Revolte gegenden Vorstand reichte der angestau-

    te Unmut jedoch nicht, es bliebschließlich bei einer von den Mit-gliedern mehrheitlich beschlosse-nen Rüge.

    Von Viola Menzel

    Bonn/Stuttgart – Nach dem Um-schlagen der öffentlichen Meinunggegen die rot-grüne Koalition steht offenbar auch die eingetragene Part-

    nerschaft für Schwule und Lesbenauf der Kippe. Entgegen der Ankün-digung von BundesjustizministerinDäubler-Gmelin wird der Gesetz-entwurf wohl erst nachder parlamentarischenSommerpause einge-bracht. Dies bestätigteauch der Fraktionsvor-sitzende der Grünen imBundestag, RezzoSchlauch. ¸¸Ich hoffe,daß wir dann noch anBord sind“, erklärteSchlauch in Anspielungauf den aktuellen Streit in der rot-grünen Ko-alition.

      Gedämpfte Stim-mung herrscht auch beim offenschwulen Bundestagsabgeordneten

     Volker Beck. Für ihn ist „das The-ma noch nicht in trockenen Tü-chern“. Er fordert eine breite Kam-pagne, mit der „die gesellschaftlicheStimmung im Lande positiv beein-flußt wird.“ Ins gleiche Horn stoßendie „Schwulen und Lesben in derSPD“. Auch sie wollen nun Über-zeugungsarbeit leisten, sowohl in-nerhalb ihrer Partei als auch nachaußen hin.

    Zittern umdieHomo-Ehe

    Erstes Gespräch mit Ministerin –Verschiebung des Reformprojekts befürchtet

    Unterdessen laufen die politischenGespräche im Hintergrund auf Hochtouren. Ende Januar trafen sichKoalitionspolitiker mit Vertretern

     von Schwulen- und Lesbenverbän-den im Bundesjustizministerium.

     Manfred Bruns, Sprecher des neuenLesben- und Schwulenverbandes inDeutschland (LSVD), lobte die Ge-sprächsatmosphäre und fühlte sich

    „als Verhandlungspart-ner akzeptiert.“ Bern-hard Böhm, Sprecherdes Justizministeriums,bestätigte gegenüberQUEER, daß „intensiv auch über Details gere-det wurde“, wollte abermit Blick auf ein näch-stes Treffen im Mainicht über konkrete Er-gebnisse sprechen.

    Spannend bleibt, ob dieKoalition mit ihrem Ge-setz zuerst im Bundestag

    landet. Der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen jedenfalls versprach gegen-

    überQUEER

    , daß der FDP-Entwurf „bis zum CSD eingebracht ist.“Egal, von wem der Gesetzentwurf 

    kommt und wie er genau aussehen wird, die Kritiker melden sich bereitszu Wort. So der Ratsvorsitzende derevangelischen Kirche in Deutschland,

     Manfred Kock: „Der Versuch, eineGleichstellung zu erzielen, geht im-mer auch zu Lasten der InstitutionEhe. Das beunruhigt mich schon.“

    ̂Werden Schwulen und Lesben einträchtig imLSVDzusammenarbeiten können? Die neuen VerbandssprecherinnenIda Schillen, Halina Bendkowski und Dorothee Markert (v.l.n.r.)wollenes jedenfalls versuchen Foto: LSVD

    ̂Rezzo Schlauch

     < ̈>Frauen im SVDGründung:Der SVD wurde am 18.2.1990in Leipzig gegründet. Damals wollten sichdie DDR-Lesben lieber im UnabhängigenFrauenverband (UFV) organisieren

    Mitglieder:Nicht nur Schwule konntenbisher dem SVD beitreten, sondern alle diedie Satzung und das Programm anerken-nen, also auch Lesben und Heteros.

    Satzungsänderung: Erste Gespräche imNovember 1998. Mitgliederversammlungam 6. März 1999 beschließt Namensän-derung in LSVD. Ca. 80 Lesben kommenals Mitglieder hinzu.

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      April 1999Politik6   QUEER

    Ach Du Kacke!Von Jens Dobler

     < Aus den Ländern̈

    Mobbing durch Ministerin?Potsdam/mk –  Die brandenburgische Sozialministerin Regine Hilde-brandt (SPD) ist mit ihrer Entscheidung, das „Büro für gleichgeschlecht-liche Lebensfragen“ in Potsdam nicht mehr finanziell zu unterstützen,in die Kritik geraten. Die 120.000 DM soll nun ein anderer Verein inCottbus erhalten. „Wir sind Frau Hildebrandt zu unbequem, deshalbsollen wir abgewickelt werden“, erklärte Büroleiter Dorian Haseloff ge-genüberQUEER. Schon seit einiger Zeit laufe eine Mobbingkampagnegegen ihn. Die teilweise regierungskritischen Äußerungen seines Büroshätten der Ministerin offenbar nicht gepaßt. Auch in der SPD-Land-tagsfraktion wächst unterdessen die Kritik am Stil der Ministerin.

    Unruhe bei Gruppen vor OrtHannover/mk – Die schwulen Sozialdemokraten in Niedersachsen habenmit ihren jüngst beschlossenen „Leitlinien für den Abbau der Diskrimi-nierung und zur Förderung der Emanzipation“ für Unruhe im Land ge-sorgt. Der Grund: Nach Meinung der SCHWUSOS soll die Landesre-gierung nur noch landesweit tätige Projekte finanziell unterstützen.

    Lindner kandidiert nichtBerlin/sis – Michaela Lindner wird entgegen anderslautenden Presse-berichten im Herbst nicht für das Berliner Abgeordnetenhaus und auchnicht für ein Bezirksparlament kandidieren. Das bestätigte aufQUEER-Nachfrage ein Sprecher der PDS: „Michaela hat alle parlamentarischen Aktivitäten zurückgestellt. Sie muß erst mal ankommen“. Seit Anfangdes Jahres lebt die erste transsexuelle Bürgermeisteri n Deutschlands inBerlin. Die PDS habe jedoch die Absicht, Lindners Erfahrungen auf parlamentarischer Ebene weiter zu nutzen.

    Positive Bilanz gezogenKiel/mk – Die Grünen-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtaghat ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl eine rundum positive Bilanzihrer Regierungsbeteiligung gezogen. Die Fraktionsvorsitzende IreneFröhlich sagte: „Es kann sich sehen lassen, was wir gemacht haben.“ Ineinem 121 Seiten langen parteiinternen Papier werden nun die „Erfol-ge“ aufgelistet, darunter auch die Einrichtung eines „Referats für gleich-geschlechtliche Lebensweisen“ auf Landesebene. Nach dem Willen derFraktion die Koalition auch nach der Wahl fortgesetzt werden.

    Front gegen RechtsextremismusMagdeburg/mk – Mit einem umfassende n Konzept will die Landes-regierung von Sachsen-Anhalt dem Rechtsextremismus begegnen undfür mehr Weltoffenheit werben. „Diskriminierung und rechtsextre-mistische Gewalt richten sich vor allem gegen Angehörige von Min-derheiten, die als minderwertig angesehen werden. Neben Auslän-derinnen und Ausländern betrifft diese Diskriminierung vor allemauch Homosexuelle und Behinderte. Eine Politik der Gleichstellungfür diese Minderheiten (ggf. über gesetzliche Initiativen wie ein Anti -Diskriminierungsgesetz) ist deshalb ein wichtiger Bestandteil der Aus-

    einandersetzung mit dem Rechtsextremismus“, heißt es in dem An-fang März beschlossenen Handlungskonzept der Landesregierung.

    Der Volksmund hat für unser Thema in diesem Monat eine herz-liche Umschreibung gefunden: „Ihm ist das Herz in die Hosegerutscht“. Damit ist gemeint, daß jemand den Mut verlorenhat. Das Bild, das jedoch dahinter steht, be-deutet nichts anderes als: „Der hat vor Angst in die Hose gemacht“. Tatsächlich wendensich Geschädigte an uns, die während desÜberfalls „eingepullert“ oder „eingekackt“ ha-ben. Oft melden sich solche Menschen jedoch

    nicht oder erzählen uns dieses nicht, weil ih-nen das furchtbar peinlich ist.Quatsch, kann man da nur sagen. Es han-

    delt sich hierbei um eine natürliche Reaktiondes Körpers, ein Phänomen, das auch in der

     Verhaltensforschung mit Tieren nachzuwei-sen ist. Jeder kennt es: Ein junges Haustier

     wird angeschafft, alle wollen es halten und streicheln. Das Tier kommt um vor Angst, weil es nicht weiß, was mit ihm geschieht, und schon i st das Malheur passiert. Ähnlich reagiert der Mensch in Angst-, Schreck- oder Schocksituatio-

    nen. Der Körper entledigt sich seiner Säfte: Schweißausbrüche, Tränenin den Augen, Erbrechen, Urinieren und Defäkation, wie die Medizindie Darmentleerung benennt. Die Forschung schleicht sich schüchternum die genaue Erklärung dieses Phänomens herum. Vermutlich sitzt uns die Peinlichkeit darüber deswegen so im Nacken, weil die Reinlich-keitserziehung im Kindesalter in der Regel ein seelisch sehr schmerzli-cher Vorgang ist. Magen-Darm-Grippen oder Diarrhöe gehören des-

     wegen zu den unangenehmsten und peinlichsten Erkrankungen.In der Angstsituation wird im Körper Adrenalin freigesetzt. Dieses

    bewirkt eine Verminderung der Darmperistaltik, sprich man kann den

    Kot nicht mehr halten. Die Psychoanalyse würde sagen, man bringt dem Täter ein Opfer (-geschenk), aber das ist eine andere Geschichte.Die Polizei, die Sanitäter und wir, die Schwulen Überfalltelefone, wis-sen von diesen Situationen. Es sind normale Reaktionen auf Gewalt.Sie brauchen sich deswegen nicht zu schämen, fassen Sie sich ein Herzund rufen Sie trotzdem bei uns an.< Die Rubrik „Schwulen-Ticker“ ist einService des SVD. Die schwulenÜberfalltelefone habenfolgende Rufnummern: 192 28 inBonn, Dortmund, Düsseldorf, Halle, Köln, Leipzig, Magdeburg,München, Münster undSaarbrückengeschaltet. (0180) 501 92 28 inAachenundBielefeld, 21633 36 inBerlinund28 35 35 inFrankfurt/Main.

     < Schwulen-Ticker̈

    ̂Jens Dobler

    Inland

    Von Markus Danuser

    Osnabrück – Die Grundsatzent-scheidung fiel schnell und war ein-deutig. Bei nur vier Gegenstimmen

     votierten die ca. 30 anwesenden Mit-glieder der LSU auf ihrer Bundes-

     versammlung am 20. März für die

    Öffnung der Ehe für Schwule undLesben. Damit mutet die junge Or-ganisation, die bei CDU/CSU nach

     wie vor keinen anerkannten Statushat, sich selbst und den Unionspar-teien eine Menge zu.

    Für einen war diese Zumutung of-fenbar zu groß. Der stellvertretendeBundesvorsitzende Mark Jones trat 

     von seinem Amt zurück und wird den Vorstand zukünftig nur noch bera-tend unterstützen. Jones gehört zumeher kirchlich orientierten Flügel derLSU und befürchtet durch die Ehe-Forderung erhebliche Risiken für dasbislang gute Verhältnis der LSU zuden Kirchen. Auch Matthias Lipin-ski, als Vertreter der ArbeitsgruppeHomosexualität und Kirche (HuK)

    Mutig gegen Kirche und ParteiLesben und Schwule in der Union (LSU) für Öffnung der Ehe

    piers ist die Stärkung der InstitutionEhe durch ihre Öffnung für Lesbenund Schwule. Mit diesem Argument sollen auch die wertkonservativen

     Teile der Unionsparteien überzeugt  werden.

    Im Sinne dieser Klientel betont dieLSU auch das Subsidiaritätsprinzip.

    Danach entlastet die Übernahme von Verantwortung in Paarbezi e-hungen auf Dauer den Staat bei derFürsorge gegenüber dem Einzelnen. Als „langen Weg mit vielen Zwi-

    schenschritten“ bezeichnete derneue LSU-Pressesprecher MatthiasOrdolff die Umsetzung des Ehe-Be-schlusses und betonte die Notwen-digkeit „eines langen Atems.“ Biszum Erreichen ihres Ziels begrüßedie LSU „eine gesetzliche Initiative“,die den Schwulen und Lesben „eineder Ehe ähnliche Ausgestaltung ih-rer Beziehung“ ermöglicht.zu Gast in Osnabrück, hatte gewarnt,

    daß der „Begriff Ehe nicht vorkom-men darf“, weil sonst „in der Ki rchedie Jalousien runtergehen.“

    Die Mehrheit hinter sich brachten

    aber Ralf Höcker und Stefan Trilling,die mit einem gut vorbereiteten An-trag die Vorarbeit für den gefaßtenBeschluß geleistet hatten. Grundideedes jetzt verabschiedeten LSU-Pa-

    Bonn/jn–  Alle woll en die Ausga-ben im Gesundheitswesen begren-zen, doch wenn das bedeutet, Aids-kranken den Zugang zunotwendigen Medikamenten zu er-schweren, ist der Aufschrei vorpro-grammiert. Viele AIDS-Fachärztebefürchteten nach einem kritischen

     Artikel in der Deutschen Ärztezei-tung eine gravierende Verschlech-terung der Versorgung durch die fürden 1. April vorgesehene Änderungder Arzneimittelrichtlinien (AMR).

    In der Neufassung heißt es: „Die Verordnung von nicht zugelassenen Arzneimittel n (...) ist unzulässi g.“ Viele der in den USA bereits einge-setzten antiretroviralen Kombinati-onspräparate sind in Deutschlandnoch nicht zugelassen, konnten aberbisher problemlos über die Interna-tionale Apotheke bestellt werden.Sollten die neuen AMR nicht noch

     verändert werden, könnten „80 %aller HIV-positiven Menschen ih-rer Therapiemöglichkeiten beraubt 

     werden“ , warn te die Frei burg er Aidsh ilfe Mit te März . Auc h derDachverband Deutsche Aidshilfezeigte sich enttäuscht von der grü-

    nen Ministerin Andrea Fischer, diedie AMR-Neufassung nicht bean-standete und fühlte sich verpflich-tet, an die Öffentlichkeit zu gehen.

    Dabei hätte ein Anruf beim zu-ständigen Bundesausschuß Ärzteund Krankenkassen schnell Klarheit gebracht: Dort hieß es, daß auch

    SturmimWasserglasVerwirrung um die ab 1.4. geltenden Arzneimittelrichtlinien

    ̂NochkeinNormalfall: Der LSU-Vorsitzende MartinHerdieckerhoff und Osna-brücks CDU-Bürgermeister Burkhard Jasper (v.l.n.r.) prostensichzu Foto: md

    nach der bisherigen Fassung die Verordnung nicht zugelassener Arz-neien nicht gestattet gewesen sei, eshabe sich nur keiner daran gehal-ten. An der gewohnten unbürokra-tischen Handhabung werde sichgarantiert nichts ändern, daran seiniemandem gelegen...

    ̂Gesundheitsministerin Fischer diesmal zuUnrecht in der Kritik Foto: ja

  • 8/16/2019 0499 Queer

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      April 1999Politik8   QUEER

     < Ausland̈Von Michael Lenz

    Zum 50. Jahrestag der UN- Menschenrechtscharta trautesich die „GALZ“ (Gays andLesbians in Zimbabwe) erstmals auf die Straße und demonstrierte für dieMenschenrechte von Schwulen undLesben in Simbàbwe. Im Schutzevon Teilnehmern des achten Welt-kirchentages und begleitet von aus-ländischen Journalisten konnten sichdie Homo-Aktivisten sicher fühlen.Sonst ist Homosexualität in Simbàb-we streng verboten und wird mit 

    Gefängnis bis zu 20 Jahren bestraft.Für Robert Mugabe, Präsident vonSimbàbwe, ist „Homosexualität einewestliche Perversion“, Homosexuel-le stuft er „niedriger als Hunde undSchweine“ ein.

    Internationales Aufsehen erregtejüng st der Proz eß gegen sei nenAmtsvorgänger Canaan Banana, derAnfang Januar wegen Homosexua-lität zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Sue Maluwa, eine ehemaligeMitarbei terin der GALZ, die zurZeit in Berlin lebt, vermutet politi-sche Hintergründe bei der Verurtei-lung Bananas: „Früher hat MugabeBanana geschützt, aber jetzt ist eroffenbar eine Bedrohung für ihn ge-worden.“ Simbàbwe stecke in einertiefen wirtschaftlichen und politi-schen Krise. Gewerkschaften, Kir-

    chen und Menschenrechtsgruppenfordern demokratische Reformenund selbst in der Einheitspartei Zanumehren sich kritische Stimmen.

    Die 1984 gegründe-te GALZ bietet Bera-tung für Schwule undLesben an, organi-siert Freizeitaktivitä-ten und versteht sichauch als politischeLobby-Organisation,die eng mit anderenHomo-Gruppen u.a.aus Botswana undSüdafrika zusammen-

    schenrechtsorganisationen sowiezahlreiche US-Parlamentarier pran-gern die massive antischwule Poli-tik Mugabes und seiner Regierungan.

    Geradezu paradox klingen da jüng-ste Äußerungen des wegen Homo-sexualität verurteilten Ex-Präsiden-

    ten Banana. Mitte Januar erklärte erin einem Interview, Homosexualität sei ein „abweichendes und nicht mit der Bibel und der simbàbwischenKultur zu vereinbarendes Verhal-ten“. „Zu behaupten, Homosexuali-tät sei ‚unafrikanisch‘, ist absurd“,schrieb daraufhin GALZ-SprecherKeith Goddard in einem offenenBrief an Banana. „Es ist die Homo-phobie, die aus dem Westen impor-tiert wurde und nicht die Homose-

     xualität.“ Wenigstens die finanziellen Proble-

    me der GALZ werden aber nun et- was gelindert. So wollen die Homo- Wirte in Berlin mit einem Teil desErlöses des diesjährigen schwul-les-bischen Stadtfestes die weitere Arbeit der GALZ unterstützen.

    Schlimmer als Schweine?In Simbàbwe weht Schwulen und Lesben der Wind ins Gesicht

    Adoption? Ein bißchen!Kopenhagen/mk – Dänemark erweist sich erneut als Vorreiter in SachenHomo-Gleichberechtigung. Eine Gesetzinitiative sieht vor, daß Schwuleund Lesben zukünftig Kinder adoptieren können – allerdings nur ihreeigenen z.B. aus früheren heterosexuellen Beziehungen. Als erstes Landder Welt hatte Dänemark Mitte der achtziger Jahre ein eigenes Rechts-institut für gleichgeschlechtliche Paare eingerichtet. Seitdem nutzen etwa4.000 Schwule und Lesben diese Möglichkeit, um eheähnliche Rechtezu erhalten, viel weniger als zunächst erwartet.

    Rückschlag für JospinParis/mk – Frankreichs Senat hat mit seiner konservativen Mehrheit in erster Lesung ein umstrittenes „Partnerschaftsgesetz“ abgelehnt,der auch für Homosexuelle gelten soll. Gegen die Vorlage stimmten216 Abgeordnete, dafür 99. Die Ablehnung der Vorlage hat jedochnur verzögernde Wirkung, der Senat kann von der direkt gewähltenNationalversammlung überstimmt werden. Dort hat die regierendeLinks-Koalition unter Premierminister Lionel Jospin, die den Gesetz-entwurf eingebracht hatte, eine deutliche Mehrheit.

    Gleiche Rechte fürHomo-Paare in Tschechien

    Prag/mk – Die osteuropäischen Staaten gelten gemeinhin als schwulen-und lesbenpolitische Entwicklungsländer. Die tschechische Regierung

     will diesem Eindruck entgegentreten. Sie beschloß Anfang März einenGesetzesentwurf über die Gleichstellung homosexueller Partnerschaf-ten. Wie Vizepremier Pavel Rychetsky mitteilte, beruhe der Entwurf auf einer gemeinsamen Initiative fast aller Parlamentsparteien. Nicht anschließen mochten sich die eher konservativen Christdemokraten. DasGesetz berechtige gleichgeschlechtliche Partner zum Abschluß eineszivilrechtlichen Vertrags, der ihnen praktisch die gleichen Rechte ein-räume, wie sie derzeit nur Ehepartner erhalten.

    Schwule Nazi-Opfer gesuchtFrankfurt a.M./bj – Die vom amerikanischen Regisseur Steven Spielbergins Leben gerufene „Survivors of the Shoah“-Foundation ist weiterhinauf der Suche nach Augenzeugen, die die Unterdrückung des NS-Re-gimes am eigenen Leibe erfahren und überlebt haben. Bislang ist es derFoundation aber nur in seltenen Fällen gelungen, homosexuelle Frauenund Männer zu finden, die bereit sind, vor der Kamera von ihren Erleb-nissen zu berichten.

    < Betroffene könnensichtelefonischunter (0130) 7254 46 oder schriftlichandie Shoah-Foundation, Postfach102046, 60020 Frankfurt, wenden.

     < ̈>Homophobie alsStaatsphilosophieGesetze:Homosexualität ist strengverboten, auch zwischen Erwachsenen.Strafe bis zu 20 J ahren Haft.

    Präsident:Robert Mugabe, er hältSchwule für schlimmer als Schweine

    Homo-Bewegung:Relativ stark im Vergleichzu anderen afrikanischen Staaten. Abernicht vergleichbar mit Europa. Arbeitet imHinter- bzw. Untergrund.

    Über Monate entbrannte über diese„Ungeheuerlichkeit“ eine heiße De-batte in den Medien des Landes. Ein

     Jahr später meldete die GALZ einenInfostand auf der Buchmesse in

    Harare an. Die bereits er-teilte Genehmigung muß-ten die Veranstalter auf Ge-

    heiß der Regierungkurzfristig zurückziehen. Inseiner Eröffnungsredesprach Mugabe dann auch

     weniger über Literatur, son-dern startete seine bis heu-te andauernde Hetz- undHaßkampagne gegenSchwule und Lesben.

    Seitdem erhält Simbàbwemehr internationale Auf-merksamkeit, als ihm liebist. Amnesty International(ai), die International Les-bian and Gay Association(ILGA) und andere Men-

    arbeitet. Zum Eklat führte 1994 einbanaler Anlaß. Der GALZ gelang eserstmalig in ihrer Geschichte, eineZeitungsanzeige zu schalten, mit dersie für ihre Beratungsangebote warb.

    Klinken putzenfür Homo-Rechte

    Wie Lobbyvertreter in den europäischenInstitutionen für Schwule und Lesben werben

    Coming-out bei der PolizeiIn Sydney buhlt die Polizei um das Vertrauen der „Gay Community“

    Von Michael Lenz

    Der Rücktritt der EU-Kom-mission ist möglicherweiseschwulen- und lesbenpoli-tisch ein empfindlicher Rückschlag.

     Vier Tage vor dem Rücktritt der ge-samten Kommission hatte der fürBudget und Personal zuständigeKommissar Erkki Likaanen noch auf einer Sitzung der interfraktionellen„Equal Rights for Gays and LesbiansIntergroup“ zugesagt, bis April erste

     Vorschläge zur Änderung des EU-Be-amten-Statuts zu unterbreiten, umschwul-lesbische EU-Angestellte undderen Lebenspartner heterosexuellenPaaren gleichzustellen. Outi Oyala,

     Vorsitzende der Intergroup und Ma-rion Oprel, eine Sprecherin von„Egalité“, begrüßten die Ankündi-gung Likaanens. „Egalité“ ist der Zu-sammenschluß schwul-lesbischer An-gestellter in EU-Institutionen. Was auf den ersten Blick wie ein

    innerbetrieblicher Vorgang der EU erscheint, hat bei näherem Hinseheneine große politische Bedeutung. Ei-nige Mitgliedsländer der EU wieSchweden, Dänemark oder die Nie-derlande haben eine Art „Homo-Ehe“ eingeführt. Kommission und

     Ministerrat aber weigern sich bisher,ihr Personal-Statut dem nationalenRecht dieser Mitgliedsstaaten anzu-passen. Egalité fordert aber nicht nurdie Anerkennung nationalen Rechtsinnerhalb der EU-Ebene, sondern dieGleichstellung homosexueller Part-nerschaften von EU-Mitarbeitern ausallen Mitgliedsländern durch den Ar-beitgeber Europäische Union. Als

     Modell dafür kann sich Marion Oprel

    das Beamten-Statut der Weltbank  vorstellen. Die Holländerin ist opti-mistisch, daß der Ministerrat, der eine

     Änder ung der Statu ten mit 2/3- Mehrheit beschließen muß, diesesauch tun wird. Was die – auch in der

     Weltbank vertretenen – Euro-Län-der den dort beschäftigten homose-

     xue lle n Mitarb eitern zubil ligt en,

    könnten sie ihnen in der EU auf Dau-er schlecht verweigern, meint sie.

    Die Chancen stehen nicht schlecht,daß die EU noch in diesem Jahr vom

    Europäischen Gerichtshof gezwun-gen wird, in ihren Statuten dieGleichstellung homosexueller Paarefestzuschreiben. Verhandelt wird derFall des schwedischen ÜbersetzersSven Englund, dem die EU die An-erkennung seiner in Schweden regi-strierten Partnerschaft verweigert hat.Unterstützt wird Englund von derschwedischen und der holländischenRegierung. „Es wäre natürlich toll,

     wenn auch die deutsche Regierun gmitmachen würde“, sagt MarionOprel, aber sie befürchtet, daß die„sehr zurückhaltend sein wird, so-lange sie den Vorsitz in der EU in-nehat“.

    Die Umsetzung des Artikels 13 (sie-he QUEER März `99) aus dem Am-

    sterdamer EU-Vertrag ist jetzt das vordringliche Ziel der in der inter-fraktionellen Gruppe zusammenge-schlossenen Parlamentarier. Wie diekonkrete Ausgestaltung des Artikel 13aussehen kann, wissen auch die EU-Parlamentarierer noch nicht genau.Ein EU-weites Antidiskriminierungs-gesetz zu erlassen, halten sie nochnicht für durchsetzbar. Zu groß seiendie homopolitischen Unterschiedezwischen fortschrittlichen Mitglieds-staaten wie Holland oder Schwedenund konservativen Ländern wieÖsterreich oder Griechenland. „DieZeit dafür ist noch nicht reif“, meint die schwedische Grünen-Abgeordne-te MaLou Lindholm gegenüberQUEER. Man müsse vielmehr auf al-len Ebenen noch viel Überzeugungs-arbeit leisten und in allen Resolutio-nen und Entscheidungen desEuropäischen Parlamentes Antidis-kriminierungsbestimmungen fürSchwule und Lesben einarbeiten.

     MaLou Lindholm vergleicht d iesemühselige Arbeit mit dem Schüttelneiner Ketchup-Flasche: „Man schüt-telt, und schüttelt und erst kommt nichts raus. Und dann aber alles auf einmal.“

    Von Michael Lenz

    Die Polizei in Sydney verstärkt ihre seit Jahren gewachsenen Verbindungen mit der Gay Community in der pazifischen Me-tropole. Seit einem knappen Jahrwirbt sie in den schwul-lesbischenMedien gezielt homosexuelle Män-ner und Frauen für den Eintritt in denPolizeidienst. Durch dieses Pro-gramm will die Polizei effektiver alsbisher dazu betragen, Vorurteile undGewalt gegen Schwule und Lesbenzu bekämpfen. Parallel dazu wirbt diesydneysider Polizei auch gezielt beianderen gesellschaftlichen Gruppen.

    Die Idee dahinter ist einfach. An-gehörige benachteiligter und diskri-minierter gesellschaftlicher Gruppenhaben meist wenig Vertrauen in diePolizei. Durch die gezielte Einstel-lung von Menschen aus den benach-teiligten Gruppen soll auf beiden Sei-ten Vertrauen und Verständnisgestärkt werden.

    Eine Änderung des Verhaltensder Polizei hat in Sydney vor gut zehn Jahren eingesetzt, als in denStadtteilen Sydneys Kontaktbeam-

    te speziell für die Zu-sammenarbeit mit derGay Community einge-setzt wurden. Wie sehrsich seitdem das Verhält-nis zwischen Polizei undSchwulen und Lesben

    zum Besseren verändert hat, zeig-te die 20. Mardi-Gras-Parade1998. Erstmalig marschierte einePolizeieinheit in Uniform mit und

     wurde von den 750 .000 Zuschau-ern am Straßenrand mit stürmi-schem Beifall begrüßt.

    ̂Die schwedische Abgeordnete Ma-Lou Lindholm(Foto) setzt sich auchfür Schwule und Lesbenein Foto: ml

    ̂Tolle Aussichten: In Sydney werden zunehmend auch Schwule

    gezielt für denPolizeidienst angeworben. Da möchte mansichdochglatt mal verhaften lassen Foto: Archiv

    Ausland

    ̂Die ehemalige GALZ-AktivistinSue Maluwa wohnt inzwischeninBerlin Foto: ml

  • 8/16/2019 0499 Queer

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      April 1999Leserbriefe/ Wirtschaft10   QUEER

     < Leserbriefë

    Von Matthias Ordolff 

    Schwule und Lesben sind an-ders, aber kaufen sie auch an-ders ein? „Na, klar!“ antwor-tet Joachim Glaisner, der Geschäfts-führer der Augsburger GaydaysGmbH. Vom 29. bis 31. Oktober

     wi ll er ei ne Verka uf sme sse fü rSchwule, Lesben und deren Freun-de veranstalten, die Gaydays ’99.„Wir haben das Konzept und wirrealisieren es!“ so Glaisner.

    Die Internetseiten seiner Firmamachen einen äußerst professionel-len Eindruck. Als internationales

     Mega-Event wird die Messe dort angekündigt. „Namhafte Unter-nehmen“ sollen ihre Produkte undDienstleistungen anbieten. „DieGaydays werden auf 30.000 Qua-dratmetern des Frankfurter Messe-geländes stattfinden“, verspricht Glaisner. Das können die Messe-

     verantwortlichen so noch nicht be-stätigen: „Es gibt eine Option, abernoch keinen Vertrag“, hieß es dort auf Anfrage von QUEER. Widersprüc he tauchen auch bei

    den „namhaften Unternehmen“ auf,die laut Glaisner während der Gay-days ausstellen wollen: Bei Levi´sund Mercedes Benz z.B. war ledig-lich zu erfahren, daß eine schriftli-che Anfrage vorli ege, konkrete Ver-handlungen habe es aber noch nicht gegeben. Als „eher unwahrschein-lich“ bezeichnet es Matthias Grae-dler, Sachgebietsleiter für Messenund Veranstaltungen der MercedesBenz Deutschland Vertriebs GmbH,daß seine Firma an den Gaydays teil-nehmen werde. Im Gegensatz etwazum Konkurrenten Ford, der gezielt die schwul-lesbische Zielgruppe an-spricht, wolle Mercedes keine „aus-grenzenden“ Maßnahmen unterstüt-zen. „Schwule und Lesben sind füruns ganz normale Menschen unddeshalb auch kein besonderer

    Schwerpunkt bei unserem Marke-ting“, so Graedler. Auf die Vertragsabschlüsse mit den

    ganz Großen muß Glaisner alsonoch warten: „Dafür ist es aber auchnoch ein bißchen früh!“ sagt er zu-

     versich tlich. Doch Glaisn er weißauch, daß er noch viel Überzeu-gungsarbeit leisten muß. Sein Ziel ist es, Firmen aller Handels- undDienstleistungsbereiche die Mög-lichkeit zu geben, sich einer kaufkräf-tigen Zielgruppe zu präsentieren.

    Und fest steht: Schwule und Les-ben sind eine kaufkräftige Zielgrup-pe. So hat das US Census Bureau

    die Kaufkraft der amerikanischenBevölkerung untersucht. Das Er-gebnis: Der Durchschnitts-Homo-sexuelle verdient jährlich rund55.000 US-Dollar, fast doppelt so-

     viel wie der Heterosexue lle. „Ein Traummarkt!“ stel lt auch das eher

    konservative Wall Street Journalfest.Die bisherigen Erfahrungen mit 

    Homo-Messen sind allerdings er-

    nüchternd. Homolulu 1992 in Ber-lin war Fun, nicht Kommerz. Unddie schwul-lesbische Messe 1997 inEindhoven war ein Reinfall. Chri-stian Scheuß, Mitherausgeber derZeitung QUEER und damals einerder Organisatoren, erklärt, warum:

    „Die Akzeptanz war enttäuschend:Es kamen kaum Besucher. Mit den Anbietern war das auch so eine Sa-che. Die, die wir bekamen, waren

    Wenn Homos ihre Tage haben„Gaydays“ und „Vision“: über die Schwierigkeiten schwul-lesbischer Messen

    Von Sandra Doedter

    Wenn es nach der EU-Wett-bewerbskommission ge-hen soll, dann wird imnächsten Frühjahr die Buchpreisbin-dung in Deutschland und Österreichaufgehoben. Das würde bedeuten,daß jede Buchhandlung den Preis fürein Buch selbst bestimmen kann. So

     wären nicht nur die großen Buch-handlungen im Vorteil, die ihr Geldüber die Menge hereinbekommen

     würden, sondern auch die Verlage mit Bestsellertiteln. Der Börsenverein desDeutschen Buchhandels hofft zwarnoch auf einen Kompromiß, wennsich aber die EU-Kommission durch-setzt, sieht es mau aus für die kleinenschwul-lesbischen Verlage.

    Ilona Bubeck vom Berliner Quer- verlag (weder verschwippt noch ver-schwägert mit derQUEER) sieht dar-in schlichtweg das Ende der

    schwul-lesbischen Verlage. Sie seiendann nicht mehr konkurrenzfähig fürdie bürgerlichen Buchhandlungen,auf die sie finanziell angewiesen sei-en. Sie glaubt, daß nurdiejenigen schwul-lesbi-schen Verlage überlebenkönnten, die über genü-gend Privatvermögen

     verfüg en und sich dasBüchermachen als Lei-denschaft leisten kön-nen. Andrea Krug vom Ver-

    lag Krug und Schaden-berg – ein Verlag mit Bü-chern für Frauen, dieFrauen im Sinn haben –,hält die Situation derkleinen Verlage für sehr schwierig,

     weil sie keinen Einfluß auf die Preisehaben. Sie beschwört die engagiertenBuchläden, falls die Preisbindung ab-geschafft werden sollte, und hofft auf 

    eine Zusammenarbeit der betroffenen Verlage.

    Stefan Enzner hingegen vom Oscar- Wilde-Buchladen in Frankfurt rech-

    net nicht mit besonde-ren Auswirkungen. Erglaubt weiterhin an diethematisch orientiertenLeser, die ihre Büchereben nur in Buchläden

     wie seinem bekommen. Auf seinen Buchhandelim Internet könne sichder Fall der Preisbin-dung sogar positiv aus-

     wirken, weil er über denPreis vielleicht nochmehr Leser erreichenkönne.

    Eins steht jedoch fest: Wie allenanderen kleinen und speziellen Buch-läden wird eine Aufhebung der Buch-preisbindung auch den schwul-lesbi-schen sicher nicht auf die Füße helfen.

    Kein Platz für ExotenSchwul-lesbischen Buchverlagen drohen Schwierigkeiten

    nicht unbedingt kundenspezifisch.Ich erinnere mich an einen mittel-ständischen Schrankwandverkäufermit Schlips und Kragen. Der bekam

     viellei cht große Augen, als einige Meter neben ihm ein buntes Sorti-ment mit Plastikdildos aufgebaut 

     wurde!“

    Neben den Gaydays unternimmt nun auch die Agentur des Kölners

     Jürgen Künz einen neuen Versuch:„Vision ‘99“. Über Konzepte zu re-den, dafür sei es noch zu früh, er-klärt er. Dafür verschickt er an allemöglichen Firmen einen Fragebo-gen nach dem Motto: Wie hättenSie´ s denn gerne? Die Gaydays sindda schon einen Schritt weiter. „Wirhaben ein schlüssiges Gesamtkon-zept“, führt Glaisner aus. Er willsich nicht auf typische Messeveran-staltungen beschränken. Geplant ist u.a. ein großes Tanzfest frei nachdem Motto „proud to be gay“, eine

     Wahnsinnsparty mi t internationa-len Stars. Dazu kommt eine Gala,die Annette Küppersbusch mode-rieren wird. Dort soll der frisch er-fundene Rainbow Award verliehen

     werden, eine Auszeichnung für Per-sönlichkeiten, die sich um schwul-lesbische Belange verdient gemacht haben.

    ̂ JoachimGlaisner ist Geschäftsführer der Gaydays GmbH Foto: PR

    ̂ Ilona Bubeck vomQuerverlag Foto: privat

    Etwas weniger an Fun denkenZum Leitartikel „CDU: Unterschriften jetzt auch gegen uns?“ in QUEER, März ´99

    Die reaktionären Kräfte in diesem Land werden eine Jagd auf Homose- xuelle eröffnen, die kein Klischee und kein Vorurteil ausläßt. Sie werden versuchen, die gesellschaftliche „Akzeptanz -Stimmung“, die manunmittelbar vor und nach der Bundestagswahl konstatieren konnte, zukippen und werden genauso viel Dreck ausschütten, wie sie es in ihrer

     Ausländerhetze bereits erfolgreich durchgespielt haben. Denn immerhinstehen noch ein gutes Dutzend Wahlen landauf, landab bevor, die hierfüreine treffliche Plattform bieten. Was also ist zu tun?

    So viele Schwule und Lesben wie irgend möglich sollten ihre gesell-schaftliche Deckung aufgeben und offen auftreten. Auch der/die einzelneSchwule oder Lesbe trägt hier eine Mitverantwortung für die gemeinsa-me Zukunft aller anderen. Wer glaubt, daß ein paar prominente Gesich-ter ausreichen, um für alle anderen die Kohlen aus dem Feuer zu holen,und daß wir die Ergebnisse dann nur noch entspannt genießen können,der irrt gewaltig. Alle sollten in dieser vor uns liegenden Zeit etwas

     weniger an „Fun“ denken, dafür eine effektive politische Bürgerrechtsbe- wegung mit allen Mitteln der politischen Auseinandersetzung schaffen.

    Walter Paul, Frankfurt/Main

    Man muß eben ab und zu lügenZu „Lesbenblut ist schlechtes Blut“ von Ingrid Scheffer in QUEER, März ´99

    Ich gehe selbst regelmäßig zum Plasmaspenden. Auch dort, übrigenseine Privatfirma, muß ich jedesmal einen Fragebogen ausfüllen. DieFrage nach Homosexualität verneine ich dabei absichtlich. Ich lebe seit mehreren Jahren in einer festen Beziehung und weiß, daß ich gesund bin.Dabei bin ich garantiert nicht der einzige, der so mit der Sache umgeht.Ich muß immer, wenn ich die Räume dieser Firma betrete, innerlichlachen. So viele Schwule und Lesben wie bei der Blutplasmaspende treffeich sonst nur zur Disco. Sie alle geben also unrichtige Angaben ab. Ichfinde es für einen „Sozialstaat“ beschämend, wenn man lügen muß, um zuhelfen. Aber solange sich die Ansichten über Schwule und Lesben nicht ändern, muß man eben ab und zu lügen, auch wenn sich mir dabei

     jedesmal der Magen umdreht. Es gibt für mich keinen Grund, nicht  weiter zu spenden. Da ich selber mehrere Jahre beim Rettungsdienst gearbeitet habe, kenne ich das Problem mit fehlenden Blutkonserven nurzu gut.

    Steffen, per eMail

    Zorn über die DoppelmoralZum Artikel „Pißdiener und Sackfessel – Zensur bei AOL“ von Michael Lenz inQUEER, Feb. ´99 erreichten uns mehrere eMails:

    – Vor einem Jahr wurde ich mit dem Namen „HalleGeil“ ständigrausgeschmissen. Als ich bei AOL anrief, sagte man mir, ich sollte diesenlöschen. Ich habe dem AOL-Mitarbeiter geantwortet, er solle sich malmeine Umsätze bei AOL angucken und i ch würde, sollte ich wiederrausfliegen, mich bei AOL ganz abmelden. Ich flog nicht mehr raus.HalleGeil

    – Ich wollte bei AOL unter dem Kennwort „PinkSites“ eine Kontaktan-zeige aufgeben, u.a. mit Kürzeln wie AV a/p, OV a/p sowie FF und NS.

     Mein Gesuch richtete sich hauptsächlich an Personen zwischen 16 und 25 Jahren. Ich bekam nach fünf Minuten eine Mail mit der Aufforderung,mich bei der Kundenbetreuung zu melden. Diese teilte mir mit, ich solleauf „ordinäre und perverse“ Kürzel verzichten. Gleiches gelte für meine

     Vorlieben für „Minderjährige“. Andernfalls würde man mir die Mitglied-schaft bei AOL kündigen. J. aus Bocholt

    – An manchen Tagen werden bei AOL lesbische Mitgliederräume wie„SiesuchtSie“ oder „NetteLesben“ alle fünf Minuten gesperrt. Anderer-seits bleiben gleichzeitig Räume mit rechtsradikalen, stark sexuellen oderpädophilen Titeln bestehen. Clarissa

    – Zensiert wird doch bei AOL an allen Ecken und Enden. Immer wieder hört man(n), daß schwule Homepages aus dem Internet gekippt  werden. Wird langsam Zeit, daß die Gayszene zum weltweiten Boykott  von AOL aufruft. Felix, Berlin

    – Man muß gegen die Borniertheit und vorgespielte Prüderie mancherDienstleistungsunternehmen vorgehen. Es ist doch eigentlich wirklich

     völlig egal, was man für eine eMail-Adresse hat, Hauptsache man schämt sich nicht. Ralf 

    – Als ich mal wieder die ganze Scheißmail-Latte (glibbery teen-pussiesetc.) nach einem AOL-Chat vorfand, war ich stinkig vor Zorn über dieseDoppelmoral. Thomas, Berlin

  • 8/16/2019 0499 Queer

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    Gesundheit 11QUEER April 1999

    Fühlen sich Aids-Patientenals „Sklaven der Medizin“?

    Interview mit dem Soziologen Martin Dannecker zum Thema Pillencocktails

    Über die Kombinationsthe-rapien bei HIV und Aidsist viel geredet und geschrieben worden. Auf vie-len, die den Pillencocktail schluk-ken, lastet ein g roßer Druck. Wernicht genau nach dem Medika-menten-Zeitplan lebt, muß damit rechnen, daß die Mittel unwirk-sam werden, bleuen die Medizinerihren Patienten ein. Der Soziolo-ge Martin Dannecker hat auf denMünch ner Aids -Tagen Ende Fe-bruar in einem Referat darauf hin-gewiesen, wie fern diese Forde-rung von der Lebensrealität ist.Das Leben verlängert sich eindeu-tig dank der Therapie. Aber ver-bessert sich auch die Lebensqua-l i tät? Mit Martin Danneckersprach QUEER-Mitarbeiter Mi-chael Lenz.

    Herr Dannecker, ist Aids durch dieKombinationstherapien eine norma-le Krankheit geworden?

     Auf d er ge sel lsc haf tli chen Ebe-ne ist Aids ein relativ normalerGegenstand geworden. Aus derPerspektive von Menschen mit HIV und Aids kann man vonNormalität nicht sprechen.

    Die Erfolge der Kombinationsthera-pien bringen keinen Gewinn an Le-bensqualität?

    Erst seit es die Kombinations-therapien gibt, können wir denBegriff der Lebensqualität über-haupt in Zusammenhang mit HIV und Aids benu tzen. Vorherwär e e r v öll ig feh l am Pla tz ge-wes en bei Pat ent en, die sic h m t der Tatsache konfrontiert sehen,daß sie bald sterben werden.Die Frage nach der Lebensqua-lität stellt sich als Folge der Ent-scheidungen, die ja sowohl inder Phantasie als auch real im-mer wieder anstehen: nämlich,ob man die Therapie fortsetzt,oder nicht.

    Das strikte Einhalten der Einnahme-schemata, heißt es, sei eine we-sentliche Voraussetzung für denErfolg einer Kombinationstherapie.Sie hingegen scheinen das als Pro-paganda der Pharmaindustrie undder Mediziner anzusehen.

    Das nicht gerade. Ich möchteaber die Frage stellen, ob die Be-hauptung so stimmt, das ein Ab-wei che n von The rap ies che mat atatsächlich zu Resistenzen mit fatalen Folgen führt. Oder ob –und das ist gar keine rhetorischeFrage sondern geht auf die Er-fahrung mit meinen Patientenzurück – es nicht so ist, daß ge-rade der flexible Umgang mit Einnahmezei ten Res i s tenzenver mei den hil ft und ind ivi due lldas Durchhalten der Therapieerst ermöglicht. Es gibt dazu lei-der noch keine ausreichendenForschungen. Ohne weiter zudifferenzieren, werden einfach

    die Res i s tenzentwick lungenganz stark auf die Nicht-Com-pliance (Die Nichteinhaltungdes Zeitplans zur Einnahme vonMed ika men ten , A.d .R. ) zur ück -geführt. Es gibt aber sehr kom-plexe andere Faktoren, die dafürdie Ursache sein können; wiezum Beispiel genetische oderpharmakologische Faktoren, dievi el zu un ge na u be ka nn t si nd .Abe r di e Res ist enz ent wi ckl ungwird ein fach in ho hen Maße demPatienten zugerechnet. Für ihnentstehen dadurch Konfl ikte,mit denen er al leine gelassenwird . Das is t – und da rin se he ichdie negative Seite der Normali-sierung – das klassische Verhal-ten der Mediziner bei Proble-men mit Medikamenten.

    Warumverhalten sich Menschen mitHIV und Aids non-compliant?

    Die Anbindung an das Thera-

    pieregime, und damit an das me-dizinische System, führt zu ei-nem Autonomiekonfl ikt. DerPatient fühlt sich als Anhängselder Medizin, nicht als souverä-nes Subjekt. Der daraus entste-hende Konflikt wird ein Stück 

     wei t dad urc h ent sch ärf t, da ß derPatient zeitweise die Therapieunterbricht. Nicht, um sie wirk-lich ad acta zu legen, sondern umpsychologisch gestärkt weiter-machen zu können. Das bedeu-tet für die Patienten eine deut-l i che Ste igerung ihrerLebensqualität. Lebensqualität i st schwer faßbar, aber etwasganz Unmittelbares. Wenn dieGegenwar t schlecht i s t oderdurch die Nebenwirkungen der

     The rap ien als sch lec ht empfun -

    den wird, fehlen schnell auchPerspektiven für die Zukunft.Diese Erkenntnis muß nicht nur

     Är zt en in de n Ko pf ge br ac ht  we rd en . Ma n ka nn ke in e Zu -kunft entwickeln, wenn man dieGegenwar t a l s uner trägl i chempfindet.

    Sie plädieren als für Non-Compliance?

    Ich plädiere überhaupt nicht füreinen laxen Umgang mit denKombinationspräparaten. Dasmüssen die Patienten selber ent-scheiden. Meine vorhin gestelltenFragen sind nur der Versuch, derGefahr zu entkommen, Vermu-tungen unreflektiert zu überneh-men und zu dogmatisieren. Undes ist der Versuch, zu differenzi er-teren Forschungen zu ermutigen.

    Complianceforschung sollte nicht an Patienten betrieben werden;das ist ein medizinisches Vorurteil.Untersucht werden müssen die

     Ärzti nnen und Ärzte darauf , wiesie in den Prozessen interagieren,die für Compliance oder Nicht-Compliance mit ausschlaggebendsind.

    Also ein Plädoyer für einen sehr indi-viduellen Umgang mit den Kombinati-onstherapien?

    Ich plädiere nie für etwa. Ich willlediglich verständlich machen, was

     warum gerade gesc hieht. Ich woll -te den vielen Ärzten auf den

     Münchne r Aids-Tagen zeigen , daßdie inneren Prozesse und Phanta-sien, die zu den Menschen gehö-ren, nicht einfach mir nichts dirnichts als etwas Irrationales und

    damit Störendes abgetan werdenkönnen.

    Können Sie nicht auch die Ärzte ver-stehen, die nach Jahren der Ohnmachtendlich wirksame Medikamente anderHand haben und diese nutzen wollen?

    Ich verstehe es ausgesprochengut, daß diese Machtlosigkeit schwer erträglich war und daß die

     Ärzte – je denfa lls ein großer Teil von ihnen - diese Macht , die siemit den Medikamenten jetzt inder Hand haben, massiv einsetzen

     woll en. Aber aus einer solch tri-umphalen Geste erwächst mei-stens Blindheit. Deshalb mußman diesen Triumph wieder einStück weit zurücknehmen. Es ist unter Ärzten – vor allem unterden klinisch tätigen – längst eine

    sehr ernst zu nehmende Diskus-sion im Gange, ob und wann man

    mit den Therapien beginnen soll.

     Aber die Entsch eidung für eine Therap ie wird oft zu schnel lgefällt, ist meist nur vonden Vorstellungen der

     Ärzt e und den natu r- wi ss en sc ha ft li ch enForschungsresulta-ten diktiert undnicht an den Vor-stel lungen derPatienten orien-tiert. Eigentlichmüßten die Pati-enten ihre Ärz-te davonüberzeugen,daß eine

     Therap ie gut für sie ist. Dasist aber relativ schwer zu vermit-teln und ein völliganderer Blick fürdas Machtverhält-nis zwischenP a t i -

    enten und Ärzten. Ich will die

     Macht der Patie nten stär-ken. Ich habe eine viel,

     viel größe re Vorstel -lung davon, welche

    Fähigkeiten diePatienten ha-ben, selbst daüber zu ent-scheiden, wasgut für sie ist,als es die Me-diziner haben.

    AIDS-Hilfenge-ben zur Ein-haltung desTherapiere-giments al-l e r l e iRatschlägewie „Nimm

    Deine Pillenmit, wenn Du

    ̂Gegen den Druck des Pillencocktails: Der Soziologe Martin DanneckerSpricht sich dafür aus, die emotionalen Be-dürfnisse von Aids-Patienten ernster zu nehmen Foto: Johannes Aevermann

    amWochenende ausgehst“. Was kriti-sieren Sie daran?

    Das ble ibt zu sehr an derOberfläche haften und schaut nicht nach innen. Das versteht auch nicht genug, welche Pro-zesse sich dahinter abspielen.

     Wenn m ein e T hes e s tim mt, daßes Autonomiekonf l i k te gibt ,dann sind Empfehlungen, dieauf mehr Effizienz zur Einhal-tung der Compliance abzielen,der falsche Weg. Das wäre die

     Anp ass ung der sub jek tiv en Lo-gik an die Medizinlogik. Mirgeht es genau um das Gegenteil:In den Prozeß zwischen Arzt,

     Me di zi ns ys te m un d Pa ti en te nsoll mehr von der subjektivenLogik der Patienten reinkom-men.

    WWWWWelchen neuen Aufgelchen neuen Aufgelchen neuen Aufgelchen neuen Aufgelchen neuen Aufgaben müssenaben müssenaben müssenaben müssenaben müssensich die AIDS-Hilf sich die AIDS-Hilf sich die AIDS-Hilf sich die AIDS-Hilf sich die AIDS-Hilf en sen sen sen sen stttttellen?ellen?ellen?ellen?ellen?

     AIDS -Hil fen habe n zwei neue Aufgaben. Ersten s, d ie Probl eme von Com pli anc e in Sel bst hil fe-gruppen, angebunden an AIDS-Hilfen, zu organisieren. Die zwei-te Aufgabe sol l te sein, dieReintegration der HIV-Patientenin das berufliche wie private Le-ben ein Stück weit mit zu organi-sieren. Das ist eine sehr schwieri-ge Aufgabe, denn das heißt jaauch, die Marginalisierten, für die

    die AIDS-Hilfen ja sehr stark ein-treten, in dieses gesellschaftlicheGebilde zu integrieren, so wie esist. Das ist für AIDS-Hilfen etwasganz Neues und sie werden es garnicht so gut können. Die vorheri-ge Aufgabe - die Stützung der

     Ma rg in al is ie rte n, um si e ni ch t noch weiter zu marginalisieren -ist von der politischen Phantasieund Haltung her wesentlich kriti-scher. Jetzt geht es zum Teil umReintegration und um neue Le-bensentwürfe.

    Haben sich die Betroffenen begriff-lich als „Menschen mit HIV undAids“zu „Patienten“verändert?

     Ja, da s ist ganz überwi egend derFall. Und ich denke, die Betroffe-nen selbst haben heute zu einem

    großen Teil auch so etwas wie Pa-tientenidentität und keine Aids-Identität mehr. Für die älterenInfizierten, die schon lange mit HIV und Aids leben müssen undunausweichliche Todesbedrohunggespürt haben, ist es wirklich aus-gesprochen schwer, in dieser an-deren und neuen Identität anzu-kommen.

    Wir danken für die freundliche Unterstützung:

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    April 1999 KulturQUEER ✆ (0221) 579 76-0  !!!!! Aachener Straße 66, 50674 Köln

    QUEER Kultur1

     < SchlagerträumëBengel mit Waschbrett und StimmeBei den britischen Teens ist „Kavana“ ein Star – jetzt will er auch auf dem Kontinent sein Erfolgspotential austesten

    Von Jörg Meier

    Eine 21-jährige, kaugummikau-ende Ein-Mann-Boygroup un-terhält sich mit mir am Tele-fon. „Kavana“, bürgerlicher NameAnthony Kavanagh, wird in sei nerHeimat England als neuer Geor-ge Michael am Soul-Himmel ge-handelt. Durch seine neue Single„Special Kind Of Something“ unddas gerade erschienene Album„Instinct“ (Virgin Records) haftenalle Augen auf dem nicht unan-sehnlichen „Bengel“. Seit 1996veröff entlichte er vier Top 40 Sin-gles, absolvierte eine Vielzahl Ra-dio- und Fernsehauftritte undwurde vom englischen Girlie-Ma-gazin „Smash Hits“ zum bestenSänger 1997 gewählt. Jetzt ist esan der Zeit, auch dem „Festland“zu zeigen, was alles in ihm steckt.Jörg Meier spr ach für QUEERmit dem Newcomer.

    Was hat Kavana, was andere nicht ha-ben?

     Vielleicht meine S timme? In ei-ner perfekten Welt wäre ich ger-ne wie George Michael, ohne denVorf al l in L. A. Ic h ma g au chPrince und Madonna, sie sind ein-fach großartige Stars.

    Wie fing Deine Karriere an ?

     Vor 3 Jahren hab ich ein Demoeingeschickt. Man mochte es undich hab sofort den Vertrag unter-zeichnet. Dann habe ich mein er-

    stes Album aufgenom-men und bin eine Men-ge durch die Welt ge-reist.

    ... und dabeiturnst Du eineMenge in derSchwulenszenerum. Bist Duschwul?

    Nein. Ich hab´ aber viel e schw ule Fans .

    Ich habe geradeerst vor zwei Wo-chen in einemLondoner Gay-

    Club gespielt.Das war super.Die Leute sind

    ausgeflippt und ich bin gar nicht  von der Büh ne gek omm en. Bis vier Uhr morgens ging das so.

    Was hat Dich so angeheizt? Die Jungs?

     Ja, es war toll. Es war eine ge-niale Atmosphäre.

    Kannst Du ausschließen, daß Duschwul bist?

    Nein, kann ich nicht. Aber ichhabe noch keine Erfahrung, weilmich schwuler Sex bislang nicht interessiert hat. Aber ich lerne janoch dazu. Wer weiß, eines Ta-ges... Die Welt ändert sich, ichmich mit ihr. Du wirst der erstesein, dem ich es erzähl, okay?

    Ruf mich an.

    Klar, das mache ich vielleicht  wirklich .

    Wann können wir Dich live sehen?

    Ich hoffe bald. Ich plane eineClub-Tour mit Tänzern undShoweinlagen.

    ImKlartext: Du ziehst Dich aus?

    (Ganz überrascht) Klar zieh ichmich aus.

    Deshalb hast Du in L.A. trainiert?

     Ja, ich machte Urlaub , schmie-dete an Plänen für das neue Albumund gleichzeitig überholte ichmeinen Körper.

    Duhattest das Angebot, für Robbie Wil-liams bei Take That einzusteigen?

     Ja, das war im Gespräch , aber

    solo geht es mir besser.

    Deine Stimme ist erheblich besser alsdie von Robbie Williams...

    Oh, danke.

    ... wobei das keine Kunst ist!

    (lacht) Ist es nicht?

    Er hat seine Solokarriere mit Pop-Rock-Songs beschritten. Das ist ein wenigaußergewöhnlich, nach so einer Boy-group-Karriere. Glaubst Dunicht, es istschwieriger, seine Brötchen mit Soulund Funk zu verdienen, weil sich vielmehr Menschendaranversuchen?

     Ja, das ist wahr. Aber es ist auchdie einzige Musik, die ich machenmöchte. Ich werde mich deshalbnicht ändern, weil es der beschwer-lichere Weg ist. Ich muß Musik machen, die ich selber anhören wür-de.

    Möchtest Dumit Deinemneuen Albumernster genommenwerden?

    Ernst? Jein, ich mache Popmusik.Die Leute schauen mich an undstellen fest, daß ich älter gewordenbin und ernster aussehe, das mußnicht heißen, daß sie mich ernsternehmen müssen. Ich bin doch kei-ne Gefahr. Allerdings steckt mehr

     von meiner Seele im neuen Album.Bist Dusehr familiär? Ja, meine Mum ist mir sehr wich-

    tig. Wenn ich unterwegs bin, rufeich sie täglich an.Bleibt auch Zeit für eine Freundin?

    (lacht) Ich habe keine, im Augen-blick.

    ̂Bezaubert seine Fans auf der Insel mit Körper und Kehle: Anthony Kavanaghist der Star seiner „Ein-Mann-Boygroup“. Gäste eines Gay-Clubs in Londonwolltenihngar nicht mehr vonder Bühne lassen. Foto: Virgin

    Zweiter „GrandPrix Colonia“

    Köln/tb– Nation hat entschieden: We-der Patrick Lindner noch Michael von

    der Heide dürfen Deutschland beim„Grand Prix d ́Eurovision de la Chan-son“ vertreten. Dennoch werden Les-ben oder Schwule mit dabeisein. Am24. April wird In Köln zum zweiten Malder „Grand Prix Colonia“ ausgetragen,die GewinnerInnen sitzen einen Mo-nat später in Publikum in Jerusalem.Seit der umjubelten Premiere im Köl-ner „Gloria“ hat der etwas andereSchlagerwettbewerb eine rasante Ent- wicklung genommen. Organisator Jür-gen Künz berichtet stolz: „Als Partnerkonnten wir den Westdeutschen Rund-funk gewinnen, der zwei Stunden langlive überträgt.“ Von Moderatorin An-nette Küppersbusch stammt die Idee.10 MusikerInnen des Rundfunkorche-sters werden die Beiträge live beglei-ten. Eine Videowand steht bereit fürEinspieler und Punkteverteilung. In der Jury sitzen Prominente wie Hella vonSinnen, Dirk Bach und Jürgen Domi-

    an. In den Skandälchen ähneln sich diebeiden Songcontests. Beim „großen“Grand Prix wurde Corinna May ausdem Verkehr gezogen, in der schwul-lesbischen Version erwischte es „Ma-dame Furiosa“, deren Beitrag rausflog,da schon eine frühere Version aufge-führt worden war.

    GrandPrix Colonia, am24. April 1999um20.30 Uhr (Einlaß 19.30 Uhr) indenSatorySälen, Friesenstr. 44-48, VorprogrammmitKara Pientka, Pelle Pershing undElfie &Gabi Kutschalla, ab 22.20 Uhr Live-Über-tragung imWDR-Fernsehen. Karten zumPreis von35.- DMzzgl. VVK-Gebühr überCheckpoint, GanymedundKöln-Ticket, Tel.(0221) 28 01. Öffentliche Generalprobe am23. April, 20.30 Uhr (Einlaß 19.30 Uhr), Ein-tritt 25.- DMzzgl. VVK 

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    April 1999Kultur14   QUEER

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