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62 Test Endstufe Convergent JL5 Nr_6-2015 Die gute Nachricht lautet: Endlich gibt’s vom amerikanischen Kulthersteller Convergent eine Endstufe für jedermann. Also ein Einsteigermodell. Etwas Kleines halt Das Riesenbaby E s ist alles relativ. Und deshalb fangen wir mit den schlechten Nachrichten an. Ein Paar Convergent-Monos vom Typ JL3 Ultimate kostet derzeit gute 47.000 Euro. Und außerdem ist‘s groß, schwer und heizt den Hörraum in einem Maße auf, dass man über die Anschaffung eines „Sommerverstärkers“ nachdenken muss. Da ist‘s doch toll, dass es jetzt neben der bekannten Stereoversion JL2 Ultimate für 26.000 Euro noch eine kleine Convergent mit dem Beinamen „Baby Cat“ gibt: Die JL5 kostet nämlich nur rund 17.000 Euro. Inwieweit Sie die letzten Zeilen als Ironie, Sarkasmus oder was auch immer emp- finden, liegt ganz bei Ihnen. Als jemand, der mit der JL2 eine ganze Zeitlang Musik hören durfte freue mich tatsächlich ernst- haft, dass es jetzt ein Modell gibt, dessen Preisgestaltung zumindest in die richtige Richtung zeigt. Auch wenn‘s immer noch mehr Geld ist, als meine letzten fünf Autos zusammen gekostet haben. Okay, genug über die eigene Finanzmisere angesichts eines solchen Produktes gejam- mert. Fakt ist: Auch die kleinste Conver- gent ist ein echter Trümmer. Netto 32 Ki- logramm schwer. Und sie baut so tief, dass ein Großteil klassischer HiFi-Racks einfach nicht passt. Vermutlich werden „CATs“ deshalb meist auf dem Boden betrieben. Warum sie so schwer ist? Eisen. Und das bezieht sich bei diesen Verstärkern grundsätzlich nicht nur auf die Indukti- vitäten, sondern auch aufs Gehäuse. Die geschweißte und mit schwarzem Kräusel- lack beschichtete Behausung ist stabil und amerikanisch wie eine 1958er-Corvette Ganz vorne: Zwei russische Doppeltrioden vom Typ 6922 bilden die Eingagsstufe der JL5 062-065_LP615_Convergent.indd 62 062-065_LP615_Convergent.indd 62 25.08.15 10:07 25.08.15 10:07

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62 Test Endstufe Convergent JL5

Nr_6-2015

Die gute Nachricht lautet: Endlich gibt’s vom amerikanischen Kulthersteller Convergent eine Endstufe für jedermann. Also ein Einsteigermodell. Etwas Kleines halt

Das Riesenbaby

Es ist alles relativ. Und deshalb fangen wir mit den schlechten Nachrichten

an. Ein Paar Convergent-Monos vom Typ JL3 Ultimate kostet derzeit gute 47.000 Euro. Und außerdem ist‘s groß, schwer und heizt den Hörraum in einem Maße auf, dass man über die Anschaffung eines „Sommerverstärkers“ nachdenken muss. Da ist‘s doch toll, dass es jetzt neben der bekannten Stereoversion JL2 Ultimate für 26.000 Euro noch eine kleine Convergent mit dem Beinamen „Baby Cat“ gibt: Die JL5 kostet nämlich nur rund 17.000 Euro. Inwieweit Sie die letzten Zeilen als Ironie,

Sarkasmus oder was auch immer emp-fi nden, liegt ganz bei Ihnen. Als jemand, der mit der JL2 eine ganze Zeitlang Musik hören durfte freue mich tatsächlich ernst-haft, dass es jetzt ein Modell gibt, dessen Preisgestaltung zumindest in die richtige Richtung zeigt. Auch wenn‘s immer noch mehr Geld ist, als meine letzten fünf Autos zusammen gekostet haben.Okay, genug über die eigene Finanzmisere angesichts eines solchen Produktes gejam-mert. Fakt ist: Auch die kleinste Conver-gent ist ein echter Trümmer. Netto 32 Ki-logramm schwer. Und sie baut so tief, dass ein Großteil klassischer HiFi-Racks einfach nicht passt. Vermutlich werden „CATs“ deshalb meist auf dem Boden betrieben.Warum sie so schwer ist? Eisen. Und das bezieht sich bei diesen Verstärkern grundsätzlich nicht nur auf die Indukti-vitäten, sondern auch aufs Gehäuse. Die geschweißte und mit schwarzem Kräusel-lack beschichtete Behausung ist stabil und amerikanisch wie eine 1958er-Corvette

Ganz vorne: Zwei russische Doppeltrioden vom Typ 6922 bilden die Eingagsstufe der JL5

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Endstufe Test 63

Mitspieler

Plattenspieler:· Yamaha GT-750 / Reed 3p· Clearaudio Master Innovation / TT2

Tonabnehmer:· Lyra Atlas· Clearaudio Da Vinci V2

Phonovorstufen:· Accuphase C-37· MalValve preamp three phono

Vorverstärker:· Accuphase C-2420

Lautsprecher:· KLANG+TON Nada· Audio Physic Avantera plus+· KLANG+TON “„Celeste”

Zubehör:· Netzsynthesizer PS Audio P10· Kabel von Transparent und van

den Hul· Plattenwaschmaschine von

Clearaudio

Gegenspieler

Endstufe:· Accuphase A-46

verträgt knapp 50 Prozent mehr Verlust-leistung. Wenn Stevens vier Stück davon zu einer Gegentaktendstufe mit 100 Watt Ausgangsleistung verschaltet, dann bleibt er damit immer noch weit unterhalb der Spezifi kationen der Röhre. Das macht er immer so, Langzeitstabilität und Zuverläs-sigkeit seiner Geräte sind legendär. Stevens verschaltet die Endröhren grundsätzlich im Triodenbetrieb; dadurch verschenkt er zwar etwa 20 Prozent Leistung, es klingt aber einfach besser, wie eine Vielzahl von umschaltbaren Konstruktionen im Hör-raum immer wieder beweist.Die große Sensation? Nicht bei Ken Ste-vens. Der Mann ist Ingenieur, Entwickler, jemand, der die Dinge vorantreibt und nicht revolutioniert. Deshalb darf es schon als erstaunlich gelten, dass Stevens dem Thema „Kondensatorklang“ tatsächlich eine nennenswerte Bedeutung beimisst. Resultat dessen: Er lässt sich seit geraumer Zeit Folienkondensatoren mit besonders geringen dieelektrischen Verlusten her-stellen. Seine „Black-Path“-Kondensatoren sehen unscheinbar aus, sollen aber ausge-zeichnet klingen. Und dann war da noch das mit den Ausgangsübertragern. In der JL5 stecken überaus solide dimensionierte Versionen mit amorphen Kernen. Amor-phe Metalle haben tatsächlich viel mit Glas gemeinsam, sind jedoch elektrisch leitfähig und verfügen über ausgezeichne-te magnetische Eigenschaften. Wer‘s sich leisten kann und will, der setzt bei Über-tragern auf solche Materialien. Ein Blick ins Innere des Gerätes offenbart einen gewissen Pragmatismus, der typisch für

Stingray. Weit entfernt von hypermo-dernen fünfachsgefrästen Aluminium-skulpturen heutiger Zeit. Das Gehäuse einer CAT ist ein Baugruppenträger und kein Designelement. Basta.Entwickler und Firmeneigentümer Ken Stevens ist ein scheues Reh. Er hat‘s nicht so mit einer offenherzigen Informations-politik. Webseite? Aber nicht doch. Und überhaupt, neue Modelle: alle Jubeljahre mal. Wozu auch, die Palette braucht keine Ergänzungen mehr. Lifestyle-HiFi gibt’s woanders.Die JL5 hat nur halb so viele Endröhren – vier pro Seite – wie die größere JL2, aber nominell genauso viel Leistung. Nämlich 100 Watt. Wobei Messung und Hersteller-angabe erfreulich genau übereinstimmen, was ich als ein echtes Zeichen für Seriösität werte. Und wieso geht’s auf einmal mit so viel weniger Röhren? Weil Ken Stevens hier erstmals auf die verhältnismäßig neuen KT120 setzt, bislang waren für die Drecks-arbeit immer 6550 zuständig.Beide Röhren zählen zur Gattung „Beam- Power-Pentoden“ und sind tatsächlich in erster Linie für Audioanwendungen konzipiert worden. Die KT120 ist span-nungs- und stromfester als die 6550 und

Nicht besonders schön, aber offensichtlich durchdacht: Die JL5 ist auch messtech-nisch eine Wucht

Die Endröhrensockel sind auf dem Chassis montiert und frei verdrahtet

Einen solchen Prachtbau „Baby CAT“ zu nennen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie

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Nr_6-2015

64 Test Endstufe Convergent JL5

GespieltesMichael HedgesAerial Boundaries

GlowsunBeyond the Wall of Time

Colour HazeTo the Highest Gods We Know

KadavarBerlin

Mic

hael

Hed

ges

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eria

l Bou

ndar

ies

Endstufe Convergent JL5· Preis um 17.000 Euro· Vertrieb Bold High End, Frei-Laubersheim· Telefon 06709 9119380· Internet www.bold-highend.de· Garantie 5 Jahre· B x H x T 315 x 235 x 510 mm· Gewicht 32 kg

Unterm Strich …» Auch die kleinste Convergent ist eine klang-liche Sternstunde. Einen farbigreren und aus-

drucksstärkeren Mitteltonbereich werden Sie nirgends fi nden, einen so schön runden und rollenden Bass auch nicht. Große Verstärkerkunst.

Ken Stevens ist. Sonderlich viel fürs Auge hat die JL5 hier nicht zu bieten. Aber auch hier gilt: Der Kram soll funktionie-ren und nicht hübsch sein. Und so gibt’s eine Platine für die Ein-gangssektion, eine mit reichlich Siebelkos, eine ohne größere Zerlegungsaktionen nicht näher zu identifi zierende verschwin-det hochkant im Übertragergehäuse. Die Endstufensektion ist frei mit Lötlei-sten verdrahtet, über allem sind reichlich bunte Leitungen verlegt. Nicht schön, aber zweckmäßig. Ruhestromeinstellung? Gibt‘s nicht. Dafür ein paar Leuchtdioden, die so lange grün zeigen, wie die dazugehö-rige Röhre ordnungsgemäß arbeitet.Beim Anschluss des Geräte wird man aber-mals mit „typisch Convergent“ konfron-tiert: Ein- und Ausgangsbuchsen liegen an der Seite. Stevens sieht es halt nicht ein, Kabel durchs Gehäuse nach hinten zu ver-legen, nur damit Sie‘s beim Anklemmen leichter haben.Zehn Minuten braucht die eingespielte Endstufe, bevor sie klanglich voll da ist. Und bereits nach den ersten Takten ist man geneigt, Ken Stevens all die kleinen Beson-derheiten seiner Konstruktion zu verzei-hen. Oder sie gar als unverzichtbare Be-standteile des Gesamterlebnisses zu feiern.Wir feiern mit der tollen Wiederveröffent-lichung von Michael Hedges revolutio-närer Gitarrenplatte „Aerial Boundaries“. Es läuft das wunderschöne „Bensusan“, meisterhaft von einem echten Könner auf sechs Saiten vorgetragen. Bereits nach we-nigen Takten hat der Convergent-Sound

die Nackenhaare aufgerichtet. Ken Stevens Verstärker bieten einen Klangfarbenreich-tum, der seinesgleichen sucht. Über die JL5 leuchtet die Gitarre akustsich von innen heraus. Jeder Ton ist eine Offenbarung, je-der Saitenanriss ein Füllhorn von wunder-baren Kleinigkeiten. Ich habe selten erlebt, dass bei einem Verstärker der Mittenbe-reich so prägend fürs gesamte Klangbild ist wie hier. Übrigens ist die Baby-Cat ein Ver-stärker, der durchaus gefordert werden will. Wer meint, ihm etwas Gutes zu tun, indem er ihn an betont wirkungsgradstarke Laut-sprecher anschließt, der befi ndet sich auf dem Holzweg. Versuche mit einem rund 95 Dezibel lauten Zwölfzoll-Koaxialsystem

Das einzige Zugeständnis an die Optik sind die Edelstahlverblendungen am Gehäuse

Vier KT120 pro Kanal sorgen für mächtig Schub werden hier aber noch lange nicht ausgelastet

Das Front End residiert auf einer Platine. Man beachte die schwar-zen „Black Path“-Kondensatoren

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jedenfalls scheiterten – es klingt einfach langweilig. Wenn die JL5 ein bisschen Strom liefern muss, dann wird sie wach und brennt ein wahres Feuerwerk ab. Und dynamisch pfl egt sie dabei eine derart zackige Gangart, dass mir um die Beryllium-kalotte unserer Nada schon mal ein bisschen bange wurde. Zwischendurch legt Mi-chael Hedges bei „Ragamuffi n“ dermaßen los, dass es unvorstellbar erscheint, dass hier nur eine einzelne akustische Gitarre am Werk ist. Unterschiede zur Accuphase A-46? Die gibt’s in der Tat. Die Amerikanerin lebt eindeutig aus der Mitte heraus und verteilt ober- und unterhalb davon mehr oder weniger große Geschenke. Die Accuphase hat ähnlich viel Schmelz, wirkt etwas breitbandiger und feiner. Im Bass tönt sie nicht ganz so rabiat wie die Convergent, vielleicht eine Spur besser durch-gezeichnet. Was Ihnen besser gefällt, das müssen Sie bei Bedarf selbst herausfi nden. Ich jedenfalls „föne“ mich noch ein bisschen über die Ami-Röhre mit Glowsuns hervorragendem instrumentalen knüppeltrockenen Stoner-Rock-Album „Beyond the Wall of Time“. Das geht mit der CAT nämlich ab wie der Teufel.

Holger Barske

Messtechnik-KommentarBreitbandigkeit ist ein Thema bei Ken Stevens. Seine kleine Endstufe hat ihren -3dB-Punkt erst bei knapp 100 Kilohertz, das ist für einen so potenten Verstärker ausgezeichnet. Die JL5 leistet 105 Watt an acht Ohm und derer 95 an vier – und das bei 0,7 Prozent Klirr. Der Fremd-spannungsabstand bei 5 Watt beträgt satte 96,7 Dezibel, die Kanaltrennung um 70 Dezi-bel. Bei 5 Watt stehen lediglich etwas mehr als 0,1 Prozent Klirr an – alles ausgezeichnete Werte. Die CAT ist keine Kostverächterin. Im Leerlauf genehmigt sie sich 320 Watt aus der Steckdose, bei 5 Watt rund 350 und bei Vollast etwa 650 Watt.

Gemessenes

DIe KT120 ist ein moderner Vertreter der Gattung „Beam-Power-Pentode“

Die JL5 leistet genauso viel wie ihre größere Schwester JL2 mit doppelt so vielen Endröhren