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226 Gedenktage regen zum Denken an. In diesem Fall, beim 70.Todestag von Louis Vierne (1870– 1937) und dem 100. Geburtstag von Jean Langlais (1907–1991), zu Betrachtungen über die Vielfalt französischer Orgelmusik. Trotz französischem Zentralismus: Den gemeinsa- men Wurzeln entsprossen verschiedenartigste Gewächse. Zu diesem Schluss kommt man be- sonders, wenn man unsere beiden Meister näher unter die Lupe nimmt. Trotz einiger auffälli- ger Gemeinsamkeiten sind Vierne und Langlais eigentliche Gegenpole. Die bekannteste Ver- bindungslinie stellt natürlich die Sehschwäche bzw. Blindheit dar, welche die Ausbildung an derselben Schule (Institution Nationale des Jeu- nes Aveugles, INJA) zur Folge hatte und natur- gemäss eine ähnliche Prägung hinterliess. Beide waren Lehrer an der Schola Cantorum, frei- lich eher aus Verlegenheit. Beide waren, dies ist heute kaum mehr bekannt, hervorragende Geigenspieler. Bei beiden ist der Notentext mit allerhand Fehlern gespickt. Die Gemeinsam- keiten hören aber hier rasch auf und machen grössten Gegensätzen Platz. Vierne und Lang- lais – zwei eigenständige Gestalten unter dem weit gespannten Dach der französischen Orgel- welt. Der grösste Unterschied vorweg: Langlais, dies wird die nachfolgende Betrachtung ans Ta- geslicht führen, komponierte eigentlich immer «à la manière de …», in einem stets changieren- den Stilmix, der dann schliesslich doch einen unverwechselbaren Langlais-Stil ergibt. Vierne schrieb hingegen «à la manière de lui-même» (in Anlehnung an einen auf Ravel gemünzten Aus- spruch). Sein Stil ist von Anfang an ausgeprägt, der Unterschied von Werk zu Werk gering. Auffällig bei Vierne ist, namentlich im Ge- gensatz zu Langlais: – Er hat recht wenig Musik komponiert (62 Opusnummern, gegenüber 256 bei Langlais!) und nur wenige Gattungen berücksichtigt. – Die Orgel ist selten als Ensembleinstrument behandelt. – In seinen Kompositionen ist praktisch kein Einfluss der Gregorianik feststellbar. – Auch hat keine irgendwie geartete Folklore ihren Niederschlag in seinem Werk gefunden. – Die Wiederentdeckung der alten Musik, deren Anfänge in die Zeit der Vollreife des Kompo- nisten fielen und die bei seinem Altergenossen Tournemire eine grosse Rolle spielt, hinterliess bei Vierne keine Spuren. – Im Gegensatz zu Langlais war Vierne ein her- vorragender Pianist, der recht viele, ausserhalb Frankreichs leider fast unbekannte Klavierwer- ke sowie bedeutende Kammermusik mit Kla- vier hinterlassen hat. Aus dem Untertitel geht hervor, dass hier nicht in erster Linie das Leben und auch nicht die Konzertmusik der beiden Meister im Mittel- punkt stehen soll. Beim «grossen» Jubilaren Langlais war die Vita Gegenstand eines geson- derten Beitrags. Beim «kleinen» Jubilaren Vierne müssen die vielen einschlägigen Untersuchungen nicht noch um eine weitere vermehrt werden. Unser Augenmerk richtet sich für einmal auf leichte, liturgisch verwendbare Werke. Langlais hat solche in übergrosser Zahl komponiert. Und hier liegt gerade das Problem! Bei Vierne hin- gegen wird wohl mancher stutzen: leichte Orgel- musik ausgerechnet von Vierne, dem wohl vir- tuosesten französischen Orgelmeister seiner Zeit, dessen bekannte Werke bei den meisten für un- erreichbares technisches Niveau stehen? Doch, doch, auch bei ihm findet sich allerhand: nicht gerade Anfängerstücke, aber zugängliche Musik in grösserer Menge als gemeinhin angenommen. Auch wenn vorhin betont wurde, dass die Biografien für einmal in den Hintergrund treten sollen, ist es vielleicht hilfreich, nach den länge- ren Notizen zu Langlais auch einen Blick auf das eine oder andere Ereignis im turbulenten Leben von Louis Vierne zu werfen. Ein Streiflicht auf das Leben von Louis Vierne Louis Vierne stammte, ebenso wenig wie Langlais, aus einer Musikfamilie. Während der Vater des Bretonen ein einfacher Handwerker war, übte Viernes Vater immerhin den Beruf des Redaktors aus. Der zarte, schwächliche Knabe Emanuele Jannibellil Im Halbschatten Vierne und Langlais als Komponisten leichter Orgelmusik

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Gedenktage regen zum Denken an. In diesemFall, beim 70.Todestag von Louis Vierne (1870–1937) und dem 100.Geburtstag von JeanLanglais (1907–1991), zu Betrachtungen überdie Vielfalt französischer Orgelmusik. Trotzfranzösischem Zentralismus: Den gemeinsa-men Wurzeln entsprossen verschiedenartigsteGewächse. Zu diesem Schluss kommt man be-sonders, wenn man unsere beiden Meister näherunter die Lupe nimmt. Trotz einiger auffälli-ger Gemeinsamkeiten sind Vierne und Langlaiseigentliche Gegenpole. Die bekannteste Ver-bindungslinie stellt natürlich die Sehschwächebzw. Blindheit dar, welche die Ausbildung anderselben Schule (Institution Nationale des Jeu-nes Aveugles, INJA) zur Folge hatte und natur-gemäss eine ähnliche Prägung hinterliess. Beidewaren Lehrer an der Schola Cantorum, frei-lich eher aus Verlegenheit. Beide waren, dies ist heute kaum mehr bekannt, hervorragendeGeigenspieler. Bei beiden ist der Notentext mit allerhand Fehlern gespickt. Die Gemeinsam-keiten hören aber hier rasch auf und machengrössten Gegensätzen Platz. Vierne und Lang-lais – zwei eigenständige Gestalten unter demweit gespannten Dach der französischen Orgel-welt.

Der grösste Unterschied vorweg: Langlais,dies wird die nachfolgende Betrachtung ans Ta-geslicht führen, komponierte eigentlich immer«à la manière de …», in einem stets changieren-den Stilmix, der dann schliesslich doch einenunverwechselbaren Langlais-Stil ergibt. Vierneschrieb hingegen «à la manière de lui-même» (inAnlehnung an einen auf Ravel gemünzten Aus-spruch). Sein Stil ist von Anfang an ausgeprägt,der Unterschied von Werk zu Werk gering.

Auffällig bei Vierne ist, namentlich im Ge-gensatz zu Langlais:– Er hat recht wenig Musik komponiert (62

Opusnummern, gegenüber 256 bei Langlais!)und nur wenige Gattungen berücksichtigt.

– Die Orgel ist selten als Ensembleinstrumentbehandelt.

– In seinen Kompositionen ist praktisch keinEinfluss der Gregorianik feststellbar.

– Auch hat keine irgendwie geartete Folkloreihren Niederschlag in seinem Werk gefunden.

– Die Wiederentdeckung der alten Musik, derenAnfänge in die Zeit der Vollreife des Kompo-nisten fielen und die bei seinem AltergenossenTournemire eine grosse Rolle spielt, hinterliessbei Vierne keine Spuren.

– Im Gegensatz zu Langlais war Vierne ein her-vorragender Pianist, der recht viele, ausserhalbFrankreichs leider fast unbekannte Klavierwer-ke sowie bedeutende Kammermusik mit Kla-vier hinterlassen hat.

Aus dem Untertitel geht hervor, dass hiernicht in erster Linie das Leben und auch nicht dieKonzertmusik der beiden Meister im Mittel-punkt stehen soll. Beim «grossen» JubilarenLanglais war die Vita Gegenstand eines geson-derten Beitrags. Beim «kleinen» Jubilaren Viernemüssen die vielen einschlägigen Untersuchungennicht noch um eine weitere vermehrt werden.Unser Augenmerk richtet sich für einmal aufleichte, liturgisch verwendbare Werke. Langlaishat solche in übergrosser Zahl komponiert. Undhier liegt gerade das Problem! Bei Vierne hin-gegen wird wohl mancher stutzen: leichte Orgel-musik ausgerechnet von Vierne, dem wohl vir-tuosesten französischen Orgelmeister seiner Zeit,dessen bekannte Werke bei den meisten für un-erreichbares technisches Niveau stehen? Doch,doch, auch bei ihm findet sich allerhand: nichtgerade Anfängerstücke, aber zugängliche Musikin grösserer Menge als gemeinhin angenommen.

Auch wenn vorhin betont wurde, dass dieBiografien für einmal in den Hintergrund tretensollen, ist es vielleicht hilfreich, nach den länge-ren Notizen zu Langlais auch einen Blick auf daseine oder andere Ereignis im turbulenten Lebenvon Louis Vierne zu werfen.

Ein Streiflicht auf das Lebenvon Louis VierneLouis Vierne stammte, ebenso wenig wieLanglais, aus einer Musikfamilie. Während derVater des Bretonen ein einfacher Handwerkerwar, übte Viernes Vater immerhin den Beruf desRedaktors aus. Der zarte, schwächliche Knabe

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kam 1870 in Poitiers mit einer starken Seh-störung auf die Welt. Mehrere Operationenbrachten eine gewisse Linderung. An eine nor-male Einschulung war aber nicht zu denken. ImGegensatz zu Langlais bewahrte Vierne einen ge-wissen Sehrest bis ins hohe Alter, was ihm einrecht selbstständiges Leben ermöglichte. Auchnotierte er seine Musik bis gegen 1930 in her-kömmlicher Notenschrift, freilich mit zittrigerHand und auf übergrossen Papierbögen. Einegrosse Fehlerquelle!

Kommt dazu, dass Vierne kaum in der Lage war,Korrekturabzüge in normaler Druckschrift zu le-sen. Die bisher einzig erhältlichen französischenNotenausgaben sind deshalb reichlich mit Feh-lern gespickt, die bei der stark chromatischenTonsprache des Komponisten nicht leicht aufzu-finden sind.

Im Jahr 1873 übersiedelte die Familie Viernenach Paris. Der Onkel Charles Colin, Oboen-lehrer am Konservatorium und Amateurorga-nist, glaubte, musikalische Fähigkeiten im Kna-ben zu entdecken. Im Alter von zehn Jahren wur-de der kleine Louis ins nationale Blindeninstitutaufgenommen. Für nähere Informationen zudieser Schule sei auf den Beitrag zum Leben vonJean Langlais verwiesen. Prägend wurde hier dieBegegnung mit César Franck, der zu jener Zeiteine Art musikalischer Übervater der Institutionwar und an den alljährlichen Schlussprüfungen

als Experte fungierte. Wie erwähnt, erlernte auchVierne nebst dem Orgelspiel das Violinspiel, wasfür seine Kammermusik von Bedeutung seinsollte. Im Jahr 1886 wurde der Jüngling Privat-schüler Francks und Hörer in seiner Orgelklasse.Ins Konservatorium wurde er erst 1890 auf-genommen, somit leider erst einige Monate vordem unerwarteten Unfalltod des Meisters, wel-cher den jungen Mann in schierer Verzweiflunghinterliess. Es wurde der erste einer langen Reihevon Schicksalsschlägen in seinem Leben. MitFrancks Nachfolger Widor freundete sich Vierneaber rasch an und wurde 1892 sein Stellvertreteran der Orgel von St-Sulpice in Paris. Ins Jahr1900 fiel dann die Wahl aus einer riesigen Zahl von Mitbewerbern zum Organisten der Kathedrale Notre-Dame.

Dieses Ereignis sollte sein Leben entschei-dend prägen, aber leider auch eine der letztenpositiven Wendungen sein. Denn trotz der be-deutenden Erfolge als Konzertorganist, seinerRolle als Lehrer einer ganzen Generation junger,erfolgshungriger Organisten und seines wachsen-den Ruhms als Komponist, begannen sich nundie negativen Ereignisse in fast grotesker Weisezu häufen: schwerer Unfall, der um ein Haar zurAmputation eines Beines geführt hätte (1906),bösartige Typhuserkrankung (1907), Tod einesSohnes und seines über alles geliebten BrudersRené (eines talentierten Organisten und Kom-ponisten) im Ersten Weltkrieg, Eheprobleme und Scheidung (1909), dann immer wiederSchwierigkeiten mit den Augen, welche einenlängeren Kuraufenthalt in der Schweiz nötigmachten (1915, 1916–1920), Herzinfarkt(1927) und schliesslich vollständige Erblindung(1930). Der grösste berufliche Schlag traf ihn imJahr 1911, als es um die Nachfolge des verstor-benen Alexandre Guilmant als Orgelprofessoram Konservatorium ging. Denn obwohl Guil-mant öffentlich seinen Wunsch ausgedrückt hat-te, dass Vierne an diesen Posten berufen würde,sollte es anders kommen. In der Tat wurde VierneOpfer der Spannungen zwischen seinem MentorWidor und dem damaligen Direktor GabrielFauré. Fauré und Saint-Saëns überredeten Eugè-ne Gigout, sich für die Position zu bewerben.Das Handicap der Blindheit Viernes war schliess-lich der Grund, Gigout tatsächlich zu wählen.Aus Protest darüber kündigte Vierne seine Stel-lung als Lehrassistent, im Rahmen derer er bisherdie Schüler auf die Aufnahme in die Orgelklassevorbereitet hatte. Da er auf Anraten Vincent

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d’Indys zum Lehrer am berühmten Privatkonser-vatorium Schola Cantorum berufen wurde, gin-gen trotzdem praktisch allen jungen Orgeltalen-te bei ihm in die Lehre. Die meisten von ihnenbetrachteten Vierne als ihren eigentlichen Lehr-meister und holten sich bei Gigout lediglich dieoffizielle Absegnung, so auch und namentlichMaurice Duruflé.

Allen Wechselfällen des Lebens zum Trotz,hörte Vierne nie auf zu konzertieren und zu kom-ponieren. Der Ausstoss an neuen Werken wurdefreilich, ganz anders als bei Langlais, immer lang-samer. 1930 entstand die bewegte 6. Sympho-nie, 1931 das Tryptique, 1934 die Messe bassepour les défunts, sein letztes Werk. Als Rezitalistblieb er buchstäblich bis zur letzten Atemzugtätig: Er verstarb während seines 1750. Konzertesan den Manualen seiner geliebten Orgel, als er zu einer Improvisation über das gregorianischeAlma Redemptoris Mater anheben wollte.

Jedem, der mehr über Viernes Leben erfah-ren möchte, sei die Lektüre seiner Souvenirs ansHerz gelegt.1 Diese berührende, mit dem Jahr1933 allerdings abrupt abbrechende Autobiogra-fie, wirft nicht nur ein lebendiges Licht auf dasereignisreiche Leben des Meisters selber, sondernermöglicht auch, die damalige Orgelwelt gewis-sermassen von innen, von einer absoluten Zen-tralfigur her kennenzulernen. Im französischenOriginal gibt sich unser Komponist überdies alsMeister des Wortes zu erkennen. Seine packen-den Schilderungen stellen eine wunderschöneLektüre dar. Mit seiner grossen (manchmal allzugrossen) Sensibilität, seinem durch und durchromantischen Sinn fürs Dramatische und sei-nem Hang, die kleinste Gefühlsregung aufzu-bauschen, war dieser Mann dazu berufen, dasviele Leid wie auch die raren Freudenmomentein seiner Existenz, besonders intensiv zu erlebenund darzustellen – in Wort und Musik.

Die schon fast ungesund heftige Orgel-Fran-kophilie in Deutschland hat uns nun nicht nur,nach Ablauf der Schutzfrist, gleich zwei einanderkonkurrenzierende kritische Gesamtausgaben2

beschert, sondern auch die deutsche Überset-zung der Souvenirs3, sowie eine eingehende Ana-lyse seiner Musik in deutscher Sprache.4 Beidesist hoch willkommen, angesichts der erwähntenUnzulänglichkeiten der bisher erhältlichen Aus-gaben und nachdem die bekannteste Abhand-lung aus der Heimat des Komponisten längstvergriffen ist.5 Eine reichaltige französischspra-chige Homepage ist dem Meister von Notre-Dame ebenfalls gewidmet (www.louisvierne.net).

Louis Vierne als KomponistVierne bekleidete zwar ebenso wenig wieLanglais je eine offizielle Konservatoriumsstelle,war aber als Assistent von Widor und später alsLehrer an der Schola Cantorum faktisch die in-offizielle Unterstufe der berühmten, durch seineäusserst hohen Anforderungen bekannten staat-lichen Ausbildungsstätte. Ihm oblag also dieVorbereitung all jener hochbegabten jungenLeute, die auf einen der wenigen Plätze in dereinzigen (!) professionellen Orgelklasse des Lan-des aspirierten. Mit einfachen Orgelspielern hat-te er wohl sein Leben lang nichts zu tun. Ob-wohl, im Gegensatz zu Tournemire, als gedul-diger und systematischer Lehrer bekannt, warer doch seinem ganzen Wesen nach kein Ver-mittler grundlegender Fertigkeiten. Ganz andersLanglais, der eine eminent pädagogische Aderbesass und immer auch Dilettanten aller Cou-leur unterrichtete.

Vierne war in einer selbst für französischeVerhältnisse einmaligen Art von seinem Instru-ment in der Kathedrale Notre-Dame geprägt.Obwohl er auf zahlreichen Konzertreisen Gele-genheit hatte, andere Instrumente kennenzu-lernen, fanden die Erfahrungen kaum Nieder-schlag in seinem Orgelverständnis und seinemkompositorischen Werk. Die Überlegenheit des Cavaillé-Coll’schen Orgeltyps war für ihn un-bestritten und wurde bei jeder Begegnung mitandersartigen Orgeln noch gefestigt.

Langlais war in dieser Hinsicht viel offener.So liebte er amerikanische Orgeln über alles. Ob-

1 Louis Vierne: Mes souvenirs, Cahiers et mémoires del’orgue (numéros spéciaux de la revue L’Orgue),CXX–XIV bis. Paris, 1970. Neuauflage mit Fragmentendes Journal. Paris, 1995.

2 Louis Vierne: Sämtliche Orgelwerke in 10 Bänden (bzw.14 Heften), Hrsg. Helga Schauerte. Bärenreiter, Kassel,ab 2008. Louis Vierne: Sämtliche Orgelwerke in 13Bänden, Hrsg. Jon Laukvik und David Sanger. Carus,Stuttgart, 2007/2008.

3 Louis Vierne: Meine Erinnerungen, nebst ergänzendenAuszügen aus dem Tagebuch, übersetzt und kommen-tiert von Hans Steinhaus. Dohr, Köln 2004.

4 Markus Frank Hollingshaus: Die Orgelwerke von LouisVierne. Dohr, Köln 2005(siehe die Besprechung im Heft 1/2006, S. 45/46)

5 Bernard Gavoty: Louis Vierne. La vie et l’œuvre. Paris,Albin Michel, 1943.

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gleich er dies nicht ausdrücklich festgehalten hat,betrachtete er sie wohl in vielen Belangen alsüberlegen. Namentlich beeindruckten ihn dergrosse Tastenumfang, die leichtgängige elektri-sche Traktur und die Registerspeichermöglich-keiten. Nur so lässt sich erklären, dass seine 1962realisierten Umbauwünsche für Ste-Clothildestark von amerikanischen Gegebenheiten ge-prägt sind. Langlais soll auch einmal sinngemässgemeint haben, es gebe für ihn nur zwei Artenvon Orgeln: gute und schlechte. Kommt nochhinzu, dass er bei der Ernennung zum Titular-organisten von Ste-Clothilde immerhin schon40 Jahre alt war. Eine wichtige Periode seinesWerdeganges als Komponist war zu diesem Zeit-punkt bereits abgeschlossen. Vierne hingegenwar erst 30, als er im Jahr 1900 seine Lebens-stelle – seinen ersten und einzigen Posten nota-bene – antrat. Von seinen grösseren Werken lagdamals lediglich die erste Sinfonie vor.

Es soll noch erwähnt werden, dass sichVierne, im Gegensatz zu Langlais, durchaus auchals Komponist ausserhalb der Orgelsphäre be-haupten konnte, wenigstens im französischenKulturraum. Seine Klavier- und Kammermusikgeniesst immer noch eine gewisse Bekanntheit.Man muss lebhaft bedauern, dass bei uns seineViolinsonate in g-Moll op. 23, die Cellosonatein h-Moll op. 27 und das grandiose Klavierquin-tett in c-Moll op. 42, wohl sein absolutes Meis-terwerk auf diesem Gebiet wenn nicht in seinemgesamten Schaffen, niemals die Verbreitung dergattungsgleichen Werke eines Franck, Saint-Saëns, Fauré oder Schmitt erfahren haben. Liegtes am blossen Namen des Komponisten? Wernicht mit bekannten Solokonzerten, Symphoni-en oder Opern im Konzertleben präsent ist, hates immer noch schwer!

Viernes leichtere Orgel-(und Ensemble-)StückeAllegretto für Orgel, op. 1 (1894)Prélude funèbre für Orgel, op. 4 (1896)Communion für Orgel, op. 8 (1900)Messe solennelle für Chor und zwei Orgeln,op. 16 (1900)Elevation G-Dur aus der Messe basse für Orgel,op. 30 (1912)24 pièces en style libre, op. 31 (1913)Marche triomphale für drei Trompeten, drei Po-saunen, Pauke und Orgel fis-Moll, op. 46 (1921)Trois Improvisations: Marche épiscopale – Mé-ditation – Cortège (Notre-Dame de Paris, No-

vember 1928, transkribiert von Maurice Du-ruflé, 1954)Les angélus, drei Lieder für mittlere Stimme undOrgel, op. 57 (1929)

Um den Rahmen dieses Beitrages nicht zu spren-gen, sei aus diesem unerwartet grossen Fundusnur einiges hervorgehoben.Noch zwei wichtige Hinweise vorweg:Wie bei den meisten französischen Komponistenmüssen in Viernes Werken die typisierten Anga-ben zu Manualverteilung und Koppeln richtigverstanden werden:G. (manchmal G.O.): Spiel auf den ungekop-pelten HauptwerkP. (manchmal Pos.): Spiel auf dem ungekoppel-ten Positiv (kommt hier nicht vor)R. (manchmal Réc.): Spiel auf dem SchwellwerkG.R.: Spiel auf dem Hauptwerk mit angekop-peltem SchwellwerkG.P.R.: Spiel auf dem Hauptwerk mit angekop-peltem Positiv und SchwellwerkPéd. (manchmal Péd. solo): Spiel auf dem unge-koppelten PedalPéd.G.: Spiel auf dem Pedal mit angekoppeltemHauptwerkPéd.R.: Spiel auf dem Pedal mit angekoppeltemSchwellwerkPéd.G.P.R.: alle PedalkoppelnVierne fügte fast jedem Stück eine Metro-nomangabe bei. Die meisten sind auffällig lang-sam. Der naheliegendste Grund ist grösstmögli-che Verständlichkeit in einer Kathedralakustik,was angesichts der komplizierten Harmonikhöchst nötig ist. In trockenen Räumen aber dür-fen vor allem die leisen Stücke nicht zu langsamgespielt werden, weil sonst der Sinnzusammen-hang für die meist symmetrisch aufgebautenPhrasen verloren ginge. Nach einer anderen,durchaus abenteuerlichen Theorie soll Viernemit seiner Sehschwäche das Metronom konstantfalsch abgelesen und deshalb ungewollt zu nied-rige Zahlen notiert haben. Tatsache ist, dassViernes Tempi häufig im Widerspruch zu unse-rem natürlichen Empfinden stehen. Vielleichtliegt dies aber an unserem Empfinden!

Allegretto op. 1 (Leduc)Das salonhafte Jugendwerk weist schon fast alleviernetypischen Merkmale auf. Insbesondere fälltschon hier formale und satztechnische Perfek-tion auf. Die später allgegenwärtige Chromatikist noch nicht so ausgeprägt, was dem Stück eine

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sehr anheimelnde Note verleiht: ein naher Ver-wandter des etwas frivolen tonartengleichen op.19,1 von Guilmant, an welches der allerersteAnfang erinnert. Unüberhörbar ist auch der Ein-fluss von Franck (Prélude, fugue et variation).Das attraktive dreiteilige Stück spielt sich leidernicht wirklich leicht. Ist der Anfang noch rechtzugänglich, verlangt der dichte Mittelteil einensorgfältigen Legato-Fingersatz. Die durchgehen-de Pedalpartie mit ihren vielen Sprüngen ist allesandere als bequem, auch wenn – eine grosse Aus-nahme bei Vierne – Angaben zum Schwellerge-brauch noch fast vollständig fehlen. Dafür stel-len sich, auch auf kleinen Orgeln, keine Regis-trierprobleme. Nicht nur deshalb sei ViernesErstlingswerk allen wärmstens ans Herz gelegt:Es ist eines seiner wenigen von einer positivenGrundhaltung getragenen Stücke.

Messe solennelle für Chor und zwei Orgeln,op. 16 (Leduc)Dieses grandiose Werk (Spieldauer ca. 25 Min.)ist bei uns leider immer noch wenig bekannt.Vierne schrieb es als Dankesbezeugung für seineWahl zum Titularorganisten an Notre-Dame.Gerade in Zeiten immer akzentuierterer Mittel-knappheit ist ihm grössere Verbreitung zu wün-schen, verbindet es doch hohe musikalischeQualität mit blendender Wirkung bei nur mäs-sigen technischen Ansprüchen für alle Beteilig-ten. Allerdings rechnet es, seiner ursprünglichenBestimmung gemäss, mit grossen Räumen undentsprechenden Instrumenten. Der Chor sollteebenfalls nicht zu klein und die Chororgel fran-zösisch-symphonischen Zuschnitts sein, was beiuns praktisch nirgends vorkommen dürfte. Hierlassen sich aber durchaus Kompromisse einge-hen. Die Grundtonart cis-Moll darf auf keinenFall davon abhalten, sich mit der Messe abzuge-ben, ist doch alles dank stark zurückgebundener

Chromatik erstaunlich leicht zu lernen und gutzu singen. Die üblichen Sätze (ohne Credo) sindohne Längen dabei sehr abwechslungsreich ver-tont. Die kleine Orgel stützt weitgehend denChor und sollte deshalb in seiner unmittelbarenNähe stehen. Die grosse Orgel übernimmt mitihren Vor- und Nachspielen sowie den zahlrei-chen nachschlagenden Akkorden die Rolle einesfernen Orchesters. Beide Instrumentalparts rech-nen mit obligatem Pedal, derjenige der Choror-gel ist wesentlich umfangreicher und eigentlichauch anspruchsvoller (auch wenn er weniger gutzur Geltung kommt). Da in der Faktur des Werksauf grosse Distanz zwischen den AusführendenRücksicht genommen ist, lässt sich die Koordi-nation durchaus in den Griff bekommen.

Elevation G-Dur aus Messe basse,op. 30 (in: Freiburger Orgelbuch, Carus)Hier handelt sich wohl um das leichteste Stückvon Vierne überhaupt. Der einzige technischeAnspruch: ein vierstimmiger Satz, der legato zuspielen ist. In den Takten 21 bis 24 wird das The-ma der linken Hand auf dem Hauptwerk ge-spielt. Der Beizug des Pedals ab Takt 25 ist nichtunumgänglich, erleichtert die Sache aber be-trächtlich.

24 pièces en style libre pour orgue ou harmonium,op. 31 (Leduc oder Master Music Publications)Die «kleinen 24» Viernes sind von überwältigen-der musikalischer Qualität und grosser Vielge-staltigkeit. Hier sind die meisten Stücke desüberragenden Virtuosen vereinigt, welche voneinem avancierten Laien bewältigt werden undauch in der heutigen liturgischen Praxis Verwen-dung finden können. Da ihnen im Beitrag «Pourorgue ou harmonium» (Heft 1/06, S. 26–28) einlängeren Abschnitt gewidmet war, sei hier nichtnäher auf sie eingegangen.

Vierne, Elevation G-Dur

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Marche triomphale für drei Trompeten, drei Po-saunen, Pauke und Orgel fis-Moll (Salabert)Der aufwändige, ca. 8 Minuten dauernde Marschwurde 1921 anlässlich des 100.Todestages vonNapoléon I. geschrieben. Kennt man Vierne,wird man sich nicht wundern, dass das Stückweit mehr den Eindruck innerer Zerrissenheit alsdenjenigen äusseren Glanzes hinterlässt. Immer-hin ist es ganz ordentlich pompös mit seinergrandiosen Bläsermelodie zu nachschlagendenOrgelakkorden nach kurzem antifonalen Be-ginn. Im Mittelteil gerät das Geschehen aberrasch auf Abwege. Zur allgemeinen Überra-schung stellt sich in der Reprise heraus, dass daseingängige Hauptthema streng kanonisch verar-beitet werden kann.

Wenn die verlangte Besetzung ohnehin zurVerfügung steht, wird das Stück sehr willkom-men sein, ist es doch sicher bedeutender als dasimmer wieder gespielte Grand cœur dialoguévon Eugène Gigout und darüber hinaus, in Ge-gensatz zu diesem, ein Originalwerk.

Cortège (Durand)Maurice Duruflé transkribierte nicht nur die be-kannten fünf Stegreifkompositionen von Tour-nemire, sondern auch drei Improvisationen sei-nes verehrter Lehrers Vierne. Spielte Tournemirenoch extra für die Schallplattenaufnahme fran-zösischer Organisten von 1934, handelt es sichhier um die Niederschrift eines Konzertmit-schnitts von 1928. Beide Tondokumente sindheute übrigens bequem auf CD greifbar.6

Die Aufgabe von Duruflé war hier unver-gleichlich leichter: Viernes Improvisationenmüssen im Vergleich zu Tournemires glutvollenTonexzessen als geradezu klassisch-schlicht be-zeichnet werden. Die ersten beiden sind aller-dings recht schwer zu spielen, sodass hier nur dasdritte erwähnt sein soll. Diese Prozessionsmusikist sicher das leichteste Fortissimo-Stück vonVierne und auch, neben dem op. 1, das diato-nischste Werk überhaupt. Ebenfalls untypisch istdie fast durchgehende Schreibweise in massivenAkkorden. Für einmal also fast keine Legato-Probleme, wie auch fast kein Schwellergebrauch,fast keine Registermanipulationen und einerecht leichte Pedalpartie. Wenn dies keine Einla-dung bedeutet! Immerhin ein Hinweis: Prak-

tisch überall wird das Stück am besten durchge-hend eine Oktave tiefer gespielt. Es sei denn, dieOrgel besitze starke 16’-Register im Manual oderSuboktavkoppeln.

Les Angélus. Tryptique pour chant et orgue(Editions Henry Lemoine)Originalwerke für Stimme und Orgel sind imfranzösischen Repertoire eine grosse Seltenheit.Hier haben wir es nun nicht nur mit einer sol-chen Rarität zu tun, sondern wahrscheinlich auchmit dem besten Werk dieser Gattung überhaupt.

Der Titel hat übrigens nur indirekt etwas mitEngeln zu tun: Gemeint ist das Angelusläuten,wodurch sich die vielen Carillonfiguren er-klären, von denen die Randteile durchsetzt sind. Diese beiden sind spieltechnisch durchauszugänglich, während der mittlere Teil etwas vom schwersten ist, was es von Vierne gibt (undkaum leichter als die berüchtigten Naïades!). Dassehr herbe Angélus au matin streift manchmalschon die Atonalität und ist intonatorisch für die Singstimme recht heikel. Trotzdem ist es dasleichteste Stück des Triptychons, auch weil espraktisch keine Registerwechsel verlangt. Aller-dings wird man kaum darum herumkommen,dynamische Schattierungen zu machen, um eine befriedigende Klangbalance mit der Stimmezu erzielen. Und dann stellt sich das Problem,dass Vierne bei der Ausgestaltung des Pedal-parts nie Rücksicht auf den Schwellergebrauchnimmt.

Das dritte Stück basiert in seinen Randteilenauf einem langen Pedalostinato. Darüber spanntsich eine Art Rezitativ der Singstimme. Im Mit-telteil ist wieder das erwähnte, bei Vierne so be-liebte Imitieren von Glockenklängen zu hören.Es fragt sich, ob die Voix-céleste-Registrierungbeim Wiedereintritt des Pedalthemas beibehal-ten werden soll. Da bei uns die Schwebestimmenmeist schwächliche deutsch-romantische Äoli-nen sind, muss man sich bei den Steigerungenetwas einfallen lassen, damit das Solo stets ge-stützt bleibt.

Obwohl klangliche Ausbrüche fehlen, wer-den wohl nur grosse Stimmen den drei Liedernwirklich gerecht. Als Besetzung kommen Alt,Bariton evtl. auch Tenor in Frage. Die Texturliegt auffällig hoch, mit allerdings nur wenigeneigentlichen Spitzentönen und geringem Stimm-umfang (e’ bis ges’’ bzw. fis’’). Wer des Franzö-sischen mächtig ist, wird beim Text mit seinenbedeutungsschwangeren und dann doch recht

6 Französische Orgeln und Organisten des 20. Jahrhun-derts. 5 CDs, EMI 2002.

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naiven Bildern etwas schmunzeln. Der Schrei-bende hegt seit langem die Vermutung, hinterdem obskuren Dichternamen Jehan Le PôvreMoine verberge sich in Wahrheit – Louis Vierneselber!

Im Dickicht der Stücke – Ein Führerdurch die spielbare Orgelliteraturvon Jean Langlais Langlais als Komponist: les trois manièresJean Langlais, dessen Leben Gegenstand eineslängeren Beitrags im Heft 4 (S. 126 ff.) war,betätigte sich während vollen 60 Jahren als Kom-ponist. In dieser grossen Zeitspanne gingen inder Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts un-geheure Veränderungen vor sich. Einige machteLanglais mit, andere nicht. Sein Kompositions-stil wandelte sich im Verlauf der Zeit ständig.Dies wurde ihm immer wieder verübelt. Andersals etwa bei Duruflé und Messiaen, ist es deshalbviel schwieriger, von einem typischen Langlais-Stil zu sprechen. Messiaens Stil scheint in der Tatvon Anfang an ausgeprägt zu sein. Erstaunlichviele Charakteristiken späterer Stücke kommenbeispielsweise schon in Le Banquet céleste vor,welches er als 17-Jähriger schrieb.

Langlais blieb sein Leben lang überaus an-passungsfähig und sog verschiedenartigste Ein-flüsse gierig auf. So machte er sich mit der Zeit(messiaensche) Modi begrenzter Transponier-barkeit, indische Rhythmen, valeurs ajoutés,grundtonlose Registrierungen und zuletzt sogarClusters zu eigen, alles aber eher zufällig undunsystematisch. Gerade durch diesen «Stilmix»ist seine Musik unverwechselbar. Langlais wurdewiederholt von seinem Studienfreund Messiaen,dem er viele Werke zur Ansicht zusandte, auf sol-che Elemente hingewiesen, welche dieser stetsanalytisch denkende Geist entdeckt hatte.

Der bretonische Meister liebte sein Lebenlang klare, helle Klangfarben. Auch setzte er cha-rakteristische Register weit häufiger als seineZeitgenossen einzeln ein. Darin ist er JehanAlain verwandt. Diese Eigenheiten, die natürlichin erster Linie seine Interpretationen und Im-provisationen kennzeichnet, lassen sich anhandder vielen erhaltenen Tonaufnahmen unschwernachprüfen. Damit grenzt er sich deutlich vonder postsymphonischen Schule seines Landes ab,der zum Beispiel Duruflé sein Leben lang ver-pflichtet blieb und die auch bei Messiaen einegrosse Rolle spielte. Traditionellerweise arbeite-ten die französischen Komponisten dieser Rich-

tung mit mehr oder weniger raffinierten Regis-termischungen. Ihre wichtigste, die romantischeStandardregistrierung mit vollem Schwellwerkund graduellem Zuzug der Zungen anderer Teil-werke, die bei den beiden berühmten Zeitgenos-sen noch eine gewisse Bedeutung hat, kommt beiLanglais recht selten vor.

Vier � dreiVier Sphären beeinflussten von Anfang anLanglais’ Komponieren. In unterschiedlicherGewichtung schimmern sie durch alle drei Zeit-abschnitte seines künstlerischen Wirkens hin-durch.

EinflusssphärenDas symphonische ErbeLanglais wurde ganz in der (post-)symphoni-schen Tradition seiner Heimat ausgebildet. Die-se fusste auf verschiedenen Wurzeln. Zu nennenwäre etwa die Schule César Francks, diejenigeGuilmants, Widors und Viernes und die EcoleNiedermeyer, welche durch das Wirken EugèneGigouts ins Conservatoire hineingetragen wur-de. So sehr sich diese Strömungen im Detail unterscheiden, so eindeutig sind die Gemein-samkeiten. Werke, die dieser Ästhetik ver-pflichtet sind, konzentrieren sich naturgemässauf die frühen Schaffensjahre des Meisters. Dochist mit Soleil de midi (1983) auch ein gewichti-ges Spätwerk anzuführen, das eindeutig hierhingehört.

Stücke von Langlais, die besonders von dieserRichtung beeinflusst zu sein scheinen: (kursiv:im Weiteren eingehender besprochene Stücke)Trois poèmes évangéliquesTe DeumPremière SymphonieChant héroique (Neuf pièces)Incantation pour un jour saintSoleil de midi (Soleils)Troisième Symphonie

Der gregorianische ChoralDie Beschäftigung mit dem gregorianischenChoral hat in Frankreich lange Tradition. DieMusik eines Titelouze ist ganz von der Gregoria-nik durchdrungen. Später geht der Choralbezugimmer mehr verloren. Bei Couperin sind nurnoch Spuren festzustellen, bei Clérambault nichteinmal mehr solche. Die Revolution fegte danndiese Praxis ganz hinweg. Im 19. Jahrhundertstellte der gregorianische Choral nur eine Rand-

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erscheinung innerhalb der französischen Orgel-welt dar. Bei den grossen Namen ist er nahe-zu bedeutungslos. Auch wurde die Gregorianikbei ihrem seltenen Auftreten auf ausgespro-chen widernatürliche Art behandelt: Man zwangsie in ein starres rhythmisches Korsett undnäherte sie so ungewollt dem lutherischenChoral. Die Ecole Niedermeyer, die sich diePflege der Gregorianik auf ihre Fahne ge-schrieben hatte, änderte zunächst nur wenig an dieser Praxis. Erst die Forschungen der Mön-che von Solemnes brachten eine Wendung. Es war Charles Tournemire, der daraus die erstenFrüchte für die Orgelmusik zu gewinnen ver-mochte. Er ist der eigentliche Schöpfer von dem,was man in Frankreich «Paraphrase grégorienne»zu nennen pflegt. Sein ImprovisationsschülerLanglais war ihm darin ein getreuer Gefolgs-mann.

Stücke von Langlais, die besonders von dieserRichtung beeinflusst zu sein scheinen:Mors et resurrectio (Trois paraphrases grégo-riennes)Ave Maris Stella (Trois paraphrases grégoriennes)Te Deum (Trois paraphrases grégoriennes)Incantation pour un Jour saintDominica in PalmisEsquisse gothique Nr. 3 (Mittelteil)Prélude au Kyrie (Hommage à Frescobaldi)Tiento (Suite médiévale)Méditation (Suite médiévale)Paraphrase sur Salve Regina (24 pièces pourorgue ou harmonium)Sacris solemniis (Livre œcuménique)Offrande à Marie

Die Volksmusik seiner bretonischen HeimatLanglais nannte sich gerne «Bretonischer Kom-ponist katholischen Glaubens und französischerNationalität», dies wohl in Anlehnung an Mil-hauds berühmter Selbsteinschätzung als «Pro-venzalischer Musiker israelitischen Glaubensund französischer Nationalität». Die Bretagne istnun in Frankreich nicht nur eine der wenigenRegionen mit einer lebendigen Mundart, son-dern auch bei der Pflege der Volksmusik ein-zigartig. Die der irischen Musik verwandte Strömung zeichnet sich, stark vereinfacht, durchdreiteilige, drehende Rhythmen, modale Har-monik und melancholisch-verhaltene Stimmungaus.

Stücke von Langlais, die besonders von dieserRichtung beeinflusst zu sein scheinen:

Cantique (Folkloric Suite)Neuf pièces pour trompette et pianoMouvement pour flûte et orgueRhapsodie sur deux Noëls (Folkloric Suite)Huit chants de BretagneDeux pièces pour flûte et pianoMouvement pour violon et clavier

Alte MusikLanglais lebte in einer Zeit, in der die Musik derfranzösischen klassischen Epoche eines Grigny,Couperin oder Clérambault nach langem wiederBeachtung erfuhr. Pioniere dieses «retour à …»waren Charles Tournemire und André Marchal.Abgelöst wurde sie dann von den bekannten Ex-perten unserer Zeit wie Michel Chapuis, FrancisChapelet, André Isoir oder Marie-Claire Alain.Langlais wandte sich den alten Meistern weit we-niger konsequent als die obgenannten Künstlerzu. Seine Liebe zu den klaren, kräftigen Klang-farben der altfranzösischen, später auch der nie-derländischen und norddeutschen Orgeln währ-te aber lebenslang und beeinflusste ihn sowohlals Interpret wie auch als Komponist. Freilichdarf man bei Langlais’ Stücken, anders als bei ge-wissen heutigen Erzeugnissen, nicht von eigent-lichen Stilkopien reden. Dazu schimmert seinPersonal- bzw. der Zeitstil viel zu sehr hindurch.Meist entsteht daraus sogar ein eigentliches «Pasticcio» (bezeichnenderweise Titel eines sei-ner Stücke!). Vor eigentlichen Anachronismenschreckt er nicht zurück, etwa im Stück Voixcéleste der Suite française mit seinem augenzwin-kernden Schielen auf die Welt Cavaillé-Colls.

Stücke von Langlais, die besonders von dieserRichtung beeinflusst zu sein scheinen:Suite brèveSuite françaiseSuite baroqueHommage à FrescobaldiHommage to Rameau

Die drei SchaffensperiodenPremière manière (ca. 1927–1945)Langlais beginnt sein Wirken als Komponistganz im Zeichen der vorherrschenden Strömun-gen in der französischen Orgelmusik der 30er-Jahre. Diese überaus fruchtbare Zeit war unteranderem geprägt von der Amalgamierung despostromantischen Erbes eines Vierne mit derneu entdeckten Modalität. Der Veteran Tourne-mire, der damals gerade an seinem monumenta-len Zyklus L’orgue mystique arbeitete, wies dabei

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den Weg. Noch unterscheidet sich Langlais’ Mu-sik nur wenig von derjenigen seiner Zeitgenos-sen Duruflé, Alain und Messiaen, ohne aller-dings die Experimentierlust der letztgenanntenan den Tag zu legen. Formal und thematisch ist die Distanz zur Tradition nicht sehr gross. So treffen wir Gattungen wie Präludium, Fuge,Toccata, Symphonie an, von denen der Kompo-nist später immer mehr Abstand nimmt.Hierhin gehören Werke wie:Prélude et fugue (1927)Trois poèmes evangéliques (1932)Trois paraphrases grégoriennes (1934) mit dembekannten Te Deum24 pièces pour harmonium ou orgue (1933–1939)Neuf pièces (1942–1943) mit dem Chant héro-ique zu Ehren von Jehan Alain

Deuxième manière (1945–1973)Der Übergang von der ersten zur zweiten Arterfolgt, anders als derjenige von der zweiten zurdritten, fliessend und fast unbemerkt. Am ehes-ten ist er um etwa 1945 anzusetzen, als Langlais,zufälligerweise zu Kriegsende, an seine Lebens-stelle gewählt wurde. Die letzten harmonischenSpuren der Romantik sind nun verwischt.

Hierhin fallen fast alle seine bekannten,meist in Suiten zusammengefassten Stücke: Sui-te brève (1947), Suite médiévale (1947), Suitefrançaise (1948), Hommage à Frescobaldi (1951),Folkloric Suite (1952), Huit pièces modales(1956), American suite (1959), Livre œcumeni-que (1968), aber auch das populäre EinzelstückIncantation pour un jour saint (1949), die eben-falls beliebten Sept chorals pour trompette et orgue(1971) sowie die einstimmige Missa in simplici-tate (1952).

Diese Sammlungen begründeten den Ruhmdes Komponisten dies- und jenseits des Atlan-tiks, obwohl es immer nur einzelne Stücke waren, die Eingang ins Repertoire fanden. DerPersonalstil scheint hier schon stark gefestigt, ob-wohl bei jedem Werk die jeweiligen Einfluss-sphären offen zu Tage treten. Dies ist aber ebengerade, wie eingangs erwähnt, ein Charakteristi-kum des Personalstils!

Auch wenn sich der Komponist mehr undmehr vom postsymphonischen Stil entfernt, sindzumindest die bekannteren Werke immer nochstark traditionsbehaftet. Die Distanz zumFreund Messiaen, der in dieser Zeit gerade seinerevolutionären Werke Messe de la pentecôte undLivre d’orgue schreibt, wird immer grösser. Im-

merhin hat auch Langlais in dieser Epoche schonavanciertere Werke geschrieben wie Essai(1961), Sonate en trio (1967) oder Implorationpour la joie (1970), die sich aber nie wirklichdurchsetzen konnten. Ein Sachverhalt, der demKomponisten generell zu schaffen machen sollte.

Troisième manière (1973–1991)Im Alter wandte sich Langlais erstaunlicherweiseavantgardistischeren Tendenzen zu. Ein Bruch in seiner Existenz und auch im Schaffen war der Herzinfarkt von 1973. Die Harmonik wur-de nunmehr zunehmend frei, ja atonal, seineRhythmik additiv. Er experimentierte mit unge-wohnten Klangfarben und verabschiedete sichimmer wieder von der traditionellen formalenGestaltung. Ganz zuletzt (in Mort et resurréc-tion, 1990) tauchten sogar Clusters auf. Am weitesten ging er wohl in der aphoristischenZweiten Symphonie (1976), die er bezeichnen-derweise mit dem Untertitel «alla Webern» ver-sah. Ironie des Schicksals: Wurde ihm lange vorgeworfen, er halte im Grunde genommen immer noch am postromantischen Ideal fest (einVorwurf, der allerdings gegen alle französischenOrgelmusik-Komponisten der ersten Hälfte des20.Jahrhunderts mit Ausnahme von OlivierMessiaen erhoben werden könnte), goutierteninsbesondere die Interpreten diese letzte Wen-dung nicht. Von seinem Spätwerk haben sichnur wenige Stücke im Repertoire etabliert.

Der wachsende Ruhm als Konzertorganist,namentlich in angelsächsischen Ländern, brach-te andererseits eine Vielzahl von Kompositions-wünschen für alle möglichen Gegebenheiten mitsich, die der unermüdliche Schaffer praktischimmer erfüllte. Deshalb ist der zahlenmässigeAusstoss an Stücken in der dritten, von Krank-heit und zunehmender Schwäche gekennzeich-neten Phase paradoxerweise am grössten. Er ver-hält sich aber leider umgekehrt proportional zurallgemeinen Beachtung.

Eine weitere Folge dieser Umstände: Langlaiskonzentrierte sich nun fast ausschliesslich auf dieKomposition von Orgelwerken. In früheren Jah-ren hatte er sich auch anderen Instrumenten zu-gewandt, dann wurde die geistliche Chormusikein wichtiger Pfeiler. Im Alter nun sah er ein,dass Organisten kaum eine Chance hätten, aus-serhalb ihres ureigensten Gebietes akzeptiert zuwerden. Zudem wurde er, gerade im Ausland,dermassen mit seinem prestigeträchtigen Postenidentifiziert, dass sich niemand einen Jean

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Langlais als Komponisten symphonischer Musikvorstellen konnte.Aus der riesigen Zahl von Werken dieser Periodeseien einige der bekanntesten genannt:Cinq méditations sur l’apocalypse (1973)Suite baroque (1973)Trois esquisses romanes (1975)2e Symphonie (1976)Cinq soleils (1983)Sept études de concert pour pédale solo (1983)American folk hymns (1985)Trois pièces faciles (1985)Neuf pièces pour trompette et orgue (1986)Trumpet tune (1987)Mouvement pour flûte et clavier (1987)Christmas carol hymn settings (1990)

Praktisch spurlos ging Langlais am Impressio-nismus vorbei. Entgegen einer weit verbreite-ten Mode seiner Zeit (Jolivet, Alain, Messiaen,Jacques Charpentier) interessierte er sich auchnicht für die orientalische oder asiatische Musik.Und nur selten lassen sich Einflüsse der freien,paraliturgischen Musik seines Freundes Messiaennachweisen: am ehesten noch in den Zyklen Cinqméditations sur l’apocalypse (hier besonders imletzten Stück La cinquième trompette) und Soleils(Nummern II und III). Hingegen kam Langlaisimmer wieder mit der germanisch-reformatori-schen Choraltradition in Berührung. Er kompo-nierte deshalb eine erstaunliche Anzahl vonStücken, die ihrer für Franzosen komplett frem-den Welt verpflichtet sind. Da diesem Zweig vonLanglais’ Schaffen ein besonderer Beitrag in unse-rer Zeitschrift gewidmet war (Heft 6/2003, S.249ff.) wird hier nicht näher darauf eingegangen.

Am Rande sei noch vermerkt, dass sichLanglais in gewissen Kreisen einen zweifelhaftenRuf als Komponist von Pedalsoli erworben hat.Die Sammlung Hommage à Frescobaldi von1951 enthält als Schlussstück das berühmt-berüchtigte Epilogue. Es handelt sich bei demrecht gelungenen und spieltechnisch durchauslohnenden wenn auch sehr schweren Stück um Einleitung, Fuge und Epilog über ein Can-zonenthema von Frescobaldi (Messa della Madonna, fiori musicali). 1973 doppelte er mit den Sept études pour pédale solo nach. Hier istdas musikalische Interesse schon viel kleiner.Vieles aus dieser Sammlung ist wohl nur auf radialen Pedalklaviaturen amerikanischen Zu-schnitts überhaupt ausführbar (Absatzspiel inExtremlagen, Doppeltöne mit einem Fuss). Ge-

wisse Stücke bzw. Stellen sind als Etüden durch-aus zu gebrauchen, wenn auch kaum, wie der Ti-tel suggeriert, im Konzert.

Was für Langlais in der PraxissprichtLanglais’ Orgelœuvre ist wohl das grösste undvielfältigste seit Bach. Damit ist zunächst nichtsüber die Qualität ausgesagt. Es gibt aber gewich-tige Argumente, wieso Langlais auch und geradebei uns, in unserer heutigen (reformierten) Pra-xis, einen wichtigen Stellenwert einnehmenkann, ja soll:– Er hat viele kurze Stücke komponiert.– Viele Stücke sind leicht und in offensichtlich

pädagogischer Absicht komponiert.– Für fast alle Orgeltypen und auch für kleine

Instrumente ist viel Musik zu finden.– Im Vergleich zu anderen Landsleuten sind in

seiner Musik eher wenige Registermanipula-tionen vorgesehen.

– Schwellergebrauch ist seltener als bei den meis-ten Zeitgenossen vorgeschrieben.

– Stilistisch sind Anklänge an praktisch jedender bedeutenden zeitgenössischen Komponis-ten zu finden. Vieles ist häufig zugänglicher als im Original: gewissermassen ein Duruflé,Dupré, Alain, Messiaen «ad usum delphini».

Andererseits muss gleich das Haupthindernisfür angehende Langlais-Freunde angefügt wer-den, auch wenn es ein sehr profanes ist: Es gibtvon Langlais kaum eine grössere Sammlung,welche ausschliesslich gelungene und leichteStücke enthält und deshalb als Ganzes für un-sere Zwecke verwendbar wäre. Eine Ausnahmemacht vielleicht Hommage à Frescobaldi. Aberauch hier werden mindestens zwei längereStücke ausser Acht fallen müssen. Die Anschaf-fung relativ vieler Hefte ist also nötig, aus denendann doch nur wenige Stücke gespielt werdenkönnen. Das geht zwangsläufig ins Geld. Im-merhin wurden einige sehr brauchbare Stückevon Langlais in Sammelbänden aufgenommenbzw. direkt für solche komponiert (MarienstätterOrgelbuch, Zeitgenössische Orgelmusik imGottesdienst, Das neue Orgelalbum, FreiburgerOrgelbuch).

Das nachfolgende Verzeichnis stellt eine Aus-wahl dar. Berücksichtigt wurden in erster Linieleichte bis mittelschwere, liturgisch verwendbareStücke aus allen Schaffensperioden und stilisti-schen Bereichen. Wegfallen mussten grossforma-tige Werke sowie viele kuriose oder sonstwie aus-

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gefallene Stücke. So fehlen in dieser Liste einigeder bekanntesten (Konzert-)Werke wie TeDeum, Chant héroique, Cinq Méditations surl’apocalypse oder Incantation pour un jour saintund sehr viele, auch leichte Spätwerke. Trotzdemmusste gnadenlos gesiebt werden. Leicht ver-fängt man sich im Dickicht Langlais’scherMusik!

Freie Werke für Orgel soloAdoration (Deux pièces op. 158, ZeitgenössischeOrgelmusik im Gottesdienst, Eulenburg)Ein ziemlich langes Voix-humaine-Solo, welcheskräftige Farben verlangt und auch nicht zu lang-sam gespielt werden sollte. Die Registermanipu-lationen sind nicht unbedingt nötig, sie dienennur der klanglichen Anpassung jener Stellen, indenen das Solo in die linke Hand wandert. Danicht-französische Orgeln praktisch nie übereine kräftige Voix humaine verfügen, müssenErsatzlösungen gesucht werden: Schalmei (häu-fig am besten), Krummhorn, Musette, evtl. sogarTrompete. Die «pausenlose» Melodie muss un-bedingt durch Zäsuren in sinnvolle Phrasen ge-gliedert werden.

Amazing Grace (American Folk-Hymn Settings,FitzSimons)Eine Art Rondo über die bekannte Melodie, wel-che mannigfaltige harmonische Beleuchtungenerfährt. Das nicht uninteressante aber etwas

langfädige Stück kann durch Weglassen einesoder mehrerer Couplets gekürzt werden.

Die Harmonisierung entfernt sich ziemlichstark von den üblichen Jazz-Modellen und istdeshalb für viele etwas gewöhnungsbedürftigaber nicht ohne Reiz.

Antienne (Hommage à Frescobaldi, Bornemann)Ein sehr hübsches Beispiel gregorianischer Para-phrase, welches das Cornett zum Klingen bringtund technisch nicht mehr als ein schönes Lega-tospiel voraussetzt.

Cantique (Folkloric Suite, FitzSimons)In diesem Stück treten Probleme auf, die typischfür einige der schwereren (meist für Amerika ge-dachten) Stücke von Langlais sind: Sprengen desüblichen Manual- und Pedalumfanges (b’’’ bzw.g’), anspruchsvolle, für radiale Klaviaturen ge-dachte Pedalpartie, seltene Registrierungen(Streicher 16’, 8’, 4’). Es lohnt sich aber, sich mitdem stimmungsvollen und abwechslungsreichenStück abzugeben. Die Registrierung kann ver-einfacht bzw. angepasst werden (rechte Hand8’ und 2’ eine Oktave tiefer).

Canzona (Folkloric Suite, FitzSimons)Das Stück bearbeitet die Melodie des ChoralsDurch Adams Fall ist ganz verderbt, ohne dassdies genannt werden würde. Hier sind frische,kräftige Klangfarben gefragt. Die Pedalpartie in

Langlais, Adoration

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der Tutti-Reprise des Themas erheischt intensi-ves Üben. Achtung: Das Pedal ist erst ab hier auf16’-Basis zu registrieren. Da die Registerwech-seln in die Generalpausen fallen, sollte das Stückauch auf Orgel ohne Speichermöglichkeit auszu-führen sein. Viel Wirkung mit genau genommeneinfachen Mitteln.

Chant de peine (Neuf pièces, Bornemann)Ein herbes und doch irgendwie neoromantischesStück, welches nur mit weichen, sonoren Regis-tern gut klingt. Insbesondere ist eine schöneFlûte harmonique nötig (welche evtl. durchZusammenkoppeln von zwei Flöten oder zweiGedackten nachgeahmt werden kann). Eigen-artigerweise verdoppelt das Pedal über weiteStrecken die Melodie, was klanglich äusserst reiz-voll, spieltechnisch aber recht delikat ist.

Chant de paix (Neuf pièces, Bornemann)Wohl eines der langsamsten und leichtestenStücke von Langlais, in welchem, wie häufig beiMessiaen (an welchen es übrigens auch erinnert),die Zeit stillzustehen scheint. Mit etwas Ge-schick lassen sich die wenigen Registermanipu-lationen auch von Hand bewerkstelligen. Steht

keine Voix céleste zur Verfügung, tönt auch einGedackt 8’ gut. Leider kommt zwei Mal der Tong’’’ vor, der bei uns auf kleinen Orgeln nicht im-mer vorhanden ist und hier nicht durch Tief-oktavieren von 4’-Registern ausgeführt werdenkann, weil schon loco ein 4’ verlangt wird.

Chant des Bergers (Das neue Orgelalbum,Universal)Ein leichtes und kurzes Stück mit Soloregistrie-rungen und einigen Manualwechseln, welchesnur Entzifferungsprobleme stellt (sechs Kreuze,viele Vorzeichen im Notentext).

Communion (Hommage à Frescobaldi,Bornemann)Ein kurzes Stück, das eigentlich recht einfach zuspielen wäre. Nur kommen eine – akkordischverwendete – Voix humaine und relativ vieleRegistermanipulationen vor, welche die Aufgabeetwas erschweren. Es handelt sich hier um eineBearbeitung des gregorianischen Communio-Verses Sacris solemniis und nicht um ein Stückzur Begleitung des Kommunionsganges. Des-halb die auffällige Kürze.

Amazing Grace (American Folk-Hymn Settings)

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Dominica in palmis (Editions musicales dela Schola cantorum, zusammen mit Incantationpour un jour saint)Das Manualiter-Stück mit Harmoniumsregistrie-rungen fristet ein Mauerblümchendasein nebender bekannten Schwester. Wer sich durch die et-was zähe aber kurze Einleitung durchgespielthat, entdeckt ein schmissiges Stück, das seineWirkung kaum verfehlen dürfte. Die Ähnlich-keit mit der Incantation ist frappant. Mankönnte fast von einer leichteren (leichteren,nicht leichten …) Version des populären Zug-stücks sprechen. Freilich werden ganz andereThemen verarbeitet, auch fehlt die charakteris-tische Monumentalität. Einziger Einwand: Eshandelt sich um ein etwas hybrides Stück. Aufder Orgel setzen die vielen Registerwechsel denAusführenden zu, darüber hinaus befriedigt vie-les klanglich nicht (Tutti-Stellen, Schluss). Eslohnt sich aber, mit dem Stück etwas herumzu-experimentieren.

Elevation (Hommage à Frescobaldi, Bornemann)Ein stimmungsvolles und auch ziemlich leichtesStück gemässigt modernen Zuschnitts, das aller-dings auf engem Raum ziemlich viele Register-manipulationen verlangt. Für die lange Terzen-passage ist ein durchdachter Fingersatz vonnö-ten.

Esquisse gothique Nr. 3 (Leduc)Ein Stück über eine mittelalterliche Sequenz inebendieser Form. Eigentlich und ursprünglichfür zwei Orgeln gedacht, was aber überhauptnicht zwingend erscheint, da die beiden Instru-mente nur einige wenige Takte gemeinsam zuspielen haben. Als Mittelteil folgt dann eine sanf-te gregorianische Paraphrase (Salve Regina). AlsGanzes nur für Konzerte verwendbar. Der Mit-telteil kann allerdings auch weggelassen werden,oder man spielt nur den ersten oder nur den drit-ten Teil, wodurch das wirkungsvolle und nichtsehr schwere Stück wiederum liturgisch ver-wendbar würde.

Fantaisie (Hommage à Frescobaldi, Bornemann)Ein originelles Stück, welches toccatenhafte Ele-mente mit der klassischen Plain-chant-Technik(Melodie des Kyrie es aus der Messe Cunctipo-tens genitor Deus auf der Tenortrompete) verbindet. Die Registerwechsel fallen alle in die zahlreichen Generalpausen, sodass es auchauf Orgeln ohne Spielhilfen dargestellt werden

kann. Die Manualarabesken des Mittelteils sindallerdings technisch recht anspruchsvoll. Sie machen sich aber auch bei nicht rasend schnel-lem Tempo noch gut. Bei uns ist es immer recht schwierig, eine Zunge zu finden, welchesich wirklich gegen ein Manual-Mixturplenumdurchsetzt (besonders heikel bei der zweitenDurchführung des Themas, wo noch ein Soloauf dem Hauptwerksplenum vorgeschriebenist). Hier muss experimentiert werden (evtl. nur8’, 4’, 2 2⁄3’, 2’, 1 1⁄3’ statt der Mixtur).

Française (Suite française, Leduc)Diese Allemande (!) ist ein unproblematisches,frisches Stück für verschiedene Mixturplenaohne technische Schwierigkeiten oder Register-manipulationen und darum auch auf kleinstenOrgeln darstellbar. Die wenigen Pedaltöne ver-doppeln nur die unterste Stimme der linken Handund können deshalb weggelassen werden.

Fugue sur O filii et filiae (Folkloric Suite,FitzSimons)Nicht leicht ist das gelungene Stück über diewunderschöne Ostermelodie. Eigentlich weni-ger eine Fuge als vielmehr eine Cantus-firmus-Variationenreihe. Die englischsprachige Regis-trierung ist etwas pauschal und auch nicht soohne weiteres umzusetzen. Eventuell muss eineigener Weg im Geiste des Stückes (graduelleSteigerung der Tonstärke) gesucht werden. Tem-porelation zum ternären Schlussteil unbedingt(wie angegeben) Achtel gleich Achtel. Nur sobleibt dieser spielbar.

Huit pièces modales (Combre)Aus einer Sammlung von recht disparatenStücken ragen die Nummern I, II und III mitihrem günstigen Verhältnis von Schwierigkeitund Qualität hervor. Wenn etwas zu einer be-stimmten Kirchentonart gesucht werden, istman hier gut bedient. Diese Stücke sind vielhandfester als die pastellartigen Miniaturen inTournemires Orgue mystique. Entsprechendsind sie leichter umsetzbar.

Nr. I gibt sich klanglich sehr schlicht (zwei8’-Register), setzt aber einen gewissen Übauf-wand voraus, soll es wirklich schön legato ge-spielt werden. Andererseits ist sicher nicht band-wurmartiges Dauerlegato gemeint. Das Fehlenjeglicher Zäsuren soll niemand davon abhalten,den Gesetzen melodischer Logik folgend, eigeneBögen einzutragen.

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Nr. II ist ein klassisch anmutendes Trio mitKanon zwischen Sopran und Bass. Auch hiermuss phrasiert werden (Zweittaktgruppen). Diehohe Lage der Pedalstimme erschwert die Sacheetwas. Es lohnt sich aber, das aparte Stück zuüben.

Nr. III: eines der wenigen lauten und schnel-len Stücken des Autors, welches nicht schwer zuspielen ist. Die valeurs ajoutés müssen peinlichgenau eingehalten werden, weil man sonst denRhythmus nicht versteht. An sehr vielen Stellenergibt sich von selbst ein taktweises Absetzen. Dadas Stück – eine Seltenheit bei Langlais! – nichtsehr hoch liegt, tönt es auch auf kleinen Orgelnmit scharfen Mixturen ganz passabel.

Improvisation (Suite médiévale, Salabert)Recht kurz und leicht, bezieht das Stück seineimprovisatorische Wirkung aus den Begleitak-korden «zur Unzeit». Die Dulziana (= leiserStreicher) des Hauptwerks ist strenggenommennur beim kurzen Zitat des gregorianischenAdoro te beschäftigt. Es ist durchaus denkbar, siefür alle einstimmigen Melodiepassagen zu ver-wenden.

Offertoire (Hommage à Frescobaldi, Bornemann)Eines der eher seltenen leisen französischen Of-fertorien ist die mittellange Bass-Bearbeitung des gregorianischen Lucis creator. Auffällig undnicht leicht umzusetzen die Registrierung: rech-te Hand Gambe, Voix céleste, Prinzipal imSchwellwerk! Dies darf nur dann wörtlich ge-nommen werden, wenn die ungewohnte Kom-bination auch gut klingt. Dies ist auf hiesi-gen Orgeln mit ihren starken Prinzipalen undden schwachen Äolinenschwebungen selten derFall.

Organ book (Elkan-Vogel)Aus der recht heterogenen Sammlung eher kur-zer Stücke von 1951 sind die Nummern 1–3 und10 erwähnenswert. Während die ersten beidenStücke kaum Fragen aufwerfen dürften, mussbeim dritten (Choral in e-Moll) Folgendes be-achtet werden: Die linke Hand ist wohl immerlegato zu spielen (bei den dreistimmigen Akkor-den wenigstens die oberste Stimme, welche dieChoralmelodie zu Gehör bringt), damit die ei-genartige Wirkung der nachschlagenden Akkor-de der rechten Hand zum Tragen kommt.

Nr. 10 (Pasticcio, findet sich auch im Frei-burger Orgelbuch, Carus) weist viele Ähnlich-

keiten mit der Canzona aus der Folkloric Suiteauf. Diesmal ist es eine selbsterfundene Melodie,welche ausgiebig antifonal verarbeitet wird.Klangliche Steigerung am Schluss (mit Chant-lié-Passagen = Melodie legato/Begleitung stacca-to). Technisch einiges einfacher als das Schwes-terstück.

Prélude (Suite médiévale, Salabert)Ein archaisch anmutendes Tutti-Stück mit paral-lelen Quinten und Quarten, die dank der wohl-tuenden Kürze des Ganzen überhaupt nicht auf-dringlich wirken. Das Stück lässt sich auf barockorientierten Orgeln darstellen, da ihm ein vollerMixturklang gut bekommt.

Prélude au Kyrie (Hommage à Frescobaldi,Bornemann)Eine eigene Adaptation der Plain-chant-Eröff-nungsstücke der klassischen Suiten: Kyrie derMesse cunctipotens genitor Deus, welche vonsehr vielen (französischen) Komponisten bear-beitet wurde und auch in der Fantaisie derselbenSammlung vorkommt. Wie etwa bei Couperin(Messe pour les paroisses) Tenor-Cantus-firmusauf einer Zunge, hier aber leise.

Prélude dans le style ancien (Deux pièces op. 158,Zeitgenössische Orgelmusik im Gottesdienst,Eulenburg)Für den «style ancien» stand hier für einmalnicht die französische Barockmusik Pate. Einetwas eigenartiges Stil-(Imitations-)Gemisch,das aber durchaus überzeugt. Obwohl registrie-rungsmässig unproblematisch (zwei unter-schiedlich starke Plena) und praktisch ohne Pe-dal, ist das Stück doch recht anspruchsvoll. Aufder letzten Seite kommen sehr viele Verzierun-gen bestehend aus Notengrüppchen in Klein-druck vor, die wohl alle vor dem Schlag auszu-führen sind.

Prélude sur une Antienne (Neuf pièces,Bornemann)Ein apartes Stück (Dulziana 8’, später Voix céles-te), das allerdings etwas aus dem Rahmen derSammlung fällt. Wohl das einzige Stück vonLanglais, das kein einziges Vorzeichen enthält.Kein Wunder: Es handelt sich um eine Schulauf-gabe der Klasse von Dupré aus dem Jahr 1929.Trotzdem ist es in seiner dichten, ständig bis zusechs Stimmen beschäftigenden Schreibweise garnicht besonders leicht zu spielen.

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Prière des Mages (Das neue Orgelalbum,Universal)Ein sehr stimmungsvolles, technisch leichtesStück, welches durchgehend von der Voix célesteGebrauch macht. Mit den vielen dynamischenAngaben ist es ein vorzügliches Übstück für dendosierten, agogikgestützten Gebrauch des Schwel-lers. Die wenigen Pedaltöne stören dabei nicht.Statt der Voix céleste sind auch ein Streicher mitTremulant oder zwei leise Achtfüsse (mit oderohne Tremulant) denkbar.

Soleils (Combre)Eine Sammlung, die unterschiedlich schwereund auch unterschiedlich gelungene Stücke ent-hält. Soleil II (seinem Meisterschüler Naji Ha-kim gewidmet) ist eines der überzeugendstenKonzertwerke der späteren Schaffensperiodeund neben den Meditations sur l’apocalypsewohl das einzige, welches dem Vergleich mitähnlichen Stücken von Messiaen standhält. Lei-der enthält die Sammlung mit dem SchlussstückSoleil de France (eine Bearbeitung der Marseil-laise) auch einen der offensichtlichsten Fehl-schläge des Komponisten. Soleil IV (soir), dasleichteste der Reihe, ist eines der wenigen wirk-lich überzeugenden Spätwerke, welches auchvon einem ambitionierten Laien im liturgischenKontext (Abendmahl) verwendet werden kann.

Soll eine wirklich zauberhafte («stellare») Atmos-phäre entstehen, muss alles wirklich langsam(Achtel = 92!) und weich gespielt werden, auchdie Doppelgriffe und die kurzen Notenwerte.Das Umschalten des Pedals von 16’ auf 8’ undzurück kann man durchaus auch «von Hand»bewältigen (im Takt 5 etwa durch Kürzen derlangen Schlussnoten und Einfügen einer Pause).

Tiento (Suite médiévale, Salabert)Das Stück stellt eine Art vierstimmige Fuge (manbeachte dabei die typisch französischen Prakti-ken: Zungenregistrierung, Spiel auf zwei Ma-nualen) mit eingeschobenen Zitaten des Kyrieder Messe fons bonitatis im Pedal, während de-nen die kontrapunktische Arbeit ruht. Da alleslegato gemeint ist, muss das Stück genau ausge-arbeitet werden, ist dann aber nicht mehr sehrschwer zu spielen. Die Choralzitate können, jamüssen etwas frei gespielt werden. Das divi-sionäre Taktgefüge ist hier auch bewusst aufge-hoben (vom Komponisten mittels eines Kreisesstatt der traditionellen Taktangabe angedeutet).Falls man keine leise (oder schwellbare lautere)Zunge besitzt, greift man lieber zu einer gutzeichnenden Labialregistrierung. Auf einemgrellen Krummhorn oder einer Schalmei ist dasStück undenkbar.

Tiento (Suite médiévale)

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Trois pièces faciles (Verlag pro organo)Ein sehr zugängliches Spätwerk. Etwas wenigeraphoristisch und zerrissen als andere. KlanglicheHärten und kompliziertere Rhythmen (valeursajoutés) kommen vor, beides aber in erträglichenDosen.

Libre: Der Titel deutet darauf hin, dass diesich aus dem notierten Rhythmus von selber er-gebende Freiheit ausgekostet werden muss. Diesbedeutet, dass man die valeurs ajoutés wohlnicht zu zackig spielen soll. Ein fragendes Stück,welches eine reelle Spannung erzeugt, was frei-lich nur in grossen Räumen zur Wirkung kom-men dürfte.

Récitatif: Auch hier ist die Freiheit bereits inden Noten niedergeschrieben. Die Registrierun-gen (Wechsel bei den Wiederholungen) müssenwohl kaum sklavisch eingehalten werden, da sienicht zwingend wirken. Allerdings entsprechengrelle Farben nicht dem Charakter des Stücks.

Allegro: Um einiges schwerer als die voraus-gegangenen sehr leichten Stücke, aber immernoch zugänglich (praktisch ohne Pedal). Dielombardischen Figuren tönen mit Zweierbin-dung gut, ansonsten viele taktweise Bindungen.Besitzt die Orgel eine sehr scharfe 2’-Oktave –was hierzulande häufig vorkommt – ist es wohlbesser, mit Prinzipalen 8’ und 4’ zu beginnenund bei der Wiederholung auf den 4’ zu verzich-

ten. Das Stück verträgt keine zu grellen Klang-farben.

Trumpet tune (FitzSimons)Eines der wenigen Langlais-Werke, welches in ei-ner Einzelausgabe greifbar ist. Dies rückt das ansich nicht herausragende Stück in den näherenInteressenskreis. Es wurde an sich für eine ame-rikanische Orgel mit Hochdruck-Ferntrompetegeschrieben, lässt sich aber auch ohne solche pas-sabel darstellen. Jede andere scharfe Registermi-schung, die dem Tutti eines Nebenmanuals ent-gegengesetzt wird, erfüllt den Zweck ebenfalls.Macht nichtdivisionäre Rhythmik sonst beiLanglais nicht immer einen überzeugenden Ein-druck, erzielen hier die 5/8- und 7/8-Taktedurchaus eine zündende Wirkung. Das kurzeStück muss mit Schmiss gespielt werden. Dievielen akkordischen Passagen sind sicher nichtlegato gedacht, die melodischen Elemente hin-gegen schon. Es fragt sich, ob auf hiesigen Or-geln nicht ab Mitte der Seite 6 alles tiefoktaviertspielen soll.

Vingt-quatre pièces pour orgue ou harmonium,Heft I–II (Combre):Diese Sammlung, welche einige sehr leichte undbrauchbare Stücke für die liturgische Praxis ent-hält (I. Prélude modal, II. Hommage, V. Para-

Allegro (Trois pièces faciles)

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phrase sur Salve Regina, VI. Nöel avec variati-ons, XV. Prière, XVI. Choral orné, XIX. Prélude,XX. Fuguette, XXII. Chant élégiaque), wird be-wusst übergangen, weil ihr im Beitrag «Pour or-gue ou harmonium» Heft 1/06, S. 28 ff. ein eige-nes Kapitel gewidmet war.

ChoralvorspieleSiehe dazu den Beitrag von Marie-LouiseLanglais mit dem Titel «Langlais und der Protes-tantismus» im Heft 6/2003, S. 249 ff.In dulci jubilo – Aus tiefer Not – Herzlich tutmich verlangen (Neuf pièces 1944, Leduc)Aus tiefer Not – Ein feste Burg ist unser Gott –Meine Seele erhebt den Herrn – Vater unser imHimmelreich – Kyrie, Gott Vater – Allein Gottin der Höh sei Ehr (Livre oecumenique 1968,Bornemann)Was uns die Erde Gutes spendet – Nun singtdem Herrn ein neues Lied – Wie lieblich schön,Herr Zebaoth – Gesegn uns, Herr, die Gabendein – Wir wollen sing’n ein Lobgesang (Cinqchorals 1971, Bärenreiter)Erfreute dich Himmel – Lobpreiset all zu dieserZeit – Erfreue dich, du Himmelskönigin (Ma-rienstätter Orgelbuch 1980, Breitkopf )Aus tiefer Not – Ein feste Burg ist unser Gott –Vater unser im Himmelreich – Jesu, meine Freu-de – In dulci jubilo – Lobe den Herren, den mäch-tigen König der Ehren (Sept chorals pour trom-pette et orgue 1972, Combre)

Ausserhalb dieser Werkgruppen seien noch zuerwähnen:O come, all ye faithfull – Silent night, holy night– In dulci Jubilo – Angels we have heard on night(Christmas carol hymn settings, 1988, FitzSi-mons)Canzona (Folkloric Suite, FitzSimons)

Mancher Kirchenmusiker würde sich gerneauf Vorspiele über so selten bearbeitete Melodi-en wie Stille Nacht, heilige Nacht oder Les angesdans nos campagnes stürzen. Die stark verfrem-dende Harmonik, mit welcher Langlais dieschlichten und wohlbekannten Weisen umgibt,macht aber Verständnis und Verwendung im tra-ditionellen Kontext nicht leicht. Die Stücke sindauch spieltechnisch nicht jedermanns Sache.Wer Silent Night tatsächlich im Heiligabend-Gottesdienst spielt, muss sich bestimmt aufemotionale Reaktionen gefasst machen! Ande-rerseits ist der Versuch zu loben, aus dem ewigenFahrwasser seichter Stilimitation auszubrechen.

Am ehesten kann man sich die Verwendung ineinem Konzert denken, in dem Bearbeitungenaus verschiedenen Epochen einander gegenüber-gestellt werden.

Werke für Orgel und Instrument(e)bzw. StimmeLanglais hat, meist auf Bestellung, eine unge-wöhnlich grosse Anzahl Stücke für «Orgel plus»geschrieben, wie man heute zu sagen pflegt. Auf-fällig ist dabei die Bevorzugung der Bläser. Auchseltene und exotische Besetzungen sind berück-sichtigt. Leider wurde aber bisher längst nicht al-les verlegt. Unerwähnt sollen hier die drei rechtaufwändigen Orgelkonzerte bleiben (1949/1962/1971). Da der Komponist immer an diePraxis und damit auch an möglichst weite Ver-breitung seiner Werke dachte, sah er häufig al-ternative Besetzungen vor. Die Begleitpartienkommen meist ohne obligates Pedal aus, könnenalso auch auf dem Klavier ausgeführt werden.Für die Ausführung der Soli kommen die übli-chen hohen Melodieinstrumente in Frage. Dasbedeutet aber nicht, dass alle denkbaren Kombi-nationen auch gut klingen. Das Klavier ist alsBegleitinstrument nur selten günstig (lange Tö-ne, weite Griffe) und muss eher als Notlösungangesehen werden. Einige Stücke liegen für be-stimmte Alternativinstrumente zu hoch oder zutief.

Neuf pièces pour trompette et piano ou orgue(Combre)Eine universell einsetzbare Sammlung meist kur-zer Stücke. Verschiedene Besetzungsvariantensind möglich. Die Ausführung mit Horn stattTrompete (vielleicht mit Ausnahme des ohnehinschwachen Schlussstücks) kann aus der Erfah-rung des Schreibenden besonders empfohlenwerden. Der Orgelpart ist durchgehend manua-liter und ziemlich leicht. Allerdings wird einsorgfältiger Fingersatz benötigt, wenn man dasgeforderte Legatospiel beachten will. Nicht allesist wirklich überzeugend: Nr. 4 und 9 fallen et-was ab. Bei einigen Stücken ist noch einmal (undfast zum letzten Mal) die Volksmusik der Breta-gne Pate gestanden, während man bei anderenNummern an Strawinsky denkt. Im Originalsind keinerlei Registrierungen und Manual-angaben vorhanden, was wohl auf das Klavier alsprimäres Begleitinstrument hinweist.

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Sept chorals pour trompette et orgue (Combre)Die Trompete führt immer (mit Ausnahme derletzten Nummer) nur die Choralmelodie aus,was die Stücke für den Solisten wenig attraktivmacht. Auch ist die zuweilen recht dissonanteund verfremdende Harmonik, von der die altenMelodien umgeben werden, nicht jedermannsSache. Die Variationen über Lobe den Herren(Nr. 7) sind dann allerdings ein packendes Zug-stück, welches mit seiner virtuosen Ausgestal-tung Solisten und Publikum begeistert und auchan den Tastenmusiker einige Ansprüche stellt.Während die Nummern 1 bis 6 nach einemscharf zeichnenden Soloinstrument (Trompete)rufen, lässt sich letzteres wohl nur auf der Oboein wirklich spritzigem Tempo ausführen. Nochein neckischer Umstand: Die Choralmelodiensind nicht beim Namen genannt, die Stücke tra-gen nur Nummern (Es darf geraten werden …).Dies geschah aus Gründen des Urheberrechts.

Deux pièces pour flûte et piano: Histoire vraiepour une Môn – Rondel (Manuskript)Dieses unveröffentlichte Werklein findet hier Er-wähnung, weil es äusserst reizvoll in der Kombi-nation Flöte und Cembalo oder, noch besser,Oboe und Cembalo klingt. Interessenten schickt

Histoire vraie pour une Môn in der Handschrift von Langlais’ erster Frau Jeanne

der Schreibende gerne die (mittlerweile imComputersatz vorliegenden) Noten zu. BeideStücke sind kurz und sehr leicht, beim zweitenkann allenfalls die Koordination Schwierigkeitenmachen. Im vorgeschlagenen Klanggewandrücken die beiden Miniaturen in die Nähe derbeliebten Musik für keltische Harfe.

Mouvement pour flûte ou violon et orgue(Verlag pro organo)Eines der letzten Werke (1987) von Langlais, beiwelchem aber die für diese Schaffensperiode cha-rakteristische Sprödigkeit weniger offen zutagetritt. Es hebt allerdings mit einer wenig an-heimelnden Einleitung an. Bearbeitet wird inder Folge aber eine hübsche bretonische Weih-nachtsmelodie (Salut, ô sainte crèche, berceau duroi des rois) mit dem typischen melancholischenCharme. Der Gegensatz zwischen modaler Me-lodik und «schrägen» Einwürfen ist nicht ohneReiz. Das ungefähr fünf Minuten dauerndeStück ist zudem in beiden Partien höchstens mit-telschwer. Für eine Oboe liegt die Textur stellen-weise sehr hoch, die Ausführung auf der Violineist hingegen sehr zu empfehlen, da dann auch diezahlreichen tieferen Stellen, welche auf der Flötenur matt herauskommen, gut klingen.

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Pièce pour trompette et orgue (Combre)Ein dreiteiliges Spätwerk (1971), welches wohlnur für Konzertaufführungen in Frage kommt,da es in übergrossem Gegensatz zur üblichenTrompetenmusik steht.

Sonatine pour trompette et orgue (Combre)Das Stück, welches für Maurice André, den he-rausragendsten Trompeter seiner Zeit geschriebenwurde, ist gespickt mit technischen Schwierig-keiten, welche die Trompete aber nicht unbe-dingt in bestem Licht erscheinen lassen.

Dyptique pour piano et orgue (Combre)Eines der wenigen Beispiele für diese ausgefalle-ne aber im Grunde genommen reizvolle Kombi-nation neben Werken von Dupré, Flor Peetersund Naji Hakim.

Das Stück stellt recht hohe Anforderungenan beide Instrumente, wobei der Klavierpartdeutlich virtuoser ist. Damit steht das Klavier,wie in den meisten Stücken dieser Gattung, ein-deutig im Vordergrund. Wegen der vielen engverzahnten Partien kann es wohl nur dort aufge-führt werden, wo die Distanz zwischen den bei-den Instrumenten nicht zu gross ist. Klingt dieOrgel zu dumpf, wird kaum eine befriedigendeBalance und auch kein exaktes Zusammenspielzu erzielen sein. Deshalb wäre das Stück geradein kleinen Kirchen, in denen die Orgel im Chorplatziert ist, einen Versuch wert – wenn man ei-nen Pianisten findet, der sich des nicht ganzleichten Parts annimmt! Die beiden Instrumen-te sind spieltechnisch stark voneinander abge-setzt, die jeweiligen Stärken werden überdeutlichherausgeschält. So kommen beim Klavier Ex-tremlagen und schnelle Tonfolgen vor, währenddie Orgel mit häufigen Liegeakkorden aufwartet.

Pièce en forme libre pour cordes et orgue (Combre)Ein ziemlich ausgedehntes, mehrteiliges Werk(1936) in A-B-A-Form, welches langsam be-ginnt und ebenso endet. Es handelt sich um einKammermusikwerk, in welchem die Orgel eben-bürtiger Partner ist, nicht um ein Konzert fürOrgel und Streicher. Das ausdrucksvolle Werk,welches von Langlais stets als eines seiner bestenbezeichnet wurde, ist nicht leicht, aber durchauszugänglich und verdiente vermehrte Beachtungim entsprechenden Rahmen. Als eines der weni-gen Werke ausserhalb der Orgelsphäre wurde esin letzter Zeit verlegt.

Missa in simplicitate für mittlere Stimme(bzw. einstimmigen Chor) und Orgel (Editionsmusicales de la Schola cantorum)Nicht zu verwechseln mit dem dreiteiligen Or-gelstück gleichen Namens, welches die zweitletz-te Komposition von Langlais darstellt. Das Werkwurde 1952 für die damals berühmte französi-sche Mezzosopranistin Jeannine Collard mitihrer mächtigen Stimme geschrieben. Dadurcherklären sich die zahlreichen klanglichen Aus-brüche. Gleichwohl sah schon der Komponist ei-ne Ausführung mit einstimmigem Chor vor.Kurz und konzis sind alle sechs Messsätze ver-tont. Das Credo ist dabei originellerweise als eineinziges syllabisches Rezitativ ausgestaltet. Eshandelt sich wohl um die beste aus der Vielzahlvon Kompositionen für Stimme und Orgel(meist Liedern).

NachtragDie im ersten Beitrag (4/07, S. 141) erwähnteFranck-Aufnahme von Langlais scheint nundoch auf CD erhältlich zu sein: Gia Publications,Inc., CD-272. Es handelt sich um eine Doppel-CD mit dem Remastering der Gesamtaufnahmevon1963. Unter www.giamusic.com lässt sie sichin den USA bestellen.