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367 10 Kapitel Fachberufe im Gesundheitswesen 10. Fachberufe im Gesundheitswesen Das Feld der Gesundheitsberufe umfasst neben den 18 gesetzlich und drei durch Aus- bildungsordnungen geregelten Berufen auch eine große Zahl von Qualifikationen auf der Ebene des Landesrechts und im Bereich der Fort- und Weiterbildung. Hinzu kom- men zunehmend Bildungsgänge des tertiären Sektors insbesondere in der Pflege sowie den Berufen im Heilmittelbereich. Die vielen an den Übergängen zu Pädagogik, Sport, Handwerk, Technik, Hauswirtschaft, Wellness, Hygiene, Management und Kör- perpflege angesiedelten Qualifizierungsmöglichkeiten machen das Feld mittlerweile in hohem Maße unübersichtlich. Zu den Aufgaben der Bundesärztekammer gehört es, die Entwicklungen zu beobachten und aktiv zu begleiten oder zu gestalten, wie bspw. im Berichtsjahr bei der Aus- und Fortbildung von Medizinischen Fachangestellten, der Akademisierung der Fachberufe, beim Europäischen Qualifikationsrahmen und der Entwicklung neuer Qualifizierungen in der ambulanten und stationären pflegerischen Versorgung. Dies geschieht häufig gemeinsam mit den Landesärztekammern bzw. diese unterstützend und koordinierend. Wichtiges Augenmerk in dem sich ständig weiter differenzierenden und spezialisierenden Feld der Berufe gilt den Schnitt- und Nahtstellen zum Arztberuf und der Identifikation von Zuständigkeiten, Überschnei- dungen, Qualifikationsbedarfen und Kooperationsmöglichkeiten. Damit sollen die Gefahren, die sich aus der weiter wachsenden – z. T. ökonomisch bedingten – Arbeits- teilung ergeben können, kompensiert und zugleich die Erfordernisse einer zugleich komplex organisierten wie „ganzheitlichen“ Patientenversorgung, in der medizinische und pflegerische Versorgungsqualität „rund um den Patienten“ an erster Stelle stehen, angemessen zur Geltung gebracht werden. Bereits das Gesundheitssystem-Moderni- sierungsgesetz 2004 stieß – neben den bereits bestehenden Formen – ergänzende Kooperationsmöglichkeiten zwischen Leistungsanbietern im Gesundheitswesen an, mit denen der Gesetzgeber glaubte, Grenzen zwischen den Professionen und Sektoren überwinden zu können. Der Gesetzentwurf eines GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz 2006 sowie der Entwurf eines Pflegeweiterentwicklungsgesetzes 2007 zielen auf eine stärkere Vernetzung von medizinischer und pflegerischer Versorgung nach SGB XI (Pflegeversicherung) und SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung) im Bereich der Integrierten Versorgung sowie durch die Einführung einer zusätzlichen Verwaltungs- ebene in Form von Pflegestützpunkten. Allerdings wird zugleich die Möglichkeit eröff- net, ärztliche Tätigkeiten wie z. B. das Case Management und die Versorgungssteue- rung den Krankenkassen oder anderen Gesundheitsberufen zuzuweisen bzw. bestimmte heilkundliche Tätigkeiten von Pflegekräften auszuweiten. Dies könnte gewachsene, vertrauensvolle Arzt-Patientenbeziehungen, den Primat der medizinisch orientierten Betreuung und die Qualität der medizinischen Versorgung nach Fach- arztstandard gefährden. Die Bundesärztekammer hat in diesem Sinne mit der Ausbil- dungsverordnung für Medizinische Fachangestellte von 2006 und dem im Berichts- jahr vorgelegten fünf neuen Fortbildungscurricula einen wichtigen Beitrag zur Stär- kung der ambulanten Versorgung geleistet. Die Entwicklung neuer Konzepte und Modellversuche im Nachgang zum Sachverständigenratsgutachten 2007 zur „Stärke- ren Einbeziehung nicht-ärztlicher Heilberufe in Versorgungskonzepte“ muss kritisch-

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10KapitelFachberufe im Gesundheitswesen

10. Fachberufe im Gesundheitswesen

Das Feld der Gesundheitsberufe umfasst neben den 18 gesetzlich und drei durch Aus-bildungsordnungen geregelten Berufen auch eine große Zahl von Qualifikationen aufder Ebene des Landesrechts und im Bereich der Fort- und Weiterbildung. Hinzu kom-men zunehmend Bildungsgänge des tertiären Sektors insbesondere in der Pflegesowie den Berufen im Heilmittelbereich. Die vielen an den Übergängen zu Pädagogik,Sport, Handwerk, Technik, Hauswirtschaft, Wellness, Hygiene, Management und Kör-perpflege angesiedelten Qualifizierungsmöglichkeiten machen das Feld mittlerweilein hohem Maße unübersichtlich. Zu den Aufgaben der Bundesärztekammer gehört es,die Entwicklungen zu beobachten und aktiv zu begleiten oder zu gestalten, wie bspw.im Berichtsjahr bei der Aus- und Fortbildung von Medizinischen Fachangestellten, derAkademisierung der Fachberufe, beim Europäischen Qualifikationsrahmen und derEntwicklung neuer Qualifizierungen in der ambulanten und stationären pflegerischenVersorgung. Dies geschieht häufig gemeinsam mit den Landesärztekammern bzw.diese unterstützend und koordinierend. Wichtiges Augenmerk in dem sich ständigweiter differenzierenden und spezialisierenden Feld der Berufe gilt den Schnitt- undNahtstellen zum Arztberuf und der Identifikation von Zuständigkeiten, Überschnei-dungen, Qualifikationsbedarfen und Kooperationsmöglichkeiten. Damit sollen dieGefahren, die sich aus der weiter wachsenden – z. T. ökonomisch bedingten – Arbeits-teilung ergeben können, kompensiert und zugleich die Erfordernisse einer zugleichkomplex organisierten wie „ganzheitlichen“ Patientenversorgung, in der medizinischeund pflegerische Versorgungsqualität „rund um den Patienten“ an erster Stelle stehen,angemessen zur Geltung gebracht werden. Bereits das Gesundheitssystem-Moderni-sierungsgesetz 2004 stieß – neben den bereits bestehenden Formen – ergänzendeKooperationsmöglichkeiten zwischen Leistungsanbietern im Gesundheitswesen an,mit denen der Gesetzgeber glaubte, Grenzen zwischen den Professionen und Sektorenüberwinden zu können. Der Gesetzentwurf eines GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz2006 sowie der Entwurf eines Pflegeweiterentwicklungsgesetzes 2007 zielen auf einestärkere Vernetzung von medizinischer und pflegerischer Versorgung nach SGB XI(Pflegeversicherung) und SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung) im Bereich derIntegrierten Versorgung sowie durch die Einführung einer zusätzlichen Verwaltungs-ebene in Form von Pflegestützpunkten. Allerdings wird zugleich die Möglichkeit eröff-net, ärztliche Tätigkeiten wie z. B. das Case Management und die Versorgungssteue-rung den Krankenkassen oder anderen Gesundheitsberufen zuzuweisen bzw.bestimmte heilkundliche Tätigkeiten von Pflegekräften auszuweiten. Dies könntegewachsene, vertrauensvolle Arzt-Patientenbeziehungen, den Primat der medizinischorientierten Betreuung und die Qualität der medizinischen Versorgung nach Fach-arztstandard gefährden. Die Bundesärztekammer hat in diesem Sinne mit der Ausbil-dungsverordnung für Medizinische Fachangestellte von 2006 und dem im Berichts-jahr vorgelegten fünf neuen Fortbildungscurricula einen wichtigen Beitrag zur Stär-kung der ambulanten Versorgung geleistet. Die Entwicklung neuer Konzepte undModellversuche im Nachgang zum Sachverständigenratsgutachten 2007 zur „Stärke-ren Einbeziehung nicht-ärztlicher Heilberufe in Versorgungskonzepte“ muss kritisch-

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konstruktiv begleitet werden. Hinsichtlich sektoren- und/oder berufsgruppenüber-greifender Modelle sind absehbare Nachteile zu vermeiden und die Zusammenarbeitmit Anbietern von Leistungen, die die ärztliche Versorgung flankieren können, zusuchen. Hierzu hat die Bundesärztekammer im Berichtsjahr durch ein Gutachten zumCase Management einen wichtigen Beitrag geleistet; sie wird darüber hinaus im Rah-men der „Förderinitiative Versorgungsforschung“ weitere Projekte anstoßen. Einbesonderes Augenmerk muss zukünftig auf der medizinisch-pflegerischen Versor-gung alter und/oder pflegebedürftiger Menschen und Patienten mit chronischenErkrankungen liegen, um den großen Herausforderungen, die auf Grund der demo-grafischen, medizinischen und ökonomischen Entwicklung auf alle westlichen Indu-striestaaten zu kommen, zu begegnen.

10.1 Entwicklungen in der beruflichen Bildung

Der Beruf der Medizinischen Fachangestellten gehört zu den z. Zt. rund 350 „aner-kannten“ Ausbildungsberufen in Deutschland; hierfür wurde nach § 4 Berufsbil-dungsgesetz (BBiG) im Jahre 2006 eine Ausbildungsordnung erlassen, die die Ausbil-dungsordnung für Arzthelferinnen von 1985 abgelöst hat. Nach § 71 BBiG sind für dieBerufsbildung der Gesundheitsdienstberufe die Ärztekammern jeweils für ihrenBereich „zuständige Stelle“. Sie haben demnach zahlreiche gesetzlich geregelte Aufga-ben wahrzunehmen, die aus dieser originären Zuständigkeit erwachsen.

10.1.1 Nationaler Ausbildungspakt/Modernisierung des Berufsbildungs-systems

Seit März 2007 beteiligen sich der Bundesverband der Freien Berufe (BFB) und dieÄrztekammern an dem um drei Jahre verlängerten „Nationalen Pakt für Ausbildungund Fachkräftenachwuchs in Deutschland (2007 – 2010)“. Damit bringen die FreienBerufe zum Ausdruck, dass sie sich nicht nur verstärkt in die Diskussion um bil-dungspolitische Entwicklungen einschalten wollen, sondern die Notwendigkeit sehen,sich angesichts des demografischen Wandels, der in den nächsten Jahren zu einemRückgang der Schulabgängerzahlen führen wird, verstärkt um Auswahl und Ausbil-dung ihrer Mitarbeiter zu kümmern. Der 110. Deutsche Ärztetag 2007 hat die Mitwir-kung begrüßt und trotz der demotivierenden gesundheitspolitischen und wirtschaft-lichen Rahmenbedingungen seine Bereitschaft zur Übernahme von sozial- und gesell-schaftspolitischer Verantwortung erklärt. Um den niedergelassenen Ärzten dieSchaffung neuer Ausbildungsplätze überhaupt zu ermöglichen, sei es allerdings drin-gend erforderlich, die jahrelange Unterfinanzierung der ambulanten medizinischenVersorgung zu beenden und die Personalkosten in den Arztpraxen kalkulatorisch beider Finanzierung durch die Krankenkassen stärker zu berücksichtigen.

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Der BFB steuert und koordiniert die Beteiligung aller zuständigen Stellen direkt. Dieerwartete Zielgröße bei allen Freien Berufen von 4.000 neuen Ausbildungsplätzenwurde mit rund 7.000 überschritten. Auch die alljährliche Statistik zum 30. September(Berufsbildungsbericht der Bundesregierung) zeigt nach jahrelanger rückläufiger Ent-wicklung erstmalig wieder ein positives Ergebnis bei den Medizinischen Fachange-stellten: zum 30. September 2007 wurden 14.910 neue Ausbildungsverträge abge-schlossen und damit im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von 7,6 % erreicht; die Zahl aller Ausbildungsplätze bei den Freien Berufen konnten von 42.110 auf 44.457 = 5,6 % gesteigert werden.

Über rein quantitative Fragen hinaus befassen sich die Spitzenorganisationen derdeutschen Wirtschaft, Bundesregierung und -länder sowie die Gewerkschaften derzeitmit der notwendigen Modernisierung des deutschen dualen Berufsbildungssystems inAnbetracht demografischer, wirtschaftlicher, technologischer und internationaler Ent-wicklungen.

Vorgeschlagen werden zahlreiche qualitative und quantitative Maßnahmen, um dasduale deutsche Berufsbildungssystem und das ihn tragende Berufeprinzip im europä-ischen Wettbewerb weiter zu entwickeln.

Dazu gehörten u. a. – der Nationale Ausbildungspakt und der Ausbau von Ausbildungsstrukturförderung;– die Optimierung von Förderstrukturen zur Vorbereitung, Begleitung von Ausbil-

dung, die Nachqualifizierung und Förderung von Langzeitarbeitslosen;– die bessere Anrechnung von Teilqualifizierungen, die Entwicklung von Ausbil-

dungsbausteinen;– die Modernisierung der beruflichen Bildung nach Zahl und Art der Ausbildungsbe-

rufe durch Strukturierung in Berufsgruppen mit gemeinsamen Grundqualifikatio-nen und darauf aufbauender Spezialisierung;

– die Entwicklung eines deutschen Qualifikationsrahmens und eines nationalen Leis-tungspunktesystems.

Die Bundesregierung hatte zum Ende des Berichtsjahres eine Nationale Qualifizie-rungsoffensive angekündigt. Das Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbil-dung arbeitet bereits an einem Konzept zur Zusammenlegung von Ausbildungsberu-fen in Gruppen. Dies wurde allerdings in der Sitzung der Ständigen Konferenz Medi-zinische Fachberufe am 12. September 2007 – was die Medizinische Fachangestelltebetrifft – kritisch gesehen, und zwar wegen der soeben erfolgten Neuordnung, der gro-ßen Auszubildendenzahlen in diesem Beruf sowie aus kammerorganisatorischenGründen. Auf Bundes- und Landesebene sollte solchen Bestrebungen gezielt entgegengewirkt werden. Vgl. hierzu www.freie-berufe.de/Ausbildungspakt bzw. www.bundesaerztekammer.de/ Ambulante Versorgung/Arzthelferin/Medizinische Fachangestell-te/Nationaler Pakt.

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10.1.2 Europäischer Qualifikationsrahmen/Europäisches Leistungspunkte-system

Seit 2005 stellen die Entwicklungen in der Bildung im europäischen Raum ein wichti-ges Themenfeld dar, das von der Bundesärztekammer im Bundesverband der FreienBerufe und im Kuratorium der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung auf Bundes-ebene intensiv begleitet wird.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission vom Juli 2005 für einen EuropäischenQualifikationsrahmen (EQR) im Sinne eines Meta-Rahmens für nationale Qualifika-tionsrahmen soll die Vergleichbarkeit von Abschlüssen und Qualifikationen in der all-gemeinen/hochschulischen sowie der beruflichen Bildung in allen Mitgliedsstaatenermöglichen. Der EQR ist ein Bildungsbereich übergreifendes Vorhaben, das eng inden Lissabonprozess, aber auch in den gesamteuropäischen Bologna-Prozess einge-bunden ist.

Die im Rahmen eines EU-weiten Konsultationsprozesses abgegebenen Stellungnah-men von Regierungen, Sozialpartnern sowie Industrie- und Dienstleistungsverbändenmündeten im September 2006 in eine Empfehlung. Im Konsultationsprozess zeigtesich, dass die Makroziele Transparenz, Durchlässigkeit, Kompetenzorientierung vonQualifikationen, Mobilität sowie die Gleichwertigkeit von allgemeiner/hochschuli-scher und beruflicher Bildung von allen Akteuren gestützt werden. Den Kern des vor-geschlagenen EQR bildet ein Modell von acht Referenzniveaus, mit denen Lernergeb-nisse beschrieben werden, und ein komplexes outcome-orientiertes Deskriptoren-Setzur Beschreibung von Qualifikationen. Alle formalen und informellen Qualifikatio-nen, die im Verlaufe einer Lernbiografie im Bereich der Aus- und Weiterbildungerworben werden, sollen darin abgebildet werden. Das Europäische Parlament hat am25. Oktober 2007 den Vorschlag der Kommission angenommen. Die Mitgliedsstaatensollen bis 2010 ihre nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) an den EQR gekoppelthaben. Ab 2012 soll auf allen Zeugnissen oder Diplomen eine Zuordnung zu denjeweiligen Referenzniveaus erfolgen. Der Rat der Europäischen Union hat am 16. November 2007 allen Vorschlägen des Europäischen Parlaments zugestimmt.

Als Konsequenz zum EQR und parallel dazu hat die Europäische Kommission im Okt-ober 2006 ein Europäisches Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung(ECVET) vorgelegt, das ein System für Übertragung, Akkumulierung und Anerken-nung von Lernleistungen darstellt. ECVET hat Berührungspunkte mit dem EQR sowieAnalogien zum Hochschulleistungspunktesystem ECTS, ohne jedoch mit diesen dek-kungsgleich zu sein: Vom EQR wird die Nomenklatur und das 8-stufige System über-nommen, vom ECTS der Workflow-Gedanke. Zielsetzung sind auch hier Durchlässig-keit, Vergleichbarkeit und Transparenz. Dem einzelnen Bürger soll ermöglicht wer-den, seinen Bildungsweg im Rahmen grenzüberschreitender Mobilität und unter-schiedlicher Lernkontexte zu übertragen und anerkannt zu bekommen.

Das Bundesbildungsministerium hat zu diesem Vorschlag in 2006/2007 einen natio-nalen Konsultationsprozess durchgeführt und gemeinsam mit der Kultusminister-konferenz im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands eine abschließende

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internationalen Konferenz im Juni 2007 in München durchgeführt. Dabei wurde beialler Übereinstimmung in den Makrozielen von Seiten Deutschlands– eine verbesserte Verknüpfung von ECVET und ECTS, – die Entwicklung einheitlicher europaweiter Kriterien für die Vergabe von Punkten

sowie– die Entwicklung vergleichbarer Referenzen für die Feststellung von Lernergebnis-

sen eingefordert. Deutschland stellt besonders die Wahrung des Berufekonzeptes im dua-len System der beruflichen Ausbildung heraus; die Umsetzung des ECVET müsse sichan den Inhalten der nationalen Ausbildungsordnungen und Curricula orientieren.

In Deutschland hat seit Januar 2007 die Erarbeitung eines deutschen Qualifikations-rahmens (DQR) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und derKultusministerkonferenz unter Beteiligung des Bundesinstituts für Berufsbildungbegonnen. Es ist zu erwarten, dass die sich langsam vollziehende Ablösung der deut-schen Tradition von „Bildung“ und „Beruf“ hin zu den neuen europäischen Prinzipien„lebensbegleitendes Lernen“ und „Beschäftigungsfähigkeit“ vieles in Bewegungbringt.

Der Bundesverband der Freien Berufe hat bereits in einer Stellungsnahme von Dezem-ber 2005, an der die Bundesärztekammer maßgeblich mitgewirkt hat, auf dieBesonderheiten der akademischen Bildung und die vorrangige Geltung der Berufsan-erkennungs-Richtlinie für reglementierte Berufe (2005/36/EG) abgehoben und eineprimäre Anwendungsmöglichkeit bei den „dualen“ Ausbildungsberufen im Gesund-heitswesen gesehen. Da er in dieser kritischen Einschätzung von der Position der Spit-zenverbände der Deutschen Wirtschaft abweicht, ist er auch in deren gemeinsamerStellungnahme zum ECVET-Entwurf vom März 2007 offiziell nicht genannt. In dieserStellungnahme wurde insbesondere die selbstständige und rasche Einführung eineseigenen Punktesystems ohne ausreichende Ankopplung an den EQR und ohne vorgese-hene langjährige Erprobungsphase moniert. Umgekehrt erhoffen sich gerade die nicht-ärztlichen, insbesondere die gesetzlich geregelten Gesundheitsberufe von der Diskus-sion auf europäischer Ebene einen zusätzlichen Schub in Richtung Akademisierung.

10.2 Medizinische Fachangestellte

10.2.1 Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation

Zum Zwecke der Planung und Ordnung der Berufsbildung gemäß §§ 87 und 88 BBiGerfolgt alljährlich eine Umfrage des Statistischen Bundesamtes bei den zuständigenStellen. Die nachfolgende Tabelle liefert Angaben über die Zahl der Auszubildenden,differenziert nach Ausbildungsjahren, neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen,ausländischen Auszubildenden und Teilnehmern an Abschlussprüfungen (Stichtag31. Dezember 2006).

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Gemäß Berufsbildungsstatistik beträgt der Rückgang bei den Ausbildungsplätzenzum 31.Dezember 2006 über alle Ausbildungsjahre und bundesweit – 3,4 % und hatsich damit auf Vorjahresniveau fortgesetzt. Die neuabgeschlossenen Ausbildungsver-hältnisse sind in den westlichen Bundesländern um 6,1 % zurückgegangen. In denneuen Bundesländern ist mit 5,2 % der Gesamtbestand rückläufig, allerdings bei denNeuabschlüssen ein Höchstzuwachs seit 2003 mit 2,8 % zu verzeichnen. Seit 1992sind die Ausbildungszahlen insgesamt um 17,1 % zurückgegangen. Dass in 2007 einepositive Entwicklung stattgefunden hat, wurde vorne bereits dargestellt.

Die Arzthelferin/Medizinische Fachangestellte liegt im gesamten Bundesgebiet mit5,6 % Anteil (Quelle: Statistisches Bundesamt 31. Dezember 2006) an allen weiblichenAuszubildenden auf Rang 3 der zahlenmäßig bedeutsamsten Ausbildungsberufe fürFrauen. Derzeit erlernen auch 344 junge Männer diesen Beruf.

Die Statistiken belegen, dass sich die schulische Vorbildung der Auszubildenden inden letzten Jahren wieder deutlich verbessert hat. Bei den in 2006 13.558 neu abge-schlossenen Ausbildungsverhältnissen ist die Verteilung gegenüber dem Vorjahr mitrund 17 % Hauptschülerinnen: 62 % Realschülerinnen: 9,7 % Abiturientinnen (wieschon seit 1997 erkennbar) zu Gunsten des Anteils der Realschülerinnen (fast) unver-ändert und hat damit einen erfreulich hohen Stand erreicht (1993: 44 %). 16 Jahre undjünger sind demgemäß nur 16% der Auszubildenden, rund 25% sind 17 Jahre alt, 44 % sind 18 bis 20 Jahre alt und knapp 15 % noch älter. Nichtsdestotrotz häufen sichauch in der Ärzteschaft seit mehreren Jahren die Klagen über mangelnde Ausbil-dungsreife der Jugendlichen, womit im Wesentlichen ein Defizit in grundlegendenKulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen, aber auch bei Konzentration und Ver-halten gemeint sind. Häufig wird hierin mit ein Grund für das nachlassende Ausbil-dungsengagement insbesondere bei Freien Berufen gesehen (s. u.). Der Anteil der vor-zeitigen Vertragslösungen ist bezogen auf die Neuabschlüsse mit knapp 19 % gegen-über dem Vorjahr gleich geblieben (alle Gesundheitsdienstberufe: 23 %); ca. die Hälftealler Vertragslösungen finden innerhalb des 1. Ausbildungsjahres, davon knapp zweiDrittel innerhalb der Probezeit statt. Mit 3.488 = 8,5 % ist der Anteil der ausländischenAuszubildenden gegenüber dem Vorjahr in etwa gleich geblieben.

Der Anteil der Ausbildungsverhältnisse der Freien Berufe an den Gesamtausbildungs-verhältnissen in Deutschland ist mit 7,8 % zum 31. Dezember 2006 gegenüber demVorjahr (8,3 %) noch weiter zurückgegangen. Noch im Jahr 1992 betrug der Anteil 10,6 % und dies bei einer deutlich niedrigeren Zahl von selbstständigen Freiberuflern(Zuwachs zwischen 1992 und 2007 von 85,6 %). Die Situation stellt sich in den einzel-nen Ausbildungsberufen zum 30. September 2007 sehr unterschiedlich dar.

Die Zahl der arbeitslosen Arzthelferinnen hat sich seit Oktober 2002 von 16.184 (davonWest: 13.857, Ost: 2.307) auf 18.076 im Juli 2007 (davon West: 14.556, Ost: 3.520) erhöht (+ 11,7 %), war allerdings zwischen Februar 2006 und Juli 2007 mit 25,1 % starkrückläufig. Die Zahl der offenen Stellen ist zwischen November 2006 und Juli 2007bundesweit um 32,1 % gestiegen. Dies spricht für eine deutliche Belebung des Arbeits-marktes.

Zu Beschäftigungs- und Vergütungsstrukturen in Arztpraxen hat das Zentralinstitutfür die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland im Auftrag der

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AAA 2005/2006 eine Auswertung, zum Teil auf Basis eigener Erhebungen, mit folgen-den Ergebnissen durchgeführt, die im Berichtsjahr bei der Neugestaltung der Tarif-werke berücksichtigt wurden:– Zunahme der beschäftigten Arzthelferinnen in allen Bereichen des Gesundheitswe-

sens sowie in Arztpraxen zwischen 1997 und 2004;– Abnahme der Vollzeitstellen (Vollzeitäquivalente) seit 1997 und damit Zuwachs an

Teilzeitstellen;– Beschäftigung von Arzthelferinnen außerhalb von Arztpraxen: rund 20 %;– Stabilität der gezahlten Entgelte in Arztpraxen (rund 6,5 Milliarden);– insgesamt leicht steigende Entgeltsituation bei stabilen Beschäftigtenzahlen;– Anteil ausgebildeter Arzthelferinnen an den Beschäftigten bei Hausärzten in den

alten Bundesländern am höchsten: über 50 %;– Akzeptanz der Tarifwerke mit 53 % bei den Hausärzten im Westen am größten, im

Osten deutlich abfallend.

Wegen des politischen Drucks auf die Freien Berufe aufgrund der rückläufigen Aus-bildungsplätze führte der BFB Ende 2005 eine bundesweite Direktumfrage zum Aus-bildungsengagement durch, an der sich rund 2.200 Arztpraxen beteiligten. Haupthin-dernis für eine vermehrte Ausbildung ist nach dem Ergebnisbericht vom Juli 2006 diegeringe Übernahmewahrscheinlichkeit von Auszubildenden in Festanstellung auf-grund der wirtschaftlichen Situation.

Seit 2004 beteiligen sich die Ärztekammern zunehmend am Programm GeförderteEinstiegsqualifizierungen für Jugendliche (EQ J). EQ J ist ein betriebliches Langzeit-praktikum und dient als Brücke in die Berufausbildung. Es gilt nicht nur für solcheJugendliche, die noch nicht im vollen Umfang ausbildungsreif sind, sondern auch fürbis zum 30. September unversorgt geltende Jugendliche sowie solche unter 25 Jahren,die nicht mehr der allgemeinbildenden Schulpflicht unterliegen. Der Bundesverbandder Freien Berufe hält das EQ J-Programm im Vergleich zu SGB III-Maßnahmen oderschulischen Warteschleifen für effizienter. Seit 2004 wurden von mittlerweile acht Ärz-tekammern insgesamt 427 EQ J-Verträge angeboten, von denen rund 40 wieder durchKündigung beendet wurden. Die Resultate werden von den teilnehmenden Kammernpositiv beurteilt. Vgl. hierzu www.bundesaerztekammer.de/ Ambulante Versor-gung/Arzthelferin/Medizinische Fachangestellte.

10.2.2 Ausbildungsverordnung und ihre Umsetzung

Am 5. Mai 2006 ist die Verordnung über die Berufsausbildung zum MedizinischenFachangestellten/zur Medizinischen Fachangestellten vom 26. April 2006 im Bundes-gesetzblatt I Nr. 22 veröffentlicht worden. Sie trat am 1. August 2006 in Kraft. Gleich-zeitig trat die Verordnung über die Berufsausbildung zum Arzthelfer/zur Arzthelferinvom 10. Dezember 1985 außer Kraft. (Detaillierte Darstellungen der Vorgeschichte derVerordnung mit allen Sitzungen der Fachberufegremien und ihren jeweiligenBeschlüssen hierzu enthalten die Tätigkeitsberichte 1986, S. 326ff. und 1999, S. 430ff.;eine ausführliche Darstellung des Novellierungsverfahrens seit 2004, insbesondere derKontroverse zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zur Dauer und Struktur

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der praktischen Prüfung und den Beschlüssen der Gremien und des Vorstandes derBundesärztekammer hierzu siehe Tätigkeitsbericht 2005, S. 425).

Die Ausbildungsverordnung für Medizinische Fachangestellte ist eine Antwort auf dieveränderten medizinischen, technischen, strukturellen und wirtschaftlichen Anforde-rungen in der medizinischen Versorgung: Das Krankheitsspektrum, die Patienten-struktur und das Patientenverhalten haben sich verändert; es gibt mehr ältere, multi-morbide, chronisch kranke Patienten und ein gestiegenes Informations- undAnspruchsniveau. EDV und Telematik durchdringen alle Anwendungsbereiche. Dermedizinisch-technische Fortschritt verändert permanent die medizinische Behand-lung. Medizinische Erfordernisse und wirtschaftliche Rahmenbedingungen erfordernneue Organisations- und Kooperationsformen; Arbeits- und Betriebsorganisationsowie Verwaltung werden mit den Instrumenten des Qualitätsmanagements moderni-siert und effektuiert.

Die Medizinische Fachangestellte als kompetente Mitarbeiterin des Arztes in verschie-denen Betriebsformen ist ausführend und gestaltend in alle Behandlungs- und Ver-waltungsprozesse eingebunden. Ihr Qualifikationsprofil war deshalb auf die gegen-wärtigen wie zukünftigen Anforderungen in der Patientenversorgung auszurichten.Das bewährte Berufbild mit gleichgewichtigen Ausbildungsanteilen in den BereichenBehandlungsassistenz und Betriebsorganisation und -verwaltung wurde beibehalten,ebenso das Ziel einer Allround-Fachkraft, die in allen ärztlichen Fachgebieten einsetz-bar ist. Folgende „Neuerungen“ sind darüber hinaus zu nennen: – Die neue Berufsbezeichnung spiegelt das Selbstverständnis eines modernen

Gesundheitsfachberufes und den gestiegenen Anspruch wider. Gleichzeitig kommtdarin der stärkere Dienstleistungscharakter und das erweiterte Einsatzspektrumauch in stationären Bereich und in anderen medizinischen Versorgungseinrichtun-gen zum Ausdruck (§1 AusbVO).

– Die Ausbildungsinhalte wurden in Umfang und Niveau an die Erfordernisse einermodernen, qualitativ hoch stehenden Patientenversorgung angepasst: Kommunika-tion mit Patienten und im Team, insbesondere der Umgang mit Konflikten,Beschwerden und Störungen sowie die Patientenbetreuung, -koordinierung und -beratung wurden deutlich ausgeweitet. Die Ausbildungsbereiche Praxismanage-ment, Verwaltung und Abrechnung, Dokumentation, Datenschutz und Datensi-cherheit sowie Informations- und Kommunikationstechnologien wurden deutlichmodernisiert bzw. neu aufgenommen. Qualitätsmanagement, Zeit- und Selbstma-nagement sowie Marketing sind ebenfalls völlig neue Inhalte. Im Bereich derBehandlungsassistenz bleibt die Medizinische Fachangestellte „rechte Hand“ desArztes im bekannten Umfang: Sie assistiert bei Maßnahmen der Diagnostik undTherapie und führt vom Arzt angeordnete Maßnahmen durch. Sie begleitet denPatienten vor, während und nach der Behandlung und erläutert ärztliche Maßnah-men, Verordnungen und Verschreibungen. Handeln in Notfällen, Gesundheitsför-derung und Prävention sind neue Schwerpunkte. Die Bereiche Hygiene undArbeitsschutz wurden gemäß der gewachsenen Bedeutung neu akzentuiert (§ 4AusbVO).

– Ziel der Ausbildung ist die berufliche Handlungsfähigkeit. Damit ist ein Handelnim betrieblichen Gesamtzusammenhang gemeint, das selbstständiges Planen,Durchführen und Kontrollieren/Bewerten umfasst. Es geht damit über die Beherr-

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schung rein fachlicher Fertigkeiten und Kenntnisse hinaus. Dem entsprechend sinddie Ausbildungsziele im Ausbildungsrahmenplan handlungsorientiert bzw. in derForm eines zu erreichenden Endverhaltens beschrieben (§ 3 AusbVO).

– Die Ausbildung ist nicht mehr durch Wochenrichtwerte, sondern durch die neueZeitrahmenmethode zeitlich gegliedert. Dies ermöglicht eine flexible Anpassungauf die praxisspezifischen Besonderheiten, z. B. das ärztliche Fachgebiet oder dieBetriebsform (§ 5 AusbVO).

– Inhalt, Struktur, Niveau und Zeitumfang der Abschlussprüfung sowie die Beste-hensregelung wurden den allgemeinen Standards in der beruflichen Bildung ange-passt. Das Prinzip der handlungsorientierten Ausbildung hat Konsequenzen insbe-sondere für den praktischen Prüfungsteil, der neu strukturiert und aufgewertet wur-de. Er ist wie die schriftliche Prüfung obligatorischer Prüfungsteil und umfasst beihöchstens 75 Minuten Dauer eine komplexe Prüfungsaufgabe inkl. eines höchstens15-minütigen Fachgespräches. Der Prüfling soll komplexe praxisbezogene Arbeits-abläufe simulieren, demonstrieren, dokumentieren und präsentieren. Die Prü-fungsaufgaben müssen in ihrer Konstruktion diesen Anforderungen Rechnung tra-gen. Die Bestehensregelung gem. Abs. 7 ist deutlich verschärft worden und folgtjetzt allgemeinen Standards in der beruflichen Bildung; sowohl der praktische alsauch der schriftliche Teil müssen mit „ausreichend“ bestanden sein. Innerhalb desschriftlichen Teiles darf nur einer der drei Bereiche mit „mangelhaft“ bewertet sein.Der praktische Teil der Prüfung wird zukünftig zu 50 % im Rahmen der Bestehens-regelung gewichtet, im Gegensatz zur früheren 1/6-Regelung. Damit wird der prak-tische Teil indirekt zum „Sperrfach“ (§ 9 AusbVO).

Die neuen Inhalte und Strukturelemente der Ausbildung werden allen Beteiligten(ausbildenden Ärzten und Medizinischen Fachangestellten, Auszubildenden, Kam-mern und Berufsschulen) verstärkte Anstrengungen abverlangen. Die Gestaltung desÜbergangs in den nächsten Jahren muss intensiv und verantwortlich begleitet werden,damit die Neuordnung die Ergebnisse hervor bringt, die von allen gewünscht werden.Bundesärztekammer und Landesärztekammern haben folgende Umsetzungsaktivitä-ten initiiert:– Die Neuorientierung im Berufsschulunterricht hin zu einer lernfeldorientierten

Didaktik, wie sie sich im Rahmenlehrplan der Kultusministerkonferenz nieder-schlägt – zusätzlich zu den gestiegenen Anforderungen an die Ausbildung in denArztpraxen – stellt eine Erschwernis bei der Implementierung der neuen Ausbil-dungsverordnung dar: Der Wegfall klassisch-curricularer Lerninhalte führt in derKonsequenz zu einer Auflösung des herkömmlichen fächerbezogenen Unterrichts,verlangt nach neuen Vermittlungs- und Unterrichtsformen und bedeutet letztlichdie Gefahr einer Individualisierung der Inhalte auf Schul- bzw. sogar Lehrerebene,wenn keine sinnvolle „Gegensteuerung“ erfolgt. Die mit dem neuen Konzept ver-bundene Verunsicherung der Lehrerschaft und der Schulen sollte von den Ärzte-kammern im Sinne einer positiv gestalteten konstruktiven Zusammenarbeit unddurch Schulung der ärztlichen Lehrer aufgegriffen werden.

– Eine Musterabschlussprüfungsordnung sowie Regelungen zur Durchführung vonZwischenprüfungen wurden vom Vorstand der Bundesärztekammer bereits am 27. April 2006 zur einheitlichen Anwendung empfohlen.

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– Die neuen Regelungen zur Praktischen Prüfung stellen die Prüfungsaufgabener-stellungsausschüsse, die Prüfungsausschüsse und die Kammern vor erheblicheorganisatorische, personelle und finanzielle Herausforderungen. Insbesondere anderen Ergebnissen wird sich sehr viel stärker als bisher die Qualität der Ausbildungin den Arztpraxen ablesen lassen. Deshalb fand zur rechtzeitigen Abstimmungunter den Kammern im Zuge der Implementierung am 30./31. Mai 2006 ein 2-tägi-ger Workshop, Schwerpunkt Praktischer Teil, statt, um gemeinsam Strategien, Vor-gehensweisen und Musterlösungen zu erarbeiten. Der Workshop mit ca. 45 Teil-nehmern aus Kammern, Berufsbildungs- und Aufgabenerstellungsausschüssen hathoch erfreuliche Ergebnisse erbracht: Die Teilnehmer erarbeiteten eine einheitlicheAusgangsbasis für die weiteren Umsetzungsschritte auf Basis der Bestimmungender Verordnung, erzielten einen Konsens über eine Ablaufstruktur des PraktischenTeils sowie die inhaltliche und formale Gestaltung der Aufgaben und beschlossenden Aufbau eines gemeinsamen Aufgabenpools für die praktischen Aufgaben auf-grund einvernehmlich festgelegter medizinischer Themenstellungen. Dieser Poolwurde durch die Bundesärztekammer auf der Basis der übermittelten Aufgabenzusammengestellt und allen Kammern am 15.12.2006 übermittelt; er wurde auchim Berichtsjahr weiter ergänzt. Damit stand aufgrund dieser erfreulichen Koopera-tion ein erster Fundus von Prüfungsaufgaben bereits für die Winterprüfung2006/2007 zur Verfügung.

– Eine Imagebroschüre „Die Medizinische Fachangestellte“ für den Einsatz bei Schul-abgängern, bei Ausbildungsmessen und -veranstaltungen wurde in Abstimmungmit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erstellt und in einer Auflage von32.000 Stück vom Deutschen Ärzteverlag produziert; sie stand den Kammern ein-schließlich einer CD-ROM für Posterpräsentationen im Oktober 2006 zur Verfü-gung.

– Die Bundesärztekammer publizierte im November 2006 eine erläuternde Broschürezur Ausbildungsverordnung, in der der Paragrafenteil, die Lernziele des Ausbil-dungsrahmenplanes und die Prüfungsbestimmungen kommentiert und konkreti-siert werden. Dieser Handreichung primär für auszubildende Ärzte dürfte auch mitBlick auf die gestiegenen (Prüfungs-) Anforderungen sowie die offenen Vorgabendes schulischen Rahmenlehrplanes von Nutzen sein. Parallel hierzu war dieBundesärztekammer auch an einer Publikation des Bundesinstituts für Berufsbil-dung gemeinsam mit Vertreter des Verbandes medizinischer Fachberufe, ver.disund von Berufsschulseite beteiligt, die im Berichtsjahr veröffentlicht wurde.

– Gemäß Berufsbildungsgesetz (§ 37 Abs. 3) haben Auszubildende seit dem 1. April2005 Anspruch auf ein Prüfungszeugnis in englischer oder französischer Sprache.Die Bundesärztekammer hat hierfür allen Kammern entsprechende Muster zur Ver-fügung gestellt, und zwar im Dezember 2005 für Arzthelferinnen und im Oktober2007 für Medizinische Fachangestellte.

– Mit Schreiben vom 1. Februar 2007 an die Mitglieder des Sachverständigenrates zurBegutachtung der Entwicklungen im Gesundheitswesen und alle Landesministe-rien für Gesundheit hat die Bundesärztekammer auf das neugestaltete Berufsbildund das Potential der Berufsgruppe aufmerksam gemacht, die es stärker in diemedizinische Versorgung einzubeziehen gelte.

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– Einige Landesärztekammern haben bereits im Jahre 2006 die Einrichtung eines zen-tralen Aufgabenpools für die schriftliche Abschlussprüfung vorgeschlagen, da durchdie neue Ausbildungsverordnung die Erarbeitung und Verfügbarkeit komplexer,handlungsorientierter schriftlicher Prüfungsaufgaben notwendig wird. EineArbeitsgruppe hat sich mit Rahmenbedingungen, rechtlichen Fragen und Organisa-tionsmodellen beschäftigt und als Sachstandsbericht in die Ständige KonferenzMedizinische Fachberufe am 12. September 2007 eingebracht. Am 4. Dezember2007 wurden in einer Informationsveranstaltung in Berlin unter Beteiligung von 28 Vertretern von 14 Kammern die pädagogisch-didaktischen, (edv-)organisatori-schen und finanziellen Aspekte dieses Projektes in Form von Vorträgen dargestelltund erörtert. Die Federführung für das Projekt bzw. die Etablierung des Aufgaben-pools liegt bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein, die die weiteren Schritte mitallen interessierten Kammern abstimmen wird.

Mit all diesen Maßnahmen hat die Bundesärztekammer in hohem Maße zu einer zeit-nahen und abgestimmten Vorgehensweise bei der Implementierung der Neuregelungbeigetragen.

10.2.3 Neue Fortbildungscurricula für die ambulante Versorgung

Als Beitrag zur Qualitätssicherung in der ambulanten Versorgung und zur Steigerungder Attraktivität des Arzthelferinnenberufs durch spezialisierende Fortbildungenhaben Fachberufegremien und Vorstand der Bundesärztekammer seit 1996 verschie-dene Fortbildungscurricula beschlossen, die unter Beteiligung der betroffenen Fach-kreise erarbeitet wurden: – 1996: Curriculum „Arzthelferin in der Onkologie“ gemäß „Vereinbarung über

besondere Maßnahmen zur Verbesserung der onkologischen Versorgung” [§ 4 (2)](s. Tätigkeitsbericht 1997, S. 559-565);

– 1997: Curriculum „Ambulantes Operieren” (s. Tätigkeitsbericht 1998, S. 653-666);– 1999: Curriculum „Gastroenterologische Endoskopie“ [Federführung: Bayerische

Landesärztekammer]. (s. Tätigkeitsbericht 1999/2000, S. 322).– 2002: Curriculum „Pneumologie“ (s. Tätigkeitsbericht 2002/2003, S. 407);– 2002: Curriculum „Dialyse“ einschl. begleitender „Umsetzungsempfehlungen“

(s. Tätigkeitsbericht 2002/2003, S. 407).– 2004: Curriculum „Ambulantes Operieren in der Augenheilkunde“ (s. Tätigkeitsbe-

richt 2003/2004, S. 381).

Alle Curricula sind nicht als obligatorische Maßnahmen, sondern als sinnvolle undzweckmäßige Angebote zu verstehen, um mit bundesweiten Standards die erforder-lichen Voraussetzungen für einheitliche Qualifikationen des Personals zu schaffen.Ihre Entwicklung entweder durch die Bundesärztekammer oder dezentral durch eineLandesärztekammer wird von den Kammern begrüßt und hat sich als zweckmäßigesund gut akzeptiertes Verfahren bewährt. Die Curricula können auch als Module imRahmen des Aufstiegsberufs „Arztfachhelferin“ sinnvoll eingesetzt werden.

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Aufgrund eines Ärztetagsbeschlusses von 2005 und entsprechender Empfehlung vonAusschuss und Ständiger Konferenz Medizinische Fachberufe am 12. September 2007hat der Vorstand der Bundesärztekammer am 26. Oktober 2007 einstimmig fünf wei-tere Muster-Fortbildungscurricula beschlossen. Durch Angebote zu den ThemenPatientenbegleitung und Koordination, Ernährungsmedizin, ambulante Versorgungälterer Menschen, Prävention im Kindes- und Jugendalter und Prävention bei Jugend-lichen und Erwachsenen soll vor allem die hausärztlich/allgemeinärztliche, die inter-nistische, gynäkologische, kinderärztliche und chirurgische ambulante Versorgunggestützt werden, um veränderten Versorgungsbedarfen (Zunahme alter, pflegebedürf-tiger und chronisch kranker Patienten, Bedeutung ernährungsbedingter Erkrankun-gen) und neuen Versorgungsformen und -strukturen (Integrierte Versorgung, Disease-Management-Programme, Medizinische/Ärztliche Versorgungszentren) gerecht zuwerden. Gleichzeitig wird damit aber auch die in der Koalitionsvereinbarung von 2005und vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklungen im Gesundheits-wesen im Juli 2007 geforderte Neustrukturierung von Aufgabenfeldern aufgegriffenund ein konstruktiver Gestaltungsbeitrag geliefert.

Die Curricula entwickeln die bereits vorliegenden Muster der BÄK fort: – Alle Curricula enthalten das Modul Kommunikation und Gesprächsführung/Wahr-

nehmung und Motivation von 16 Stunden und mit Ausnahme des CurriculumsPatientenbetreuung und Koordination auch das Modul Moderation von acht Stun-den. Diese Elemente von 16 bzw. insgesamt 24 Stunden müssen bei nachfolgendenFortbildungen nicht wiederholt werden, sondern sind als Teilleistungen anzuerken-nen. Dadurch reduzieren sich „Nettozeiten“ zum Teil erheblich, vor allem auch beizusätzlicher Anrechnung der Hausarbeit.

– Der Anrechnungszeitraum für modulare Teilleistungen wird von bisher zwei auffünf Jahre erhöht.

– Die Curricula sind durch Festlegung von Qualifizierungsergebnissen (Handlungs-kompetenzen) stärker kompetenzorientiert. Inhalte sind mit Fähigkeiten, Fertigkei-ten und Kenntnissen verknüpft; die Lernzielniveaus und die Handlungsorientie-rung wurden anhand von taxonomisch ausgerichteten Verben zum Ausdruckgebracht. Dadurch werden nationale und internationale Entwicklungen aufgegrif-fen.

– Zur Teilnahme werden auch andere medizinische Fachberufe, allerdings mit ange-messener einschlägiger Berufserfahrung, zugelassen.

– Als Lernerfolgskontrolle und zugleich praktischer Anteil im Rahmen der Fortbil-dung wurde die neue Variante einer Hausarbeit, gegenseitig anrechenbar in denPräventions-Curricula, sowie die Durchführung und Dokumentation von Hausbe-suchen eingeführt.

Als Mitglieder der Arbeitsgruppe wirkten Vertreterinnen und Vertreter der StändigenKonferenz Medizinische Fachberufe und der Deutschen Akademie für Allgemeinme-dizin der Bundesärztekammer sowie des Deutschen Hausärzteverbandes in siebenArbeitsgruppensitzungen zwischen September 2006 und Juni 2007 mit; Vertreterin-nen des Verbandes medizinischer Fachberufe sowie das Institut für Allgemeinmedizinder Goethe-Universität Frankfurt am Main waren beteiligt.

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Eine rasche flächendeckende Umsetzung der Curricula ist aus Versorgungsgründendringend notwendig. Vor allem in den neuen Bundesländern sollte dieser Gegenent-wurf zur „Schwester AGnES“ aus der ärztlichen Selbstverwaltung heraus entspre-chend gefördert werden. Der Erfolg des Konzeptes wird politisch sicherlich auch dar-an gemessen werden, in wieweit Maßnahmen angeboten bzw. letztlich auch wahrge-nommen werden. Die Bundesärztekammer plant deshalb im Frühjahr 2008 mit einerRundfrage den Umsetzungsstand der Curricula in den einzelnen Kammerbereichenabzufragen. Vgl. hierzu www.bundesaerztekammer.de/ Ambulante Versorgung/Arzt-helferin/Medizinische Fachangestellte.

10.2.4 Neugestaltung der Arztfachhelferin

Ausschuss und Ständige Konferenz Medizinische Fachberufe sahen am 23. März 2006die Notwendigkeit, nach Inkrafttreten der Ausbildungsverordnung Medizinische Fach-angestellte auch den Aufstiegsberuf der Arztfachhelferin anzupassen und hierfür einKonzept durch eine Arbeitsgruppe der Landesärztekammern erarbeiten zu lassen.Dabei sollten insbesondere auch Ergebnisse aus dem Blended-Learning-Projekt Learn-ART (siehe unten) übernommen sowie die Schnittstellen zur „Betriebswirtin“ (sieheKapitel 10.2.6, S. 383f.) identifiziert werden. Am 4. Juli 2006, 21. November 2006 und22. August 2007 fanden hierzu Sitzungen mit der an LearnART beteiligten bzw. weite-ren interessierten Kammern statt. Trotz zunächst unterschiedlicher Vorstellungen hin-sichtlich Struktur, Inhalten, Umfang der Module sowie der Bezeichnung bestandÜbereinstimmung in dem Ziel, die Arztfachhelferin unter den geänderten Struktur-bedingungen (Morbidität, Altersstruktur, Vernetzung, Arbeitsteilung, Entlastung fürden Arzt, Effizienzsteigerung, Finanzierung) sowohl als Führungskraft mit Durchfüh-rungsverantwortung im Bereich Verwaltung zu stärken als auch im medizinischenBereich zu profilieren. Auch die bewährte Struktur von Pflicht- und Wahlteil imGesamtumfang von 400 Stunden mit einem Verhältnis von weiterhin 280:120 Stundensollte beibehalten werden. Ausschuss und Ständige Konferenz Medizinische Fachbe-rufe haben am 12. September 2007 das vorgeschlagene Konzept gebilligt und eineArbeitsgruppe beauftragt, dieses in Form einer Musterprüfungsordnung mit kompe-tenz- und handlungsorientierten Zielvorgaben auszuarbeiten. Am 5. Dezember 2007fand eine weitere Sitzung statt; die Arbeiten werden in 2008 fortgeführt. NachAbschluss wäre auch der letzte „Baustein“ des Bildungskonzeptes Medizinische Fach-angestellte grundlegend modernisiert und zukunftsfest ausgestaltet.

10.2.5 LearnART – E-Learning-Projekt für Arzthelferinnen

Auf Initiative der Bundesärztekammer genehmigte das Bundesministerium für Bil-dung und Forschung zum 01.06.2004 Fördermittel für das Projekt LearnART – „Multi-mediale Lerneinheiten zur Aktiven und Reaktiven Nutzung im Arzthelfer/innen-Trai-ning“ – aus dem Programm der Bundesregierung „Neue Medien in der beruflichenBildung“. Bis Mai 2007 wurden internetbasierte Lernkonstellationen im Umfang von

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rund 470 Stunden für die berufliche Aus-, Fort und Weiterbildung von Arzthelferinnen(seit 1. August 2006: Medizinische Fachangestellte) entwickelt und in Fortbildungs-kursen und Berufsschulen erprobt. Seit Juli 2007 stehen die Ergebnisse allen Interes-senten als Open Source unter www.learnart-online.de zur Verfügung. Die Bundesärz-tekammer hat damit erfolgreich das Blended-Learning-Verfahren für die wichtigsteMitarbeiterin des Arztes im ambulanten Gesundheitswesen erschlossen und ihr neueFlexibilisierungsmöglichkeiten des Lernens eröffnet. Als eines von wenigen Projektenin der beruflichen Bildung unterstützte das BMBF das Projekt als Teil des Aktionspro-gramms „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahr-hunderts“ der Bundesregierung. Seit 2001 wird damit die Entwicklung multimedialerLehr- und Lernangebote im Hochschulbereich, im allgemeinbildenden Sektor und imBereich der beruflichen Bildung gefördert, mit dem Ziel, die Informations- und Kom-munikationstechniken zum Basismedium aller Lernprozesse in allen Qualifikation-und Bildungsbereichen werden zu lassen. Kofinanziert wurde LearnART wegen derquantitativen Bedeutung der Berufsgruppe der Arzthelferin durch den EuropäischenSozialfonds.

Projektpartner der BÄK und zuständig für das Projektmanagement, die Entwicklungder Lerneinheiten, ihre Erprobung und Evaluierung war das Institut für Berufs-, Wirt-schafts- und Sozialpädagogik (IBW) an der Universität zu Köln. Projektbeteiligtewaren die Ärztekammern Nordrhein, Westfalen-Lippe und Hessen, die Bezirksärzte-kammer Südwürttemberg, das Zentrum für Qualitätsmanagement im Gesundheits-wesen (ZQ) der Ärztekammer Niedersachsen, das Barbara-von-Sell-Berufskolleg Köln,die Heidelberger Akademie für Gesundheitsberufe sowie das Bildungswerk fürGesundheitsberufe des Verbandes medizinischer Fachberufe. Im begleitenden Pro-jektbeirat, der während der dreijährigen Laufzeit sechs Mal zusammentraf (Abschluss-sitzung am 22. Mai 2007 in Berlin), wirkten darüber hinaus das Bundesbildungsmini-sterium, der Projektträger (Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt) und weite-re Experten aus Wissenschaft und Berufsbildung mit (siehe Artikel im DeutschenÄrzteblatt vom 22. Juni 2007, Ausgabe A, S. 1808).

Die Lernkonstellationen beinhalten sowohl Telelernphasen als auch Präsenzlernpha-sen. Durch eine festgelegte curriculare Struktur und durch inhaltliche, methodischeund mediale Verschränkungen werden die beiden Komponenten zu einer Gesamtkon-zeption verbunden (Blended Learning). Thematisch geht es in den neun Lernkonstel-lationen um Praxismanagement, Qualitätsmanagement und Kommunikation, Berei-che, die zukünftig in der ambulanten Versorgung von besonderer Bedeutung sind undin denen sich die ärztlichen Arbeitgeber eine verbesserte Wissensbasis und Hand-lungskompetenz bei ihren Mitarbeiterinnen wünschen, und zwar sowohl in derAnpassungs- und Aufstiegsfortbildung als auch der Grundausbildung. Jede Lernkon-stellation ist auf drei unterschiedlichen Kompetenzniveaus/Schwierigkeitsgraden kon-zipiert, so dass verschiedene Zielgruppen der Medizinischen Fachangestellten, aberauch andere Berufsgruppen und Mitarbeiter in den Praxen von LearnART profitierendürften. Die Telelernphasen werden innerhalb der Lernplattform bzw. dem Lern-managementsystem ILIAS realisiert (Integriertes Lern-, Informations-, Arbeits-, undKooperationssystem), das in den 90er Jahren innerhalb des von der EuropäischenUnion geförderten Virtus-Projektes an der Universität zu Köln entwickelt und mittler-weile als Open-Source-Projekt erfolgreich weiter ausgebaut wurde.

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Das Projekt wurde begleitend in der innerärztlichen Öffentlichkeit und in Gremien derBundesärztekammer vorgestellt, u. a. im Senat für Ärztliche Fortbildung und beimInterdisziplinären Forum im Januar 2006, in Workshops im September 2006 sowie inder Ständigen Konferenz der Vertreter der Geschäftsführungen der Landesärztekam-mern am 27. Januar 2006, 26. Januar 2007 und 28. Juni 2007.

Der Vorstand des Deutschen Senats für ärztliche Fortbildung hat am 5. Juli 2007 eine„Initiative E-Learning“ ins Leben gerufen, die als Informations- und Kooperations-plattform für E-Learning-Projekte der Kammern und Akademien dienen soll. Hierbeiist zunächst an die Themen “Tabakentwöhnung“ sowie „Prävention und Gesundheits-beratung“ gedacht. Die „Initiative E-Learning“ soll die Ergebnisse, Erfahrungen unddas Know-how des Projektes LearnART aufgreifen und fortentwickeln. Eine umfas-sende Abschlussdokumentation mit CD-ROM wurde rund 150 Adressaten im Novem-ber 2007 zur Verfügung gestellt. Die Landesärztekammer Hessen plant derzeit eingefördertes Anschlussprojekt zum Thema „Train the Trainer“. Vgl. hierzu www.learnart-online.de, www.bundesaerztekammer.de/ Ambulante Versorgung/Arzthelferin/Medizinische Fachangestellte.

10.2.6 Modellversuch „Betriebswirtin für Management im Gesundheits-wesen“

Der Erfolg und die Nachfrage nach der Fortbildungsmaßnahme „Praxismanagerin“der Ärztekammer Schleswig-Holstein, zunächst als durch das Bundesinstitut fürBerufsbildung gefördertes Modellprojekt von 2001 bis 2003, seit 2004 als Regelange-bot, zeigt den Bedarf in den Praxen nach hoch qualifizierten Mitarbeiter/-innen mitbesonderen Kenntnissen und Fähigkeiten im Managementbereich. Insbesondere dieneuen Kooperationsstrukturen im ambulanten Bereich und die Vernetzung ambu-lant/stationär verlangen zunehmend nach Personal, das den Arzt bei organisatori-schen und betriebswirtschaftlichen Aufgaben entlastet. Im zahnärztlichen Bereichzeichnet sich eine parallele Entwicklung ab. Medizinische Fachangestellte und Zahn-medizinische Fachangestellte sind auf Grund ihrer Kenntnis der realen Bedingungenim ambulanten Gesundheitswesen mindestens genauso gut wie vergleichbar fortge-bildete Mitarbeiter/-innen aus überwiegend kaufmännischen/verwaltenden Fachdiszi-plinen für diese Funktionen geeignet. Aufgrund der positiven Erfahrungen mit dieserFortbildung wurde auf der Basis des schleswig-holsteinischen Modells unter Feder-führung des Bundesinstituts für Berufsbildung gemeinsam mit der ÄrztekammerSchleswig-Holstein und der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe unter Beteiligung desVerbandes medizinischer Fachberufe ein gemeinsames Weiterbildungskonzept mitder neuen Berufsbezeichnung „Betriebswirtin für Management im Gesundheitswe-sen“ für die drei dualen Fachangestelltenberufe entwickelt. Das neue Curriculum wur-de im Berichtsjahr in der mittlerweile 9. und 10. Bildungsmaßnahme (seit April 2005)in Schleswig-Holstein durchgeführt. Die neue Prüfungsordnung „Betriebswirtin fürManagement im Gesundheitswesen“ wurde in Schleswig-Holstein durch den dortigenBerufsbildungsausschuss am 19. Oktober 2005 und von der Kammerversammlung derÄrztekammer Schleswig-Holstein am 30. November 2005 beschlossen.

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Seit Herbst 2005 sind die Ärztekammer Schleswig-Holstein und die Zahnärztekam-mer Westfalen-Lippe als Kooperationspartner an dem vom Bundesministerium für Bil-dung und Wissenschaft (BMBW) finanzierten Modellprojekt „Anrechnung beruflicherworbener Qualifikationen und Kompetenzen in Gesundheitsberufen“ auf denBachelor-Studiengang „Pflege und Gesundheit“ der Fachhochschule Bielefeld betei-ligt. Damit soll eine neue Möglichkeit geschaffen werden, die Attraktivität der Gesund-heitsberufe mit der späteren Durchlässigkeit zu einem Studium weiter zu optimieren.Vgl. hierzu die Homepage der Ärztekammer Schleswig-Holstein www.aeksh.de.

10.2.7 Fachliche Eignung von Ärzten zur Ausbildung

Im novellierten Berufsbildungsgesetz wurden zum 1. April 2005 neben weitreichen-den Neuerungen, z. B. erweiterter Kompetenzen der Berufsschulen und Berufsbil-dungsausschüsse, Anrechnung von schulischen Abschlüssen sowie Errichtung regio-naler Berufsbildungskonferenzen auch in § 30 die fachliche Eignung zur Ausbildungneu geregelt: Die frühere Regelung der alleinigen fachlichen Eignung von Ärzten/Ärz-tinnen für die Ausbildung von Arzthelferinnen/Medizinischen Fachangestellten istentfallen, wodurch auch andere Berufe der jeweiligen Fachrichtung auf dualer, fach-hochschulischer oder hochschulischer Ebene hätten ausbilden können.

Bereits im Vorfeld hatte die Bundesärztekammer teilweise gemeinsam mit demBundesverband der Freien Berufe per Schreiben vom 5. Oktober 2004, 9. November2004 sowie 31. Januar 2005 gegen die geplante Änderung interveniert. Das Bundesmi-nisterium für Gesundheit hatte die Bedenken allerdings am 7. Juni 2005 zurückgewie-sen und es abgelehnt, von der Möglichkeit einer ergänzenden Rechtsverordnung nach§ 30 Abs. 4 Nr. 3 (neu) Gebrauch zu machen, mit der der frühere Rechtszustand wiederhergestellt worden wäre. Auf Basis eines Beschlusses des Vorstandes der Bundesärzte-kammer vom 16. Dezember 2005 wurde das BMG am 22. Dezember 2005 erneut auf-gefordert, eine eigene Verordnung für approbierte Ärzte nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 zuerlassen, da zwischenzeitlich die rechts- und steuerberatenden Freien Berufe eine ent-sprechende Regelung erhalten hatten.

Nunmehr hat das Gesundheitsministerium nach langwieriger Prüfung und intermini-sterieller Abstimmung dem Votum der Bundesärztekammer entsprochen und am 7. März 2007 eine Verordnung über die fachliche Eignung (ausschließlich) von appro-bierten Ärzten und Ärztinnen für die Ausbildung im Ausbildungsberuf MedizinischerFachangestellter/Medizinische Fachangestellte erlassen. Von dieser Verordnung sinddie anderen freien Heilberufe ebenfalls erfasst. Sie trat rückwirkend zum 1. April 2005in Kraft.

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10.2.8 Neukonzeption der Berufsbildungsstatistik

Das novellierte Berufsbildungsgesetz, das zum 1. April 2005 in Kraft trat, enthält Neu-regelungen zur Erfassung der Medizinischen Fachangestellten-Auszubildenden imVerzeichnis der Ausbildungsverhältnisse der zuständigen Stellen und für die Erstel-lung der Berufsbildungsstatistik:

Zunächst sind seit dem 1. April 2005 gemäß § 34 Abs. 2 (§ 31 a. F.) erstmals die wesent-lichen Inhalte des Berufsausbildungsvertrages, die die zuständigen Stellen einzutra-gen haben, für jedes Ausbildungsverhältnis durch die Nummern 1 bis 8 festgelegt. DieRegelung korrespondiert nunmehr mit den Vorschriften in § 88 (inhaltlich identischmit Berufsbildungsförderungsgesetz § 5 a. F.) zur jährlichen Bundesstatistik. Diesdiente zunächst lediglich einer Klarstellung sowie Vereinheitlichung und schaffte beiden meisten Ärztekammern keine zusätzlichen Erhebungstatbestände.

Gemäß Artikel 2a in Verbindung mit Artikel 8 des Berufsbildungsreformgesetzes wur-den §§ 34 und 88 zum 1. April 2007 mit ausgeweiteten Erhebungstatbeständen in Kraftgesetzt; zugleich wird in 2007 die Erhebungsmodalität von bisher aggregierten Tabel-len auf Individualdatenerhebung umgestellt. Die neuen Daten beziehen sich imWesentlichen auf Auszubildende in berufsvorbereitenden Maßnahmen sowie aufArten der Förderung bei überwiegend öffentlich geförderten Berufsausbildungsver-hältnissen. Diese Daten wurden bisher von den meisten Ärztekammern nicht erho-ben.

Die Neukonzeption der Statistik war Gegenstand von fünf Sitzungen des Arbeitskrei-ses Berufsbildungsstatistik des Statistischen Bundesamtes von September 2004(bereits im Vorfeld der Reform) bis Dezember 2006 in Wiesbaden. Dabei ging esdarum, mögliche Umsetzungsprobleme bei den zuständigen Stellen systematisch zubearbeiten und den Kammern ggf. Hilfen zur Verfügung zu stellen. Im Mittelpunktstanden Fragen zu Übertragungswegen, Schnittstellen und Datensicherheit. DurchBeratung in der Ständigen Konferenz Medizinische Fachberufe am 25. Mai 2005,durch Rundschreiben vom 21. Juni 2005 und 31. Juli 2006 sowie durch Informationdes Arbeitskreises „Ärztestatistik und Datenverarbeitung“ am 17. März und 9. Sep-tember 2005 wurden die Ärztekammern kontinuierlich und umfassend über den Fort-gang der Arbeiten informiert. Das Statistische Bundesamt hat im Juli 2006 sein EDV-Konzept (Liefervereinbarung und Schnittstellenbeschreibung) vorgelegt. Seit Januar2007 müssen auf dieser Basis die Programme der Landesärztekammern umgestelltund die Organisation der Erfassung der ergänzenden Merkmale abgeklärt sein, denndie erste Erhebung mit Individualdatensätzen und zusätzlichen Merkmalen findetzum 31. Dezember 2007 statt, und zwar für die in 2007 neu begonnenen Ausbildungs-verhältnisse. Das Statistische Bundesamt führte Schulungsworkshops für die Kam-mern im November 2006 und Januar 2007 durch. Umsetzungsprobleme sind imBerichtsjahr nicht bekannt geworden.

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10.3 Weitere Fachberufe im Gesundheitswesen

10.3.1 Konferenz der Fachberufe im Gesundheitswesen bei der Bundesärzte-kammer

Gemäß dem Ziel der im Jahr 1989 gegründeten Konferenz, die interprofessionelleZusammenarbeit aller Gesundheitsberufe zu verbessern, wurden bereits in derAnfangsphase „10 Thesen zur Kooperation der Berufe im Gesundheitswesen“beschlossen (1989), eine Vereinbarung zwischen Bundesärztekammer und fünf Ver-bänden der Pflegeberufe zur „Kooperation zwischen Ärzten und Pflegeberufen“ (1993)sowie zum Thema „Kooperationsmodelle“ (dem sich allerdings die Verbände der Pfle-geberufe nicht anschlossen) erarbeitet (1994). Seit Mitte der 90er Jahre ist die Quali-tätssicherung ein Dauerthema. In jeder Sitzung hatte sich die Konferenz bisher mitden jeweils geplanten Gesundheitsreformen und den in diesem Zusammenhang stetsneu ins Gespräch gebrachten Varianten zur Kostendämpfung und der zunehmendenRationierung zu beschäftigen. – In der 19. Sitzung am 13. März 2007 standen die Aus-wirkungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes 2006 mit seinen weit reichendenFolgen für eine Vereinheitlichung und Nivellierung der Finanzierungsgrundlagen,einer Regulierung der Leistungen und der Zentralisierung der Krankenkassenstrukturim Mittelpunkt. Nach Auffassung der Vorsitzenden, Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-DietrichHoppe und Dr. Cornelia Goesmann, wird der allmähliche Paradigmenwechsel imdeutschen Gesundheitswesen – weg von der Therapiefreiheit und der Gestaltung desArzt-Patienten-Verhältnis auf der Mikroebene hin zur Versorgungssteuerung auf derMesoebene mit primär ökonomischer Zielsetzung – immer deutlicher. – Mit Blick aufneue Kooperationsformen zwischen den Gesundheitsberufen informierten die Physio-therapeuten über die Forderung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Heilmittelverbän-de nach einen Direktzugang zur Heilmittelversorgung ohne ärztliche Verordnung, wieer beispielsweise in Holland oder Norwegen existiert und forderten eine gesetzlicheNeuordnung der Schnittstelle zum Arzt. – Im fachlichen Teil der Konferenz, die erneutvon einer interprofessionellen Planungsgruppe vorbereitet worden war, ging es umneue Entwicklungen in der Qualitätssicherung. In einem Grundsatzreferat zum The-ma „Qualitätssicherung zwischen Zentralismus und Wettbewerb“ arbeitete die stellv.Hauptgeschäftsführerin und Leiterin des Dezernats Qualitätssicherung der Bundes-ärztekammer, Frau Dr. Klakow-Franck, Möglichkeiten und Grenzen eines Qualitäts-wettbewerbs im Gesundheitswesen und von Qualitätssteuerung als Instrument zurVersorgungssteuerung heraus. Insbesondere sei in den letzten Jahren durch neueInstitutionen eine noch stärkere Zentralisierung der Normgebung sowie Gleichschal-tungs- und Vereinheitlichungstendenzen erkennbar. Zusätzliche Elemente des Wett-bewerbs schafften letztlich nicht die notwendige Transparenz auf der Basis eines fairenLeistungswettbewerbs, sondern ließen den für internes Qualitätsmanagement not-wendigen Vertrauensschutz der Beteiligten weg brechen. Insbesondere führe die Qua-litätsstrategie, so wie sie das GKV-WSG abbilde, eher zu einem Pflichtqualitätswettbe-werb auf der Basis von Kontrolle und institutionellem Misstrauen. – Frau Selow, BundDeutscher Hebammen, informierte über das seit 1994 laufende Projekt „Qualitätssi-cherung in der außerklinischen Geburtshilfe“ als weltgrößter Auswertung außerklini-

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scher Geburten. Das Projekt zeige die hohe Qualität der außerklinischen Geburtshilfedurch Hebammen in Deutschland. – Über die Bedeutung von Pflegegeneralindikato-ren in der externen Qualitätssicherung referierte Frau Prof. Elsbernd am Beispiel desGeneralindikators Dekubitusprophylaxe der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssiche-rung. Durch die Entwicklung des Expertenstandards Dekubitusprophylaxe im Jahre2000 waren die Voraussetzung gegeben, einen von 24 Leistungsbereichen der BQSexklusiv für Pflege vorzusehen. Der Nutzen von Generalindikatoren liege in Informa-tion für Politik und Selbstverwaltung und der kontinuierlichen Verbesserung der Ver-sorgungsqualität; sie dienten als Informationsquelle für epidemiologische und klini-sche Forschung. Sie böten außerdem einen verstärkten Anreiz für internes Qualitäts-management und ermöglichten eine fachabteilungsübergreifende Betrachtung einesVersorgungsproblems. – Frau Oertel, Verband medizinischer Fachberufe, stellte dieErfahrungen beim Einsatz von Qualitätsmanagement in der Arztpraxis aus Sicht derArzthelferinnen/Medizinischen Fachangestellten dar. Die Motivation für Qualitäts-management liege nicht so sehr in externen Vorgaben, sondern im Willen und Mutaller Beteiligten zur Verbesserung von Praxisabläufen. Wichtig sei, dass zwar der Pra-xisinhaber eine Entscheidung über das System treffe und klare Ziele vorgebe; er dürfeden Prozess selber nicht als Vorschrift oder Zwang betreiben, sondern müsse trotzallen Aufwandes auf den zu erwartenden Nutzen für das Team und dem Patienten hinmotivieren. – Der zweite Themenschwerpunkt, die neuen Versorgungsformen, wid-mete sich der Darstellung verschiedener IV-Projekte zu den Themen „ChronischeWunde“ (Herr Tews, Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste), „Rücken-schmerz“ (Frau Zeitzen, Interessenverband freiberuflicher Krankengymnasten) und„Psychiatrische Versorgung Hannover“ (Herr Dr. Mayer-Amberg). Die Projekte zeigenzahlreiche Entwicklungen auf regionaler Ebene, die für eine Fortentwicklung des deut-schen Gesundheitswesens hin zu mehr Kooperation aus eigener Kraft sprechen. – Inder Pressemitteilung warnten die Berufe insbesondere vor einem Missbrauch derQualitätssicherung zur Versorgungssteuerung und Rationierung und forderten einestärkere Einbeziehung der Berufe durch die Politik bei der Entwicklung neuer Versor-gungskonzepte.

Die 20. Fachberufekonferenz wird am 12. März 2008 stattfinden. Als fachliche The-menschwerpunkte werden die Interprofessionelle Leitlinienentwicklung, die Inte-grierte Versorgung und die Entwicklung Elektronischer Berufeausweise und einesBeruferegisters für die Fachberufe sein. Vgl. hierzu www.bundesaerztekammer.de/Institutionen/Gremien.

10.3.2 Stärkere Einbeziehung nichtärztlicher Heilberufe in die medizinischeVersorgung

Auf Grund des in der Koalitionsvereinbarung vom November 2005 niedergelegtenPrüfauftrags einer stärkeren Einbeziehung nicht-ärztlicher Heilberufe in die Versor-gung hat sich das Gutachten des Sachverständigenrates zu Begutachtung der Entwick-lung im Gesundheitswesen vom Juli 2007 zu „Kooperation und Verantwortung“ u. a.mit der derzeitigen Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe befasst. Es kommt zudem Schluss, dass diese weder den Veränderungen im Morbiditätsspektrum noch den

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neuen strukturellen Anforderungen einer sektorübergreifenden Versorgung ent-spricht, dass sie durch Rechtsunsicherheit, mangelnde interprofessionelle Standardi-sierung, nicht immer effiziente Arztzentriertheit und Ausbildungsmängel gekenn-zeichnet sei. Der Sachverständigenrat empfiehlt zur Verbesserung von Qualität undWirtschaftlichkeit u. a.

– eine gesetzliche Modellklausel bzw. Modellversuche zur stärkeren Einbeziehungnicht-ärztlicher Gesundheitsberufe durch erweiterte Delegation oder Aufgabenüber-tragung,

– die Übertragung von bisher unzureichend abgedeckten Tätigkeiten auf nichtärztli-che Gesundheitsberufe, z. B. in der Prävention,

– größere Handlungsautonomien der nichtärztlichen Berufe (z. B. Verordnung vonPflegebedarfsartikeln durch die Pflege), auch auf der Basis eines neuen Heilkunde-begriffs,

– Poolkompetenzen für Tätigkeiten, die von mehreren Berufsgruppen ausgeführtwerden können sowie

– die Ausbildung auch nichtärztlicher Gesundheitsberufe an den medizinischenFakultäten.

Darüber hinaus hat die Gesundheitsministerkonferenz im Juli 2007 die Einholungeiner Expertise beschlossen, die mit Blick auf eine Umstellung der akademischen Heil-berufe auf eine gestufte Ausbildungsstruktur weitere Erkenntnisse über möglicher-weise neu entstehende Berufsbilder mit Bachelor-/Masterabschluss im medizinischenBereich und deren Marktlage unter Einbeziehung der übrigen ärztlichen Heilberufeliefern soll; sie hat darüber hinaus die Bundesregierung aufgefordert, eine Öffnungs-klausel zur Erprobung neuer (akademischer) Ausbildungsformen in die Berufsgesetzeaufzunehmen.

Die Bundesärztekammer hat in Stellungnahmen z. B. gegenüber den Gesundheitsmi-nisterien der Länder (Juni 2006) und vor dem Sachverständigenrat (August 2006), aberauch in zahlreichen Veranstaltungen im Berichtsjahr ebenfalls die notwendige Weiter-entwicklung der Kooperationsformen zur Bewältigung anstehender Versorgungserfor-dernisse deutlich gemacht. Als Prüfkriterien für neue Formen des Zusammenwirkensmüssen jedoch Qualifikation, Qualität und Sicherheit der Versorgung, Haftungsrecht,Zufriedenheit der beteiligten Berufsgruppen, Effizienz und Wirtschaftlichkeit gelten.Zu fordern ist eine Folgenabschätzung in medizinischer, ökonomischer und recht-licher Hinsicht, insbesondere was die Einführung einer weiteren Versorgungsebenebetrifft.

Einer Übertragung ärztlicher Kompetenzen, wie z. B. die Indikationsstellung, Thera-pieplanung oder Überwachung einer Anästhesie in die eigenständige Verantwortungnichtärztlicher Berufsgruppen steht die Bundesärztekammer aus Gründen der Patien-tensicherheit und der Versorgungsqualität ablehnend gegenüber. Die in den Begrün-dungen der Befürworter angeführten Versorgungsengpässe bei der ärztlichen Versor-gung z. B. in Flächenstaaten oder in den östlichen Bundesländern können nicht ein-fach durch das Einziehen einer neuen Versorgungsebene abgebaut werden, da hiermitzwar ein Zusatzangebot geschaffen, jedoch nicht das eigentliche Problem der Unter-versorgung mit ärztlichen oder pflegerischen Leistungen gelöst wird. Auch kann nichtdavon ausgegangen werden, dass eine neue Versorgungsebene zu einer Steigerung der

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Wirtschaftlichkeit führt. Der angeblich „dysfunktionalen Verteilung von Gesundheits-personal“ muss endlich durch eine Verbesserung der Rahmen- sowie der Vergütungs-bedingungen entgegen gewirkt werden, um den Rückgang des ärztlichen und pflege-rischen sowie des Personals in den Praxen niedergelassener Ärzte zu stoppen.

Allerdings machen auch aus Sicht der Bundesärztekammer Änderungen der Rahmen-bedingungen der gesundheitlichen Versorgung eine Anpassung von Strukturen sowieneue Versorgungskonzepte notwendig. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören:– der gesellschaftliche Wandel einschließlich traditioneller sozialer und familiärer

Netze– die demografische Entwicklung – das geänderte Krankheitsspektrum– das veränderte Selbstverständnis der Patienten– die gestiegene Komplexität der medizinischen Versorgung– die dauerhaft begrenzten finanziellen Ressourcen– die sinkende Berufszufriedenheit bei Ärzten und Pflegepersonal– die rückläufigen Arzt- und Pflegepersonal-Zahlen– das gewandelte Selbstverständnis der Fachberufe – der Bedeutungszuwachs von Gesundheitsförderung, Prävention, Rehabilitation– Konvergenzprozesse auf EU-Ebene hinsichtlich Gesundheitsdienstleistungen.

Nur eine aufeinander abgestimmte Professionsentwicklung der Berufe im Gesund-heitswesen, die die Gegebenheiten des gesellschaftlich akzeptierten deutschen Versor-gungssystems ausreichend berücksichtigt, kann zur Bewältigung der anstehendenFragen beitragen. Multiprofessionellen Teams kommt hierbei eine noch wichtigereRolle als bisher zu. Vorrangig ist es, die Zusammenarbeit von Hausärzten, Medizini-schen Fachangestellten und Pflegekräften unter Berücksichtigung der rechtlichen undstrukturellen Rahmenbedingungen neu zu justieren. Dabei muss es um Kompetenz-steigerung, Schärfung von Profilen sowie Spezialisierung im Kontext von Kooperationgehen. Die Bundesärztekammer betont dabei die Rolle des Arztes in der Koordinationder Versorgung der Patienten: Gerade in Anbetracht der Komplexität und Multifakto-rialität von Krankheitsursachen und -verläufen sowie moderner Diagnostik und The-rapie, aber auch der Kenntnisse der biografischen und sozialen Zusammenhänge derPatienten muss an der ärztlichen Steuerungsfunktion festgehalten werden.

Zugleich sollten Medizinische Fachangestellte – auf der Basis der neugestaltetenGrundausbildung sowie der neuen ergänzenden Fortbildungscurricula – stärker fürdelegierbare und koordinierende Aufgaben eingesetzt werden, wie sie bei der Chroni-ker-Versorgung, innerhalb von Disease-Management-Programmen oder IV-Verträgennotwendig sind. Darüber hinaus könnten MFA verstärkt im Bereich der Patientenbe-ratung und –schulung insbesondere im Rahmen von Gesundheitsförderung, Früher-kennung, Prävention, Rehabilitation und Versorgung älterer Patienten mitwirken. Siekönnen auch bei der Versorgung Pflegebedürftiger den Arzt überall dort gezielt entla-sten, wo im Vorfeld pflegerischer Versorgung ein Tätigwerden von Pflegediensten(noch) nicht notwendig ist.

Über die genannten Aspekte der Professionsentwicklung, die auch den Arztberufselbst betreffen (Fort- und Weiterbildung, Weiterentwicklung der KompetenzfelderSozialkompetenz, Führung, Patientensouveränität, Patientensicherheit, Organisation

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sowie Qualitätsmanagement) sind auch ärztliche Kooperationsformen weiter zu ent-wickeln. Darüber hinaus ist die Ermöglichung größerer Spielräume im Bereich derDelegation denkbar. Dabei sollte die Anbindung pflegerischer Tätigkeiten an die ärztli-che Verordnung im Rahmen medizinischer Behandlung unbedingt erhalten bleiben.

Veränderungen im Gesundheitswesen können nicht an der Erreichung berufspoliti-scher Wunschvorstellungen verschiedener Berufsgruppen ausgerichtet werden. Vor-liegende Studienergebnisse und Cochrane Reviews z. B. zum Thema „Substitution ofdoctors by nurses in primary care“ lassen jedenfalls nicht die Schlussfolgerung zu,dass positive Auswirkungen einer Übertragung ärztlicher Aufgaben an Heilhilfsberufebelegt werden könnten. Der Commenwealth Fund hat in seinem 6-Länder-Vergleichder Qualität der Gesundheitsversorgung aus Patientensicht im April 2006 zum Aspekt„Stärken und Schwächen der Koordination der Versorgung“ bei chronisch krankenMenschen eine Überlegenheit des deutschen System attestiert. In Anbetracht dessenkann die logische Schlussfolgerung nur lauten, die Steuerungs- und Koordinierungs-funktion des Arztes durch Schaffung besserer Rahmenbedingungen weiter zu stärkenund damit seiner (durch vielfältige Untersuchungen belegten) Vertrauensstellung beideutschen Patienten Rechnung zu tragen.

Diese Einschätzung wird durch die Ergebnisse eines Gutachtens belegt, das dieBundesärztekammer im Berichtsjahr zum Thema Casemanagement an ein wissen-schaftliches Institut vergeben hat, um Schnittstellen und Kooperationsmöglichkeitenanalysieren zu lassen, Empfehlungen hieraus zu diskutieren und ggf. umzusetzen.

Der Vorstand der Bundesärztekammer hat das Gutachten am 23. November 2007 zurKenntnis genommen. Seine „Botschaften“ sollen durch entsprechende Öffentlich-keitsarbeit sowie durch Meinungsbildung auf Bundes- und Landesebene weiter trans-portierten werden. Des Weiteren wird die Empfehlung vom Vorstand zustimmend zurKenntnis genommen, ein Fortbildungscurriculum Casemanager zu entwickeln. Darüber hinaus wurde die Thematik im Rahmen der „Förderinitiative Versorgungs-forschung“ als Untersuchungsfeld ausgeschrieben, und nicht zuletzt soll die Gemein-same Stellungnahme zu den „Anforderungen an die persönliche Leistungserbrin-gung“ von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung aus demJahr 1988 zur Vorlage auf dem Ärztetag 2008 fortentwickelt werden. Die Federführunghierfür liegt gemeinsam bei der Rechtsabteilung von Bundesärztekammer und KBVsowie Dezernat 3.

10.3.3 Kooperation mit den Pflegeberufen

Im Verhältnis zu den Pflegeberufen lässt sich u. a. anhand des Anfang 2003 abge-schlossenen Modellprojekts ”Interprofessionelle Kommunikation im Krankenhaus”[InterKiK] (siehe www.bundesaerztekammer.de/ Stationäre Versorgung) belegen, dassdie Gestaltung kooperativer Beziehungen seitens der Bundesärztekammer bewusstgesucht wird. Vor dem Hintergrund sich ändernder Bedarfe in Medizin und Pflegesowie neuer Versorgungsstrukturen in Folge des GKV-Modernisierungsgesetzes 2004,des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes 2006 sowie des geplanten Pflege-Weiterent-wicklungsgesetzes sind Zusammenarbeitsformen zukünftig verstärkt zwischen den

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Professionen sowie sektorenübergreifend zu realisieren. Hier kann man auf Gesprä-che mit dem Deutschen Pflegerat seit 2001 und auf Impulse aus dem im Jahr 2004begonnen Dialog des Vorstands der Bundesärztekammer mit Vertretern der Pflegeaufbauen. In einem Gespräch im April 2004 war man sich in der Einschätzung einig,dass die bisherige Zusammenarbeit auf verschiedenen Arbeitsfeldern erfolgreich ver-laufe und in der bewährten Form fortzuführen bzw. zu intensivieren sei. Der Vorstandsignalisierte Offenheit für die Optionen, die sich aus einem neuen berufspolitischen,fachlichen und gesellschaftlichen Selbstverständnis der Pflege und ihrer zukünftigenBedeutung in der gesundheitlichen Versorgung ergeben könnten. Die verbesserte Bil-dung der Pflegeberufe könne gleichzeitig zu einer stärkeren Ausdifferenzierung vonBerufsfeldern, zur Spezialisierung, aber auch zu Dequalifizierungstendenzen führen.Gemeinsam wurde kritisiert, dass die Ressourcen für die Ausbildung in der Pflegezunehmend verknappt werden und dass heute schon neben einem Ärztemangel einMangel an qualifizierten Pflegekräften konstatiert werden muss. Hinsichtlich der vonden Pflegeverbänden weiterhin kritisch gesehenen Koordinationsfunktion des Arzteswurde vom Vorstand deutlich gemacht, dass insbesondere im Bereich des CaseManagements als einer komplexen integrierten medizinischen Behandlungsbeglei-tung die Verantwortung nur von einem Arzt übernommen werden könne. Unabhän-gig davon konstatierten beide Seiten, dass die Situation an der ärztlichen und pflegeri-schen Basis häufig in Form fruchtbarer Kooperation abläuft. Auch die in einemArbeitsgespräch im Januar 2005 vereinbarten konkreten Zusammenarbeitsformenund Abstimmungsprozeduren in verschiedenen Qualitätssicherungsgremien aufBundesebene haben sich im Berichtsjahr bewährt.

Gleichermaßen wurde die Tradition der sog. „Spitzengespräche“ im Juni 2006 zwi-schen Vertretern des Deutschen Pflegerates und der Bundesärztekammer fortgeführt.Die Pflegeberufe vertraten folgende Auffassungen:– Ein neuer Zuschnitt von Berufs- und Arbeitsfeldern in der Gesundheitsversorgung

zur Sicherung des pflegerischen Nachwuchses sei dringend erforderlich. Angesichtsgeänderter demografischer, epidemiologischer, medizinischer und infrastrukturel-ler Bedingungen wird hierfür eine akademische Erstausbildung angestrebt, um imWettbewerb mit anderen Bildungsbereichen bestehen zu können.

– Keine Notwendigkeit bestehe hinsichtlich neuer Qualifizierungen im stationärenBereich, wie z. B. chirurgisch-technische Assistentin, Physician Assistant oder Anäs-thesieassistent, da keine Anbindung an nationale oder europäische Bildungsstruk-turen gegeben sei.

– Ein Neuzuschnitt von Arbeitsfeldern vor allem im ambulanten Bereich sei in Anbe-tracht der im internationalen Vergleich hohen Arztdichte bei gleichzeitigen Versor-gungsproblemen vor allem in der Fläche bei Chronikern notwendig. Das Modell derFamiliengesundheitsschwester sei zukunftsweisend. Die Pflege fordere mehr Auto-nomie in den Bereichen Medikamentengabe sowie Pflegeassessment mit Vor-schlagsrecht und ein pflegerisches Casemanagement vor allem im Übergang ambu-lant-stationär. Angestrebt wird das Verordnungsrecht für häusliche Krankenpflege.Die Verordnungshoheit des Arztes in Deutschland ist aus Sicht der Pflege anachro-nistisch und mit Blick auf Europa überholt.

Seitens der Bundesärztekammer wurde der geforderten neuen Versorgungsebene undder Zuständigkeit für Casemanagement eine Absage erteilt. Hinsichtlich des Verord-

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nungsrechts und der Übernahme ärztlicher Leistungen verwies die Bundesärztekam-mer auf die bestehende Rechtslage. Aufgabenveränderungen seien in Abgrenzung zurneugeordneten Medizinischen Fachangestellten und vor dem Hintergrund neuerOrganisationsformen zu prüfen. Die Gesprächspartner vereinbarten, das Papier„Kooperation zwischen Ärzten und Pflegeberufen“ aus dem Jahre 1993 auf der Basiseines vom Deutschen Pflegerat zu erarbeitenden konkreten Textvorschlages weiter zuberaten. Ein weiteres Gespräch hat – auch wegen paralleler Entwicklungen zum Sach-verständigenratsgutachten und zur Reform der Pflegeversicherung – im Berichtsjahrnicht stattgefunden. In zwei Zusammenkünften mit dem Arbeitgeberverband privaterAnbieter sozialer Dienste (bpa) im November 2006 und Oktober 2007 wurden über-einstimmend die Heimversorgung durch Ärzte, die Wundversorgung und die inter-professionelle Leitlinienentwicklung als Kooperationsfelder identifiziert und eineIntensivierung der Kontakte zur Verbesserung der medizinisch-pflegerischen Versor-gung vereinbart.

10.3.4 Weiterentwicklung der Pflegeversicherung

Zum Referentenentwurf eines Pflegeweiterentwicklungsgesetzes haben sich Bundes-ärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung im Rahmen einer Anhörungbeim Bundesministerium für Gesundheit am 24. September 2007 geäußert. Zur Kabi-nettsfassung wurde eine gemeinsame Stellungnahme zur Verwendung auf Landes-ebene erarbeitet. Folgende geplanten Gesetzesänderungen wurden unter dem Aspekt„Neue Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen“ ablehnend beurteilt:

– Konkretisierung des Versorgungsmanagements gem. § 11 SGB V: Dieses wird aufdie Krankenhausbehandlung (bzw. Reha-Entlassung) und den Übergang in weitereVersorgungen konzentriert und personell auf Pflegekräfte als „Care Manager“gestützt. Die Einschaltung nur von Pflegefachkräften und die unklare Abgrenzun-gen zur Kompetenz z.B. der Vertragsärzte wird kritisch gesehen. Nach § 73 Abs. 1Nr. 2 und Nr. 4 SGB V haben die Hausärzte eine Koordinierungsfunktion auch fürdie übrigen Leistungen außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Dieseskollidiert auch mit den geplanten Pflegestützpunkten nach SGB XI, denen ebenfallseine Koordinierungsaufgabe auch mit Blick auf medizinische Hilfs- und Unterstüt-zungsangebote zugewiesen wird.

– Übertragung von heilkundlichen Kompetenzen auf Krankenpflege- und Altenpfle-gekräfte in Modellvorhaben der Krankenkassen gemäß § 63 Abs. 3b und 3c neu: DieErweiterung der Delegationsfähigkeit bei Kranken- und Altenpflegern (Verordnungvon Verbandmitteln und Pflegehilfsmitteln und Ausgestaltung der häuslichen Kran-kenpflege) sowie die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten, bei denen es sich umselbstständige Ausübung von Heilkunde handelt, nach Zusatzqualifizierung auf derBasis berufsgesetzlicher Änderungen werden als teilweise ungeeignet und teilweiseunzulässig abgelehnt. Der Vorschlag für Modellvorhaben, die ausschließlich vonden Krankenkassen organisiert sind, birgt die Gefahr, dass ohne geordnetenZusammenhang Delegationsmöglichkeiten und Substitutionstätigkeiten entwickeltwerden, die nicht im Einklang mit ärztlicher Kompetenz und Verantwortung stehen.

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Zwar lässt sich die Möglichkeit von Modellvorhaben im Rahmen der Erweiterungvon Delegationsmöglichkeiten durchaus diskutieren; hier ist aber eine offeneAbgrenzung im Hinblick auf die Verordnung von Verbandmitteln und Pflegehilfs-mitteln (außerhalb der häuslichen Krankenpflege?) und im Hinblick auf die Ausge-staltung der häuslichen Krankenpflege (Welche Maßnahmen sollen hier delega-tionsfähig sein? Verordnung von Arzneimitteln?) kritisch zu sehen. Unklar ist dieAbgrenzung zur Ausübung der Heilkunde. Die in der Gesetzesbegründung darge-stellte Auffassung („Die in Frage stehenden Tätigkeiten fallen nicht unter den von § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes definierten Bereich der Ausübung der Heilkun-de“) stellt insoweit lediglich eine „selbstbestätigende“ Behauptung der Bundesregie-rung dar. Es müsste nämlich im Einzelfall geprüft werden, inwieweit die Abgren-zung erfolgen muss. Schon die „Ausgestaltung“ der häuslichen Krankenpflege imHinblick auf Inhalt und deren Dauer erfordert diagnostische Bewertungen des zuPflegenden, die in den Bereich der Heilkundeausübung hineinreichen. Es sollteauch bedacht werden, dass sowohl das ärztliche Berufsrecht, das Vertragsarztrecht,aber auch das Steuerrecht (Abgrenzung zur Gewerblichkeit!) voraussetzen, dass derArzt die persönliche und fachliche Leitung aller von ihm zu erbringenden Maßnah-men im Rahmen seines Verantwortungsbereichs erhalten muss. Außerdem sindauch medizinische Fachangestellte für einen Ausbau der Delegationsmöglichkeitenim Rahmen der ärztlichen Versorgung bei entsprechender Qualifikation in Betrachtzu ziehen.Im Übrigen stellt die Kategorisierung insbesondere der Vorhaben der Substitutionärztlicher Tätigkeit durch Angehörige der Krankenpflege- und Altenpflegeberufenach entsprechender qualifizierender Ausbildung einen rechtlich nicht haltbarenBeschränkungsgrund dar. Die Qualifizierung in einer ergänzenden Ausbildung (derSache nach handelt es sich jedoch um eine Weiterbildung) bedeutet, dass diejeni-gen, die die Qualifizierung erworben haben, auch dauerhaft die damit verbundeneTätigkeit ausüben dürfen. Es handelt sich damit nicht um temporäre Strukturen,sondern um Voraussetzungen für dauerhafte Kompetenzverleihungen, die dazu-führen, dass die Inhaber entsprechender Kompetenzen auch dauerhaft entspre-chende berufliche Aktivitäten entfallen wollen. Hinsichtlich der Systematik ist ein-zuwenden, dass ein relativer Begriff von Heilkundekompetenz geschaffen wird, dendas deutsche Recht bisher nicht kennt. Innerhalb der Angehörigen der Berufe derKrankenpflege und Altenpflege müsste unterschieden werden, welche Personen imEinzelnen als Individuen eine bestimmte heilkundliche Kompetenz ausüben dür-fen, während andere Absolventen entsprechender Anerkennungen dies nicht dür-fen. Dementsprechend handelt es sich nicht um eine Kompetenzverleihung im Rah-men einer beruflichen Ausbildung, sondern um punktuelle Kompetenzen durchentsprechende Weiterbildung. Da diese Qualifikationen im Rahmen von Modellvor-haben vermittelt werden, stellt sich außerdem die Frage, ob nicht verfassungsrecht-lich im Hinblick auf die Kompetenzverleihung zur Heilkundeausübung ein ent-sprechender Parlamentsvorbehalt verletzt wird, der es gebietet, dass der Gesetzgeberdie entsprechende Ausbildung vorschreiben müsste, die nach dem jetzigen Vor-schlag (vgl. Art. 15 und Art. 16 des Gesetzentwurfs) in individuellen Ausbildungs-plänen entsprechender Einrichtungen vermittelt werden soll. Auch wenn diese Aus-bildungspläne der Genehmigung des BMG bedürfen, entspricht dies nicht derSchaffung verlässlicher gesetzlicher Grundlagen zur Durchbrechung des Arztvorbe-

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halts der Heilkundeausübung. Für das GKV-Leistungserbringersystem können sol-che punktuell weitergebildeten Leistungserbringer keine taugliche Grundlage zurEntwicklung von Versorgungsstrukturen bilden. Diese müssen wie bisher unterBerücksichtigung des für die Versorgung der Versicherten maßgeblichen Facharzt-standards unter der Verantwortung des Arztes und der Zuordnung entsprechenderHilfsleistungen bestehen bleiben.

Insbesondere Modellvorhaben zur Substitution ärztlicher Tätigkeiten werden abge-lehnt, da sie den Einstieg in die Verselbstständigung der nichtärztlichen Berufe dar-stellen. Die mögliche selbstständige Leistungserbringung könnte bedeuten, dassKrankenkassen ärztliche Tätigkeiten durch selbstständig tätige Krankenpflegererbringen lassen. Nach den geplanten Änderungen der Berufsgesetze sind zwar ent-sprechende Zusatzqualifikationen gefordert, aber keine Beschränkungen vorge-schrieben. Einzige Kontrolle gegenüber unzulässigen „Experimenten“ stellen Aus-bildungspläne dar, welche vom Bundesministerium für Gesundheit zu genehmigensind. Da die Ausbildung auch an Hochschulen erfolgen kann, ist davon auszugehen,dass akademische Pflegeberufe (Bachelor, Master) an Hochschulen ausgebildet wer-den – mit allen Folgen für die Möglichkeit selbstständiger Tätigkeiten im Bereichärztlicher Tätigkeiten. Im Übrigen wäre die Folge im Rahmen solcher Modellvorha-ben, dass mit den Angehörigen des Pflegeberufs unmittelbar Leistungserbringer-verträge geschlossen werden müssten, gegebenenfalls auch mit den daraus folgen-den Haftungsproblemen. Dies ergibt sich auch aus der vorgesehenen Änderung des§ 15 Abs. 1 SGB V, wonach der Grundsatz, dass ärztliche Behandlung von Ärztenerbracht wird und Hilfeleistungen anderer Personen, soweit erforderlich, nurerbracht werden, wenn sie vom Arzt angeordnet und von ihm verantwortet werden,in den Modellvorhaben aufgehoben wird.

Zu kritisieren ist in der Begründung, dass die Substitution ärztlicher Tätigkeit ausGründen des „gebietsweise bereits eingetretenen und sich absehbar verschärfendenHausärztemangels in strukturschwachen Regionen, z. B. der neuen Bundesländer,zunehmend an Bedeutung“ gewinnen müsse. Zur Lösung eines Hausärztemangelsgibt es andere Modelle, die zwar in die Richtung einer Erweiterung von Delega-tionsmöglichkeiten in Zusammenarbeit von Hausärzten und entsprechenden Fach-berufen zielen könnten, jedoch nicht die Substitution ärztlicher Tätigkeit durchAngehörige anderer Gesundheitsberufe als sinnvolle Alternative erscheinen lassen.

Die etwaige Übertragung „kleinerer Diagnostik und Therapie“, zum Beispiel nachdem Vorbild des „Nurse Practioners“, in die Eigenverantwortung nichtärztlicherGesundheitsberufe legt regelmäßig Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsgewinne nahe,die bislang vorliegenden internationalen Studien widersprechen jedoch diesenErwartungen: Die Schaffung von Parallel- oder Alternativstrukturen zur ärztlichenVersorgung führt weder zu einer Steigerung der Versorgungsqualität, noch zu Ein-sparungen im Gesamtsystem, und trägt auch nicht zu einer wirksamen Entlastungder Ärzte bzw. zu einer Unterstützung der ärztlichen Versorgung in unterversorgtenRegionen bei. Eine nachhaltige Unterstützung der wohnortnahen ambulanten ärzt-lichen Versorgung ist am ehesten zu erreichen, wenn die „Unterstützungskraft“ indas Praxisteam integriert ist und die Leistungsfähigkeit des gesamten Praxisteamserhalten und gesteigert wird.

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– Änderungen des Krankenpflege- und Altenpflegegesetzes gemäß Art. 15 und 16:Die vorgesehenen Kompetenzerweiterungen für Angehörige der Pflegeberufe bzw.des Altenpflegeberufes werden durch Änderungen der Berufsgesetze ergänzt bzw.„abgesichert“. Unter anderem weiten diese das Tätigkeitsspektrum in den Bereichheilkundlicher Tätigkeiten aus, ohne dies genauer festzulegen. Hierin weichen dieVorschläge von § 3 in Verbindung mit § 9 MTA-Gesetz und von § 4 Hebammen-Gesetz, in denen heilkundliche Tätigkeiten im Sinne vorbehaltener Tätigkeiten aus-drücklich in enumerativer Form geregelt sind, ab. Der Sachverständigenrat für dieBegutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat die Schaffung vorbehalte-ner Tätigkeiten für Krankenpflegeberufe ausdrücklich als versorgungs-politischüberholt abgelehnt. Mit der nun im PfWG vorgeschlagenen neuen rechtlichen Vari-ante für die Pflegeberufe bleibt das künftige Aufgabenfeld im Bereich der Heilkun-de völlig offen und wird nicht vom Arzt abgegrenzt. Die Entscheidung, welche heil-kundlichen Tätigkeiten vermittelt werden, wird den Ausbildungsstätten überlassen.Das BMG erklärt sich selbst bzw. im Einvernehmen mit dem BMFSFJ dafür zustän-dig, die Ausbildungspläne der Ausbildungsstätten zu genehmigen (eigentlich Lan-desrecht), so dass letztlich das BMG indirekt auf die Ausgestaltung der erweitertenKompetenzen Einfluss nimmt (je nach Versorgungslage?). Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es verfassungsrechtlich möglich ist, dieAusübung der Heilkunde grundsätzlich und in der Form von Verwaltungsentschei-dungen nichtärztlichen Berufsgruppen zuzuweisen. Darüber hinaus wird in derBegründung ausdrücklich hervorgehoben, dass der Einsatz erweiterter Kompeten-zen aus Modellversuchen nach SGB V nicht auf die GKV begrenzt werden könne,sondern grundsätzlich die Ausübung der erlernten heilkundlichen Tätigkeit gestat-tet werden muss. In Verbindung mit der intendierten eigenständigen Leistungser-bringung läuft dies, wie schon im Zusammenhang mit den Modellvorhaben zurErprobung der Substitution ärztlicher Leistungen kritisch kommentiert, auf dieImplementierung einer neuen, nichtärztlichen Versorgungsebene hinaus.Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung sind derzeit damitbefasst, den Katalog delegationsfähiger Leistungen auf einen den neuen Versor-gungsherausforderungen gerecht werdenden Stand zu bringen, der die zwischen-zeitlich stattgehabte Weiterentwicklung der Qualifikationen nichtärztlicher Gesund-heitsberufe berücksichtigt, ohne den Grundsatz der ärztlichen Gesamt- bzw. Letzt-verantwortung für Diagnostik und Therapie aufzugeben. Die flächendeckende, wohnortnahe Gewährleistung des Facharztstandards stellteine der Errungenschaften des deutschen Gesundheitswesens dar. In einer der füh-renden Industrienationen der Welt wie Deutschland sollten die Patienten die Auf-rechterhaltung des Facharztstandards in Diagnostik und Therapie fordern dürfen.Es ist sehr befremdlich, dass ausgerechnet im Kontext der Reform der Pflegeversi-cherung, die eine Verbesserung der Gesamt-Situation der Pflegebedürftigen zumZiel hat, Vorschläge zur Entwicklung von Alternativmodellen zur ärztlichen Versor-gung unterbreitet werden, die de facto auf eine Absenkung des medizinischen Ver-sorgungsstandards in der ambulanten Versorgung hinauslaufen. Das PfWG solltestattdessen dazu beitragen, insbesondere für Pflegebedürftige einen chancen-glei-chen Zugang zur ärztlichen Versorgung sicherzustellen. Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung schlagen stattdessenvor, bestimmte Modellvorhaben zur Erweiterung von Delegationsmöglichkeiten bei

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ärztlicher Versorgung zuzulassen, in welche medizinische Fachangestellte einbezo-gen werden. Sie fordern, dass solche Modellvorhaben, die die vertragsärztliche Ver-sorgung betreffen, gemäß dem Grundsatz von § 64 SGB V nur in Verträgen mit Kas-senärztlichen Vereinigungen oder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entwi-ckelt werden sollten mit dem Ziel, insbesondere die Hausärzte bei derWahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen und zu ergänzen. Insoweit sollteauch ermöglicht werden, besondere Qualifikationsprogramme für medizinischeFachangestellte und die dafür notwendigen Standards durch die Beteiligten zu ent-wickeln. Durch Mitwirkung an der Novellierung der Ausbildungsverordnung für dieArzthelferin, jetzt Medizinische Fachangestellte (MFA), sowie Entwicklung zusätz-licher Fortbildungscurricula für die MFA haben die Ärztekammern die Weiterquali-fizierung der Arzthelferinnen vorangetrieben und Voraussetzungen für eine qualifi-zierte Unterstützung des niedergelassenen Arztes insbesondere in unterversorgtenGebieten geschaffen.Über die genannte Möglichkeit von Modellvorhaben hinaus sind die rechtlichenVoraussetzungen dafür zu schaffen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen dieEinbindung von qualifiziertem Fachpersonal in arztentlastende oder arztunterstüt-zende Maßnahmen unter Beibehaltung der ärztlichen Verantwortung ermöglichen.

Der Kulturausschuss des Bundesrates und der Bundesrat (14. bzw. 30. November2007) haben aus ähnlichen Gründen wie die Bundesärztekammer einen Paradigmen-wechsel im Gesundheitswesen kategorisch abgelehnt und eine organische Fortentwick-lung des Versorgungssystems durch Ausweitung der Delegationsmöglichkeiten anqualifizierte Fachberufe vorgeschlagen; der Bundesrat empfiehlt hierzu konkreteÄnderungen vor allem im Rahmen von Hausbesuchen. Nach der 1. Lesung imBundestag im Dezember 2007 ist für Januar 2008 eine Anhörung vor dem Bundes-tagsausschuss für Gesundheit vorgesehen.

10.4 Tarifangelegenheiten des Praxispersonals

Im Jahre 1968 wurde die AAA als tariffähige Arbeitgebervereinigung gebildet. Seitdem 1. April 1969 wurden 33 Gehaltstarifverträge und 13 Manteltarifverträge mit demVerband medizinischer Fachberufe (bis 2005: Berufsverband der Arzt-, Zahnarzt- undTierarzthelferinnen (BdA), dem Verband weiblicher Arbeitnehmer (bis 2002) sowie derDeutschen Angestellten Gewerkschaft und zwischen 1992 und 2002 wieder mit derGewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr bzw. mit der VereintenDienstleistungsgewerkschaft (ver.di) abgeschlossen. Die Geschäftsstelle wurde wegender überregionalen Bedeutung und der ordnungspolitischen Funktion bei der Bundes-ärztekammer angesiedelt.

In der Tarifrunde 2007 forderten die Arbeitnehmerinnen wegen der geringen Tarifer-höhungen der letzten Jahre (letzter Abschluss in 2004 mit 1 % Steigung) Erhöhungender Löhne zwischen 5 und 20 %, der Ausbildungsvergütungen um 20 % sowie dieAngleichung der Ost-Gehälter und Ost-Ausbildungsvergütungen an das Westniveau.

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Dass es im ambulanten Gesundheitswesen angesichts der Budgetierung wenig Spiel-raum für Gehaltserhöhungen gibt, stand für die ärztlichen Arbeitgeber außer Frage.Gleichzeitig ist aber auch klar, dass langfristig Lohnsteigerungen für das Personal rea-lisiert werden sollten, die der Leistung und dem Beitrag von Medizinischen Fachange-stellten/Arzthelferinnen zur Patientenversorgung gerecht werden. Mit über 300.000Beschäftigten sollen sie zukünftig eine verstärkte strukturelle Komponente in derambulanten Versorgung darstellen; ihr Potential muss angesichts geänderter Versor-gungsbedarfe und -strukturen stärker einbezogen und genutzt werden. Durch dieneue Ausbildungsverordnung, die zum 1.08.2006 in Kraft getreten ist, wurde der Berufvon den Inhalten her deutlich modernisiert und aufgewertet und auf die neuen Erfor-dernisse der Patientenversorgung ausgerichtet (Koordinierungs- und Betreuungsfunk-tion, insbesondere bei älteren, multimorbiden, chronisch kranken und pflegebedürfti-gen Patienten, aber auch wachsende Aufgaben in der Gesundheitsförderung, Präven-tion und Rehabilitation, im Praxis- und Qualitätsmanagement, in der Dokumen-tation). Dadurch bietet sich der Beruf verstärkt für die Übernahme delegierbarer Leis-tungen an, insbesondere auch zur Entlastung von Hausärzten. Neue Muster-Fortbil-dungscurricula der Bundesärztekammer in den Bereichen Patientenbegleitung undKoordination, Prävention im Kindes- und Jugendalter sowie Prävention bei Jugend-lichen und Erwachsenen, Ernährungsmedizin und ambulante Versorgung ältererMenschen einschließlich Hausbesuchen sollen dieses Ziel unterstützen. Die Arbeitge-ber strebten deshalb unabhängig von den arbeitnehmerseitig geforderten Steigerungs-raten von Anfang an stärker eine inhaltliche und strukturelle Fortentwicklung desGehaltstarifvertrages an: Die Gehaltstabelle und die Definitionen der Tätigkeitsgrup-pen sollten die Veränderungen in der Aus- und Fortbildung adäquat abbilden, um pra-xisrelevante Qualifikationen und Leistungen besser zu honorieren.

Mit Blick auf die drohende Altersarmut von Arzthelferinnen angesichts der Gehältersowie der geringen Inanspruchnahme der privaten Altersvorsorge (trotz einer eigenenPensionskasse) boten die Arbeitgeber anstelle einer höheren linearen Steigerung die Ein-führung einer arbeitgeberfinanzierten Altersversorgung an, allerdings bereits mittelfri-stig zu Lasten der vermögenswirksamen Leistungen in der bisherigen Form. Sie ver-zichteten darüber hinaus auf wesentliche Leistungskürzungen beim Manteltarifvertrag.

Die Ärzteschaft steht vor dem Dilemma, dass die angestrebte Stärkung der ambulan-ten Versorgung, auch durch eine angemessene Vergütung des Praxispersonals, an derstarren Budgetierung der Gesundheitsausgaben, insbesondere für den ambulantenSektor bisher an absolute Grenzen stößt. Die Grundlohnsummensteigerungsrate für2007 in Höhe von 0,64 % ist keinesfalls dazu geeignet, auch nur ansatzweise ange-messene Lohnsteigerungen zu realisieren. Anders als im stationären Bereich hat derGesetzgeber keine Möglichkeit vorgesehen, über diese von ihm festgesetzte Rate hin-ausgehende Gehaltssteigerungen zu refinanzieren. Deshalb wurden auch in einigendiesjährigen Ärztetagsbeschlüssen Zuschläge für Personalausgaben gefordert. Leiderist es trotz intensiver Bemühungen gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesver-einigung nicht gelungen, in den EBM-Verhandlungen sowie im Erweiterten Bewer-tungsausschuss im Oktober 2007 Krankenkassen und Bundesministerium fürGesundheit dazu zu bewegen, für 2008 die Personalkostenkomponente bei einer Erhö-hung der Gesamtvergütung angemessen zu berücksichtigen. Spätestens bei der Fest-setzung des bundesweiten Orientierungspunktwertes 2008 werden die Tarifabschlüs-

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se, vor allem die 100%-ige Angleichung der Ostgehälter, in die Kalkulation mit einflie-ßen müssen.

Trotz aller widrigen Umstände musste es zu einer deutlichen – im Verhältnis zu dies-jährigen Tarifabschlüssen in anderen Branchen allerdings wiederum nicht exorbitanthohen – linearen Tariferhöhung kommen, weil sonst das eingangs skizzierte versor-gungspolitische Ziel der Stärkung der ambulanten Versorgung bereits kurzfristig nichtmehr realisierbar wäre: Angesichts der derzeitigen Gehälter, einer zunehmend günsti-gen Arbeitsmarktsituation für Arzthelferinnen, eines geänderten Versorgungsbedar-fes und schon ab 2008 rückläufiger Schulabgängerzahlen könnte es sonst vielleichtschon bald nicht mehr zu einer angemessenen quantitativen und qualitativen Rekru-tierung von Personal für die Versorgungsaufgaben der Zukunft kommen.

In der 3. Verhandlungsrunde am 22. November 2007 (1. Verhandlungsrunde am 21. Juni 2007, 2. Verhandlungsrunde 10. Oktober 2007) hat die AAA mit dem Verbandmedizinischer Fachberufe einen Gehalts- und einen Manteltarifvertrag sowie einenTarifvertrag zur betrieblichen Altersversorgung und Entgeltumwandlung abgeschlos-sen. Medizinische Fachangestellte/Arzthelferinnen erhalten ab 1. Januar 2008 2,5 %mehr Gehalt. Der Ostabschlag bei den Gehältern in den neuen Bundesländern inHöhe von 14,75 % entfällt. Die Ausbildungsvergütungen Ost werden ebenfalls aufWestniveau angehoben; weitere Erhöhungen gibt es hier allerdings nicht. Arbeitneh-merinnen und Auszubildende haben ab dem 1. April 2008 erstmalig einen Anspruchauf einen Arbeitgeberbeitrag zur betrieblichen Altersversorgung. Er beträgt für Vollzeitbeschäftigte, Teilzeitbeschäftigte und Auszubildende nach der Probezeit ab 18 Stunden wöchentlich 20 € monatlich, für Teilzeitbeschäftigte mit bis zu 18 Stundenwöchentlich 10 €.

Im Gehaltstarifvertrag ist die seit 1990 bewährte Strukturierung der Gehaltstabelle inTätigkeits- und Berufsjahrgruppen beibehalten worden. Folgende Neuerungen sind zunennen: Der Durchstieg in höhere Tätigkeitsgruppen aufgrund Qualifizierung ist nunrascher als bisher möglich: Die bisherige Wartezeit von drei Jahren für Tätigkeitsgrup-pe 2 ist entfallen, die Wartezeit für die Tätigkeitsgruppen 3 und 4 wurde auf drei Jahreverkürzt. Dies trägt der Dynamik in den Arztpraxen und den Erwartungen junger bil-dungs- und leistungswilliger Frauen Rechnung. Des Weiteren wurde die Tabelle umeine zusätzliche Berufsjahrgruppe erweitert, um auch den zunehmend länger imBerufsleben verbleibenden Mitarbeiterinnen noch Perspektiven und Anreize zugeben. Die Definition der Tätigkeitsgruppe 1 wurde gemäß der gestiegenen Anforde-rungen sowie der in den Arztpraxen gelebten Realität angepasst; sie entspricht inhalt-lich der früheren Tätigkeitsgruppe 2. Die Definitionen der Tätigkeitsgruppen 2 bis 4wurden entsprechend modifiziert, sie enthalten aber nach wie vor eine „aufsteigende“Beschreibung nach zunehmender Selbstständigkeit, Komplexität der Tätigkeiten,abgeleisteter Fortbildung und Leitungsaufgaben. Zusätzlich wurde der Umfang absol-vierter Fortbildungsmaßnahmen, die einstufungsrelevant sind, quantifiziert, und zwarmit 40 Stunden für Tätigkeitsgruppe II, 120 Stunden für Tätigkeitsgruppe III und 280Stunden für Tätigkeitsgruppe IV. Wie bisher gilt, dass nicht die Fortbildung an sich,sondern die ausgeführte Tätigkeit Grundlage der Eingruppierung ist.

Als Ordnungsfaktor bei den Arbeitsbedingungen ist die AAA vor 39 Jahren mit demAnspruch gegründet worden, den Mindeststandard in den Beschäftigungsbedingun-

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gen festzulegen und eine normierende Funktion im Gehaltsgefüge auszuüben. DieseFunktion hat die AAA rückblickend gesehen mit Erfolg wahrgenommen. Dass sie die-se regulative Funktion immer noch erfüllt, zeigt nicht nur die Gestaltung der betrieb-lichen Altersvorsorge seit dem Jahr 2002, sondern auch der auch noch heute beachtli-che Anteil tarifbasierter Arbeitsverhältnisse sowie die weitestgehende Orientierung anden manteltariflichen Rahmenbedingungen in den Arbeitsverträgen, obwohl die Tarif-werke nicht allgemeinverbindlich sind.

In der Mitgliederversammlung am 22. November 2007 wurden der Vorstand und derTarifbeirat für vier Jahre neu gewählt sowie Satzungsänderungen beschlossen (Nameund Sitz); neue Vorsitzende ist Frau Dr. Goesmann, Hannover, die Stellvertreter sindHerr Dr. Hauptmann, Saarbrücken und Herr Dr. Kaplan, Pfaffenhausen.

Auch unter den immer schwierigeren wirtschaftlichen und gesundheitspolitischenRahmenbedingungen der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass Vorstellungen von Arbeit-geber- und Arbeitnehmerseite immer noch konsensfähig sind. Die stabilisierende Wir-kung von Tarifverträgen auf den Arbeits- und Betriebsfrieden sowie auf den innerärzt-lichen Wettbewerb um Arbeitskräfte ist nicht zu unterschätzen. Prozesse der Regiona-lisierung in anderen freiberuflichen Gesundheitsbereichen (z. B. bei den Zahnärzten)werden dort eher als nachteilig empfunden. Vgl. hierzu: www.bundesaerztekammer.de/ Ambulante Versorgung/Arzthelferin/Medizinische Fachangestellte.

10.5 Altersversorgung/Pensionskasse der Gesundheits-

berufe (GesundheitsRente)

Nach Vorberatungen der Tarifpartner seit 2000 wurden im Januar 2002 die Eckwerteeines Entgeltumwandlungsvertrages auf der Basis der seit 2001 geltenden gesetzlichenGrundlagen (Altersvermögensgesetz und Gesetz zur betrieblichen Altersversorgung)festgelegt und die Einrichtung einer spezifischen Altersversorgungseinrichtung fürPraxispersonal in Form einer Pensionskasse beschlossen, um den rund 95.000 Arztpra-xen in Deutschland eine orientierende Entscheidungshilfe für die Durchführung derAltersversorgung ihrer Mitarbeiter zu bieten und einen Beitrag zur Zukunftssicherungim Alter durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Altersversorgung zu leisten.

Mit dem „Tarifvertrag zur betrieblichen Altersversorgung durch Entgeltumwandlung“vom 23. Januar 2002 nebst Ergänzungen war für alle tariflich orientierten Arbeitsver-hältnisse formalrechtlich der Weg für die betriebliche Altersversorgung ab dem 1. Januar 2002 frei. Der Entgeltumwandlungstarifvertrag setzte die Vorgaben und För-dermöglichkeiten des Altersvermögensgesetzes in einer Form um, die sowohl dengesetzlichen Vorgaben genügt als auch den Bedingungen in den ärztlichen Praxen undden Bedürfnissen der Medizinischen Fachangestellten Rechnung trug. Die Modalitä-ten sollten gewährleisten, dass mit einem Minimum an Zeit und organisatorischemund finanziellem Aufwand für den Arzt ein Maximum an Förder- und Versorgungslei-stungen für die Mitarbeiter erreicht wird.

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War die Altersversorgung anfangs noch rein arbeitnehmerfinanziert – die Beiträgesollten z. B. aus den vermögenswirksamen Leistungen gespeist werden – wird mit demTarifvertrag betriebliche Altersversorgung und Entgeltumwandlung vom 22. Novem-ber 2007, der am 1. April 2008 in Kraft tritt, erstmalig eine arbeitgeberfinanzierte Ver-sorgung eingeführt.

Auf die neue tarifvertragliche Leistung eines Arbeitgeberbeitrags in Höhe von 20 bzw.10 Euro haben alle Medizinische Fachangestellten/Arzthelferinnen mit einem tarif-orientierten Arbeitsvertrag Anspruch. Dabei haben sie dabei die Wahl zwischen zweiFormen: Sie können zusätzlich zu einem VL-Vertrag einen Altersvorsorgevertragabschließen oder sie können den Arbeitgeberbeitrag mit den VL-Leistungen in einenVertrag zusammenführen: Sollten sie sich für letzteres entscheiden, dann erhalten dieArbeitnehmerinnen einen weiteren Zuschuss von 6 bzw. 3 Euro. Diese Variante istdurch den zusätzlichen Anreiz und die sich weiterhin ergebenden sozialversiche-rungsrechtlichen und steuerlichen Vorteile deutlich attraktiver. Die Einbeziehung vonAuszubildenden bereits nach der Probezeit erfolgte aus sozialpolitischen Gründen: Einfrühzeitiger Beginn ist gerade bei der Altersversorgung wichtig, da nur bei langen Ver-tragslaufzeiten auch mit kleinen Sparraten aufgrund des Zinseszinseffektes eine nen-nenswerte zusätzliche Altersversorgung aufgebaut werden kann.

Die Angestellte muss sich innerhalb von drei Monaten ab dem 1. April 2008 sowie beineuen Arbeitsverträgen oder Ablauf eines VL-Vertrages für eine der beiden Variantenentscheiden. Tut sie dies nicht, erfolgt automatisch eine Anmeldung zur betrieblichenAltersversorgung. Die Pro bAV als die Trägerin der im Jahre 2002 gemeinsam vonArbeitgebern und Arbeitnehmern entwickelten Pensionskasse bei der Deutschen Ärz-teversicherung wird das Anmeldeverfahren für die ärztlichen Arbeitgeber möglichsteinfach gestalten.

Ab dem 01.01.2015 sind nur noch Verträge zur betrieblichen Altersversorgung mög-lich. Die vermögenswirksamen Leistungen werden zu diesem Zeitpunkt als tarifver-tragliche Leistung abgeschafft (Ausnahme: auslaufende VL-Verträge, die ggf. bis Ende2014 zulässigerweise noch abgeschlossen wurden). Dadurch soll sichergestellt werden,dass Altersvorsorge zur Abwendung von Altersarmut flächendeckend in den Arztpra-xen implementiert wird und dass langfristige Vorsorge einen höheren Stellenwert alskurzfristig orientierter Konsum enthält.

Der Tarifvertrag sieht als Durchführungsweg das Pensionskassenmodell vor. DieseEntscheidung wurde unter den Tarifvertragsparteien nach eingehender Prüfung, ins-besondere hinsichtlich der Kosten für den Arbeitgeber (Wegfall der Insolvenzsiche-rung und Steuerfreiheit für Arbeitgeberbeiträge) und der (steuerlichen) Vorteile undFördermöglichkeiten für die Medizinischen Fachangestellten in 2002 einvernehmlichgetroffen. Gleichzeitig wurde die Schaffung einer eigenständigen Versorgungseinrich-tung für Praxispersonal beschlossen. Diese bietet i. S. einer Gruppenversicherung allewünschenswerten Vorteile hinsichtlich Rendite, Verwaltungskosten, Logistik undBeratung sowie Ablaufleistung. Mit Unterstützung eines renommierten externenBeraters wurde auf der Basis eines Ausschreibungs- und Auswahlverfahrens zwischenApril und Oktober 2002 der Träger dieser Versorgungseinrichtung ausgewählt; die Ent-scheidung fiel – gemeinsam und einvernehmlich mit dem Arzthelferinnenverbandund der Zahnärzteschaft (Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen

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der Zahnarzthelferinnen) – zu Gunsten der Deutschen Ärzteversicherung, Köln,gemeinsam mit der Deutschen Apotheker- und Ärztebank, Düsseldorf, aus. Die Vor-stände von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung haben diesam 27. September 2002 zustimmend zur Kenntnis genommen.

Nach Abschluss einer Kooperationsvereinbarung im Oktober 2002 wurde derGeschäftsbetrieb unverzüglich aufgenommen. Die Deutsche Ärzteversicherung (mitihrem speziell gegründeten Risikoträger Pro bAV) bot zunächst einen Vorsorgetarif inForm einer fondsgebundenen Rentenversicherung an, optional ergänzbar um eineBerufsunfähigkeitszusatzversicherung. Im Sommer 2003 kam als alternative Möglich-keit ein klassischer Rententarif mit Garantiezins hinzu.

Die Gründungsmitglieder begleiteten die Implementierung intensiv in Form einesLenkungsausschusses und seit Oktober 2003 im Rahmen eines neu geschaffenen Bei-rates, in den durch die Mitgliederversammlung der AAA am 19. September 2006 fürdie Ärzteschaft San.-Rat Peter Sauermann, Hamburg, Dr. Klaus Uffelmann, Gemün-den und Dipl.-Volksw. Franz Stobrawa, Bonn, wieder berufen wurden. Die Abschluss-zahlen (bis September 2007 rund 4.600 Verträge) bleiben bislang quantitativ hinter denanspruchsvollen Vorgaben zurück, was im wesentlichen auf die Zurückhaltung desVerbrauchers im Bereich „Altersversorgung“ aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtsi-tuation zurückzuführen ist; dies betrifft alle Anbieter in Deutschland gleichermaßen.Deshalb wurden auch in den Beiratssitzungen 2007 Möglichkeiten der Intensivierungder Öffentlichkeitsarbeit, der Verbesserung der vertrieblichen Möglichkeiten und derBeratung erneut erörtert, nachdem die Einbindung von MLP, Heidelberg in den Ver-trieb seit April 2005 nicht die erhofften Zuwächse erbracht hat. Nachdem nun tarifver-traglich ab April 2008 ergänzend zur Entgeltumwandlung eine „echte“ betrieblicheAltersversorgung in Form eines Arbeitgeberbeitrages und eines Zuschusses zur Ent-geltumwandlung geschaffen sowie die Überführung der vermögenswirksamen Lei-stungen in die Altersversorgung bis Ende 2014 festgelegt wurde, sind die Hoffnungengroß, dass die Gesundheitsrente auch quantitativ einen entsprechenden Schubbekommt. Seitens der AAA ist eine flächendeckende Information der Arztpraxensowie intensive Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen. Das Modell steht auch anderenBerufsgruppen und Institutionen/Arbeitgebern im Gesundheitsbereich offen. Vgl.hierzu www.bundesaerztekammer.de/ Ambulante Versorgung/Arzthelferin/Medizini-sche Fachangestellte.

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