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Einleitung Seit Oktober 1926 1 gehören zum Besitz der Papyrus-Sammlung der Universität von Michigan in Ann Arbor unter der Inventar-Nummer 3520 die nicht unbeträchtlichen Reste eines relativ alten Papyrus-Codex, dessen Inhalt man - wie den des schon länger berühmten Papyrus BL Or. 7594 - als "Biblical Miscellany" charakterisieren könnte. 2 Er enthält aus dem Alten Testament den Prediger Salomo (Ecclesiastes) und aus dem Neuen Testament den Ersten Johannesbrief und den Zweiten Petrusbrief in koptischer Übersetzung, wobei die Sprachform, in der das Koptische hier erscheint, eine Art von Fayumisch ist. Der Ankauf war freilich schon im Jahre 1925 erfolgt, und zwar als Bestandteil einer Kollektion verschiedener Papyri, deren wichtigstes anderes Teilstück ein ebenfalls fragmentarischer Papyrus-Codex mit dem Johannes-Evangelium in einer ähnlichen Form der koptischen Sprache war (P. Mich. Inv. 3521). 3 Schon dieser gemeinsame Ankauf der beiden Codices, ebenso wie ihr unmittelbares Nebeneinander im Inventar der Sammlung von Michigan, mag als ein Zeichen verstanden werden fur eine ganz besondere Beziehung, die zwischen diesen beiden Stücken - und zwar in vielerlei Hinsicht - besteht. Auch sie sind (ähnlich wie der Codex Scheide und der Codex Glazier) so etwas wie "Zwillinge." Schon Elinor M. Husselman versteht sie als "companion manuscripts)." 4 Überhaupt stammen alle vorangehenden authentischen Informationen aus Ann Arbor, dem neuen Zuhause der Codices, aus ihrer Feder. Und bis zu ihrem Wegzug aus Ann Arbor hoffte die Fachwelt auf eine Edition auch des P. Mich. 3520 von ihrer Hand, nachdem sie die des companion manuscript, P. Mich. 3521, im Jahre 1962 hatte fertigstellen und herausbringen können. Und sie hatte dort ja auch schon wichtige Schritte zu seiner Erschließung getan und wesentliche Einsichten hinsichtlich seines Charakters gewonnen. Die Öffentlichkeit erfuhr zum erstenmal von der Existenz unseres Textes (und seines Zwillings) im Jahre 1942 im Rahmen der Vorstellung von "Coptic Texts in the University of Michigan Collection," wo sich folgender Eintrag findet: "Two large packets of leaves purchased in 1925, Inv. 3520 - 3521, which contain Ecclesiastes and John, are very much discolored and badly mutilated. In their present condition they could be read only with the greatest difficulty. Some fragments have been photographed with infra-red plates, and the results have been so 1 Husselmann 1962: 1. 2 Vgl. Layton 1987: 3-5. 3 Diese Papyrus-Kollektion, die schließlich nach Michigan ging, war übrigens nur ein Teil einer noch viel umfangreicheren Papyrus-Sendung, die der Kairiner Händler Maurice Nahman im Jahre 192S an das Britische Museum nach London geschickt hatte. Dieses Kaufangebot Nahmans galt aber eben nicht dem Britischen Museum allein, sondent zugleich den amerikanischen Universitäten Columbia (New York City), Princeton und Michigan (Ann Arbor), die den Kaufpreis zusammen aufbringen sollten. Es gibt im Archiv der Papyrus-Sammlung der University of Michigan einen Brief vom 22.7.1925, den F. L. Kenyon zusammen mit einem sechsseitigen Gutachten von H. I. Bell (das Gutachten, vom 16.7.1925, trägt die Überschrift: "Preliminary report on Nahman's papyri. 1925") an F. W. Kelsey geschickt hat (beides in Kopie), in denen von diesem Vorgang des näheren (einschließlich der Preisvorstellungen für manche Poeten und das Ganze, nebst Vorschlägen, wer was bekommen sollte) die Rede ist. In diesem Gutachten Beils erscheinen die beiden bedeutenden Papyri, die jetzt Mich. 3520 und 3521 heißen, im dritten der fünf Poeten, in die Bell das ganze Angebot zwecks Wertbestimmung und Preisveranschlagung eingeteilt hat, und zwar unter den Nummern 270 und 271 (das scheinen die Nummern der Begleitrechnung von Nahman zu sein), und es heißt dort von ihnen: "early Biblical rolle" (sic!), "of which, I believe, Mr. Cnim has sent a separate description to Prof. Kelsey." Und dann fügt Bell noch die Bemerkung hinzu: "I must add that Mr. Crum had time to examine only some of the Coptic material and that only veiy cursorily" (S. 2). "As regards the question of distribution" auf S. 5, wo er zunächst die Stocke aufzählt, die er für das Britische Museum wünscht, - in diesem Absatz lautet der letzte Satz dann: "I propose to assign all the Coptic and Demotic papyri to Michigan unless otherwise instructed." 4 Husselmann 1962: 6. Brought to you by | New York University Bobst Library Technical Services Authenticated Download Date | 2/11/15 10:08 PM

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Einleitung

Seit Oktober 19261 gehören zum Besitz der Papyrus-Sammlung der Universität von Michigan in Ann Arbor unter der Inventar-Nummer 3520 die nicht unbeträchtlichen Reste eines relativ alten Papyrus-Codex, dessen Inhalt man - wie den des schon länger berühmten Papyrus BL Or. 7594 - als "Biblical Miscellany" charakterisieren könnte.2 Er enthält aus dem Alten Testament den Prediger Salomo (Ecclesiastes) und aus dem Neuen Testament den Ersten Johannesbrief und den Zweiten Petrusbrief in koptischer Übersetzung, wobei die Sprachform, in der das Koptische hier erscheint, eine Art von Fayumisch ist. Der Ankauf war freilich schon im Jahre 1925 erfolgt, und zwar als Bestandteil einer Kollektion verschiedener Papyri, deren wichtigstes anderes Teilstück ein ebenfalls fragmentarischer Papyrus-Codex mit dem Johannes-Evangelium in einer ähnlichen Form der koptischen Sprache war (P. Mich. Inv. 3521).3 Schon dieser gemeinsame Ankauf der beiden Codices, ebenso wie ihr unmittelbares Nebeneinander im Inventar der Sammlung von Michigan, mag als ein Zeichen verstanden werden fur eine ganz besondere Beziehung, die zwischen diesen beiden Stücken - und zwar in vielerlei Hinsicht -besteht. Auch sie sind (ähnlich wie der Codex Scheide und der Codex Glazier) so etwas wie "Zwillinge." Schon Elinor M. Husselman versteht sie als "companion manuscripts)."4 Überhaupt stammen alle vorangehenden authentischen Informationen aus Ann Arbor, dem neuen Zuhause der Codices, aus ihrer Feder. Und bis zu ihrem Wegzug aus Ann Arbor hoffte die Fachwelt auf eine Edition auch des P. Mich. 3520 von ihrer Hand, nachdem sie die des companion manuscript, P. Mich. 3521, im Jahre 1962 hatte fertigstellen und herausbringen können. Und sie hatte dort ja auch schon wichtige Schritte zu seiner Erschließung getan und wesentliche Einsichten hinsichtlich seines Charakters gewonnen.

Die Öffentlichkeit erfuhr zum erstenmal von der Existenz unseres Textes (und seines Zwillings) im Jahre 1942 im Rahmen der Vorstellung von "Coptic Texts in the University of Michigan Collection," wo sich folgender Eintrag findet: "Two large packets of leaves purchased in 1925, Inv. 3520 - 3521, which contain Ecclesiastes and John, are very much discolored and badly mutilated. In their present condition they could be read only with the greatest difficulty. Some fragments have been photographed with infra-red plates, and the results have been so

1 Husselmann 1962: 1. 2 Vgl. Layton 1987: 3-5. 3 Diese Papyrus-Kollektion, die schließlich nach Michigan ging, war übrigens nur ein Teil einer noch viel umfangreicheren

Papyrus-Sendung, die der Kairiner Händler Maurice Nahman im Jahre 192S an das Britische Museum nach London geschickt hatte. Dieses Kaufangebot Nahmans galt aber eben nicht dem Britischen Museum allein, sondent zugleich den amerikanischen Universitäten Columbia (New York City), Princeton und Michigan (Ann Arbor), die den Kaufpreis zusammen aufbringen sollten. Es gibt im Archiv der Papyrus-Sammlung der University of Michigan einen Brief vom 22.7.1925, den F. L. Kenyon zusammen mit einem sechsseitigen Gutachten von H. I. Bell (das Gutachten, vom 16.7.1925, trägt die Überschrift: "Preliminary report on Nahman's papyri. 1925") an F. W. Kelsey geschickt hat (beides in Kopie), in denen von diesem Vorgang des näheren (einschließlich der Preisvorstellungen für manche Poeten und das Ganze, nebst Vorschlägen, wer was bekommen sollte) die Rede ist. In diesem Gutachten Beils erscheinen die beiden bedeutenden Papyri, die jetzt Mich. 3520 und 3521 heißen, im dritten der fünf Poeten, in die Bell das ganze Angebot zwecks Wertbestimmung und Preisveranschlagung eingeteilt hat, und zwar unter den Nummern 270 und 271 (das scheinen die Nummern der Begleitrechnung von Nahman zu sein), und es heißt dort von ihnen: "early Biblical rolle" (sic!), "of which, I believe, Mr. Cnim has sent a separate description to Prof. Kelsey." Und dann fügt Bell noch die Bemerkung hinzu: "I must add that Mr. Crum had time to examine only some of the Coptic material and that only veiy cursorily" (S. 2). "As regards the question of distribution" auf S. 5, wo er zunächst die Stocke aufzählt, die er für das Britische Museum wünscht, - in diesem Absatz lautet der letzte Satz dann: "I propose to assign all the Coptic and Demotic papyri to Michigan unless otherwise instructed."

4 Husselmann 1962: 6.

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4 Einleitung

successful that it seems probable that much of the text will be read eventually."5 Es folgt unmittelbar auf diese Vorstellung von P. Mich. 3520 und 3521 der Hinweis auf einen weiteren (jüngeren) Ecclesiastes-Text in Michigan, dessen spezifische Formulierungen die Art des hier vorgelegten Werkes bestimmt hat; d.h. sie wurden als Aufgabe verstanden, die (mit) zu lösen war. Es heißt dort nämlich: "In the last purchase, made by Professor Worrell, are several fragmentary leaves from another papyrus codex containing the book of Ecclesiastes in the Fayyumic dialect. It is large and well written, although the ink is somewhat faded. Hie text varies so greatly from the Sahidic as to be almost a paraphrase. How it compares with the Fayyumic text described above has not yet been determined. The inventory number is 6868.^

An dieser ersten Information über P. Mich. 3520 (und 3521) sind zwei ganz verschiedene Dinge hervorhebenswert, einerseits die "Verkürzung" bei der Angabe des Inhalts von P. 3520 auf den Ecclesiastes, andererseits der Hinweis auf den wenig hoffnungsvollen Erhaltungszustand der Fragmente mit der Quintessenz, daß eine Edition der Texte jedenfalls so ohne weiteres gar nicht möglich erscheint. Beides setzt sich in den späteren Verlautbarungen fort. Die Verkürzung des Inhalts von P. Mich. 3520 erscheint wieder in der Introduction von E. Husselmans Ausgabe des P. Mich. 3521, wenngleich beim genaueren Hinsehen deutlich wird, daß das nur die erste Einschätzung von Autoritäten des British Museum war, die dann Eingang in das inventory der Sammlung in Ann Arbor gefunden hatte. Denn auf dem Wege von Ägypten nach Ann Arbor, Michigan, hatte die Neuerwerbung in England "Station gemacht", um im British Museum einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen zu werden.7 Erst in Anmerkung 18 auf Seite 43 versteckt findet man E. Husselmans eigenes Ergebnis der Inhaltsprüfung, nämlich, daß "P. Mich. Inv. 3520 ... contained originally Ecclesiastes, I John, Π Peter, and possibly other texts."8 Aber jedenfalls erscheint es noch im Schlußsatz von H. J. Polotskys Rezension dieser Ausgabe von E. Husselman so, wo er der Hoffnung Ausdruck verleiht, daß dieser Ausgabe des P. Mich. 3521 bald die des P. Mich. 3520 folgen möge, als ob man da nur einen neuen Prediger-Text zu erwarten hätte.9 Was unsere zweite Hervorhebung betrifft, die ungewöhnliche Schwierigkeit des Materials, so hat sich in der Optik von E. Husselman im Laufe ihrer Beschäftigung mit den Texten eine gewisse Ungleichheit zwischen den beiden Zwillingen hinsichtlich der Probleme gezeigt Der P. Mich. 3520 gilt als noch schwieriger, als es der P. Mich. 3521 schon ist. Das ist einer der Gesichtspunkte für die Priorität ihrer Arbeit am P. Mich. 3521, die ja mit dem Erscheinen seiner Edition gekrönt wurde. In derselben kommt sie gelegentlich darauf zu sprechen. "Of the two, P. Mich. Inv. 3521, containing the Gospel of John, presents fewer difficulties, since it is in a somewhat better state of preservation and provides a more normal text."10 "P. Mich. Inv. 3520 was purchased with 3521 ... . It is also a single-quire codex, that contained originally Ecclesiastes, I John, Π Peter, and possibly other texts. The translations are so widely aberrant from any other versions we have that the reconstruction of the badly damaged text is difficult and

5 Worrell (ed.) 1942: 7f. (aus chapter I: The Collection of Papyri. By Elinor Mullet Husselman). 6 Worrell (ed.) 1942: 8. 7 Husselman 1962: 1 ("P. Mich. Inv. 3521 was received in October, 1926, at the University of Michigan in a collection

of miscellaneous papyri purchased in Egypt in 192S. As with other purchases made at this time the papyri were examined first at the British Museum, and a note in the inventory states that a separate description of this papyrus, and of Inv. 3520, which came with it, had been forwarded by Mr. Walter Crum. This note by Crum, if it was sent, has disappeared, and the two codices are described simply as two packets of papyrus leaves containing Ecclesiastes and the Gospel of John in Fayumic Coptic"). Vgl. dazu oben Atún. 3.

8 Husselman 1962: 43 Anm. 18. 9 Polotslcy 1964: 253 ("... darf vielleicht der Hoffnung Ausdruck gegeben werden, daß Mrs. Husselman auch ihre Lesung

und Bearbeitung des P. Mich. Inv. 3520 [Ecclesiastes] bald für publikationsreif erachten möge"). 10 Husselmann 1962: VII.

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P. Mich. 3520 5

often impossible. The preliminary work that has been done on the manuscript shows a number of variations in dialect between 3520 und 3521, ... ."u

Aber schon vor der ersten öffentlichen Verlautbarung über P. Mich. 3520 (und 3521) im Jahre 1942 hatte die Geschichte der untergründigen, lautlosen Wirkung dieser Papyri begonnen. Im Jahre 1935 wurden sie nämlich so weit konservatorisch behandelt, daß sie für W. R Crum fotografiert werden konnten, der sie (wie so vieles andere noch unveröffentlichte Material aus allen großen Sammlungen der Welt) in sein immenses lexikografisches Werk einbeziehen wollte und sollte.12 Jedenfalls beginnt mit der Überstellung der Fotos an Crum (was übrigens dessen zweiter Kontakt mit diesen Papyri gewesen sein dürfte13) und dessen Verarbeitung der Texte in seinem Lexikon - wie vorläufig auch immer - eine eigentümliche Wirkungsgeschichte, durch die die Michigan-Papyri berühmt geworden sind. Auf der anderen Seite, nämlich im Preface von Crums Coptic Dictionary vom Februar 1939, klingt das so: "The University of Michigan (thanks in the first instance to the mediation of the late Professor F. W. Kelsey) generously provided me with photographs of the entire Coptic collection."14 Und P. E. Kahle hat ein paar Stellen in Crums Lexikon identifiziert und zusammengestellt, wo man die Benutzung von P. Mich. 3520 (und 3521) auch wirklich sehen kann, weil die Papyri ausdrücklich genannt werden.15 Speziell mit unserem Codex P. Mich. 3520 geschieht das für das Sigma im Wort cen t (613 a 2), für das Perfekt auf Hori 2Λ- (635 a 20) und für die Erweiterung von 2ογΛ e- zu 2ογλ i c t € - (736 a If.). Dabei ist das Dialekt-Sigel für P. Mich. 3520 F, also = (auch) Fayumisch. Aber nach Crums Verständnis ist das nur vorläufig, wenn es in seinem Vorwort heißt: "The at present confused idioms included under the term Middle Egyptian, or, as in this book, Fayyûmic, may later on require special vocabularies, but most of its strange phenomena, so far as yet observed, have found a place here."16 Der gerade erwähnte P. E. Kahle ist nun auch die "Schaltstation" in der erwähnten Wirkungsgeschichte. Nach Crums Tod waren seine Fotos von P. Mich. 3520 (und 3521) mit dem übrigen Nachlaß in das Griffith Institute zu Oxford gekommen und später dort in die Hände von Kahle gefallen, der auf diesem Wege Kenntnis von den Traten erhielt.17 Und für Kahle waren sie nichts geringeres als das eigentliche Fundament für seine bahnbrechende, ja prophetische Erschließung oder Postulierung eines klar definierbaren, zwischen dem Subachmimischen (bzw. Lykopolitanischen) und dem Fayumischen liegenden, besonderen koptischen Dialekts, den er mit der vorgegebenen, bisher aber nur vage gebrauchten Bezeichnung "Mittelägyptisch", diese damit neu definierend, belegte. Ich habe jedenfalls einen Satz Polotskys, obgleich die letzte Wendung etwas Schwierigkeiten macht, immer in diesem Sinne verstanden. Er lautet: "Wenn Kahles 'mittelägyptischer' Dialekt bei den Fachgenossen einer gewissen mißtrauischen Zurückhaltung zu begegnen scheint, so kommt das z.T. wohl daher, daß die besten Denkmäler dieses Dialekts noch unveröffentlicht sind; glücklicherweise besteht begründete Aussicht, daß

11 Husselmann 1962: 43 Anm. 18 (Hervorhebung von mir). 12 "It was not until 1935 that anything was done with these unprepossessing fragments, which were deeply discolored, with

the writing taint and frequently much abraded. In that year they were carefully relaxed and the leaves were separated and photostated. The photostats were sent to Mr. Crum, who made use of the more legible fragments in the compilation of his Coptic dictionary (Husselman 1962: 1). Mr*. Husselmans Worte über die Arbeit Crams mit diesem Material scheinen einen kritischen Unterton zu haben. Vielleicht aber liegt in den betreffenden Worten nur Mitgefühl, denn es geht weiter "Unfortunately, because of the condition of the papyrus, the photostats were for the most part unsatisfactory, and at a later date photographs were made using infra-red plates and lighting in an attempt to bring out the faded writing" (Husselman 1962: 1).

13 Siehe oben Anm. 3 und 7. 14 Crum 1939: DC. 15 Kahle 1954: 225 Anm. 1 ("These two manuscripts are frequently cited in Crum, Dictionary, e-g. pp. 613a, 617a, 635a,

b, 667b, 688b, 689a, 736a, 754a, 786b, 787b"). Es wire interessant zu wissen, in welchem Verhältnis hier "frequently" zu "e.g." steht Kannte Kahle wirklich mehr Stellen?

16 Crum 1939: VI. 17 Vgl. Polotsky 1964: 251; Kahle 1954: 224. 225 mit Anm. 1 und 5.

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6 Einleitung

es damit bald anders wird."18 Zwar bezeugen sie den mittelägyptischen Dialekt nicht direkt, sondern irgendwie "schräg von der Seite" - Kahle nennt ihren Dialekt (zusammen mit dem des Londoner Didache-Exzerpts BL Or. 9271 und dem des ganz kleinen Fragments aus Eph 4 [BM 508 = BL Or. 4717(19)]) Mittelägyptisch mit fayumischem Einfluß.19 Aber es sind eben richtige Texte, während Kahles direkte Zeugnisse für den reinen mittelägyptischen Dialekt praktisch nur einige Textfetzen waren. Zwar ist Kahle selbst alsbald von seiner Annahme der selbständigen Existenz dieses "Zwischendialekts" wieder abgerückt,20 aber von dieser Frage der Nomenklatur ist ja die Tatsache unberührt, daß seine Zeugnisse für die Zwischenstufe, besonders eben P. Mich. 3520 und 3521, einen nicht unerheblichen nicht-fayumischen Einschlag aufweisen; und der ist eben im wesentlichen mittelägyptisch, bezeugt die Existenz eines rein mittelägyptischen Dialekts, auf den dieser Einfluß zurückgeht.21 Wichtig für unsere Beurteilung des Wertes von Kahles Einstufung des Dialekts von P. Mich. 3520 (und 3521) ist natürlich der Grad seiner Kenntnis der Texte. Dieser Wert wird nun deutlich herabgesetzt, wenn Mrs. Husselman schreibt: "Kahle has designated the dialect of P. Mich. Inv. 3521, as well as of P. Mich. Inv. 3520, as Middle Egyptian with Fayumic influence, judging the dialect mainly from citations from the two manuscripts in Crum's Coptic Dictionary."22 Wenn Kahle ihr das einmal persönlich anvertraut haben sollte, so ist es gut. Wenn sie es dagegen nur aus dem, was Kahle in seinem Buch geschrieben hat,23 herausgelesen haben sollte, würde sie sich selbst als Exegetin ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt haben. So schreibt doch bloß einer, der aus rechtlichen Gründen nicht offen verraten darf, was er sicher weiß!24 Polotsky weiß jedenfalls authentisch - ausdrücklich gesagt freilich nur im Blick auf P. Mich. 3521 -, daß Kahle sich sehr eingehend mit diesen Texten beschäftigt hat.23 Im Grunde hat übrigens die Forschungsgeschichte Kahle längst recht gegeben, nicht nur hinsichtlich des reinen Mittelägyptischen, insofern als bald nach Kahles frühem Tode eine stattliche Anzahl, zum Teil absolut vollständiger, Texte in diesem von ihm erahnten Dialekt zutage kam, sondern auch hinsichtlich seines Zwischendialekts zwischen dem Mittelägyptischen und dem Fayumischen. Nur ist im Rahmen der gegenwärtigen flexiblen Dialektologie des Koptischen das Spektrum noch erweitert, insofern als P. Mich. 3521 (Dialekt W in der Kasser-Funk-Konvention26) von P. Mich. 3520 und den anderen Zeugen dieses Sprachtyps27 dialektologisch unterschieden wird.28

18 Polotsky 1964: 251. 19 Kahle 1954: 224-227. 20 "The precise classification into separate 'dialects' is not completely justified by the bets, and often it is almost

impossible to state exactly where one dialect begins and what is to be regarded as the distinctive mark of a dialect. An obvious example are the dialects here classified as 'Middle Egyptian proper*, 'Middle Egyptian with Fayyumic influence' and 'Fayyumic'; on reflection it might have been better to class at least the last two under one heading of 'Fayyumic"' (Kahle 1954: 888£).

21 Polotsky 1964: 251. 22 Husselmann 1962: 11. 23 Kahle 1954: 224-227. 24 "I have copied a few pages from photostats in the Crum Material, but have not made use of them for the present study"

(Kahle 1954: 225 Anm. 1). "This estimate is based purely on the dialect of the Didache. A further discussion will have to wait until the Michigan MSS are published1' (Kahle 1954: 225 Anm. 5).

25 "Eine Photokopie, die Crum für sein Wörterbuch zur Verfügung gestellt worden war, kam mit seinem NachlaB in das Griffith Institute zu Oxford. Dadurch gelangte der Text zur Kenntnis P. E. Kahles, der sich eingehender mit ihm beschäftigt hat, als aus BaJa'izah 225 η. 1 zu ersehen ist.... Durch Kahle habe auch ich den Text kennengelemt, und von meinen Notizen, die auf seinen Abschriften und brieflichen Mitteilungen (1953/4) beruhen, werde ich unten Gebrauch machen" (Polotsky 1964: 251 [Hervorhebung von mir]).

26 Vgl. besonders Kasser 1990. 27 Vgl. Diebner/Kasser 1989: 94 Anm. 201. 28 DaB die Sprache der beiden Michigan-Handschriften genau besehen charakteristische Unterschiede aufweist, darauf hatte

ja schon Mrs. Husselman in ihrer Ausgabe von P. Mich. 3521 mit Nachdruck und in Beispielen hingewiesen. Vgl. "The dialect... differs in a number of details" (1962:1). "Further study of the two Michigan manuscripts has disclosed many significant variations in dialect" (1962: 11). "The preliminaiy work that has been done on the manuscript shows a number of variations in dialect between 3520 and 3521, a few of which may be mentioned here: (3520/21) I HC/1 C;

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P. Mich. 3520 7

Nach der Kasser-[Funk]-Konvention trägt der (die angestrebte Norm bildende) Dialekt von P. Mich. 3520 die Bezeichnung V4 und wird definiert als Früh-Fayumisch (F4) ohne Lambdazismus.

Aber auch abgesehen von der Geschichte und Nutzung der Crum-Fotos gibt es eine fruchtbare Fernwirkung des P. Mich. 3520 (und 3521) von Ann Arbor aus auf den "Rest der Welt" durch die Aussendung von Fotos an Gelehrte, die wissenschaftliches Interesse an diesen Texten hatten und deren Arbeitsprojekte, bei denen die Michigan-Texte eine Rolle spielten, auch einen Nutzen für die Papyrus-Sammlung der Universität von Michigan abzuwerfen versprachen. Zum Beispiel hatte Gerald M. Browne von der University of Illinois at Urbana/Champaign in seiner langjährigen Funktion als der für die koptischen Bestände der Michigan-Sammlung Zuständige einen Satz Fotos von P. Mich. 3520. Diesen Satz habe ich jetzt hier in Berlin zu meiner Verfügung. Denn G. Browne hatte die Freundlichkeit und offenbar auch das Recht, sie mir zu Vergleichszwecken für meine Arbeit an der Ausgabe von mittelägyptischen Texten anzuvertrauen. Auch das Herausgeberteam des P. Hamb. Bil. I29

konnte Fotos von P. Mich. 3520 (und P. Mich. 6868) für den Ecclesiastes-Teil seiner Ausgabe benutzen. Im Manuskript einer mir in Kopie vorliegenden Vorstufe der endgültigen Ausgabe, die textkritisch ausgerichtet war, erscheinen im Apparat die Lesarten von P. Mich. 3520 unter dem Siglum "Mich", während die Lesarten von P. Mich. 6868 mit eben dieser vollen Bezeichnung versehen sind (nur daß bei "Mich." kein Punkt steht). Es ist übrigens Bernd Jtfrg Diebner gewesen, der mir durch Abschriften von Stellen, an denen mich interessierende und für die Analyse des mittelägyptischen Dialekts relevante Wörter oder Formen vorkommen, den allerersten Kontakt zum P. Mich. 3520 vermittelt hat. Bei R. Kasser wiederholt sich gewissermaßen die Crum-Fotos-Geschichte. Auch er hat die Fotos bekommen, weil er an einem neuen koptischen Lexikon arbeitet, das in gewisser Hinsicht den "Crum" ersetzen und überbieten soll. Und auch seine Fotos wirken über Yverdon bzw. Genf hinaus, zum Beispiel insofern als er mich hat an ihnen Anteil haben lassen. Ohne Analogie ist freilich das Wunder, das sich mit Kassers Foto-Reservoir von P. Mich. 3520 vollzog. Im März 1988 bekam Kasser aus Ann Arbor plötzlich und völlig unerwartet Fotos von Fragmenten des P. Mich. 3520, die in dem (wohl) üblichen Foto-Satz nicht enthalten waren. Und diese neuen Fotos haben die Rekonstruktions- und Erschließungsarbeit am P. Mich. 3520 - wenigstens sofern sie sich fern von Ann Arbor vollzog - auf eine wahrlich neue Basis gestellt. Denn sie zeigten eine ganze Reihe von Fragmenten des Falz, also Mittelstücke von Doppelblättern, die außer dem doppelten Innenrand mit den Heftlöchern auch die Enden bzw. Anfänge der Schriftkolumnen des linken bzw. rechten Blattes, zum Teil mit nahezu direktem Anschluß an die lange bekannten Fragmente der betreffenden Seiten, darbieten. Damit war offenkundig, daß P. Mich. 3520 (wie P. Mich. 3521) ein einlagiger Codex war, wie Mrs. Husselman schon behauptet hatte.30 Aber sie saß ja an der Quelle, und so dürften ihr die Originale dieser neuen Fotos bekannt gewesen sein.

Die Geschichte dieses einlagigen Papyrus-Codex (enthaltend Eccl, lJoh, 2Petr und geschrieben im Dialekt W), der jetzt also P. Mich. 3520 heißt, vor seinem Ankauf für die Universität in Ann Arbor, der - wie gesagt - im Jahre 1925 erfolgte, ist nicht bekannt. Und so bleibt auch der Fundort im dunkeln. Daß man dennoch etwas mehr als nichts sagen kann, bzw. daß dies Mögliche schon von Mrs. Husselman gesagt worden ist, liegt an dem

n g c / n x c ; MàoCJJ I /M¿.(í>e; Ν I Μ/Ν I Β I ; ΝΗΟΥ/ΝΝΗΥ; ΝΑβ/ΝΧ I ; 2 I NÄ/2£eKeC; φ € 2 £ I /C€2S I . It is probable that λ (or ρ occurs with some frequency in 3520, and also that the perfect prefix is sometimes and sometimes 2 ¿κ-, ε Ρ ( β λ ) is always used with Greek verbs'' (1962: 43 Anm. 18).

29 Vgl. die jetzt vorliegende Ausgabe Diebner/Kasser 1989. 30 "Although the study of ... Inv. 3520 is still far from complete, it has been ascertained that it is also in a single quire"

(Husselmann 1962: 6). "P. Mich. Inv. 3520 ... is also a single-quire codex" (1962: 43 Anm. 18).

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δ Einleitung

Zwillingscharakter der beiden Michigan-Handschriften. Wie sie zusammen verkauft und angekauft worden sind, so dürften sie auch zusammen gefunden worden sein.31 Ich kann die diesbezüglichen Schlußfolgerungen und das Urteil von Mrs. Husselman nur bestätigen. Mir drängte sich derselbe Eindruck auf bei dem Versuch, das Verhältnis von P. Mich. 3520 und P. Mich. 3521 zueinander vor Ort näher zu bestimmen und zu beschreiben. Sie haben ja neben vielen Gemeinsamkeiten auch durchaus charakteristische Unterschiede. Aber nun ist das Wesensmerkmal, das sie am deutlichsten miteinander verbindet, der Grad und die Art ihrer Korruption. Die Qualität und der "Verrottungs"zustand des Papyrusmaterials ist (nahezu) gleich, ebenso wie die besondere Art der Verblassung bzw. des Verschwindens der Tinte und die Art der Verfärbung des Papyrus. Umgekehrt ist auch das, was erhalten ist, in der Art, wie es das ist - also zum Beispiel in der Art der Brüche -, gleich oder ähnlich. Man hat mithin den starken Eindruck, daß die beiden Codices unter den gleichen Bedingungen und also an demselben Ort "verfault" sind.

Wenn der Fundort in der Nähe des Ortes des einstigen Gebrauchs und der wiederum in der Nähe des Ursprungs- oder Entstehungsortes der Codices gelegen haben dürfte, dann müssen wir uns das Fayum oder dessen Nachbarschaft am Nil vorstellen. Darauf eben läßt mit hinreichender Sicherheit die Sprache, in der die Codices geschrieben sind - bei allen Unterschieden, die zwischen P. Mich. 3520 und P. Mich. 3521 und innerhalb von P. Mich. 3520 bestehen -, schließen, die eben so oder so in den Ausstrahlungsbereich des fayumischen Dialekts bzw. in den Rahmen der fayumischen Dialektfamilie gehört. Und es ist übrigens gerade der fayumische Dialekt bzw. die fayumische Dialektfamilie, der/die sich von allen Spielarten des Koptischen am sichersten auch geographisch lokalisieren läßt (was sich hier zu Recht im Namen niedergeschlagen hat), eben im Fayum und um das Fayum herum.32 Wir können uns also - was die Frage des Entstehungsortes betrifft - mit guten Gründen vorstellen, daß die beiden Michigan-Codices in ein und derselben Gegend Ägyptens, nämlich dieser, hergestellt worden sind. Aber bei der Herstellung, und zwar nicht nur unter der Frage des "Wo genau?", sondern auch unter der des "Für wen?", wird man nicht mehr an ein und denselben Platz denken dürfen. Dazu sind die Zwillinge denn doch zu verschieden, nicht nur, was ihre Dialekt-Norm anbelangt, sondern auch ihr Format und ihr Schriftduktus. An einen Ort zusammengekommen sein, um gemeinsam zu verrotten und schließlich doch noch gefunden und gerettet zu werden, können sie erst am Ende ihres (Eigen-)Lebens.

Mit alledem sind wir auch schon in die Nähe des Problems der Entstehungszeit des P. Mich. 3520 gekommen. Auch hier ist der Rahmen und der in Frage kommende Zeitraum durch das Zwillingsverhältnis unseres Codex zu P. Mich. 3521 prinzipiell bereits festgelegt und ist das konkrete Urteil vor längerer Zeit bereits, ohne inzwischen Widerspruch oder Korrektur hervorgerufen zu haben, wiederum durch Mrs. Husselman, schriftlich fixiert worden.33 Mrs. Husselmans Urteil der ungefähren Gleichzeitigkeit unseres P. Mich. 3520 mit ihrem P. Mich. 3521 bedeutet aber, daß auch er in die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts n. Chr. zu datieren ist. Denn für P. Mich. 3521 führen ihre diesbezüglichen Erwägungen zu eben dieser

31 Vgl. "The manuscripts were probably found together and the separated fragments were sometimes confused, so that often it has only been possible after considerable study to determine to which manuscript each fragment belongs" (Husselman 1962: 1). "P. Mich. Inv. 3520 was purchased with 3521 and the probability is that the two were found together" (1962: 43 Anm. 18).

32 Vgl. jetzt z.B. Funk 1988, besondere die Skizze auf S. 18Z 33 Vgl. "P. Mich. Inv. 3520 was purchased with 3521 and the probability is that the two were found together and that they

are rougfify contemporary (Husselmann 1962: 43 Anm. 18 [Hervorhebung von mir]).

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P. Mich. 3520 9

zeitlichen Ansetzung.34 Als einen unabhängigen Zeugen für etwa die gleiche implizite Datierung von P. Mich. 3520 kann man P. E. Kahle betrachten, wenn er von seinen Zeugen für den Dialekt M(f) das Londoner Didache-Exzerpt für den jüngsten Zeugen hält und ihn zu Beginn des fünften Jahrhunderts ansetzt35 Es bleibt also bloß noch übrig, diese beiden impliziten bzw. indirekten Datierungen unseres P. Mich. 3520 explizit zu machen und direkt zu formulieren. All die Indizien, die Mrs. Husselman für ihre frühe Datierung von P. Mich. 3521 ins Feld geführt hat, also vor allem die Kodikologie nebst Schrift und Schreibung, führen auch im Falle des P. Mich. 3520 auf die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts. Als besondere Aspekte des P. Mich. 3520, die aber ebenfalls auf eine frühe Ansetzung dieses Codex führen, kommen nun noch die folgenden hinzu: Der Vergleich und die Nähe zu Budges Deuteronomium etc. (= BL Or. 7594), was ja für Mrs. Husselmans Datierung des P. Mich. 3521 eine so zentrale Rolle spielte und der Datierung eine besondere Solidität verlieh (weil BL Or. 7594 der einzige alte koptische Codex ist, den man wegen seiner Kursive im Nachtrag mit einiger Sicherheit datieren kann), wird hier noch potenziert durch die Parallelität des Inhalts: auch P. Mich. 3520 bietet solch eine ungewöhnliche Mischung von Texten aus dem Alten und Neuen Testament Schon Mrs. Husselman hat bei ihrer Einordnung von P. Mich. 3521 auf die Nag Hammadi-Texte hingewiesen.36 Diese auch für die Datierung wichtige "Koordinate", die Mrs. Husselman nur "von Feme" sehen konnte, liegt jetzt direkt vor unser aller Augen. Unser P. Mich. 3520 gehört eben mit den Nag Hammadi-Handschriften zusammen in jene frühe Zeit, da ein freier, lockerer Buchschriftstil in Übung war, bevor der strengere sogenannte Bibelstil aufkam. Denn auch im Falle der Nag Hammadi-Handschriften legen Urkunden aus der Papyrusmakulatur der Einbände die Entstehung dieser Codices auf die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts fest37 Von den Nag Hammadi-Handschriften haben einerseits die Codices Π und ΧΙΠ, andererseits die Codices X und ΧΠ eine der des P. Mich. 3520 ähnliche Schrift Zum Vergleich eignet sich aber auch die Schrift des Genesis-Fragments aus dem Einband von Codex VQ3* und schließlich noch die Schrift des P. Berol. (Gnosticus) 8502.39 Aber von allem Vergleichbaren kommt der Schrift unseres Textes doch die Schrift von Budges Deuteronomium etc. am nächsten - und zwar ist die Verwandtschaft zwischen BL Or. 7594 und P. Mich. 3520 größer als die zwischen BL Or. 7594 und P. Mich. 3521 -, besonders was die Größe der Buchstaben im Verhältnis zum Raum bzw. eben den gesamten Komplex von Schriftduktus und Schriftbild anbelangt40 Die altertümliche Instabilität der Sprache ist beim Dialekt des P. Mich. 3520 (V4) noch unvergleichlich größer als beim Dialekt des P. Mich. 3521 (W). Ja, verglichen mit P. 3520 ist P. 3521 wohl normiert. Im Falle unseres Textes aber gehört die Instabilität geradezu zum

34 Vgl. "With the British Museum manuscript" ( - BL Or. 7594 [Budges Deuteronomium etc.]), "P. Mich. Inv. 3521 must be dated in the early part of the fourth century" (Husselmann 1962: 9). "It may be said that many of the peculiarities of the dialect of 3521 are those found in manuscripts of an early date. The irregularities indicate a stage in the written language when standardization had not yet taken place. Like the script, the format, and the version, the form of the dialect belongs in the early fourth century" (Husselmann 1962: 13).

35 Vgl. The manuscript of the Didache is probably the latest text in this dialect being written about the beginning of the fifth century" (Kahle 1954: 226). Zur eigenen Anschauung des Schriftbildes der Didache siehe jetzt den Faksimile-Ausschnitt bei Layton 1987: Plate 25,1 - No. 189. Für Kahles Auffassung vgl. auch noch das vorhergehende Urteil: "It may reasonably be questioned whether this dialect was ever original with peculiarities of its own, and in fact it seems much more probable that it was merely a later development of Middle Egyptian proper under Fayyumic or Bohairic influence, and was superseded by Fayyumic in the second half of the fifth eenturf (Kahle 1954: 225 IHervorhebung von mir]).

36 Husselmann 1962: 41 Anm. 4; 42 Anm. 10. 37 Vgl. Barns/Browne/Shelton 1981. 38 Vgl. Facs. Ed., Cartonnage, pl. 47-50. 39 Neben der hier verfolgten Linie gehören natürlich auch die vielen anderen, länger oder kürzer bekannten alten

koptischen Handschriften zu den "Koordinaten" der Datierung des P. Mich. 3520. 40 Vgl. z.B. P. Mich. 3520 p. 65 mit P. BL Or. 7594 Fol. 25b (Budge 1912: pl. II gegenüber von S. 54; das ist die einzige

Abbildung, auf der die Buchstaben in OriginalgrSBe erscheinen).

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10 Einleitung

Wesen der Sache selbst. Und schließlich weist auf ein relativ hohes Alter sogar auch noch der Inhalt hin, und zwar gerade das an ihm, worauf Mrs. Husselman ausdrücklich als etwas Abschreckendes schon hingewiesen hat: Sein Text ist eben unnormal41 und von dem anderer Versionen erheblich abweichend;42 d.h. er macht einen freien, wilden, urwüchsigen, unrezensierten Eindruck. Um auf den Anfang dieser Erwägungen zur Entstehungszeit zurückzukommen - da die gleiche zeitliche wie die gleiche lokale Plazierung des Ursprungs für die beiden Michigan-Codices nur eine ungefähre ist, kann oder muß man sich schließlich noch die Frage stellen, welcher von diesen beiden in dieser alten Zeit denn wohl noch der ältere und welcher der jüngere ist. Mir persönlich macht im direkten Vergleich zwischen P. 3520 und P. 3521 doch der letztere, der dialektologisch und inhaltlich "normalere", in der äußeren Gestalt den urwüchsigeren Eindruck. Wenn ich mich also entscheiden müßte, würde ich unseren P. Mich. 3520 eine Kleinigkeit später als den P. Mich. 3521 ansetzen.

Wenn wir all das im Grunde schon Gesagte nun auch noch unter den Gesichtspunkt der Bedeutung des P. Mich. 3520 für die Wissenschaft zu bringen haben, so sei zunächst das allgemeine qualitative Urteil vorausgeschickt, daß die große Bedeutung dieses Textes für alle Fachleute von vornherein feststand. Und jeder Koptologe und Bibelforscher hätte ihn gern von Anfang an benutzt und ausgewertet. Nur waren eben die äußeren Bedingungen nicht dazu angetan. Ein Textzeuge wie dieser war ohne Aufbereitung zu einer Ausgabe praktisch unbrauchbar. Und daß eine solche so lange auf sich warten ließ, lag - außer an der ungewöhnlichen Schwierigkeit des Objektes - daran, daß er nach dem Weggang von Mrs. Husselman aus Ann Arbor zunächst einmal verwaist war, ein Zustand, der durch die Entfernung seiner jetzigen Heimat von den Zentren der Koptologie nicht leicht zu kompensieren war. Es mag auch sein, daß er und seine Bedeutung durch die sensationellen Handschriftenfunde der jüngsten Zeit (Nag Hammadi-Handschriften, Bodmer-Papyri,43 große Textcorpora in reinem Mittelägyptisch) etwas in den Schatten geriet. Wenn man die wissenschaftliche Bedeutung des P. Mich. 3520 nun noch spezifizieren will, so kann man sie in dreierlei Hinsicht sehen (wobei wir uns zunächst fremder Zeugen bedienen).

1. Die Bedeutung seines instabilen Dialekts für die koptische Dialektologie. Das Urteil von P. E. Kahle gilt nach wie vor, daß jeder Versuch einer endgültigen Klärung der Beziehung zwischen dem Mittelägyptischen und dem Fayumischen, bzw., wie man auch sagen könnte, die Klärung des fayumischen Kontextes des Mittelägyptischen und umgekehrt die Klärung des mittelägyptischen Kontextes des Fayumischen, erst nach einer Edition der Michigan-Codices möglich sei.44 Während die eine Hälfte dieser Bedingung nun schon seit 1962 erfüllt ist, mußte auf die Edition von P. Mich. 3520 weiter gehofft werden.

2. Die Bedeutung, die der in P. Mich. 3520 enthaltene Text als solcher für unsere Kenntnis der fayumischen Bibel bzw. der Geschichte der fayumischen Bibelübersetzung(en) hat. Hier rufe ich als Gewährsmann W.-P. Funk auf, für den unser Text der mit Abstand umfangreichste Zeuge der frühen fayumischen Bibel im Dialekt F4 ist, so daß erst durch dessen zukünftige Einbeziehung seine "Concordance of Early Fayyumic Fragments" den ihr jetzt noch notwendigerweise anhaftenden Charakter der Vorläufigkeit verlieren kann.45

41 Husselmann 1962: VII. 42 Husselmann 1962: 43 Anm. 18. 43 Bzw. - nach den in Ansatz gebrachten (sehr nahe beieinander gelegenen) Fundorten - Nag Hammadi Ii-Papyri, Dishni-

Papyri oder Debba-Papyri; vgl. Robinson in Brashear/Funk/Robinson/Smith 1990: 3-15. 44 Vgl. Kahle 1954: 225 mit Anm. 5. 45 "This corpus is meant to be covered completely here, with two exceptions: the 'astrological' papyrus BL Or. 4929(2)

... and the most extensive witness found so far, the papyrus codex Mich. inv. 3520 (...). It is to be hoped that at least the last-mentioned manuscript can be included in a later, and more deGnite, concordance of this corpus (a separate preliminary concordance for this manuscript will be produced in the meantime)" [Funk 1992: 9],

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P. Mich. 3520 11

3. Die Bedeutung der Textform der in P. Mich. 3520 gebotenen Texte. Auf das Phänomen als solches, die Unnormalität seiner Texte, hat zwar Mrs. Husselman schon aufmerksam gemacht, aber seine Bedeutung hat sich mir erst nach und nach bei der konkreten Arbeit mit den einzelnen Texten erschlossen. Diese bedeutsame Unnormalität hat zwei Seiten. Da ist zuerst die Eigenständigkeit zu nennen, d.h. die Unabhängigkeit der hier gebotenen koptischen Übersetzung von den anderen uns bekannten koptischen Übersetzungen. Das ist besonders aufregend im eisten, alttestamentlichen Teil, insofern als die hiesige Übersetzung des Ecclesiastes nicht nur unabhängig ist von der sahidischen Übersetzung, sondern auch von den beiden anderen fayumischen Übersetzungen, die es für diese Schrift gibt, nämlich der des P. Hamb. Bil. 1 (in FT) und der des P. Mich. 6868 (FS). Eindrucksvoll und einladend zu näherer Untersuchung ist aber auch die offensichtliche Selbständigkeit der Übersetzung von lJoh und 2Petr gegenüber dem (uns bekannten) sahidischen und bohairischen Neuen Testament. Die andere Seite der Unnormalität ist die, offenbar von keiner nachträglichen Rezension gebändigte, Freiheit der Übersetzung bei unbestreitbarer sprachlicher Kompetenz ihres Autors. Da wird der Text zum Teil mehr paraphrasiert als übersetzt, aber auch ergänzt oder korrigiert, wo er keinen Sinn zu geben schien. Also das hier niedergelegte Verständnis der Texte, das ja beim ersten und dritten, einerseits wegen der Orakelhaftigkeit vieler Passagen des Ecclesiastes, andererseits wegen der komplizierten griechischen Konstruktionen im 2Petr, besonders schwierig ist und jeden modernen Exegeten vor die größten Probleme stellt, verdient unsere ganze Aufmerksamkeit, einschließlich der gelegentlich dabei vorkommenden Mißverständnisse.

Die hier nun vorgelegte Edition des P. Mich. 3520 hat zwei verschiedene Anfange und Hintergründe. Mein zunächst beiläufiges und dann immer zentraler werdendes Interesse an dem P. Mich. 3520 mit seinem - nach Kahle - mittelägyptischen Dialekt mit fayumischem Einfhiß stammt aus der konkreten Vorbereitungsarbeit zu den Editionen der rein mittelägyptischen Codices Scheide (erschienen 1981) und Glazier (erschienen 1991), war also zunächst rein sprachlicher Natur. Unter dem Einfluß des statement von A Shisha-Halevy im Rahmen seiner Rezension der Ausgabe des Codex Scheide "M cannot be rightly appraised without taking Fayumic into account"44 und in der glücklichen Lage, in die mich inzwischen die Überlassung eines Satzes von Fotos des P. Mich. 3520 durch G. M. Browne nebst dem Recht, davon Gebrauch zu machen, gesetzt hatte, habe ich bereits in der Einleitung der Ausgabe des Codex Glazier den P. Mich. 3520 ausgiebig benutzt zu einem ersten Versuch, den näheren und weiteren Kontext des Mittelägyptischen zu erfassen, besonders unter dem Gesichtspunkt der Zwischenstufen zwischen dem reinen Mittelägyptischen und dem Friihfayumischen.47 Das war aber nur möglich, nachdem man sich zuvor, als Pendant zur vorliegenden Ausgabe des P. Mich. 3521 durch Ε. M. Husselman, selbst einen handhabbaren Text des P. Mich. 3520 durch "theoretische" Zusammenfügung der auf den Fotos sichtbaren, zum Teil verstreuten, aber als zusammengehörig erkennbaren Fragmente hergestellt hatte. Als nun aber die Ausgabe des Codex Glazier fertig war, hatte auch mein "Privat-Text" des P. Mich. 3520 eine stattliche, lesbare und auch an sich mitteilbare Form angenommen. Da nach meinem Gefühl und der Einschätzung der allgemeinen Forschungslage nun sowieso die Zeit der "Nachlese" begonnen hatte und weil ich überzeugt war, daß wir es dem Entdecker des Mittelägyptischen, P. E. Kahle, noch schuldig seien, kam der Gedanke auf, ob ich nicht gleich selbst den Rest der Arbeit, der zu einer Ausgabe des P. Mich. 3520 nötig wäre, erledigen sollte. Als ich das beiläufig R. Kasser mitteilte, in der Meinung, es könnte auch das, was ich nun vorhatte, ihm für seine Arbeit am Koptischen Lexikon von Nutzen sein, erfuhr ich, daß er auch selbst schon

46 Shisha-Halevy 1983: 311 Anm. 2. 47 Vgl. Schenke 1991a: 69-80; siehe aber auch den Nachtrag auf S. VIII.

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12 Einleitung

an einer solchen Ausgabe des P. Mich. 3520 arbeitete, und zwar auch mit Bewilligung der Universität von Michigan. Und so kam es, auf seinen Vorschlag hin, dazu, daß wir unsere diesbezüglichen Bemühungen vereinigten.

Es bleibt noch übrig, etwas über den zweiten Quellfluß vor dem Zusammenströmen zu sagen. Er kommt aus einer etwas anderen Richtung. Wie ich es sehe, hängt Kassers Interesse am P. Mich. 3520 doch tatsächlich mit seinem Lexikonprojekt zusammen. Von daher sind ihm zwei komplementäre Aspekte zu eigen, einerseits der Schwerpunkt auf der reinen Dialektologie, d.h. auf der Frage nach der Plazierung der Sprache von P. Mich. 3520 innerhalb des Gesamtspektrums und der Hierarchie, man könnte auch sagen: des Koordinatensystems, der koptischen Dialekte, andererseits ein enzyklopädischer Zug; ein Lexikograph muß eben darauf aus sein, alles zu erfassen. Kassers Herangehen an die Sache, die an sich in vielen Publikationen zum Ausdruck kommt, ist vielleicht am leichtesten erreichbar und wird am besten anschaulich in den betreffenden Partien der großen Ausgabe des P. Hamb. Bil. I.4® Mit dem Zusammenfluß der Vorarbeitsströme begann eine Zeit fruchtbaren Gebens und Nehmens in vielerlei Bereichen.

» * *

Der ursprüngliche Editionsplan sah nun zwar vor, das gesamte Werk, zu dem als ganz wesentlicher Teil ja eine Faksimile-Ausgabe gehören sollte, gemeinsam herauszugeben. Im Laufe der darüber hingehenden Jahre hat sich das jedoch als ziemlich schwer durchführbar erwiesen, nicht zuletzt wegen unserer verschiedenen Muttersprache. Um die Sache nicht noch länger hinauszuzögern, haben wir jetzt einstimmig die folgende Zweiteilung beschlossen. Während ich selbst nur für diese deutsche Studienausgabe von P. Mich. 3520 und P. Mich. 6868, mit einer bloßen Skizze der Sprache von P. Mich. 3520, verantwortlich bin, bleibt die große, französisch verfaßte Faksimile-Ausgabe des P. Mich. 3520 nebst ausführlicher sprachlicher und lexikologischer Analyse von dessen Sprache in den Händen von R. Kasser.

48 Vgl. Diebner/Kasser 1989: besonders 70-108 und das Hauptregister 319-438 hinsichtlich seiner Hinweise auf die Gestalt, die die betreffenden Wörter und Formen in V4 haben.

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P. Mich. 3520 13

Kodikologie

Da das, was kodikologisch über einen so trümmerhaften Codex-Rest, wie es unser P. Mich. 3520 ist, zu sagen ist, nicht einfach deskriptiv sein kann, sondern wesenhaft rekonstruktiv ist, fangen wir hier am besten mit der Skizzierung der Arbeitsschritte an, die dazu gefuhrt haben, daß man sich doch ein Bild von dem Codex, von dem unsere Reste stammen, machen kann.

Der entscheidende Anstoß, der über die Bemühungen der bloßen Tertrekonstruktion je einzelner Seiten oder Seitenteile hinausführte und auch das ganze ehemalige Buch als Artefakt in den Horizont der Betrachtung treten ließ, war das oben erwähnte plötzliche Auftauchen von Fotos noch nicht bekannter Fragmente, vor allem derjenigen aus der Mitte von Doppelblättern. Die neue Welle der Aktivität, die das in Yverdon und Berlin auslöste, verbunden mit einer höheren Qualität der Rekonstruktionen, vollzog sich zunächst im Medium von Schere, Klebstoff und Papier. Ich hatte das erste Rekonstruktionsmodell mit nicht so kostbaren Xeros von den Fotos als Material, die Kasser zur Verfügung gestellt hatte, herzustellen. Also, die größeren und kleineren Fragmente waren auszuschneiden und auf doppelblattgroßem weißem Papier beidseitig puzzleartig zusammenzuordnen und aufzukleben. Hand in Hand mit dieser - übrigens mit Begeisterung ausgeführten - Schneid- und Klebearbeit ging der Versuch, auch die schon länger bekannten, aber noch nicht identifizierten Fragmente zu piazieren und (natürlich) eine neue Transkription herzustellen. Mein Xero-Modell ging dann nach Yverdon, wo Kasser das Ganze noch einmal, unter Opferung eines ganzen Fotosatzes, mit zerschnittenen Fotos machte. Was Kasser machte, war aber weit mehr als eine bloße Transposition von dem Medium der Xeros in das Medium von Fotos, sondern es gelang ihm dabei auch noch, "hoffnungslose Fälle" der alten kleinen Fragmente zu piazieren. Auch verwendete er viel Mühe darauf, den Abstand und die relative Plazierung der nicht direkt aneinanderstoßenden bzw. nicht einander sehr nahekommenden Fragmente zu justieren. Und zwar machte er es so, daß er den mutmaßlich zu rekonstruierenden Text in Originalgröße zwischen die aufgeklebten Fotoausschnitte schrieb. Ebenso trug er den fehlenden Text oberhalb und unterhalb der Fotos ein, wo die Fragmente nicht den oberen bzw. unteren Seitenrand zeigen, um kodikologisch eine Vorstellung von der Textmenge pro Seite und den Textzäsuren an den Seitenübergängen zu gewinnen. Wo solche Rekonstruktionen in den "freien Raum" gesetzt worden waren, erscheinen sie zwar als solche nicht in der vorliegenden Ausgabe; aber sie sind für die Kodikologie von bleibendem Wert und sind schließlich auch die Grundlage für die Bemessung und Plazierung der freigelassenen Räume in der Textdarbietung und auch für die Applizierung der Kapitel- und Verseinteilung an den freien Raum. Nebenbei gelang es Kasser auch, einige Lesungen an neuralgischen Stellen entscheidend zu verbessern. Schließlich ließ Kasser seine Foto-Klebearbeit wiederum fotografieren, Abzüge in Originalgröße machen und klebte die Abzüge je von Vorder- und Rückseite eines Doppelblattes zusammen. Und diese nunmehr flexible und in der Mitte auch einigermaßen faltbare Rekonstruktion des P. Mich. 3520 wurde in unser beider Namen als Dokumentation unserer Arbeit an der Erschließung des Papyrus und auch als Zeichen der Intensität unserer Editionsvorbereitungen an die Papyrussammlung der Universität von Michigan nach Ann Arbor geschickt Dort ist sie archiviert und jederzeit für Interessenten zur Benutzung verfügbar - ebenso übrigens wie Kassers Transkription nach dem damaligen Stand. Auf dem Modell sind übrigens auch Kassers oben beschriebene Füllungen der leeren Stellen mit abfotografiert, so daß dieses Dokument also auch ein Kontrollmittel für die in dieser Edition (auch im freien Raum) vorausgesetzte Textverteilung ist.

Als nächster, letzter und höchster Akt der praktischen rekonstruktiven Kodikologie blieb nur noch übrig, das Modell in die Realität zu übertragen, also in Ann Arbor die

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14 Einleitung

Originalfragmente - unserem Modell entsprechend - doppelblatt- bzw. blattweise zusammenzusetzen bzw. zusammenzuordnen und zugleich das Modell selbst am Original zu verifizieren bzw. zu korrigieren. Diese Aufgabe fiel wiederum mir zu; und sie konnte, früher als eigentlich geplant, schon im Jahre 1991, anläßlich des glücklichen Umstandes einer Einladung zu einer Kongreß- und Vortragsreise durch Kanada und die USA, im Anschluß daran, vom 13. bis 28.11., in Angriff genommen und praktisch zum Abschluß gebracht werden. (Bestimmte Korrekturen und Ergänzungen konnten beim nächsten Aufenthalt, vom 16.8. bis 30.9.1992, der der Kollation gewidmet war, vorgenommen werden.) Meine größte Sorge in der Erwartung der für mich doch ungewöhnlichen Aufgabe in Ann Arbor erwies sich als unbegründet. Ich stellte es mir schrecklich vor, all die vielen Glasrahmen, in denen ich mir die Fragmente verstreut enthalten vorstellte, zu öffnen, um die nötige Umverglasung vornehmen zu können. Manchmal geht das doch gar nicht, ohne den Papyrus zu zerstören. Also, würde es denn überhaupt möglich sein, was ich tun wollte? Aber die Sorge war unnötig. Denn die Fragmente waren, bis auf zwei Ausnahmen (vielleicht zu Ausstellungszwecken), noch gar nicht verglast. Sie lagen vielmehr zwischen gefaltetem löschblattartigem Papier. Und diese "Hefte" lagen gefächert und durchnumeriert auf fünf großen Tabletts, die wie offene Bilderrahmen aussahen.49

Die Arbeitsbedingungen und die Hilfsbereitschaft in Ann Arbor waren überwältigend. Zunächst einmal hatten sie dort große "Folder" mit einer "rutschfesten" Innenseite, die eigentlich als modernes Behältnis für gut erhaltene "freie" Papyri angeschafft worden sind. Sie waren etwas größer als die Doppelseiten unseres Codex-Modells. Ich bekam für meine Arbeit genügend viele davon und konnte so in aller Ruhe die Fragmente aus den kleinen "Heften" nach unserer Vorlage zusammensuchen, in diesen Foldern zusammensetzen und bis zur Verglasung dort "Zwischenlagern". Die Entnahmen sind auf den alten kleinen "Heften" im einzelnen vermerkt (mit Datum). Das nötige Material zur Verglasung, also die genügend große Zahl genügend großer Glasplatten, wurde schnell besorgt. Und zur konservatorisch-fachgerechten Durchführung der Verglasung wurde eine Restauratorin extra für diese Arbeit am P. Mich. 3520 völlig freigestellt. Der Name der jungen Dame ist Leyla Ulrike Lau-Lamb. Wir haben vorzüglich zusammengearbeitet und beide, wie ich glaube, bei der konkreten Arbeit eine Menge dazugelernt. Praktisch ging die Sache so vor sich, daß ich selbst die bereitliegenden Teile eines Doppelblattes aus dem betreffenden meiner großen Folder auf eine der vorbereiteten und gereinigten Glasplatten übertrug und nach dem Modell, der Zeilenführung und der Papyrusstruktur50 piazierte. Dann hat Frau Lau die Fragmente untereinander und auf dem Glas befestigt, dann ich wieder mit der Gegenkontrolle, ob etwa beim Befestigen etwas verrutscht war. Gegebenenfalls Korrektur. Wenn alles in Ordnung war oder schien, kam die Deckplatte darauf und wurden die beiden Platten mit einem weißen Rahmenband zugeklebt, wobei es zu einem kleinen Streit zwischen den Experten kam, ob man die Ecken offenlassen sollte oder nicht. Nun konnte man die Tafel umdrehen und auch noch die Stimmigkeit der (in der Regel) vertikal gefaserten Rückseite kontrollieren bzw. sich daran erfreuen. Bei dieser Prozedur gab es jedoch gewisse Schwierigkeiten, die dem Leser nicht verborgen bleiben sollen. Der Papyrus ist zum Teil sehr bröcklig. Besonders kleine Fragmente konnten schon bei der leichtesten Berührung zerfallen. Und ich mußte sie eben mindestens zweimal verlagern: vom "Heft" in den Folder und vom Folder auf das Glas. Dabei und dadurch ist ein klein wenig Verlust gegenüber dem Zustand, den die vorherigen Fotos wiedergeben, entstanden. Der Verlust ist indessen nicht groß, da die größeren Stücke meist noch erstaunlich

49 Der P. Mich. 3521 ist dagegen, bis auf einige nicht identifizierte Restfragmente, - offenbar schon lange - unter Glas. 50 Bis auf eine Ausnahme (p. 13/14 69/70) haben wir uns natürlich an der Seite mit der horizontalen Faserrichtung (—)

orientiert.

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P. Mich. 3520 15

gut zusammenhalten. Jedoch ist der Zustand so, daß es sich nicht empfiehlt, die Glastafeln zu stellen oder zu viel und zu heftig zu bewegen, welche Empfehlung in Ann Arbor übrigens sehr ernst genommen wird. Kleine Teile können sich auch zwischen den Glasplatten ablösen. Ein anderes Problem resultierte aus den modernen Erkenntnissen und Überzeugungen der Konservierungskunst. Zum Aufkleben und/oder Zusammenkleben der Fragmente durfte nur ein besonders papyrusfreundliches Klebepapier verwendet werden. Das mag zwar den Papyrus chemisch schonen; aber es klebt schlecht, viel schlechter als das jetzt verworfene herkömmliche Klebematerial. Und wenn solch ein Streifen ein paar Mal abgeht und erneuert werden muß, dann schadet diese Prozedur dem Papyrus (jedenfalls dem bröckligen Papyrus von P. Mich. 3520) auch, auf mechanische Weise und sogleich, abgesehen davon, daß solche mehrfachen Berührungen der Fragmente nur allzu leicht die sorgsamen Plazierungen wieder ins Rutschen bringen. Aus diesem Dilemma erklärt sich zum Beispiel der unbefriedigende Zustand der inneren oberen Ecke von p. 15/16, deren Form im Modell viel schöner ist. Das ist auch der Grund dafür, daß Frau Lau sich schließlich entschlossen hat, gleich relativ breite Streifen zu benutzen, also die mangelnde Klebkraft durch eine Vergrößerung der Kiebfläche zu kompensieren. Und dabei war das Ausrichten der Fragmente doch so schwierig, und zwar weil das wichtigste Orientierungsmittel, die Schrift selbst und der Zeilenverlauf, weithin ausfiel! Denn im allgemeinen ist das Original schwerer zu lesen als die Fotos. Es ist fast so wie bei den dafür berühmten Mani-Papyri: von weitem und im ganzen betrachtet sieht es ganz gut aus. Aber wenn man genau hinsieht, verschwimmen oder verschwinden die Buchstaben. Ich muß gestehen, ich hatte die größten Schwierigkeiten, wenn die Fragmente auf dem Glas lagen, zum Beispiel Anfang und Ende von ein und derselben Zeile, was auf der Transkription so klar war, auf dem Papyrus so schnell wiederzuerkennen. Oft mußte ich mich trotz der vorhandenen Schrift mehr nach dem Verlauf der Papyrusfaserung als nach dem Verlauf der Schrift richten, wie gesagt: mit dem bloßen - oder nur mit einem Vergrößerungsglas bewaffneten - Auge, und zunächst einmal. Später wurde das alles noch unter UV-Licht verifiziert. Der schlimmste daraus resultierende Fehler ist mir auf p. 19/20 passiert, wo in der ursprünglichen Verglasung und entsprechend auch in der ihr folgenden fotografischen Dokumentation das mittlere Fragment des breiten Mittelstreifens sogar auf dem Kopf stand. Das ist inzwischen im Original natürlich korrigiert worden. Aber es wird dennoch hier ausdrücklich bekannt für den Fall, daß doch jemandem die erste Fotografie vom Herbst 1991 in die Hände fällt.

Seit Herbst 1991, nach Abschluß der Verglasungsarbeit, sind der Zustand und die Aufbewahrungsart des P. Mich. 3520 wie folgt zu beschreiben: Die Hauptmasse befindet sich unter Glas, liegend, in einem Stahlschrank, und zwar sind es 19 doppelblattgroße Tafeln mit Text und vier gleich große Tafeln mit unplazierten Fragmenten. Hinzu kam nachträglich (Herbst 1992) noch eine kleine Tafel mit dem Rest von p. 9/10. Außerdem aber gibt bzw. gab es noch - in einem Regal gegenüber - zwei der großen Folder, die die Signatur P. Mich. 3520 tragen/trugen. In dem einen fanden sich elf nicht zu kleine, beschriftete Fragmente -ursprünglich waren es zwölf, aber eins davon konnte nachträglich als der gerade genannte Rest von p. 9/10 identifiziert werden -, die deswegen lange nicht verglast worden waren, weil noch Hoffnung auf ihre Identifizierung und Plazierung bestand. Inzwischen sind aber, während eines dritten Aufenthaltes in Ann Arbor, vom 26.7. bis 9.8.1993, der eigentlich nur der "Nachlese" galt, also der Klärung gewisser noch offengebliebener bzw. bei der häuslichen Ausarbeitung neu aufgebrochener Restprobleme dienen sollte, auch diese Fragmente aus dem eisten der beiden Folder noch unter Glas gebracht worden. Da eine Identifizierung sich bis jetzt doch nicht ergeben hatte, mußten auch sie vor dem weiteren Zerfall bewahrt werden. Auch schien es mir schließlich gut, sie noch in diese Ausgabe selbst einzubeziehen. Sie werden also als Anhang unserer Ausgabe des Textes von P. Mich. 3520 (mit)geboten werden - in der Hoffnung, daß meine Versuche, ihren Buchstabenbestand so weit wie irgend möglich zu entziffern (Versuche,

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16 Einleitung

die übrigens schon beim zweiten Aufenthalt im Jahre 1992 begonnen hatten) bzw. die Festschreibung dessen, was ich unter vielen Mühen zu sehen glaubte, sich später einmal vielleicht noch als nützlich erweisen möchten. In der einen kleineren Glastafel, die diese Fragmente jetzt enthält, ebenso wie in dieser Ausgabe, sind sie (im Unterschied zu der normalen Durchzählung der Fragmente [von 1 bis 120] auf zweien der vier großen Fragmententafeln) durch große lateinische Buchstaben bezeichnet. Dabei sind A bis Κ die oben genannten elf ansehnlichen Fragmente, während mit L und M noch zwei kleine, vordem nicht berücksichtigte Restfragmente hinzugekommen sind. In dem anderen Folder, der nun - nach dem Sommer 1993 - allein noch vorhanden ist, liegen in einem von Frau Lau kunstvoll gefalteten Papiercontainer, der das Herausfallen verhindern soll, all diejenigen Papyrusfragmente aus den ursprünglichen "Heften" des P. Mich. 3S20, die (mehrfach) fest zusammengeklebt sind, also so dick sind, daß man sie unmöglich zwischen Glasplatten konservieren kann. Manche weisen auf einer Seite eine rissige schwarze Kruste auf, die man gelegentlich einmal daraufhin untersuchen lassen könnte, ob das etwa ein Zerfallsprodukt von Leder ist. Auch sonst erhebt sich bei diesem Material die Frage, ob wir in ihm, oder wenigstens in einem Teil davon, Reste des alten Einbandes (Leder durch Papyrusmakulatur versteift) vor uns haben.

Ob das nun stimmt oder nicht, jedenfalls ist vom Inneren des Codex ungleich mehr erhalten als von seinem Äußeren. Die Falzfragmente stammen nämlich alle aus der inneren Hälfte des Codex und erlauben es, dessen innere zehn Doppelblätter mit Sicherheit zu rekonstruieren, wodurch zugleich gegeben ist, daß dieser Codex ein einlagiger gewesen ist Auch sind die originalen Seitenzahlen des Codex in der inneren Hälfte in größerer Zahl erhalten. Sie sind in einer der üblichen Weisen piaziert, nämlich oberhalb des Außenrandes der Schriftkolumne, und in der schlichtesten Weise mit einem einfachen Strich über den betreffenden Buchstaben, der sie als Zahlen markiert, versehen. Es handelt sich um die folgenden - einschließlich der halbsicheren und unsicheren - Zahlen: κΧ, [κ J β, κγ, κΣ, κε, κς, Χτ, Χλ, Xë, Χς, Χζ, Χη, Χθ, μ, ñe, Fir, ñS, ñe, Re, Rz, ñe, Ñ, ÑS, ñb, §ë, Sc. Diese innere Hälfte mit ihren erhaltenen bzw. sicher rekonstruierbaren Seitenzahlen determiniert, unter Einbeziehung der abschätzbaren Textmenge pro Seite, auch unsere Vorstellung von der äußeren Hälfte des Codex. Und für den Gesamtcodex ergibt das die folgende Struktur, die wir zunächst in der einfachsten Weise skizzieren. Wir blicken in Gedanken von oben (in der Skizze freilich von unten aus) in den aufgeschlagenen Buchblock hinein - bzw. durch ihn hindurch -und "sehen" und notieren also nur die Innenseiten der (Doppel-)Blätter.

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40

38

36

34

[32]

[30]

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26

24

[2]2

[20]

[18]

[16]

[14]

[12]

[10]

[8]

<6>

[4]

Ρ]

[41]

43

45

4 7

49

51

[53]

[55]

[5η

[59]

[61]

[63]

65

[67]

[69]

[71]

<73>

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18 Einleitung

Das erste, was in den Blick fällt bzw. betont zu werden verdient, ist die fast völlige Normalität der Struktur für einen einlagigen Papyrus-Codex. Die Faserrichtung der Innenseiten, auf die wir blicken, ist wie üblich (mit nur einer Ausnahme) die horizontale (—). Es liegt nur ein einziges Blatt verkehrt herum, und zwar p. [4]. Auch die Seitenzahlen (im Verhältnis zur Faserrichtung, mit ihrem Umspringen in der Mitte) ist (mit der einen Ausnahme) das Übliche: bis zur Mitte gerade Zahlen, von da an ungerade. Daß mit p. [61] ein eingebundenes Einzelblatt erscheint, ist auch normal, wenn auch in einem weiträumigeren Sinne. Aber zunächst einmal ergibt sich die Ansetzung eines Einzelblattes in diesem Bereich des Codex aus der Textkontinuität hüben und drüben, die drüben ein Blatt mehr verlangt, wenn, was nicht absolut sicher, aber der Papyrusstruktur nach mehr oder weniger wahrscheinlich ist, [20]—[63], [18]—65 und [16]—[67] als Doppelblätter zusammengehören. Die Normalität dieses Einzelblattes besteht nun darin, daß es zeigt, daß auch die Herstellung des Codex in der üblichen Weise geschehen ist, nämlich, daß die Doppelblätter des Codex aus Rollen geschnitten worden sind, und zwar vermutlich aus zwei. Und das Blatt p. [61] ist eben das letzte Stück der ersten Rolle, das kein Doppelblatt mehr ergab.51

Die Herkunft der Codexblätter aus Rollen verraten übrigens auch die - an den eindeutigen Stellen auch sehr auffälligen - Kolleseis. Das Auffällige ist, daß sie sich so oft im Falz oder in der Nähe des Falz finden und die Enden der horizontalen Fasern da oft einen Bogen machen (also nicht gerade enden). Ihre Breite beträgt ca. 2,5 cm; und auf der — Seite liegt das linke Ende des Kollema über dem rechten. Im einzelnen (von unten nach oben in unserem Doppelblatt-Stapel [siehe Skizze]): [16]—[67] (die sichtbare "Naht" liegt) links vom Falz, das Ende vom Schriftspiegel des

linken Blattes berührend; [18]—65 links vom Falz, den Rand des Schriftspiegels des linken Blattes störend; 24—[57] rechts vom Falz, den Rand des Schriftspiegels der rechten Seite berührend; [28]—[53] im Falz; 34—47 im Falz; 40—[41] 3,5 cm rechts vom Falz im Schriftspiegel.

Hinzu kommen noch zwei Stellen, an denen ich mir nicht sicher bin: [2]2—[59] eventuell (wenn nicht Riß) links vom Falz, den Rand des Schriftspiegels des

linken Blattes berührend; 26—[55] eventuell (wenn nicht natürliche Unregelmäßigkeit) rechts vom Falz, den Anfang

des Schriftspiegels des rechten Blattes störend. Unnormal oder wenigstens ungewöhnlich sieht indessen der untere Teil des Stapels, d.h.

der äußere Teil des Codex, jedenfalls zunächst einmal nach unserer Skizze in ihrer Unausgewogenheit, aus. Erhalten jedenfalls sind von der vorderen Hälfte des Codex mehr Blätter als von der hinteren Hälfte - bzw. vorauszusetzen. Vorauszusetzen ist ja natürlich ein Blatt mit der Seitenzahl 6 auf der Rückseite, von dem kein Rest erhalten oder bis jetzt identifiziert worden ist und das auf der Vorder- und Rückseite den Text von Eccl 2,(8)-(17) enthalten haben muß. Und vorauszusetzen ist hinten mindestens noch ein Blatt, auf dessen Vorderseite p. <73> - und vielleicht auch noch bis auf die Rückseite p. <74> sich erstreckend - das Ende des zweiten Petrusbriefes gestanden haben muß. Das Problem sind die Seiten (Blätter), die auf p. <74> noch gefolgt sein müssen, mit anderen Worten die hinteren Pendants von pp. [8], <6>, [4] und [2]. Und es ist offenbar diese "Leerstelle" in der Menge des Überlieferten, die in Mrs. Husselmans Inhaltsangabe von P. Mich. 3520 für das "and

51 Ich habe freilich noch keine Zeit gehabt - oder mir genommen -, um zu versuchen, ob man die Papyrusfa&erkontinuitüt zwischen den Ooppelblättem erkennen und bestimmen kann.

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P. Mich. 3520 19

possibly other texts" nach Eccl, lJoh und 2Petr verantwortlich ist.52 Kasser ist noch erheblich konkreter, wenn er in einer Vorarbeit erwägt, ob nicht hier am Ende des Codex, beginnend mit dem Rest von p. <74>, auf vier Pendant-Blättern <75>, <77>, <79> und <81 > nicht am einfachsten der Judasbrief vorzustellen wäre. Das würde den Leerraum wirklich gut füllen. Es ist freilich die Frage, ob ein solches "Duplikat" des 2Petr (richtig natürlich umgekehrt) mit dem sonstigen - weiträumigen - Auswahlprinzip des Auftraggebers für unseren Codex in Übereinstimmung zu bringen ist. Vor allem aber muß ich an die Parallele des P. Berol. 8502 denken, wo wir ein ähnliches Ungleichgewicht der beiden Hälften eines einlagigen Papyrus-Codex haben bzw. voraussetzen müssen.S3 Vielleicht also folgten auch im P. Mich. 3520 auf p. <73> gar keine beschriebenen und mit Seitenzahlen versehenen Blätter mehr, sondern nur noch leere End-Vorsatzblätter, und ist ihre Mc/i/erhaltung entsprechend nicht zufällig.

Nachdem wir uns mit alledem die Struktur des Codex und seine Probleme am vereinfachten Modell klargemacht haben, können wir jetzt auch die Details hinzunehmen. Und so ergibt sich das folgende Gesamtbild.

52 Vgl. Husselmann 1962: 43 Anm. 18. 53 Vgl. TUl/Scbenke 1972: 331f.; Schenke 1974: 315-317; Parrott (ed.) 1979: 11. 36-45.

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20 Einleitung

(lJoh 1,1-4) 40-(Eccl 12,13-14) 391 (Eccl 12,10-13) 38-(Eccl 12,6-10) 37| (Eccl 12,3-6) 36-(Eccl 11,9-12,3) 35| (Eccl 11,6-9) 3 4 -(Eccl 11,2-6) 33 1 (Eccl 10,17-11,2) [32]-(Eccl 10,10-16) [31] 1 (Eccl 10,1-9) [30]-(Eccl 9,13-10,1) [29] 1 (Eccl 9,9-12) [28]-(Eccl 9,3-9) [27] 1 (Eccl 8,17-9,3) 26-(Eccl 8,13-17) 25 | (Eccl 8,8-13) 24-(Eccl 8,1-8) 23| (Eccl 7,24-8,1) [2]2— (Eccl 7,18-24) 211

(Eccl 7,10-17) [20]-(Eccl 7,3-10) [19] 1 (Eccl 6,9-7,2) [18]-(Eccl 6,2-6) [17] 1 (Eccl 5,14-6,2) [16]-(Eccl 5,8-14) [15] 1 (Eccl 5,1-8) [14]-(Eccl 4,11-17) [13] 1 (Eccl 4,3-11) [12]-(Eccl 3,20-4,3) [11] 1 (Eccl 3,13-19) [10]-(Eccl 3,2-12) [9] 1 (Eccl 2,23-3,1) [8]-(Eccl 2,17-22) [7] 1 (Eccl 2,8- ) <6>-( 2,17) <5> (Eccl 2,3-8) [4] 1 (Eccl 1,13-2,1) p i -(Eccl 1,7-13) p i -(Eccl 1,1-7) m i

-[41] (lJoh 1,4-9) 142 (lJoh 1,9-2,3

—43 (lJoh 2,4-8) |44 (lJoh 2,9-15)

- 4 5 (lJoh 2,15-19) |46 (lJoh 2,19-24)

- 4 7 (lJoh 2,24-29) 1 [48] (lJoh 3,1-6)

-47 (lJoh 3,6-10) 1 50 (lJoh 3,10-16)

- 5 1 (lJoh 3,16-22) 15? (lJoh 3,22-4,2)

-[53] (lJoh 4,3-7) 1 [54] (lJoh 4,7-12)

-[55] (lJoh 4,12-17) 1 [56] (lJoh 4,17-5,1)

-[57] (lJoh 5,1-9) 1 [58] (lJoh 5,9-15)

-[59] (lJoh 5,15-20) 1 [60] (lJoh 5,20-21/2Petr 1,1)

-[61] (2Petr 1,1-4) 1 [62] (2Petr 1,5-10)

-[63] (2Petr 1,10-15) 1 [64] (2Petr 1,15-19)

-[65] (2Petr 1,19-2,3) |66 (2Petr 2,3-8)

-[67] (2Petr 2,8-13) 1 [68] (2Petr 2,13-18)

-[69] (2Petr 2,18-3,1) 1 [70] (2Petr 3,1-6)

-[71] (2Petr 3,6-10) 1 [72] (2Petr 3,10-14)

—<73>(2Petr 3,14- ) 1 <74>( 3,18)

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P. Mich. 3520 21

Von der Heftung in der Mitte dieses einen Doppelblattstapels, der gefaltet den Buchblock des einlagigen Codex ergibt, ist nichts erhalten - außer Spuren der Heftlöcher, im oberen Teil des Stapels, d.h. im inneren Teil des Buchblocks, da, wo der Falz der Doppelblätter hinreichend gut erhalten ist. Man glaubt, mehr oder weniger deutlich die drei unteren von ursprünglich vier Heftlöchera zu erkennen, deren ungleicher Abstand (vom untersten zum nächsthöheren ca. 4 cm; von diesem zum dritten von unten ca. 5,5 cm) an ursprünglich zwei Lochpaare denken läßt. Und das heißt wiederum, die Heftung des Buchblocks und seine (gleichzeitige) Befestigung an dem ursprünglichen Einband wäre in der ganz urwüchsigen und einfachsten Weise34 durch zwei verschiedene, miteinander unverbundene Heftfäden erfolgt zu denken.

Die Größe der ursprünglichen, so untereinander und mit dem Einband verbundenen Doppelblätter dürfte etwa 30 cm (Breite) χ 21,5 cm (Höhe) gewesen sein. Jedenfalls ist die größte erhaltene Höhe der Einzelblätter 21,5 cm und die größte erhaltene Breite eines Einzelblattes 15 cm. Und das Format unseres P. Mich. 3520 ist also größer als das des P. Mich. 3521.ss Der Größenunterschied wirkt übrigens nur, was die reinen Zahlen anbelangt, relativ gering,36 vom ästhetischen Gesamteindruck her liegen aber zwischen diesen beiden Formaten (und ihrer Ausfüllung - natürlich) "Welten": P. 3520 wirkt wie ein offizieller Groß-Codex und P. 3521 wie ein privates Taschenbuch. Das gilt trotz der offenbar ziemlich schlechten Qualität des Papyrusmaterials von P. Mich. 3520, die nicht nur jetzt schlecht ist (die Farbe des Papyrus ist jetzt braun bis schwarzbraun), sondern wohl schon bei der einstigen Herstellung des Codex schlecht war. Auf der für die Beschriftung immer etwas schwierigen Seite mit der vertikalen Faserrichtung ( | ) wirken die Papyrusblätter manchmal geradezu wie Kistenbretter.

54 Wie sie vor allem die Nag Hammadi-Codices zeigen; vgl. Facs. Ed., Introduction, 79,5-11. Siehe aber auch z.B. P. Bodmer XVI und XXIII, die allerdings aus mehreren Heften zusammengesetzt sind.

55 Einzelblatt ursprünglich ca. 18,5 χ 12 cm; vgl. Husselman 1962: 1. 2. 56 Siehe Mrs. Husselmans Formulierung "somewhat larger" (1962: 1 [Hervorhebung von mir]).

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22 Einleitung

Schrift und Schreibung

Beschrieben sind bzw. waren die Seiten des Codex mit je einer Kolumne. Das Grund/omjfli der Kolumnen, und das heißt der Schriftspiegel unserer Texte, läßt sich mit hinreichender Sicherheit einigen relativ gut erhaltenen Blättern entnehmen, wo diesbezügliche Messungen möglich waren und ausgeführt wurden. Danach ist als Format des Schriftspiegels für das ganze Buch vorauszusetzen ca. 17,5 cm (Höhe) χ 10,5 cm (Breite). (Die wirklich gemessenen Werte sind im einzelnen für die Höhe: 18,0 cm; 17,5 cm; 18,5 cm; 16,5 cm; 18,5 cm; für die Breite: 11,0 cm; 11,5 cm; 11,0 cm; 10,5 cm; 11,0 cm; 10,5 cm; 11,5 cm.) Entsprechend ergibt sich für die diesen Schriftspiegel einrahmenden Ränder folgende Breite:

Innenrand ca. 2,0 cm (gemessen wurde der doppelte Innenrand mit 3,5 bis 4,0 cm); Außenrand ca. 2,5 cm(die gemessenen Zahlen sind im einzelnen: 2,0; 2,5; 2,3; 2,5; 2,3;

2,5; 2,3 cm); Oberrand ca. 2,0 cm (dreimal wirklich so gemessen); Unterrand ca. 2,0 cm (die wirklichen Messungen bzw. Schätzungen hatten als Ergebnis:

etwa auch - wie oben - knapp 2,0 cm). Da wir gerade bei den Maßen sind, sei gleich hier auch eingefügt, daß die Höhe der einzelnen Normalbuchstaben 0,3 bis 0,4 cm beträgt.

In bezug auf die wirkliche Ausfüllung dieses Rahmens und also die konkrete Gestalt des Schriftbildes pro Seite besteht aber nun ein wesentlicher Unterschied zwischen dem ersten, alttestamentlichen und dem zweiten, neutestamentlichen Teil unseres Codex. Der Grund ist das verschiedene Genus der Texte. Der Ecclesiastes ist ja - und wird entsprechend behandelt - ein Stück Dichtung, während die beiden katholischen Briefe einfache Prosa sind. Das heißt, bei den Briefen ist der Schriftrahmen ganz normal ausgefüllt. Die Zeilen sind alle voll - mit der einzigen Ausnahme, daß die Zäsuren zwischen den einzelnen Versen in der Regel durch ein Spatium von ca. 1/2 bis 1 1/2 Buchstabenbreite markiert sind. Demgegenüber unterliegt die Schreibung des Ecclesiastes - in der für solche Stücke des Alten Testaments, besonders die Psalmen, durchaus üblichen Weise -dem Prinzip, die Erkenntnis der inneren, dichterischen Struktur des Textes durch die Art der Schreibung, besonders die Art der Zeilenführung und -anordnung zu unterstützen. Das heißt, die Schriftseizung des Textes erfolgt im Prinzip nach Sinn-bzw. Formeinheiten, also versweise bzw. verstei/weise bzw. kolonweise. Die wesentlichen Mittel dieser Art von Schreibung sind:

1. Die Einrückung eines oder mehrerer untergeordneter Vers-, Halbvers- oder Kolonteile (beim Zeilenbruch); dabei ist das Standard- oder Idealmaß der Einrückung wohl etwa die Breite von zwei bis drei Buchstaben. Aber es gibt auch erheblich größere Einrückungen, besonders wenn es sich bei diesem (natürlichen) Umbruch bloß um ein relativ kurzes Reststück einer solch kleinen Texteinheit oder gar um ein einziges Wort oder auch nur das Ende davon handelt.

2. Das Leerlassen der Restzeile, wenn die betreffende kleine Texteinheit zu Ende ist. Es ist klar, daß dieses Mittel zum Teil sozusagen nur die andere Seite derselben Sache ist, um die es beim gerade zuvor genannten Mittel der Einrückung geht (kurze Endeinrückungen bzw. natürliche Umbrüche).

3. Der "unnatürliche" kurze Umbruch des Zeilenendes nach oben. Dieses Phänomen -mitsamt der Markierung durch das Umbruchzeichen - kann man ansehen als eine Art Umkehrung (unter Verallgemeinerung) des in vielen Handschriften gelegentlich vorkommenden kurzen Umbruchs (nach unten) am Ende der letzten Zeile einer

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P. Mich. 3520 23

(rechten) Codexseite.57 Ermöglicht ist eine solche durchgängige Komplettierung von Sinnzeilen durch das Setzen der Restbuchstaben über das Zeilenende durch die anderen bereits genannten Mittel dieser Art von Textschreibung; wegen der vielen kurzen Zeilen ist da eben sehr häufig Platz - der Schreiber kann im Vollzug des Schreibens den freien Raum in der Zeile darüber sehen, während er bei einem Umbruch nach unten (außer in der letzten Zeile) die Schreibung der nächsten Zeile blockieren oder behindern würde. Bei den Buchstaben des nach oben umgebrochenen Restes besteht die Möglichkeit, sie kleiner zu schreiben als die Buchstaben, die in der Zeile stehen. Die Ausgangs- bzw. Idealform des hiesigen ("verkehrten", weil nach unten statt nach oben weisenden) Umbruchzeichens ist ein weitwinkliger "Winkel", der die Buchstaben vorn und oben abgrenzt und sie "hindrückt", wo sie hingehören, nämlich nach hinten und unten: ein schräg aufsteigender Strich vor dem ersten dieser Buchstaben, dann ein Knick nach rechts und in der Waagerechten weiter bis - oder fast bis - über den letzten dieser Buchstaben. In der konkreten Realisierung dieses Zeichens zeigt der Schreiber unseres Textes aber die deutliche Tendenz, den Knick durch einen Bogen zu ersetzen. Vielleicht erklärt sich das einfach so, daß er in flotter Schrift das Zeichen nicht zweizügig, sondern in einem einzigen Zug schreibt. Jedenfalls führt das auch zur "Erweichung" und Verkürzung des oberen waagerechten Teils bis hin zu der Grenzform eines einfachen, relativ flach geführten, schrägen geraden Striches, der dann weit vor dem ersten Buchstaben beginnt, um schon beim Erreichen desselben zu enden. In allen Varianten dieses Zeichens, zwischen den beiden Extremen, können die beiden Enden verdickt oder mit einem Haken versehen sein. In der Textausgabe wird dies Zeichen durch einen kleinen Schrägstrich ( ' ) angedeutet.

Mit alledem ist gegeben, daß trotz der Verwendung der gleichen Schrift das Schriftbild der Seiten des Ecclesiastes sich von dem Schriftbild der Seiten mit lJoh/2Petr erheblich unterscheidet; es ist lockerer, übersichtlicher und hat jeweils ein bestimmtes Profil. Gleichwohl ist der Schriftspiegel in beiden Teilen der gleiche, insofern als, was zunächst die Breite betrifft, die Buchstabenzahl pro Zeile bei den vollen Zeilen des Eccl mit der Buchstabenzahl pro Zeile im lJoh/2Petr übereinstimmt bzw. sich etwa um dasselbe Mittel bewegt und bis etwa zu den gleichen Extremen ausschlägt. Als Mittel kann man etwa die Zahl 20 annehmen, während die geringste Zahl 14 und die höchste 29 ist. Übrigens besteht die kürzeste der nicht vollen Zeilen des Eccl aus nur 2 Buchstaben (p. 2,7). Und das Entsprechende gilt im Prinzip auch von der anderen Dimension, der Höhe des Spiegels. Auch die Zeilenzahl pro Seite ist nämlich ungefähr konstant, das heißt, sie variiert in einem begrenzten und definierbaren Spielraum. Das Mittel liegt bei 22 bis 26 Zeilen pro Seite. Einen kleinen Unterschied gibt es in dieser Dimension freilich doch, insofern als das Mittel im Eccl bei 25/26 Zeilen, im lJoh/2Petr aber bei 22/23 Zeilen liegt und auch die Variationsbreite eine etwas andere ist: beim Eccl ist die kleinste Zeilenzahl 21 und die größte 30 (je einmal), beim lJoh/2Petr 20 und 25 {mit Sicherheit je einmal).

Bei diesem Vergleich des Schriftbildes und des Schriftspiegels zwischen dem ersten und zweiten Teil des P. Mich. 3520 unter der speziellen Frage, ob und wie das andere Genus der Schriftsetzung hier und dort sich auf die ästhetische Gestaltung des rechten Kolumnenrandes auswirkt, die immer etwas schwierig ist, jedenfalls wenn der Schreiber das Ideal hat, den rechten Kolumnenrand möglichst genau so gerade zu halten wie den linken, könnte man a priori erwarten, daß dieser Rand in unserem Codex beim Eccl unruhiger ist oder wirkt als

57 Vgl. z.B. Schenke 1981: 18; 1991a: 38f.

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24 Einleitung

beim lJoh/2Petr. Nun gehört diese Frage auf Grund der spezifischen Züge des Erhaltungszustandes unseres Codex zu denen, die leichter zu stellen als zu beantworten sind. Wenn man es dennoch versucht, wird man wohl sagen müssen, daß es im Prinzip tatsächlich wohl so ist, wie man es von den Prämissen aus erwartet, aber der Unterschied nicht so groß ist, wie man ihn erwartet, weil nämlich der zweite, der Prosateil des Codex seine Möglichkeiten, den rechten Rand gerade zu halten, gar nicht recht zu nutzen scheint Also im zweiten Teil sind die rechten Ränder lax behandelt, so daß sie auch ausgefranst aussehen und in ihrer "Zipfeligkeit" den rechten Rändern des ersten Teils gar nicht so unähnlich sind. Was ich meine, kann man vielleicht am deutlichsten beim Doppelblatt p. 33/34—47/48 auf den Seiten mit der vertikalen Faserrichtung im direkten Gegenüber von (links p. 48) lJoh 3,1-6 und (rechts p. 33) Eccl 11,2-6 sehen.

Was die Form von einzelnen Buchstaben betrifft, so ist mir "vor Ort" Folgendes so sehr aufgefallen, daß es mir hier der Mitteilung wert erscheint. Das Lambda ist eng und hat oben eine Schlaufe oder ein längeres Stück, wo die zwei Striche zusammenlaufen oder sich überschneiden, und so ist es eigentlich oben und im Winkel deutlich von dem äußeren Normalrahmen des Alpha unterschieden, obgleich sich im praktischen Vollzug des Schreibens die Buchstaben in ihrem Rahmen doch sehr nahekommen können. Beim Pi setzt oft der dünne Querstrich etwas unterhalb des oberen Endes der linken Hasta an. My und Ny sind - bei grundsätzlicher deutlicher Unterschiedenheit (My ist zum Beispiel viel breiter als Ny) - in der graphischen Realisierung oft kaum voneinander zu unterscheiden. Es gibt zwei Formen des Schai und des Gima. Bei der spezifischen Form des Schai geht der Schwanz in S-förmigen Schlingen weit nach unten (besonders deutlich auf p. 1 und 2); die andere Form ist das typisch fayumische Schai (vgl. zum Beispiel p. 65,6). Beim Gima gibt es neben einer sozusagen gewöhnlichen Form eine Form, die besonders eigenartig erscheint, nämlich als mittelzeiliger kleiner Kreis mit oft ziemlich langem waagerechtem Strich, der in einem nach unten gehenden Knauf endet. Nachträglich und wieder zu Hause nur vor den Fotos sitzend kommt es mir nun freilich so vor, als könnte man bei den jeweils zwei Formen des Schai und des Gima die ungewöhnlichere auch einfach als eine Variante der anderen erklären. Bei Schai wäre der gewöhnlich fast waagerecht zurücklaufende Schwanz mit dem engen langen Widerhaken unter Öffnung des Widerhakens nach unten verdreht. Das Gima hat auch sonst nur eine kleine Schlinge, aber einen relativ langen, mehr oder weniger gebogen nach rechts oben verlaufenden Strich. Und dieser Strich würde eben gelegentlich so weit heruntergedreht sein, daß er nicht mehr über den nächsten Buchstaben geht (wenn einer folgt), sondern waagerecht vor ihm verläuft, sei es, daß er vor ihm endet (wie gesagt in einem Knauf), sei es, daß er wie bei einer einfachen Ligatur in ihm aufgeht.

Ein wichtiger Aspekt der Schrift des P. Mich. 3520 ergibt sich auch aus ihrem Vergleich mit der des "Zwillings" P. Mich. 3521. P. Mich. 3521 hat im ganzen eine "klobigere" und größere Schrift. So ist - bzw. war - der Gesamteindruck beim Vergleich zweier guter Originalseiten aus jedem Codex der eines doch erheblichen Unterschiedes. Auch Einzelbuchstaben unterscheiden sich in charakteristischer Weise. Das ist besonders gravierend bei Hori und Schai. Das Hori ist im P. 3521 geradezu "verkümmert", das heißt ganz schmal, so daß es sich fast dem Aussehen eines Jota annähert, während es im P. 3520 in einer "normalen", fünfteiligen Gestalt erscheint. Und das Schai hat in der Regel im P. 3521 keine der beiden für den P. 3520 typischen Formen, sondern eine Art "Normalform", in der es wie ein Omega mit einem kleinen, bogenförmig nach links geführten Abstrich aussieht, obgleich neben dieser Normalform auch gelegentlich die typisch fayumische Form vorkommt.

Nun ist es bei einer Schrift, die im ganzen so schlecht erhalten ist wie die in unserem Codex P. Mich. 3520 und bei der die bloße Entzifferung so viel Mühe macht, nicht recht sinnvoll, den Versuch zu machen, den Schreibstil des näheren unter ästhetischem Gesichtspunkt

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zu beschreiben und zu würdigen. Ich möchte aber als einer, den die "Wunderlampe" mit dem UV-Licht gewissermaßen in der Zeit zurückversetzt hat, so daß er den Codex an vielen Stellen schwarz auf braun noch sehen konnte, wie er einmal war (oder wenigstens so ähnlich), hier bezeugen, daß der Codex trotz des schlechten Schrift/ragere schön gewesen sein muß. Der Kopist dürfte ein Künstler gewesen sein, wenn er so in der Lage war, den ihm vorgegebenen Mangel mit seiner Kunst abzugleichen, also den mangelhaften Papyrus, die "Kistenbretter", so zu beschriften, daß die beschriebenen Seiten geradezu "majestätisch" wirken, wie sie es eben tun und wie ich es gesehen zu haben hiermit bekunde. Und das soll gelten, obgleich der Schreiber gelegentlich relativ große Lücken zwischen zwei Buchstaben, die zu demselben Wort gehören, macht, und zwar wohl wegen der Unbeschreibbarkeit des Papyrus an dieser Stelle. Und das ist eines der Zeichen für den bereits vorausgesetzten Umstand, daß der Papyrus schon im ursprünglichen Zustand nicht besonders gut war. Andererseits zeigt sich vielleicht nicht zuletzt in solcher "Geländebeurteilung" das Können des Schreibers.

Zu dem oben bereits erwähnten Phänomen der Zeilenenden gehört auch als ein probates und geläufiges Mittel der Raumersparnis mit dem Ziel, den rechten Kolumnenrand möglichst gerade zu halten, die supralineare Schreibung des Ny nach Vokal als Strich über dem betreffenden Vokal. Dies supralineare Ny kommt in dem erhaltenen und lesbaren Teil unseres Codex sechsmal vor, und zwar p. 27,10 ë (Negation); p. 33,2 noNHpö; p. 36,12 Në (der lange bestimmte Pluralartikel); p. 48,10 c^oy; p. 66,1 ë (Negation); p. 71,15 ë (Negation). Die Erscheinung begegnet also sowohl im Ecclesiastes-Teil als auch im 1 Johannes/ 2Petrus-Teil; und das oy kann offenbar, auch wenn es den Konsonanten [w] bezeichnet, behandelt werden wie der Vokal [u].

Die wesentliche Gliederung der Schrift in unserem Codex erfolgt durch das Spatium. Im Ecclesiastes-Teil ist das ja ganz klar. Aber auch für den lJohannes/ 2Petrus-Teil trifft das zu, wenn Verszäsuren durch einen kleinen freien Raum gekennzeichnet werden. Dabei muß übrigens nicht immer unsere moderne Verseinteilung mit der Vers-Vorstellung jenes alten Schreibers übereinstimmen. Aber diese Spatiumgliederung wird nun gelegentlich noch unterstützt durch eine Interpunktion. Von diesen Punkten ist die geläufigste Gestalt der einfache oberzeilige Punkt, der 24mal vorkommt (bzw. erhalten oder sichtbar ist), nämlich an folgenden Stellen: p. 11,12; 15,6; 18,24; 21,24; 22,20; 25,2.8; 27,14.24; 35,2; 36,9; 43,8.15.17; 44,13; 46,17; 49,16; 51,8; 61,20; 63,19; 64,19; 66,5.11; 70,8. Aber in gleicher Funktion begegnet auch zweimal ein etwa mittelzeiliger Punkt (p. 1,14; 65,8) und einmal auch ein unterzeiliger (p. 1,12). Der Doppelpunkt kommt auch vor, aber nur in einem "Nest" auf p. 4, und zwar gleich sechsmal (Z. 4.6.7.8.9.12). Diese Punktversionen grenzen aber nun nicht nur Verse oder Versteile, die eigene Sätze sind, voneinander ab, sondern auch bloße Satzteile. Und im Blick auf ihre kleine Zahl könnte man sie wohl als untypisch für die Schreibung in unserem Codex ansehen.

Mit dem oberzeiligen Punkt hat der Apostroph, der ebenfalls - sogar erheblich öfter: 42mal (gegenüber 24mal) - in unserem Codex erscheint,58 die Position gemein; aber natürlich bei anderer Funktion. Dieses Schriftgliederungs-zeichen hat eine weitaus geringere Trennkraft; denn es ist ja seinem Wesen nach nur ein Silbentrenner bzw. eine Silbenic/i/ußmarkierung. Gleichwohl gibt es Funktionsberührungen mit dem (oberzeiligen) Punkt, wenn nämlich dieser Silbentrenner, aus welchen Gründen auch immer, gerade das Ende einer solchen Silbe markiert, mit der ein Satzteil, Satz oder Vers endet (wie p. 30,24; 34,23; 36,17; 40,3; 47,22; 62,18; 66,8; 68,10; 69,12; 72,12; bzw. p. 15,7; 23,2; 38,15; 44,16; 45,11; 68,15; 71,23; bzw.

58 Diese Stellen sind: p. 15,5.7.9; 21,16; 22,22; 23,2; 28,13.23; 29,21; 30,24; 34,23; 36,6.17; 38,15; 403; 42,16; 43,13; 44,16; 45,11.19.22; 47,11.22; 48,18; 49,12; 52,14; 53,10; 54,16; 62,18; 63,20; 65,13; 66,8.13; 68,10.15; 69,7.12.21; 70,23; 71,23; 72,12.

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26 Einleitung

p. 15,9; 21,16; 29,21; 36,6; 48,18; 49,12; 65,1; 66,13). Aber auch wenn die Zahl der Apostrophe fast doppelt so groß ist wie die der Punkte, so mag aufs Ganze gesehen auch das Auftauchen dieses Zeichens in unserem Codex nur als sporadisch gewertet werden. Aber - im Unterschied zum Punkt - gehört der nur gelegentliche Gebrauch des Apostrophs gewissermaßen zum Wesen dieses Zeichens. Aber wenn er gesetzt ist, steht er an Stellen, die dafür typisch sind. So auch in unserem Codex. Er steht praktisch nur nach bestimmten Buchstaben, normalerweise Konsonantenzeichen, nämlich λ (20mal), τ (7mal), m (5mal), <4 (3mal), κ (2mal), ν (lmal). Und wenn er in unserem Codex auch nach dem Vokal χ steht (4mal), so ist man versucht, das mit seinem Lambda-artigen Rahmen in Verbindung zu bringen. Dabei ist die Affinität des Apostrophs zu bestimmten Konsonantenzeichen (besonders X, aber auch τ ) so stark, daß man ihn fast als einen Bestandteil dieses Zeichens selbst ansehen könnte. Das Erscheinen des Apostrophs nach Lambda ist in unserem Codex freilich nicht durch den Buchstaben als solchen, sondern durch ganz bestimmte Kombinationen desselben determiniert. Denn bis auf eine Ausnahme (p. 30,24) erscheint er nur als Abschluß der Silbe βλλ /βελ (p. 22,22; 36,17; 49,12; 53,10; 62,18; 69,21; 70,23; 71,23; / p. 15,9; 34,23; 36,6; 40,3) oder in der Mittelfuge der griechischen Konjunktion άλλά (also x x ' λ λ p. 42,16; 43,13; 45,19.22; 47,11; 52,14; 69,7). Die Position des Apostrophs in der Mitte von xx* x x entspricht übrigens einer Spezialfunktion dieses Zeichens, nämlich da, wo eine Silbe mit dem gleichen Buchstaben endet, mit dem die nächste beginnt, eben diesen Sachverhalt, der ja die Lesung erheblich erleichtert, kenntlich zu machen; und zwar nicht nur innerhalb ein und desselben Wortes wie in unserem x x ' Xx, sondern auch zwischen der End- und Anfangssilbe zweier verschiedener Wörter wie zum Beispiel in n¡m ' riecBXX (p. 65,3) und ( π χ ρ χ ) | nomix' xy[t€bnh ] (p. 68,15) oder, obgleich am Zeilenbruch, tximom i x ' | χ γω (p. 48,18119) und [—riero ρ ι tg]n ' | NT[e i 2 η ---] (p. 54,16117). Vielleicht regiert dasselbe Prinzip auch beim Zusammenstoß zweier verschiedener Buchstaben, falls sie den gleichen Rahmen haben, wie im Falle von ncxnbxX' xwey (p. 22,22), NNeweeX' χ γ ω (p. 40,3) und eexX' χ γ ω (p. 71,23) bzw. im Falle von π j ωτ ' -f-c I z e i (p. 44,16117), oder auch beim Zusammenstoß zweier gleicher Silben wie bei e p x q ' xq ι ν ι (p. 66,8) bzw. zweier gleicher Buchstabenfolgen wie bei nn ι τ ε β τ ' ε τ ε (p. 28,23). Und möglicherweise wirkt das Prinzip über die Entfernung um einen (oder mehrere) Buchstaben hinweg; vgl. unter diesem Gesichtspunkt χ ΐ κ χ τ ' x í n g y (p. 28,13) und τ χ τ ' XN (p. 63,20).

Von den Zeichen, die eine größere Trennungskraft als der Punkt (oder bestimmte Punkte) haben, kommt nur die Koronis - überraschend - ein einziges Mal vor (p. 27,17). Sie trennt Eccl 9,7 von (alle)dem, was vorhergeht, und markiert hier einen Neueinsatz des Ecclesiastes-Textes. Sonst kommt die Koronis nur noch als Endbezeichnung der Texte vor. Da das Ende des 2Petr nicht erhalten ist, können wir das freilich nur im Falle des Eccl und des lJoh sehen. Beim lJoh ist sie die einzige Endmarkierung. Dabei nimmt ihr waagerechter Strich die ganze Kolumnenbreite ein. Das ist auch bei der Koronis am Ende des Eccl der Fall (jedenfalls könnte man es so sehen), nur daß der Querstrich etwa in der Mitte durch vier Diplen unterbrochen ist. Nun ist allerdings diese Koronis am Ende des Eccl nur der eine Teil einer Zeichenkombination, deren anderer Teil sich darüber in dem freigebliebenen Raum der letzten Textzeile befindet und aus vier Diplen mit lang ausgezogenem Schwanz der letzten besteht. (Eine entsprechende Diplen-Reihe könnte übrigens auch den Rest der letzten Zeile des lJoh ausgefüllt haben; aber da ist der Papyrus nicht erhalten.) Und diesen Zeilenfüller könnte man schräg darunter noch einmal wiederholt sehen. Dann wäre das Darunterstehende eben als eine ganz normale große Koronis, gefolgt von einer Diplenkombination mit ausgezogenem Schwanz der letzten (vierten), zu interpretieren.

Auch die Verzierung des Titels der jeweiligen Schrift, der sich unterhalb der genannten Schlußmarkierung befindet, ist beim Eccl ausgeprägter als beim lJoh. Beim lJoh sieht es

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jedenfalls so aus, als sei der zweizeilige griechische Untertitel nur mit je einem einfachen durchgehenden Strich darüber und darunter versehen. Demgegenüber hat der Titel des Eccl statt der beiden langen Striche oben und unten jeweils drei kurze geschwungene Striche und rechts daneben eine hohe spiegelbildliche Spiralenkoronis (eine einfachere Variante derjenigen, die im P. Palau Rib. Inv.-Nr. 181 rechts neben dem Titel des Lukasevangeliums steht59). Außerdem scheint es so, als hätte links unterhalb vom Beginn des Titels (also genau an der Stelle, wo im P. Palau Rib. Inv.-Nr. 181 die zweite, etwas kleinere, spiegelbildliche Spiralenkoronis ihren Platz hat) ein dickes und großes Tau-artiges Zeichen mit nach unten zu gespaltener Hasta gestanden; und rechts unterhalb davon noch eine Gruppe von dreimal drei mit der Spitze nach oben gedrehten Diplen. Aber da die Farbe dieser wie "verlaufen" aussehenden Spuren nicht dieselbe ist wie die der Schrift und der Hauptverzierung, müßte man annehmen, daß diese "zusätzliche" Verzierung mit roter Tinte ausgeführt gewesen wäre.

Die Schreibung des P. Mich. 3520 weist - ähnlich wie seine Sprache und natürlich auch in Abhängigkeit von dieser - ein erhebliches Maß an Variabilität auf. Aber innerhalb einer gewissen, vom Schreiber offenbar als legitim angesehenen Variationsbreite von Sprache und Orthographie ist die Schreibung in der Regel "korrekt" und verläßlich. Daß der Schreiber (oder sein "Institut") trotz allem einer solchen inneren Norm folgte, zeigen nicht zuletzt die Stellen, wo er oder ein Korrektor Schreibfehler, die ihm unterlaufen waren, bemerkt und verbessert hat. Die klaren Fälle sind die, wo versehentlich ausgelassene Buchstaben in mehr oder weniger kleinerem Format über der Zeile oder oben in der Zeile nachgetragen sind, nämlich <j> ι in Τ Μ Ν Τ ^ Φ Ι Ρ Ι (p. 15,8); τ in πετο[γ]€β (p. 24,11); das erste π (als Artikel) in ππωτ (p. 28,14); γ in OYN (p. 33,17) und ρ in epauu (p. 40,13). Etwas schwierig ist die Erkenntnis der genauen Sachlage in p. 29,24. Daß da bei λ^ τλκλ interlinear und in einer Plazierung zwischen q und τ etwas nachgetragen wurde, ist deutlich genug zu sehen. Nur ist - oder war -die Frage "Was?". Meine Bemühungen am Original mit dem black light haben schließlich zu

dem Ergebnis geführt, daß das Nachgetragene mit Sicherheit ein <p ist und daß man entsprechend annehmen muß, daß der Korrektor hier den Nachtrag schlecht oder falsch piaziert hat, weil er doch nur vor das gehören kann. Solche interlinearen Nachträge sind ja nun eine der Weisen, wie man in einem Manuskript Korrekturen durchzuführen pflegt. Und sicher darf man annehmen, daß der Schreiber oder Korrektor noch mehr solcher Verbesserungen angebracht hat an Stellen, die verloren oder nicht wirklich lesbar sind. In dem Zusammenhang erhebt sich aber sogleich die Frage, ob auch die anderen traditionellen Korrekturmethoden, als da sind: Durchstreichen, Punkte oben oder ringsherum, Rasur, Anwendung gefunden haben. Aber außer an einer Stelle konnte ich nichts Derartiges mit hinreichender Wahrscheinlichkeit identifizieren. Diese eine Stelle findet sich am Ende von p. 33,6, wo deutlich ein überflüssiges Ν steht, das seinerseits wohl der Anfang der hier freilich deplazierten Subjektspartikel NAÇ gewesen sein könnte, die der Schreiber nach Bemerken seines Irrtums durch Rasur wieder getilgt hätte, wobei aber nur die letzten beiden Buchstaben nahezu "verschwunden" sind.

Aber es sind trotz allen Bemühens beim Korrekturlesen doch auch Kopierversehen unbemerkt stehengeblieben. Und ihre Zahl ist auch größer als die der Verbesserungen. Allerdings liegen sie auf verschiedenen Ebenen. Und manche von diesen "Fehlern" könnten durchaus in den Grenzbereich dessen kommen, was der Schreiber für erlaubt hielt Jedenfalls sind solche dabei, die für das Verständnis der Sprache des P. Mich. 3520 durchaus relevant sind. Fangen wir bei den offenbar einfachen (und einmaligen) Versehen an! In p. 2,25 liegt bei der Schreibung esoyAÏTce eine Metathese der beiden vorletzten Buchstaben vor. In p. 15,2 fehlt, wie es scheint, bei dem koptischen Wort für "König" das zweite Rho. In p. 18,16f.

59 Vgl. Quecke 1977: Taf. III gegenüber von S. 89; und vgl. S. 27f.

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28 Einleitung

(Eccl 6,12E) muß man die Silbe t n als ausgefallen ansehen, wenn man auf e-N-eT-NC¿»N2H*i als spezifisch fayumisches Äquivalent von ¿se ο γ πετΝΛφωπε nÑÑcaxj (S) bzw. ¿se oyn π ε τ Ν β » [ β π ι ] 2 ^ x e T c i (F7) und Übersetzung von τ C ϊ σ τ α ι όπ ίσω αϋ τ οΟ kommen will. In p. 22,3 und p. 39,7 sieht es so aus, als stünde ein + da, wo man ein τ erwarten muß (Μογψ+ bzw. efcoNz). Obwohl hier die Hasta deutlich oben über den Querstrich hinausgeht, könnten wir es doch mit einem "Schreibiehiei" von der Art zu tun haben, wo das Richtige nur ungeschickt realisiert worden ist (etwa daß der Schreiber den Querstrich zuerst schreibt und an diesen beiden Stellen eben die Hasta für das, was ein Tau werden sollte, zu weit oben angesetzt hätte). In p. 23,12 steht zur Einfuhrung der direkten Rede χ ι statt des erwarteten ¿se.60 In p. 42,13 steht vor der Kontraktion x ç - trotz der Doppelkonsonanz am Anfang des so abgekürzten Namens und entgegen dem sonstigen Gebrauch (auch) in unserem Codex - der einfache (n) statt des silbischen Artikels (ne). Vielleicht ist das ein unscheinbarer Bohairismus. Bei dem — ε τ ε τ ε ] Ν Ν ε i "indem ihr seid" (p. 61,16) ist der Buchstabe nach der Klammer schwer zu lesen und sind seine Reste nicht sicher zu deuten, aber sie können jedenfalls nicht von einem e stammen. Aber dann bleibt eben nichts anderes übrig als, - angesichts der möglichen Deutung als ν - eine unübliche und also irrtümliche Dittographie bzw. Reduplikation des ν beim Übergang vom (transponierten) Präsenspräformativ ε τ ε τ ε ι ν ι - zum (vokalisch anlautenden) Stativ -e i anzunehmen. Vielleicht hat der Kopist im Augenblick des Schreibens das Syntagma falsch, nämlich als ε τ ε τ ε ΐ Μ - Ν β - ϊ "indem ihr kommen werdet", analysiert. Jedenfalls könnten wir auch selbst bei diesem falschen ν ν an das übliche und legitime Variieren der Schreiber beim Instans der 2. Person Plural zwischen im ν und ν denken, von dem unser Fall als falsche Umkehrung erscheinen mag. In p. 64,19 haben wir in ZHzec eine mechanische Wiederholung des 2 zu konstatieren, während der Schreiber natürlich z h b c c schreiben wollte. In p. 68,15 scheint am Zeilenbruch eine ziemlich lange Silbe, nämlich φρωινι ,

infolge von Homoioteleuton mit | ογα>Ν übersprungen worden zu sein. Und das gemeinte πλ ρ ¿.φ ρ con würde hier das άφωνος der Vorlage vertreten haben (vgl. auch schon den Zusatz in Z. 14).

Von den Schreibfehlern, die mehrfach auftreten, mag als erstes auf das gelegentliche Fehlen von 2 und (ο)γ, das zweimal in unmittelbarem Neben-einander vorkommt (p. 32,7; 34,21), hingewiesen werden; vielleicht aber wäre es besser zu sagen: das Nichterscheinen der betreffenden Laute in der Schrift. Jedenfalls vermißt man das Hori einmal am Ende des Wortes MK62 "Leid", "Betrübnis" (p. 31,20), zweimal am Anfang des unbestimmten Pluralartikels ζ e ν- (p. 32,7; 34,21 -in beiden Fällen in nächster Nachbarschaft mit einem vorhergehenden Hori) und einmal am Anfang des Wortes für "Silber" 2 st (p. 36,25 - auch da geht ein wirklich geschriebenes Hori voraus). Diese "Schwäche" des Hori ist einerseits vielleicht eine Art Rückendeckung für unseren Versuch der Lesung und des Verstehens von p. 70,1, wozu eben die Annahme einer Haplographie von Hori nebst Jota gehört, andererseits wird man sie irgendwie auch mit der Variation unserer Texte zwischen dem Perfekt mit und ohne Hori in Zusammenhang sehen dürfen. Bei dem dreimal zu konstatierenden Fehlen einer Entsprechung von M in der Schrift handelt es sich vielleicht einfach um eine besondere Form der an sich nicht ungewöhnlichen Haplographie von ογ . Das heißt, unter Berücksichtigung der "Bandbreite" der sonstigen Schreibungen von M im P. Mich. 3520 könnte man in der Textausgabe statt e < Y > o y ^ c q (p. 32,7) auch ε<ογ>ογλ.ο<4 schreiben (oder verstehen) und entsprechend statt ε < γ > ο γ € Β (p. 34,21) lieber ε < ο γ > ο γ € Β . An der dritten Stelle p. 71,9f. funktioniert die Haplographie auch am Zeilenbruch - freilich ist die Dittographie am Zeilenbruch geläufiger -; das dort geschriebene ο γ ζ ^ ο γ | ωτ meint natürlich ο γ 2 ^ ο γ ο γ ω τ

60 Vgl. Kasser 1964: 105a, wonach sich diese Schreibung auch einmal als varia lectio in dem sa. PM 573: Joh 3,3 findet.

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und setzt die direkte Erweiterung des Kerns durch ογωτ, also ohne die Vermittlung der nota relationis N, voraus.

Haplographie gibt es nun auch dreimal bei dem anderen Gleitlaut /j/, und immer in demselben Fall bzw. an derselben Stelle, nämlich wo das Suffix der 1. Person Singular mit dem vokalischen Anlaut des Verbum ι Μ I zusammenstößt; vgl. ΝΛ i M ¡ (p. 9,24), ¿J Μ ι (p. 24,21) und ε i Μ ι (p. 63,16). Die Haplographie ist hier, ähnlich wie bei den beiden ersten Fällen mit /w/, nicht ganz "gleichgewichtig", weil die Problematik der supralinearen Markierung oder Nichtmarkierung des Jota, also das Verhältnis von i zu i, mit im Spiele ist Die drei haplographischen Schreibungen repräsentieren nämlich Syntagmen, die man normalerweise als N¿s i i m , i IMI und e i m ι geschrieben erwarten würde, also mit einem markierten (weil postvokalischen) und einem nichtmarkierten Jota.

Hinsichtlich der Schreibung des /¡/ kann gleich noch eine weitere Abnormität hinzugefügt werden. Vokalisches, auslautendes /¡/, das mit vorangehendem /t/ eine Silbe bildet, wird normgerecht mit dem Monogramm -f- geschrieben. Aber wir finden viermal auch die zwei-elementige Schreibung mit Tau + Jota. Aber während die einmalige Schreibung des koptischen Plurals MewpeT ι (p. 43,11) gegenüber dem häufigen M(e)Npe+ deutlich als Ausnahme - oder eben Schreibfehler - erscheint, kommt die griechische Konjunktion ε ί μη τ ι , wie es scheint, nur in der Gestalt IMHTI vor (p. 11,9; 25,12; 57,13).

Eine weitere und besonders interessante Haplographie betrifft den Buchstaben My und begegnet wiederholt beim status pronominalis der nota relationis N, WO es dann statt MM^ eben nur M ^ heißt. Vgl.

p. 16,4 : ¿^ΝεφΗ M¿>.c; p. 26,7 : ΜΜΛΝ0ΛΜ ΜΛ<Ι; p. 43,18: τ ε + ο ζ ε ϊ M*ç; p. 64,18: τ ε τ ε Ν ρ ^ —.

Dieser Zug stellt nämlich eine der spezifischen Verbindungslinien zum Londoner Didache-Exzerpt BL Or. 9271 dar; vgl. Did 10,4.7; 11,7.10.11.12.12; 12,1. Am relevantesten ist natürlich, daß die Didache diese Erscheinung wie hier p. 64,18 auch im Verbund mit der bo./fa. Sonderform von ιρ ι / I M bietet (vgl. Did 11,11: Ν τ ε ϊ ζ Η ¿JM NàOfpà. MA.C Ñ2Si ΝεπροφΗΤΗΟ Ντε Ν Ι Ο Υ ^ Ϊ Φ "Ebenso taten es die Propheten jener Zeiten"). Aber in der Didache ist die Kurzform MÍ,' "normal", während sie hier eine Ausnahme bildet61

Ein anderer Typ von Absonderlichkeiten, oder eben Verschreibungen, könnte mit zu dem Bereich des mäg. Einflusses auf unsere Texte gerechnet werden. Gemeint ist das Omikron als Tonvokal, wo es nicht durch nachfolgendes Hori bedingt ist, nämlich in der zweimaligen Schreibung des Infinitivs όωρό als όορό (p. 28,25.27).

Wiederum nach einer Haplographie sieht es aus, wenn an nicht weniger als drei Stellen das genetivische N- vor dem langen bestimmten Pluralartikel NEN- fehlt Vgl.

p. 11,4f. : πεπΝΣ ΝεΝ|[φΗρι ΝΝ]ιρωΜΐ; p. 24,17f.: Π2ΗΤ ΝεΝ Iqjhp ι NNipcuMi; p. p. 27,1: — Π 2 H ] T Ν Ε Ν Φ Η Ρ I N N I P«OMI .

Hinzu kommt freilich noch ein Fall bei dem Artikel Ν I -: p. 25,7: πτλ.μ ι λ ν | α ι [κ]εοο (falls die Lesung richtig ist).

Bei der "Verschluckung" des Ν vor NSN- könnte man jedenfalls fast den Eindruck von einer geheimen Norm haben, als wäre der Ausdruck des Genetiwerhältnisses durch eine Art Direktkontakt ersetzt. Einen ähnlichen Eindruck kann man nämlich an einer Stelle haben, wo solches Verschlucktwerden (ohne Aspekt der Haplographie) dem Circumstantialtransponenten e widerfährt Gemeint ist p. 30,13: oy¿>[iu] ογποΝΗρ ι λ < ε > Λ i Ney ep¿>c.

61 Vgl. Schmidt 1925: 83.

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30 Einleitung

Es gibt schließlich noch drei Fälle, wo man nicht recht weiß, ob wirklich nur ein Schreibfehler oder ein vom normalen abweichendes Textverständnis vorliegt. In der Wendung NH β τ ^ γ τ ε i τ ο γ Nieq (p. 28,1) muß man ja nach der interlokutiven Struktur des Kontextes (Eccl 9,7-10) eigentlich auch das pronominale Dativobjekt in der 2. Person Singular erwarten, wie es die griechische Vorlage mit ihrem σο ι ausdrücklich hat. Allerdings hat von den anderen koptischen Übersetzungen nur F5 hier das erwartete Ν Η κ, während F7, wie es scheint, den Dativ ausläßt und S an dieser Stelle eine Lücke hat. Auf derselben Ebene könnte es liegen, wenn es in p. 41,12, zwar nicht ganz unverständlich, aber gegen alle Erwartung heißt εΝφλπ, und eben nicht e^cy^n.

Von anderer Art ist die Irritation, die das Wort M H O Y Í in p. 28,10 bietet. Das gibt ja tatsächlich Sinn im Zusammenhang und paßt vorzüglich zu den drei folgenden "Geist-Begriffen". Aber das Original hat vor den drei Wörtern des Planens den Begriff dessen, wofür man plant, nämlich des Werkes: π ο ί η μ α , und entsprechend haben die anderen koptischen Übersetzungen hier 2CUB (S), T A M Í A (FT) und ι χ ι (F5).

Als Übergang von den wirklichen oder mutmaßlichen falschen Schreibungen zu einer Reihe gleich hier zu nennender bloß auffälliger Schreibungen sei auf die merkwürdige Gestalt des Relativsatzkerns [ε]τεζρΗ i (p. 72,2) hingewiesen. Das Problem dabei ist das e zwischen dem Subjekt e τ und dem (adverbiellen) Prädikat 2 ρ H i. Als das Einfachste könnte es scheinen, das e mit zum Prädikat zu nehmen und für eine, freilich problematische, Schreibung für Ν zu halten. Aber nun heißt dieses Adverb, wenn es durch die Präposition 2i\i- erweitert wird bzw. dieselbe verstärkt, in unserem Codex immer nur epHi (und niemals n2 ρ η ¡ , wie das in anderen Handschriften durchaus gebräuchlich ist). Vgl. für die "harte" Verbindung besonders das zweimalige ^qzpH i 2W- in p. 44,3.5. Es bleibt wohl nichts anderes übrig, als hier eine singuläre Anaptyxe anzunehmen. Und dann liegt es nahe, sich nach anderen, ähnlich seltsamen Sproß-Epsilons in unserem Codex umzusehen. Da mag das Auge zunächst auf das einmalige Λβεφο (p. 3,1), neben dem mehrfachen normalen ¿.B<yc, und auf das ebenfalls einmalige cà .peS (p. 4,2), neben dem normalen c¿>.p5, fallen. Aber diese Dinge liegen ja noch nahe an der Normalität. Bei ^ B e y c sproßt das Epsilon genau an der Stelle, wo es wenigstens beim (genauso gebauten) suffigierten Infinitiv sprossen "darf'.62 Und c A p e 5 könnte sich durch dasselbe phonologische koptische Prinzip erklären (= c^psKc) ; aber vgl. auch die Schreibung von σάρ ζ in den Nag Hammadi-Codices V, VI und IX, wo dieser anaptyktische Vokal die Regel ist, allerdings in einer /a/-Einfärbung ( C A P A S ) . Sehr viel seltener ist dagegen das Auftauchen eines "überflüssigen" e in πτεχβ^ογωΜ (p. 15,7) und y e p e c a IMI (p. 36,13). Im ersten Fall kann es sich doch nur um den kausativen Infinitiv handeln. Und dann ist schon das Lambda, also die Unterwerfung auch des kausativen Infinitivs unter den Lambdazismus des Fayumischen, erstaunlich (freilich hat der kausative Infinitiv auch in F7 das Lambda63). Aber nun kommt ja noch hinzu die Trennung der Doppelkonsonanz - τ \ - durch diesen Sproßvokal (allerdings ist auch dieser an dieser Stelle des kausativen Infinitivs an sich nicht ganz ohne Parallele64). Mit dem anderen Fall, cyepec? IMI, kommen wir dem Phänomen unserer Ausgangsstelle (p. 72,2) strukturell besonders nahe, weil der Sproßvokal auch hier genau an der Stelle hervorkommt, wo zwei Elemente eines Syntagmas zusammenstoßen. Das erste Element kann ja nichts anderes sein als der status constructus von cyHp 1, nämlich (yep-. Und man würde also erwarten eye ρ cz ι μ i - freilich würde man sich wiederum über ein etwaiges Ν anstelle des realen e, also wenn es hieße CYEPWCA I M , nicht wundern.

62 Vgl. Polotsky 1971: 359f. 63 Vgl. Diebner/Kasser 1989: 360; Schenke 1991b: 77. 64 Vgl. Kasser 1964: 67 mit dem Hinweis auf Kahle 1954: 92 und P. Bodm. 21.

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P. Mich. 3520 31

Ein überflüssiges e gibt es übrigens auch noch p. 56,9f. in n e | ε τ χ ω . Aber es ist von ganz anderer Art, verdankt seine Existenz wohl nur einer Dittographie am Zeilenbruch, wenngleich diese sich hier nicht um eine Silben- oder Wortfuge herum abspielt.

Rätselhaft und überflüssig erscheint gelegentlich auch der Vokal [i] bzw. in der Schrift das Zeichen Jota. Im Falle von Ν Ι ςπΛΤογ ΜΠ Ι ΛΘΗΤ (p. 31,11) ist das Problem der Ν I -Artikel vor einem normalen Genetivanschluß; man müßte nach ν i - einen Anschluß mit Ντε-

(statt eines solchen mit M-) erwarten.65 Vielleicht ist es die einfachste Lösung, wenn wir hier (wie wir es im Prinzip bei ¿si für ¿se in p. 23,12 schon einmal hatten) das Jota als eine Vertretung für ε betrachten, in ν i - also nicht den Demonstrativartikel sehen, sondern den einfachen Artikel in der silbischen Gestalt, die vor der Doppelkonsonanz sowieso gefordert ist. Vielleicht hat ja auch im Text tatsächlich Ne- gestanden. Auch wenn wir von Anfang an auf Fotos und im Original immer mit Sicherheit ein Jota gelesen haben, so kann das bei dieser Art von Manuskript ja nicht unbedingt bedeuten, daß da auch wirklich Jota gewesen ist. Gerade bei den Seiten mit vertikaler Faserrichtung reduzieren sich viele Buchstabenreste auf etwas Senkrechtes. Und es sieht mir nachträglich - aus der Ferne - so aus, als würde die Raumverteilung eine Lesung nie- durchaus zulassen.

Das andere Jota findet sich am Ende des Syntagmas neTWH ι (p. 11,5 = Eccl 3,21). Dabei kann es sich aber kaum um eine (Miß-)Gestalt des Verbums ν η handeln, das in e^NH (p. 30,14) und NT¿.<|NH< (p. 37,7f.) ja zweimal vorzukommen scheint und seinerseits wohl zu verstehen ist als das K4-Äquivalent jenes Verbums der Bewegung, das in F7 NNe heißt (Eccl 9.10),66 in M Ñwe (Mt 15,17; Apg 8,3.26; 9,28bis) und in f f Ne (Joh 6,62). Nun hat sich aber das Rätsel dieses πετΝΗ ι inzwischen durch die Kenntnis der Sprache des Codex Schdyen, die übrigens auch auf andere ungewöhnliche Phänomene von P. Mich. 3520 ein neues und erhellendes Licht wirft, von selbst gelöst. Es handelt sich einfach um eine nicht ganz gewöhnliche Schreibung der Instans-Form mit dem Verbum ι "kommen" (also π-ετ-ΝΗ-1 für π-ετ-Me-1 ). Auch die Versionen S und F7 verwenden hier ja die Instansform, nur daß sie zweimal das Verb B(OK "gehen" gebrauchen, während V4 eben zweimal das Verb Ι "kommen" benutzt. Vgl. im übrigen auch die Form Did (V4) 11,1: ΠΗ . . . ετ-Νΐ\ιε-ϊ , in deren Licht man nun auch die Stelle Did 11,6 als: ε<|-ΝΝ[ε]-ϊ zu rekonstruieren hat.

Was auffällig geschriebene Konsonanten betrifft, so ist zunächst die einmalige Zusammenziehung von κ und 2 in (das griechische) χ in — ¿»]<ιρ*χογ (p. 66,14) anzumerken. Andererseits wird das x, wo es hingehört, nämlich im griechischen Lehnwort χε ί μ α ρ ρ ο ς , durch den koptischen Buchstaben 2s vertreten: m* p o c (p. l,20.23f.).67 In zwei verschiedenen Fällen gibt es dann noch die implizite Verdoppelung eines Konsonanten durch die Extraposition des einen Elements von einem Zweikonsonantenzeichen. Das geschieht so mit 2 in dem Syntagma (p. 70,9) und mit dem immanenten τ der Pluralform des Nomens iscut-ie "Buch" und der beiden homonymen Verben x a "senden" und m "säen" in den Syntagmen Νετχ^Με (p. 38,3), ΜΛΤ2£Λ (p. 32,22), ε κ Ν ε τ ω , (p. 33,12) und ε τ χ * (p. 34,1) -aber vgl. das bloße ¿ta. in ρ. 33,2o.68 Ein Hori zu wenig kann man in der Schreibung e<uc (p. 36,24) finden. Aber diese Schreibung gehört wohl in den größeren Kontext der partiellen Nicht-Adaptierung griechischer Lehnwörter an das koptische Laut- und Schriftsystem, die unser Codex aufweist.

Als schwieriger könnte die Konsonantenverdoppelung in dem Ausdruck ¿.κε ρ | poyN (p. 23,12/11) im Rahmen ihrer Begleitprobleme erscheinen. Auffälligerweise hat sie ihre genaue

65 Hinweb von W.-P. Funk. 66 Vgl. Schenke 1991b: 84. 67 Vgl. zu dieser Erscheinung Schenke 1981: 24f. 68 Vgl. zu dieser Erscheinung und ihrem Kontext Schenke 1981: 39; 1991a: 63f.

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32 Einleitung

Entsprechung in F5 mit A K G X X O Y N an derselben Stelle, nämlich Eccl 8,4. Wie die Schreibung am (kurzen) Zeilenumbruch (nach oben) in unserem Codex ziemlich deutlich zeigt, hängt die Verdoppelung der Liquida damit zusammen, daß bei der Zusammenfügung der Elemente zu diesem Syntagma sich eine Silbenstruktur ergeben hat, die die morphologische Struktur überlagert: e ρ + OYN — > e ρ | ρογινι. Einerseits findet sich die zweite Hälfte dieses Phänomens wieder in der konstanten Art, wie im Dialekt M der status nominate von "tun" sich mit dem Interrogativpronomen ο γ zu der Silbe ρογ verbindet, nur daß in M dieser "fallenden" Silbe kein liquider "Aufstieg" vorhergeht. Vgl.

Mt 27,22: ¿.τετινιογe<p τ λ | ρογ "was wollt ihr, daß ich tun soll?" Apg 9,5: λ,κογεφ τ^ρογ "was willst du, daß ich tun soll?" Mt 12,3: C2A ι λ ' — ρογ "was hat David getan?" Apg 4,14: ΛΥΝ€ ρογ "was werden sie tun?"

Andererseits gibt es die Verdoppelung des Rho im status nominalis von "tun" auch sonst als orthographische Variante oder Abnormität gelegentlich. Kasser nennt zwei sahidische Beispiele.69 Und da erscheint die Verdoppelung - jedenfalls im ersten Beispiel - ausgerechnet wieder vor dem Interrogativpronomen ο γ . Vgl. ε φ ^ γ ρ ρ ο γ ÑZÍOB ñne ι "was für ein Werk können sie hier tun?"70 Was nun die übrige Struktur unserer Form von Eccl 8,4 ¿ . κ ε ρ ρ ο γ Ν (V4) bzw. ¿κκεΧΧογΝ (F5) betrifft, so erklärt sich ihr nicht futurischer Charakter, also daß es in Entsprechung zu ογ πετκΝλλλ^ (S) nicht heißt * Λ κ ι ν ι ε ρ ρ ο γ Ν bzw. * ^ . Κ Ν ε Χ Χ ο γ Ν , wohl einfach daraus, daß die fa. Übersetzungen gar nicht die Lesart τ (Γ π ο ι ή σ ε ι ς , sondern die Textvariante -rf π ο ι ε ί ς voraussetzen, die übrigens außer vom Vaticanus auch vom griechischen Text des P. Hamb. Bil. 1 geboten wird.71 Und schließlich braucht man sich ja auch nicht über das Interrogativpronomen als direkt angeschlossenes Objekt des Präsens zu wundern, da dies zu den Objektarten gehört, die nicht den Restriktionen der Stern-Jernstedtschen Regel unterliegen.72 Vgl. besonders Jes 52,5 (S): ε τ ε τ Ν ρ ο γ ΜπεείΜλ "was tut ihr hier?"73

In normale Regionen der Schreibung kommen wir mit der Beschreibung des Gebrauchs des Kontraktionsstriches in unserer Handschrift. Der Schreiber folgt dem Brauch seiner Zeit, häufig vorkommende Wörter bzw. Nomina sacra in Abkürzung zu schreiben. Am häufigsten und am wenigstens auffällig ist das natürlich bei den Wörtern "Gott" <¡?f (das ist die im Fa. übliche, aus dem Bo. übernommene Abkürzungskontraktion des bo. Syntagmas φΝογΐ [also den bestimmten Artikel mitenthaltend]; sie ist 59mal ganz oder teilweise erhalten) und "Geist" ΠΝΧ (25mal erhalten) sowie bei den Namen Jesus TTic (15mal erhalten) und "Christus" See (9mal erhalten). Außerdem wird die Nomen sacrum-Abkürzung χ c auch zur Schreibung des Wortes Antichrist verwendet: ¿.NT Ι XC (p. 45,15.16f.; 46,14). Ahnlich ist es bei der Nomen sacrum-Abkürzung für "Gott" in dem koptischen Kompositum, das ε υ σ έ β ε ι α und ε υ σ ε β ή ς wiedergibt, nur daß da innerhalb von (MNT)peqcpM(yeÑ:f (p. 62,8f.l0f.; 67,6; 72,6 = 2Petr 1,6.7; 2,9; 3,11) das bloße bo. und fa. LexemiviOY+ abgekürzt erscheint. Aber diese Abkürzung RPf ist nun weder im Bo. noch im Fa. gebräuchlich, wohl aber im Mäg. Und diese mäg. "Spur" wird noch dadurch verstärkt, daß auch einmal als Abkürzung für "Gott" selbst statt des üblichen <jpf die mäg. Kurztorm FPf gebraucht ist (p. 3,1 = Eccl 1,13).74 Auch das koptische Wort für

69 Kasser 1964: 14b. 70 Chaîne 1960: 71 Ζ. 18f. mit Anm. 2. Chaîne gibt das zweite ρ nur in der Anmerkung: "Ms. ε φ λ γ ρ p." Es wäre

aber wichtig zu verifizieren, ob in der Handschrift da wirklich zwei getrennte Supralinearstriche stehen. 71 Vgl. Diebner/Kasser 1989: 251. Es ist also sehr die Frage, ob die Rekonstruktion der koptischen Fassung mit [— Ο γ Ν

Π ε τ ε Κ Ν ε ε I q —] (Diebner/Kasser 1989: 294) sowohl in der Wahl der Cleft Sentence als auch in der Wahl des Tempus nicht einfach ein Sahidismus ist.

72 Vgl. z.B. Polotsky 1990: 219. 73 Von Polotsky zitiert. 74 Vgl. Schenke 1978: 53*(99)f.; 1981: 17.24.

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P. Mich. 3520 33

"Herr" wird abgekürzt. Die Norm ist dabei offenbar - wie übrigens auch in F415 -, daß, in Entsprechung zum Wort für "Gott", die bo. Abkürzung des bo. Wortes 6ω i c, nämlich 3c, gebraucht wird (mit Sicherheit sieben Mal; insgesamt wahrscheinlich zehn Mal). Daneben ist aber einmal auch die Abkürzung Ec erhalten (p. 15,1), die sich theoretisch sowohl auf i c (fa.) als auch auf 2£¿>e ι c (mag.) zurückführen läßt Aber in praktischem Gebrauch ist die Abkürzung Ec (innerhalb des hier diskutierten Bereichs) nur im Mäg. Nur je zweimal kommen die Namen Israel und Jerusalem vor; beide erscheinen jeweils in derselben Kontraktion, nämlich TeX (p. 1,3; 2,22) und e i HM (p. 1,3; 2,22 - also unter Einbeziehung des Artikels in das Contractum). Der in anderen Handschriften nicht ungewöhnliche Fall, daß die normalerweise kontrahierten Wörter gelegentlich auch einmal ausgeschrieben werden, kommt im P. Mich. 3520 nicht vor. Es gibt aber zwei Wörter, für die es anderswo geläufige Kontraktionen gibt, die hier nur ausgeschrieben erscheinen, nämlich der Eigenname David und der Titel Sotêr.

Als "abgekürzt" könnte man auch die in unseren Texten vorkommenden Zahlwörter bezeichnen. Sie werden - mit Ausnahme der "eins", wegen ihres Zweitcharakters als Indefinit-pronomen, und der Zahl "tausend" -, wie das im Fa. (und Bo.) üblich ist, durch ihre Zahlzeichen, d.h. die betreffenden Buchstaben mit dem diakritischen (Zahlen-)Strich darüber, vertreten: ewey = β (p. 12,12.23.28.29; 69,22); φ^ητ = r (p. 57,20.22); cecjjq = ζ (p. 32,26); « M O Y N = H (p. 33,1; 66,11).

Was nun die eigentlichen Supralinearzeichen anbelangt, also solche über einem oder mehreren Buchstaben stehenden Zeichen, deren Funktion über den Rahmen der Orthographie hinausgeht, insofern als sie (auch) von linguistischer Relevanz sind, so treffen wir im P. Mich. 3520 Elemente verschiedener Systeme an, wobei die für den Mischcharakter verantwortlichen iteimen-gungen von ganz verschiedener Größenordnung sind.

Der aus der Orthographie der oberägyptischen Dialekte bekannte SupralinearrtncA kommt vor, aber nur zweimal und kurz nacheinander (also in einem "Nest"), außerdem auch erst gegen Ende des Codex: +ΜΝτπροφΗΤΗς (p. 65,4) und 2 1 Tà/rq (p. 65,7). Diese beiden Vorkommen zeigen aber nun, daß wir es mit der Einwirkung einer bestimmten Art von Supralinearstrichsystem zu tun haben, nämlich mit einem Langstrichsystem und einem System, das auch Nicht-Sonore mit einem Strich markieren kann.

Nun gibt es zwar ein Element, das noch seltener vorkommt, nämlich nur einmal - wenn auch gleich auf der ersten Seite -, und das ist der Supralinearpunkt über einem solchen Vokal, der für sich selbst eine Silbe bildet, und zwar im Adverb è 2 ρ h ï (p. 1,14). Diesen singulären "Punkt" könnte man sogar für einen Tintenspritzer oder einen Tilgungspunkt halten, wenn man ihn nicht im Zusammenhang sehen müßte mit dem auch gerade am Anfang relativ häufigen (44maligen) Auftauchen desselben Zeichens über selbstsilbischem Ny und My. Es handelt sich um folgende Elemente in folgender Verteilung:

Ñ- part. attrib. p. 1,4; 2,11; M- (assim.) p. 2,11;

Ñ- part, ident. p. 2,22; Ñ- obj. p. 4,10.17;

M- (assim.) p. 4,4; 34,7; 49,23; 56,21; Ñ- part, relationis (Typ I) p. 1,3; Ñ- part, relationis (Typ ΙΠ):

M- (assim.) p. 1,12; 2,5; 4,7; 24,24; Ñ- praep. dat.:

M- (assim.) p. 34,22; MMN- es gibt nicht p. 2,4.11;

75 Vgl. Funk 1992: 117.

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34 Einleitung

MMey adv. dort p. 58,23f.; Μκεγζ η. (pl.) Leiden p. 67,8f.; Ñnep- imp. neg. p. 44,21f.; Ñc¿>- praep. nach p. 1,9; Ντε- praep./Genetivumschreibung p. 2,17; 12,5; 67,llf.; ΝΘΗ wie p. 4,2; 71,12f.; Ñ2ht # praep. in p. 55,llf.; Ν2ογ2>. adv. mehr p. 67,9f.; Ñ2se part. subj. p. 1,17.19.23; 3,12; 15,10; ñ¿si N<D¿.pn adv. von Anfang an p. 44,12f.; Konjugationen:

Perf. I neg.: line + nomen p. 2,5.6; ñnec p. 1,22;

Konjunktiv: Ντε + nomen p. 2,4.13; Ñq p. 49,16f.;

Ñ- art. def. pl. p. 4,5.6; nicht identifizierbar:

] m I p. 16,24. Ein Blick auf diese Liste (im Vergleich zum Gesamtregister) genügt, um zu sehen, daß trotz seiner relativen Häufigkeit auch dieser Supralinearpunkt ein Fremdkörper im Text ist. Auch hier handelt es sich um Fremdeinwirkung, freilich aus der entgegengesetzten Richtung. Es ist eine Form des unter- und mittelägyptischen Djinkim-Systems, das hier einwirkt. Und in Anbetracht der sonstigen Verbindungslinien unseres Textes mit dem speziellen mag. Dialekt (M) möchte man auch den Supralinearpunkt zu diesen mag. "Spuren" rechnen.

Was nun aber nach Abzug der Fremdkörper an supralinearen Zeichen übrigbleibt, ist so gut wie nichts. Das heißt, die eigentliche Norm, die der Schreibung dieser Form des Dialekts V4 zu unterliegen scheint, bzw. das System, das man durch Reinigung des wirklichen Erscheinungsbildes unserer Texte (re)konstruieren kann, sieht - mit einer ganz kleinen Ausnahme - überhaupt keine supralinearen Markierungen vor. Diese eine Ausnahme ist die supralineare Markierung des Jota, also des Zeichens für das Glide-Phonem 1)1, und zwar nur in ganz bestimmten Positionen, nämlich überall, wo es postvokalisch ist, nebst einem Fall, wo es prävokalisch ist, und zwar (nur) in dem koptischen Wort für "oder" (p. 8,13; 12,16; 22,28; 28,10bis), und einem Fall, wo es im Auslaut nach dem glide /w/ erscheint, und zwar (nur) in dem koptischen Wort für "denken/Denken" (p. 2,17.19; 27,12; 28,10; 34,12; 35,8; 70,3), durch ein Trema bzw. durch eine Art von Trema oder ein Trema-Äquivalent. Was zunächst die materielle Gestalt, physische Erscheinung und hiesige Notierung dieser Markierung betrifft, so beginnt unser Codex mit gut erhaltenen Seiten und darauf gut sichtbaren deutlichen Tremazeichen, also den zwei dicht nebeneinander liegenden Punkten. Und wenn dann, wo die Lesung schwieriger wird, bloß ein Punkt zu sehen ist, denkt man natürlich daran, daß der andere bloß nicht mehr da ist. Dann kommt es einem allmählich komisch vor, daß immer gerade nur der erste abgerieben, abgebröckelt, verblaßt sein sollte. Schließlich wird einem bewußt, daß, wo bloß dieser eine (zweite) Punkt erscheint, auch bloß dieser (zweite) geschrieben worden war. Diese Einsicht gewinnt man schon, wenn man den Text bei normalem Licht mit Lupe untersucht. (Bei der konkreten Arbeit am Text in Ann Arbor war mir das spätestens von p. 12 ab klar.) Ich habe ja nun den ganzen Text, Buchstaben(rest) für Buchstaben(rest), auch unter UV-Licht studiert und dabei (auch in den scheinbar zweifelhaften Fällen) so viele und immer wieder Jotas mit dem einen schräg über ihnen stehenden Punkt

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P. Mich. 3520 35

gesehen, daß ich glaube, mit Sicherheit sagen zu können: die für unseren Codex bzw. für diese Ausprägung des Dialekts V4 typische Markierung des Jota ist ein darübergesetzter und leicht nach rechts verschobener Supralinearpunkt. Dabei kann dieser Punkt so dicht über dem Jota stehen, daß gar kein Zwischenraum mehr erscheint, sondern das Zeichen wie eine Hasta mit einer oberen nach rechts gehenden Verdickung aussieht. Und nur hin und wieder wird eben dieses für V4 typische Zeichen durch das allgemeinere Trema-Zeichen vertreten.

Von dieser Einsicht aus und unter dem Gesichtspunkt, daß man in den genannten Fällen die Markierung als einen Teil des Schriftzeichens selbst betrachten kann, ist in unserer Textausgabe das betreffende Jota auch in den Ergänzungen und bei unsicherer Lesung des ganzen Komplexes oder des oberen Punktteiles konsequent als i bzw. j gegeben. ( i steht also nicht nur in den Fällen, wo alles sonnenklar [bzw. UV-Licht-klar] ist, sondern auch da, wo das ι zwar sicher, aber nicht sicher ist, daß darüber kein Punkt gestanden hat.) Nicht so gegeben sind nur die Fälle, wo eindeutig zwei Punkte oder eindeutig kein Punkt steht; da steht dann in der Ausgabe anstelle von i, als klare Abweichung von der Norm, ï bzw. ι - wie gesagt für das oben bezeichnete spezifische 1)1.

Ob diese halb "dogmatische" Entscheidung, deren Ungewöhnlichkeit mir von Anfang an durchaus bewußt war, wirklich vertretbar ist, daran sind mir aber nachträglich noch erhebliche Zweifel gekommen, auch genährt durch den brieflichen Gedankenaustausch darüber mit R. Kasser.76 Seine Stellungnahme machte mir nur zu deutlich bewußt, daß ich mich nach der mitten in der Kollationsarbeit getroffenen Entscheidung nicht mehr besonders auf die supralineare Region des Jotas konzentriert und also Abweichungen von "meiner" Norm nur da wahrgenommen und notiert hatte, wo sie mir sozusagen von selbst in die Augen gesprungen waren. Deshalb war es mein Plan, einen Teil des dritten, "Nachlese"-Aufenthaltes in Ann Arbor (vom 26.7. bis 9.8.1993) auch der Nachlese dieses Jotas zu widmen. Dabei sollte auch gleich der spezielle Fall, wo dieses markierte Jota nach γ und (auch) nach Η auftritt, überprüft werden, wo W.-P. Funk sich einen einfachen Punkt über dem Jota (statt des Tremas) besonders schwer vorstellen kann.77 Auf Grund gewisser Prioritäten - vielleicht habe ich auch die angenehmeren Aufgaben ein wenig bevorzugt -habe ich dann doch nicht ganz so viel Zeit darauf verwendet wie eigentlich gedacht und nicht den ganzen Textbestand, sondern nur eine (hoffentlich repräsentative) Auswahl von Seiten kontrolliert Es waren die Seiten pp. 3 3 - 4 8 (das ist der ganze "Block" der inneren vier Doppelblätter) und pp. 65/66 (als ein besonders gut lesbares Blatt). Wie gesagt, es ging hierbei nur um die Stellen, wo in meiner Transkription bzw. im hier gedruckten Text ein einzelner Supralinearpunkt über einem sicheren ( i ) oder unsicheren ( ι ) Jota steht, und diese gezielte Kontrolle erfolgte unter UV-Licht Ich habe vier Fälle unterschieden:

1. unsicher = es ist im Original nicht klar genug erkennbar, ob ein Supralinearpunkt da war oder nicht;

2. positiv = mit großer/größter Wahrscheinlichkeit war im Original ein Supralinear-punkt da;

76 Besonders zwei Sätze von ihm hielten mich in Unruhe, nämlich (die erste Hälfte des Satzes): "Je ne doute pas que tu aies reproduit fidèlement ce que tu as vu, mais je suis frappi par I' étrangeté de ce phénomène tel qu ' il se présente dans le P. Mich. 3S20" (Brief vom 2.11.1992). Und dann: "... je comprends maintenant comment tu as procèdi dans ta transcription du P. Mich. 3520. Personnellement, j ' aurais procédé autrement, et je η ' aurais inscrit ni tréma ni demi-tréma au-desssus du I quand je n ' en voyais pas la moindre trace dans I' original" (Brief vom 12.11.1992).

77 "Deinen i-Punkt-Mechanismus habe ich zur Kenntnis genommen, aber nach γ halte ich generell doch ΐ (also Trema) für wahrscheinlicher - falls der Schreiber überhaupt einem gewissen Mindestmaß an komplementärer Verteilung gehorcht. An sich auch nach Eta, aber da ist es vielleicht weniger zwingend" (Brief vom 9.12.1992).

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36 Einleitung

3. negativ = es sieht (doch) so aus, als ob im Original gar kein Supralinearpunkt gestanden hätte;

4. hohes Jota = das Jota scheint im Original oben Überlänge zu haben, was man so erklären könnte, daß der Punkt nicht über, sondern auf das Jota gesetzt ist (also Verschmelzung von Jota und Supralinearpunkt).

Und das Ergebnis der Kontrolle ist nun das Folgende: 1. unsicher: 37 mal;78

2. positiv: 37 mal;79

3. negativ: 5 mal;80

4. hohes Jota: 14 mal.81

Von den 37 sicheren Stellen steht das i zweimal nach γ (p. 35,8; 43,12) und zehnmal nach h (p. 33,6; 35,22; 36,10.21; 42,18; 43,19.20; 44,3.5; 47,16).

Es sei mir hier bei diesem Einschub auch noch gestattet, die seufzend vor Ort gemachten Notizen allgemeiner, unmittelbarer, Eindrücke bzw. Ergebnisse wiederzugeben: Der "verschobene" Punkt (zweite Hälfte des Trema) ist vielleicht nur eine Variante des Punktes genau über dem Jota (das scheint ja auch "logisch" zu sein und in den allgemeinen orthographischen Kontext der koptischen Dialekte zu passen [vgl. die Rechtsverschiebung der SupralinearrfrzcAe in vielen Texten]). Das heißt praktisch, daß man beim Drucken einfach das normale Zeichen i nehmen kann. Der andere Eindruck ist: es lohnt sich nicht, den ganzen Text noch einmal auf i hin durchzuprüfen. Es führt zu keiner Klarheit im Einzelfall - mit einigen Ausnahmen, natürlich. Es wäre vielleicht "falscher", keinen Punkt zu setzen, wo man nicht deutlich einen sehen kann. So fühle ich mich eigentlich bestätigt in meinem relativ früh, nämlich schon bei der Kollation von 1992, gefaßten Entschluß, das Zeichen ¡ "halb systematisch" zu behandeln, nämlich nach dem Grundsatz: Im (visuellen) Zweifelsfalle = i. Als Parallele Gel mir bei dieser Arbeit besonders die Behandlung der Kontraktion ¡¡¡if ein. Da es an einigen Stellen ganz deutlich ist, daß die Kontraktion den Strich darüber hat, wird er auch vorausgesetzt und dargeboten (gedruckt), wo immer und wie immer die beiden Basisbuchstaben auftauchen: <jyf, ífrf, ¡jrf, ¡{ff, auch wenn man den Strich nicht (eindeutig) sieht. (So weit die Notizen aus dem Ann Arbor-Tagebuch.)

Was nun die Setzung dieses Supralinearpunktes bzw. ausnahmsweise stattdessen des Trema anbelangt, so wäre unser Codex kein menschliches Produkt, wenn es nicht um die erkannte (oder postulierbare) Norm herum eine leichte "Streuung", d.h. gewisse Normabweichungen oder Einwirkung anderer Normen, gäbe. Dazu gehören die im bereits Gesagten implizierten Fälle, wo das Wort für "oder" und das Wort für "denken/Denken" ohne Punkt(e) erscheint, also als Ι e (p. 31,14) bzw. MHOY I (p. 29,11; 71,13). Da das postvokalische markierte Jota auch nach vokalischem /w/ steht [vgl. ΜΟΥ i "neu" p. 2,11.14; 43,12.18; 72,13; Μογί "Löwe" p. 27,8; κογί "klein" p. 15,11(7); ογ ί "ein (Ge)kommen(er)" p. 52,22] und somit hier ein Übergang zu bestehen scheint zu dem markierten Jota in M H O Y i, wo das /w/ konsonantisch ist, muß man a priori neugierig sein, wie der Schreiber das Jota behandelt in den vielen Pluralformen, die - wie der Singular MHOY i - auf -(ο)γ Ι enden. Und in der Tat kommt die Markierung des Jota da gelegentlich vor, nämlich in ¿^¿.γ i (p. 45,13), Π Η Ο Υ i

78 P. 33,1(T¿» i ).3.8.10.18; 34,4.12.15; 35,15(2 P H I ) ; 37,11([1.]Π I Ó € i ).13; 39,8; 41,1.4.13.20; 42,8; 43,1.6.7bis.l8 ([MOY] i ); 44,2.13.15.17; 45,13; 46,7.10.14; 47,3.6; 65,l.llbis; 66,4.7.

79 P. 33,6; 34,3.6; 35,1.8.13.17.22; 36,10.18.21; 37,11([2.]Π I ó e i ); 39,3; 40,21bi»; 41,10; 42,9.11.18(2 f Η i ); 43.1Z13.18 ( C 2 e i ).19b¡s.20.22(OY¿>. i N); 44,3.5.8.11.12; 46,6; 47,4.7.16; 65,2; 66,5.

80 P. 37,19; 41,12; 42,14.18(ne i ); 43,22(M€ i ). 81 P. 33,1(M¿. i ); 35,7.11.15(2 Ν H i ); 36,14; 37,10; 47,10; 48,5.12.13.14.22; 66,12.14.

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P. Mich. 3520 37

(p. 71,2; 72,9). Aber diesem (markierten) ¿Λλγ i steht das (unmarkierte) ¿ λ λ υ ι von p. 44,15 gegenüber, und dem ΠΗΟΥ i das ΠΗΟΥ Ι von p. 71,20; und den zwei markierten Formen auf -(ο)γ i zusammengenommen auch noch die Menge der anderen Plural-Formen, die am Ende diese Struktur haben, nämlich E N T O X ^ O Y \ (p. 39,2); ΚΛγ | (p. 21,20); peri 12>>γ ι (p. 11,16); πλρΛΒΟΛΛογι (p. 37,20); —τεΒ]Ν*γι (p. 10,20); 2ΒΗογι (p. 15,2; 49,llf.; 50,8f.; 66,18; 72,1); 2 ι ¿of ι (p. 34,21). Vgl. auch zur bloßen Folge ογ ι : ογ ι f. "eine" (p. 22,17bis); — 2IOY]! (p. 68,21); - 2 ο γ ] ι f (p. 19,16).

Andererseits wird selbstsilbisches /j/ gelegentlich markiert; vgl. <P̂ C Ï (p. 1,11); ( )ZA.YÏ (p. 1,20; 2,18); e i ρ ι ( Ρ . 24,19); NNCK i (p. 35,11); N ç e i (p. 35,13). Aber auch das sind Ausnahmen, wie die "Gegenprobe" zeigt; vgl. vor allem unes | m i (p. 17,21f.); ^ N E I M I (p. 23,15); Ι das "freie" Verb "kommen" (p. 30,10); N K N C I M I (p. 3348); [ N e ] | N I (p. 35,2); ΝΝΛ,Φ ι ρ ι (p. 35,14); ε γ ι Μ Ι (p. 38,10); Ι τ ε (ρ. 39,9.10); T E N Ι ρ Ι (ρ. 41,10); τει\ι ι Μ Ι (ρ. 42,18); 2^τεΐΜ ι Μ Ι (ρ. 44,12); 2ΛΝ j Μ Ι (ρ. 45,18); ¿.γ ι (ρ. 45,19); ι [ΜΙ — (ρ. 47,22); τεινι IMI (Ρ. 49,18); Νοε ¡ ρ \ (ρ. 49,21); τεΝ ι ρ ι (ρ. 52,2); ¿.γ ι (ρ. 52,18); Ι Μ J (ρ. 52,19); * i<I>À.N! (ρ. 63,20); Ε Ρ Φ Λ Ρ Π Ν Ί Μ ΐ (ρ. 65,2); ( )NÄ.C ι (ρ. 65,5); ε ε ι ι φ — (ρ. 67,17); ε<ιει (ρ. 71,18); τ * [ ι Ν] \ (ρ. 72,8).

Aber jedenfalls erfolgt die Schreibung von /j/, so oder so, sozusagen "unten" in der Zeile immer nur mit einem Buchstaben, nämlich mit einfachem Jota. Demgegenüber vollzieht sich die Schreibung des anderen Glide-Phonems M teils in seiner digraphischen Grundgestalt ογ, teils monographisch unter Nichterscheinen ihres ersten Elements ( )γ. Dabei richtet sich die Verteilung bei der neuralgischen, nämlich postvokalischen Schreibung des /w/ unmittelbar vor einem Wort- oder Silbenende im allgemeinen, bei nur ganz geringfügigen Abweichungen, wenn der Vokal kein ò. ist, nach einer erkennbaren Regel, während es einen Bereich der Schreibung von /aw/ gibt, wo offenbar eine gewisse Freiheit herrscht. Diese Regel ist, daß nach ε das ογ immer sein o verliert und also eine orthographische Diphthongisierung eintritt,®2 aber nach Η und ω nie. Nun ergibt sich auch bei À. die Diphthongisierung immer, wenn es sich bei dem Μ um das an eine Basis tretende Suffix der 3. Person Plural handelt (wie bei den Konjugationspräfixen Λγ-, ετ^γ-, Φ^γ-; den Präpositionen wie e ρ ¿»γ;83 dem suffigierten Infinitiv wie τί ,2λγ). Wo es sich aber um ein Element des Wortstammes selbst handelt, gibt es offenbar nur bei der Schreibung der copula λγω keinerlei Schwankungen. Man möchte nun eigentlich bei der hier vorliegenden Sprachform in der digraphischen Schreibung des M der in Frage kommenden Lexeme (also M ^ O Y "Wasser", ζ^ογ "Tag", 2¿>>OY "schlecht sein", Ο Λ Ο Υ Ν "erkennen", 2Λ.ογ<ρ "schmähen") das Normale sehen und in den monographischen Varianten eben die Abweichung. Tatsächlich heißt es zwar immer 2^ογ "Tag" und cáoyn, aber neben ΜΛ.ΟΥ begegnet auch M¿>Y, neben 2Λογ "schlecht sein" auch, und zwar viel häuSger, 2 ¿.γ, neben τ λ ο γ λ "aussenden" auch neben ζ^ογφ auch 2Λγ<ρ, neben der Pluralendung -λογ ι auch -¿.γ ι, und kommt bei anderen Wörtern sogar nur die Kurzform vor, nämlich bei TÄ.Y "Berg" (allerdings nur einmal belegt) und Μ Λ Υ Τ "tot sein" (4mal sicher); einmaliges T ¿ » Y + ist nur ergänzt. Bei der Schreibung des Wortes für "Tag" im Gegenüber zu der Schreibung des stativischen Verbs "böse sein" ist eine gewisse Tendenz zu erkennen, die Wörter (per Konvention) dadurch zu unterscheiden, daß für den betreffenden Stativ die kurze Form bevorzugt wird.

Wenn der Vokal ε infolge syntaktischer Verbindung "nachträglich" vor ein wortanlautendes M tritt, erfolgt Diphthongisierung nur in Ausnahmefallen wie zum Beispiel beim Adverb εγεΛΠ "zugleich" (p. 34,4 = Eccl 11,6) oder in der Verbindung ε-γ- IMI "ZU einem Verstehen" (p. 38,10 = Eccl 12,11).

82 Ausnahmen Νεογ "ihnen" Eccl 4,1; 6,6 und Πεογ- "ihi" Eccl 3,11; 8,6. 83 Einzige Ausnahme ε Ρ Λ θ γ 2Pelr 3,7.

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38 Einleitung

Sprache

Von der Sprache des P. Mich. 3520 war in den vorangegangenen, notwendigerweise ausführlichen Abschnitten dieser Einleitung schon verschiedentlich die Rede. Das ist einer der Gründe, warum ich mich hier relativ kurz fassen möchte. Die anderen zwei Hauptgründe dafür, daß es hier nun nicht so eingehend weitergehen soll und muß, sind einerseits, daß ich mich ja schon im Rahmen der Einleitung zur Ausgabe des Codex Glazier84 ziemlich eingehend mit dieser Seite der Sache beschäftigt habe und ich keinen rechten Sinn darin sehen kann, das dort Ausgeführte und Gezeigte hier zu wiederholen, und andererseits, daß die Sprache des P. Mich. 3520 ja nun etwas ist, das von jetzt an infolge der hiesigen Ausgabe jedermann vor Augen ist, wobei es ja auch zum Glück sicher so sein wird, daß andere Augen mehr und anderes als wichtig erkennen und herausstellen werden, als mir, in der hier allein angebrachten, sowieso einseitigen, weil vorwiegend dialektologischen Perspektive, aufgefallen ist. Auch könnte man diese Bemerkungen zur Sprache des P. Mich. 3520 einfach als eine Art Einleitung zu dem Index der hiesigen Ausgabe verstehen, der nämlich so angelegt ist, daß die Besonderheiten, und speziell die sprachlichen Variationen, die ja die altertümliche Instabilität dieser Sprache ausmachen, auch in ihrem Mengenverhältnis, auf das es hierbei ja entscheidend ankommt, einfach abgelesen werden können und wo ja übrigens auch die Aufstellungen von 1991 in korrigierter und erweiterter Gestalt nun in ihrem eigentlichen Kontext erscheinen.

Was die Instabilität dieser Sprache anbelangt, so hat sie übrigens durchaus auch ihre Grenzen. Und diese Sprache ist ja auch gar nicht so, daß man sie nicht ohne weiteres verstehen könnte. Es gibt nämlich eine breite normierte Mitte, von der aus gesehen die Abweichungen in der Hauptsache als Randphänomene an den beiden Außenseiten erscheinen. Und diese Mitte entspricht nun exakt dem, was man als den Dialekt V4 definiert hat,85 nämlich eigentlich reinem Frühfayumisch, und zwar auch mit ganz typischer Lexik, nur eben gerade ohne das "Schibboleth" des Fayumischen, den Lambdazismus, und man kann die Randerscheinungen dann am einfachsten als Einwirkungen zweier Nachbardialekte deuten, auf der einen Seite des per definitionem ja ganz nahe gelegenen wirklichen Frühfayumischen, auf der anderen Seite des etwas ferner liegenden mittelägyptischen Dialekts in seinen verschiedenen Spielarten. Nach der Norm der breiten Mitte richten sich übrigens auch die Ergänzungen der Textlücken und die Ordnung des Index, wobei die Index-Ordnung zuweilen etwas konsequenter sein kann, weil ja die praktische Füllung der Lakunen einerseits auch von dem zur Verfügung stehenden Raum abhängig ist und man andererseits im Text selbst nicht gut eine solche Form ergänzen kann, die zwar vollkommen der Norm entspricht, aber sonst gar nicht wirklich in dieser "normalen" Gestalt vorkommt.86

Es ist aber nun merkwürdig, daß der Einfluß aus der Nähe erheblich geringer zu sein scheint als der Einfluß aus der etwas größeren Entfernung. Der Einfluß aus der unmittelbaren Nachbarschaft besteht nämlich einfach darin, daß sporadisch doch der (nach der Norm der "Mitte" ausgeschlossene) Lambdazismus erscheint, daß es also zum Beispiel neben ρωηι sporadisch auch XCOM I heißt, neben Ψ Η Ρ Ι auch Φ Η Χ Ι, neben T H P * auch T H X * und daß es bei den griechischen Verben neben der e ρ-Ableitung auch die auf ex- gibt, also daß etwa neben epKocM ι Ν auch eXKocti ι Ν erscheint oder neben ep¿>pN ι cee auch ex^pN ι c e e . Demgegenüber ist der Einfluß des Dialekts M mehrfältig und besteht vor allem in dem

84 Vgl. Schenke 1991: 69-80. 85 Ob es den Dialekt V4 in reiner Form wirklich jemals gegeben hat, spielt übrigens bei solcher Art von Beschreibung

des wirklich Vorhandenen keine Rolle. 86 Das gilt besonders für das Präsens-Präformativ der 1. Person Plural, das zwar nach der Norm T N - lautet, aber in

Wirklichkeit doch immer Τ β Ν - geschrieben wird.

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P. Mich. 3520 39

zusätzlichen Gebrauch des Perfekt-Paradigmas 2 AH-, aber zum Beispiel auch im Gebrauch von Ν ι M "jeder" neben Ν Ι Β Ι , von MNT- praef. neben Μβτ-, von cex ι "reden" neben <J>ex Ι, von τβΝογ "jetzt" neben +NOY, von ερωτΝ "zu euch" statt ερΑΤΝ, von MMÍOTN "(in bezug auf) euch" statt ΜΜΛΤΝ, von τ ( ε ) Ι Ι - Negation des Infînitvs neben <DTM-, und bei den griechischen Verben in dem Ausbleiben der ε ρ-Ableitung bei Kurzform, daß es zum Beispiel neben dem normgerechten E P N A P A R ι Ν auch Π Α Ρ Ά Γ Ε heißt oder neben ε ρ π ι ε τ ε γ ί Ν auch π ι cTeye.87 Nun könnten ja in der Tat manche der gerade genannten (wie übrigens auch manche der im folgenden noch zu nennenden) Abweichungen, die ja außer dem 2AQ-Paradigma kaum etwas ganz typisch Mag. bieten, auch andere Quellen als den Dialekt M haben, vor allem (wie zum Beispiel bei Ν Ι M und dem ableitungslosen Gebrauch der griechischen Lehnverben) das Sahidische als die lingua franca des damaligen Ägypten. Aber die Möglichkeit, all die vielen Abweichungen auf dieser einen "Flanke" oder wenigstens so viele wie möglich davon aus ein und derselben Wurzel zu erklären, verdient doch wohl methodisch den Vorzug.

Nun gehören zu der sprachlichen Instabilität von P. Mich. 3520 aber auch noch drei Sorten von Variationen, die nicht, nicht ganz oder nicht ohne weiteres in das bisher gezeichnete Schema passen oder zu passen scheinen und doch an sich wichtige Phänomene darstellen. Dabei geht es zunächst um ein auffälliges Schwanken im Gebrauch der Vokale A und ε. Neben ΑΦΑ i "sich vermehren" gibt es ΑΦΕ i, neben A i "sein" gibt es e i, neben KA-"legen" gibt es κε-, neben ινίΑε* "groß sein" gibt es nga* , neben (n)na2 ρ(ε)ι\ι- "vor" gibt

es WNeapeN-, neben (O)YA "Fluch" gibt es (ο)γε, neben (DNA2 "Leben" gibt es ION e 2 und neben ψ ΑΠ- "empfangen" gibt es cyen-.88 Nun ist in dieser rein schematischen und von der Wortfolge des Index bestimmten Aufstellung bei weitem nicht alles von gleicher Rangordnung und stehen auch die legitimen Formen von F4 und M gar nicht alle auf der gleichen Seite, bzw. gibt es offenbar legitime Formen von beiderlei Gestalt. Am auffälligsten erscheint mir jedenfalls die Variation zwischen A i und ε i. Und im Kontext des obigen Erklärungsversuchs für das gesamte Phänomen ist mir die Frage wichtig, ob das hiesige Schwanken auch teilweise mit der merkwürdigen A-Einfärbung von ε-Formen in Λί89 zusammenhängen könnte bzw. ob das Schwanken in umgekehrter Richtung etwa zur Erklärung des ε in der mäg. Form ο γ ε ϊ "wehe!" beitragen könnte.

Daß es in einer dem Fayumischen so nahestehenden Sprache bei den koptischen und griechischen Wörtern, die auf Η enden, zwei verschiedene Plural-Endungen, nämlich -HOY und - A ( O ) Y Ι , gibt, erscheint wohl bemerkenswert, ist aber nur in einzelnen Erscheinungsformen etwas auffällig. So findet man einerseits C A B H O Y "Kluge", Z A H O Y "Letzte", Ψ Γ Χ Η Ο Γ "Seelen", andererseits peri ι Αγ ι "Tränen", τεΒNAY ι "Vieh", Π Α Ρ A B O N A O Y I "Gleichnisse", aber eben auch εΝΤΟλΗογ "Gebote" neben εΝτοΝΑογι.

Von größerer Tragweite ist eine partielle Promiskuität zwischen <5 und A. Außer NA<5 "groß" kommt auch NA2S vor, außer π ι 6 ε ¡ "Nichtigkeit" auch π ι x e i, außer 6 m ι "finden" auch 2S ι Μ Ι , außer dem Präfix 6 Ι N- auch λ I N-, außer NÖANC "gewaltsam" auch N X A N C , außer

87 Dieses Grundschema der Beschreibung trifft nun auch genau auf die Sprache des Londoner Didacbc-Eraerpts zu. Und diese Grundgemeinsamkeiten werden auch durch die jedem der beiden Zeugen dieser Sprachform eigenen Züge, die es auch gibt, nicht aufgehoben. Beide Sachverhalte, gemeinsames Grundschema und jeweilige kleinere Besonderheiten lassen sich übrigens an Funk 1993 und 1998/2001 schön ablesen. Did verwendet z.B. nur Μ ε τ - praef., Ν I Β I "jeder" (also mehr iV-Charakter), CE2SI "reden" (mehr ¿/-Charakter), NêM- "mit", hat neben NiSe- part. subj. gelegentlich auch N2SI - (welches z.B. die Nonn von W ist), schreibt die Endung der griechischen Infinitive - ε I Ν, hat Doppelvokale in N T A A T ^ "bei (jemandem)", φ Α Α Π "(da)sein" und X A A ^ "(etwas) sagen" und bietet in Κ ε ο γ "sie legen" und 2£AOy "sie sagen" das Suffix der 3. Person Plural in digraphischer Gestalt.

88 In diesen Zusammenhang gehört vielleicht auch der überraschende Umstand, daB in der Sprache des P. Mich. 3520 das Wort für "alt" nicht, wie zu erwarten, £ C heißt, sondern AC.

89 Vgl. ζ. Β. Schenke 1991: 73, Anm. 179 und 2001: 27f.

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40 Einleitung

<5ΗΠ ι "Wolke" auch ÄHTT I und außer Ó 12S/ÓEY2S "Hand/Hände" auch ÜS I 2S/ÄEY2S. Bei diesem offenbar nördlichen Aspekt braucht man aber nicht gleich an direkte Einwirkung des Bohairischen zu denken, sondern könnte sich ihn auch einfach durch die Bekanntschaft speziell auch mit deijenigen Spielart des Dialekts M, die der Codex Sch^yen bezeugt und in der 6 vollständig durch 2S (oder κ) vertreten wird,90 vermittelt vorstellen.

Das letzte Phänomen, das in einer dialektologisch orientierten Beschreibung der Sprache von P. Mich. 3520 erwähnt zu werden verdient, hat es auf eine nochmals andere Weise wieder mit dem Vokal ε zu tun. Wir beginnen mit dem für eine dem Fayumischen nahestehende Sprachform und in der Perspektive der als vom Fayumischen beeinflußt geltenden Spielarten des Dialekts M wie der Sprache des Mailänder Codex der Paulusbriefe und des Psalmencodex91 unerwarteten Aspekt, daß die vokalische Auflösung der silbischen Sonore im Inneren lexikalischer und syntaktischer Wörter zwar reichlich vorkommt, aber doch als Abweichung der diese Sprache in diesem Bereich eigentlich bestimmenden Norm, nämlich die Sonore als solche zu bewahren, erscheint. Also Formen wie 2N- "in", 2 1 TN- "von", KMTC

"Dunkelheit", MIMT- praef., ETHMEY "jene(r)" entsprechen der Norm, während ZEN-, 2 ι τεινι-, KÊMTC, MeNT- , e T € M M e y die Ausnahmen repräsentieren. Das gilt, selbst wenn bei Einzelformen wie vor allem den 1. und 2. Person Plural der Konjugationen, die Mehrheitsverhältnisse bei der praktischen Umsetzung auch umgekehrt liegen können. Das alles ist nun aber umso auffälliger, als ein solches ε erstaunlich oft, nur in ausnahmsweisen Schreibungen freilich, als Auflösung echter Doppelkonsonanten erscheint, nämlich in t opez "Betrachten", ι\ιτ^τε<ι "bei ihm", CANEC "blicken", ΤΛΜΕΤ "begegnet sein", T H p e q "er ganz", ΟΓΑ>ηε<4 "ihn essen", <ot\IE2 "Leben", «¿».pen "erster", ZHBEC "Lampe", 2Αολε2 "(ab)schneiden", 6λλεζ "leer sein", ÓCUNST "zornig werden", TENEQ- inf. caus. 3. Person maskulin Singular und ο * ρ ε 5 "Fleisch".

90 Vgl. Schenke 2001: 28.29f. 91 Vgl. Schenke 1996b: 87.

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P. Mich. 3520 41

Bemerkungen zur Textform

Von der Textform der drei Schriften des P. Mich. 3520 und auch davon, daß sie verwirrend unnormal ist, war in dieser Einleitung im Anschluß an die frühen Erkenntnisse von E. Husselman und unter verschiedenen Gesichtspunkten schon beiläufig und mehrfach die Rede. Eine vorläufige Zusammenfassung findet sich zum Beispiel auf S. lOf. und interessante Einzelheiten wurden im Zusammenhang mit der Schreibung besprochen. Daß dieser Aspekt des P. Mich. 3520 hier nun, wenn auch nur kurz, noch zum Thema gemacht wird, ist aber nicht etwa darin begründet, daß ich selbst doch schon etwas Näheres darüber mitzuteilen hätte (in bezug auf den Ecclesiastes und die offenbar sehr komplizierten Probleme des Verhältnisses des griechischen LXX-Textes zu seiner Bezeugung durch das Medium der verschiedenen, besonders orientalischen, Übersetzungen fehlt mir sowieso die Kompetenz und, was die beiden katholischen Briefe des Neuen Testaments betrifft, so hat mir für eine Untersuchung ihrer Textform bisher die Zeit gefehlt; auch habe ich selbst eine solche Untersuchung eigentlich gar nicht vor), sondern um mit Nachdruck auf die noch vor uns liegende Aufgabe einer näheren Bestimmung dieser Textform hinzuweisen, für die ja diese Text-Ausgabe, nicht zuletzt in ihrer konkreten Anlage, Grundlage und Werkzeug sein soll. Ich habe übrigens in dem Apparat der Textausgabe auch alles, was mir unter diesem Gesichtspunkt "unterwegs" im Rahmen der Editionsarbeit aufgefallen ist, (noch einmal) ausdrücklich vermerkt. Und da zu der umfassenden Problematik der Textform auch das (innerkoptische) Verhältnis der Übersetzung des P. Mich. 3520 zu den anderen koptischen Übersetzungen gehört, ist vielleicht die im Anhang gebotene iimeifayumische Ecclesiastes-Synopse von P. Mich. 3520 und P. Mich. 6868 (für die Stücke, die in P. Mich. 6868 erhalten sind) und eine schon an anderem Ort publizierte Synopse, in der noch die Version des P. Hamb. Bil. 1 hinzugefügt ist,92 auch für die umfassende Frage der Textform von P. Mich. 3520 nicht ganz ohne Interesse. Nach meinen eigenen Erfahrungen mit dieser Synopse, deren Ergebnisse in dem Apparat zu den betreffenden Text- und Übersetzungsseiten festgehalten sind, kann sie geradezu als ein Schlüssel zur Textform benutzt werden.

Bemerkungen zur Textdarbietung

Daß die Darbietung des koptischen Textes kolumnen- und zeilenweise geschieht, liegt bei einem so fragmentarisch erhaltenen Text, dessen Blätter ja erst mit Mühe rekonstruiert werden mußten, in der Natur der Sache. Mit dieser Rekonstruktion hängt es auch zusammen, daß überaus viele Textpartien ergänzt worden sind. Es geht bei dieser Ausgabe ja nicht nur um die Mitteilung des in diesem Papyrus erhaltenen koptischen Textes selbst, sondern auch um die Gewinnung und Übermittelung einer Vorstellung von dem ursprünglichen Buch, in dem dieser Text gestanden hat.

Einer besonderen Erläuterung und Begründung bedarf aber vor allem noch die dem koptischen Text gegenübergestellte deutsche Übersetzung. Eine normale Übersetzung des Ecclesiastes und der beiden Katholischen Briefe wäre ja durchaus überflüssig gewesen, da man, um zu wissen, was in diesen drei Texten steht, nur die Bibel aufzuschlagen braucht Sinnvoll und sogar notwendig erschien mir eine Übersetzung nur, wenn man bereit war, sie so zu gestalten, daß sie die sprachlichen und inhaltlichen Spezifika dieser koptischen Versionen widerspiegelt, nicht zuletzt zu dem Zweck, daß auch Forscher, die mit dem Koptischen nicht

92 Vgl. Schenke 1994: 27-37.

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42 Einleitung

so vertraut, aber an der Sache in hohem Maße interessiert sind, durch das Medium einer Übersetzung von solcher "Wörtlichkeit" einen Zugang zu dem besonderen sprachlichen und inhaltlichen Profil dieser koptischen Texte erhalten. Wenn manch normaler Benutzer nun den Eindruck haben sollte, daß ich in der Verfolgung dieses Zieles etwas, oder vielleicht sogar erheblich, zu weit gegangen bin, so könnte ich das durchaus verstehen. Aber es geschah eben in voller Absicht. Und ich möchte die Sache noch einmal so sagen: Diese Übersetzung soll und darf nicht für sich allein gelesen werden, sondern "gilt" nur in strenger Beziehung auf den ihr gegenüberstehenden koptischen Text.

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