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9 11. Berichte Das Jahr 1956 leitet mit der Eröffnung der Schausammlung einen neuen Ab- schnitt für das Staatliche Museum für Naturkunde in Stuttgart ein. Aus diesem Grunde gelangen hier an Stelle des sonst üblichen Museumsberichts ein Rückblick auf die letzten 12 Jahre und die Ansprache des Museumsdirektors bei der Eröff- nung zum Abdruck. Der Museumsbericht in den nächsten Jahresheften wird auch das Jahr 1955 mit umfassen. Zwölf kritische Jahre (1944-1955) des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart Von E. Schüz und R. Seemann Die vergangenen 12 Jahre bedeuten in der Entwicklung des Museums einen so tiefen Einschnitt, daß in Hinsicht auf spätere Ermittlungen ein zusammenfassender überblick geboten ist. Der erste Teil dieses Auf- satzes ist einer Denkschrift entnommen, die R. SEEMANN als kommis- sarischer Leiter des Museums 1946 bis 1949 zusammengestellt und im Archiv niedergelegt hat. Manche Angaben überschneiden sich mit den- jenigen von M. RAUT HER in den Jahresheften 97-101; aber sie ergänzen diesen Bericht in wichtigen Punkten, und die vernichtenden Ereignisse 1944 haben unser Museum so schwer getroffen, daß die Darstellung durch einen weiteren Zeugen am Platze erscheint. Der zweite Abschnitt stellt die wesentlichsten Ereignisse des letzten Jahrzehnts zusammen und bildet also einen Auszug aus den· Museumsberichten in den Jahres- heften 102 bis 110. Wer weiter zurückgreifen und über die Geschichte des Museums nachlesen will, findet ausführlichere Rückschauen in den Jahresheften 52, 1896 (LAMPERT), und 96, 1940 (RAUTHER) . I. Bis Ende 1943, also glücklicherweise recht lange, waren die Gebäude der Württembergischen Naturaliensammlung, und zwar sowohl die Ver- waltungsgebäude in der Archivstraße als auch das Ecke Neckar- und Archivstraße gelegene Ausstellungsgebäude, vor Kriegsschäden ver- schont geblieben. Trotzdem war unter dem Eindruck der Zerstörung der Museen in anderen Städten (Hamburg, Köln, Mainz, Karlsruhe) schon im Mai 1941 mit der Verlagerung der bedeutsamsten Stücke in geschützte Räume, zum Teil in Stuttgart selbst (Altes Schloß, Wagenburgtunnel), zum Teil nach auswärts (Salzbergwerk Kochendorf), begonnen worden. Doch sollten, einem ausdrücklichen Wunsch des Kultministers ent- sprechend, die Sammlungen möglichst lange der Öffentlichkeit, vor allem

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11. Berichte

Das Jahr 1956 leitet mit der Eröffnung der Schausammlung einen neuen Ab­schnitt für das Staatliche Museum für Naturkunde in Stuttgart ein. Aus diesem Grunde gelangen hier an Stelle des sonst üblichen Museumsberichts ein Rückblick auf die letzten 12 Jahre und die Ansprache des Museumsdirektors bei der Eröff­nung zum Abdruck. Der Museumsbericht in den nächsten Jahresheften wird auch das Jahr 1955 mit umfassen.

Zwölf kritische Jahre (1944-1955) des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart

Von E. Schüz und R. Seemann

Die vergangenen 12 Jahre bedeuten in der Entwicklung des Museums einen so tiefen Einschnitt, daß in Hinsicht auf spätere Ermittlungen ein zusammenfassender überblick geboten ist. Der erste Teil dieses Auf­satzes ist einer Denkschrift entnommen, die R. SEEMANN als kommis­sarischer Leiter des Museums 1946 bis 1949 zusammengestellt und im Archiv niedergelegt hat. Manche Angaben überschneiden sich mit den­jenigen von M. RAUT HER in den Jahresheften 97-101; aber sie ergänzen diesen Bericht in wichtigen Punkten, und die vernichtenden Ereignisse 1944 haben unser Museum so schwer getroffen, daß die Darstellung durch einen weiteren Zeugen am Platze erscheint. Der zweite Abschnitt stellt die wesentlichsten Ereignisse des letzten Jahrzehnts zusammen und bildet also einen Auszug aus den· Museumsberichten in den Jahres­heften 102 bis 110. Wer weiter zurückgreifen und über die Geschichte des Museums nachlesen will, findet ausführlichere Rückschauen in den Jahresheften 52, 1896 (LAMPERT), und 96, 1940 (RAUTHER) .

I. Bis Ende 1943, also glücklicherweise recht lange, waren die Gebäude

der Württembergischen Naturaliensammlung, und zwar sowohl die Ver­waltungsgebäude in der Archivstraße als auch das Ecke Neckar- und Archivstraße gelegene Ausstellungsgebäude, vor Kriegsschäden ver­schont geblieben. Trotzdem war unter dem Eindruck der Zerstörung der Museen in anderen Städten (Hamburg, Köln, Mainz, Karlsruhe) schon im Mai 1941 mit der Verlagerung der bedeutsamsten Stücke in geschützte Räume, zum Teil in Stuttgart selbst (Altes Schloß, Wagenburgtunnel), zum Teil nach auswärts (Salzbergwerk Kochendorf), begonnen worden. Doch sollten, einem ausdrücklichen Wunsch des Kultministers ent­sprechend, die Sammlungen möglichst lange der Öffentlichkeit, vor allem

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den vielen vorübergehend in den Lazaretten weilenden Verwundeten, zu­gänglich bleiben. Eine amtliche Verfügung über die beschleunigte Räu­mung und Dezentralisation der staatlichen Sammlungen kam erst im August 1943, als die Ver lagerungen bei uns schon im vollen Gange waren. Bald darauf wurden die Sammlungen für die öffentlichkeit geschlossen.

Trotz den wachsenden Schwierigkeiten (vor allem Mangel an Kisten, Seltenheit der Fahrterlaubnis und -gelegenheit), mit denen jeder Trans­port zu kämpfen hatte, waren bis Ende 1943 immer weitere Lager größerer und kleinerer Art außerhalb Stuttgarts an weniger gefährdeten Orten unseres Landes angelegt, so bei befreundeten Sammlern, in Schulen, in abgelegenen Schlössern und an anderen Orten. Alle Angehörigen des Museums, voran der leider bald nach dem Krieg verstorbene Ober­präparator MAx BöcK, der sich durch meisterhafte Fossilpräparationen ein bleibendes Gedächtnis schuf, halfen zusammen, um die oft großen und schweren Stücke abzumontieren, zu verpacken und zu verladen.

Die sich häufenden und in ihrer verheerenden Wirkung sich steigern­den Fliegerangriffe, besonders der schwere Angriff auf Stuttgart am 21. Februar 1944, führten endlich zu einem zweiten Erlaß des Kult­ministeriums über die möglichst rasche und restlose Räumung der Museen. Leider waren beim genannten Angriff auch unsere Sammlungen schwer getroffen worden: Der ganze Neckarstraßenflügel brannte aus bis auf die durch massive Gewölbe geschützten Erdgeschoßräume, in denen das Hauptstaatsarchiv untergebracht war. Der rechtwinklig dazu stehende Archivstraßenflügel mit dem größeren Teil der Schausamm­lungen und Magazinräume, auf den das Feuer überzugreifen drohte, und die Gebäude Archivstraße 2,3 und 4 waren zum Glück erhalten geblieben. Der Schaden, der die botanischen, zoologischen und geologischen Samm­lungen ziemlich gleichmäßig traf, war beträchtlich, beschränkte sich aber glücklicherweise im wesentlichen auf weniger wertvolle Stücke.

Da der nächste schwere Fliegerangriff (24./25. Juli 1944) das Museum nicht direkt traf - es fielen ihm allerdings gewisse kleinere Auslage­rungen in der Karls-Akademie (Hofbibliothek) und im Alten Schloß zum Opfer -, konnten im Laufe des Jahres noch erhebliche Bestände nach auswärts gebracht werden, obwohl die Transporte immer schwieriger wurden. Vom Umfang der Verlagerungen und der dabei geleisteten Arbeit geben folgende Zahlen einen ungefähren Begriff: An 30 Orten (in 10 größeren und 20 kleineren Depots) waren 4 große, aus unzähligen Faszikeln bestehende Herbarien und kleinere botanische Aufsamm­lungen, gegen 900 große Kisten, etwa 50 Schränke, mehr als 500 größere zoologische und paläontologische (zum Teil sehr schwere und unhand­liche) Einzelstücke, etwa 5000 aufgestellte Vögel, zahllose kleinere sonstige Präparate, Bücher, Zeitschriften, Sonderdrucke, teilweise in Kasten und Schachteln verpackt, in Sicherheit gebracht worden.

Die wissenschaftlich wertvollsten Stücke waren daher zum größten Teil in Sicherheit, als die vernichtende Katastrophe über das Museum hereinbrach. In der für Stuttgart so furchtbaren Nacht vom 12./13. Sep-

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tember 1944 wurde der noch unversehrte Archivstraßenflügel durch Fliegerbomben vollständig zerstört. Eine wirksame Bekämpfung des Brandes war nicht möglich, weil schon vor der Entwarnung, als der Sammlungsleiter auf die Gefahr aufmerksam wurde und sich sofort (aber vergeblich) um Hilfe bemühte, ein großer Teil des Dachstockes vom Feuer erfaßt war. Da sich dieses langsam, von den Holzschränken und Balkendecken genährt, nach unten fraß, hätte es vielleicht noch ein­gedämmt werden können, wenn ausreichende Hilfe dagewesen wäre. Aber es fehlten zwei Beamte, die beim Notdienst eingesetzt waren, die Beleuchtung in den Kellerräumen hatte ausgesetzt, die geringen, in größeren Bottichen zur Verfügung stehenden Wasserreserven waren bald aufgebraucht, und ein Löschzug war bis zum Mittag des folgenden Tages nicht zu bekommen. Leider brannten auch die im Hofgebäude Archiv­straße 2 gelegenen paläontologischen Präparationsräume vollständig aus. Da mit dem Hauptgebäude drei große Arbeitsräume zerstört wur­den, galt es von jetzt ab sehr eng zusammenzurücken, um so mehr, als von dem merkwürdigerweise wenig versehrten alten Gebäude Archiv­straße 4 infolge der in der Stadt herrschenden Raumnot zwei Stock­werke (eines an eine Behörde und eines an eine ausgebombte Familie) abgegeben werden mußten.

Da die Hauptausstellungsräume und die im Keller befindlichen Magazinräume der zoologischen und geologischen Sammlungen zerstört wurden, waren die Verluste trotz der vorangegangenen weitgehenden Ausräumung sehr schwer. Erhalten blieb zu unserer großen Überraschung und wehmütigen Freude nur der gegen den Hof zu gelegene, mit einer Betondecke versehene und eisernen Türe"n gegen den vorderen Keller gesicherte schmale Kellerraum, der mit zoologischen Präparaten und Fossilien, Büchern und Zeitschriften gefüllt war.

Die späteren Fliegerangriffe konnten nach der Zerstörung der Museumsgebäude keinen wesentlichen Schaden mehr anrichten und trafen zum Glück auch die noch stehenden Gebäude Archivstraße 3 und 4 nicht mehr. Der angerichtete Schaden war auch so groß genug. Um eine Vor­stellung von seiner Schwere zu geben, sei eine Übersicht über die wesent­lichen Ver I u s ted e r ein z ein e n Abt eil u n gen gegeben:

Die Bot an i s c h e Abte i lu n g verlor zahlreiche Herbarien klei­neren Umfangs von einheimischen (darunter das Herbarium von SAUT ER­MEISTER) , aber auch von ausländischen Aufsammlungen, die gesamte, zum Teil neu aufgestellte und mit Karten und Bildern ausgestattete Schau­sammlung, etwa 30 % des Bestandes an Büchern und Zeitschriften und den größten ,Teil ihres Mobiliars und Arbeitsgerätes.

Die Zoo log i s c h e Abt eil u n g büßte erhebliche Teile, zum Glück meist doppelte und zurückgesetzte Stücke ihrer osteologischen Sammlung ein, leider auch einige wertvollere Skelette bzw. Skelett­teile von Walen, einen jungen Indischen Elefanten und verschiedene Menschenaffen, ferner sämtliche Säugetierbälge und -felle. Besonders schmerzlich ist auch der Verlust der reichen osteologischen Ausbeute

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der vorgeschichtlichen Grabung am Dümmersee. Von den Stopfpräpa­raten verbrannten einige größere Säuger (Indischer Elefant, Afrika­nisches Nashorn, Flußpferd, Seekuh u. a.), meist ältere Präparate, ab­gesehen von dem neuen Nacktmodell eines Schönbuch-Rothirsches, außerdem etwa 1000 aufgestellte Vögel von meist geringerer Güte,l größere Bestände der Balgsammlungen (württembergische Bälge, Teile der Kollektionen STREICH aus China, HABERER aus Kamerun und HAAS aus Korsika), auch die wenig bedeutsame Eiersammlung. Von Reptilien, Amphibien und Fischen wurden neben älteren Trocken- und Flüssig­keitspräparaten auch einige neuere, größere, schwer zu befördernde Stücke (Australischer Grauhai, Heilbutt, Gotteslachs ) vernichtet. Von Wirbellosen fielen etwa 2000 Konchylien (darunter wertvolle Samm­lungen von D. GEYER), 800 Crustaceen (darunter eine Japanische Riesen­krabbe, Macrocheira kämpferi) , 600 Echinodermen und etwa 1100 Spongien und Cnidarien dem Feuer zum Opfer. Bedauerlich ist die Zer­störung des neu eingerichteten Biologiesaales, in dem eine sehr anschau­liche, von den Besuchern besonders dankbar aufgenommene Darstellung biologischer Zusammenhänge (Entwicklungsgeschichte, Vererbung u. a.) gegeben worden war.

Auch die Verluste unserer in einer besonderen Abteilung verwal­teten, sehr reichhaltigen E n tom 0 log i s c h e n Sam m I u n gen sind trotz weitgehender Verlagerungen erheblich; große Bestände der zum Teil historisch bedeutsamen Käfersammlungen, das wertvolle Spiritus­material von Insektenlarven, 2 Kästen mit indoaustralischen Stratio­myiiden, ein Teil der Orthopterensammlung HER MANN KRAuss, ein Teil der Kleinschmetterlingsammlung CALMBACH, die wertvolle Sammlung afrikanischer und indoaustralischer Charaxes sowie umfangreiches Material meist exotischer und noch unbestimmter Insekten aller Ord­nungen. - Hier sei auch der Verlust der bedeutsamen S p i n n e n samm­lung von BÖSENBERG angemerkt.

Die Ge 0 log i s c h - p a I äon t 0 10 gis c h e Abt eil u n g end­lich, deren große Bestände wegen ihres Gewichts besonders schwer zu verlagern waren, erlitt ebenfalls schmerzliche Einbußen, weniger an größeren Schaustücken als an ihren reichhaltigen mineralogischen, petro­graphischen, allgemein-geologischen, lagerstättenkundlichen und palä­ontologischen Studiensammlungen. Aber auch einzelne größere, schwer abzumontierende und zu transportierende Stücke gingen verloren. Dar­unter leider auch die einzigartige, aus 13 Stoßzähnen bestehende Mammutstoßzahngruppe vom Seelberg bei Bad Cannstatt, die im Erd­geschoß stand und, da sie wegen ihres Umfanges und ihrer Zerbrechlich­keit nicht weg geschafft werden konnte, eingemauert worden war. Sie stürzte infolge Einbruchs des darunter befindlichen Steingewölbes in die Tiefe und wurde dabei vollständig zertrümmert. Im Keller wurden durch die Hitze des darüber gehäuften Brandschuttes und durch Löschwasser

1 Darunter aber auch Wertvolles; wahrscheinlich ist hierauf der Verlust des Typus des seltenen Rallus mülleri zurückzuführen. Sch.

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einige seltene Funde von Steinheim an der Murr vernichtet, so die beiden Schädel und Becken vom Waldelefanten (Elephas antiquus), mehrere Elefantenstoßzähne und Edelhirschgeweihe. Auch von den berühmten, von Dr. B. HAUFF präparierten Holzmadener Lias-Fossilien sind einige ältere Ichthyosaurier und Krokodilier, ferner zwei besonders kostbare Vertreter der weniger häufigen Paddelsaurier (Plesiosaurus guilelmi­imperatoris und T haumatosaurus victor) verlorengegangen. Auch sie waren durch Mauern und eine Eisenträgerdecke geschützt, wurden aber durch das von unten, d. h. vom Holzboden her, aufdringende Feuer zer­stört. Die zwei Originalschädel und Gipsabgüsse dieser Tiere sind zum Glück erhalten. Im Keller unter Trümmerschutt begraben wurde noch ein 8 m langes, in Fundlage präpariertes Plateosaurus-Skelett, das 1932 aus dem Keuper von Trossingen durch den Freiwilligen Arbeitsdienst geborgen worden war. Die Einbuße an nichtwürttembergischen Fossilien ist ebenfalls beträchtlich. Es sind darunter Schädel und Skeletteile ver­schiedener Meeressaurier aus dem englischen Lias, zwei Titanotherium­Schädel aus dem amerikanischen Tertiär, eine Kollektion von Skelett­teilen des kleinen Tendaguru-Sauriers Dysalotosaurus, außerdem Teile der stratigraphischen Studiensammlungen.

Auf die lange, nicht vollständige Verlustliste kommen noch die heute besonders schwer ersetzbaren optischen und anderen Instrumente, viele Bücher und Sonderdrucke (darunter besonders wichtige Speziallitera­turen, Manuskripte, Karteien, Eingangsbücher, Wandtafeln, Wandkarten, Photos, Diapositive und andere für den Museumsbetrieb wichtige Ein­richtungsgegenstände, wie z. B. alle Sammlungsschränke und Schau­pulte).

So war zwar schwerer Verlust entstanden, aber der größere Teil der Schätze doch gerettet worden. Glücklicherweise erwiesen sich die Schäden bei den verlagerten Sammlungen als nicht erheblich. In Hohen­Mühringen und auf der Nippenburg wirkten sich Umräumungen, in Beutelsbach, Maulbronn, Magstadt und im Wagenburgtunnel Stuttgart Plünderungen anläßlich des Feindeinmarsches ungünstig aus. In Beben­hausen waren die Bestände Holzmadener Fossilplatten von der Besat­zungsmacht beschlagnahmt, auf nachdrückliche Vorstellungen dann aber für das Museum wieder freigegeben worden. In monatelanger Arbeit konnte durch 55 Fahrten (vielfach mit Lastzügen) bis Februar 1948 das Gerettete in die vorläufigen Unterkünfte auf den alten Grundstücken in Stuttgart (zum Teil in den Ruinen) und in Ludwigsburg (Wilhelmsbau, ferner Alleenstraße 25 und 45) zusammengeholt werden; die Arbeits­stelle und eine gewisser Bestand der Botanischen Abteilung verblieb in Tübingen. R. Seemann

11. Und nun ein kurzer Blick über die Jahre des Aufbaus.

l.Name Die "Württembergische Naturaliensammlung" erhielt 1950 den der

Aufgabe entsprechenden Namen.

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2. Mit a r bei t e r s tab

In der Berichtszeit verstarben der Direktor Professor Dr. M. RAUT HER (27. Mai 1951), Professor Dr. F. BERCKHEMER (2. September 1954), Pro­fessor Dr. R. VOGEL (10. Januar 1955), alle im Ruhestand. Ferner traten in den Ruhestand die Hauptkonservatoren Dr. R. SEEMANN und Professor Dr. E. LINDNER. Hauptkonservator Dr. W. GöTZ schied durch Fort­meldung aus. Vorübergehend arbeiteten mit Dr. F. KIPp, Dr. G. ZINK, (Zoologie) und Dr. F. PARSCH (Paläontologie). Tätig sind am Schluß der Berichtszeit Professor Dr. E. SCHÜZ (Direktor), Professor Dr. M. EISENTRAUT, Hauptkonservator Dr. H. JANUS (Zoologische Abteilung) -Konservator Dr. F. GROSCHKE (Entomologische Abteilung) - die Haupt­konservatoren Dr. K. STAESCHE und Dr. K. D. ADAM (Geologisch-palä­ontologische Abteilung) - Professor Dr. A. F ABER (Botanische Ab­teilung). Dazu kommen ehrenamtliche Kräfte, die voll oder teilweise am Museum mitarbeiten, wie Professor Dr. E. LINDNER, Studienrat H. AMHAus, Frau Dr. H. DORECK, Studienrat Dr. HAAS. Die Botanische Abteilung erhielt 1950 einen Fachmann für Vegetationskartierung (zu­nächst Studienrat Dr. R. HAUFF, seit 1953 Oberstudienrat K. BAuR), ferner vorübergehende Zeithilfen (so Hauptlehrer K. MÜLLER t).

Technischer Stab: In der Paläontologie schied aus durch Tod 1945 Oberpräparator M. BöcK (an dessen Stelle steht nun K. ZÖRNER), in der Zoologie durch Zurruhesetzung 1948 Oberpräparator A. HAUG, dem Inspektor K. KRELL nachfolgte, und Oberpräparator W. RICHTER arbeitet in der Entomologischen Abteilung. Dazu kommen weitere präpa­ratorische und technische Kräfte. Das Museum beschäftigt derzeit 12 Be­amte, 5 Angestellte und 3 weitere Arbeitnehmer.

3. A r bei t s r ich tun gen

Das Museum umfaßt die vier Abteilungen: für Zoologie (ohne Ento­mologie), für Geologie-Paläontologie, für Entomologie und für Botanik. Die letztere versieht gleichzeitig als die Zentral stelle für die vegetations­kundliche Landesaufnahme in Württemberg besondere Aufgaben. Außer­dem wurde ihr 1955 unter einem ehrenamtlichen Bearbeiter ein Archiv für Pilzkunde angegliedert. In zwei Fällen besteht durch Personalunion Verbindung mit weiteren Arbeitszweigen. Der Direktor steht im Neben­amt der Vogelwarte Radolfzell (vormals Vogelwarte Rossitten) der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften vor. Der Leiter der Botanischen Abteilung befaßt sich schon lang mit besonderen Untersuchungen, die 1950 zur Bildung einer Forschungsstelle für Tier­stimmen- und Tierausdruckskunde führten. Sie wird bisher von der Deutschen Forschungsgemeinschaft getragen, und bei Veröffentlichungen hat die Gesellschaft der Freunde und Mitarbeiter unseres Museums wesentliche Hilfe geleistet. Die derzeitige Regelung, die eine besonders wichtige Arbeitsmöglichkeit sicherstellen sollte, kann noch nicht als endgültig gelten.

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4. Sam m I u n gen

Die Rückführung des Sammlungsgutes (siehe oben) stellte an alle Beteiligten außerordentliche Anforderungen. Noch heute sind sowohl die wissenschaftlichen wie die technischen Kräfte weitgehend mit schwierigen Räumungs- und 0 r d nun g s a r bei t e n belastet; im März 1950 fanden sogar noch Brandschuttgrabungen statt. Es liegt eine ge­wisse Tragik über den letzten Arbeitsjahren von Professor BERCKHEMER, der unter weitgehendem Verzicht auf lockende Auswertungen seine äußerste Kraft für das nur ihm mögliche Identifizieren und Ordnen empfindlicher Sammlungs teile hergab. Erst als ihn die Krankheit ganz niederwarf, konnte sich der Unermüdliche etwas mehr seinen wichtigen Untersuchungen der Ammoniten und der Stratigraphie des Weißjura widmen. Sein Beispiel zeigt, wie die Museumsarbeiten gerade in diesem Jahrzehnt vielOpfersinn erfordern.

Erfreulicherweise flossen dem Museum durch Ausnützung günstiger Gelegenheiten und durch das Verständnis privater Sammler oder ihrer Hinterbliebenen eine ganze Anzahl teilweise recht wertvoller w e i t e r e r Sam m I u n gen zu, sowohl als Schenkung wie auch durch Erwerb. Unter den Glanzpunkten seien erwähnt: 1955 die (die meisten Museums­teile betreffenden) Sammlungen aus dem Besitz der Nachkommen von RICHARD BARoN VON KOENIG-WART HAUSEN (darunter 12500 Vogeleier ), 1950 die Sammlung altdiluvialer Säugetierreste aus Süßenborn bei Weimar von Professor Dr. SOERGEL, 1954 die Laufkäfersammlung (rund 9000 Stück) von Dr. BURKART, 1947 und 1952 die Herbarien von Professor Dr. R. GRADMANN und Dr. h. c. ADoLF MAYER. Das Lindenmuseum zweigte dankenswerterweise Skizzen- und Tagebuchmaterial des einst dem Naturkundemuseum nahestehenden TH. VON HEUGLIN für uns ab. Ver­bindungen mit ausländischen Fachgenossen und Sammlern lebten auf und brachten den verschiedenen Abteilungen manchen wertvollen Zu­gang.

E i gen e Auf sam m I u n gen der Museumsangehörigen ein­schließlich Grabungen (so 1948 im Miozän von Bohlingen, 1950 Bergung eines neuen Schädels von Elephas antiquus in Steinheim an der Murr) fanden immer wieder statt, infolge des bedauerlichen Standes der Reise­mittel bisweilen unter persönlichen Opfern. - Die Ex p e d i t ion e n dienten wesentlich auch der Mehrung des Museumsbestandes. Erwähnt seien:

a) Die Deutsche Zoologische Ostafrika-Expedition 1951/52 Gruppe Stuttgart führte Professor Dr. LINDNER und Dr. ZINK mit 3 Be­gleitern auf 6 und 12 Monate bis zum Viktoriasee, auf die Höhen des Kilimandscharo und zum Oldeani.

b) Zoologische Forschungsreise von Professor Dr. EISENTRAUT mit einem Begleiter im Gebiet des Kamerunberges 1953/54 (7 Monate).

c) Oberpräparator KRELL war 1951/52 in privaten Diensten bei Prinz ALl REZA, aber auch für das Museum tätig (Iran 13 Monate).

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d) Oberpräparator RICHTER sammelte 1953/54 als Gast von Dr. med. SCHÄUFFELE in Persisch-Belutschistan entomologisch (6 Monate).

e) Hauptkonservator Dr. STAESCHE unternahm 1954 eine geologisch­paläontologische Forschungs- und Sammelreise nach Portugal (2 Monate).

f) Das Fachmitglied Forstmeister Dr. h. c. LINCK arbeitete 1954 und 1955 zugunsten des Museums bei den Fossilgrabungen des Museums Zürich in San Giorgio (Tessin) mit, ebenso 1954 Haupt­konservator Dr. ADAM (je einige Wochen).

Diese Reisen konnten sich nur in ganz geringem Umfang auf staat­liche Beihilfen stützen; der Hauptbetrag wurde durch persönlich ge­worbene Spender im Rahmen der Gesellschaft der Freunde und Mit­arbeiter bereitgestellt (darunter die Stadt Stuttgart).

5. R ä u m I ich e s Im Unterschied zu allen anderen Sammlungen des Landes befand sich

unser Museum lange in Unklarheit über den Wiederaufbau. Die Pla­nungen sowohl des Finanzministeriums wie auch der Stadt Stuttgart, zuletzt (1954) die Inanspruchnahme des für uns zunächst einmal ge­gebenen Häuservierecks Urbanstraße - Archivstraße-N eckarstraße durch das Amerikanische Generalkonsulat verboten zwingend die Wie­derentfaltung am alten Platz. So entstand 1947 ein Plan für ein neues Museum auf dem Killesberg. Im Zuge des Wiederaufbaues zerstörter staatlicher Gebäude trat an dessen Stelle die Frage des Sc h los ses R 0 sen s t ein an uns heran. Die fortdauernde Gefährdung besonders der zoologischen Präparate in den vorläufigen Lagern in Ludwigsburg verlangte nach einer schnellen Entscheidung, und so erhielt dieser Plan 1948 Zustimmung. Es war allerdings klar, daß dort nur zwei Drittel des überlasteten alten Standes, in Wirklichkeit nur die H ä I f t e des zu­nächst notwendigen Bedarfs (also später notwendige Erweiterungen nicht gerechnet) befriedigt werden konnte. 1950 begann der Ausbau des Schlosses Rosenstein, Ende 1954. wurde ein Teil der gefährdeten zoolo­gischen Sammlungen in die (zur Hälfte fertigen) neuen Speicherräume übergeführt und damit gesichert, ferner wurden bis Ende 1955 die ersten 9 Schausäle ausgestattet. Die zweite Hälfte des Schlosses erfordert leider mit Sicherheit ein 7. und 8. Baujahr. Nicht unterzubringen sind im Schloß Rosenstein die Präparatorien, die Abteilungen für Ento­mologie und Botanik, vor allem aber diej enige für Geologie und Palä­ontologie mit ihrem besonders umfangreichen Bestand, so daß ein zweiter Bau unumgänglich notwendig ist. Auf diese große Aufgabe richtet sich seit Jahren unser Bemühen.

6. I n n e r er Aus bau Außer dem Ordnen und Ergänzen der Sammlungen galt es die Be­

schaffung von vielerlei durch die Brände verlorengegangenen Einrich­tungen und Geräten. Eine Haushaltbewilligung 1950/52 von 30000 DM ermöglichte es, eine Anzahl Lücken zu schließen. Die für die Einrich-

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tung des Schlosses Rosenstein bereitgestellten Mittel erlaubten die Be­schaffung neuer Sammlungs- und Schauschränke, wobei der entwickelte Stand der Technik wahrgenommen wurde. Manche dringlichen Wünsche müssen offen bleiben, vor allem die nach einer wesentlichen Hebung der stark geschädigten Bücherei.

7. Aus s tell u n g s wes e n Da unser Museum im Unterschied zu den anderen entsprechenden

Anstalten wie erwähnt so stark im Nachteil war, bemühten wir uns, bei einer Anzahl Ausstellungen vorübergehender Art in Stuttgart und in verschiedenen Landstädten wenigstens kleine Teile unseres Bestandes zur Geltung zu bringen. Dankenswerterweise öffnete uns auch die Wil­helma ihre Pforten, und wir konnten hier bei folgenden Ausstellungen mitwirken:

1949 Wandlung der Pflanze seit Urtagen, 1950 Prachtfarben und Prachtformen in der Vogelwelt, 1951 Saurier des Landes, des Wassers und der Luft.

Unter den von uns beschickten Ausstellungen auf dem Killesberg war die bedeutendste die Landesausstellung 1955. Wir trugen zusammen mit dem Museum in Karlsruhe, mit dem Geologischen Institut Tübingen und' der Vogelwarte Radolfzell Wesentliches über die Tier- und Pflanzen­welt und die Fossilschätze des Landes bei. Der Museumsdirektor stand dem Ausstellungsausschuß für Landschaft und Lebenswelt vor.

Die zum Jahresschluß 1955 fertiggestellten neuen Schausäle im Schloß Rosenstein führen unter stammesgeschichtlichen Gesichtspunkten in die Tierwelt ein. Freilich kann es sich bei der Begrenztheit des Raumes erst um eine Teildarstellung handeln, und auch für später wird gegenüber der überfülle im alten Museum eine recht beschränkte, aber gut ausgesuchte Wahl in Erscheinung treten. Gelockerte Aufstellung und Rücksicht auf geschmackliche Gesichtspunkte sollen ein erfreuliches Bild schaffen. Die 9 biologischen Gruppen aus der Lebenswelt vor allem Afrikas möchten in derselben Richtung wirken.

8. W iss e n s c h a f t I ich e A r bei t e n Jeder wissenschaftliche Beamte versuchte und versucht diese Über­

gangszeit, in der das Museum nach außen kaum in Erscheinung treten kann, zu Auswertungen zu nützen. Es' ist nicht möglich, hier ausführ­lichere Angaben zu machen. Es laufen eine Menge von Untersuchungen, die zum Teil noch nicht gedruckt oder nicht abgeschlossen sind. Damit wenigstens die Themengebiete ersichtlich werden, seien hier Stichworte gegeben, die nur solche Punkte betreffen, über die in gedruckten Ver­öffentlichungen oder in Vorträgen berichtet wurde; die Liste ist auch in dieser Hinsicht nicht vollständig, zumal nur die Tätigkeit der haupt­amtlichen Museumsangehörigen berücksichtigt ist, während auch ein Kreis reger Außenmitarbeiter ebenfalls wertvolle Arbeit leistet.

Ge 0 log i e und Pa 1 äon t 0 log i e: Riesgeologie (SEEMANN). Geologie Portugals, fossile Schildkröten (STAESCHE). Dogger-Cnidarien,

Jahreshefte d. Vereins f. vater!. Naturkunde i. Württ. 1956 2

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Tanystropheus-Nachweis im Muschelkalk, Pleistozäne Faunen, darauf aufgebaute Diluvialgliederung, Fossile Elefanten (ADAM). Urmenschen­Steinwerkzeuge im Travertin (BERcKHEMER).

Zoo log i e (einschließlich Entomologie): Systematische und mono­graphische Arbeiten über Stratiomyiiden und andere Dipterenfamilien, Expeditionsausbeuten usw. (LINDNER). Blattminen und Blattminierer unter den Dipteren (GROSCHKE). Heimische Orthopteren fauna (RICHTER). Tierstimmen- und Tierausdruckskunde: Grundsätzliches an Hand von Einzeldarstellungen von Orthopteren; Cerambyciden (F ABER). Gastro­poden: Faunistisches (JANUS). Reptilien: Inselmelanismus (EISENTRAUT). Vögel: ökologie, Populationsdynamik (SCHÜZ) ; Evolutionistische Einzel­fragen (KIpp); Homologisierung von Stimm äußerungen (F ABER). Säuge­tiere: Biologie von Fledermäusen und von Igeln, Winterschlaf (EISEN­TRAUT) ; Verbreitung der Hausratte; Subfossile Jagd- und Haustiere von Bogazköj-Hattusa in Anatolien und von Ehrenstein bei Ulm (VOGEL).

Bot a n i k: Die Zentralstelle für Vegetationskundliche Landesauf­nahme stellte über die zwei bis zum Krieg vollendeten Karten 1 : 25 000 hinaus noch acht Blätter fertig (bisher ungedruckt) und hat weitere drei in Arbeit. Die Vegetations karten dienen nicht nur der Grundlagen­forschung, sondern bilden auch Voraussetzungen für das forst- und land­wirtschaftliche Aufschließen des kartierten Gebiets. Die Auswahl der vorgenommenen Blätter erfolgt auf Grund einer Absprache in einem 1950 gegründeten interministeriellen Ausschuß für Standortskartierung (FABER). Einzelne floristische Mitteilungen (K. BAuR, R. HAuFF, K. MÜLLER).

9. Ver ö f f e n t I ich u n gen

1947 sah sich das Museum veranlaßt, die Frage einer eigenen Zeit­schrift zu prüfen, wobei der Gesichtspunkt des Austauschs zugunsten der eigenen Bücherei eine wichtige Rolle spielte. Diese Versuche wurden aufgegeben; wir wollten nicht den Jahresheften des Vereins für vater­ländische Naturkunde Abbruch tun. So fand 1950 eine Verständigung dahin statt, daß diese Jahreshefte zugleich als Jahrbuch des Museums gelten, das sich nunmehr verstärkt um eine Ausgestaltung und auch um eine (nach Jahren wechselnde) Beihilfe bemüht.

Außerdem fand die Herausgabe von Büchern statt, die sich teils an engere, teils an weitere Kreise wenden: 1949 MAYR und SCHÜZ, Ornitho­logie als biologische Wissenschaft (STREsEMANN-Festschrift) - 1950 BERcKHEMER, Sprache der Steine - i 952 SCHÜZ, Grundriß der Vogelzugs­kunde - 1953 JANUS, Baumeister Natur - 1954 LINDNER, Zoo-Safari -1954 F ABER, Laut- und Gebärdensprache bei Insekten, Teil I. - LINDNER gibt seit 1922 heraus "Die Fliegen der paläarktischen Region", mit etwa 25 Mitarbeitern. Bisher sind 189 Lieferungen erschienen, 8 Bände fertig und ebensoviele Bände in Arbeit. Von Museumsbeamten werden zwei Fachzeitschriften geleitet: LINDNER, seit 1952 JANUS, Jahreshefte und Jahrbuch (siehe oben), SCHÜZ (als Mitherausgeber), Die Vogelwarte.

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Die als Tauschreihe verwendeten "Mitteilungen aus dem Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart", die Sonderdrucke und gelegent­lich auch Einzelerscheinungen umfassen, gediehen seit dem Krieg von Nr. 255 bis 311.

10. Z usa m m e n a r bei t mit a u ß e r hai b

Außer in den Schausammlungen und in den Veröffentlichungen trat das Museum noch in folgender Weise hervor:

a) Am Museum hielten sich häufig Fachgenossen von auswärts auf. Allein die Geologisch-paläontologische Abteilung empfing seit 1945 46mal Arbeitsgäste, darunter 17mal Ausländer mit Herkunft bis Amerika und Japan.

b) Lehraufträge der Technischen Hochschule Stuttgart haben 3 Be­amte des Museums. Der letzte Museumsdirektor stand dem Zoologischen Institut der Technischen Hochschule vor, zwei weitere sind bzw. waren Honorarprofessoren der Technischen Hochschule. Zwei Hauptkonser­vatoren waren an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim lehrend tätig.

c) Soweit es die begrenzten Mittel zuließen, nahmen die wissen-· schaftlichen Beamten, vielfach berichterstattend, an Fachtagungen im In- und Ausland teil. Der Museumsdirektor war als Sektionspräsident bei internationalen Kongressen im Ausland beteiligt. Soweit ein­schlägige Tagungen in Stuttgart stattfanden, wie die Quartärtagung 1953, erwuchsen dem Museum besondere Aufgaben.

d) Die Museumsbeamten wirken nach Bedarf bei wissenschaftlichen Gesellschaften mit (3 Beamte wurden in 6 Fällen Ehrenmitglieder: 2 Deutschland, 2 USA, ferner Belgien, österreich), vor allem auch bei den naturkundlichen Vereinen in der Heimat, teilweise in Vorstand und Ausschuß, z. B. beim Verein für vaterländische Naturkunde, dem Steigenklub, dem Entomologischen Verein, der Vegetationskundlichen Arbeitsgemeinschaft. So entstehen wertvolle Verbindungen, kann ferner Nachwuchs gewonnen und da und dort die Arbeit in eine lohnende Richtung gelenkt werden.

e) Alljährlich sind Fachkräfte des Museums auch an volkstümlichen Vortragsreihen wie z. B. an Volkshochschulen des Landes beteiligt.

f) Drei bzw. zwei Fachleute des Museums gehören der Landesstelle für Naturschutz und Landschaftspflege an, und es besteht oft Anlaß, im Sinne dieser Aufgaben ratend und mitwirkend einzugreifen.

11. Gesellschaft der Freunde und Mitarbeiter

Der "Verein zur Förderung der württembergischen Naturaliensamm­lung", gegründet 1912, hat im Laufe der Jahrzehnte sehr wertvolle Hilfe geleistet, wenn die Mittel des staatlichen Haushalts gegenüber wichtigen Erwerbungen versagten. Es schien geboten, in diesem Verband nicht nur die materiellen, sondern auch die ideellen Helfer des Museums zu­sammenzuschließen. So fand 1950 eine Umwandlung zur "Gesellschaft

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der Freunde und Mitarbeiter des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart" statt. Den ordentlichen Mitgliedern stehen (derzeit) 56 tätige Außenmitarbeiter des Museums als Fachmitglieder gegenüber. Sie vereinigen sich mindestens einmal im Jahr anläßlich der Hauptver­sammlung, wo der Vereins- und Museumsbericht erstattet und ein wissen­schaftlicher Vortrag gehalten wird. Vorsitzender ist seit 1948 Kult­minister a. D. Dr. Dr. BÄuERLE. Ohne die tatkräftige Hilfe dieser Gesell­schaft, in deren Rahmen auch die Stadt Stuttgart in dankenswerter Weise ihr Interesse bekundet, wäre eine Reihe von Forschungsreisen und Sonderanschaffungen nicht gelungen.

111. Dieses Verzeichnis darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß durch­

aus noch nicht die Hälfte des Wegs zur Gesundung des Museums zurück­gelegt ist. Es steht noch die große Aufgabe bevor, einen Neubau für die unversorgten Abteilungen, vor allem für die Geologie-Paläontologie, zu sichern und in möglichster Bälde zu verwirklichen. Die bedeutenden Schätze gerade dieser Abteilung können anders nicht der öffentlichkeit dienstbar gemacht werden.

Der Rückblick darf nicht schließen, ohne daß der Berichterstatter allen dankt, die sich mit Kraft für den Wiederaufbau des Museums ein­gesetzt haben. Das sind nicht nur die Museumsangehörigen selbst, sondern auch das Kultusministerium und andere Behörden, vor allem aber ein großer Kreis von Freunden in der "Freundegesellschaft" wie auch darüber hinaus. Unser gemeinsames Ziel ist ein in allen Zweigen unbehindert für Volksbildung und Forschung tätiges Museum; möge es recht bald Wirklichkeit werden! E. Schüz

Bericllte

Zur Eröffnung der Schausammlung des Staatlichen Museums für Naturkunde

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Ansprache bei der Eröffnung der ersten zehn Schausäle des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart am 10. Januar 1956 in Schloß Rosenstein

von Ernst Schüz

Herren Minister, Magnifizenzen, meine Damen und Herren!

Es ist nicht in das Belieben des Menschen gestellt, ob er sich mit der Natur befassen will oder nicht: Wir alle sind Mitspieler in dem Schau­spiel des Werdens und Vergehens, und es ist notwendig, daß wir die Bühne und ihre Besetzung, daß wir vor allem die Spielregeln kennen, zumal in einer Zeit, da die wachsende Übervölkerung des Erdballs die Menschheit in eine - so scheint es - ausweglose Lage bringt und da uns die Entfesselung von Naturgewalten in die Hand gegeben ist. Unter diesen Umständen tragen Forschung und Lehre eine große Verantwor- . tung, und es ist auch wichtig, daß gediegene naturkundliche Kenntnisse eine möglichst weite Verbreitung finden. Wenn also ein Naturkunde­museum nach einem Jahrzehnt unfreiwilliger Zurückhaltung wieder seine Pforten öffnen kann, so ist dies ein Ereignis nicht nur für die An­gehörigen des Hauses und für die nächsten Freunde.

Ich danke Ihnen, daß Sie so zahlreich erschienen sind und damit diesen Sachverhalt anerkennen. Ich begrüße ·Sie alle ...

Entwicklung bis 1945

Diese Eröffnung sei Anlaß für einen Blick auf den Stand unseres Museums.

Es ist ein alt e s Museum: Seine Wurzeln liegen 300 Jahre und noch weiter zurück. Ein selbständiges Naturalienkabinett entstand vor 165 Jahren. Damals, 1791, waren die herzoglichen Sammlungen noch be­scheiden. Ein erheblicher Aufschwung setzte vor allem in den mittleren Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts ein. Damals und später flossen dem Museum zoologische Sammlungen aus aller Herren Länder bis nach Australien und Südamerika zu; sie sind in der Hauptsache noch erhalten, und nicht wenige Stücke dieser alten Bestände sind jetzt von sehr hohem Wert. Gleichzeitig und nachher erschlossen sich die reichen Fossilquellen der Heimat, so daß das Museum auch auf diesem Gebiet ganz beträchtHch zunahm, und auch viele dieser Fossilien bedeuten einen einmaligen Besitz. Später folgten dann die botanischen Samm­lungen nach.

Ursprünglich war das Naturalienkabinett recht unzulänglich unter­gebracht. Es mußte mehrmals den Platz wechseln, bis 1826 in dem dafür (und für das Staatsarchiv) errichteten BARTHschen Bau am Beginn der

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Neckarstraße eine würdige und - so schien es - endgültige U n t e r­ku n f t gefunden war. Jedoch in den folgenden Jahrzehnten mußte dieses Gebäude dreimal erheblich ausgebaut und es mußten neue Häuser dazu­genommen werden, und 1938 war es soweit, daß das Finanzministerium einen Plan für ein neu es geschlossenes Großmuseum an anderer Stelle ausarbeitete. Er fand nicht mehr Verwirklichung, und 1944 fielen die verhängnisvollen Bomben, die große Teile der Stadt und auch unser Ausstellungsgebäude in Schutt legten. Dabei wurden einige Sammlungen und auch manche wertvollen Einzelstücke ein Raub der Flammen; aber der Hauptbestand war vorher ausgelagert und damit gerettet worden, so daß der Verlust aufs ganze gesehen gering blieb.

Nach dem Krieg

Allein Kriegsende und Kriegsfolgen lähmten auch unsere Arbeit. Es kamen planerische Schwierigkeiten hinzu, und während die anderen Museen schon längst wieder wenigstens einen Teil ihrer Sammlungen zeigen konnten, mußten wir uns noch um die endgültige Unterbringung bemühen. Die Sorgen waren deshalb besonders drückend, weil gerade der empfindlichste Teil des Bestandes in unzulänglicher Weise gelagert und eine Abhilfe ohne einen gründlichen Wandel nicht möglich war. So mußten wir vor allem darauf bedacht sein, die am meisten gefährdeten Sammlungen aus ihren Ludwigsburger Räumen herauszubringen. Als 1948 das Finanzministerium das Sc h 10 ß R 0 sen s t ein anbot, griffen wir dankbar zu, obwohl von vornherein feststand, daß hier erst die Hälfte des Museums untergebracht werden kann.

Schloß Rosenstein

Für unsere auswärtigen Gäste ein Wort über das Schloß Rosenstein. Es ist ebenso wie unser alter Bau in der Neckarstraße in den 1820er Jahren entstanden, aber nicht für museale Zwecke, sondern als könig­liches Landhaus. Hofbaumeister SALUCCI hat mit diesem Werk etwas Meisterhaftes geschaffen, und andere Künstler trugen ihr Bestes bei, so KONRAD WEITBRECHT mit dem als Fries umlaufenden Relief der vier Jahreszeiten; von den ebenfalls gerühmten Fresken ist leider nichts er­halten geblieben. König Wilhelm I. weihte das Schloß 1830 mit einer großen Festlichkeit ein; er verstarb hier 1864. Ebenso wie der herrliche Park, der für die Gesundheit Stuttgarts eine so große Bedeutung hat, wurde das Schloß erst nach der Revolution allgemein zugänglich. Nun erst kamen die Musen, die als Standbilder die Fronten schmücken, zu Wort. Zunächst faßte hier die Weltkriegsbücherei Fuß. Auch Schloß Rosenstein mußte dem zweiten Weltkrieg seinen Zoll entrichten. Konnte GUST A v SCHW AB einst von ihm singen:

Hell ins Tal hinaus Schaut ein heitres Säulenhaus

- so wohnte nunmehr Trostlosigkeit in den Ruinen. Aber jetzt blüht aus ihnen neues Leben, und aus dem Musenschloß wird nun richtig ein

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Museion. Seit 1950 wird ausgebaut; am Ende des 5. Baujahres konnten die empfindlichsten Stücke der Studiensammlung unter das sichere neue Dach gebracht werden, und am Ende des 6. Baujahres stehen von den 21 Sälen zehn für die öffentlichkeit bereit.

Dank für Verständnis auf Seiten der Baubehörden

Wir sind allen dankbar, die diese Entwicklung gefördert haben: im Finanzministerium und in der Oberfinanzdirektion vor allem den Herren Ministerialrat SCHULER, Regierungsbaudirektor FULDA, Oberregierungs­baurat SCHWADERER, im Staatlichen Hochbauamt I den Herren Ober­regierungsbaurat DRISSLER, Regierungsbauamtmann EHINGER, Dipl.-Ing. HEHL, Bauführer SIEGLE und anderen. Die Aufgabe war und ist nicht leicht: Es gilt, einerseits den Stil und die Würde des Baues zu wahren und andererseits die unerläßlichen Forderungen eines modernen Natur­kundemuseums zu erfüllen. Tatsächlich lassen sich beide Ziele nicht voll vereinen, und es konnte nur eine von bei den Standpunkten aus möglichst gute Lösung angestrebt werden. Wenn sie gelungen ist - ein unlösbarer Rest bleibt -, so ist dies das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit. Es ist hier kaum ein Saal, wo nicht die Fachleute des Bauamts und die des' Museums miteinander gerungen haben. Die Herren des Bauamts ver­dienen unseren besonderen Dank, daß sie unsere Wünsche mit so viel Verständnis aufnahmen; umgekehrt werden unsere Verhandlungspartner bezeugen können, daß auch uns die Erhaltung der Schönheit des Hauses ein großes Anliegen war und ist.

Innenausstattu'ng

Das Museum hatte seine gesamte Einrichtung verloren. Das Kultus­und das Finanzministerium und der Landtag haben dieser Notlage Rech­nung getragen und auch den Umstand gewürdigt, daß heute andere Vor­aussetzungen erforderlich sind als einst. Es gilt, einen wertvollen Inhalt in eine gefällige und anziehende Form zu kleiden, die gestaute Masse von einst aufzulockern und Schränke und Vitrinen mit großen Schau­flächen und zurückhaltender Konstruktion zu verwenden. Solche Er­zeugnisse sind heute nicht mehr oder noch nicht standardisiert, und es mußte Neues entwickelt werden. Wir haben darauf viel Sorgfalt ver­wandt, und was die Herren LANG und SESSLE vom Wiesensteiger Metall­bau herausgebracht haben, kann sich sehen lassen und wird hoffentlich auch Ihren Beifall finden. Aber auch die anderen beim Innenausbau mitwirkenden Unternehmen seien anerkannt und bedankt.

"L ehr b u c h" der S t a m m e s g e s chi c h ted e r T i e r e

Soviel über das Haus und seine Ausstattung. Sie sind gewissermaßen der Ein ban d z u ein e m L ehr b u c h, mit dessen I n haI t wir den Besucher auf eine möglichst gefällige, vielleicht muß man sagen: un­lehrhafte Weise vertraut machen wollen.

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Ich möchte über den jetzt begonnenen Teil des Lehrbuchs das Disti­chon GOETHES schreiben:

Alle Gestalten sind ähnlich, doch keine gleichet der andern, Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz.

Auf dieses geheime Gesetz oder besser gesagt auf diese Gesetze kommen wir am ehesten, wen n wir das His tor i s ehe i n die N a t u r -be t r ach tun g hin ein t rag e n ; noch heute wirkt es in voller Kraft auf den nachdenkenden, nach den Ursachen suchenden Menschen, und trotz aller Wichtigkeit des Experiments in der Naturforschung wird im Schaumuseum wohl noch lange, wenn nicht für immer, diese Art der Stoffbehandlung an erster Stelle bleiben - natürlich vorausgesetzt, daß wir uns nicht einfach mit einer systematischen Aneinanderreihung von Sammlungsstücken begnügen, aber von diesem Verfahren kann heute nicht mehr die Rede sein; man hatte ihm schon in der Neckarstraße erfolgreich zu steuern begonnen.1

Was wir hier vorfinden, muß in einem weiteren Zusammen­ha n g gesehen werden. Es schwebt uns vor, daß in dem geplanten und unerläßlichen z w e i t e n Museumsbau, der dem Lehrbuchgang nach den er s t enTeil bilden wird, die Erdgeschichte mit ihren physikalischen Grundlagen und mit ihren Auswirkungen zu Wort kommen wird, ferner die Entwicklung des Lebens im Ablauf der Erdzeitalter. Während hier das Heer der ausgestorbenen Formen regiert, sehen wir im Schloß Rosenstein das Thema neu aufgenommen, nämlich als S tarn m e s g e -sc h ich t e vor allem an Hand der noch lebenden Arten, jedoch durch­aus auf dem Hintergrund der Vorfahren, soweit sie für das Verständnis der Zusammenhänge notwendig sind. So werden Sie hier eine Anzahl Fossilien eingegliedert finden, kleine Proben der großen F ossilschä tze des Museums. Stammbaum darstellungen bilden die Wegweiser. Leider konnten die Wirbellosen infolge besonderer Umstände noch nicht fertig­gemacht werden. Die Vogelwelt mußten wir zunächst auf ein e n Saal beschränken, und ein Teil der Säugetiere und die Bekrönung der Reihe mit den Primaten, also auch dem Menschen, muß noch zurückstehen, bis uns weitere Säle übergeben sind.

An diese stammesgeschichtliche Reihe werden dann später all­gern ein e Kap i tel anknüpfen, so über die Regeln des F ormen­wandels, über das Zusammenspiel von körperlichen Merkmalen mit den Verhaltensweisen, über die Abhängigkeit der Lebewesen von ihrer Um­welt. Die letzten Säle sollen später dann noch die heimatliche Tierwelt in Auswahl vorzeigen. (Ich möchte hier anfügen, daß das ebenfalls im Aufbau befindliche Kar lsruher Museum den umgekehrten Weg be­schritten, d. h. zunächst die heimatliche Natur herausgestellt hat, und zwar in wirklich vortrefflichen und sehr gefälligen Darstellungen.)

1 R. SEEMANN: Über die Neuaufstellung einer Abteilung für Allgemeine Geo­logie in der württ. Naturaliensammlung. Württ. Schulwarte 5 (1931) und 10 (1933), und: M. RAUTHER, Rückblick auf das Werden der Württ. Naturaliensammlung, vor­nehmlich auf die jüngstvergangenen 50 Jahre. Jh. Ver. vaterländ. Naturk. 96 (1940), 1941.

Biologische Gruppen im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart

Ost afrikanische Schwarzfersenantilopen und Thomson-Gazellen an der Tränke.

Löwe vertreibt Hyänenhunde von einer gerissenen Oryxantilope (Kilimandscharo-Gebiet).

Biologische Gruppen im Staatlichen }'luseum für Naturkunde in Stuttgart

Kaffernbüffel in Ostafrika.

Schirrantilopen auf dem Kamerunberg.

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Biologische Gruppen

Neben diesem Plan verfolgen wir noch ein zweites Vorhaben: Das neue Museum soll das Leben widerspiegeln. Dazu bedarf es dermo­plastisch möglichst vollendeter Präparate, aber es bedarf auch der bio­logischen Gruppen, die das Tier in seiner Umwelt zeigen und erst so für manche Gestaltungs- und Anpassungsweise Verständnis wecken. So­weit es die leider etwas knappen Einzelräume zulassen, haben wir auch diesen Weg beschritten.

Museum wirbt für Naturschutz und humanitäre Gesinnung

Das moderne Museum beansprucht noch in einer weiteren Hinsicht eine wachsende Bedeutung. Das stürmische Vordringen der Zivilisation selbst in bisher unberührte Gebiete engt den Lebensraum der wildleben­den Tierwelt, besonders der wilden Großtiere, immer mehr ein. "Kein Raum für wilde Tiere" ist der nur allzuwahre Titel eines neueren Buches, ein Warnruf ernster Art. Viele unserer Präparate, und zwar gerade die alten Sammlungsstücke aus dem letzten Jahrhundert, werden von Jahr zu Jahr wertvoller. Allein der kleine Ausschnitt unserer Be­stände, den wir jetzt zeigen, vermittelt die Kenntnis ein e r An z a h I von ausgestorbenen oder im Aussterben begriffenen Art e n. Es ist leider vorauszusehen, daß diese Entwicklung weiter­schreitet, also die Natur verarmt, das Mus e u m ab e r als Be­wahrungsstätte unwiederbringlicher Reste an Be­d e u tun g lau f end zu n i m m t. In vielen Fällen war es - und ist es noch - menschliche Zuchtlosigkeit, im besseren Fall Unüberlegtheit, die zu solchen Vernichtungen führte und führt; nur selten kann man von einer entschuldigenden Notlage sprechen. Ich sehe eine erziehe­rische Aufgabe darin, den Besuchern und besonders der noch bildsamen Jugend diese Tragik klarzumachen. Es soll Ehrfurcht vor der Größe der Schöpfung und ein Gefühl für die uns auferlegte Verantwortung ge­weckt werden. Der Mensch darf nur dort zerstörend eingreifen, wo es für ihn unerläßlich notwendig ist, und er muß sich bemühen, Oasen für die bedrängte Natur zu schaffen. Indem sie gleichzeitig als Stätten der Erholung von der Unrast des Motorendaseins dienen, fällt letzten Endes wieder dem Menschen ein Vorteil zu.

Aber Naturschutz und Tierschutz sind nicht ganz zu trennen. Wir wollen mittelbar auch den humanitären Gedanken fördern. Vielen ist gar nicht bewußt, wie sie den Weg dazu erschweren, indem sie als Er­wachsene noch den Wolf als böse und die Taube als gut bezeichnen. Sie werten mit einem nicht anwendbaren Maßstab. Achten wir doch im Tier das Wesen, das außerhalb von gut und böse steht. Halten wir es mit dem indischen Weisen, der im Tier den stillen Bruder in Busch und Wald sieht und sich über solche Urteile erhebt. Das Museum spricht davon nicht, will aber den Gesichtskreis des empfänglichen Besuchers

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weiten und damit den Boden für solche Gedanken vorbereiten. (Viel­leicht kann das Museum in einem späteren Abschnitt über Verhaltens­kunde darauf eingehen.)

Ein Gemeinschaftswerk

Was Sie heute zu sehen bekommen, ist ein Gemeinschaftswerk. Sein Anfang greift weit in die Vergangenheit zurück, bis zu jenen bekannten oder unbekannten Sam m I ern, die oft in fernem Land und oft unter Strapazen und Gefahren unsere Stücke beschafft haben. Es ruht auf den S c h u I t ern von Gen e rat ion e n, die als treue Hüter dieser Schätze die Präparate zubereiteten und auswerteten, und bei diesem Rückblick haben wir vor allem derer mit Achtung und Dank zu ge­denken, die diese Sammlungen über das Inferno von 1944 hinüber­retteten, also des Herrn Professor RAuTHER und seiner damaligen Mit-arbeiter. '

Ich nenne ferner stellvertretend eine Anzahl Namen von Persönlich­keiten, die als w iss e n s c haft I ich e B e amt e des Museums in den letzten 150 Jahren sich mit diesen Sammlungen befaßten: CARL FRIEDRICH KIELMAYER - die Brüder CARL CHRISTOPH FRIEDRICH und GEORG FRIEDRICH JÄGER - FERDINAND KRAuss - OSKAR und EBERHARD FRAAS­KURT LAMPERT - JULIUS VOSSELER - JULIUS EICHLER - HEINRIcH FISCHER - MARTIN SCHMID - MAX RAUT HER - F RITZ BERCKHEMER - RICHARD VOGEL, ferner die Namen bedeutender Sam ml e r wie KARL FERDINAND HEINRIcH LUDWIG - FERDINAND MÜLLER - THEODOR HEUGLIN - BENJAMIN KLUNzINGER, sodann die Namen von Präparatoren wie PLOUCQUET und KERZ (Vater und Sohn).

Von dem heu t i gen Auf bau s tab darf ich vor allem zwei geschätzte Mitarbeiter hervorheben: Herrn Professor Dr. EIsENTRAuT, der die Amphibien, Reptilien und Säugetiere und damit die Mehrzahl der jetzt gezeigten Stücke zusammenstellte und seine großen Erfah­rungen nunmehr dieser Aufgabe erfolgreich dienstbar machte, und Hauptkonservator Dr. JANUS, der auf sein engeres Gebiet vorübergehend Verzicht leisten mußte und sich den Fischen zu widmen, außerdem eine Fülle organisatorischer Aufgaben zu übernehmen hatte. Die Haupt­konservatoren Dr. STAESCHE und Dr. ADAM haben von der paläonto­logischen Seite her sachkundig mitgewirkt. Die Dermoplastiker des Museums haben ihr Äußerstes geleistet, vorübergehend noch um weitere Kräfte verstärkt; ich erwähne nur die Herren Inspektor KRELL, Präpa­rator WAGNER und Herrn KNoRR, als paläontologischen Oberpräparator Herrn ZÖRNER. Die bei den Kunstmaler Herr OBST und Herr KlwlT haben durch treffliche Gemälde in den biologischen Gruppen und auf andere Weise entscheidend zum Erfolg beigetragen. Auch der ganze übrige Stab arbeitete fieberhaft zusammen; viele waren bis in die Nächte hinein in Anspruch genommen, vor allem Hausmeister LUTZ.

Auf dieses Werk fällt ein tiefer Schatten. Der Leiter der Entomo­logischen Abteilung, Dr. FRANZ GROSCHKE, mußte sich am 31. Dezember zu einer Blinddarmoperation ins Krankenhaus begeben und verstarb am

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4. Januar völlig unerwartet an einer Embolie. Der Verlust dieses ge­schätzten, ganz besonders tüchtigen und kenntnisreichen Kollegen be-. trifft uns schwer; der 41jährige hatte sich in der Fachwelt einen Namen gemacht und versprach für die Zukunft noch viel. Natürlich wirkte sich dieser Schlag auch auf die Fertigstellung des Insektensaales aus, den GROSCHKES eifrige Mitarbeiter, die Herren RICHTER und HELLER, zu­sammen mit Professor LINDNER nun doch noch bis zu einem gewissen Umfang ausstatten konnten.

Alte und neue Präparate

Ich muß nochmals auf die Prä par a t e zurückkommen. Viele von ihnen waren neu zu überholen. Die schönen Liasplatten wurden dankens­werterweise im Präparatorium Dr. HAuFF in Holzmaden aufgefrischt. Die gelungenen Trockenpräparate von Reptilien aus der Hand des ein­stigen Museumsdermoplastikers A. HAUG waren gut erhalten geblieben. Die Fische wurden uns durch Firma Schlüter aufgefrischt und ergänzt. Bei den Säugetieren vor allem waren viele Veteranen zu ersetzen und Lücken zu schließen. Das haben besonders die F 0 r s c h u n g s r eis e n geleistet, die mehrfach nach dem Krieg ins Ausland gingen. Ohne diese wären die wirkungsvollen Gruppen nicht möglich gewesen, die Sie nach­her sehen werden; in erster Linie ist die Ostafrika-Expedition LINDNER (und Begleiter) zu nennen, auch die Kamerun-Expedition EISENTRAUT, ferner eine Fahrt von Inspektor KRELL nach dem Iran. Der staatliche Haushalt konnte zu diesen Reisen nur in ganz geringem Maße beitragen, wenn wir von einer durch Herrn Direktor SCHÖCHLE vermittelten Wil­helma-Beteiligung im Fall Kamerun absehen;. die Mittel sind größten­teils durch die Gesellschaft der Freunde und Mitarbeiter des Museums bereitgestellt worden, ferner durch die Stadt Stuttgart. Dafür haben wir den Spendern, besonders der Stadt Stuttgart, und dem so bemühten Vorsitzenden der Gesellschaft sehr zu danken; ich möchte dies in Gegen­wart von Herrn Minister Dr. BÄUERLE und Herrn Oberbürgermeister Dr. KLETT ausdrücklich hervorheben und nur wünschen, daß die Spender in dem heute sichtbaren Erfolg - es ist aber nur ein Teilerfolg dieser Reisen - einen Lohn sehen.

Das Museum eine Forschungsstätte

Soviel übel' das, was sich in der Öffentlichkeit abspielt. Aber die Museumsarbeit hat noch eine zweite Seite. Sie liegt in den S t u die n­sam m I u n gen und in der F 0 r s c h u n g. Diese vollzieht sich heute mehr als früher im Freien. Es findet vielleicht Interesse, daß zu den bekannten Abteilungen des Museums im Laufe der letzten Jahre, ehren­amtlich geleitet, eine Forschungsstelle für Tierstimmen- und Tieraus­druckskunde unter Professor Dr. F ABER und ein Archiv für Pilzkunde unter Dr. HAAS zugewachsen ist. Auf diese und andere Arbeiten kann hier nicht eingegangen werden, aber beispielsmäßig sei ein Fall heraus­gehoben. In der Entomologischen Abteilung des Museums erscheint ein von 25 Spezialisten aus aller Welt verfaßtes, vielbeachtetes Werk über

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die Fliegen der paläarktischen Region. Es ist bisher auf 8 Bände in . 176 Lieferungen gediehen. Begründer und Herausgeber ist He~r Pro­fessor Dr. ERwIN LINDNER, der auch jetzt im Ruhestand sich ganz solchen Aufgaben widmet. Ich kann nicht umhin, hier etwas zu verraten, näm­lich, daß heute abend in Berlin die Deutsche Entomologische Gesell­schaft zu einer Festsitzung zusammentritt, um Kollegen LINDNER in An­erkennung seiner großen Verdienste die Fabricius-Medaille zu verleihen. Allerdings wird er dort nicht anwesend sein; er ist so freundlich, als dienstältester Beamter unseres Museums dieser Eröffnung hier anzu­wohnen. Ich möchte Herrn Professor LINDNER daher vor diesem Kreis, wenn auch noch einige Stunden zu früh, meine und des Museums beste Glückwünsche aussprechen.

Voraussetzungen für den Außendienst Was bisher entwickelt wurde, erweckt den Anschein eines ungehin­

derten Emporblühens. Nun, dieses Bild trügt. Es gibt man c her 1 e i S 0 r gen, die uns zu schaffen machen. Ich zähle sie nicht alle auf, muß aber doch auf zwei Punkte hinweisen. Zu diesem Zweck eine Bemerkung über zwei Abteilungen. Die Mitarbeiter für Paläontologie müssen stets bereit sein, um unerwartet in Baugruben, Steinbrüchen usw. zutage­tretende Funde am Ort zu untersuchen und gegebenenfalls in Eile die notwendigen Bergungsarbeiten vorzunehmen. Das ist heute ungleich schwieriger als früher, denn es gelingt nur selten, den sich einfressenden Baggern Einhalt zu bieten. Man kann also n ich t sc h n e 11 gen u g und ni c h t 0 f t gen u g an den Fundstätten sein. Ferner: Der Botanischen Abteilung als der Zentralstelle für die Vegetationskund­liche Landesaufnahme liegen planmäßige Kartierungen ob, die u. a. auch der zweckmäßigen Ausnützung der Böden durch den Land- und F orst­wirt dienen und entsprechend gewürdigt werden. Wir sind sehr bemüht, unsere hochwertigen Arbeitskräfte wirklich lohnend einzusetzen. Das gelingt uns nicht, weil bisher alle Bemühungen vergeblich waren, einen dienstlichen oder wenigstens einen dienstlich zugelassenen Kraftwagen zu bekommen. Ich möchte meinen Kollegen von der Botanik wie von der Paläontologie meine Anerkennung aussprechen, daß sie trotz dieser Sachlage - die wahrhaftig ein begründetes Alibi für sichtbare Minder­leistungen darstellt - sich aufs äußerste bemühen. Aber es sind Grenzen gesetzt: Hier muß mit ausgesprochen hochwertigen Spezialkräften und mit hochwertigen Fundmöglichkeiten unwirtschaftlich verfahren werden! Ich möchte ausdrücklich dafür danken, daß dieser Sachverhalt seit langem im Kultusministerium und neuerdings auch im Finanzministerium anerkannt wird. So wird vielleicht auch dieses vieljährige Bemühen eines Tages Erfolg haben. Aber es ist schade um jedes einzelne Jahr, und wir können diese Verantwortung nicht tragen.

Wichtigstes, unumgängliches Ziel: Neubau vor allem für die Geologisch-P aläon tol ogische Abteil ung

Aber am dringendsten ist das bauliche Anliegen des Mus e ums. Wir hoffen sehr, daß das bevorstehende 7. und 8. Bau-

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jahr das schöne Schloß hier vollends instand bringen und damit die Zoologische Abteilung richtig arbeitsfähig machen wird, allerdings die Präparatoriumsanlage ausgenommen, die hier im Schloß keine richtige Stätte finden kann. Dafür, vor allem aber für die drei anderen Museums­abteilungen, brauchen wir unbedingt einen weiterenBau. Den Hauptraum wird die G e 0 log i s c h - P a I äon t 0 log i s c h e Abt eil u n g in Anspruch nehmen müssen. Wer sich an die Sammlungen in der Neckar­straße erinnert und von diesen bedeutenden Schätzen gerade an Fossilien aus unserem Land weiß, für den bedarf dies keiner weiteren Erläuterung. Das Hauptgewicht wird bei einer modern gestalteten Einführung in die Erd- und Lebensgeschichte für die öffentlichkeit liegen. Uns er La n d kann nicht auf lange Zeit hinaus eine so einzigartige Möglichkeit der Belehrung brachliegen lassen - ein Land, in dem die Aufschließung des Bodens mit seinen vielerlei nutz­baren Lagerstätten vom Salz und Erz bis zu den Bausteinen und zu den Quellen eine so bedeutende Rolle spielt -, ein Land, wo die Land­schafts gestalt in so sprechender Weise ein Ergebnis von seit Urzeiten wirkenden Kräften und von bestimmten Bedingungen des Untergrunds ist -, ein Land, das so wie kaum ein zweites ein aufgeblättertes Lehr­buch der Erd- und Lebensgeschichte darstellt -, ein Land mit den Fossillagern der Trias, den Kostbarkeiten des Holzmadener Liasmeer­beckens, den Fundplätzen der Murrschotter, um nur drei Stichworte von vielen zu geben. Daß hier ein echtes Bedürfnis zur Nutzung dieser Schätze vorliegt, beweisen uns die Rückfragen der Schulen; alle Unter­richtsanstalten, die Hochschule nicht ausgenommen, brauchen diesen Stoff. Es geht hierbei um die Grundlagen wie auch um Angewandtes: Es ist eine breite Schicht unseres Volkes, die wirtschaftlich irgendwie mit Untergrund und Boden verbunden ist, nicht nur das Bauwesen, son­dern auch Land- und Forstwirtschaft, und manch einer muß bei einem Bauvorhaben mangelnde Unterrichtung büßen. Unser Museum soll auch auf diese praktischen Fragen Rücksicht nehmen. Bisher liegen alle unsere Schätze in Hunderten von Kisten gestapelt, und nicht wenige Fossilien sind so beschaffen, daß die Montierung nur am endgültigen Ort erfolgen kann; manches nimmt auch bei der Lagerung Schaden. Auch die Auswertung, nach der oft genug in. und ausländische Fachleute fragen, ist erschwert oder gar unmöglich. Soeben vor der Versamm­lung sprach mich der bekannte Erforscher der heimatlichen Trias an, Forstmeister Dr. h. c. LINCK. Er ist tief betroffen - und wir fühlen ebenso -, daß er mit seiner großen Revision der Seeigel des Muschel­kalks zwar auf den Bestand auswärtiger Museen zurückgreifen kann, aber ausgerechnet auf die wichtigen und zahlreichen Funde des Stutt­garter Museums verzichten muß, weil es rein unmöglich ist, sie aus den wohl 500 Kisten herauszusuchen; in der Eile des Einpackens blieb an­gesichts des Bombenkriegs viel unregistriert.

So ist ein Neubau aus einer Reihe von Gründen d r i n g I ich! Wir müssen darum bitten, daß die Frage des Neubaues

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recht bald tatkräftig angegriffen wird, und wir hoffen auf die weit­schauende Einsicht, die die Ministerien und der Landtag schon bei dem ersten Schritt unseres Museums gezeigt haben.

Schluß

Nun zum Schluß. Wenn ein Werk getan ist, gibt man ihm gute Wünsche mit. Auch wir haben für diesen neuen Teil eines alten Museums große Wünsche. Mögen recht viele in diese neuen Räume kommen und davon Nutzen haben. Mögen sie schon beim Betreten des Parks durch die Umgebung des Schlosses, aber auch durch das "heitere Säulenhaus" selbst in eine feiertägliche Stimmung versetzt werden. Mögen sie sich angesprochen fühlen durch die Form und vor allem durch den Gehalt des Dargebotenen und unvermerkt sich eingeführt finden in so manche Rätsel der Natur und ihrer Erscheinungsfülle. Mögen die Besucher, möge be­sonders die Jugend hier Ehrfurcht lernen vor der Schöpfung und nicht nur verstandesmäßig, sondern auch im menschlichen Bereich etwas nach Hause nehmen.

Und endlich: Möge dieser Leistungsnachweis die Grundlage dafür schaffen, daß der Schloßbau recht bald beendet und daß recht bald der Neubau des fehlenden Museumsteils bewilligt wird. Er s t wen n er steht, wird das Naturkundemuseum seine Aufgaben voll e r füll e n k ö n n e n.