16881 zkm 2016 04 heft 1ak - centrale-fuer-mediation.de

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120 Vom Gericht geschickteMedianden Frauke Decker/Angelika Peschke 124 Ein interdisziplinäres Team für die in- nere und äußere Scheidung Hanspeter Bernhardt/Bianca Winograd 145 Geförderte Familienmediation in Ber- lin Stephanie Hamkens 151 Zur Diskussion gestellt: Die Media- tion im Kampf ums Recht? Peter Röthemeyer CENTRALE-FUER-MEDIATION.DE PVSt 47561 15. August 2016 | 19. Jahrgang | S. 117 156 | Heft 4/16 Familie THEMENSCHWERPUNKT

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Page 1: 16881 zkm 2016 04 heft 1AK - centrale-fuer-mediation.de

120 Vom Gericht „geschickte“ MediandenFrauke Decker/Angelika Peschke

124 Ein interdisziplinäres Team für die in-nere und äußere ScheidungHanspeter Bernhardt/Bianca Winograd

145 Geförderte Familienmediation in Ber-linStephanie Hamkens

151 Zur Diskussion gestellt: Die Media-tion im „Kampf um’s Recht“?Peter Röthemeyer

CENTRALE-FUER-MEDIATION.DE PVSt 47561 15. August 2016 | 19. Jahrgang | S. 117 – 156 | Heft 4/16

FamilieTHEMENSCHWERPUNKT

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Inhalt

119 EDITORIAL

GRUNDLAGEN ENTWICKLUNGEN METHODEN

GERICHTSNAHE MEDIATION

120 Vom Gericht „geschickte“ Medianden – Von den Besonderheiten und der

Motivationsarbeit in der Einführungsphase

Frauke Decker/Angelika Peschke

CO-MEDIATION

124 Ein interdisziplinäres Team für die innere und äußere Scheidung

Hanspeter Bernhardt/Bianca Winograd

FAMILIENUNTERNEHMEN

129 Der Nachfolgeprozess als Übergangsritual – Über Konfliktpotentiale in

Familienunternehmen und die Rolle der Mediation

Peter Heintel/Ruth Lerchster

FAMILIE

133 „Meine zwei Mütter“ – Mediation im Zeitalter der Medizintechnologie

Heiner Krabbe

KINDER

137 Mediation und Kindeswohl – Kleine Familienkonferenz gefällig?

Dagmar Lägler

METHODIK

140 Systemische Konfliktlösungen – Anleihen aus dem Coaching

Raimund Schwendner

PRAXIS PROJEKTE ERFAHRUNGEN

145 Geförderte Familienmediation in Berlin

Stephanie Hamkens

147 Geförderte Familienmediation in Österreich

Ilse Graf

148 Zugang zur Mediation – BAFM-Umfrage zur Förderung von Mediation mit ein-

kommensschwachen Eltern

Hans-Dieter Will

150 Cooperative Praxis: Fürsprechersystem im mediativen Bewusstsein

Gisela Mähler/Hans-Georg Mähler

ZKM 4/2016 117

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ZUR DISKUSSION GESTELLT

151 Die Mediation im „Kampf um’s Recht“?

Peter Röthemeyer

WISSENSWERTES

154 Corporate Pledge – Unternehmensinitiative für ein differenziertes Konflikt-

management

154 Reinhard Greger 70

155 Die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle am Zentrum für Schlichtung

e.V.

LITERATURSCHAU

155 Heidi Neumann-Wirsig (Hrsg.), Lösungsorientierte Supervisions-Tools

156 Norwegische Studie zu verpflichtender Scheidungsmediation

Redaktionsbeirat Dr. Jo B. Aschenbrenner, LL.M., Bucerius Law School, Hamburg | Dr. Christof Berlin, M.A., Schlichtungs-

stelle für den öffentl. Personenverkehr e.V. (söp), Berlin | Prof. Dr. Horst Eidenmüller, LL.M., University of

Oxford | PD Dr. Martin Fries, LL.M., Ludwig-Maximilians-Universität München | Prof. Dr. Ulla Gläßer,

LL.M., Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder | Prof. Dr. Reinhard Greger, RiBGH a. D., Friedrich-Ale-

xander-Universität Erlangen-Nürnberg | Dr. Jürgen Klowait, Rechtsanwalt, Neuss | Prof. Dr. Angela Mick-

ley, Fachhochschule Potsdam | Prof. Dr. Roland Proksch, ehem. Präsident der Ev. Fachhochschule Nürn-

berg | Peter Röthemeyer, Niedersächsisches Justizministerium, Hannover | Lis Ripke, Rechtsanwältin,

Heidelberger Institut für Mediation | Dr. Hansjörg Schwartz, Dipl.-Psych., TGKS Oldenburg | Dr. Felix Wen-

denburg, MBA, Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder | Prof. Dr. Horst Zilleßen, Mediator GmbH,

Berlin

ZKM 4/2016118

Inhalt (Fortsetzung)

Page 5: 16881 zkm 2016 04 heft 1AK - centrale-fuer-mediation.de

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Mediatoren bearbeiten täglich erfolgreich, auch hochstrittige Konflikte. Emotionen spielenhier oft eine zentrale Rolle. Gefühle verweisen auf Bedürfnisse, unerfüllte Wünsche. Media-tion gibt Medianden die Gelegenheit, ihre konkreten Gefühle/Emotionen unter Leitung vonMediatoren bewusst zu machen, zu reflektieren und zu kontrollieren, um eine erfolgreiche,befriedende und befriedigende Konfliktbeilegung zu erreichen. Das hilft, Gerichtsverfahrenzu vermeiden. Das ist insbesondere für eine Streitbeilegung in Kindschaftssachen wesent-lich. Wegen der engen persönlichen Beziehung der Beteiligten, die eine Streitregelung regel-mäßig überdauert, ist eine einvernehmliche, außergerichtliche Konfliktregelung durch dieBeteiligten selbst vorrangig angezeigt.

Das Familienverfahrensgesetz (FamFG) will Konfliktbeteiligte deshalb motivieren, ihrenKonflikt außergerichtlich beizulegen. Die Regelungen zur Mediation, §§ 36 a, 156 FamFGsollen Mediation als Alternative zum Gerichtsverfahren fördern. Eine Mediationspflicht ge-koppelt mit Mediationskostenhilfe entspräche dem Leitbild des FamFG, vorrangig auf Ein-vernehmen der Eltern zu setzen. Indem das FamFG den Eltern die Annahme einer Media-tion jedoch völlig freistellt, bleibt das Gesetz „auf halbem Weg stehen“. Nach Art. 3a Media-tions-RL/EU ist es mit dem Prinzip der Freiwilligkeit vereinbar, wenn Mediation in Kind-schaftssachen als grundsätzlich vorrangig vor gerichtlicher Entscheidung gesetzlich vor-geschrieben wird (BT-Drucks. 17/5335, 14).

Es ist widersprüchlich und inkonsequent, wenn der Staat streitenden Eltern via Verfahrens-kostenhilfe mit Beiordnung eines Rechtsanwalts (§§ 114, 121 ZPO, 76, 78 FamFG) den teu-ren Weg ins streitige Klageverfahren öffnet, um sie dann via Anordnung nach §§ 135, 156FamFG wieder aus dem Gerichtssaal zu schicken, zu einer grundsätzlich für sie privat zubezahlenden Mediation. Das kann nicht funktionieren. Verhalten wird auch über den Geld-beutel gesteuert. Das Verfahrenskostenrecht motiviert insoweit bedürftige Eltern, die För-derung eines staatlich finanzierten Gerichtsverfahrens in Anspruch zu nehmen als eine pri-vat zu zahlende Mediation.

Vorrangige Aufgabe von Familienrichtern ist es, Eltern unter Hinweis auf ihre verfassungs-rechtliche Pflichtenstellung gegenüber ihren Kindern zur einvernehmlichen eigenen Lösungzu motivieren und das gesetzliche Instrumentarium offensiv zu nutzen. Denn Familienrich-ter sollen in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinwir-ken. Der Gesetzgeber ist offenbar davon ausgegangen, dass Einvernehmlichkeit bei „Streit-eltern“ grundsätzlich dem Rechtsfrieden und dem Kindeswohl am besten dienen kann.

Rechtsanwälten fällt dabei die entscheidende Rolle zu, Eltern (Mandanten) umfassendekompetente Beratungshilfe zur Selbsthilfe zu erteilen, damit sie selbständig eigenverant-wortlich Konfliktregelungen erarbeiten können, §§ 253 ZPO, 1 BORA. Insoweit habenRechtsanwälte auch eine moderierende Funktion, die in ihrer Rolle als unabhängiges Organder Rechtspflege begründet ist. Sie widerspricht nicht ihrer Rolle als Parteivertreter.

Im aktuellen Themenheft Familie wird das Thema in einzelnen Beiträgen aufgegriffen undweiter vertieft. Viel Freude und reichlich Gewinn für Ihre Arbeit wünscht Ihnen

Ihr

Prof. Dr. Roland Proksch

ZKM 4/2016 119

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Frauke Decker und Angelika Peschke

Vom Gericht „geschickte“MediandenVon den Besonderheiten und der Motivationsarbeitin der Einführungsphase

Mit Inkrafttreten des FamFG hat der Gesetzgeber den Fa-miliengerichten verschiedene Möglichkeiten an die Handgegeben, Parteien, die sich bereits im gerichtlichen Verfah-ren befinden, den Weg in die Mediation zu weisen. WelcheNachwirkungen hat der gerichtliche Kontext, wie wirktsich die Verweisung auf die Freiwilligkeit und damit ein-hergehend auf die Motivation der Medianden aus und mitwelchen Mitteln kann der Mediator dieser besonderen Si-tuation insbesondere in der Einführungsphase der Media-tion begegnen?

In Berlin gelangen in Familiensachen schon seit Längeremund mit zunehmender Tendenz Elternpaare in die Media-tion, zwischen denen bereits ein Verfahren am Familien-gericht anhängig ist. Über die Berliner Mediationszentrale(BMZ), den Verein „Zusammenwirken im Familienkonflikt“(ZiF)1 und jüngst über das Projekt BIGFAM2 wurden Wegegefunden, auch den nicht finanzkräftigen Elternpaaren denWeg in die Mediation zu eröffnen.

A. Vom gerichtlichen Verfahren in die Mediation

Der gerichtlichen Praxis stehen verschiedene Wege zur Ver-fügung, Parteien, zwischen denen ein familiengerichtlichesVerfahren anhängig ist, in die Mediation zu „schicken“:

Das Gericht kann> gemäß den §§ 135 S. 1, 156 Abs. 1 S. 3 FamFG ein Infor-

mationsgespräch über Mediation anordnen. In der Praxiswird von dieser Möglichkeit nach den Erfahrungen derAutorinnen wenig Gebrauch gemacht,3 zumal bei verfah-renskostenhilfeberechtigten Parteien und ausreichenderMotivierung die Frage entsteht, wer dann die Kosten dersich anschließenden Mediation tragen soll,4

> nach § 156 Abs. 1 S. 4 FamFG Beratung anordnen unddabei klarstellen, dass ein Erstgespräch in einer Media-tion als gleichwertig anerkannt wird,

> nach § 36a Abs. 1 S. 1 FamFG Mediation mit mehr oderweniger großem Nachdruck vorschlagen. Ein wirksamesMittel ist es, den Eltern zu verstehen zu geben, dass vonihnen schlichtweg erwartet wird, dass sie aus ihrer Eltern-verantwortung heraus zunächst den Versuch unterneh-men, doch noch mit Hilfe Dritter zu einer einvernehmli-chen Lösung der kindbezogenen Themen zu kommen.Formal wird dann in der Regel eine entsprechende Ver-einbarung zur Mediation in Form eines Zwischenver-gleichs getroffen.

B. Relative (Un-)Freiwilligkeit

Zu den fundamentalen Grundannahmen der Mediation ge-hören die Freiwilligkeit,5 die Eigenverantwortung und dieSelbstbehauptung der Medianden, wobei die Freiwilligkeitals ein konstitutives Merkmal der Mediation gesehen wird.Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele der Medianden unab-hängig davon, auf welchem der zuvor beschriebenen Wegesie vom Gericht in die Mediation gelangen, in ihrer subjek-tiven Wahrnehmung nicht freiwillig (aus eigenem Antrieb)dort erscheinen.6 Vielmehr unterliegen die Medianden tat-sächlich einem erheblichen „Veränderungsdruck“ seitensdes gesellschaftlichen und sozialen Umfelds (in diesem Fallev.a. des gerichtlichen Rahmens) und sind zunächst weit-gehend fremdbestimmt.7 Dies wird im Erstkontakt dann oftauch ausdrücklich so formuliert und/oder z.B. durch extre-me Passivität demonstriert. Entsprechend der anfänglich er-lebten Unfreiwilligkeit wird die Teilnahme an einem Media-tionsversuch anfangs zum Teil nur als weitere notwendigeSchleife im gerichtlichen Verfahren angesehen, die dann u.a.auf Anraten der Rechtsanwälte „mitgemacht“ wird. VieleMedianden gelangen somit bestenfalls unmotiviert, oft auchdirekt ablehnend, mitunter aus strategischen Gründen indie Mediation. Was bedeutet diese eingeschränkte Freiwil-ligkeit der Inanspruchnahme einer Mediation für die Arbeitin der Eingangsphase des Mediationsprozesses? Den Media-

Frauke Decker und Angelika Peschke | Vom Gericht „geschickte“ Medianden ZKM 4/2016120

1 Einzelheiten zu den beiden Vereinen finden sich bei Dietrich, ZKM2015, 19, 20.

2 Siehe hierzu den Beitrag von Hamkens, ZKM 2016, 145 f. (in diesemHeft).

3 Ähnlich auch Dietrich, ZKM 2015, 19.4 Diesem Problem soll nun mit dem Projekt BIGFAM (Berliner Initiativegeförderte Familienmediation) Rechnung getragen werden, vgl. hierzuHamkens, ZKM 2016, 145 f. (in diesem Heft).

5 Anders ist es z.B. in den USA, wo die sog. „Mandatory Mediation“schon lange praktiziert wird; s. hierzu z.B. Marx, ZKM 2010, 132 ff.

6 Vgl. auch Dietrich, ZKM 2013, 19 (20).7 Zum Thema „Zwangskontext“ s. auch: Weber/Schilling, Eskalierte El-ternkonflikte, 2006, S. 217–226.

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toren8 stellt sich heute nicht mehr die Frage des „Ob“, son-dern wie sich eine zunächst extrinsische Motivation zur Ver-meidung von Sanktionen im Laufe der Eingangsphase derMediation zu einer intrinsischen Motivation entwickelnkann?9 Freiwilligkeit lässt sich insofern als „statt freiwilligzu kommen“ als „freiwillig zu bleiben“ verstehen.10

C. Schnittstelle der Kooperation

Die Medianden stehen unter dem Eindruck des gericht-lichen Verfahrens, wenn sie in die Mediation gelangen. IhrErleben, Denken und Verhalten ist stark geprägt vom strei-tigen Verfahren, mit einem Verharren in einseitigem Positi-ons- und Anspruchsdenken und in wechselseitigen Schuld-zuweisungen. Sie haben dort erlebt, dass ihre einseitigenProblemzuschreibungen (jeweils der andere ist „schuld“und soll sich ändern) so nicht akzeptiert werden, sie statt-dessen in ihrer Elternverantwortung ernst genommen undgestärkt werden sollen und deshalb in die Mediation verwie-sen werden. Weder die Medianden noch die Mediatorenkönnen die Bedeutung dieser richterlichen Autorität igno-rieren.

Diese „Schnittstelle der Kooperation“ zwischen gericht-lichem Verfahren und „gerichtsnaher“ Mediation erweistsich einerseits als „besondere Problemzone“ für Mediatoren(eigene Rollenklärung) und Medianden (Motivationsklä-rung) und andererseits aber auch als eine chancenreicheNahtstelle, die den Konfliktparteien für einen begrenztenZeitraum ein Fenster für eigenverantwortliche und einver-nehmliche Lösungen öffnet, in dem sie ihren Entschei-dungsspielraum zurück erobern und ausweiten können.11

Die ersten Gespräche (1–3 Sitzungen) der Eingangsphaseder Mediation dienen während der Kontaktaufnahme undSituationsanalyse vor allem auch dazu, einen Wechsel ein-zuleiten von einem erlebten externen Veränderungsdruckhin zu einer kooperativen Konfliktbearbeitung, von einerprimär extrinsischen zu einer primär intrinsischen Motiva-tion und kommunikations- und verhaltensdynamisch voneinem primär aggressiv-reaktiven hin zu einem zunehmendkooperativ-reaktiven Denk- und Handlungs-Modus. Obdies allerdings immer und bei allen Konfliktparteien gelin-gen kann, ist natürlich fraglich und vom Zusammenspielmehrerer Faktoren abhängig.

Gerade im Übergang zwischen Gericht und Mediation istdie Wirkung der individuellen Interventionen der Richtervon besonderer Bedeutung für eine kooperative Unterstüt-zung der Mediatoren. Eine zwar auch konfrontierende, abervor allem wertschätzende Verweisung in die Mediationdurch das Gericht gibt den Mediatoren im Erstkontakt An-knüpfungsmöglichkeiten an bereits vorbereitete, aber teils

noch strategische und fremdbestimmte Motivationen derMedianden.

Die Verweisung durch das Gericht kann durch den Media-tor positiv konnotiert werden, etwa wie folgt:> „Die Richterin traut Ihnen also zu, dass Sie Ihren Kon-

flikt selbständig und in Eigenverantwortung in der Me-diation lösen.“

> „Die Richterin hat Sie beide ja offensichtlich so einge-schätzt, dass Sie beide in einer Mediation mehr für IhreKinder und sich selbst erreichen können als vor Gericht!“

> „Die Richterin glaubt offensichtlich, dass es in Ihrem Fallnoch mehr als nur eine mögliche Lösung geben kann.“

Des Weiteren können die Gerichte die Parteien auf die Me-diation vorbereiten, indem sie über die Möglichkeiten desVerfahrens und die ganz grundlegende Unterschiedlichkeitzum gerichtlichen Verfahren aufklären. Dies beinhaltet z.B.den Hinweis, dass über ein Mediationsverfahren die persön-liche Lebenssituation noch einmal in die eigenen Hände ge-langt, dass es mit erheblich größeren zeitlichen Ressourcenals im gerichtlichen Verfahren eine professionelle Unterstüt-zung bei der Erarbeitung einvernehmlicher Konzepte zurVerfügung stellt und dass alle im Rahmen der Trennung/Scheidung relevant gewordenen Fragen dort in einem Ge-samtpaket gelöst werden können.

Eine solche Aufklärung setzt allerdings zuallererst einmalvoraus, dass die übermittelnden Richter selbst möglichstklare Vorstellungen über Ablauf, Vorgehensweisen undMöglichkeiten des Mediationsverfahrens haben.

Damit im Übergang zur Mediation nicht „auf Zeit gespielt“werden kann, wäre eine Vereinbarung hinsichtlich konkre-ter Termine (wer vereinbart wann welche Termine? Werübermittelt wem wann was?) bereits in der gerichtlichenVerhandlung hilfreich.

D. Besonderheiten der „geschickten“ Medianden

Den gerichtsnahe Mediationen durchführenden Mediatorenstellte sich frühzeitig die naheliegende Frage nach den rele-vanten Besonderheiten der über die Gerichte „geschickten“Medianden im Unterschied zu denen, die vor- oder außer-gerichtlich in die Mediation kommen. Mit welchen „typi-schen“ Konfliktverhaltensmustern und daraus resultieren-den Schwierigkeiten würde für den Mediationsprozess u.U.zu rechnen sein?

Die bisherige Erfahrung aus der Mediationsarbeit im Kon-text gerichtlicher Verfahren zeigt,> dass nicht alle, aber eine erhebliche Anzahl der aus dem

gerichtlichen Verfahren in die Mediation kommendenKonfliktparteien hochstreitige Umgangs- und Sor-

ZKM 4/2016 Frauke Decker und Angelika Peschke | Vom Gericht „geschickte“ Medianden 121

8 Im Interesse der Lesefreundlichkeit wird lediglich die männlicheSchreibweise benutzt; die weibliche Form ist selbstverständlich mit ein-geschlossen.

9 Lack-Strecker, ZKJ 2010, 338 und Lack-Strecker, 2010, 380.10 So auch in Deutschland inzwischen die h.M. Siehe hierzu Carl in

Trenczek/Berning/Lenz, Mediation und Konfliktmanagement, 2013,Kap. 4.6 Rz. 4; Greger in Greger/Unberath/Steffek, Recht der alternati-

ven Konfliktlösung, 2. Aufl. 2016, § 1 MediationsG Rz. 33 m.w.N.; Krie-gel, Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 2007, S. 169; Dietrich, ZKM2013, 19 (20 f.); Lack-Strecker, ZKJ 2010, 380.

11 Dazu auch Alberstötter, Beratungsarbeit bei hochstrittigen Elternkon-flikten, Vortrag auf der BAFM-Tagung am 21.11.2001, Berlin (unver-öffentlicht).

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gerechtskonflikte haben, die oft zu einem enormen emo-tionalen „Innendruck“ führen,

> dass Konfliktpaare, welche auf gerichtliche Interventionin die Mediation kommen, häufig noch sehr lange indem gerichtlichen Kontext und ihrem darauf bezogenenVerhaltensmuster verharren und versuchen, die adver-satorische Haltung in die Mediation zu verlagern,

> dass die Medianden auch in der Mediation weiterhin be-strebt sind, ihre „Wahrheit“ zu beweisen, so dass sie Ur-kunden, Atteste, Schriftsätze, Email-Ausdrucke etc. mit-bringen, um die Mediatoren von der Richtigkeit ihrerAngaben zu überzeugen,

> dass die Konfliktparteien im Mediationsverfahren zwarnicht unbedingt ein höheres Konfliktniveau, aber unge-zügeltere Austragungsformen und Verhaltensweisen alsvor Gericht haben. So zeigen sie sich z.B. vor Gericht „ge-sitteter“ (Ausdruck einer als notwendig erlebten Anpas-sung an die Erwartungen richterlicher Autorität) als inder Mediation, wo sie die Mediatoren als Bündnispartnerzu gewinnen suchen oder sich misstrauisch-verweigerndgegenüber dem als Zwang erlebten Mediationsprozessund dem als Bedrohung erlebten Konfliktpartner verhal-ten.

> dass sie insgesamt nur wenig Eigenverantwortung zeigenund ein größeres Bedürfnis haben, die Verantwortung anInstitutionen wie Gericht, Jugendamt zu delegieren(„Jetzt muss doch einmal einer handeln!“).

F. Spezifische Anforderungen und Modifikationenin der Eingangsphase

Entgegen anfänglicher Befürchtungen hat die Durchfüh-rung von Mediationen im familiengerichtlichen Kontextnach den Erfahrungen der Autorinnen nicht dazu geführt,dass die Arbeitsmethoden der Mediation grundlegend geän-dert werden mussten. Allerdings ergeben sich aufgrund derVerweisung durch das Gericht insbesondere für die Ein-gangsphase der Mediation spezifische Anforderungen undModifikationen für das Mediationsverfahren.

I. Rollenklärung

Die Mediatoren müssen ein ganz besonderes Augenmerkauf eine umfassende, deutliche Rollenklärung legen. Das be-trifft sowohl die eigene Rolle (Inwieweit fühle ich mich demGericht gegenüber in der Pflicht? Fühle ich mich unter ei-nem anderen Erfolgsdruck, wenn die Medianden vom Ge-richt geschickt wurden?), aber insbesondere die Rolle imVerhältnis zu den Medianden. Diesen sollte so früh wiemöglich bewusst werden, dass es nicht die Mediatoren alsDritte zu überzeugen gilt, dass diese keine Entscheidungtreffen und auch nicht Einfluss auf die Entscheidung desGerichts haben werden. Im Sinne einer auch nach außensichtbaren Rollenklarheit sollte z.B. auch sichergestellt sein,dass es keine Rückmeldungen von den Mediatoren an dasGericht zum Stand des Verfahrens gibt. Bereits im Erst-gespräch erscheint es deshalb sinnvoll zu vereinbaren, dassInformationen über den Stand oder ggf. die Beendigung desMediationsverfahrens ausschließlich durch die Mediandenan das Gericht gelangen.

Inhaltlich gilt es, den Medianden zu vermitteln, dass esnicht Anliegen der Mediation ist, eine objektive Wahrheitzu erforschen, die es in den wenigsten Fällen gibt, sondernmit den jeweiligen subjektiven Wahrheiten der Mediandenzu arbeiten, die jeweils anerkennenswert und berechtigtsind.

Es hat sich bewährt, die Mediation nicht auf die Themendes gerichtlichen Verfahrens zu beschränken, sondern denMedianden die Chancen vor Augen zu führen, die darin lie-gen, dass im Rahmen der Mediation alle Sach-, aber auchBeziehungsthemen wie z.B. die Kommunikation, behandeltwerden können und sollten.

II. Atmosphäre des Vertrauens

Besonders am Anfang der Mediation werden die Wortedurch Medianden, die sich bereits im gerichtlichen Verfah-ren befinden, sehr vorsichtig gesetzt. Aus der Erfahrung,dass Zugeständnisse zum Bumerang werden können, haltensich die Medianden häufig länger bedeckt als in Verfahren,in denen noch kein Rechtsstreit anhängig ist.

Für die Mediation bedeutet das, dass auf eine ausführlicheund sachgemäße Verschwiegenheitsverpflichtung besonde-rer Wert gelegt werden muss, und zwar sehr früh im Verfah-ren. Gleichzeitig ist den Autorinnen bewusst, dass es einegarantierte Sicherheit nicht geben kann und dass das auchtransparent gemacht werden sollte. Deshalb gilt es ergän-zend – in oft sehr kleinen Schritten – verloren gegangenesVertrauen wieder zu erarbeiten. Das kann z.B. über sehrkleinteilige Verabredungen am Ende der ersten Sitzung er-folgen (z.B. wird verabredet, dass in Zukunft E-Mails wiedermit Anrede verschickt werden).

III. Motivationsarbeit

In der Eingangsphase der Mediation zieht sich für die Me-diatoren und Medianden gleichermaßen, bewusst und un-terbewusst, immer die „ Begleit“-Frage der Motivation fürMediation wie ein roter Faden durch die Kontaktaufnahmeund Themenklärung.

Wie eingangs beschrieben, empfinden viele der vom Gerichtgeschickten Medianden ihre Teilnahme an der Mediation(zunächst) als unfreiwillig. Erschwerend kommt insbeson-dere in den Kindschaftsverfahren hinzu, dass viele Eltern-paare oft schon lange Zeit in ein Helfersystem eingebundensind und ein Bewusstsein für autonomes, eigenverantwort-liches Handeln verloren haben. Der Schlüssel, die „geschick-ten“ Medianden für das Mediationsverfahren zu gewinnenund arbeitsfähig zu machen, liegt ganz überwiegend im be-kannten Methodenrepertoire, das Mediatoren zur Ver-fügung steht. Allerdings sind einige Methoden frühzeitiger,mit mehr Aufmerksamkeit und mit einem erhöhten zeitli-chen Aufwand einzusetzen im Vergleich zu Mediationenmit eigenmotivierten Medianden:> Die Medianden erfahren Wertschätzung und Stärkung

der Eigenverantwortung durch positive Konnotierung desErscheinens als Bereitschaft, trotz eines laufenden Ver-fahrens diese psychische Anstrengung zu unternehmen.

Frauke Decker und Angelika Peschke | Vom Gericht „geschickte“ Medianden ZKM 4/2016122

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Dies wiederum setzt beim Mediator eine entsprechendewertschätzende Haltung voraus und das Bewusstsein,dass für viele ehemalige Paare mit zum Teil langjährigerGerichtserfahrung das Zusammentreffen und Kommuni-zieren mit dem jeweils anderen eine enorme Anstren-gung und emotionale Belastung bedeutet, während dieDelegation des Konfliktes an Rechtsanwälte und Gerichthäufig eher als entlastend empfunden wird.

> Von noch erheblich größerer Bedeutung als in eigenmoti-viert aufgenommenen Mediationsverfahren ist es, den„geschickten“ Medianden Mediation nicht abstrakt zu er-klären, sondern frühzeitig erlebbar zu machen.12 Dies ge-schieht insbesondere durch offen-interessiertes, aber zu-gleich respektvoll-einfühlsames Fragen und durch Akti-ves Zuhören. Das Aktive Zuhören hat hier mehrereFunktionen: Die Medianden erleben Empathie und Wert-schätzung und fühlen sich jeweils verstanden, auch indem, was sie fühlen. Über den Mediator als Mittler hörensie oft nach langer Zeit erstmals wieder, was der jeweilsandere denkt und fühlt, und erleben, dass die Wahrneh-mung des jeweils anderen als ebenso berechtigt wie dieeigene im Raum steht.

> Die separierende Kommunikation ist wichtige Hilfestel-lung zur Reduzierung der emotionalen Belastung. Mit-unter kann es auch angezeigt sein, bereits in der Ein-gangsphase der Mediation Einzelgespräche zu führen,um den notwendigen Rahmen für ein gemeinsames Ar-beiten auszuloten.13

> Mit den Medianden ist der Gestaltungsspielraum, dendiese im Rahmen der Mediation haben/zu haben glau-ben, einschließlich der Grenzen und potentiellen „Gefah-ren“, die mit der Entscheidung für Mediation befürchtetwerden, zu erarbeiten. Gerade den Medianden, die sichim gerichtlichen Verfahren befinden und vielleicht bereitseine „Prozesskarriere“ hinter sich haben, wird sehrschnell deutlich, dass sie hier die möglicherweise letzteChance haben, aus dieser Dynamik noch einmal aus-zusteigen und die eigenen Geschicke wieder selbst in dieHand zu nehmen. Mit ihnen wird erarbeitet, was es fürsie jeweils persönlich bedeuten würde, doch noch zu ei-ner einvernehmlichen Lösung zu kommen und wie sichdies voraussichtlich auf die gemeinsamen Kinder auswir-

ken würde. Mitunter ist es auch zielführend, das Gegen-szenario gedanklich durchzuspielen: „Was würde es fürSie bedeuten, aus dem gerichtlichen Verfahren als Gewin-ner/Verlierer hervorzugehen? Hätte es nur positive As-pekte, Gewinner zu sein? Wie würde sich eine solche Ent-scheidung auf Sie als Eltern auswirken? Was würde dasfür Ihre Kinder bedeuten?“ Es ist nicht unbedingt not-wendig, Antworten auf diese Fragen zu erhalten. Sie stel-len Denkanstöße dar, die erheblich nachwirken können.

Als Fazit ist festzuhalten, dass eine Mediation mit vom Ge-richt „geschickten“ Medianden ebenso gut verlaufen kannwie ein Verfahren, das eigenmotiviert aufgenommen wird.Für die Eingangsphase der Mediation ergeben sich aller-dings insofern Besonderheiten, als eine klare Abgrenzungzum gerichtlichen Verfahren mit entsprechender Rollenklä-rung erfolgen und der Motivationsarbeit erhöhte Aufmerk-samkeit und in der Regel auch erheblich mehr Zeit gewid-met werden muss, damit als freiwillig angenommen werdenkann, was vielfach aufgrund empfundenen äußeren Drucksbegonnen wurde.

Frauke Decker

Diplom-Psychologin, Diplom-Politologin, Psychologische Psy-

chotherapeutin (DGPT), Mediatorin (BAFM) und Ausbildungslei-

terin im Berliner Institut für Mediation (BIM), Berlin.

Prof. Dr. Angelika Peschke

Mediatorin (BAFM), Gastprofessorin für Recht an der Evangeli-

schen Hochschule Berlin sowie Ausbildungsleiterin im Berliner

Institut für Mediation (BIM).

ZKM 4/2016 Frauke Decker und Angelika Peschke | Vom Gericht „geschickte“ Medianden 123

12 Vgl. hierzu Troja, ZKM 2009, 152, 155. 13 Zu Voraussetzungen und Rahmen von Einzelgesprächen vgl. Gläßer/Kublik, ZKM 2011, 89 ff.

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Hanspeter Bernhardt und Bianca Winograd

Ein interdisziplinäres Team fürdie innere und äußere Scheidung

Die sozialwissenschaftliche Forschung zu den stilistischenUnterschieden von anwaltlichen und psychosozialen Fa-milien-Mediatoren hat diskrepante Definitionen des Ver-fahrens und der Rolle des Mediators aufgedeckt, die vorallem auf die professionelle Sozialisation in den jeweiligenGrundberufen zurückgehen. Das ursprünglich interdiszip-linäre Potential der Trennungs- und Scheidungsmediationscheint dabei auf der Strecke zu bleiben. Co-Mediationenvon Mitgliedern beider Professionen können dagegen denAnforderungen der inneren und äußeren Scheidung Rech-nung tragen.

Normales, aber charakteristisches Merkmal des Media-toren-Teams bei sog. Co-Mediationen ist die Zusammen-arbeit von zwei Personen in der Rolle der dritten Partei –und zwar mit einer speziellen Kombination von Berufs- undGeschlechtsrollen (Rechtsanwalt/Psychologin bzw. Rechts-anwältin/Psychologe). Wir haben an anderer Stelle die Aus-stattung der Familien-Mediation mit einem Team und des-sen Zusammensetzung als eine Intervention beschrieben,die den besonderen inhaltlichen und prozeduralen Heraus-forderungen in der Trennungs- und ScheidungsmediationRechnung trägt.1

In diesem Beitrag wollen wir den genannten Merkmalen –nämlich der unterschiedlichen beruflichen und geschlechts-spezifischen Sozialisation des Personals – sowie deren Aus-wirkungen in der Prozessführung der Mediation besondereAufmerksamkeit widmen und dafür vor allem die sozialwis-senschaftliche Mediationsforschung zu Rate ziehen, dieAuskunft über einen systematischen Gegensatz gibt.

1. In den Augen der Parteien

Am Anfang unserer Beschäftigung mit dem Thema hat dieAuswertung eines Rollenspiels (in einem Seminar von Dres.Mähler) gestanden, in der die Wirkung der personellenAusstattung im Hinblick auf die Bedeutung für die Parteienreflektiert worden ist.

Eine psychosoziale Mediatorin weckt offenbar Erwartungennach weiblichen und mütterlichen Kompetenzen (Einfüh-lungsvermögen, Geduld, Verständnis, usw.). Es bestehenaber auch vor allem von Frauen geäußerte Zweifel, in derpsychosozialen Mediatorin eine Rivalin vorfinden zu kön-

nen, die zur parteilichen Unterstützerin des Ehemanns wer-den könnte.

Ein Anwaltsmediator ruft dagegen eher die Erwartung nachmännlichen und väterlichen Kompetenzen (Sachverstand,Schutz, Effektivität, usw.) hervor. Hier werden von MännernBefürchtungen hinsichtlich einer drohenden Männerrivali-tät geäußert. Frauen äußern die Bedenken, auf eine Personmit mangelndem Verständnis und emotionaler Unsicher-heit zu treffen. Männer erwarten dagegen eine Vermeidungvon „Gefühlsduseleien“.

Eine Anwaltsmediatorin und ein psychosozialer Mediatordurchkreuzen bereits als Einzelpersonen die stereotypen Er-wartungen an die Berufs- und Geschlechtsrollen. Im Team-Setting wird der speziellen Kombination von Anwaltsmedia-torin und psychosozialem Mediator die höchste Kompetenzzugeschrieben. Die Anwaltsmediatorin verkörpert in denAugen der Parteien sowohl weiblich-mütterliche Fähigkei-ten als auch Sachverstand, während dem psychosozialenMediator sowohl männlich-väterliche als auch emotionaleKompetenzen zugeschrieben werden. Diese Konstellationwird vom Publikum mehrheitlich favorisiert.

Die Kombination von psychosozialer Mediatorin und An-waltsmediator erfüllt zwar ebenfalls die kompletten Erwar-tungen der Klientel nach geschlechts- und berufsspezi-fischen Kompetenzen, lässt aber auch Befürchtungen auf-kommen, einer eindrucksvollen Übermacht gegenüber zustehen.

2. Bedenken und Fürsprache

In einem frühen Aufsatz zum Thema wird eine insgesamtkritische Auffassung zur Team-Mediation vertreten.2 DieAutorin steht gleichgeschlechtlichen Teams (Frau/Frau,Mann/Mann) ablehnend gegenüber, weil diese die Parteienin der Regel überforderten. Drei Männer und eine Fraubzw. drei Frauen und ein Mann sind in ihren Augen gravie-rende Schieflagen des Settings, die vermieden werden sollen.Bei gegengeschlechtlichen Teams sieht die Autorin die Ge-fahr, dass dieses Arrangement die Parteien zu einem Bünd-nis mit dem Mediator des gleichen Geschlechts einlade.Zwar könne ein Ehepartner vorübergehend von der Unter-stützung profitieren, eigene abweichende Auffassungen zuäußern und zu vertreten, jedoch sei ein längeres Bündnis

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1 Bernhardt/Winograd in Haft/v. Schlieffen, Handbuch Mediation, Mün-chen 2016, S. 445–462.

2 Grebe in Folberg/Milne, Divorce mediation, New York 1988, 225–248.

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mit einem der Mediatoren kontraproduktiv und untergrabedas Ziel der Selbstverantwortung.

Auf der anderen Seite wird von amerikanischen Autoren,die das Konzept des gegengeschlechtlichen Teams mehrereJahre lang praktiziert haben, eine positive Bilanz ihrer Ar-beitserfahrungen gezogen.3 Die Kollegen führen ausdrück-lich ins Feld, dass die Geschlechter-Balance das Risiko vonTriangulierungen reduziere. In einem Setting, das mit ei-nem gegengeschlechtlichen Team besetzt sei, bestehe viel-mehr die Gelegenheit, dass die Parteien von Mediatoren bei-der Geschlechter sowohl verstanden als auch von ihnenkonfrontiert werden könnten. Im Gegensatz dazu könnesich der solo arbeitende Mediator viel leichter an der Her-stellung eines Ungleichgewichts beteiligen, so dass sich einePartei benachteiligt oder gar ausgeschlossen fühlen könne.Diese Schieflage könne bestehende Machtkämpfe verstär-ken. Im Gegensatz dazu können gegengeschlechtliche Co-Mediatoren die Beziehung der Parteien leichter im Gleich-gewicht halten und auch leichter für ein allparteiliches Ar-beitsklima sorgen.

3. Berufliche Sozialisation und Arbeitsstil

Co-Mediatoren müssen sich offenbar auf individuelle Un-terschiede in ihrer Prozessführung gefasst machen. In derLiteratur werden diese Unterschiede als stilistische Differen-zen beschrieben. Deren Ausdruck wird im Ausmaß direkti-ver bzw. non-direktiver Interventionen, in der Präferenz fürAktivität bzw. Passivität oder in einer aufgaben-orientiertenbzw. sozio-emotionalen Haltung der dritten Partei gesehen.4

Gelegentlich sind typisierende Profile (z.B. dealmaker vs. or-chestrator) erstellt worden, um die genannten Unterschiedezu erfassen.5 Relativ regelmäßig werden Verbindungen zurprofessionellen Sozialisation der Mediatoren in ihrenGrundberufen gezogen.6

So haben psychosoziale Mediatoren nicht nur eine Präfe-renz für die Diskussion von Kinder- und Elternfragen anden Tag gelegt, sondern sind auch weniger an der Verhand-lung von finanziellen und Vermögensangelegenheiten inte-ressiert gewesen, die wiederum – auch das ist keine Über-raschung – von juristischen Mediatoren bevorzugt werden.7

Die deutlich unterscheidbaren Arbeitsstile beider Professio-nen werden in ihrem Sprachverhalten, in der Sanktion emo-tionaler und relationaler Inhalte und in der Strukturierungder Interaktionen (einschließlich der Visualisierungen amFlipchart) sichtbar.8 Auf diese Weise werden eine Offenheitder Mediatoren für die persönlichen Vorstellungen der Par-teien und für individuelle Konfliktlösungen bzw. die Ein-schränkung auf geschäftsmäßige und rationale, aber auchauf standardisierte Problemlösungen signalisiert.

Bereits frühe Studien des Mediationsprozesses haben zweigrundlegende Stile von Mediatoren identifizieren können –namentlich einen sog. Verhandlungsstil und einen sog. the-rapeutischen Stil.9 Mediatoren, die die Mediation als einVerhandlungsgeschehen betrachten, fokussieren im Arbeits-prozess vor allem auf die inhaltlichen Interessen der Partei-en – in der Erwartung, dass damit eine latente Kompatibili-tät der Anliegen und die Chancen eines Ausgleichs oder ei-nes Kompromisses freilegt werden können. Jüngeren Da-tums ist die Beschreibung therapeutischer Stile, die wenigerstringent auf die Herstellung einer zustimmungsfähigenVereinbarung fokussieren, sondern ihre Aufmerksamkeitprimär auf die Beziehung der Parteien richten, indem siesich darum bemühen, bei den Parteien das Verständnis dereigenen und fremden Bedürfnisse zu fördern. Eine Einigungwird hier als das Ergebnis einer verbesserten Beziehung derParteien gesehen. Eine dieser Vorgehensweisen hat alstransformativer Stil eine gewisse Popularität erlangt.10 An-dere therapeutische Konzepte machen die Annahme, dassdie Parteien noch nicht dazu bereit sein können, gemein-same Entscheidungen (über die Trennungs- und Schei-dungsfolgen) zu treffen, wenn nicht vorher die emotionalenBlockaden ausreichend exploriert und gelockert werden.11

Vor diesem Hintergrund haben kanadische Forschungen ei-nige signifikante Unterschiede zwischen Mediatoren ver-schiedener Grundberufe zu Tage gefördert, die einen Zu-sammenhang von professioneller Sozialisation und Arbeits-stil erkennen lassen.12 Offenbar haben juristische Media-toren eher einen Verhandlungsstil an den Tag gelegt, indemsie stärker auf die inhaltlichen Differenzen der Parteien fo-kussiert und sich dabei auf die Entwicklung einer Einigungin den Sachfragen konzentriert haben. Mediatoren mit psy-chosozialen Grundberuf haben eher von einem therapeuti-schen Stil Gebrauch gemacht, indem sie ihre Aufmerksam-keit zunächst stärker den emotionalen Themen und der Be-ziehung der Parteien gewidmet haben, bevor sie die Suchenach gemeinsamen inhaltlichen Entscheidungen der Partei-en eingeleitet haben und damit ebenfalls in einen Verhand-lungsprozess eingetreten sind.

Im Einklang damit stehen die Ergebnisse von zwei Studien(aus England und Wales bzw. aus Schottland), in denen diestilistischen Unterschiede zwischen Mediatoren (mit ver-schiedenen Grundberufen) untersucht worden sind.13 DieDifferenzen sind zunächst sprachlich zum Ausdruck ge-kommen: Anwaltsmediatoren haben eher eine Sprache vonRechten und Ansprüchen gesprochen, während in der Rhe-torik psychosozialer Mediatoren eher von Bedürfnissen undVerantwortungen die Rede gewesen ist.

Außerdem werden Gesetz und Gerichtspraxis von psycho-sozialen Mediatoren relativ häufig als „dunkle Wolke“ be-

ZKM 4/2016 Hanspeter Bernhardt und Bianca Winograd | Ein interdisziplinäres Team für die innere und äußere Scheidung 125

3 Salius/Maruzo in Folberg/Milne, Divorce mediation, New York 1988,163–190.

4 Blades, Mediation Quarterly 1984, 59–98; Marlow Mediation Quarterly1987, 85–90; Kressel/Pruitt in Kressel/Pruitt, Mediation research, SanFrancisco 1989, 394–435.

5 Kolb, The mediators, Cambridge 1983.6 Gold, Mediation Quarterly 1984, 27–46.7 Walker, Tidsskrift for Norsk Psykologforening 2010, 676–687.

8 Tracy/Spradlin in Folger/Jones, New directions in mediation, ThousandOaks 1994, 110–132.

9 Silbey/Merry, Law and Policy 1986, 7–32.10 Bush/Folger, The promise of mediation, San Francisco 1994.11 Irving/Benjamin, Family mediation, Toronto 1987; Johnston/Campbell,

Impasses of divorce, New York 1988.12 Kruk, Family and Conciliation Courts Review 1998, 195–215.13 Hayes, Context 2002, 63, 39–41; Myers/Wasoff, Meeting in the middle,

Edinburgh 2000.

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schrieben, die den Arbeitsprozess in der Mediation beein-trächtigen könne, während anwaltliche Mediatoren keineScheu haben, die juristischen Parameter in den Arbeitspro-zess zu integrieren und als Grundlage der Diskussion ein-zuführen. Entsprechend werden die Parteien hier frühzeitigüber die gesetzlichen Regelungen aufgeklärt. PsychosozialeMediatoren haben dagegen eher die Neigung an den Tag ge-legt, das Familiengericht als ein abschreckendes Forum zudämonisieren, in dem unkontrollierbare und nicht vorher-sehbare Fremdentscheidungen getroffen werden.

Stilistisch relevant ist auch, dass Anwaltsmediatoren denDiskussionen der Parteien eher eine Richtung gegeben ha-ben und deshalb bereit gewesen sind, direkte Ratschläge beider Suche nach einer Einigung zu offerieren. PsychosozialeMediatoren haben sich hier reserviert verhalten, um die Ei-gentümerschaft der Parteien für den Konflikt und für dieinhaltliche Konfliktlösung respektieren zu können – aller-dings mit einer systematischen Ausnahme: In den Verhand-lungen der Kinderfragen haben sie nicht selten eine pädago-gische Rolle eingenommen und hier deutlicher als sonstihre inhaltliche Abstinenz aufgegeben.

4. Geschlechtsspezifische Arbeitsstile

Der Einfluss des Geschlechts der Mediatoren auf Einstel-lung und Verhalten in der Mediation ist ebenfalls mehrfachuntersucht worden. Einige Unterschiede zwischen den Ge-schlechtern sind bereits aus experimentellen Studien be-kannt.14 Männliche Mediatoren haben hier ein höheres Ver-trauen in das Verfahren und vor allem in ihren eigenen Ein-fluss an den Tag gelegt, als dies Mediatorinnen tun, und ha-ben im Rahmen ihrer instrumentellen Aufgaben- und Er-gebnisorientierung eine Neigung an den Tag gelegt, Druckauf die Parteien auszuüben, um die Mediation mit einempositiven Ergebnis abschließen zu können. Sie sind eher da-von überzeugt (als ihre Kolleginnen), dass ohne ihr inhalt-liches und prozedurales Know-how keine Einigung zustan-de käme.

Im Gegensatz dazu haben sich Mediatorinnen stärker aufdie Ressourcen der Parteien verlassen, sind stärker auf derenErwartungen eingegangen und haben eher integrative Inter-ventionen eingesetzt, um die Einigungsbereitschaft der Par-teien fördern zu können.

Auch die sozialwissenschaftliche Forschung in sog. natürli-chen Settings geht in dieselbe Richtung. Auch hier habenweibliche und männliche Mediatoren ihre Rolle als drittePartei unterschiedlich definiert. Männer haben ihr primäresInteresse an der Lösung des Konflikts zum Ausdruck ge-bracht, während Frauen das Verständnis der Parteien (ein-schließlich ihrer Beziehung) in den Vordergrund gestellt ha-ben.15 Kurzum: Frauen haben eher ein transformatives,

Männer eher ein instrumentelles Konzept der Mediationvertreten.16

Entsprechend sind die Geschlechtsunterschiede auch imkommunikativen Konfliktmanagement zum Ausdruck ge-kommen, wenn sich Mediatorinnen in ihren Zusammenfas-sungen („formulations“) eher um Klärungen und um eindifferenziertes Verständnis der Parteien bemüht haben,während ihre männlichen Kollegen eine stärkere Kontrolleder Kommunikation (beispielsweise durch Wiederholungder Grundregeln) und direktive Interventionen an den Taggelegt haben.17

Schließlich haben Mediatorinnen im Rahmen einer klient-zentrierten Orientierung dem emotionalen und non-ver-balen Verhalten der Parteien eine größere Beachtung (alsihre männlichen Kollegen) geschenkt – beispielsweise in ih-rer Aufmerksamkeit für den Augenkontakt oder für das ru-higere, weniger agitierte Sprachverhalten der Parteien, wennderen Kooperation im Verlauf des Prozesses zugenommenhat.18

Insgesamt kann man sagen, dass Mediatorinnen ihre Rolleanders als ihre männlichen Kollegen definieren: Laut ihreneigenen Auskünften sprechen sie von der „Förderung derKommunikation“ oder von der „Förderung von Kommuni-kation und Prozess“, während männliche Mediatoren dieTendenz haben, nur von der „Förderung des Prozesses“ zusprechen, und damit dessen Kontrolle meinen, um eine Ei-nigung erreichen zu können.19

Einige Untersuchungen zum Thema haben allerdings keinesignifikanten stilistischen Unterschiede zwischen den Ge-schlechtern feststellen können.20 Daten aus der Verhand-lungsforschung legen allerdings die Vermutung nahe, dassdie professionelle Sozialisation als Einflussfaktor eine domi-nante Rolle zu spielen scheint, so dass davon andere(schwächere) Zusammenhänge, d.h. auch die Verbindungzur geschlechtsspezifischen Sozialisation, verdeckt werdenkönnen.21

5. Befugnisse und Kompetenzen

Unterschiede in den Kompetenzen von Anwaltsmediatorenund psychosozialen Mediatoren ergeben sich auch aus demRechtsdienstleistungsgesetz (RDG). Die Aufklärung derParteien über die Rechtslage und die Formulierung recht-lich verbindlicher Vereinbarungen stellen Rechtsdienstleis-tungen dar, die Rechtsanwälten vorbehalten sind.

Das Mediationsverfahren wird dann nicht als unzulässigeRechtsdienstleistung betrachtet, wenn der nicht-anwaltlicheMediator juristisch abstinent bleibt, also weder eine konkretauf den Einzelfall bezogene Bewertung oder Einschätzungder Rechtslage vornimmt, noch eigene Vorschläge zur recht-

Hanspeter Bernhardt und Bianca Winograd | Ein interdisziplinäres Team für die innere und äußere Scheidung ZKM 4/2016126

14 Carnevale/Lim/McLaughlin in Kressel/Pruitt, Mediation research, SanFrancisco 1989, 213–240.

15 Weingarten/Douvan, Negotiation Journal 1985, 349–358.16 Herman/Hollett/Eakter/Gale, Conflict Resolution Quarterly 2003, 403–

427; Nelson/Zwarankin/Ben-Ari, Negotiation Journal 2010, 287–308.17 Wall/Dewhurst, Mediation Quarterly 1991, 63–85.

18 Herman/Hollett/Eakter/Gale, s. Fn. 6.19 Picard, Negotiation Journal 2002, 251–269.20 Baitar/Buysse/Brondeel/DeMol/Rober, Conflict Resolution Quarterly

2013, 57–78.21 Kray/Thompson, Research in Organizational Behavior 2004, 103–182.

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lichen Regelung der Trennungs- und Scheidungsfolgen indie Diskussion der Parteien einbringt oder Formulierungs-hilfen bei der Abfassung von rechtlich bindenden Verein-barungen leistet.

Anders als in relativ rechtsfernen Anwendungen – beispiels-weise in der Eltern-Jugendlichen-Mediation – besteht imBereich von Trennung und Scheidung eine hohe gesetzlicheRegelungsdichte. Die Kenntnis dieser Rechtslage gestattet esden Parteien, ihre Konflikte im Sinne aufgeklärter Auto-nomie zu lösen und die gesetzlichen Gestaltungsmöglichkei-ten in ihrem Sinne zu nutzen.

Die rechtlichen Dienstleistungen des anwaltlichen Media-tors kommen besonders dann zum Tragen, wenn die Partei-en eine fallbezogene Rechtsaufklärung wünschen. Auf dieentsprechenden Fragen – z.B. wie die Höhe des Kindes-unterhalts in ihrem Fall ermittelt wird – können Anwalts-mediatoren antworten, psychosoziale Mediatoren nicht.

Alle Mediatoren können allerdings – unabhängig von ihremGrundberuf – eine allgemeine rechtliche Aufklärung zurVerfügung stellen: z.B. dass es eine Düsseldorfer Tabellegibt, mit der das Familiengericht die Höhe des Kindesunter-halts anhand der Kriterien Einkommen, Alter des Kindesund Kinderzahl berechnet. Die konkrete Anwendung derTabelle auf den Einzelfall gilt jedoch als Rechtsdienstleis-tung, die nur Anwaltsmediatoren zur Verfügung stellenkönnen.22

Für die Anfangsphase einer Trennungs- und Scheidungs-mediation sind bekanntlich eine Reihe von Übergangs-regelungen typisch (z.B. für die vorläufige Nutzung der Ehe-wohnung, für die Höhe von Unterhaltszahlungen und/oderfür die elterliche Arbeitsteilung bei der Betreuung und Ver-sorgung der Kinder).23 Anwaltsmediatoren können dieseVereinbarungen formulieren und die Parteien über dierechtlichen Konsequenzen aufklären. So können uner-wünschte rechtliche Konsequenzen vermieden werden.Auch die Diskussion der Ergebnisse der externen partei-lichen Rechtsberatung wird erleichtert, wenn ein fachkundi-ger Mediator hieran beteiligt ist.

Psychosoziale Mediatoren können (zusammen mit den Par-teien) das Memorandum als ein rechtlich unverbindlichesAbschlussprotokoll formulieren.24 Die Erlaubnis des Media-tionsgesetzes, die sog. Abschlussvereinbarung zu protokol-lieren, meint jedoch lediglich die Niederschrift dessen, wasdie Parteien erarbeitet haben.25 Davon nicht erfasst ist je-doch die Mitwirkung an der Formulierung einer rechtsver-bindlichen Vereinbarung.26

Die Kompetenzen des psychosozialen Mediators kommendagegen bei anderen Aufgaben des Arbeitsprozesses zumTragen.27 Gemeint ist vor allem das Verständnis der Bezie-

hungsdynamik der Parteien und ihrer verbalen und non-verbalen Kommunikations- und Interaktionsmuster in derMediation. Im Zusammenhang damit steht die Aufmerk-samkeit für die individuelle Bedeutung der inhaltlichen Ge-genstände und der inhaltlichen Blockaden. PsychosozialeMediatoren sind dafür prädestiniert, die interessen-orien-tierte Exploration der damit verbundenen Emotionen zuübernehmen. Schließlich können sie sich für das Manage-ment situativer Eskalationen oder zwischenzeitlicher emo-tionaler Ventilationen der Parteien zuständig sehen, wenndiese sich Luft machen müssen. Psychosoziale Mediatorensind auch dafür qualifiziert, die entwicklungspsychologischeund familiendynamische Aufklärung der Parteien überkind-bezogene Themen (wie familiäre Stressoren, protektiveUmgangsregelungen, bedeutungsvolle Eltern-Kind-Bezie-hungen, usw.) zu übernehmen.

6. Konsequenzen und Schlussfolgerungen

Die stilistischen Unterschiede, die laut Forschung zentralmit den Disziplinen, aber auch mit dem Geschlecht der Me-diatoren verbunden sind, und die rechtlichen Privilegien,die gesetzlich ebenfalls an den Grundberuf gekoppelt sind,machen deutlich, dass Familien-Mediatoren nicht als ho-mogene Gruppe betrachtet werden können.28 In der Praxishaben sich offenbar zwei unterschiedliche Modelle derTrennungs- und Scheidungsmediation entwickelt: ein Ver-handlungsmodell, dessen primäres Ziel in einer inhaltlichenEinigung der Parteien gesehen wird und das von anwalt-lichen Mediatoren favorisiert wird, und ein therapeutischesModell, das der Beziehung der Parteien stärkere Aufmerk-samkeit widmet.

Während im Verhandlungsmodell die emotionalen Beiträgeder Parteien als thematisch irrelevant betrachtet werden,werden sie im therapeutischen Modell als legitimer Aus-druck latenter Interessen verstanden.29 Deshalb widmenMediatoren, die sich einem therapeutischen Stil verpflichtetfühlen, auch der Bedeutung und dem Erleben der inhalt-lichen Regelungen größere Aufmerksamkeit. Gefühle spie-len dabei nicht irgendeine Rolle, sondern werden media-tionskonform in einer Weise exploriert, die eine vertiefteDiskussion der Interessen zulässt.

In den stilistischen Unterschieden kommen unterschiedli-che, wenn nicht kompetitive, jedoch jeweils unvollständigeDefinitionen der Familien-Mediation und der Rolle des Me-diators zum Ausdruck. Das Dilemma kann in der Praxismit dem Einsatz von Co-Mediatoren-Teams (Frau/Mannund Anwalt/Psychologe) aufgehoben werden, wo immerdas möglich ist.

Aber: Wir machen uns keine Illusionen. Unsere Präferenzfür die Co-Mediation bei Trennung und Scheidung zurÜberwindung professioneller Unzulänglichkeiten stößt an

ZKM 4/2016 Hanspeter Bernhardt und Bianca Winograd | Ein interdisziplinäres Team für die innere und äußere Scheidung 127

22 § 2 Abs. 1 RDG.23 Winograd/Bernhardt in Bergschneider, Beck’sches Formularbuch Fami-

lienrecht, München 2013, 725–787.24 Winograd/Bernhardt in Bergschneider, s. Fn. 23, 725–787.25 § 2 Abs. 6 S. 3 MediationsG.26 Eidenmüller/Wagner/Hacke, Mediationsrecht, Köln 2015.

27 Mosten/Biggs, Journal of Divorce, 1985, 27–39.28 Della Noce/Bush/Folger, Pepperdine Dispute Resolution Law Journal

2002, 39–65.29 Tracy/Spradlin in Folger/Jones, New directions in mediation, Thousand

Oaks 1994, p. 110–132.

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realistische Grenzen. Der logistische Aufwand kann für frei-beruflich tätige Mediatoren beträchtlich sein. Bürogemein-schaften zwischen psychosozialen und anwaltlichen Media-toren sind hierzulande unzulässig. Es sind Vor- und Nach-besprechungen notwendig – vor allen Dingen für die Dis-kussion von Differenzen in der Prozessführung und für dieDiskussion eines Wechsels in der Federführung. An andererStelle haben wir auf die Probleme der Parteien bei der Fi-nanzierung des Settings aufmerksam gemacht.30

Die Dominanz der beruflichen Sozialisation als Einflussfak-tor für die stilistischen Unterschiede legt ein Risiko offen:Die Anliegen der Parteien können stärker in den Hinter-grund treten, wenn sie vor allem im Einklang mit dem pro-fessionellen Grundberuf interpretiert und in der Mediationentsprechend operationalisiert werden.31

Wenn keine Co-Mediation in Frage kommen kann, dannstellen die stilistischen Präferenzen von männlichen undweiblichen Mediatoren mit anwaltlichem oder psychosozia-lem Grundberuf den potentiellen Parteien immerhin An-haltspunkte bei der Auswahl eines Mediators zur Ver-fügung. Wer – neben einer Einigung in den Streitfragen –eine Verbesserung der (elterlichen) Beziehung erwartet, istbei einem männlichen psychosozialen Mediator wahr-scheinlich an der richtigen Adresse. Umgekehrt gilt: Werprimär die laufende Integration rechtlicher Parameter undam Schluss eine unterschriftsreife Scheidungsvereinbarungerwartet, sollte sich am besten an eine anwaltliche Media-torin wenden. In beiden Fällen ist die Wahrscheinlichkeitrelativ hoch, die eigenen Ziele realisieren und das interdis-ziplinäre Potential der Mediation soweit wie möglich aus-schöpfen zu können.

In der Ausbildung von Familien-Mediatoren favorisierenwir eine interdisziplinäre Besetzung des Trainer-Teams so-wie – nota bene – vor allen Dingen interdisziplinär zusam-mengestellte Ausbildungsgruppen. Der Politik berufsspezi-fischer Ausbildungen stehen wir kritisch gegenüber und se-hen darin eine Konsolidierung traditioneller professionellerEinstellungen, eine Förderung von vermeintlicher Auto-

nomie und eine Verleugnung der wechselseitigen Abhängig-keiten. Auch generelle Mediationsausbildungen bereiten inunseren Augen nicht ausreichend auf die Herausforderun-gen in der Familien-Mediation vor. Familien-Mediation istin Theorie und Praxis keine Anwendung von Mediation auffamiliäre Konflikte, sondern macht im Fall von Trennungund Scheidung die Anpassung von Strukturen und Tech-niken der Mediation an die Intensität, Intimität und Irritier-barkeit familiärer Beziehungen notwendig.

In den Ausbildungen sollte die Vorbereitung der beiden Be-rufsgruppen auf das Setting der Co-Mediation einen ange-messenen und keinen stiefmütterlichen Platz einnehmen.Hier können die Grundlagen eines interdisziplinären Ver-ständnisses sowohl von Trennung und Scheidung als auchder Trennungs- und Scheidungsmediation gelegt werden,wenn beide Professionen die Gelegenheit haben, die nützli-chen Beiträge der fremden Disziplin kennenzulernen.

Dipl.-Psych. Hanspeter Bernhardt

Mediator BAFM/NCRC, Praxis für Beratung, Mediation und Kon-

fliktmanagement, München und Bern.

[email protected]

Bianca Winograd

Fachanwältin für Familienrecht, Mediatorin (BAFM), Trainerin

und Supervisorin, Kanzlei Hubertus 4, München.

[email protected]

Hanspeter Bernhardt und Bianca Winograd | Ein interdisziplinäres Team für die innere und äußere Scheidung ZKM 4/2016128

30 Bernhardt/Winograd in Haft/v. Schlieffen, s. Fn. 1, S. 445–462. 31 Welsh, Ohio State Journal on Dispute Resolution 2004, 573–678.

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Peter Heintel und Ruth Lerchster

Der Nachfolgeprozess alsÜbergangsritualÜber Konfliktpotentiale in Familienunternehmen unddie Rolle der Mediation

Übergabe- und Nachfolgeprozesse bergen Zündstoff insich. Der Generationenwechsel, begleitet von vielen Para-doxien, wird zu einem Ort der Zuspitzung und das viel be-schworene Loslassen bleibt ein wohlmeinender Appell anjene, die ihr geliebtes Objekt hergeben sollen. Mediation –will sie sich nicht selbst im Sog der Überforderung wieder-finden – kann dann unterstützen, wenn es ihr erstens ge-lingt, die Widersprüche der Systeme und die verdrängtenbzw. tabuisierten Themen aufzugreifen, um zweitens mitden Betroffenen an der Übersetzung der Historie in dieGegenwart zu arbeiten, was dazu führt, dass drittens antragfähigen Lösungen für die Zukunft gearbeitet werdenkann.

I. Einleitung

Familienunternehmen sind heikle Gebilde. Eine der schwie-rigsten Situationen haben sie zu bewältigen, wenn es umÜbergabe und Nachfolge geht. Die einen sollen in die Fuß-stapfen der anderen treten, die anderen sollen den Weg fürneue Routen freimachen, derartige Übergänge brauchen u.E. „Rituale“ wie mediative Verfahren sie darstellen können.

Viele Autoren1 sehen in einer unglücklichen Vermischungder Systeme Familie und Unternehmen einen wesentlichenGrund für Fehlentwicklungen. Die Systemlogiken könneneinander stören, es gibt aber auch befördernde Koppelun-gen, von denen wiederum beide profitieren. Für die Familiestellt ihr Unternehmen einen ständig vorhandenen Bin-dungsgrund dar, der imstande ist, Familien zusammen-zuhalten. Diese Tatsache kann beglückend und erfüllendsein, kann aber auch einen Druck erzeugen, dem man sichschwer entziehen kann2.

In Übernahme- und Übergabeprozessen vereinigen sich wiein einem Brennglas alle positiven und negativen Seiten desZusammenspiels beider Systeme. Im KulminationspunktNachfolge/Übergabe sind Familienunternehmen konflikt-anfällig, weil sich die alten Rituale nicht fortsetzen lassen.Es geht um Umbruchssituationen, Kontinuitätsbrüche, die

neue Umgangsformen verlangen, in die man meist nichteingeübt ist.

Unser Umgang mit Konflikten ist, betrachtet man unmittel-bares Reaktionsverhalten bei ihrem Auftreten, unterent-wickelt, primitiv, manche sagen ‚steinzeitlich‘, also von al-ten, menschheitsgeschichtlich erworbenen Mustern geprägt.In unseren Konfliktforschungen haben wir vier Grundmus-ter typisiert:1. Verniedlichen, Verdrängen, Wegschieben, Fliehen.2. Schuldige suchen, Individualisierung, Personalisierung.3. Resignation, Erschöpfung, ‚Schicksal‘ als Instanz der Un-

lösbarkeit.4. Schnell entscheiden, meist ohne Analyse.

Dass derart emotionell bestimmte Reaktionen immer nochso dominant sind, hängt mit langzeitig praktizierten histori-schen Traditionen zusammen, aber auch mit fehlender Bil-dung und verhaltensorientierter Einübung. Konfliktnotwen-digkeit findet sich überall, wo Unterschiede, Widersprüchezu bewältigen sind, damit gemeinsames Entscheiden undHandeln möglich wird (sagt die Vernunft). Konflikte sindunangenehm und sollten vermieden werden (sagt die Emo-tion). Es ist unüblich, in emotionell verstrickten Situationenexterne Vermittler, Berater,3 Mediatoren etc. einzubeziehen;eher delegiert man etwaige Eskalationen an Anwälte undGerichte. In selteneren Fällen wird von der fruchtbarenMithilfe Externer berichtet.

Die Praxis zeigt immer wieder, dass zwei wesentliche The-men implizit dominant sind, explizit aber schwer bearbeitetwerden können. Zum einen sind das die Erwartungen andie Unternehmerfamilie Werte, Haltungen, Traditionen,zum anderen ist die Hintergrundfolie des Todes wirkmäch-tig. Beides wird nachfolgend überblicksartig skizziert.

ZKM 4/2016 Peter Heintel und Ruth Lerchster | Der Nachfolgeprozess als Übergangsritual 129

1 Vgl. u.a. Frasl/Rieger, Family Business Handbook, Wien 2007; Heintelin Juritsch/Natvornik, Gern geschehen – Unternehmensnachfolge inFamilienbetrieben, Wien 2006, S. 22–42; Klein, Familienunternehmen,Wiesbaden 2004; Lerchster, Von Lebenswerken und blutenden Herzen,Heidelberg 2011; Simon, Die Familie des Familienunternehmens, Hei-

delberg 2005; Wimmer/Domayer, Familienunternehmen – Auslaufmo-dell oder Erfolgstyp, Wiesbaden 2005.

2 Vgl. insbesondereWimmer/Domayer, s. Fn. 1.3 Im Interesse der besseren Lesbarkeit wird in diesem Text von einer ge-schlechtsspezifischen Schreibweise abgesehen.

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II. Familien und ihre traditionelle Nachhal(l)-tigkeit

Die Familie ist ein Produkt jüngerer gesellschaftlicher Ent-wicklung, die Kleinfamilie ihre letzte Erscheinungsform. Be-trachtet man den historischen Wandel der Familie4, des„ganzen Hauses“ und dessen Auswirkungen auf Familien-unternehmen sowie Nachfolgeprozesse lässt sich konstatie-ren, dass Familien einen massiven Funktionsverlust als ge-sellschaftliche Institution aufweisen – Herrschafts-, Rang-und Rollendifferenzierungen sind nahezu aufgehoben.

Die moderne Kernfamilie basiert auf der Liebe und hat alsoriginäre Aufgabe nur noch die Geburt und Aufzucht derKinder, soweit Zweiteres nicht von öffentlichen Institutio-nen übernommen wird, sowie die Versorgung der Familien-mitglieder in einer reduzierten Form. Diese Aufgaben wer-den von den Ehepartnern in verschiedenen Formen erfüllt,für Außenstehende ist zunächst nicht einsichtig, wer in derFamilie für welche Fragestellungen zuständig ist. Sobald dieKinder aus dem Gröbsten raus sind, verstärkt sich die Atro-phie, der die Kernfamilie unterworfen ist, da keine Notwen-digkeit des Zusammenbleibens mehr besteht und die Liebe,die einst Anlass für die Familiengründung war, oft nichtmehr genug Zusammenhalt bietet.

Aus der einst mächtigen Institution Familie ist ein privaterOrt mit privaten Beziehungen geworden. Die gesellschaftli-che Stellung und den Einfluss, den die Institution Familieeinst unbestritten hatte, kann die heutige Kernfamilie nichtmehr wahrnehmen. An ihre Stelle treten anonymere Insti-tutionen, die in Bezug auf die Sachaufgaben ähnliche Funk-tionen wahrnehmen wie früher die Familie, die aber auf derwertgebenden und menschlichen Seite von Enthaltsamkeitgeprägt sind und die nicht oder nur unzureichend auf dieAufgabe, die eine Unternehmerfamilie wahrzunehmen hat,vorbereiten.

Heute werden Familien in den überwiegenden Fällen ausemotionalen Gründen gegründet. Ob man dies nun ‚Liebe‘,die ‚Unfähigkeit allein zu sein‘ oder ‚Verzweiflung‘ nennenmag, all diesen Gemütszuständen, Motiven oder Triebkräf-ten ist gemeinsam, dass sie im Idealfall als Entscheidungs-grundlage nicht ökonomischen, an Geld orientierten, Krite-rien entsprechen“5. Im Gegensatz zur traditionellen Groß-familie vorangegangener Jahrhunderte, wo die Familiegleichzeitig eine ökonomische und emotionale Einheit dar-stellte, die das Überleben generationenübergreifend sicherte,Ehen mit dem Ziel der Kapital- und Arbeitskrafterweite-rung geschlossen wurden und Kinder (auch) im Sinne einernachhaltigen „Personalentwicklung“ sozialisiert und erzo-gen wurden, bildet die heutige Familie „eine Art Gegenweltzur Welt der Ökonomie mit ihren Austausch- und Konkur-renzverhältnissen.

Der Entscheidung, eine partnerschaftliche Beziehung ein-zugehen, liegt die Erwartung und Überzeugung zugrunde,sich auf emotionaler Ebene „gefunden“ zu haben. Nicht „ra-

tional kalkulierende, sachliche oder gar ökonomische Nütz-lichkeitserwägungen“ stehen im Vordergrund, zumindestkann man davon ausgehen, dass solche Motive in der Regelals Kränkung empfunden werden würden6.

Dieser Entwicklung zum Trotz misstraut man in den meis-ten Familienunternehmen der „Glut der Liebe“, die partner-schaftlichen Gefühle sind zwar Voraussetzung, aber nichtdas einzige Fundament, das zu einer erfolgreichen Bewirt-schaftung eines Unternehmens gezählt wird. Da die Part-nerwahl weitgehend außerhalb des Einflusses der überge-benden Eltern liegt, wird mit dem Übergeben oft zugewar-tet, bis der/die Nachfolger/in eine dauerhafte Beziehungeingegangen ist und die Eltern dieser Beziehung das nötigeVertrauen entgegenbringen. In diesem Sinne werden Ehe-verträge und Gütertrennungen angeregt, sie sollen eindauerhaftes Überleben des Unternehmens im Falle einerScheidung sichern, wenngleich sich hier die Währung derLiebe mit der Währung Geld in ihrer Widersprüchlichkeitin die Quere kommen muss.

Familienunternehmen bewegen sich im Spannungsfeld vontraditioneller Großfamilie und moderner Kleinfamilie. „Re-likte“ und traditionelle Muster aus der Vergangenheit er-scheinen Unternehmern oft längst nicht so antiquiert, wiesie für so manchen Außenstehenden klingen mögen. Pio-niere und Unternehmensgründer haben Unternehmen pa-triarchal und als alleinige Eigentümer in der Hand. Frauenzeichnen einerseits für das „private Glück“ verantwortlich,andererseits stellen sie dem Unternehmen zu hundert Pro-zent ihre Arbeitskraft zur Verfügung, Kinder werden nachMöglichkeit dem Unternehmen entsprechend sozialisiertund ausgebildet und langjährige Mitarbeiter gehören zumerweiterten Familienkreis wie einst im „ganzen Haus“.

Darüber hinaus werden Tiefendimensionen und heikle psy-chologische Implikationen sichtbar, die Übergabeprozessedeterminieren und die wirkmächtiger sind, als sie in denbisherigen fachspezifischen Auseinandersetzungen heraus-gearbeitet worden wären: Das Gerechtigkeitspostulat als Be-standteil eines unausgesprochenen aber stillschweigend vo-rausgesetzten Verhaltenskodex innerhalb der Familie kannim Zuge eines Nachfolgeprozesses ungeahnte Wirkung zei-gen. Eine Ent-Mystifizierung und Ent-Tabuisierung diesesdominanten Hintergrundthemas kann dort hilfreich sein,wo die Tendenz besteht, diese Ebene in hoch komplexe Ver-tragswerke zu gießen. Gerechtigkeit an sich ist ein Postulatoder eine Idee, die ein Regulativ in sich birgt. Das Gefühlder Gerechtigkeit stellt sich bei Menschen erst ein, wenn sieihre Ungleichheit besprechen können, wenn sie im Dialogihre emotionelle Seite involvieren können. Insofern sindRechtsprozesse alleine unzulänglich, weil sie die emotionaleSeite der Betroffenen ausblenden (müssen). Wo im DialogEmotionales bearbeitet wird, entsteht ein anderer Bezug, alsdort, wo Anwälte oder Richter den Versuch unternehmen,Gerechtigkeit herzustellen. Erst wenn es eine wirkliche Ent-scheidungsbeteiligung der Betroffenen gibt, ist es möglich,dass so etwas wie ein Gefühl der Gerechtigkeit eintritt. Die

Peter Heintel und Ruth Lerchster | Der Nachfolgeprozess als Übergangsritual ZKM 4/2016130

4 Vgl. ausführlich Lerchster, s. Fn. 1.5 Simon, 2005, S. 58.

6 Simon, 2005, S. 58 ff.

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Regelung der Nachfolge im Rahmen eines testamentari-schen Aktes bringt zum Teil heikle psychische und emotio-nale Dynamiken in Gange, mit deren Bewältigung Familien-systeme und die daran gekoppelte Organisation überfordertsein können.

Der existenzielle Widerspruch von Leben und Tod stellt inÜbergabeprozessen eine wirkmächtige (und gleichzeitig ta-buisierte) Hintergrundfolie dar. Der drohende organisatori-sche Tod der Scheidenden konfrontiert sowohl die Alten alsauch die Jungen mit der Erinnerung an die Endlichkeit desSeins. Übergeben heißt dem Diktat der Endlichkeit insAuge zu sehen, zu akzeptieren, dass Übergeben zumindestden organisationalen und funktionalen Tod bedeutet, willman den Nachfolgern unternehmerischen Raum und Ent-scheidungsfreiheit gewähren. Das Unternehmen ist Identifi-kationsfigur, verleiht Image, steht für Selbstverwirklichungund Unsterblichkeitskompensation, deshalb ist der Ab-schied von seinem Lebenswerk dramatischer als vermutet.Insofern muss die Rede vom Loslassen als rhetorische Be-schwörungsformel und untauglicher Appell gesehen wer-den. Die frei werdenden Ängste und Trauerphasen könnenvom Prozess jedenfalls nicht ausgeklammert werden. Inwelcher Form darüber gesprochen und Transparenz her-gestellt werden kann, hängt einerseits von den Betroffenenselbst ab, andererseits von der Sensibilität und Prozess- so-wie Methodenkompetenz der externen Begleiter. Viele Bera-ter äußern ihr Unbehagen darüber, dass im Zuge von Nach-folgeprozessen häufig intime, familieninterne und hochemotionale Themen an die Oberfläche gespült werden.Manche betonen, dass sie alles andere lieber beraten alsNachfolgeprozesse, andere ziehen sich auf das ihnen be-kannte Terrain der Fachberatung zurück und wieder andereversuchen, den emotionalen Bereich auszuklammern undden Familien eine Therapie zu verschreiben. Der Versuch,Familien eine Therapie zu empfehlen oder gar zu verord-nen, ist heikel und selten zielführend zumal Umwelt, öko-nomische, unternehmerische und eigentumsrelevante The-men eng verflochten sind und eine ganzheitliche Bearbei-tung erfordern.

III. Das Wesen von Widersprüchen

Im Klagenfurter prozessethischen Beratungsmodell7 gehenwir davon aus, dass notwendige Konflikte ihre Ursache inebenso notwendigen Widersprüchen haben, die im Wesendes Menschen, seinen sozialen Formationen, seinen ge-schichtlichen Entwicklungen begründet sind. Diese Wider-sprüche sind unaufhebbar, bedürfen aber immer Antwor-ten. Das Modell beschäftigt sich u a. mit existenziellen Wi-dersprüchen,8 die zum Wesen des Menschen gehören. ihnenzuzurechnen sind jene von Mensch und Natur, (Freiheitund Vorbestimmtheit), Leben und Tod, der Widerspruchder Geschlechter, der Generationen, jener von Gesundheitund Krankheit etc. Als existenziell werden die Widersprü-che bezeichnet, weil sie die endliche Existenz des Menschenausmachen und in keinem logischen entweder/oder bzw.

richtig/falsch begreifbar sind. Familien werden mit diesenParadoxien weitgehend allein gelassen.

Das ist es auch, was bei Übergabe und Übernahme vorder-gründig und hintergründig eine Rolle spielt und diese soschwierig macht und wovor Steuerberater, Anwälte und an-dere Experten immer wieder kapitulieren müssen. Sie kön-nen im Notwendigen und sachlich Gebotenem unverzicht-bare Hilfe leisten, wundern sich aber darüber, wie schwerihnen diese Aufgabe gemacht wird. Der dem Thema zu-grunde liegende Widerspruch zwischen Leben und (tabui-siertem) Tod, lässt sich weder mit Erlebensversicherungennoch mit Wohn- und Genussrechten auf Lebenszeit aus derWelt schaffen, Geschwisterrivalitäten und der Wunsch nachGerechtigkeit, Eigentumsansprüche und Erbverzichte – die-se Ambivalenzen führen zu einer Selbstlähmung, die dieNachfolgeszenerie nicht gerade günstig beeinflusst. Dass dasGenerationsthema hier neu aufbricht, liegt in der Sacheselbst. Dass es eine neue Lösung verlangt, wird nicht alsselbstverständlich angesehen. In Konfliktlösungs- und Me-diationsverfahren hat der Rückgriff auf diese WidersprücheVorteile für die Analysearbeit. Sie gestattet Konflikte auspersonalisierten Schuldzuweisungen zu befreien, zu „entin-dividualisieren“.

IV. Mediation als Intermediär und Prozess-begleiterin in einem widersprüchlichen Feld

Beratung oder Mediation wird meist als unbotmäßiges Ein-dringen ins ganz Private empfunden, weil geahnt wird, dassso manches ans Tageslicht kommen kann, was der Verdrän-gung unterworfen war, und das breite Feld an Problemstel-lungen erfordert ein ausgewogenes Angebot seitens der ex-ternen Berater. Das Konglomerat an Anforderungen, „ist ei-ner der Gründe, warum ‚Nur-Juristen‘, ‚Nur-Betriebswirte‘oder ‚Nur-Psychologen‘ mit der Konfliktberatung und -in-tervention in Familienunternehmen überfordert sind“9, undzum einen eine komplementäre Form der Beratung zu über-legen ist und zum anderen Methoden und Settings sensibelausgewählt werden müssen.

Immer wieder wird bezweifelt, ob hier Mediation hilfreichist. Zwei Gründe werden dafür angeführt: Einmal gilt all-gemein das Postulat einer primären Zukunftsorientierung.In der Vergangenheit zu graben ist verpönt. Zum anderenwerden in den vorliegenden Familiengeschichten Themenrelevant, die bis in die Kindheit der Nachfolger zurückrei-chen, also Bereiche betreffen, die eher Psychotherapeutenvorbehalten sind. Beide Einwände sind berechtigt, und dieMediation ist vor besondere Herausforderungen gestellt.

Was die Vergangenheit von Unternehmensfamilien anbe-langt, ist es u.E. illusionär zu glauben, man könne die Fami-liengeschichte nur peripher zur Kenntnis nehmen. Die Ge-schichte hat viel Macht, wenn sie viel Unabgeschlossenesenthält, zudem schwebt über der Übergabe das Gespenstdes Todes, ein zu Ende gehen entfaltet seine Wirkmacht.

ZKM 4/2016 Peter Heintel und Ruth Lerchster | Der Nachfolgeprozess als Übergangsritual 131

7 Vgl. Heintel in Heintel/Krainer/Ukowitz, Beratung und Ethik, Berlin2006, S. 196 ff.

8 Heintel/Krainer, Prozessethik. Zur Organisation ethischer Entschei-dungsprozesse, Wiesbaden 2010.

9 Klein, s. Fn. 1, S. 92.

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Hier von einer rosigen Zukunft zu sprechen, ist mehr zy-nisch als hilfreich. Den Eltern geht es darum, etwas zu ei-nem gedeihlichen Ende zu bringen, um in eine andere neueZukunft einzutreten. Letztere muss in den Verhandlungenzwar eine zentrale Stellung einnehmen, Voraussetzung fürihren Genuss ist aber ein Frieden-Schließen mit seiner Ver-gangenheit. Auch die Nachfolgenden müssen fühlen undwissen, dass die Geschichte nicht so weitergeht wie bisher,dass auch sie ihre Geschichte beginnen müssen.

Eine Empfehlung könnte also lauten: Die Vergangenheitnicht zu ignorieren, die Verletzungsgeschichten aufzugrei-fen, so sie sich melden, zugleich aber ihre Bedeutung im Ge-genwärtigen nicht aus den Augen zu verlieren. Zu erheben,was dieses Vergangene jetzt, gerade unter der besonderen,alle betreffenden Situation der Übergabe und Übernahmebedeutet.

Auch wenn psychoanalytisches Wissen oder eine Ausbil-dung nicht schaden, geht es nicht um Familientherapie. Esgilt aber zu beachten, welche Bedeutung die Emotionen inder gegenwärtigen Situation unter diesen besonderen Be-dingungen haben. Jedem Mediator, jeder Mediatorin ist alldas bekannt. Gerade deshalb stellt sich die Frage, ob mansich in einer Mediation auf dieses Feld einlassen soll, obman sich nicht auch selbst einem Überforderungspro-gramm ausliefert. Auf dem Weg, die Beteiligten handlungs-fähig zu machen, sie auf ihre Entscheidungsmöglichkeitenzu verweisen, und dabei Hindernisse aus dem Weg zu räu-men, kann Dramatisches auftreten, gegensätzlich gepolteEmotionen können eskalieren. Familien erleben es letztlichals befreiend, sich unter professioneller Begleitung jenenThemen zu widmen, die bisher entweder verdrängt oder ta-buisiert waren. Dazu gehört das schlechte Gewissen der Jun-gen, die Sorge, den Eltern etwas zu nehmen, die Angst derEltern, künftig „unwert“ durchs Leben zu gehen und derEndlichkeit erstmals bewusst zu begegnen. Oft hatten wirden Eindruck, dass Familien bei dieser Gelegenheit das ersteMal für sich erfahren konnten, was es heißt, sich selbst beimWort zu nehmen, sich als kollektiv-autonom zu begreifen.

Den Schwerpunkt dieses Beitrags haben wir auf das Famili-ensystem gelegt, die Wirtschaftsseite nur am Rande ge-streift. Natürlich unterscheiden sich Familien- von Wirt-schaftssystemen in ihren Funktionslogiken und Wertfigu-ren. Und gerade weil Familiengenealogisches sich besondersstark macht, tritt das Wirtschaftliche in den Hintergrund.Familien leben von informeller direkter Kommunikation.Sie scheuen Regelhaftigkeit, Formalisierung, auch recht-lichen Einfluss. Ab einer gewissen Unternehmensgrößeherrscht aber die Kälte indirekter anonymer Kommunikati-on, die sich notgedrungen von familialen Strukturen ver-abschieden muss. Wenn des Weiteren noch die Gesetze desVerdrängungswettbewerbs zuschlagen, Zeitverdichtungenund Leistungssteigerungen Alltagsgebot werden, kann einebedürfnisorientierte Familienhaltung unter die Räder kom-men. Unternehmen können und müssen Mitarbeiter freiset-zen, Familien können ihre „missratenen“ Kinder nicht ein-fach ausschließen. Die Organisation verlangt ein Funktio-nieren nach Stellenbeschreibung, in der Familie müssensich Personen, was Stellenbeschreibungen anlangt, recht vo-

latil verhalten. Die Widersprüche beider Systeme ließen sichbeliebig weiter aufsummieren, alles in allem ein komplexesund jedenfalls spannendes Spektrum, in welchem die Me-diation unter Zuhilfenahme flexibler Methoden tatsächlichIntermediär sein kann.

Die Flexibilität besteht u.E. darin, sich nicht ausschließlichauf klassische Mediationsabläufe zu verlassen sondern zuüberlegen, wann man mit wem was bespricht und erhebt.Eine gute Möglichkeit bieten hier Systemanalysen, denenqualitative Einzelinterviews mit allen Beteiligten und Stake-holdern folgen. Die von den externen Begleitern ausgewer-teten, kategorisierten Ergebnisse können bei Rückkoppe-lung-Workshops bereits die zentralsten Widersprüche unddie neuralgischen Punkte beinhalten. Werden Tabuthemenvon Beratern angesprochen, kann es sein, dass sie zuerst aufWiderstand stoßen, in weiterer Folge führt dies aber erfah-rungsgemäß dazu, dass Familiensysteme entlastend werdenund erleichtert sind, über das bisher Verschwiegene offenreden zu können. Dabei ist wiederum zu beachten, ob,wann und mit welchen Fragestellungen man die Jungen, dieGeschwister, die Alten, die Mitarbeiter etc. getrennt oder ge-meinsam arbeiten lässt. Eine weitere Möglichkeit, in verfah-rene Situationen Bewegung zu bringen, ist sich tatsächlichzu bewegen. Ein gemeinsamer Spaziergang von Vater undTochter in Begleitung des Mediators („walk and talk“) hatschon vielfach kommunikative Lähmungen aufgehoben undKonflikte im wahrsten Sinne des Wortes Schritt für Schrittvorangebracht. Das Wichtigste aber scheint uns zu sein,dass die Berater sich vor unplanbaren und ergebnisoffenenProzessen nicht fürchten und die Steuerung des Prozessesim Blick haben. Wenn bspw. mächtige Patriarchen bei derFrage, was sie ihren Kindern wünschen, in Tränen ausbre-chen, brauchen Berater mehr als bloßes Methodenwissen.

V. Ausblick

In Mediationen kommt es darauf an, präzise die Logikenbeider Systeme herauszuarbeiten. Zu untersuchen, ob sie ge-eignet waren, das Zusammenwirken der Systeme zu beför-dern oder eher störend aufeinander einwirken. Zu fragen,welcher Widerspruch an welcher Person festgemacht undpersonalisiert wird, wer für Tradition und wer für Innovati-on und ökonomische Vernunft steht, wer über die Zukunftdes Unternehmens und der Kinder entscheidet, welcheRechtsform das Unternehmen und die familialen Bandeschützt, ob der Appell an die Familienehre ausreicht, umNachfolgern einen Rucksack an Verpflichtungen und Schul-den zu überlassen etc.

Fazit ist, dass in Übergabe-Übernahmesituationen auch derSystemwiderspruch sich als Konflikt in den betroffenen Per-sonen zum Ausdruck bringt. Er soll daher in der Mediationsein gebührendes Recht bekommen. Konflikte können dabeigut entpersonalisiert werden, wenn deutlich wird, dass vonden Betroffenen ein Systemwiderspruch agiert wird. Wederder historische Rückblick noch die Aufarbeitung von durchWidersprüche hervorgerufenen Konflikten dienen derFlucht in die Geschichte, sondern der Beschreibung und Be-wusstmachung einer Musterfixierung, die die Gegenwartbestimmt. Der Prozess der Reflexion dieser Muster und der

Peter Heintel und Ruth Lerchster | Der Nachfolgeprozess als Übergangsritual ZKM 4/2016132

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Aufarbeitung der emotionalen Gemengelagen im Zuge wie-derkehrender Termine kann als Ritual gesehen werden. Esbereitet in der Regel den Boden für eine lösungsorientierte,konstruktive Übergabe- und Nachfolgeregelung, wo letztlichauch alle nötigen steuerrechtlichen, betriebswirtschaftlichenund erbrechtlichen Expertisen mit einbezogen werden kön-nen und müssen.

Em. o. Univ.-Prof. Dr. Peter Heintel

Prof. Heintel hat auf den verschiedensten Gebieten der Philoso-

phie und Gruppendynamik veröffentlicht. Er ist Zeitforscher

und Gründer des „Vereins zur Verzögerung der Zeit“. Arbeits-

schwerpunkte sind Interventionsforschung, Kulturelle Nachhal-

tigkeit, Konfliktforschung. Alpen-Adria Universität Klagenfurt,

Institut für Organisationsentwicklung, Gruppendynamik und

Interventionsforschung.

[email protected]

Mag. Dr. Ruth Erika Lerchster

Die Autorin ist Psychologin und Organisationsberaterin mit

Schwerpunkt Gruppendynamik; sie lehrt u.a. an den Universitä-

ten Klagenfurt, Kassel, Halle-Wittenberg u. Graz und ist Senior

Scientist am Institut für Organisationsentwicklung, Gruppen-

dynamik und Interventionsforschung, Alpen-Adria Universität

Klagenfurt.

[email protected]

Heiner Krabbe

„Meine zwei Mütter“Mediation im Zeitalter der Medizintechnologie

Die moderne Fortpflanzungsmedizin ermöglicht zahlrei-che neue Familienmodelle, die im Fall der Trennung zuebenso neuen komplexen Konfliktlagen führen. Hierfürbietet das Recht keine befriedigenden Lösungen; insbeson-dere Familienkonflikte mit dem Hintergrund von In-vi-tro-Fertilisation sind zunehmend häufiger in der Media-tion anzutreffen. Der Beitrag beschreibt die sozialen Fol-gen der medizinischen Entwicklung sowie typische Kon-fliktkonstellationen im Rahmen neuer Verwandschaftsver-hältnisse.

I. Familie im Wandel

Im Jahr 1978 wurde das erste Retortenbaby geboren. 35 Jah-re später ist die In-vitro-Fertilisation längst Teil der Norma-

lität geworden. Darüber hinaus hat sich die Reproduktions-medizin weiterentwickelt und neue Anwendungsgebiete ge-schaffen – Eizellenspende, Embryonen Spende, Leihmutter-schaft. Damit einhergehend sind neue Begrifflichkeiten fürfamiliäre Bezüge entstanden: genetische Mutter, Eizellen-spenderin, austragende Mutter, Leihmutter, genetischer Va-ter, Samenspender, Wunschmutter und Wunschvater als so-ziale Eltern, Samenkind, Wunschkind.

Die Verbindung von Medizin, Biologie und Genetik hatneue Formen des Eingriffs ins menschliche Leben eröffnet.Galten jahrtausendlang Geburt und Mutterschaft als festeanthropologische Größen, die dem menschlichen Zugriffentzogen waren, gerät nun dieses biologische Fundament

ZKM 4/2016 Heiner Krabbe | „Meine zwei Mütter“ 133

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der Menschheit in die Einflusszonen von Technologie, Welt-markt, Weltungleichheit und internationale Arbeitsteilung.1

Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass die Mutter, die einKind zur Welt bringt, auch die genetische Mutter ist.2 Mut-terschaft ist teilbar. Eizellen-und Embryonenspende werdeninternational realisiert. Leihmutterschaft kann man kaufenund in bestimmte Länder auslagern.3 Mit diesen tech-nischen Neuerungen verändert sich auch der Binnenraumder Familie und schafft neue Unklarheiten: Ist der Samen-Vater auch Teil der Familie?

Unklar ist zudem, welche Bindungen innerhalb der Familiegepflegt werden können: Hat die Ei-Mutter ein Anrecht aufregelmäßigen Kontakt mit „ihrem“ Kind? Wie wird mit der„Leistung“ Geburt umgegangen: Hat die Leihmutter dasRecht, das ausgetragene Kind zu behalten? Oder regelmäßi-gen Umgang mit ihm zu fordern?

Fortpflanzung wie auch Familie und Verwandtschaft sindGrundelemente menschlicher Existenz. Sie sind aber in ih-rer sozialen Dimension und Bedeutung veränderbar undabhängig vom jeweiligen kulturellen und historischen Kon-text.4 Biotechnische Entwicklungen im Bereich der Fort-pflanzung lassen auch die Vorstellungen von Familie undVerwandtschaft nicht unberührt. Bisher Selbstverständlichesist ins Wanken geraten. Unter dem Angebotsdruck derFortpflanzungsmedizin entwickeln sich neue Formen ge-spaltener Elternschaft.5

International wird auf diese Entwicklung in unterschiedli-cher Form durch gesetzliche Normen reagiert. Dabei wirdunterschiedlich gesetzlich eingeschränkt und reguliert.

Über die nationalen Gesetze hinweg hat sich jedoch einKinderwunsch-Tourismus entwickelt, der sich von gesetzli-chen Bestimmungen nur begrenzt aufhalten lässt. Die Fort-pflanzungsmediation verspricht die Erfüllung des Kinder-wunsches und ein Leben als ganz normale Familie. Alle Un-gewissheiten und Unklarheiten in den familiären Bezügenbleiben in diesem Kontext ausgeblendet. Die neuen Ver-wandtschaftskonstellationen bemühen sich ihrerseits inten-siv darum, dem Idealbild einer glücklichen Familie zu ent-sprechen – und zwar in stärkerem Maße als es Erst- oderScheidungsfamilien tun. Verwandtschaft auf technischer Ba-sis erzeugt anscheinend einen großen Druck bei den Betei-ligten, dem Idealbild der Familie zu entsprechen.6

II. Neue Familienkonflikte

Kommt es in diesen neuen Familien zu Konflikten, werdendiese oft mit großer Vehemenz ausgetragen. Muster für Lö-sungswege in diesen Verwandtschaftskonstellationen existie-ren noch nicht. So kommen diese „orientierungslosen“ Fa-milien zusehends öfter in die Mediation, um ihre Konflikte

nach ihren eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen und in eige-ner Regie regeln zu können.

Insbesondere Familienkonflikte mit dem Hintergrund vonIn-vitro-Fertilisation sind in der Mediationspraxis häufigeranzutreffen. Es gab auch bereits erste Mediationsanfragenim Zusammenhang mit Eizellen-und Embryonenspende, soz.B. bei einem lesbischen Paar, das sich trennte und sich beider Frage des Lebensschwerpunkts der Kinder darauf je-weils berief, die richtige Mutter zu sein. Auch im Zusam-menhang mit Leihmutterschaft wurde Mediation angefragt,als die Leihmutter nach der Geburt des Kindes das Kindnicht herausgeben wollte und darauf bestand zumindest re-gelmäßigen Kontakt mit „ihrem“ Kind haben zu wollen,dies jedoch von den Wunscheltern nicht zugestanden wur-de.

Die Herkunft eines Kindes scheint inzwischen an Bedeu-tung zu verlieren, da die Kindschaftsverhältnisse zur Mutterund zum Vater sich durch die neuen Technologien fun-damental verändern. Elternschaft in multipler Form isttechnisch möglich. Heißt dies in der Konsequenz zukünftigfür die Kinder, dass die Frage nach ihrem biologischen Va-ter, ihrer biologischen Mutter, ihrem Ort, ihrem Land derGeburt an Bedeutung verliert? Läuft ihre Suche nach Identi-tät und Zugehörigkeit künftig in ganz anderen Bahnen?

Auch ohne diesen Blick in die Zukunft sind die sozialenFolgen einer In-vitro-Fertilisation bereits Gegenwart undAnlass nach einer Mediation zu fragen. Die gegenwärtigePraxis soll im Folgenden anhand zweier Beispielsfälle näherbeleuchtet werden.

III. Beispiel Spender aus dem Bekanntenkreis

Im ersten Beispiel handelt sich um ein lesbisches Paar mitzwei Kindern, einen Sohn (4 J.) und einer Tochter (2 J.).Lisa ist eine 34-jährige Krankenschwester. Sie ist seit 10 Jah-ren in einer Lebenspartnerschaft mit Maya, einer 48-jährigeVerwaltungsangestellte. Beide wünschten sich Kinder undeine Familie. Beide überlegten gemeinsam, ein Kind zuadoptieren, was nach deutschem Recht jedoch nicht mög-lich war. Auf den Hinweis einer Freundin nahm Maya Kon-takt mit einer Kinderwunschklinik auf und erkundigte sichüber das Verfahren einer In-vitro-Fertilisation. Nach Rück-sprache mit Lisa und einigen Freundinnen wurde beidenklar, dass sie sich in einer rechtlichen Grauzone befanden,in einer Sphäre assistierter Empfängnis noch außerhalbkommerzieller Organisation eines Kinderwunschtourismus.So verabredeten beide eine Samenspende mit einem ent-fernten Bekannten. Der Samenspender beider Kinder warsomit nicht anonym, wollte aber die Rolle eines Vaters nichteinnehmen. Er verzichtete jeweils bereits vor der Samen-spende auf die Rolle des Vaters; er sah sich lediglich in derRolle desjenigen, der beiden Frauen bei ihrer Familiengrün-

Heiner Krabbe | „Meine zwei Mütter“ ZKM 4/2016134

1 Beck/Beck-Gernsheim, Meine Mutter war eine Spanische Eizelle: ÜberKinderwunschtourismus und globale Patchwork-Familien in Beck/Beck-Gernsheim, Fernliebe, Berlin 2011, S. 196.

2 Cottier in Schweizer/Büchler/Faukhauser, Siebte Schweizer Familien-rechts Tage, Basel 2014, S. 5.

3 Beck/Beck-Gernsheim, s. Fn. 1.

4 Cottier, s. Fn. 2.5 Kettner, Die Mediation, 4/2015, 28.6 Bernhard, Kinder machen, Samenspender, Leihmutter, Künstliche Be-fruchtung, Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Fa-milie, Frankfurt 2014, S. 475 f.

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dung hilft. Nachdem Lisa die Kinder ausgetragen hatte, gabder Samenspender die Kinder jeweils zur Adoption frei undermöglichte Maya damit eine Stiefkind-Adoption.

Anschließend zogen beide Frauen in alleiniger Verantwor-tung die Kinder auf und betrachteten sich als Eltern beiderKinder. Beide Kinder waren Vollgeschwister und nanntenihre Eltern Mami und Mama. Alle vier Familienmitgliederbetrachteten sich als Normalfamilie mit klassischer Auftei-lung. Lisa kümmerte sich schwerpunktmäßig um die beidenKinder mit einer halben Stelle, Maya arbeitete Vollzeit undbeschäftigte sich in ihrer freien Zeit mit beiden Kindern.Eine gewisse Hilf- und Ratlosigkeit stellte sich nach zehnJahren bei beiden Müttern ein, als Lisa gestand, sich in eineandere Frau verliebt zu haben und sich von Maya trennenwollte. Lisa hatte diese Beziehung über eine längere Zeit ver-heimlicht, da sie keine Idee hatte, wie sie mit Maya dieTrennung gestalten könnte. Maya stimmte der Trennungnach einigen Überlegungen zu, bestand aber darauf, dassLisa ausziehen sollte. Dazu war Lisa nur bereit, wenn sie„ihre beiden“ Kinder mitnehmen könnte. Sie sei schließlichdie leibliche Mutter, da sie beide Kinder ausgetragen habe;Maya hingegen sei lediglich die Stiefmutter. Maya beriefsich darauf, dass sie die Möglichkeit einer In-vitro-Fertilisa-tion organisiert habe, den Kontakt zur Gynäkologin der Kli-nik und zum Samenspender hergestellt habe. Sie habe da-mals aufgrund rechtlicher Bedenken der Rechtsanwältin da-rauf verzichtet, ihre Eizellen zu spenden und diese in dieGebärmutter von Lisa einpflanzen zu lassen. Zudem hattesie auch angeboten, beide Kinder auszutragen und sich be-ruflich einzuschränken. Sie habe letztlich aus finanziellerVerantwortung für die Familie ihre besser dotierte Stelle be-halten und es Lisa überlassen, die Kinder auszutragen. Lisabestand darauf, dass Maya nicht die leibliche Mutter sei,sondern die Kinder nur adoptiert habe. Beide Mütter such-ten daraufhin nochmals eine Rechtsanwältin auf, die daraufhinwies, dass eine juristische Lösung vermutlich keine Ruhein die Konflikte beider Mütter bringen würde. Sie wies aufdie Möglichkeit einer außergerichtlichen Lösung im Rah-men einer Mediation hin.

In der Mediation wurde beiden Müttern bereits in der Pha-se der Themensammlung klar, dass neben der Frage des Le-bensschwerpunkts noch zahlreiche weitere Themen für bei-de Kinder geregelt werden müssten. Die Themensammlungermöglichte es beiden Müttern, wieder stärker auf den Le-bensalltag ihrer Kinder zu schauen und sich ein wenig ausdem starren Positionsdenken über die „richtige“ Mutter zulösen. Auf der Stufe der Interessen war es zunächst schwie-rig für den Mediator, die Interessen jeder Mutter vor Kom-mentaren und Vorwürfen der jeweils anderen Mutter zuschützen. Erst als es gelang, die jeweiligen Interessen derMütter bzgl. ihrer beiden Kinder stehen zu lassen und dieseals eigene originäre Interessen jeder Mutter zu kennzeich-nen, kam ein Verstehensprozess zwischen beiden Mütternin Gang, an dessen Ende beiden Frauen klar wurde, dasssich jede von ihnen als Mutter „fühlte“ und dies nicht infra-ge gestellt werden kann. Jede Mutter fühlte sich als gleich-wertiger Elternteil, der seine Verpflichtung weiterhin wahr-nehmen wollte. Auf dieser Basis wurden dann Optionenentwickelt, wie die Elternschaft beider Mütter nach der

Trennung dauerhaft abgesichert werden kann. Schließlicheinigten sich beide Mütter darauf, das gemeinsame Haus zuverkaufen und dafür zwei Wohnungen in Reichweite zumieten. Bis zum Wechsel der Tochter auf eine weiterführen-de Schule sollten beide Kinder wie bisher schwerpunkt-mäßig von Lisa betreut werden. Erst dann sollte erneut da-rüber verhandelt werden, ob die getroffenen Regelungenbeibehalten oder Veränderungen in der Betreuung der Kin-der sowie in beruflicher Hinsicht neu geregelt werden müss-ten. In ihren Überlegungen zur Gestaltung des weiteren Le-bens als Familie nach der Trennung spielte der Samenspen-der keine Rolle. Er hatte zwar von der Trennung beiderFrauen erfahren sich aber aus den Regelungen zur Eltern-schaft herausgehalten.

IV. Beispiel „Spenden des schwulen Paares“

In einem zweiten Fall hatte ein lesbisches Paar über das In-ternet nach einem schwulen, kinderfreundlichen Paar ge-forscht, das bereit war, eine gemeinsame Elternschaft mitihnen zu gründen und zu leben. Beide Paare trafen sichmehrfach und lernten sich kennen. Sie entschieden sich da-zu, dass jeweils eine Frau des lesbischen Paares im Wege derIn-vitro-Fertilisation durch eine Samenspende jeweils einesMannes des Schwulenpaares schwanger werden sollte. Zu-sätzlich wurde zwischen den beiden leiblichen Elternpaarenein gemeinsames Sorgerecht vereinbart. Es sollte eine ge-meinsame Elternschaft mit vier Eltern und zwei Kinderngegründet und gelebt werden.

Zunächst wurde eine Frau des lesbischen Paares mit demSamen des einen Mannes des schwulen Paares künstlich be-fruchtet und schwanger. Nach der Geburt der Tochter lebtedas Kind in der Wohnung der beiden Frauen. Beide Frauensahen sich mit der Zeit als Eltern ihrer Tochter. Der Kontaktzum Samen-Vater fand nach Geburt der Tochter nur redu-ziert statt mit der Begründung, dass die Tochter in der Zeitdes Stillens noch nicht wechseln könne. So gab es nur gele-gentliche Besuche des Samen-Vaters mit seinem Partner inder Wohnung der beiden Frauen. Die Zeit des Stillens derleiblichen Mutter schob sich immer weiter hinaus, bisschließlich der Samen-Vater darauf bestand, dass die Mutterdem vereinbarten gemeinsamen Sorgerecht zustimmen sol-le. Daraufhin schlossen die leibliche Mutter und ihre Part-nerin weitere Besuche des Vaters in ihrer Wohnung aus mitder Begründung, dass er auf die weitere Entwicklung derTochter in ihrer neuen Familie Rücksicht nehmen solle underst zu einem späteren Zeitpunkt mit der Tochter Umgangin seiner Umgebung haben solle. In der Zwischenzeit hattedie zweite Frau des Paares die Vereinbarung einer weiterenIn-vitro-Behandlung mit dem Samen des anderen Mannesdes schwulen Paares aufgekündigt. Sie sehe sich aufgrunddes Verhaltens beider Männer nicht mehr an den ursprüng-lichen Plan gebunden. Sie sei jetzt der andere Elternteil derTochter und wolle erst zu einem späteren Zeitpunkt ent-scheiden, ob sie noch schwanger werden möchte. Auf kei-nen Fall käme der zweite Mann des schwulen Paares als Sa-menspender in Frage. Beide Männer reagierten empört aufdiese Entscheidung und verwiesen auf die in den früherenVerhandlungen getroffenen Vereinbarungen. Beide Männersahen sich ebenfalls als Eltern der gemeinsamen Tochter an

ZKM 4/2016 Heiner Krabbe | „Meine zwei Mütter“ 135

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und bestanden auf ein gemeinsames regelmäßiges Sor-gerecht mit Kontakt zu ihrer Tochter. Die Tochter habe vierEltern, die alle ein Recht auf Kontakt mit ihr hätten.

Seit Aufkündigung der zweiten In-vitro-Fertilisation trafensich beide Paare vor Gericht wieder. Es wurden zahlreicheKlagen zum Sorgerecht und Unterhaltsansprüchen einge-reicht. Nach heftigen Streitigkeiten und zahlreichen Beweis-anträgen erklärten sich beide Parteien auf Druck des Ge-richts bereit, in eine Mediation zu gehen. Die angehäuftenjuristischen Fragen zwischen den vier Eltern konnten imGerichtsverfahren nur unzureichend geklärt werden.

Die Mediation kam in diesem Fall ebenfalls an ihre Grenzenangesichts der Unklarheiten einer vielfältigen Elternschaftunter den Beteiligten.

So konnte in der Mediation lediglich ein Umgangsrechtzwischen der lesbischen leiblichen Mutter und dem schwu-len leiblichen Vater vereinbart werden. Die beiden anderenElternteile wurden zudem als weitere Bezugspersonen derTochter jeweils akzeptiert, ohne ihnen zugleich den Statuseines Elternteils zuzugestehen.

V. Folgerungen

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die mensch-liche Fortpflanzung mittels ausgeklügelter medizinischerbiotechnischer Verfahren inzwischen beeinflussbar ist. Einstückweit ist es bis heute ein unkontrollierbares Geschehen.Dabei sind nicht nur biologische Gewissheiten infrage ge-stellt worden, sondern auch bisher gesellschaftlich etablierteBeziehungen. Allein die In-vitro-Fertilisation ist in ihrerpsychosozialen Dimension nicht hinreichend bedacht wor-den. Von dieser Hilflosigkeit der neuen Eltern berichten bei-de Fälle. Hier wird die Mediation in Zukunft stärker gefor-dert sein, eine für alle Beteiligten gerechte und sachgerechteLösung zu erarbeiten, die zudem Sicherheit in die Ver-wandtschaftsverhältnisse bringt.

Über die Samenspende hinaus führen die Eizellen- und Em-bryonenspende sowie die Leihmutterschaft zu einer grund-legenden Innovation: erstmals in der Geschichte ist es nichtmehr selbstverständlich, dass eine Mutter, die ein Kind zurWelt bringt, auch die genetische Mutter ist. Schaut man sichdie Rechtsentwicklung für diesen Bereich an, so zeichnetsich ein Trend zur Liberalisierung der Eizellen- und Em-bryonenspende ab. Dabei gibt es Unterschiede in wesentli-chen Details der Regelungen wie den Altersgrenzen, demZugang abhängig von der Lebensform, der Offenheit oderder Anonymität.7

Das Recht hat diesem Kontext die Aufgabe, das mittels bio-technischer Verfahren entstandene Kind in sachgerechterWeise bestimmten Eltern zuzuordnen. Als familienrecht-liche „Innovation“ ist wohl zu erwarten, dass es in naherZukunft eine originäre Elternschaft zweier Frauen gebenwird. Ebenso ist Gegenstand der juristischen Diskussion,das Kindschaftsverhältnis zu den Wunscheltern von Anfangan entstehen zu lassen, wenn das Kind von einer Leihmuttergeboren wird.8

Vor dem Hintergrund der medizinischen Entwicklung undihrer rechtlichen Bewertung wird die Mediation aufgefor-dert sein, Konzepte zu entwickeln, wie diese Konflikte inneuentstandenen Elternschaften verhandelt und geregeltwerden können. Die Zukunft hat bereits begonnen.

Dipl.-Psych. Heiner Krabbe

Mediator, Ausbilder und Supervisor. Leitet die Mediationswerk-

statt Münster. Seit vielen Jahren in der Fort- und Weiterbildung

für zahlreiche private und öffentliche Einrichtungen und Behör-

den tätig.

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Heiner Krabbe | „Meine zwei Mütter“ ZKM 4/2016136

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Dagmar Lägler

Mediation und Kindeswohl – Klei-ne Familienkonferenz gefällig?

Der Autorin, seit vielen Jahren im Bereich der Familien-mediation tätig, ist die Berücksichtigung der möglichstungefilterten Interessen der Trennungskinder ein beson-deres Anliegen. Hierzu hat sie – in Anlehnung an dasKommunikationsmodell von Gordon – das Modell der„kleinen Familienkonferenz“ entwickelt. Nach einer kur-zen Beschreibung der Situation von Kindern und Elternim Kontext der Trennung soll der Bezug zu Theorie undPraxis hergestellt und eng am vertrauten Phasenmodellder Mediation gearbeitet werden.

I. Bestandsaufnahme

Von der Trennung sind Eltern und deren Kinder gleicher-maßen betroffen. Für Kinder ist die Trennung belastend. Sieerleben ihre Eltern in einem Ausnahmezustand. Sie sindsich mit ihren Fragen und Ängsten selbst überlassen. Häufigentwickeln Kinder Schreckensszenarien, welche neue Kata-strophe als nächstes auf sie zukommen wird. Wichtig wärenfür sie Sicherheit und klare Zukunftsperspektiven.

Wer hat in dieser Situation den Blick auf die Kinder? Wernimmt das Kindeswohl wahr? Die Eltern sind meist mitsich selbst beschäftigt. Der Umgang mit dem eigenen Kindwird verkrampft. Je heftiger der Konflikt eskaliert, desto we-niger sind die Eltern in der Lage, die Kinder im Blick zu be-halten. Verantwortungsvolle Eltern suchen den Kontakt zuFamilienberatungsstellen; doch auch hier wird eher überdas Kind als mit dem Kind gesprochen.

Werden die Konflikte an das Familiengericht delegiert, stehtden Kindern möglicherweise ein Verfahrenspfleger zur Sei-te. Das Schicksal der Kinder in Trennung bleibt in derHand der Erwachsenen. Kinder bekommen in der Regel je-doch keinen Raum, sich zu artikulieren.

Welche Möglichkeiten hat der Mediator? In der klassischenFamilienmediation spielen Kinder nach wie vor keine zen-trale Rolle. Auch in der Mediation wird erwachsenenzen-triert gearbeitet; bestenfalls kommunizieren Eltern mit demMediator1 über die Kinder. Es entsteht der Eindruck, dasssich die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter2 auf den Me-diator übertragen lässt. Mediatoren fürchten die Kindersit-zung genauso wie der Torwart den Elfmeter. Die Furcht liegtdarin, nicht die richtige Sprache der Kinder zu finden, nicht

angemessen auf unvorhergesehenen Situationen reagierenzu können, kein Handwerkszeug zu haben, wenn in derKindersitzung unerwartet Trauer, Schmerz oder gar WutEinzug halten.

II. Alle an einen Tisch zur „kleinen Familien-konferenz“

In den 1970er Jahren hat Thomas Gordon3 das Modell derFamilienkonferenz entwickelt. Sein Hauptanliegen war dieLösung von Konflikten zwischen Eltern und Kindern. DerName Gordon und Familienkonferenz bleiben eng mit-einander verknüpft; eine Übertragung auf die Familien-mediation sollte erlaubt sein.

Dieses Bild einer Familienkonferenz ist so plastisch, dasswir es als Idee für eine Kindersitzung in der Familienmedia-tion nutzbar machen sollten. Die Kernfamilie gehört auchin der Familienmediation an einen Tisch.

Praxisbeispiel Familie Koch und der Weg in die „kleine Famili-

enkonferenz“: Corinna und Carsten Koch melden sich zur Me-

diation an. Sie sind seit 18 Jahren verheiratet und haben zwei

Kinder – Lukas 16 Jahre und Lea 13 Jahre. Zu Beginn der Me-

diation ist die künftige Wohnsituation bereits geklärt. Corin-

na will mit Lukas und Lea im Haus ihrer Eltern wohnen blei-

ben; Carsten ist auf Wohnungssuche. Corinnas Eltern haben

die Familie jahrelang mit praktischen Zuwendungen und Be-

treuung der Enkel unterstützt. Carstens Mutter hatte immer

wieder größere Geldbeträge überwiesen, damit die junge Fa-

milie sich ein Haus baut. Die Realisierung des Hausprojekts

scheitert an Carstens Erkrankung. Bei Carsten wurde Multiple

Sklerose diagnostiziert. Die Erkrankung wird zunehmend zur

Belastung für das Paar und ist Auslöser für die Trennung. Der

Auftrag für die Mediation lautet zunächst: wir wollen nur

über monatliche Zahlungen und die Aufteilung unserer Er-

sparnisse sprechen.

III. Die „kleine Familienkonferenz“ im Kontextdes Phasenmodells

Um den Transfer in die Familienmediation zu erleichtern,beschreibe ich die aus meiner Sicht drei zentralen Schritte,die zu einer gemeinsamen Eltern-Kind-Sitzung in der Me-diation führen, nämlich die Stärkung der Motivation der El-

ZKM 4/2016 Dagmar Lägler | Mediation und Kindeswohl – Kleine Familienkonferenz gefällig? 137

* Dank an Hans-Dieter Will und Helga Thiess für die Krakauer Gesprä-che, die in diesem Artikel berücksichtig wurden.

1 Aus Vereinfachungsgründen wurde die männliche Schriftform gewählt.

2 Peter Handke, Die Angst des Torwarts beim Elfmeter, Erzählung 1970.3 Thomas Gordon, Familienkonferenz, Hamburg 1979.

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tern für die Kindersitzung gleich zu Beginn einer Media-tion (1.), den richtigen Zeitpunkt für eine Kindersitzung (2.)und die Vorbereitung der Kindersitzung (3.).

1. Einführung der Kindersitzung

Wir Mediatoren können bereits in der ersten Phase der Fa-milienmediation – beim Erarbeiten des Arbeitsbündnisses –unserer Prozessverantwortung dadurch gerecht werden,dass wir gemeinsam mit den Eltern einen Blick auf die vonder Trennung betroffenen Kinder werfen. Häufig ist dieKontaktaufnahme zum Mediator mit dem Anliegen verbun-den, ausschließlich finanzielle Dinge zu besprechen; geht esum die Befindlichkeiten der Kinder, wenden sich die Elternan die Beratungsstellen.

Bei einem Erstgespräch sollten wir daher immer auch dieMöglichkeit einer Kindersitzung ansprechen und uns in derschriftlichen Eingangsvereinbarung nicht auf den Hinweisbeschränken, dass das Paar vor Unterzeichnung des Ab-schlussmemorandums nochmals einseitig beratende Anwäl-te zu konsultieren hat. Konsequenterweise sollten wir auchdie Bedeutung und Wichtigkeit der Sichtweise der Kinderunterstreichen.

In unserem Fallbeispiel waren Corinna und Carsten positiv

von der Möglichkeit überrascht, Lukas und Lea zu einem spä-

teren Zeitpunkt direkt in die Mediation einzubeziehen. Im Ar-

beitsbündnis haben wir vereinbart: Wir wollen eine abschlie-

ßende Entscheidung erst treffen, wenn wir zusätzlich zu dem

von uns in der Mediation erarbeiteten Ergebnis auch die Inte-

ressen unserer Kinder Lukas und Lea gehört haben.

Damit wird neben der externen juristischen Sichtweise auchdie interne Sichtweise aus dem Familiensystem installiert.

Eine weitere Möglichkeit, zum einen den Fokus der Elternstärker auf die Bedeutung der Trennung für die Kinder zurücken und zum anderen gleichzeitig sowohl Eltern als auchKindern den Weg in die Mediation zu ebnen, liegt im Ange-bot von Kinderscheidungsliteratur4. Bilder- und Jugend-bücher helfen Kindern, sich mit den Romanhelden der Bü-cher zu identifizieren; sie helfen auch, Schuldgefühle abzu-bauen. Hervorzuheben sind die Klassiker „Papa wohnt jetztin der Heinrichstrasse“ von Nele Maar und Verena Ball-haus5 sowie „Lena auf dem Dach“ von Peter Härtling6.

2. Der richtige Zeitpunkt für die Kindersitzung

Zwei Voraussetzungen sollten erfüllt sein, wenn wir Kinderin die Mediation einladen: Zum einen müssen die ElternVertrauen in die Person des Mediators und seine Arbeit ge-funden haben. Haben die Eltern gute Erfahrung mit demMediator gemacht – stimmt die Chemie und wurde allpar-teilich und ergebnisoffen gearbeitet – wird der Mediatorauch das Mandat für die Kindersitzung bekommen. Zumanderen muss die vierte Phase der Mediation durchlaufen

sein und das Ergebnis der Mediation im Wesentlichen fest-stehen. Das bedeutet, dass die Eltern ein Gesamtpaket fürihre Trennung erarbeitet haben sollten, in das die Sichtweiseder Kinder einbezogen wird.

Corinna und Carsten haben in vier Mediationsterminen eine

Regelung zu den künftigen monatlichen Zahlungen und zur

Aufteilung ihres Vermögens gefunden. Carsten hatte mittler-

weile eine Wohnung gefunden; sein Auszug stand kurz bevor.

Carsten und Corinna wollen nun die von ihnen getroffenen

Entscheidungen um die kreativen Ideen ihrer Kinder Lukas

und Lea ergänzen.

3. Vorbereitung der Kindersitzung

Auch wenn die bisherigen Mediationssitzungen in einemguten Klima stattgefunden haben, müssen wir den Elterneine Vorstellung davon geben, wie der gemeinsame Terminmit den Kindern ablaufen wird. Erfolgt diese Informationnicht, droht unter Umständen die Absage. Wenn sich beiden bisherigen Mediationssitzungen so etwas wie ein „roterFaden“ abgezeichnet hat, strahlt dies auch auf die Kindersit-zung aus.

Haben die Eltern in der Mediation die verschiedenen The-men, wie künftige Wohnsituation, das monatliche Budgetoder die Aufteilung der Finanzen sauber abgearbeitet, sichausführlich mit ihren Interessen und kreativ mit ihren Lö-sungsideen beschäftigt, werden sie wie selbstverständlichverstehen, dass sich dieses Modell auch auf die Kindersit-zung übertragen lässt.

Zur Vorbereitung der Kindersitzung macht es Sinn, die El-tern zu fragen, welche möglichen Themen von den Kindernbenannt werden könnten. Diese gemeinsame Themen-suche7 mit den Eltern aus der Perspektive der Kinder gibtden Eltern ein Gefühl der Sicherheit für die Kindersitzung.Die Eltern wissen dann, dass all diese Themen genauso zu-kunftsorientiert und analog zu der ihnen vertrauten Ar-beitsweise behandelt werden. Der Blick in die Zukunft istganz wesentlich, da er alle Familienmitglieder schützt. Mög-liche alte Konflikte, Streitigkeiten in der Vergangenheit unddamit verbundene Gesichtsverluste unterbleiben.

Die Einladung in die Kindersitzung haben Corinna und Cars-

ten zu Hause gemeinsam an Lukas und Lea ausgesprochen.

Beide Eltern haben dabei die Chance genutzt, ihren Kindern

nochmals klar zu signalisieren, wie wichtig ihnen der Termin

bei der Mediatorin und ihre aktive Mitarbeit ist. Corinna und

Carsten haben Lukas und Lea auch versichert, dass sie in die-

sem Termin nur zuhören und ihre Aussagen weder bewerten

noch kommentieren wollen.

Dagmar Lägler | Mediation und Kindeswohl – Kleine Familienkonferenz gefällig? ZKM 4/2016138

4 Eine Liste mit Kinderliteratur kann bei der Autorin per Mail angefor-dert werden.

5 Maar/Ballhaus, Zürich 1996.

6 Härtling, Landsberg 1993.7 Mit Sicherheit werden die Kinder eigene Themen einbringen, mit de-nen die Eltern nie gerechnet hätten.

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IV. Die gemeinsame Kindersitzung – die kleineFamilienkonferenz

Die Kindersitzung dauert erfahrungsgemäß maximal 45 Mi-nuten. Eine Altersbeschränkung gibt es nicht. Kinder abdem Vorschulalter sind sehr wohl in der Lage, über ihreWünsche zu sprechen, erst recht wenn sie gemeinsam mitihren Geschwistern kommen. Zu beobachten ist, dass sichgerade die jüngeren Geschwisterkinder am unbefangenstenin die Runde einfinden. Problematischer ist eher die Teil-nahme mit Einzelkindern; hier kann der beste Freund, diebeste Freundin als Unterstützung mit eingeladen werden.Auch ältere und volljährige Kinder sind erfahrungsgemäßstark am Mediationsprozess und am Handeln ihrer Elterninteressiert.

Eine Sitzordnung sollten wir nicht vorgeben und darauf ver-trauen, dass ein Familiensystem in der Lage ist, den jeweilsrichtigen Platz für alle Beteiligten am Tisch zu finden. AlsGastgeber einer Kindersitzung sollten wir Getränke und Sü-ßigkeiten bereithalten. Essen und Trinken entkrampfen dieAtmosphäre.

Damit sind wir auch schon bei der Kommunikation in derKindersitzung. Hier hat für mich ein unbefangener UmgangVorrang vor Fragetechniken, denn wir können uns aufnichts einstellen; wir müssen immer situativ und flexibelreagieren

Für die Kindersitzung kann auch ein Flipchart mit denwichtigsten Daten der Familie vorbereitet werden. Ein sol-ches Familien-Genogramm kann um Haustiere oder Frei-zeitaktivitäten ergänzt werden. Ein gemeinsamer Blick aufdas Familienbild und ein gemeinsames Gespräch darüberlockert die Anfangsphase der Mediation auf.

Im nächsten Schritt ist Wertschätzung für die bisherige Ar-beit der Eltern in dieser schwierigen Lebenssituation ange-zeigt, verbunden mit dem ausdrücklichen Lob für die El-tern, denen ihre Kinder – deren Wohlergehen, aber auchNöte – immer wichtig waren.

Der weitere Ablauf der Sitzung ist vertraut. Wir arbeitenkonsequent mediationsanalog im Phasenmodell: Wir su-chen gemeinsam nach Themen, erarbeiten Interessen undLösungen. Die bunten Moderationskarten und die dickenFlipchartstifte sind bei Kindern heiß begehrt. Kinder sindsehr kreativ dabei, Lösungsideen zu notieren. Bei mehrerenGeschwistern bekommt jeder einen Stapel von Moderati-onskarten, wobei jedem Kind eine Farbe zugeordnet wird.

In unserem Eingangsbeispiel hatte Lukas grüne und Lea gelbe

Karten, auf denen sie ihre Wünsche und Lösungsideen notiert

haben. Aufgabe der Mediatoren war es lediglich, Interessen

zu erfragen, s. Abbildung

Abb.: Sammlung von Interessen

V. Modelle der Kindersitzung

Verschiedene Autoren8 haben unterschiedlich gute Erfah-rungen mit unterschiedlichen Modellen gemacht. Die Band-breite reicht also vom minimalen Ansatz, bei dem ein Stuhlstellvertretend für ein Kind in die Runde gestellt wird, überden externen Kinder-Interviewer bis hin zu anwesendenKindern in der Mediationssitzung mit und ohne Eltern.Nach dem Konzept des externen Kinder-Interviewers9 kon-zentrieren sich die Mediatoren ausschließlich auf die Elternund eine externe Person, der Kinder-Interviewer, meldet dieErgebnisse des Kinderinterviews in die Mediation zurück.

Gesonderte Kindersitzungen ohne die Eltern haben denCharakter von Einzelgesprächen in der Mediation. Es gibtMediationskollegen, die ausschließlich mit getrennten Kin-dersitzungen arbeiten, um Kindern einen eigenen Raum zugeben.

VI. Resümee und Empfehlungen

Mit Ausnahme des externen Kinder-Interviewers habe ichalle Modelle in meiner Mediationspraxis mehrfach auspro-biert. Eingestiegen bin ich mit Kindersitzungen ohne die El-tern, wobei die Eltern nach Absprache mit den Kindern al-lerdings zu einer gemeinsamen Auswertung hinzugezogenwurden. Kinder haben das Gespräch mit den Mediatorengenutzt, ihre Probleme, Sorgen und Nöte mit den Eltern inder Trennungssituation zu beschreiben. Informationen, dieein eher negatives Bild auf die Eltern geworfen haben, habenauch Wirkung bei den Mediatoren hinterlassen. Um dieUnbefangenheit der Mediatoren zu gewährleisten, wäredem Kinder-Interviewer-Modell der Vorzug zu geben.

Und doch war der gemeinsame Termin von Eltern und Kin-dern immer der spannendste in der ganzen Mediation!Spannend deshalb, weil sowohl die Eltern als auch die Me-diatoren besonders interessiert und aufmerksam waren.

ZKM 4/2016 Dagmar Lägler | Mediation und Kindeswohl – Kleine Familienkonferenz gefällig? 139

8 Krabbe/Diez, ZKM 5/2001 S. 219 f.; Diez/Krabbe/Thomsen, Familien-mediation und Kinder, Köln 2002; Kiesewetter, Mediation und Kon-fliktmanagement, Baden-Baden 2013, S. 506 ff.; Rafi, Der Weg zur ge-meinsamen Ent-Scheidung, Berlin 2012, S. 92 ff.; Nagelmann, Das wah-

re Familienrecht, Nomos, 1984; Ripke, Familienmediation, Lehr DVD1998.

9 Bernhardt, ZKM 2015, 68 ff.

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Spannend, weil immer wieder die Sitzordnungen – Wo sitztein Kind? Wo platzieren sich bei mehreren Geschwisterndie großen und die kleinen? Wer sitzt neben Mama und werneben Papa? – für Überraschungen gesorgt haben. Span-nend, weil die Kinder immer wieder für eine besondere Dy-namik sorgen.

Mein Beitrag ist ein Plädoyer für eine Kindersitzung in jederFamilienmediation, unabhängig davon, welches Modell ge-wählt wird. Jedes Modell hat seine Vor- und Nachteile. JederMediator muss sich wohl in seiner Rolle fühlen und dasjeni-ge Modell wählen, mit dem er am besten arbeiten kann.

Mit einem Zitat von Lukas (16 Jahre) aus unserem Praxisfallmöchte ich enden. Die positiven Reaktionen der Kindersind Anlass genug, sich auf die „kleine Familienkonfernz“einzulassen.

„Ich bin richtig stolz auf Mama und Papa. Oma hatte immer

Sorge, dass Mama zu kurz kommt. Ich habe gerade verstan-

den, dass Papa ganz großzügig gegenüber Mama war. Das

wird bestimmt auch Oma gefallen.“

VIII. Checkliste

Für alle, die sich an das vorgestellte Modell wagen, zumSchluss noch eine Checkliste für eine Kindersitzung:

> Im Erstgespräch auf das Angebot der Kindersitzung hin-weisen,

> spezielle Kinderliteratur zum Anschauen bereit halten,> in die Eingangsvereinbarung die Wichtigkeit der Sicht-

weise der Kinder aufnehmen,> nach Abschluss von Phase 4 die Kindersitzung anspre-

chen,> Vorbereitung der Eltern auf den Ablauf der Kindersit-

zung,> Vorbereitung der Kinder auf die Kindersitzung – Ein-

ladung durch die Eltern,> aktuelle Situation der Kinder (Schule, Hobbys) abfragen,> für die Kindersitzung ein Flipchart vorbereiten, Getränke

und Süßigkeiten besorgen,> Moderationskarten und Flipchartstifte bereithalten.

Dagmar Lägler

Mediatorin (BAFM/BM) in Heilbronn, Heidelberg und Krakau,

Ausbilderin am Heidelberger Institut für Mediation.

[email protected]

Raimund Schwendner

Systemische Konfliktlösungen –Anleihen aus dem Coaching

Systemisches Coaching umfasst ein breites methodischesRepertoire, das auch der Lösung von Konflikten dient.Ressourcen- und entwicklungsorientierte Ansätze stehenim Mittelpunkt. Dazu zählen insbesondere der Aufbau ei-ner konsensualen Haltung, die Identifizierung des relevan-ten Kontexts, der für nachhaltige Lösungen entscheidendist, und die Gestaltung neuer Lösungsräume. Diese sollenhelfen, die Konflikt-Trance zu überwinden und den Kon-fliktnutzen in einen nachhaltigen Lösungsnutzen zu ver-wandeln. Zugleich befindet sich das systemische Coachingselbst im Wandel, mit neuen Möglichkeiten der virtuellenUnterstützung und des Rapid Turnarounds für die media-tive Arbeit.

Warum systemisch? Die Bedeutung des Begriffs ist einfachund bei gekonnter Umsetzung verblüffend wirksam. Syste-

misch zu arbeiten heißt aus praxisorientierter Sicht, Wir-kungszusammenhänge zu erkennen und sichtbar zu ma-chen, als auch „gute“ Lösungen zu kreieren. „Gut“ meint,nicht nur Symptome kurzfristig und vordergründig zu lin-dern, sondern vor allem die Langzeit-, Neben- und Wech-selwirkungen von Lösungen abzuschätzen und diese voraus-schauend zu optimieren. Anleihen aus dem SystemischenCoaching sind von besonderem Wert: Das sucht keinen Ratzu geben, sondern mit Hilfe geeigneter Fragen das für eineAufgabe relevante System zu erkennen. Dazu lotet es die Er-fahrungen, Stärken und Potentiale aus, die seitens einesCoachee verfügbar sind – oder erlernt werden müssen – umden gestellten Herausforderungen konstruktiv begegnen zukönnen. Oftmals, das zeigt die Erfahrung, sind es dieSchnittstellen aus unterschiedlichen Systemen wie dem

Raimund Schwendner | Systemische Konfliktlösungen – Anleihen aus dem Coaching ZKM 4/2016140

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schulischen, dem familiären und dem beruflichen, die einebesondere Brisanz entwickeln.

Ein Beispiel: Olivers Vater sorgt dafür, dass sein Sohn bei ei-nem Handwerksbetrieb einen Praktikumsplatz erhält, mitder Aussicht, nach Abschluss der Schule in eine Berufsaus-bildung übernommen zu werden. Kurz bevor er das Prakti-kum antritt, ruft die Firma beim Vater an und kündigt dasAngebot auf. Der Vater kann das kaum glauben, sein Sohnist zutiefst enttäuscht. Als der Vater nachfragt, wie das seinkönne, stellt sich heraus, dass die Mutter des Kindes ihrepersönlichen Beziehungen in die Firma hinein ebenfalls gel-tend machte und darlegte, dass das Kind wegen seinerSprachbehinderung von der angebotenen Arbeit wohl völligüberfordert wäre. Sie verweist darauf, dass es für dieseÜberforderung andere Situationen als Beispiel gegeben ha-be, und dass man dem Kind damit „nichts Gutes“ tue. Dergetrennt lebende Vater ist erschüttert, der Streit eskaliert, erwendet sich an das Familiengericht. Nun will er den Sohnzu sich holen und der Mutter das Sorgerecht entziehen. DieMutter hingegen fühlt sich missverstanden. Sie macht sichgroße Sorgen um ihren Sohn, seit geraumer Zeit schickt sieihn zur logopädischen Behandlung. Dort soll er ihrer Mei-nung nach erst lernen, sein sprachliches Vermögen in ver-schiedenen Alltagssituationen, auch in der Schule, zu stabi-lisieren. Das erweist sich als hilfreich, dennoch bleiben seineFortschritte hinter den Erwartungen zurück. Für die Mutterein Zeichen, dass ein Praktikum das Kind überlasten würde.

Die Entscheidung des Vaters, das Gericht anzurufen, wirftdie Frage nach dem Sinn einer Mediation auf, im Hinblickauf den Konflikt der Eltern und in Bezug auf den Verbleibdes Kindes sowie auf eine geeignete Unterstützung für des-sen Zukunft. Eine Kontextklärung, die neben dem schu-lischen auch das relevante familiäre Umfeld zu verstehensucht, zeigt schnell, dass hier noch mehr zu beachten ist.

Die Großmutter des Kindes macht ihrer Tochter, also derMutter, heftige Vorwürfe, so als sei diese dafür verantwort-lich. Die Mutter leidet sehr unter diesen Vorwürfen und ge-rät unter erheblichen inneren Druck. Das vor allem dann,wenn sie zu Hause mit ihrem Sohn das Sprachtraining ver-tiefen soll. Ihr Stress und damit verbunden ihre spürbareUngeduld wirken sich auf das Kind aus, seine Schwierigkei-ten werden dann bisweilen mehr statt weniger. Manchmalkommt die Großmutter sogar vorbei und „schaut nach“, obsie – die Mutter – denn auch alles richtig mache. Das ver-größert für sie die Belastung, aber auch für das Kind. Dasdenkt, am Konflikt zwischen seiner Mutter und der Omaschuld zu sein, obgleich es doch alles richtig machen möch-te. Im Zuge der Kontextklärung genügen wenige Fragen,um das alles sichtbar werden zu lassen, und dies nicht nurfür einen Therapeuten oder Betreuer, sondern auch für ei-nen (Güte-)Richter und vor allem für die Beteiligten selbst.

I. Kontextklärung – Unterschiede sichtbarmachen

Solche Dilemmata, wie sie bei Oliver und seiner Mutter er-sichtlich sind, werden mit Hilfe einer Kontextklärungschnell offenbar. Diese fragt nach Unterschieden, um rele-

vante Aspekte herauszufiltern. So mögen mehrere Personenvon einem Konflikt belastet sein, jedoch auf recht unter-schiedliche Weise. Dann ist es wichtig, dies nachzuvollzie-hen, um eine Lösung zu kreieren, die für möglichst viele Be-teiligte zufriedenstellend ist.

Beispielfragen

Im konkreten Fall wäre beispielsweise nachzufassen, was dieMutter in dem Zusammenhang belastet? „Die sprachlicheEinschränkung meines Kindes.“ Nun die Fragen nach Un-terschieden: Was noch? „Die Vorwürfe der Großmutter.“Was noch? „Eigentlich nichts.“ Gibt es jemand, der hierzuandere Sichtweisen hat? „Der Vater des Kindes.“ Was würdeer uns sagen, wenn er hier wäre? „Dass die Freundinnen derGroßmutter sich einmischen und diese immer wieder fra-gen, ob es denn nun endlich ‚besser‘ sei ...“ Was würde eruns noch erzählen? „Dass die Großmutter froh sei, dass erselber endlich ‚weg‘ und von der Familie getrennt sei.“ Undwie geht es der Mutter damit – und wie dem Kind ...? DasBeispiel zeigt, dass es oftmals nur weniger Fragen bedarf,die es erlauben, ein komplexes Beziehungsfeld mit seinenrelevanten Einflussfaktoren abzuschätzen. Das erzeugt inKombination mit einer Klärung der akuten Situation einsehr klares Bild. Während die Kontextklärung auf das Ver-ständnis von Beziehungen abzielt, hebt die Situationsklä-rung auf die Aktualität der Ereignisse ab. So ließe sich dazufragen, was genau der Auslöser für das gegenwärtige Kon-fliktgeschehen ist, oder warum jemand gerade jetzt die Be-ratung aufsucht und dies nicht schon früher unternommenhat. Im skizzierten Fall ist das offensichtlich – die Verweige-rung des zugesagten Praktikums. Das ist jedoch nicht im-mer so klar und muss bisweilen eruiert werden.

Diese Arbeit mit Unterschieden erweist sich als besonderswichtig, wenn es um die Frage nach Ressourcen, möglichenLösungen und Unterstützungspotentialen geht: Für wenwäre die Lösung des Konfliktes vor allem wichtig? „Für dasKind. Auch für die Mutter.“ Für beide auf die gleiche Weise,oder gibt es hierbei Unterschiede? Was würde die Muttersich davon versprechen? Was das Kind? Was der Vater? Wieginge es der Großmutter damit? Und für wen wäre eine Lö-sung sonst noch wichtig? „Für die Kollegen der Mutter.“Was würde sich denn für diese verändern? „Die Mutter, diehalbtags arbeitet, wäre dann wieder mehr bei der Sache.Ihre Kollegen müssten nicht so oft für sie einspringen. Dasmachen die gern, aber auch schon ziemlich lange ...“. Zu-rück zur Klärung der Situation: Gibt es dazu einen Auslöser,also einen Unterschied zwischen früher und jetzt? „Ja, siemusste unlängst zum Vorgesetzten. Er möchte, dass dasProblem jetzt auch für das Team gelöst wird. Eventuellkönnte er sie eine Weile für leichtere Arbeiten einsetzen...“.

Wirkungen kontextübergreifend sehen

Kontext-, situations- und ressourcenorientierte Fragen su-chen abzuschätzen, wer am Konflikt direkt oder indirekt be-teiligt ist oder einen Beitrag liefert, damit ein Konflikt amLeben erhalten wird. Auch zeigen sie, wie weit das Konflikt-system schon greift, und wer davon auf welche Weise be-troffen ist. Was im vorliegenden Fall zunächst wie ein indi-

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viduelles Problem des Jungen erscheint, erweist sich imLauf der Kontextklärung als familiäres Dilemma, das zudemberufliche Folgen hat. Das in der Summe zu betrachten er-laubt den Konfliktnutzen abzuschätzen, den ein fortgesetz-ter Streit für manche der Beteiligten haben mag. Ebensohilft der Blick auf die Wirkungen. Hier gilt es zu erkennen,wer durch welchen Lösungsentwurf entlastet und diesenunterstützen würde.

Kurz zusammengefasst, ist nach Beteiligten und Betroffenenzu fragen, sowie nach guten Lösungen aus deren jeweiligerSicht, und danach, wer welche Lösung auf welche Weise un-terstützen würde. Das bietet die Chance, eine Konflikt-Trance zügig zu überwinden und den Fokus auf Ressourcenzu richten. Von Konflikt-Trance ist die Rede, wenn Wahr-nehmung, Gedanken, Gefühle und schließlich das Verhaltennur noch um einen Konflikt kreisen, so als hätte es keinenanderen Erlebnisraum mit den anderen Konfliktparteien ge-geben. Das mentale wie emotionale Feld wird kleiner, auchverhärteter, mit dem Risiko der Erstarrung und Eskalationzugleich. Die Lösung gleicht dann dem fundamentalenSprung von „0“ auf „1“ und schafft ein vorher nicht gekann-tes Potential, das sich mitunter als größer und bedeutsamererweist als die weiteren Schritte von „1“ auf „100“.1

Aus systemischer Sicht ist es weniger interessant, warumein Konflikt entstanden ist, sondern vielmehr, wem er wozudient. Die zentrale Frage geht also vom Warum zum Wozu.Simon beschreibt Konflikte, kurz gesagt, als für die Beteilig-ten bedeutsame Unterschiede,2 oder eben als Unterschiede,die Unterschiede machen. Systemische Konfliktlösungendienen dazu, neben den Beziehungen und deren Aktualitätauch das Wesentliche zu erkennen. Das gilt für den Nutzeneines Konflikts wie für den Nutzen einer Lösung. Der Kon-fliktnutzen behindert oft erheblich den Erfolg einer Media-tion.

Aus der Medizin ist der – von Sigmund Freud geprägte undvon Gregory Bateson erweiterte – Begriff des sekundärenKrankheitsgewinns bekannt, der in paradoxe Kommunikati-ons- und Handlungsmuster abgleiten kann.3 Das meint,dass ein Patient neben der Heilung als Primärnutzen auchweitergehende Vorteile aus seiner Krankheit zieht, indem eretwa intensiver als sonst beachtet wird, sich um nichts küm-mern oder nicht arbeiten muss. Während einer Erkrankungsind solche Vorteile hilfreich, ja unabdingbar und unterstüt-zen den Heilungsprozess. Persistieren sie jedoch über dieErkrankung hinaus, entwickeln sie nicht selten eine parado-xe Eigendynamik. Die Vorteile einer Erkrankung könnendann so mächtig werden, dass eine Heilung für den Betrof-fenen gar nicht mehr erstrebenswert erscheint. Er würde da-mit zu viele Annehmlichkeiten aufgeben müssen. Dieses pa-radoxe Moment kommt insbesondere zum Tragen, wennder sekundäre Krankheitsgewinn nicht für den Patienten,sondern für das ihn umsorgende familiäre Umfeld entsteht.Wie Bateson an einer Reihe von Patienten beobachtenkonnte, setzten deren enge Verwandte alles daran, einen

Heilungserfolg zu verhindern. Wie sich zeigte, hatten sieAngst vor einer Heilung „ihres“ Kranken, weil damit die Ba-sis für einen familiären Mittelpunkt weggefallen wäre, derbislang alle vereinte und den Zusammenhalt der übrigenFamilienmitglieder aufrechterhielt.4 Zwischen den Zeilenlautet die paradoxe Botschaft in etwa: Wir alle wünschen dirgute Genesung, aber bitte werde uns zuliebe nicht gesund.

Krankheitsgewinn im Konflikt

Gleiches gilt für Konflikte. Sie sind keineswegs immer Aus-druck von unüberbrückbaren Unterschieden. Mitunter zeu-gen sie von schwachen oder fehlenden Ressourcen, andersals durch Konflikte den Kontakt zueinander aufrechterhal-ten zu können. Denn was bleibt – so die empfundene Be-fürchtung – wenn der Kontakt zum ehemaligen Partneroder der Ex-Partnerin ganz abbrechen würde? Da wäre viel-leicht noch Vieles zu sagen, stehen unerfüllte Bedürfnisseim Raum, drohen Gefühle der Einsamkeit, wenn der Part-ner endgültig aus dem eigenen Leben verschwindet. Kon-flikte bieten demnach eine Chance, Kontakte zu verlängern,auch wenn sie als unschön erlebt und beschrieben werden.Familienrichter wissen ein Lied davon zu singen: der immerwiederkehrende Streit um Banalitäten landet eins ums an-dere Mal vor Gericht. Dort ist die Bühne für eine ansonstenentschwundene Möglichkeit der persönlichen Begegnung.So erhält das gedanklich und emotionale Kreisen um einenKonflikt, das sich ja um bestimmte Personen rankt, die Aus-sicht auf gelegentliche Treffs. Im oben skizzierten Fallschien der Konfliktnutzen für die Großmutter am größtenzu sein. Sie hatte den Vater des Kindes, wie er es empfand,aus der Familie „geekelt“. Seine Frau, also deren Tochter,hat daraufhin den Kontakt mit ihr abgebrochen. Zumindestvorübergehend, denn als nunmehr alleinerziehende Mutterwar sie wiederum – Paradoxie zweiter Ebene – auf die Un-terstützung der Großmutter angewiesen. Diese aber hatteAngst, dass der Vater des Kindes zurückkommen könnteund sie dann wieder draußen wäre. Mit der Folge, den Kon-takt zu Tochter und Enkelkind erneut zu verlieren. Die„Krankheit des Kindes“ erlaubte ihr, sich – aus ihrer Sicht –intensiv zu kümmern und damit engen Kontakt halten zukönnen.

Im dem Fall ging es darum, dass die Tochter lernte, innereRessourcen aufzubauen, ihre psychische Widerstandskraftzu festigen und sich gegen Übergriffe der Großmutter be-haupten zu lernen. Sie selbst versprach sich davon, ihremKind eine entspanntere Unterstützung als bisher bieten zukönnen, zum anderen, den Umgang des Vaters mit seinemKind künftig weniger belastend zu gestalten – zwei Hebel,die ihr und dem Kind entgegenkamen. Zugleich war eswichtig, diese Lösungen so auszugestalten, dass die Ängsteder Großmutter, den Kontakt zu Tochter und Enkel zu ver-lieren, sich als unbegründet erwiesen. Nur so konnte sie ihrübergriffiges Verhalten zurücknehmen.

Raimund Schwendner | Systemische Konfliktlösungen – Anleihen aus dem Coaching ZKM 4/2016142

1 Schwendner, Konflikte wirksam lösen. Systemisches Arbeiten mit Fami-lien und Organisationen, Stuttgart 2012, S. 20 ff.

2 Simon, Einführung in die Systemtheorie des Konflikts, 2. Aufl., Heidel-berg 2012.

3 Sautter/Sautter, Wege aus der Zwickmühle – Doublebinds verstehenund lösen, 6. Aufl., Ravensburg 2016.

4 Bateson et alt., Schizophrenie und Familie, 7. Aufl., Frankfurt/M. 2010.

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Das grundlegende Prinzip dieses Vorgehens besteht darin,eine Lösung für die Beteiligten so zu konstruieren, dass dieVorteile, die ein Konflikt mit sich bringt, erhalten bleiben,ohne dass es dafür den Konflikt noch braucht.

II. Aufsuchende Konfliktbearbeitung

Ein in der Praxis noch neues Modell, solche Entwicklungenvoranzubringen, ist die aufsuchende Mediation. Deren Prin-zip ist es, nicht nur rhetorisch in einem Beratungs- oder Be-treuungsraum den Kontext einer Familie zu klären, sondernsich live in das Familiengeschehen einzublenden. Das er-laubt, den Lebenskontext einer Familie wie auch besondereSituationen erfahrbar zu machen und sich daraus ein le-bensnahes Bild abzuleiten. Die aufsuchende Mediation ori-entiert sich am systemisch-ressourcenorientierten Konzeptder aufsuchenden Familientherapie. Diese soll Familien er-reichen, die für herkömmliche Hilfeangebote kaum zu ge-winnen sind und Merkmale wie „Resignation, Motivations-mangel, beschränkte Ressourcen zur Konfliktlösung, wie-derkehrende Krisen, Erfolglosigkeit bei den eigenen Bewälti-gungsstrategien, häufige Grenzüberschreitungen“5 aufwei-sen. Auf diese Weise sollen neue Handlungsmuster initiiertbeziehungsweise für alternative Handlungsmöglichkeitendie nötigen Ressourcen freigelegt werden, um damit einerFamilie Raum für Veränderungen zu geben.

In abgewandelter Form ist dieses Vorgehen hilfreich, umbeispielsweise als Verfahrensbeistand, der vor Gericht dieInteressen eines Kindes vertritt, eine Familie aufzusuchenund dort zu Hause auf eine konsensuale Lösung hinzuwir-ken. Im realen Umfeld einer Familie greift ein Lösungssze-nario, das streitende Parteien zusammenbringen und letzt-lich die Verhandlung bei Gericht erübrigen soll, oft nachhal-tig und festigt den Erfolg der gemeinsamen Arbeit. DiesesVorgehen verfolgt das Ziel, wie beim systemischen Coachingdie Stärken und Ressourcen für gemeinsame Lösungen zuerarbeiten.

III. Semi-virtuelles Coaching

Eine andere Form der Präsenzbildung ist das virtuelleCoaching. Bei akuten familiären Krisen ist die Kombinationaus aufsuchendem systemischen Coaching und virtuellenCoaching die Methode der Wahl. Sie kann sehr wirkungs-voll in Prozesse der Mediation eingebunden werden. Denngerade plötzliche, krisenhafte Ereignisse erfordern schnellekontext- sowie auch situationsspezifische Reaktionen. Dafüreignet sich die Kommunikation per Tablet oder Smartphoneideal, um unverzüglich die nötige Präsenz des Coaches oderMediators herzustellen. Hier gilt: Zeit vor Ort. UnmittelbarePräsenz ist wichtiger wochenlang zuvor zu vereinbarendepersönliche Treffen. Als Voraussetzung ist jedoch eine guteVertrauensbasis nötig. Diese wird im Rahmen der auf-suchenden Mediation gefestigt. Videogestützte Gesprächeermöglichen es, einem familiären System als Ganzem sowieeinzelnen Personen ungeachtet der räumlichen Distanz un-mittelbar und interaktiv die nötige Hilfe zuteil werden zu

lassen. Zwei Stärken des semi-virtuellen Kontakts fallen be-sonders ins Gewicht: Diese Art der Unterstützung kann äu-ßerst flexibel als auch situativ sensibel eingesetzt werdenund besondere Kontexte der Betreuten beachten. Zweitensist diese Form der Unterstützung nicht termingebunden,sondern lösungs- und prozessgesteuert. Sie fokussiert in Re-alzeit auf akute Herausforderungen, kritische Momente undBedarfe eines Lösungsprozesses. Das verstärkt die Effizienzund nachhaltige Wirkung der Konfliktlösung.6

Im konkreten Fall konnten virtuelle Einzelgespräche mitVater und Mutter ein konstruktives gemeinsames Treffenvorbereiten. Das machte deren Trennung nicht rückgängig,führte jedoch zu einvernehmlichen Lösungen für das Kind.Ein gemeinsames Gespräch der Eltern mit dem Chef derFirma ermöglichte Oliver doch noch die Teilnahme amPraktikum. Zugleich erkannte der Firmeninhaber die Trag-weite des Praktikums in dem speziellen Fall und sicherte diesoziale Unterstützung des Jungen während der Arbeit zu.Für beide Eltern stellte diese Perspektive eine große Entlas-tung dar, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Da-mit hatte der Vater wieder besseren Umgang mit dem Kind,das nun auch in seinem Sinne wie bisher bei der Mutterbleiben konnte. Und schließlich hatte, ohne weiteres Zutun,die Mutter wieder die von ihrem Vorgesetzten erhoffteEnergie für ihre eigene Arbeit.

Der semi-virtuelle Ansatz, der persönliche Gespräche ein-bezieht, ist dem rein virtuellen überlegen. Im persönlichenGespräch können Erfahrungen aus der virtuellen Interakti-on in einer vertrauten Umgebung reflektiert und verdichtetwerden. Während akuter Krisen hat dieses gemischte Vor-gehen noch einen zusätzlichen Wert: Es verschafft den Be-teiligten eine innere Sicherheit, im Bedarfsfall nahezu jeder-zeit Unterstützung erhalten zu können. Das stärkt derenResilienz, mit der Aussicht, dass Lösungen zugleich schnel-ler als auch nachhaltiger greifen.

Reflecting Teams in Echt-Zeit

Mit diesem Vorgehen können sogar Reflecting Teams aufvirtuelle Weise gebildet und gesteuert werden. Dieses virtu-ell geführte Verfahren ist neuartig und erfordert für vieleCoaches noch ein hohes Maß an Professionalisierung undErfahrung. Reflecting Teams im persönlichen Umgang sindhingegen bewährte Verfahren des Systemischen Coachings.Beim virtuellen Ansatz sitzt ein Familienmitglied nicht demCoach, sondern anderen Familienmitgliedern oder weiterenPersonen gegenüber, wie hier die Eltern dem Chef der Fir-ma, die den Praktikumsplatz vergibt. Als Bezugsperson fürden Coach wurde die Mutter gewählt, die in Intervallen perSmartphone den Kontakt zu ihm hielt. Sie steuert alsCoachee diesen Prozess, indem sie bei Bedarf das reale Ge-spräch durch Pausen unterbricht und sich per Video, etwaüber Skype, an den Coach oder Mediator wendet.

Daraus entsteht ein zirkulärer Dialog. An dessen Beginnsteht das Gespräch zwischen dem Coachee mit seinen Ge-

ZKM 4/2016 Raimund Schwendner | Systemische Konfliktlösungen – Anleihen aus dem Coaching 143

5 Systemische Gesellschaft: https://systemische-gesellschaft.de/verband/position/aufsuchende-familientherapie [13.6.2016].

6 Haupt/Schwendner, Die Wirtschaftsmediation 2015, 8 ff.

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sprächspartnern. Der Coach ist nicht physisch anwesend,kann jedoch unmittelbar in das aktuelle Geschehen einge-bunden werden. Das eröffnet ihm und dem Coachee die Ge-legenheit, über das bislang Gesprochene und Gehörte zusprechen, dazu neue Ideen, Überlegungen und Fragestellun-gen für kreative Lösungen einfließen zu lassen. In unseremBeispiel war es die Mutter, die das Gespräch mit dem Chefkurz unterbricht und sich per Smartphone an den Coachwendet. Der Chef war mit diesem Vorgehen einverstandenund neugierig darauf. So war es möglich, sein Gespräch mitihr und dem Vater nun mit dem online zugeschaltetenCoach zu reflektieren. Ihr Gesprächspartner – hier der Chef– hört dem Gespräch zwischen ihr und dem Coach zu. Fra-gen oder Anregungen, etwa nach Ressourcen seinerseits,kann der Zuhörende aufnehmen, wenn der Coachee die Re-flexion mit dem Coach beendet und das Gespräch mit ihmwieder fortsetzt. Dieser Prozess kann bei Bedarf hin- und„herswitchen“ und neue Sichtweisen in den Dialog einfüh-ren. Die gemeinsame Basis der Ressourcenorientierung undLösungsfindung erweitert sich dadurch erheblich. Das er-laubt, Perspektivenwechsel zu initiieren, bislang nicht be-dachte Ansichten und Lösungsideen Dritter einzubringen,oder verhärtete Verhandlungssituationen aufzulösen.

IV. Vom verdeckten zum vernetzten Coaching

Beim verdeckten Reflecting Team wendet sich der Coacheevideo-gestützt an den Coach, ohne dass die anderen Ge-sprächspartner davon Kenntnis haben. Das ähnelt im We-sentlichen dem klassischen Coaching, nur mit dem Unter-schied, dass dieses nicht persönlich und zeitversetzt, son-dern per Video und unmittelbar stattfindet. Für einenCoachee mag das hilfreich sein, um sich aus festgefahrenenSituationen zu befreien oder den Gesprächspartnern neueLösungsalternativen anbieten zu können. Wie der obenskizzierte Fall aufzeigt, können davon auch mediative Ein-zelgespräche profitieren. Eine Variante dessen bildet das fo-kussierende Reflecting Team. Der Unterschied zum ver-deckten Vorgehen besteht darin, dass der Coachee seine Ge-sprächspartner über sein Vorgehen und die Zusammen-arbeit mit dem Coach im Vorfeld einweiht. Im Falle einerMediation setzt das eine gewisse konsensuale Haltung undÜbereinstimmung beider Seiten voraus. Die anderen Ge-sprächspartner wissen Bescheid und sind explizit damit ein-verstanden. Dieses Vorgehen wurde für das Gespräch zwi-schen den Eltern und dem Chef der Firma angewendet. All-gemein formuliert, unterbricht hier der Coachee bei Bedarfkurz das Gespräch und wendet sich – in Anwesenheit deranderen – an den Coach. Der ist in dieser Phase per Video

präsent, seine Anregungen können unmittelbar zur Diskus-sion gestellt werden. Diese Form des video-gestütztenCoaching ist technisch einfach zu realisieren. Zugleich bie-tet es nicht nur dem Coachee, sondern allen Beteiligten eineerweiterte Reflexionsebene.

Komplexe Konflikte zügig lösen

Das vernetzte Coaching greift noch weiter. Es bezieht wieein fokussierendes Reflecting Team die Beteiligten von An-fang an mit ein. Dann jedoch ändert sich das Prozedere:Der Coach nimmt nicht nur mit dem Coachee, sondernreihum mit einigen oder allen anwesenden Konfliktbeteilig-ten Kontakt auf. Die Rolle des Coachees ändert sich wäh-renddessen. Denn nun hört er wie auch die jeweils anderenzu. Im vorbezeichneten Fall kam es zu einer Mischung ausfokussierendem und vernetztem Coaching, indem der Chefzwei Mitarbeiter hinzuzog, die sich um die Unterstützungdes Praktikanten mit kümmern sollten. Online wurde ge-klärt, was dafür zu beachten und zu organisieren sowie imUmgang mit weiteren Teammitgliedern zu regeln war.

Auf diese Weise entstehen interagierende Reflecting Teams,entweder bei den Konfliktbeteiligten oder – wie hier – mitDritten, die an umfassenden, systemisch-kontextübergrei-fenden Lösungen mitwirken. Damit das gelingt, ist ein ho-hes Maß an Professionalität seitens des Coachs oder Media-tors vonnöten. Es erfordert, das virtuelle Zusammenspielmehrerer Reflecting Teams interaktiv zu gestalten und inder Balance zu halten. Bei hoch strittigen Auseinanderset-zungen ist diese Aufgabe nicht einfach. Gleichwohl bildetdas interaktive Video-Coaching einen hervorragenden An-satz, um bei komplexen Konfliktlagen zügig gute Lösungenzu finden.

Dr. Raimund Schwendner, Dipl.-Psych.,

Kommunikationswissenschaftler, M.A.

Klinische sowie Verhaltens- und Organisationspsychologie,

Fachpädagoge für Psychotraumatologie, Lehrtrainer für Syste-

misches Coaching, Referent der Justiz für Richterfortbildungen,

Beauftragter der Systemischen Gesellschaft (Dachverband) für

Psychosoziale Prozessbegleitung

[email protected]

Raimund Schwendner | Systemische Konfliktlösungen – Anleihen aus dem Coaching ZKM 4/2016144

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Praxis Projekte Erfahrungen

Stephanie Hamkens

Geförderte Familienmediationin Berlin

Seit Anfang dieses Jahres hat die „Berliner Initiative geför-derte Familienmediation“ (BIGFAM) ein Pilotprojektetabliert, das Elternpaare dabei unterstützt, eine außerge-richtliche und für sie kostenfreie Mediation in Anspruchzu nehmen, soweit sie im gerichtlichen Verfahren um dasSorge- oder Umgangsrecht Verfahrenskostenhilfe bewilligtbekommen haben. Das auf zwei Jahre angelegte Pilotpro-jekt wird durch die Berliner Senatsverwaltung für Justizund Verbraucherschutz finanziell gefördert sowie wissen-schaftlich begleitet.

Der Entstehung des Pilotprojekts liegt die Erfahrung zu-grunde, dass im Trennungskonflikt befindliche Elternpaareaus einem laufenden gerichtlichen Verfahren heraus nur sel-ten den Weg in die Mediation finden. Dies beruht vor allemauf der Tatsache, dass das Mediationsverfahren zusätzlicheKosten (Kosten der Mediatoren) verursacht, die nach über-wiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur vonden Parteien selbst dann getragen werden müssten, wennihnen für das gerichtliche Verfahren Verfahrenskostenhilfebewilligt wurde.1 Dies ist der eigentliche Ansatzpunkt desPilotprojekts „Berliner Initiative geförderte Familienmedia-tion“ (BIGFAM): Es gibt Elternpaaren, die sich in einemKonflikt um die elterliche Sorge befinden, den sie aus eige-ner Kraft nicht lösen können, die Wahlfreiheit zwischen derFortführung des staatlich unterstützen Gerichtsverfahrensoder einer für sie kostenfreien Mediation. Damit kann nun-mehr der Forderung des BVerfG Genüge getan werden, dasseine konsensorientierte Streitbeilegung gegenüber einerrichterlichen Streitentscheidung grundsätzlich vorzugswür-dig ist.2 Daneben könnten sich aus dem Pilotprojekt auchfinanzielle Vorteile für die Justizkasse ergeben: Gerade ge-richtliche Kindschaftsverfahren sind oft mit hohen Kostenverbunden, da häufig neben den Gerichts- und Rechts-anwaltskosten zusätzlich Kosten für die Einholung vonSachverständigengutachten und die Bestellung von Verfah-

rensbeiständen anfallen. Wie die vom Bundesministeriumder Justiz veranlasste Pilotstudie3 zum Vergleich von Kostenund Folgekosten von Sorge- und Umgangsrechtskonfliktenbei Gericht und in der Mediation gezeigt hat, stehen denhohen Aufwendungen für Verfahrenskostenhilfe in diesenFällen wesentlich geringere Kosten der Mediation gegen-über. Hinzu kommt, dass die Parteien sich mit den in Me-diationsverfahren getroffenen Vereinbarungen wesentlichbesser identifizieren und die Lösung des Konflikts akzeptie-ren. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass im Rahmen desMediationsverfahrens nicht nur die anhängige Kindschafts-sache bzw. der aktuelle Streitpunkt einer Lösung zugeführtwird, sondern oftmals eine nachhaltige Befriedung des ei-gentlichen Konflikts geregelt wird, sei es, weil auch alle wei-teren mit Trennung und Scheidung verbundenen Konflikt-themen bearbeitet werden (z.B. Güterrechts-, Unterhalts-,Ehewohnungs- und Haushaltssachen), und/oder weil derschwelende Grundkonflikt im Sinne einer umfassenden,nachhaltigen und einvernehmlichen Konfliktbeilegung ge-löst wird. Dies hat für die Justiz den erheblichen Vorteil,dass nicht nur die rechtshängigen Verfahren erledigt werdenkönnen, sondern auch dass es nicht zu weiteren Gerichts-verfahren kommt.

Im vergangenen Jahr haben die beiden Trägervereine, dieBerliner Vereine „Zusammenwirken im Familienkonflikte.V.“4 und „Berliner Mediationszentrale e.V.“5, einen ge-meinsamen Projektsteuerungskreis gegründet, der das Pro-jekt „Berliner Initiative geförderte Familienmediation“(BIGFAM) konzipiert hat und der seit Anfang dieses Jahresmit Hilfe einer Projektleitung die tatsächliche Umsetzungdes Projektes verantwortet. Derzeit sind für BIGFAM achtbesonders qualifizierte Mediatorenpaare zu einem festenHonorarsatz tätig. Die Co-Mediatorenpaare sind interdis-ziplinär und grundsätzlich gemischt geschlechtlich zusam-mengestellt. Dies erfolgte in dem Bestreben, bestmöglich

ZKM 4/2016 Stephanie Hamkens | Geförderte Familienmediation in Berlin 145

1 Verfahrenskostenhilfe wird zumindest einem Verfahrensbeteiligten in90 % der streitigen Familiensachen bewilligt.

2 BVerfG, Beschl. v. 14.2.2007 – 1 BvR 1351/01, ZKM 2007, 128 m. Anm.Greger.

3 Vgl. Greger, Mediation und Gerichtsverfahren in Sorge- und Umgangs-konflikten – Pilotstudie zum Vergleich von Kosten und Folgekosten,abrufbar unter www.reinhard-greger.de/dateien/ikv3.pdf.

4 www.zif-online.de.5 www.berliner-mediationszentrale.de.

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der geschlechtsspezifischen Dynamik eines Trennungs-/Scheidungskonflikts und der Vielschichtigkeit der Problem-lage auf psychodynamischer und sachlicher Konfliktebenegerecht zu werden. Die Mediatorenpaare zeichnen sich zu-sätzlich dadurch aus, dass die Co-Teams bereits mehrereJahre lang als Familienmediatoren zusammen arbeitetenund über besondere Fachkenntnisse in Trennungs- undScheidungskonflikten verfügen. Alle Mediatoren haben einefundierte Mediationsausbildung von mindestens 200 Stun-den absolviert. Zur Qualitätssicherung treffen sich die Me-diatoren monatlich zur Supervision.

Das Projekt BIGFAM wurde seit Anfang des Jahres an denvier Berliner Familiengerichten und in vielen der interdis-ziplinären Arbeitskreise in den verschiedenen Bezirken vonBerlin vorgestellt. Im Rahmen dieser Projektpräsentationenkam es zu einem offenen und interessanten Austausch überdas Pilotprojekt mit allen am familiengerichtlichen Verfah-ren beteiligten Professionen (Richter, Rechtsanwälte, Ju-gendamt, Sachverständige, Umgangspfleger, Verfahrensbei-stand). Mittlerweile konnte BIGFAM über die Hälfte der fürdas erste Projektjahr 2016 anvisierten Fälle in die Mediationvermitteln. Dabei hat sich eine enge Kommunikation zwi-schen Richter und Projektleitung als äußerst hilfreich he-rausgestellt, so dass sicher gestellt wird, dass die Verfahrens-beteiligten direkt und zeitnah aus dem gerichtlichen Verfah-ren in das Mediationsverfahren wechseln können und dieBeteiligten nicht „auf der Strecke“ bleiben. Dafür vereinbartdie Projektleitung telefonisch mit den Medianden und denMediatoren einen ersten Termin. Dieser kann als erstes In-formationsgespräch genutzt werden oder zugleich als ersteMediationssitzung inhaltlich gestaltet werden. Die Media-tionen finden an einem einheitlichen Ort statt. Gefördertwerden insgesamt 10 Zeitstunden pro Mediation; in beson-deren Fällen kann eine Ausweitung bewilligt werden.

Der offene interdisziplinäre Austausch in den vergangenenMonaten mit allen am Projekt Beteiligten hat gezeigt, dasseinige Fragen in rechtlicher und praktischer Hinsicht erstmit der Etablierung des Projekts entstehen und Antwortenzu Lösungen gefunden werden müssen. Auch für die Zu-kunft ist es BIGFAM wichtig, mit allen an diesem ProjektBeteiligten aktiv ins Gespräch zu kommen, um möglichstviele Perspektiven und Expertisen einzubeziehen und so dasPilotprojekt gemeinsam lebendig weiter zu entwickeln. BIG-FAM lädt dazu zu regelmäßige Veranstaltungen (Work-shops, Fachtage) ein.

Das Pilotprojekt BIGFAM wird wissenschaftlich von einemInstitut für Konfliktforschung begleitet. Die Medianden undMediatoren nehmen an der Evaluation des Projekts teil, in-dem sie Fragebögen ausfüllen und anonym an die Evaluati-onsstelle senden. Durch die Evaluation und Auswertung desProjekts soll u.a. ermittelt werden, ob sich durch die För-derung eines für die Beteiligten kostenfreien Mediations-angebots in Kindschaftssachen die Akzeptanz von Media-tion steigern lässt, ob geförderte Mediation mit derselben

Motivation, Ausdauer und Ernsthaftigkeit wahrgenommenwird wie die auf eigene Kosten durchgeführte und ob dieFörderung der Mediation für die Justiz wirtschaftliche Vor-teile hat.

Berlin ist das derzeit einzige Bundesland, das mit Fördergel-dern der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutzein solches Forschungsvorhaben initiiert hat, und ist damitden ersten Schritt auf den Weg zur Einführung einer Media-tionskostenhilfe gegangen, die analog zur Prozesskostenhilfedie Kosten einer (außergerichtlichen) Mediation erstattet.Weitere Informationen zu der Berliner Initiative GeförderteFamilienmediation BIGFAM finden Sie unter: www.big-fa-milienmediation.de.

Stephanie Hamkens

Rechtsanwältin und Mediatorin, Leiterin des Projekts BIGFAM.

[email protected]

Stephanie Hamkens | Geförderte Familienmediation in Berlin ZKM 4/2016146

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Ilse Graf

Geförderte Familienmediation inÖsterreich

Die Einführung einer staatlichen Mediationskostenhilfewird in Deutschland seit Jahren diskutiert. Kürzlich hatdie Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucher-schutz ein Forschungsprojekt gestartet, mit dem die Aus-wirkungen einer finanziellen Förderung von Mediationspeziell in Kindschaftskonflikten untersucht werden sol-len, s. ZKM 2016, 72, sowie Hamkens, ZKM 2016, 145, indiesem Heft. In Österreich hat der Gesetzgeber ein ent-sprechendes Angebot bereits ab dem Jahr 2000 eingeführt.Die Verfasserin stellt das Modell unserer Nachbarn vor.

I. Grundlage und Zielsetzung

Mit Einführung des § 39c Familienlastenausgleichsgesetz(BGBl. I/136/1999) wurde in Österreich 1999 die Möglich-keit zur finanziellen Unterstützung eines Mediationsange-botes in familien- und kindschaftsrechtlichen Konfliktfällen– ausschließlich im Falle einer Trennung oder Scheidung –geschaffen. Die Vollziehung des § 39c fällt in die Zuständig-keit des Bundesministeriums für Familien und Jugend. Mitder geförderten Mediation, die stets auf Freiwilligkeit be-ruht, sollen scheidungs- und trennungswillige Paare von ei-nem Mediationsteam angeleitet werden, die Lösung ihrerKonflikte in den Bereichen Obsorge, Besuchsrecht, Unter-halt und Aufteilung zukunftsorientiert selber zu erarbeiten.Vor allem aber soll den Medianden die elterliche Verantwor-tung gegenüber ihren Kindern bewusst gemacht, in weitererFolge sollen Kinder vor nachteiligen Auswirkungen des El-ternkonfliktes geschützt werden. Ein Rechtsanspruch aufgeförderte Mediation besteht nicht.

II. Wer darf geförderte Mediation anbieten?

Geförderte Mediation wird jeweils von zwei Mediator(inn)en1, dem – meist gemischtgeschlechtlichen – Mediations-team, durchgeführt. Neben der Mediationsausbildung mussein Mitglied des Teams einen Grundberuf als Jurist, das an-dere Mitglied einen Grundberuf im psychosozialen Bereich(Psychotherapeut, Psycholog, Diplomierte Sozialarbeiter,Lebens- und Sozialberater) haben und in beruflicher Funk-tion mit Aufgabenstellungen im familienrechtlichen bzw. fa-milienbezogenen Bereich tätig sein. Damit sind von einemMediationsteam das Konfliktregelungsinstrument der Me-diation sowie die juristische und die emotionale Seite einerTrennung oder Scheidung abgedeckt.

Jedes Mediationsteam, das geförderte Mediation anbietenmöchte, muss einem der fünf bestehenden Rechtsträger dieberufliche und mediatorische Qualifikation nachweisen undmit dem Erfüllen der Voraussetzungen, Mitglied beimRechtsträger werden. Die fünf Rechtsträger sind gemeinnüt-zige Vereine, denen österreichweit rund 400 Mediations-teams angehören. Jeder Rechtsträger meldet jedes neue Me-diationsteam dem Ministerium, das das neue Team in dieListe der Mediatoren, die geförderte Mediation anbietendürfen, aufnimmt. Diese Liste wird vom Ministerium ver-waltet und ist ausschließlich online verfügbar – dadurch istgewährleistet, dass sie laufend aktualisiert werden kann. DieRechtsträger haben jedoch Informationen zur gefördertenMediation und den Mediationsteams an Gerichten und ineinschlägigen Beratungsstellen aufliegen.

III. Wie kann man geförderte Mediation inAnspruch nehmen?

Über Empfehlung eines Gerichtes, einer Beratungsstelleoder aus eigenem Interesse entscheiden sich scheidungs-und trennungswillige Paare für eine geförderte Mediationund kontaktieren Mediationsteams. Da Mediationsteamsgeförderte Mediation nebenberuflich anbieten, bedarf esmeist mehrerer Anfragen bis mit einem verfügbaren Media-tionsteam eine geförderte Mediation vereinbart werdenkann. Die Medianden sind verpflichtet, gegenüber dem Me-diationsteam ihr gemeinsames Familieneinkommen durchVorlage der entsprechenden Unterlagen nachzuweisen. Jenach der Höhe des Einkommens und der Anzahl der unter-haltsberechtigten Kinder ergibt sich ein Selbstbehalt, dendie Medianden leisten müssen.

IV. Wie wird die Förderung abgewickelt?

Die Rechtsträger stellen Förderungsanträge und erhalten ei-nen Förderbetrag i.H.v. etwa 50.000 € im Voraus. Damitwerden die Honorare der Mediationsteams beglichen, eingeringer Teil der Förderung gebührt den Rechtsträgern fürderen administrativen Aufwand.

Mediationsteams, die eine geförderte Mediation beginnen,teilen dies ihrem Rechtsträger mit, der Mittel aus der För-derung „reserviert“. Für jede geförderte Mediation ist ein„Abrechnungsformblatt“ auszufüllen, das Angaben zu denMedianden (Name, Adresse, Einkommen, Kinder), zur

ZKM 4/2016 Ilse Graf | Geförderte Familienmediation in Österreich 147

1 Im Interesse der Lesefreundlichkeit wird ausschließlich die männlicheForm verwendet; Frauen sind selbstverständlich auch angesprochen.

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Höhe des Selbstbehaltes, zu den Sitzungsterminen beinhal-tet und mit den Unterschriften der Medianden bestätigtwird. Mediation wird für höchstens 12 Stunden gefördert,des Honorar beträgt 110 € pro Stunden (bzw. 91,67 € für ei-nen nicht umsatzsteuerpflichtigen Mediator). Mit Beendi-gung der geförderten Mediation reichen die Mediations-teams das Abrechnungsformblatt bei ihrem Rechtsträgerein, dieser prüft die Angaben und überweist das Honorar.Den von den Medianden zu leistenden Selbstbehalt hebendie Mediationsteams direkt ein. In weiterer Folge reichendie Rechtsträger die Abrechnungsunterlagen ihrer Media-tionsteams beim Ministerium zur Prüfung der widmungs-gemäßen Verwendung der gewährten Förderung ein. Sobalddie gewährten Fördermittel entweder bereits zur Bezahlungvon Honoraren größtenteils aufgewendet worden oderdurch „Reservierungen“ blockiert sind, kann der Rechtsträ-ger ein neues Förderungsansuchen stellen.

V. Was kostet eine geförderte Mediation?

Geförderte Mediation wird im Durchschnitt 7,5 Stunden inAnspruch genommen, die Kosten dafür werden mit durch-schnittlich 1.311 € gefördert und mit durchschnittlich 231 €über den Selbstbehalt getragen. Etwa 20 % der Mediationenwerden vorzeitig ergebnislos abgebrochen und bei den übri-gen 80 % können umfassende oder zumindest teilweise Ei-nigungen in den Regelungsschwerpunkten Obsorge, Be-suchsrecht, Unterhalt und Aufteilung erzielt werden.

Ilse Graf

Bundesministerium für Familien und Jugend, Wien.

[email protected]; www.bmfj.gv.at

Hans-Dieter Will

Zugang zur MediationBAFM-Umfrage zur Förderung von Mediation miteinkommensschwachen Eltern

Unbestritten zählt die Familienmediation mit zu denwichtigsten Wegbereitern der Akzeptanz der Mediation inDeutschland. Der einvernehmlichen Einigung der Streit-parteien wird nicht nur vom Verfassungsgericht einer ge-richtlichen Entscheidung Priorität eingeräumt. Eine großeZahl von Untersuchungen darüber, wie sich strittige Tren-nungen und Scheidungen der Eltern auf die Kinder aus-wirken, weist auf die Notwendigkeit einer am Konsens ori-entierten Streitbeilegung hin (vgl. § 155 FamFG). Was lägenäher, als die Familienmediation für möglichst viele El-tern als Standardmodell zu etablieren? Der Beitrag berich-tet über die Ergebnisse einer Umfrage zu Forschungsvor-haben nach § 7 MediationsG.

1. Die „Experimentierklausel“ des Mediations-gesetzes

Dazu gehört der Zugang zur Mediation auch für einkom-mensschwache Eltern. Das Mediationsgesetz hat die Nor-mierung einer finanziellen Förderung der Familienmedia-tion dennoch nicht umgesetzt. Allerdings wurde in § 7 un-ter dem Titel „wissenschaftliche Forschungsvorhaben; fi-nanzielle Förderung der Mediation“ des Mediationsgesetzesdie Türe in diese Richtung einen kleinen Spalt weit geöffnet.

Dort heißt es in Abs. 1 „Bund und Länder können wissen-schaftliche Forschungsvorhaben vereinbaren, um die Folgeneiner finanziellen Förderung der Mediation für die Länderzu ermitteln.“ Und in Abs. 3 „Die Bundesregierung unter-richtet den Deutschen Bundestag nach Abschluss der wis-senschaftlichen Forschungsvorhaben über die gesammeltenErfahrungen und die gewonnenen Erkenntnisse.“ In der Be-gründung zum Entwurf des MediationsG wurde noch fürdiese Forschungsvorhaben geworben:“... denn die Aufwen-dungen für eine finanzielle Förderung der Mediation wür-den ersten Untersuchungen zufolge unter den Aufwendun-gen liegen, die die Länder derzeit für die Prozess- und Ver-fahrenskostenhilfe tätigen“ und der Bereich präzisiert: „Die-se Forschungsvorhaben sollen vorläufig auf Familiensachenbeschränkt sein, da in diesem Bereich besonders viele me-diationsgeeignete Streitigkeiten auftreten und die Ausgabenfür die Verfahrenskostenhilfe besonders hoch sind und wei-ter steigen.“1

Was lag also näher für einen Fachverband für Familien-mediation als sich nach dem Stand dieser Forschungsvor-haben gem. § 7 MediationsG zu erkundigen. Alle 16 Bun-desländer wurden angeschrieben2; 15 von ihnen haben auchgeantwortet, dass ihnen Mediation am Herzen liege. Das Er-

Hans-Dieter Will | Zugang zur Mediation ZKM 4/2016148

1 BT-Drucks. 17/5335 v. 1.4.2011.

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gebnis in der Sache war dann aber doch enttäuschend: Inkeinem der 16 Bundesländer gibt es ein solches mit demBund vereinbartes Forschungsprojekt. Zwei Bundesländer(Niedersachsen und Berlin) haben sich beim Bund darumbemüht und bekamen keine Kostenzusage. Berlin hat dannauf eigene Kosten ein Förderprogramm für zwei Jahre zumJanuar 2016 begonnen, s. BIGFAM in diesem Heft.

Die BAFM hat als Fachverband, der sich die Förderung derFamilienmediation auf seine Fahnen geschrieben hat, schonseit Jahren darauf hingewiesen, dass in diesem Bereich keinfreier Markt besteht; allein schon deshalb, weil der überwie-gende Teil, der in Frage kommenden Personen als einkom-mensschwach gilt und nicht in der Lage ist, den marktübli-chen Preis für eine Mediation zu zahlen. Um diesem Per-sonenkreis einen Zugang zur Mediation zu ermöglichen,hat die BAFM bereits 2007 die Einführung einer Media-tionskostenhilfe vorgeschlagen, die ähnlich wie die Verfah-renskostenhilfe bei Familienstreitigkeiten funktionierenkönnte. Die Bundesländer klagen seit Jahren über den An-stieg der Ausgaben für die an einkommensschwache Per-sonen gewährte Prozesskostenhilfe. Die Möglichkeit, dasseine Mediationskostenhilfe zu einer Senkung dieser Aus-gaben führen könnte, wurde bislang nicht wissenschaftlichevaluiert. Aus den halbjährigen Treffen der BAFM mit denVertretern der beratenden Berufe in der Verbandskonferenzist das Problem schon lange ein Thema und wir wissenauch, dass sich regional sehr verschiedene Praktiken heraus-gebildet haben, um mehr Eltern den Zugang zur Mediationzu ermöglichen. Aus diesem Grunde wurden die Fragennicht nur an die Justizministerien sondern auch an die 16für Familie und Jugendhilfe zuständigen Länderministeriengeschickt.

2. Güterichter als Alibi?

Interessant ist, dass mit dem Problem der einkommens-schwachen Eltern sehr unterschiedlich umgegangen wird.Die häufigste Antwort war der Verweis auf die Möglichkeit,dass man nach dem Mediationsgesetz Güterichter institu-tionalisiert habe, die – für die Streitparteien ohne zusätzli-che Kosten – den Streit bearbeiten. Obwohl Güterrichternicht auf Mediation als zentrale Methode der Streitbeile-gung verpflichtet sind und sich auch nicht Mediatoren nen-nen dürfen, gelten sie doch als wichtigstes Instrument einergerichtsinternen Mediation. Die Möglichkeit, dass freie, au-ßergerichtliche Mediatoren herangezogen werden können,würde sofort die Frage nach deren Bezahlung aufwerfenund wird fast wie ein Tabu behandelt. Unberath/Fischerdrücken das in ihrem Kommentar zum Mediationsgesetzdeutlicher aus: „Im Vergleich zum Güterichterverfahren un-ter Einsatz mediativer Techniken, bei dem keine weiterenGerichtskosten anfallen, steht sonst die zwar nach Klageer-hebung, aber nicht durch Güterichter durchgeführte Media-tion auf verlorenem Posten.“3 Das demonstriert ein an sichgut gemeinter Paragraphen im Familienrecht: Nach § 135

FamFG hat der Familienrichter die Möglichkeit anzuord-nen, dass die Streitparteien an einer kostenlosen Beratungüber Mediation teilnehmen. Doch was soll einem einkom-mensschwachen Elternteil geraten werden, wenn er nachden Kosten dieser Mediation fragt und wenn er fragt, wie ersie aufbringen kann? Mediation ist keine im SGB VIII auf-gezählte Pflichtleistung, die von der Jugendhilfe bundesweitden Eltern kostenlos zur Verfügung steht.

3. Mediation als Pflichtleistung nach SGB VIII?

Noch komplizierter wird es, wenn man in Erwägung zieht,dass ein konsensuales Verfahren, also Mediation, am bestenbereits dann stattfinden sollte, wenn der Streit noch nichthocheskaliert ist, also der Gang zum Gericht noch nichtzwingend notwendig erscheint. Hier kommen die Anwälte,aber auch die Fachkräfte der Jugendhilfe und Beratungsstel-len, in den Blick. Sind sie in der Lage, Mediation anzubietenoder den Zugang dazu zu eröffnen? Die Justizministerienwissen oft nicht, welche Mediationsmöglichkeiten im Rah-men der Jugendhilfe – sowohl des ASD (Allgemeiner Sozial-dienst) als auch der Beratungsstellen der Freien Jugendhilfe-träger – existieren. Reinhard Wiesner der maßgebliche„Konstrukteur“ des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1990hat auf der Mediationstagung zur Familienmediation 2003in Bad Boll dargelegt, dass man Mediation als Pflichtleis-tung einbauen würde, wenn man das Gesetz heute neuüberarbeiten müsste und er hat auch Vorschläge dazu ge-macht.4

Davon sind die Bundesländer noch weit entfernt. Dennochist erstaunlich, auf welche Weise in einzelnen Regionen Me-diationsangebote für einkommensschwache Eltern zustandekommen. Die Ministerien verweisen auf verschiedene Bera-tungsangebote. Die Großstädte halten oft staatlich geförder-te „Projekte“ vor, wie die ÖRA (Öffentliche Rechtsaus-kunftsstelle) in Hamburg, das ZiF (Zusammenwirken imFamilienkonflikt) in Berlin, die Mediationszentrale in Mün-chen. Nordrhein-Westfalen benutzt eine Förderrichtlinienach den §§ 90/91 des SGB VIII, um Familienmediation zufinanzieren. Baden-Württemberg hat Arbeitskreise „Eltern-konsens“ gegründet und bezieht sich dabei auf § 156FamFG.

Die BAFM weiß aus der Verbandskonferenz, dass vereinzeltJugendämter Mediation als „Hilfe zur Erziehung“(§ 27SGB VIII) finanzieren oder als Beratungsleistung über§§ 17/18 SGB VIII mit externen Mediatoren abrechnen.

Manche Bundesländer haben noch aus „grundsätzliche Er-wägungen „(Sachsen) keine Entscheidungen getroffen, an-dere Bundesländer wollen nicht Vorreiter sein und zeigeneine abwartende Haltung, „bis die Gesamt-evaluation aufBundesebene vorliegt“ (Rheinland-Pfalz).

ZKM 4/2016 Hans-Dieter Will | Zugang zur Mediation 149

2 Frage an alle 16 Bundesländer: „Bitte teilen Sie uns bis zum 25.2.2016mit, 1) Ob in Ihrem Bundesland von § 7 MediationsG Gebrauch ge-macht wird? 2) Welche Schritte Sie zur Lösung des Problems der me-diationsbereiten, einkommensschwachen Eltern in Ihrem Bundeslandunternommen haben?

3 Fischer/Unberath, Das neue Mediationsgesetz, München 2013, S. 43.4 Ev. Akademie Bad Boll, Familienmediation. Ihre gesetzliche Veranke-rung durch Wissenschaft und Politik, Protokolldienst 6/2003, S. 59 ff.

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4. Fazit

Die Experimentierklausel des § 7 MediationsG wurde nichtgenutzt und damit eine Chance die Weiterentwicklung derFamilienmediation auf eine wissenschaftliche Grundlage zustellen, vergeben. Zugleich ist ein Flickenteppich verschie-denster Initiativen entstanden, die einer Auswertung, Ab-stimmung und Generalisierung bedürfen, um nicht Famili-enmediation für ärmere Eltern zum Lotteriespiel werden zulassen. Anknüpfungspunkte gibt es genug. Es fehlt der ent-scheidende Akteur, der verhindert, dass der „Mediations-

zugang für alle“ den Machtspielen föderalistischer Interes-sen zum Opfer fällt.

Prof. Dr. Hans-Dieter Will

Fachhochschule Erfurt, Sprecher der BAFM

[email protected]

Gisela Mähler und Hans-Georg Mähler

Cooperative Praxis: Fürsprecher-system im mediativen Bewusst-sein

Cooperative Praxis (engl.: collaborative practice/collabora-tive law) ist wie die Mediation ein auf Konsens ausgerich-tetes Verfahren.

Wie die Mediation lebt das Verfahren von der Akzeptanzder Unterschiedlichkeit, der subjektiven Wirklichkeitssich-ten, der jeweiligen Interessen und vom Rhythmus der Ver-ständigungsdynamik: Dependence, Independence, Interde-pendence. Im Unterschied zum Mediationsverfahren habendie Konfliktpartner Fürsprecher an ihrer Seite, je nach Kon-fliktfeld Anwälte und/oder Coaches, die ihnen persönlich,emotional, rechtlich und wirtschaftlich zur Seite stehen. Zu-sätzlich können neutrale Experten, z.B. Kinderspezialisten,beigezogen werden. Alle professionell Beteiligten sind in ih-rer Tätigkeit darauf ausgerichtet, die Konfliktpartner darinzu unterstützen, selbstverantwortlich eine Einigung herbei-zuführen. Deshalb verpflichten sich alle, insbesondere auchdie Anwälte, nicht vor Gericht aufzutreten, falls die Ver-handlungen scheitern. Diese Disqualifikationsklausel sowieüberhaupt die vertrauliche Abschirmung gegenüber Dritt-entscheidungsverfahren ermöglicht untereinander eineSchweigepflichtsentbindung, die die am Verfahren beteilig-ten Professionellen befähigt, in einem „Team“ das Verfahrenohne die Konfliktpartner zu reflektieren und es so zu opti-mieren.

Das ist das eigentlich Neue: Dass parteiliche Fürsprecheraus einer Metaebene ihre Rolle und den Verfahrensablauf(nicht die Inhalte) betrachten, um so zeiteffektiv das Ver-ständnis unter den Konfliktpartnern zu fördern und deren„eigentliche“ Zukunftsinteressen in den Mittelpunkt desVerfahrens rücken zu können.

Das Verfahren hat sich inzwischen in vielen Ländern be-währt. „Erfunden“ vor etwa 25 Jahren beim KonfliktfeldTrennung und Scheidung in den USA, ist es heute heimischz.B. in Australien, in Kanada und in vielen europäischenLändern wie England, Schottland, den Niederlanden, Bel-gien, Frankreich, Italien, Tschechien, Österreich und derSchweiz. Wir haben es in Deutschland im Jahre 2007 einge-führt.1 Es kann vor allem bei Konflikten mit Beziehungshin-tergrund eingesetzt werden, also außer bei Familienkonflik-ten z.B. bei Streitigkeiten unter Gesellschaftern, bei der Ver-mögens- und Unternehmensnachfolge, Erbangelegenheitenoder z.B. anstelle einer Einigungsstelle bei Konflikten zwi-schen Geschäftsführung und Betriebsrat.

International ist die collaborative practice über die IACP or-ganisiert,2 die über 4.000 Mitglieder vereint. In der BRDsind in Cooperativer Praxis inzwischen mehr als 250 Per-sonen ausgebildet. Für die Ausbildung zugelassen sind aus-

Gisela Mähler und Hans-Georg Mähler | Cooperative Praxis: Fürsprechersystem im mediativen Bewusstsein ZKM 4/2016150

* Grundlegend zum Thema: Mähler/Mähler, ZKM 2009, 1 ff.; Engel,ZKM 2010, 112 ff.; seine Dissertation Collaborative Law, Mohr Siebeck2010, hat die Methode für den deutschen Rechtskreis wissenschaftlichfundiert. Engel wurde für die Arbeit mit dem Mediations-Wissen-schaftspreis der Centrale für Mediation ausgezeichnet.

1 Die Ausbildung ist vor allem vom Eidos Projekt Mediation organisiertworden.

2 www.collaborativepractice.com.

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schließlich Mediatoren, sonst könnte man die Ausbildungnicht auf 22 Stunden begrenzen. Vereint sind die Mitgliederin regionalen Verbänden, zur Zeit in München,3 in Freiburg(Südwest),4 in Köln (Rheinland)5 und in Frankfurt. Gegen-wärtig entsteht ein Verband in Schleswig-Holstein unterEinschluss von Hamburg. Möglich sind auch Verbände fürBerufssparten, ein solcher ist in Gründung für C. P. im Me-dizinbereich. Solche Vereinigungen sind notwendig, weilman synchron arbeitet, z.B. von den gleichen Aufträgen/Vollmachten ausgehen muss. Die Regionalverbände sind inder Deutschen Vereinigung für Cooperative Praxis6 zusam-mengeschlossen.

Die Praxis ist sehr unterschiedlich entwickelt. In Freiburggibt es Anwälte, die ständig an 5/6 laufenden C.P.-Verfahrenbeteiligt sind. Im Rheinland hat die RechtsanwaltskammerKöln Grundlangen der C.P. veröffentlicht, dort lebt sie vorallem im grenzüberschreitenden Raum und bei Konfliktenvon Trennung und Scheidung. In Schleswig-Holstein wirdgegenwärtig in Pools anhand praktischer Fälle die Zusam-menarbeit eingeübt. In München, dort gibt es – historischbedingt – die meisten ausgebildeten Praktiker für C.P., ha-ben sich verschiedene Pools gebildet. Interessant ist, dasseine Gruppierung vor allem Fälle im Familienbereich prak-tiziert, die aus vorausgegangener psychologischer Beratunghervorgegangen sind.

Insgesamt ist die Praxis, wie bei der Mediation, im Verhält-nis noch geringer als ihr Potential. Es ist absehbar, dass siewachsen wird, weil> sie sich alle Erkenntnisse aus der Mediation zunutze ma-

chen kann,

> die professionell Beteiligten die Fähigkeiten ihres Ur-sprungsberufes einbringen können,

> es zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und der Ko-operations- und Einigungswilligkeit der Kooperations-partner das Fürsprechersystem integriert,

> weil es das erste Verfahren ist, was von den professionellBeteiligten gemeinsam reflektiert und so im Interesse derKonfliktpartner auf der Verfahrensebene gesteuert wer-den kann.

Dr. Gisela Mähler

Rechtsanwältin und Mediatorin.

[email protected]; www.eidos-projekt-media-

tion.de

Dr. Hans-Georg Mähler

Rechtsanwalt und Mediator.

[email protected]; www.eidos-projekt-media-

tion.de

Zur Diskussion gestellt

Peter Röthemeyer

Die Mediation im „Kampf um’sRecht“?

So verdienstvoll Klärungen zum Mediationsbegriff sind,so schwierig scheinen sie zu sein. Welchen Grund mag dasAusmaß des Diskurses haben? Chancen und Risiken des

angestoßenen juristischen Klärungsprozesses sind zu hin-terfragen.

ZKM 4/2016 Peter Röthemeyer | Die Mediation im „Kampf um’s Recht“? 151

3 www.cooperative-praxis.de.4 www.cooperative-praxis-suedwest.de.

5 www.cp-rheinland.de/cooperativepraxis.6 www.deutsche-vereinigung-cooperative-praxis.de.

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1. Der Weihnachtseffekt

Greger1 hat durch seine Initiative zur Klärung des Media-tionsbegriffs einen breiten und intensiven Diskurs aus-gelöst.2 Wer den Gründen nachspüren möchte, dem sei eineMetapher angeboten: Jeder im hiesigen Religions- und Kul-turkreis hat eine bestimmte Vorstellung von Weihnachten,jeder weiß in gewisser Weise definitiv, wie diese Tage struk-turiert sind, wann und wie Bescherung ist, was gekocht wird– kurzum: wie Weihnachten „geht“. Und deshalb weiß mannatürlich auch, wie es nicht geht. Kommt man mit einer an-deren Vorstellung von Weihnachten in Kontakt, kann esleicht zu Enttäuschungen oder Schlimmerem kommen.

Genau dies könnte der Mediation passiert sein. Das vor-gesetzliche Verständnis war desperat. Das MediationsG hät-te für Klarheit sorgen können. Dessen Definitionen sind al-lerdings genauer besehen3 derart unbestimmt, dass jeder da-rin sein je eigenes Verständnis von Mediation wiederfindenkann. Dass das individuelle Vorverständnis bei der Aus-legung von Gesetzen bedeutsam ist, ist weder neu noch ver-meidbar. Die im Allgemeinen sehr positive und auch emo-tionale Vorprägung der Mediatoren aber mag eine affektiveBindung zur „eigenen“ Mediation aufgebaut haben (Weih-nachtseffekt), die stärker scheint als der Gesetzestext. Soff-ner hat die juristische Literatur analysiert und kommt zudem Ergebnis, dass viele Auffassungen „offenbar allein übereigene fachliche Vorerfahrungen“ begründet werden undhäufig „das jeweilige Fachverständnis des Autors mit der ge-setzlichen Vorgabe gleichgesetzt wird.“4 Diese subjektiveAuslegungstendenz fiel solange kaum auf, wie ein Abgleichder verschiedenen Verständnisse unterblieb bzw. die Sicht-weise der anderen (stillschweigend) toleriert wurde. DerVersuch der rechtsorientierten Abgrenzung scheint die Un-terschiedlichkeit der Vorverständnisse nun offen zu legen.

2. Zur juristischen Einordnung des Diskurses

Die Unbestimmtheit des Mediationsbegriffs ist nicht etwaein Mangel des MediationsG, sondern sein Programm. DieBegründung des Regierungsentwurfs betont, dass eine „ab-schließende Regelung eines klar umgrenzten Berufsbildes“unterbleibe, um die dynamische Entwicklung der Mediation„nur im Rahmen des Erforderlichen“ zu beschränken.5

Dazu gehört auch die Achtung des vom Gesetzgeber gleich-falls hervorgehobenen6 Einflusses der Parteien auf das Ver-fahren.7 In diesem Lichte sei in aller Kürze eine Einordnungdes aktuellen Diskurses versucht.

Soweit Greger der Telefon-Mediation und beiläufig auch derShuttle-Mediation die Struktur bestreitet8, wird jedenfallsaus dem beschriebenen Verfahren das Fehlen einer Strukturnicht deutlich. Auch die Eigenverantwortlichkeit scheint aufBasis des geschilderten Ablaufs nicht a priori ausgeschlos-sen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb am Telefon nichtmit Struktur unter Beachtung der Eigenverantwortlichkeitsollte agiert werden können.

Soweit Greger bei der Klärungshilfe und dem Täter-Opfer-Ausgleich die Freiwilligkeit vermisst, scheint dieser Begriffnoch näherer Klärung zu bedürfen. Nach Art. 3 lit. a Satz 2Mediations-RL kann die Mediation „nach dem Recht einesMitgliedstaats vorgeschrieben“ sein. Der deutsche Media-tionsgesetzgeber hält unter Aufgreifen dieses Gedankens fürmit dem Freiwilligkeitsprinzip vereinbar, „wenn die Media-tion von einem Gericht vorgeschlagen, angeordnet oder ge-setzlich vorgeschrieben wird.“9 Es liegt nahe, bei der sehrvielschichtigen Analyse10 zwischen Initial- und Durchfüh-rungsdruck zu unterscheiden.

Zu Begriffen wie Deal-, Stellvertreter- oder Kreditmediationkönnte man auf juristischer11 Ebene erwägen, die feinsinni-ge Unterscheidung von Mediation als Verfahren und Media-tion als Methode, die Greger der Gesetzgebung entnimmt12,fruchtbar zu machen: Vielleicht ist in den geschilderten Zu-sammenhängen ja Mediation (nur) als Methode gemeint?

Ferner sollte methodisch zwischen Fehlgebrauch des Media-tionsbegriffs und Fehlanwendung des MediationsG unter-schieden werden. Die Definition der Mediation findet sichin § 1 MediationsG, die weiteren Bestimmungen setzen denMediationsbegriff voraus und können allenfalls zur Konkre-tisierung der Definitionsmerkmale herangezogen werden.Die Verletzung definitionsunkritischer Pflichten führt nichtzur Verneinung des Mediationsbegriffs. Man wird einemMediator, der z.B. gegen die Verschwiegenheitspflicht13 aus§ 4 MediationsG verstößt, nicht gestatten (wollen), sich mitdem Hinweis zu entlasten, gerade wegen dieses Verstoßeshandele es sich nicht um Mediation.

Wenn also der Shuttle-Mediator – was man bezweifelnkann14 – nach den Kommunikationsregeln aus § 2 Abs. 3und 5 MediationsG eine gemeinsame Mediationssitzung

Peter Röthemeyer | Die Mediation im „Kampf um’s Recht“? ZKM 4/2016152

1 Greger, ZKM 2015, 172 ff.2 Trenczek, ZKM 2016, 4 ff.; Eidenmüller, Beilage zu ZIP 22/2016, 18 ff.;

Fritz/Krabbe, ZKM 2016, 103 f.; Prior, ZKM 2016, 105 f.3 Vgl. Soffner, Mediation im Sozialrecht, Dissertation Hannover 2015 (imErscheinen), Teil 2 § 1 B.II.

4 Soffner, s. Fn. 3, Teil 2 § 1 B.II.2.b; man halte ihnen nicht entgegen, derMediator solle bei spezifischen Wünschen der Parteien eben ein ande-res Verfahren als Mediation vereinbaren: Verfahrenskasuistische De-tailprüfung und Entwicklungsdynamik scheinen nicht recht miteinan-der vereinbar.

5 BT-Drucks. 17/5335, 14.6 BT-Drucks. 17/5335, 14, 15.7 Vgl. auch Fritz/Krabbe, ZKM 2016, 103, und Eidenmüller, Beilage zuZIP 22/2016, 18 (20).

8 Greger, ZKM 2015, 172 (173).

9 BT-Drucks. 17/5335, 14.10 Vgl. zum Streitstand Soffner, s. Fn. 3, Teil 2 § 1 A.II.1b und Teil 2 § 1 B.

II.2d; ferner Trenczek, ZKM 2016, 4, 6 f.; grundlegend Eidenmüller, JZ2015, 539 ff.

11 Marktstrategisch könnte man ein solches öffentliches „branding“ auchpositiv einschätzen.

12 Greger, ZKM 2015, 172 (174); allerdings: Wenn man überhaupt an-nimmt, dass der Gesetzgeber zwischen Methode und Verfahren unter-scheiden wollte, liegt die Deutung nahe, dass er dem Güterichter Me-thodenfreiheit ohne Bindung an explizite Verfahren einräumen wollteund hierzu die Mediation zählte, auch wenn sie nicht nur Methode ist.

13 Um ein Element zu nennen, das sogar in § 1 MediationsG genannt ist,wegen der Disponibilität aber nicht Wesensmerkmal ist; vgl. Greger inGreger/Unberath Rz. 4, 45 f. zu § 1.

14 Vgl. Eidenmüller, Beilage zu ZIP 22/2016, 18 (20).

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durchführen müsste15, führte ein Verzicht hierauf vielleichtzu einer schlechten oder fehlerhaften Mediation, sie ist aber– nicht deshalb – keine Mediation. Wenn der von einigenRechtsschutzversicherern so genannten Telefon-Mediationentgegengehalten wird16, sie verstoße gegen das Mediator-auswahlrecht aus § 2 Abs. 1 MediationsG – was man mitdem Bundesgerichtshof17 bezweifeln kann -, gegen das Vor-befassungsverbot aus § 3 Abs. 2 MediationsG und/oder dieUnabhängigkeitspflicht,18 dann mag man im Einzelfall ei-nen Verstoß gegen den Mediationsvertrag sehen oder dieVersicherer-AGB für unwirksam halten. Aber auch hier gilt:Ein Verfahren ist nicht (allein) wegen Verstoßes gegen dasMediationsG keine Mediation. Auch wenn man die – aberwohl unberechtigte19 – Sorge hat, die Kurzzeitmediationkönne zur Verletzung etwa des § 2 Abs. 3 Satz 2 Media-tionsG führen, scheint der Appell, den Mediationsbegriff zuvermeiden, überzogen.

3. Implikationen der juristischen Begriffsklärung

So wie der Weihnachtsbegriff in Familie und Gesellschaftkönnte der Mediationsbegriff unter Mediatoren ausgehan-delt werden. Nun scheint aber mit dem Schritt ins Recht20

die Deutungshoheit an dieses und dessen Protagonisten ab-gegeben zu sein. Natürlich können und werden hierzu ange-rufene Gerichte in Wettbewerbs- und Haftungsprozessenden Mediationsbegriff schärfen, also ggf. prüfen, ob der An-bieter kritischer Dienstleistungen zu Recht von Mediationspricht, ob er (in umgekehrter Richtung) in Befolgung desRats, den Begriff „Moderation“ zu verwenden, das Media-tionsG und damit den Vertrag und/oder das Lauterkeits-recht verletzt, ob im „Caucus“ hätte ein (persönliches?)Erstgespräch stattfinden müssen. Ebenso mögen Gerichtegezwungen sein, bei der Vernehmung eines Zeugen die Fra-ge zu klären, ob dem „Mediator“ oder „Moderator“ einZeugnisverweigerungsrecht zusteht. Zu diesen Fragen wirdes bei europarechtskonformer Auslegung darauf ankom-men, ob tatsächlich Mediation im Sinne des Gesetzesdurchgeführt wurde.21 Denn Art. 3 Mediations-RL bean-sprucht (a priori für grenzüberschreitende Sachverhalte)Geltung für Mediation und Mediatoren „unabhängig vonseiner/ihrer Bezeichnung“.

Gerichte werden diese Klärungen verbindlich und zuverläs-sig herbeiführen, allerdings bei der Komplexität der Materieund Abhängigkeit von entsprechender „Zulieferung“ kaumschnell und umfassend. Soll man bis zur Klärung des Me-diationsbegriffs ggf. durch höchstrichterliche Rechtspre-chung empfehlen, einerseits von „Moderation“ zu sprechen,andererseits vorsorglich das MediationsG einzuhalten? Einderart defensiver Umgang mit der eigenen Profession wärewohl auch aus Marktentwicklungssicht misslich.

Man kommt an der Reflexion des Umstands kaum vorbei,dass sich die Mediation für ihre Entwicklung ausgerechnetdes Rechts bedient, eingedenk dessen Begrenztheit sie (wohlüberhaupt nur) existiert. Damit könnte sich die Sorge der„Verrechtlichung“ der Mediation, die im Rahmen des Ge-setzgebungsverfahrens vornehmlich von nichtjuristischenMediatoren geäußert wurde, doch noch bestätigen.

Diese Entwicklung mag gleichwohl notwendig, jedenfallskaum aufzuhalten sein22. Es sollte aber zumindest ein Ge-gengewicht gesetzt werden. Wichtiger als juristische Ab-grenzung erscheint gerade mit Blick auf die vom Gesetz-geber zu Recht angesprochene Entwicklungsdynamik dermethodische Vergleich – fokussiert auf Aspekte von Indika-tion und Qualität. Ein zum Konflikt passendes und gutdurchgeführtes Verfahren, das Mediation genannt wird,wirbt im Übrigen für Mediation, auch wenn es sich nichtum Mediation im Gesetzessinne handelt – jedenfalls besserals der öffentliche Streit der Mediatoren darum, was Media-tion sei.

Peter Röthemeyer

Jurist und ausgebildeter Mediator, Niedersächsisches Justiz-

ministerium, Hannover

ZKM 4/2016 Peter Röthemeyer | Die Mediation im „Kampf um’s Recht“? 153

15 So Greger, ZKM 2015, 172; ob dazu auch eine Telefon- oder Videokon-ferenz ausreicht, bleibt freilich offen.

16 Greger, ZKM 2015, 172 (173).17 BGH, Beschl. v. 14.1.2016 – I ZR 98/15, ZKM 2016, 107 (108); vgl.

auch Röthemeyer, ZKM 2014, 203 ff.18 Diese hält der BGH, s. Fn. 17, für disponibel.

19 Vgl. Fritz/Krabbe, ZKM 2016, 103 f.20 Hier liegt der Unterschied zum Weihnachtsbegriff (man stelle sich vor,

„Weihnachten“ wäre gesetzlich geregelt).21 Selbst das kann man anders sehen, vgl. Soffner, s. Fn. 3, Teil 2 § 1 B.II.1.22 Freilich fördert der öffentliche Streit um (vermeintlichen) Fehlgebrauch

den „Kampf um’s Recht“ (Rudolf von Jhering).

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Wissenswertes

Corporate Pledge – Unternehmens-

initiative für ein differenziertes Konflikt-

management

Im Kontext der Konfliktlösung versteht man unter einerCorporate-Pledge-Erklärung die publizierte, freiwilligeSelbstverpflichtung eines Unternehmens oder einer Unter-nehmensgruppe, im Fall eines Konflikts mit einem anderenUnternehmen die Methoden der außergerichtlichen Streit-beilegung als grundsätzlich gleichwertige Alternative zu Ge-richts- oder Schiedsgerichtsverfahren zu berücksichtigen,ihre Anwendung ernsthaft zu prüfen oder zumindest in Be-tracht zu ziehen.

Auf Initiative des Round Table Mediation & Konfliktmana-gement der Deutschen Wirtschaft (RTMKM) wurde – unterder Bezeichnung Conflict Management Codex – eine Fas-sung eines solchen Corporate Pledges erarbeitet, die es Un-ternehmen ermöglicht, durch Unterzeichnung sofort spür-und messbare Impulse zur Optimierung ihres externenKonfliktmanagements zu setzen.

Die Kernaussage des Conflict Management Codex lautetwie folgt: „Wir streben an, dass Konflikte mit dem zur indivi-duellen Streitbeilegung bestmöglich geeigneten Verfahren bei-gelegt werden. Aus diesem Grunde erklären wir uns grund-sätzlich bereit, im Konfliktfall alle in Betracht kommendenStreitbeilegungsverfahren ergebnisoffen zu prüfen. Soweit sichein außergerichtliches Verfahren unter Berücksichtigung un-serer Unternehmens- und Verfahrensinteressen gegenüber ei-nem Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren als vorteilhaftdarstellt, sind wir bereit, mit unseren Geschäftspartnern dieMöglichkeit der Vereinbarung und Durchführung dieses Ver-fahrens zu erörtern.“

Analog zu ähnlichen Initiativen, die insbesondere in denUSA mit über 4.000 unterzeichnenden Unternehmen großeErfolge verzeichnet haben, besteht mit dem Conflict Ma-nagement Codex nun auch für deutsche Unternehmen dieMöglichkeit, die Vorteile einer solchen Verlautbarung fürsich nutzbar zu machen.

Eine Vorfestlegung auf ein bestimmtes Verfahren erfolgt da-bei nicht. Der Conflict Management Codex ist als freiwilligeSelbstverpflichtung ohne rechtlichen Bindungscharakterkonzipiert. Mitwirkende Unternehmen behalten die volleEntscheidungsautorität, ob sie im Einzelfall mit ihrem Ge-schäftspartner Gespräche über die Vereinbarung eines au-ßergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens aufnehmenoder es bei der vertraglichen Regelung (die meist ein Ge-richts- oder Schiedsgerichtsverfahren vorsehen wird) belas-sen. Die Erklärung des Unternehmens, ADR-Verfahren ge-nerell als grundsätzlich gleichwertige Optionen einer Streit-beilegung anzusehen, wirkt allerdings der möglichen Fehl-interpretation entgegen, dass der Vorschlag der Durchfüh-rung eines außergerichtlichen Verfahrens - wie etwa der

Mediation oder Adjudikation - als mangelndes Vertrauen indie gerichtliche Durchsetzbarkeit der eigenen Rechtspositi-on gewertet wird. Damit wird eine differenzierte Streitbeile-gungspraxis gefördert und eine offene Diskussion darüberermöglicht, welches Konfliktlösungsverfahren – z.B. unterZeit- und Kostenaspekten sowie unter Berücksichtigung derAuswirkung auf die bestehende Geschäftsbeziehung - ambesten zum jeweils vorliegenden Konflikt passt und infolge-dessen im Einvernehmen mit dem jeweiligen Geschäftspart-ner vereinbart werden kann.

Interessensbekundungen von Unternehmen nimmt derRTMKM ab sofort entgegen. Im Rahmen der Tagung Kon-fliktmanagement V, die am 6./7.10.2016 an der BuceriusLaw School in Hamburg stattfinden wird, ist sodann dieZeichnung des Conflict Management Codex als Programm-punkt vorgesehen.

Dr. Jürgen Klowait, Neuss

Reinhard Greger 70

Professor Dr. Reinhard Greger feiert am 20. August 2016 sei-nen 70. Geburtstag. Anlass, einen herausragenden Juristenund Wissenschaftler zu würdigen, der den Lesern dieserZeitschrift als äußerst aktiver Autor und langjähriges Mit-glied des Redaktionsbeirats bestens bekannt ist.

Reinhard Greger war von 1975 bis 1996 im bayerischen Jus-tizdienst sowie als Richter am Bundesgerichtshof tätig, woer dem II. Zivilsenat angehörte. Anschließend hatte er biszu seiner Emeritierung im Jahr 2011 den Lehrstuhl für Bür-gerliches Recht, Zivilprozessrecht und freiwillige Gerichts-barkeit an der Universität Erlangen-Nürnberg inne. Diversebedeutende Publikationen, stammen aus dieser Zeit, in derer sich wissenschaftlich insbesondere in den Bereichen desZivilprozessrechts und des Haftungsrecht betätigt hat – u.a.seit über 23 Jahren als Mitautor des Zöller, Kommentarzum Zivilprozessrecht. Jetzt genießt der Jubilar schon fünfJahre den Ruhestand, seine Schaffenskraft ist jedoch unge-brochen. Im Gegenteil, er nutzt die neu gewonnene Zeit fürdas Thema, das ihm ganz besonders am Herzen liegt: die al-ternative Streitbeilegung. Unermüdlich und mit großem En-gagement setzt er sich für die verschiedensten Formen deraußergerichtlichen Konfliktlösung ein. Insbesondere dieEinführung des Güterichterverfahrens in ganz Deutschlandhat Reinhard Greger durch wissenschaftliche Erkenntnisseund richtungsweisende Forschungsprojekte geprägt. Diewissenschaftliche Begleitung und Evaluation verschiedenerModellversuche und Projekte einzelner Länder, zahlreichePublikationen, die Einrichtung und Pflege der Online-Platt-form des Güterichterforums sind hier ebenso wie seine Tä-tigkeit für die bayerische Justiz hervorzuheben, als er die Ar-beitsgruppe zur Implementierung des Güterichterverfahrensan allen bayerischen Gerichten geleitet und das Aus- undFortbildungsprogramm für die bayerischen Güterichter

Wissenswertes ZKM 4/2016154

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maßgeblich mitgestaltet hat. Für sein Engagement wurdeReinhard Greger 2014 mit der Medaille für besondere Ver-dienste um die Bayerische Justiz ausgezeichnet. Zu seinemrunden Geburtstag wünsche ich ihm alles erdenklich Gute,Gesundheit und weiterhin viel Erfolg in seinen Bemühun-gen um die alternative Streitbeilegung und die Effektivie-rung des Zivilprozesses und danke ihm für unsere Zusam-menarbeit, die für mich dank seines immer freundlichenund bescheidenen Wesens und seiner herausragendenRechtskenntnissen stets eine Freude und Bereicherung war.

Dr. Beatrix Schobel, Vizepräsidentin des LG München I

Die Allgemeine Verbraucherschlichtungs-

stelle am Zentrum für Schlichtung e.V.

Die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle am Zentrumfür Schlichtung e.V. wurde zum 1.4.2016 im Zuge des In-krafttretens des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes(VSBG) eingerichtet und durch das Bundesamt für Justizals Verbraucherschlichtungsstelle anerkannt.

Die Stelle wird bis Ende des Jahres 2019 vom BMJV geför-dert, um Lücken im vorhandenen Schlichtungsangebot fürVerbraucher zu schließen. Die in Deutschland seit Jahren

bestehende Schlichtungslandschaft soll keineswegs ersetzt,sondern vielmehr ergänzt werden, ganz i.S.v. Art. 5 derADR-Richtlinie 2013/11/EU. Ziel ist es, dass Verbraucher inden Bereichen, in denen es keine branchenspezifischenSchlichtungsstellen gibt, bei einer Streitigkeit mit einem Un-ternehmer stets die Allgemeine Verbraucherschlichtungs-stelle anrufen können. Der sachliche und örtliche Zustän-digkeitsbereich ist entsprechend weit gefasst und ergibt sichaus § 4 Abs. 2 Satz 2 VSBG. Solange eine Allgemeine Ver-braucherschlichtungsstelle mit bundesweiter Zuständigkeitexistiert, müssen die Länder keine Universalschlichtungs-stellen nach §§ 29 ff. VSBG einrichten.

In den ersten Monaten konnte bei der Allgemeinen Ver-braucherschlichtungsstelle ein konstanter Eingang vonSchlichtungsanträgen verzeichnet werden, sowohl Verbrau-cher als auch Unternehmer kamen dabei aus sämtlichenBundesländern. Auch erste Anträge von Verbrauchern an-derer EU-Staaten gingen bereits ein, wenn auch in verhält-nismäßig geringer Zahl. Weiterhin zeigt sich in der Praxisein inhaltlich breites Spektrum an Verbraucherstreitigkei-ten. Dabei ist zu beobachten, dass die Mehrheit der Ver-braucher Anträge einreicht, für die es (noch) kein bran-chenspezifisches Schlichtungsangebot gibt.

Felix Braun, Vorstand Zentrum für Schlichtung

Literaturschau

Heidi Neumann-Wirsig (Hrsg.), Lösungsorientierte Supervisions-Tools

managerSeminare 2016, 350 S., 49,90 €, ISBN 978-3958910126

Herausgeberin Heidi Neumann-Wirsig legt mit dem Praxis-handbuch „Lösungsorientierte Supervisions-Tools“ einenTitel vor, der zwar in erster Linie für die Supervision ge-dacht ist. Der Fokus der Lösungsorientierung ist jedochauch im Coaching und in der Mediation originär geeignet,Konflikte in Chancen zu verwandeln. Von daher sollten sichalle eingeladen fühlen, das Praxisbuch in die Hand zu neh-men, die mit Leichtigkeit in die Tiefe der Lösungsorientie-rung gehen wollen.

Der „Blick nach vorne“ eint die Sammlung abwechslungs-reicher, kreativer und inspirierender Tools. Eine besondereQualität erhält das Buch dadurch, dass es Methoden vor-stellt, die dem Beratungsprozess einen ergebnisoffenen undanpassungsfähigen Verlauf ermöglichen. Die Praktikabilitätdes Praxishandbuchs wird durch eine Übersichtstabelle undeine thematische Schwerpunktbildung erreicht. Die Tabelleunterscheidet nach Phase, Setting, Tool und klärt die Eig-nung für Einzel-, Gruppen- oder Teamsupervision. Dabeibleibt jedoch weitgehend unklar, für welche Branchen dieTools eingesetzt wurden, für welche sie sonst noch geeignetsind und für welche nicht. Manchmal wäre dies für den Le-ser eine interessante Zusatzinformation.

Die Themen folgen der Logik eines Beratungsprozesses. Esgeht los mit der Überschrift „Kooperationen aufbauen, An-fänge gestalten“. Gute Ideen wie Lobkärtchen stehen (wieandere Arbeitsmittel auch) im Downloadbereich zum Buchzur Verfügung.

Der rein von der Tool-Anzahl gesehen umfänglichste Teildes Buches beschäftigt sich mit dem Thema „Schritte aufdem Weg zum Ziel/zur Lösung“. Räume, Bilder, Märchen,Dialogformen und Analogien werden genutzt, um Men-schen in neue Denkprozesse zu führen. „Klimakonferenz“,„Waschzettel“ „Perspektivkarten“ oder „Spaziergang durchdie Zeiten“ zielen darauf ab, Bewegung in den Prozess zubringen. Der abschließende Teil heißt „Fortschritte erkun-den“, wo z.B. Möglichkeiten aufgezeigt werden, Selbstwirk-samkeit erlebbar zu machen.

Das Handbuch kommt an vielen Stellen wie eine Inspirati-onsquelle daher und überrascht bei im ersten Moment be-kannt wirkende Methodenbeschreibungen mit nützlichenkreativen Anregungen. Kompetenz und Phantasie gebensich häufig die Hand.

Kristina Oldenburg, Frankfurt

ZKM 4/2016 Literaturschau 155

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Norwegische Studie zu verpflichtender Scheidungsmediation

Tjersland/Gulbrandsen/Haavind: Mandatory MediationOutside the Court: A Process and Effect Study, CRQ Vol. 33no. 1, 19–34.

Aufmerksamkeit verdient eine norwegische Studie aus denJahren 2008–2011, die sich mit den Rahmenbedingungenverpflichtender Scheidungsmediation befasst. In einer Un-tersuchung von rund 120 Paaren mit Kindern unter 16 Jah-ren, die in Norwegen im Vorwege einer Scheidung zur Teil-nahme an (mindestens einer und höchstens sieben kosten-losen) Mediationssitzungen verpflichtet waren, nahmen dieMediatoren und die Parteien unabhängig voneinander eineKlassifizierung des Konflikt-Eskalationsgrades vor, so dasssich eine sog. High Conflict (HC)-Group und eine Ver-gleichsgruppe ergab. Der wesentliche Unterschied zwischenbeiden Gruppen bestand in der Zuversicht, im Rahmen derMediation eine Lösung bezüglich der Kinder zu erzielen, diein der HC-Group weit weniger ausgeprägt war. Vor demHintergrund, dass der Grad der Lösungszuversicht für das

tatsächliche Erreichen einer Lösung auch im therapeuti-schen Kontext für ausschlaggebender gehalten wird als kon-krete Interventionen im Prozess, überraschen die Studien-ergebnisse kaum: Paare aus der HC-Gruppe beendeten dieMediationen nach weniger Sitzungen und erzielten seltenereine Einigung (aber immerhin noch in gut 30 Prozent derFälle) als die Paare aus der Vergleichsgruppe. Je mehr Sit-zungen die Paare aus der HC-Gruppe wahrnahmen, destostärker erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit einer Einigung.Keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppengab es indes mit Blick auf das weit überwiegend positiveFeedback für die Mediatoren. Das Resümee der Forscherlautet u.a., dass Scheidungsmediationsfälle im Ausgangs-punkt auf ihren Eskalationsgrad hin überprüft werden soll-ten, um anschließend ein zum Fall passendes Verfahrens-design mit einer angemessenen Mindestanzahl von Media-tionssitzungen vorzusehen.

Dr. Felix Wendenburg, Berlin

Impressum

zkmZeitschrift für Konfliktmanagement

Redaktion: Dr. Karen Engler (verantwortlich), Adriane Braun (Redaktions-assistenz), Birgit Schumann (Herstellung), Centrale für Mediation, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln, Tel. 02 21/9 37 38–8 21, Fax: –9 26, E-Mail:[email protected], http://www.centrale-fuer-mediation.de.Herausgeber und Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Postfach 51 10 26,50964 Köln. Erfüllungsort und Gerichtsstand ist Köln.Abonnementbestellung: Tel. 02 21/9 37 38–9 97, Fax: –9 43.Anzeigenverkauf: sales friendly Verlagsdienstleistungen, Pfaffenweg 15,53227 Bonn, Tel. 02 28/9 78 98–0, Fax: 02 28/9 78 98–20, E-Mail:[email protected]. Anzeigenpreisliste Nr. 27 vom 1.1.2016.Satz: Griebsch & Rochol Druck GmbH, Gabelsberger Straße 1, 59069Hamm.Druck:msk marketingserviceköln gmbH, www.mzsued.de.Titelfoto: © 1dbrf10/Fotolia.Abonnement: Die ZKM erscheint jeweils zum 15. jeden 2. Monats. Bezugs-preis für das Jahresabonnement 149 €, Einzelheft 29,80 €. Für Mitgliederder Centrale für Mediation ist der Bezug im Mitgliedsbeitrag enthalten.Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. Umsatzsteuer. Bestellungen beijeder Buchhandlung sowie beim Verlag. Kündigungstermin für das Abon-nement 6 Wochen vor Jahresende. Die „Zeitschrift für Konfliktmanage-ment“ ist für die Jahrgänge 1998–1999 unter dem Titel „KON:SENS“ erschie-nen.ISSN 1439-2127 (Print), 2194-4210 (eJournal)Hinweis für den Leser: Der Zeitschrifteninhalt wird nach bestem Wissenerstellt, Haftung und Gewähr müssen jedoch wegen der Komplexität unddem ständigen Wandel der Rechtslage ausgeschlossen werden.

Urheber- und Verlagsrechte: Für unverlangt eingesandte Manuskriptewird keine Haftung übernommen. Manuskripte werden nur zur Alleinver-öffentlichung angenommen. Der Autor versichert, über die urheberrecht-lichen Nutzungsrechte an seinem Beitrag allein verfügen zu können undkeine Rechte Dritter zu verletzen. Mit der Annahme des Manuskripts ge-hen für die Dauer von vier Jahren das ausschließliche, danach das ein-fache Nutzungsrecht vom Autor auf den Verlag über, jeweils auch fürÜbersetzungen, Nachdrucke, Nachdruckgenehmigungen und die Kom-bination mit anderen Werken oder Teilen daraus. Das Nutzungsrecht um-fasst insbesondere auch die Befugnis zur Einspeicherung in Datenbankensowie zur weiteren Vervielfältigung und Verbreitung zu gewerblichenZwecken im Wege fotomechanischer, elektronischer und anderer Verfah-ren einschließlich CD-ROM und Online-Diensten. Die Zeitschrift und alleveröffentlichten Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich ge-schützt. Jede vom Urheberrechtsgesetz nicht ausdrücklich zugelasseneVerwertung bedarf vorheriger schriftlicher Zustimmung des Verlages.Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung, Mi-kroverfilmung und Einspeicherung, Verarbeitung bzw. Wiedergabe in Da-tenbanken oder anderen elektronischen Medien und Systemen. Fotoko-pien dürfen nur als Einzelkopien für den persönlichen Gebrauch her-gestellt werden. Das Zitieren von Rezensionen ist in vollem Umfang er-laubt.Hinweise für Autoren und Einsender: Bitte senden Sie alle Aufsatzmanu-skripte, zum Abdruck bestimmte Gerichtsentscheidungen und Leserbriefeunmittelbar an die Redaktion. Bitte geben Sie möglichst schon bei der Ein-sendung Ihre Bankverbindung an. Die Zahlung einer Pauschalvergütungfür die Einsendung einer Gerichtsentscheidung erfolgt im Falle des Ab-drucks und gilt für die Übertragung des Nutzungsrechts auf den Verlagmit der Maßgabe, die Entscheidung auch in anderen Print- und elektro-nischen Produkten des Verlages, insbesondere anderen Zeitschriften, ver-öffentlichen zu können. Unter Verwendung eines PC-Textverarbeitungs-programms erstellte Manuskripte übersenden Sie bitte im Dateianhangper E-Mail oder auf einem elektronischen Datenträger mit Ausdruck undAngabe des verwendeten Systems.

Literaturschau ZKM 4/2016156

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ZKM 4/2016 Literaturschau 157

RichtigeEntscheidung!

Nedden/Herzberg PraxiskommentarICC-SchO/DIS-SchO Herausgegebenvon RA Jan Heiner Nedden und RA AxelBenjamin Herzberg. Bearbeitet von RADr. Marcel Barth LL.M., RAin NiuschaBassiri, RA Dr. Heiko Alexander Haller,RA Axel Benjamin Herzberg, RA ThomasKlich, RAin Meike von Levetzow, RA Dr.Simon Manner, RA Jan Heiner NeddenM.M., RA Dr. David Quinke LL.M.,RA Dr. Alexander Schilling, RA Dr. NilsSchmidt-Ahrendts, RAin FriederikeStumpe LL.M., RA Dr. Philipp K. WagnerLL.M. 2014, 1.152 Seiten DIN A5, gbd.139,– €. ISBN 978-3-504-47106-4

Wer jetzt zu diesem Praxiskommentar der beiden bedeutendsten Schiedsordnungen im deutschsprachi-gen Raum greift, trifft mit Sicherheit die richtige Entscheidung – ob Sie nun ein echter Schieds-Profi sindoder ein Neueinsteiger im wachstumsstarken Schiedsverfahrensrecht.

In dieser detailliertesten deutschsprachigen Kommentierung der beiden Regelwerke, deren besonderesAugenmerk grenzüberschreitenden Verfahren gilt, kommen die Spezifika kleinerer, rein inländischer Ver-fahren nie zu kurz. Mit ganz konkreten Handlungsempfehlungen zu Strategie und Taktik. Mit deutsch/englischen Mustern, mit Schaubildern, Checklisten und durchgehend stringentem Aufbau. Schauen Siemal rein bei www.otto-schmidt.de

„Der Grundstein für ein neues Standardwerk.“ Dr. Alexander Steinbrecher in NJW 22/2014

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Literaturschau ZKM 4/2016158

40 Verstehenvon Interessen

Günter Fröhlich

45 Organisationspsych

ologie

des Konflikts

Jan Sauer/Silvia Wilfurth/Peter Fischer

56 Das neue VSBG – Ein Überblick

Volker Wiese/Julia Hörnig

62 „Meine drei Kinder solle

nmein Erbe

weiterführen!“ – Ein Praxisfall

Adrian Schweizer

67 KollegialeBeratung –

Ein Erfahrungs-

bericht

Pia Mahlstedt/Christof Berlin/Greg Bond

15. April 2016 | 19. Jahrgan

g | S. 37–76 | Heft 2/16

15 April 2016| 19 Jahrgang

| S 37 76 |

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40 Verstehenvon Interessen

Günter Fröhlich

45 Organisationspsych

ologie

des Konflikts

Jan Sauer/Silvia Wilfurth/Peter Fischer

56 Das neue VSBG – Ein Überblick

Volker Wiese/Julia Hörnig

62 „Meine drei Kinder solle

nmein Erbe

weiterführen!“ – Ein Praxisfall

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40 Verstehenvon Interessen

Günter Fröhlich

45 Organisationspsych

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des Konflikts

Jan Sauer/Silvia Wilfurth/Peter Fischer

56 Das neue VSBG – Ein Überblick

Volker Wiese/Julia Hörnig

62 „Meine drei Kinder solle

nmein Erbe

weiterführen!“ – Ein Praxisfall

Adrian Schweizer

67 KollegialeBeratung –

Ein Erfahrungs-

bericht

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g | S. 37–76 | Heft 2/16

15 Apri 16l 2016

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