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Institut für Umformtechnik und Leichtbau Prof. Dr.-Ing. E. Tekkaya Institut für Spanende Fertigung Prof. Dr.-Ing. D. Biermann
Konstruktive Gestaltung von Werkzeugmaschinen 2-19 Bauelemente spanender Werkzeugmaschinen SS 2010 / Vorlesung 6
2 Bauelemente spanender Werkzeugmaschinen
Dummie-Seite, damit die Bildunterschriften i. O. sind
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Konstruktive Gestaltung von Werkzeugmaschinen 2-20 Bauelemente spanender Werkzeugmaschinen SS 2010 / Vorlesung 6
2.5 Stick-Slip-Effekt
2.6 Lageregelkreis
2.6.1 Aufbau von NC-Maschinen
2.6.2 Die SERCOS-Interface-Spezifikation
2.6.3 Steuerung und Regelung von NC-Achsen
2.6.4 Bahnsteuerungen und Bahnfehler bei der Konturerzeugung mit numerischen Bahnsteuerungen
2.6.5 Geschwindigkeitsverstärkung, Kv-Faktor
2.6.6 Kompensation von Lageregelfehlern
- Look-Ahead
- Feed-Forward
2.7 Linearantriebe
2.7.1 Aufbau Linearmotor
2.7.2 Vergleich verschiedener Antriebskonzepte
2.8 Literatur
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2.5 Stick-Slip-Effekt
Eine im Werkzeugmaschinenbau noch häufig eingesetzte Geradführungsart ist die Gleitführung. Gro-
ße Dämpfungsfähigkeit, hohe Genauigkeit und Steifheit bei vertretbarem Konstruktions- und Ferti-
gungsaufwand sind die wichtigsten Gründe.
Bei Gleitführungen treten abhängig von der Relativgeschwindigkeit zwischen den Führungsflächen
verschiedene Reibungsarten auf:
Haftreibung: Die Haftreibung muss überwunden werden, um einen ruhenden Körper in Bewegung
zu setzen.
Festkörperreibung: Es befindet sich kein Schmierfilm zwischen den bewegten Teilen.
Mischreibung: In der Kontaktzone liegt ein Schmierfilm vor, dessen Tragkraft nicht ausreicht, um
die Führungsflächen völlig zu trennen.
Flüssigkeitsreibung: Zwischen den Führungsflächen befindet sich eine durchgehende Schmier-
stoffschicht.
Bild 2-26: Reibwert als Funktion der Gleitgeschwindigkeit ("Stribeck-Kurve") (42332)
Der Reibwert ist von der Gleitgeschwindigkeit abhängig. Der in Bild 2-26 dargestellte Zusammenhang
wurde von Stribeck 1902 experimentell ermittelt.
Geradführungen an Werkzeugmaschinen werden im allgemeinen im Geschwindigkeitsbereich der
Mischreibung betrieben.
Aufgrund der negativen Steigung der Reibwertkurve bei niedrigen Gleitgeschwindigkeiten kann es zu
einer ungleichförmigen Schlittenbewegung (Stick-Slip) bzw. Ruckgleiten kommen. Sie ist durch perio-
disches Haften und Gleiten gekennzeichnet.
Der Stick-Slip-Effekt lässt sich am Ersatzsystem eines Schlittens mit Vorschubantrieb erklären.
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BiBild 2-27: Schematische Darstellung des Stick-Slip-Effektes (42333)
Um den Schlitten in Bewegung zu setzen, ist zunächst die Haftreibung zu überwinden. Die Feder wird
solange gespannt, bis die Federkraft den Wert zur Überwindung der Haftreibung erreicht hat. Der
Schlitten setzt sich in Bewegung und wird (wegen der negativen Steigung der Funktion µ = f (v)) be-
schleunigt. Die Feder entspannt sich, so dass der Schlitten zum Stehen kommt. Diese Vorgangsfolge
setzt sich dann fort.
Die Neigung zum Ruckgleiten kann verringert werden:
durch geringeren Reibwertabfall im vorderen Teil der Stribeck-Kurve (Zusätze zum Schmieröl,
Kunststoffbeschichtung der Führungselemente)
durch kleinere Übergangsgeschwindigkeit (zäheres Öl, größere Tragflächen)
durch höhere statische Steifigkeit der Elemente des Vorschubantriebs
durch geringere Massen
2.6 Lageregelkreis
2.6.1 Aufbau von NC-Maschinen
NC-Maschinen sind aus dem Alltag heutiger Fertigungsbetriebe nicht mehr wegzudenken. Ihre Aufga-
be ist es zuvor generierte Bearbeitungsprogramme in entsprechende Wirkbewegungen umzusetzen.
Das NC-Programm wird direkt in den Programmspeicher der Maschinensteuerung geschrieben oder
mittels Datenleitung oder Speichermedien zur Maschine übertragen. Die Programme bestehen im
wesentlichen aus Schalt- und Wegbefehlen. Zur Umsetzung der Schaltbefehle verfügt die Maschine
über eine SPS-Anpasssteuerung, welche die Ausführung der Funktionen - üblicherweise Hilfsbewe-
gungen - kontrolliert.
Die Wegbefehle sind in der Regel von den Vorschubachsen als Wirkbewegungen zwischen Werkstück
und Werkzeug umzusetzen. Somit kommt den Vorschubantrieben und ihrer Steuerung eine besonde-
re Bedeutung zu.
Ein Befehlsinterpreter wertet die Wegbefehle aus. Der Interpolator berechnet für die programmierte
Bewegungsformen (freie Bewegung, Gerade, Kreis, Parabel, ...) dichte Folgen von Stützpunkten. Die
einzelnen Koordinaten dieser Stützpunkte werden den jeweiligen Achsen als Führungsgrößen zuge-
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führt. Durch die dichte Folge der Soll-Stützpunkte wird die Koordination der Achsen zueinander si-
chergestellt.
2.6.2 Die SERCOS-Interface-Spezifikation
Im Zusammenhang mit digitalen Antrieben ist besonders die SERCOS-Interface-Spezifikation zu nen-
nen, die durch einen gemeinsamen Arbeitskreis des VDWs (Verein Deutscher Werkzeugmaschinen-
fabriken) und des ZVEI (Zentralverband der Elektrotechnik und Elektroindustrie) festgelegt wurde.
Diese Spezifikation umfasst technische (Medium,Topologie, Signalpegel, ...), prozeduale und funktio-
nale (Telegramminhalte, Wichtungen, Datenformate) Standardisierungen.
Bild 2-28: Das SERCOS-Prinzip (73467)
So wurde festgelegt, dass der Informationstransfer ringtopologisch ausgeführt wird (Bild 2-28). Jede
geregelte Achse verfügt über einen separaten Lageregelkreis, der nicht mehr Teil der Steuerung son-
dern Bestandteil der Antriebseinheit ist. Somit werden in erster Linie Sollwerte von der Steuerung an
die Antriebe übertragen. Da die Lageregelung zur Antriebsseite ausgelagert wurde, sind im wesentli-
chen nur noch Zustandsdaten für Überwachungs-, Protokollierungs- Diagnosefunktionen der Steue-
rung von den Antrieben zurück zu melden. Diese Daten werden zyklisch ausgetauscht. Daneben wird
auch ein nicht-zyklischer Datentransfer unterstützt, der beispielsweise das Nachjustieren der
Reglereinstellungen o. ä. erlaubt. Als Übertragungsmedium dient in diesem seriellen Echtzeitkommu-
nikationssystem ein Lichtwellenleiter. Dieser garantiert neben einer großen Übertragungsgeschwin-
digkeit auch eine hohe Unempfindlichkeit gegen die elektromagnetischen Störgrößen des betriebli-
chen Umfeldes.
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Bild 2-29: Aufbau einer SERCOS-Steuerung (52012)
2.6.3 Steuerung und Regelung von NC-Achsen
Bild 2-30: Auslegung eines Vorschubantriebes (42735)
Die Steuerung einer Werkzeugmaschine hat unter anderem die Aufgabe, aufgrund der Informationen
über die zu verfahrenden Wege und Geschwindigkeiten, Führungsgrößen an die Vorschubantriebe
auszugeben. Die Umsetzung dieser Führungsgrößen in die entsprechenden Lage- und Geschwindig-
keitswerte vollzieht sich entweder mit Hilfe eines Schrittmotors in einer offenen Steuerkette (Bild 2-31)
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oder mittels eines stetigen Antriebs innerhalb eines übergeordneten Lageregelkreises (Bild 2-32). Bei
lagegeregelten Achsen ergibt sich aus dem Soll-Ist-Vergleich der Achspositionen die Regelabwei-
chung. Hieraus erzeugt der Regler einen an die Dynamik der Regelstrecke angepassten Stellwert für
das Antriebssystem. Zur Kontrolle der Bewegungsausführung erfasst ein Wegmesssystem die
Istposition der NC-Achse und schließt somit den Lageregelkreis.
Bild 2-31: Vereinfachter Aufbau einer Achssteuerkette (73468)
Bild 2-32: Vereinfachter Aufbau einer lagegeregelten NC-Achse (73469)
2.6.4 Bahnsteuerungen und Bahnfehler bei der Konturerzeugung mit numerischen Bahnsteuerungen
Dynamische Bahnabweichungen haben ihre Hauptursache in den Schleppabständen, d. h. in den
durch das Proportionalverhalten der Lageregler bedingten achsspezifischen Lageabweichungen sowie
in der begrenzten Dynamik der Antriebssysteme. Bei bestimmten Bahnverläufen, z. B. beim Umfahren
einer rechtwinkligen Ecke ohne Halt oder beim Verfahren eines Kreisbogens, bewirken die Schlepp-
abstände, speziell bei hohen Geschwindigkeiten, erhebliche Konturfehler. Während beim Verfahren
von Geradenabschnitten Bahnfehler lediglich an den Übergangsstellen auftreten, sind beim Verfahren
eines Kreisbogens Konturabweichungen auf der gesamten Bahnkurve vorhanden. Die Größe des
Bahnfehlers ist dabei vom Übertragungsverhalten der Lageregelkreise, der Bahngeschwindigkeit und
dem Kreisradius abhängig. Beeinflussbar wird dieser Fehler durch die Kv-Faktoren, d. h. durch die
Geschwindigkeitsverstärkungen in den einzelnen Lageregelkreisen.
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Bild 2-33: Lageregelkreis mit unterlagerter Geschwindigkeitsregelung (42353)
Der Lageregelkreis mit und ohne Geschwindigkeitsregelung hat ein proportionales Übertragungsver-
halten mit einer Verzögerung 2. Ordnung. Durch eine unterlagerte Geschwindigkeitsrückführung wird
die Dynamik des Antriebs wesentlich gesteigert.
Bei Direktantrieben fehlt das Getriebe. Eine Störkraft greift direkt am Motor an. Der Lageregler weist
ein proportionales Verhalten (P) auf. Nach Interpolation des Messsignals verstärkt er die Lagerregel-
abweichung und bildet den Sollwert für den unterlagerten Geschwindigkeitsregelkreis. Der Geschwin-
digkeitsregler hat PI-Charakter (proportional-integral), um kleinste Regelabweichungen ohne bleiben-
den Fehler ausregeln zu können (Bild 2-34). Eine weitere Verbesserung des Regelkreises lässt sich
durch eine Rückführung der Beschleunigung erzielen (Bild 2-35). Die Messung der Beschleunigung
erfolgt dabei mit Hilfe von Ferrarissensoren (Bild 2-36).
Bild 2-34: Blockstruktur eines Direktantriebs mit P-Lage, PI-Geschwindigkeitsregelung (52006) [Hiller]
Lageregler Geschw.-
Regler
Leistungs-
verstärker
Motor mit zwei
Zeitkonstanten
Getriebe Integrator
Tachogenerator
Wegmesssystem
KvKN Kp,Tn KA KM1,T1 KM2,T2 KG
xsoll lsoll lW UL UW Ug UM nM xist xist
KT1
KD
UTIist
- -
KV Kp,Tn KS
xsoll
Interpolation
FS (MS)
a v x--
+ +-
J
1
M
1
xmess
vdiff
Inkrementelles Messsystem mit
sinusförmigen Spursignalen
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Bild 2-35: Kaskadenregler mit zusätzlichem Beschleunigungsregelkreis (52007) [Hiller]
Bild 2-36: Schematischer Aufbau des Ferrarissensors (52004) [Bühler, Held]
Die Beschleunigung wird nach dem Ferraris`schen Messprinzip relativ gemessen. Dabei wird ein un-
magnetisches und elektrisch leitendes Wirbelstromblech, welches sich relativ zu Magneten und zu
Sensorspulen bewegt, verwendet. Aufgrund der Bewegung des elektrisch leitenden Wirbelstromble-
ches in einem nicht-homogenen Magnetfeld werden in diesem Wirbelströme generiert. Der Spulen-
strom ist aufgrund des Induktionsgesetzes proportional zur Beschleunigung des Wirbelstrombleches.
Vorteile des Ferraris-Sensors:
Relative Beschleunigungserfassung (nicht absolut)
keine mechanische Grenze der maximalen Beschleunigung
kostengünstige Lösung
einfache Inbetriebnahme
Die Geschwindigkeitsermittlung bei Servoantrieben kann durch Differentation der gemessenen Lage
erfolgen. Die angestrebte Verkürzung der Abtastzeit führt jedoch zu einem Anstieg des Fehlers. Bes-
ser ist daher eine Integration der gemessenen Beschleunigung. Hier tritt ein glättender Effekt auf (Bild
2-37).
KV Kp
xsoll
Interpolation
--
+ +
xmess
vdiff
KA,TN
FS (MS)
a
-
J
1
M
1
Inkrementelles Messsystem mit
sinusförmigen Spursignalen
v x
+
-
amess
F(M)
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Bild 2-37: Geschwindigkeitsermittlung bei Servoantrieben (52009) [Hiller]
In Bild 2-38 werden drei verschiedene Fälle bezüglich des auftretenden Bearbeitungsfehlers mitei-
nander verglichen. Für alle drei Fälle gilt dabei die Voraussetzung, dass die Kv-Werte (vgl. Kap. 2.6.5)
der Achsen identisch sind.
Geschwindigkeitsermittlung durch
Differentation der gemessenen Lage Integration der gemessenen Beschleunigung
Lage x Geschwindigkeit vdiff
v=diff
dxdt
Q=20 nmxQ=v
Qx
TA
Beschleunigung a Geschwindigkeit vint
Q=20 mm/s²aQ=Q*TvaA
v=int a dt
direkte Messung
nur rotatorisch sinnvoll möglich
Qv f(t)
Abtastzeit TA
0 200 400 600 1000
0,0
0,2
0,4
0,1
Ge
schw
i nd
igkeits-
qu
an
tisi e
run
gQ
v
Abtastzeit TA
0 200 400 600 1000
0,0
0,2
0,4
0,1
Geschw
i nd
igke
its-
qua
ntisi e
rung
Qv
µs µs
mm/s mm/s
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Bild 2-38: Bearbeitungsfehler bei einer 2-achsigen Bahnsteuerung (42355)
2.6.5 Geschwindigkeitsverstärkung, Kv-Faktor
Das Übertragungsverhalten von Lageregelkreisen wird wesentlich von der Einstellung der Geschwin-
digkeitsverstärkung, d. h. des Kv-Faktors, bestimmt. Diese Kenngröße beschreibt das Verhältnis der
Istgeschwindigkeit v zur Lageabweichung, also zum Schleppabstand l im eingeschwungenem Zu-
stand, in jeder Maschinenachse (Bild 2-39). Der Kv-Faktor ist ein Maß für die Abbildungstreue der
Maschine beim Verfahren von Kurven in der Ebene oder im Raum. Es gilt:
K = v
lv
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Bild 2-39: Schleppabstand (42356 links)
2.6.6 Kompensation von Lageregelfehlern
Aus konstruktiver Sicht lässt sich die Forderung, dass der Lageistwert der Achsen der Sollposition
möglichst fehlerfrei folgen soll, wie folgt realisieren:
hohe Kreisverstärkung des Regelkreises,
hohe Dämpfung zur Vermeidung von Instabilitäten und Überschwingen,
geringe Zeitkonstanten des Antriebs,
kleine Massenträgheiten der rotierenden Elemente,
hohe mechanische Eigenfrequenz,
hohe Steifigkeit der im Kraftfluss liegenden mechanischen Elemente,
geringes Spiel bei den mechanischen Übertragungselementen,
ein Verhältnis der Eigenfrequenzen des mechanischen Übertragungssystems und des Regelkrei-
ses größer als 2.
Daneben bieten zusätzliche Funktionen der Steuerung die Möglichkeit die Bearbeitungsgenauigkeit
von NC-Maschinen zu erhöhen. Zwei wichtige Mechanismen, die in den meisten gängigen Bahnsteue-
rungen vorhanden sind, stellen das „Look-Ahead“ und die „Vorsteuerung“ (engl. Feed Forward) dar,
die im Folgenden erläutert werden.
Look-Ahead
Unter Look Ahead (“Vorausschau“) versteht man im
allgemeinen eine bestimmte Form der Geschwindig-
keitsführung, dessen Grundprinzip es ist, bereits bei
der Sollwertvorgabe eine Achsgeschwindigkeit zu
bestimmen, die Effekte wie zum Beispiel „Über-
schwingen“ (siehe Bild 2-40) aufgrund von
Massenträgheiten auf eine definierte Obergrenze
beschränkt. Die wesentlichen Informationen die hier-
zu in der Steuerung hinterlegt werden müssen, sind
die dynamischen Kennwerte der einzelnen Achsen
(maximale Geschwindigkeit, maximale Beschleuni-
gung, maximaler Ruck, etc.).
Bild 2-40: Überschwingen an scharfe
Konturübergängen
(42357 links)
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Eine NC-Bahn wird dann dahingehend optimiert, dass die aus der Feininterpolation resultierenden
Sollwerte von den Lageregelkreisen (Übertragungsfunktion) unter Einhaltung der vorgegebenen Tole-
ranzen erreicht werden. Die Anzahl der Sätze die vorrausgeschaut wird, ist dabei von untergeordneter
Priorität – entscheidend ist nur, dass ausreichend Sätze im Look Ahead Puffer vorliegen, um eine
sichere Anpassung vorzunehmen. Dies hängt unter anderem von den Weglängen der betrachteten
Sätze und den programmierten Achsgeschwindigkeiten ab. In Bild 2-41 ist das Ergebnis der Feininter-
polation ohne- und mit Look Ahead Funktion beispielhaft gegenübergestellt. Es ist zu erkennen, dass
durch Look Ahead in Bereichen kleiner Bahnkrümmung mehr Sollwerte interpoliert werden. Dies ent-
spricht bei einem konstanten Interpolationstakt implizit einer reduzierten Bahngeschwindigkeit.
Bild 2-41: Interpolationsverhalten ohne und mit Look-Ahead (42826)
Feed-Forward
Das Prinzip der Feed Forward Regelung beruht auf der systemtheoretischen Grundüberlegung, dass
ein Gesamtsystem die Eingangsgröße (= Sollwerte) ideal überträgt, wenn seine Übertragungsfunktion
h(t) = 1 ist und damit die Ausgangsgröße (= Istwert) a(t) = e(t) ist.
Um dies nun am realen System eines Lageregelkreises, bestehend aus Antrieb, Positionsgeber, Ma-
schinenkomponenten, etc. umzusetzen, wird zunächst die vorhandene Übertragungsfunktion h(t) er-
mittelt und modelliert. Diese wird nun invertiert und dem Lageregelsystem vorgeschaltet (siehe Bild
2-42). Dadurch ergibt sich die Gesamtübertragungsfunktion h’(t) = 1.
Erreicht wird dies indem dem normalen Regler (bei allen bisher vorgestellten Reglertypen handelt es
sich um feedback Regler) ein weiterer Regler hinzugefügt wird (Bild 2-43). Dieser zweite Regler hat
die Aufgabe, das Verzögerungsverhalten der Strecke bzw. des ganzen Lageregelkreises durch eine
invertierte Modellsteuergröße zu kompensieren. Die Modellbildung wird entweder anhand bekannter
Maschinendaten oder durch experimentelle Messungen gewonnen.
Bild 2-42: Funktionsprinzip der Feed Forward Regelung
42896Damm
Interpolierte Punkte ohne Look Ahead Interpolierte Punkte mit Look Ahead
e(t) h(t) a(t) h (t)-1
a’(t) = e(t)h(t)e(t)
System mit derÜbertragungsfunktion h(t)
Zusätzliche Vorschaltung von h (t)-1
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Bild 2-43: Grundschaltung zur Bahnfehlerkorrektur nach dem Prinzip der Feed-Forward Regeleung
Anschaulich bedeutet dies eine Vorverzerrung der interpolierten Kontur in eine neue Interpolations-
vorgabe (Vorgabekontur), die letztlich zum geforderten Ergebnis (=Sollkontur) führt. Bild 2-44 zeigt
das Prinzip der Feed Forward Regelung am Beispiel der interpolierten Sollwerte. Es wird deutlich,
dass es sich hier im Gegensatz zur Look Ahead Optimierung nicht nur um eine geänderte Geschwin-
digkeitsführung, sondern um eine vollständig neue Bahnkurve handelt.
Bild 2-44: Anpassung der Sollkontur durch Feed Forward (71540)
GR(t) GS2(t)GS1(t)x soll
ML
GV(t)
GR(t) GS2(t)GS1(t)x soll
MLGA(t)
Aufschaltung
Vorsteuerung
x ist
x ist
A: Aufschaltung V: Vorsteuerung R: Lageregler S: Strecke
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2.7 Linearantriebe
2.7.1 Aufbau Linearmotor
Herkömmliche Vorschubantriebe bestehen aus einem Antriebsmotor und Übertragungselementen
welche die ursprüngliche Drehbewegung in eine lineare Bewegung umwandeln. Diese Übertragungs-
elemente stellen hinsichtlich Geschwindigkeit, Präzision, Steifigkeit und Dynamik den begrenzenden
Faktor im Antriebsstrang dar. Bei Linearmotoren wird eine translatorische Bewegung direkt aus der
Umsetzung der elektrischen Energie in eine mechanische Vorschubbewegung erzeugt. Neben den
elektromagnetischen Linearmotoren gibt es noch weiter Direktantriebe wie piezoelektrische und
magnetostriktive Aktuatoren sowie Magnetmotoren. Im Vergleich zu elektromagnetischen Linearan-
trieben spielen diese jedoch zur Zeit eine untergeordnete Rolle.
Einen elektromagnetischen Linearmotor kann man sich vereinfacht als einen aufgeschnittenen Dreh-
strommotor vorstellen, der direkt eine Relativbewegung zwischen dem Primär- und Sekundärteil er-
zeugt. Linearmotoren, die aus einem Primärteil mit Drehstromwicklungen und einem Sekundärteil mit
Permanentmagneten (Synchronmaschine) oder Kurzschlusskäfig (Asynchronmaschine) (Bild 2-45)
bestehen, werden zur Erzeugung linearer Vorschubbewegungen genutzt. Der entscheidende Vorteil
liegt in einem Wegfall von steifigkeitsbegrenzenden, mechanischen Übertragungselementen.
Analog zu rotatorischen Motoren finden auch bei Linearmotoren die Synchron- und Asynchronbauwei-
se Anwendung. Während bei asynchroner Bauweise in das Sekundärteil Kurzschlussstäbe eingelas-
sen sind, ist beim Synchronmotor das Sekundärteil mit Permanentmagneten bestückt. Die beim Syn-
chronmotor auch im stromlosen Zustand vorhandenen magnetischen Anziehungskräfte erschweren
die Montage und Späneentsorgung. Das Anhaften von Spänen am Sekundärteil und das damit ver-
bundene Eindringen in den Luftspalt zwischen Primär- und Sekundärteil lässt sich auch durch Abde-
ckungen nur schwer verhindern.
Bild 2-45: Aufbau eines Linearmotors (offene Bauform) (42550)
Die Auswirkungen auf die dynamische Bahngenauigkeit bei verschiedenen Antriebskonzepten wird in
Bild 2-46 deutlich. Während der Direktantrieb der vorgegebenen Sollbahn bis auf vernachlässigbare
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Abweichungen folgen kann, sind die Abweichungen bei einem optimierten, konventionellen Antrieb
erheblich, bei einem Standardantrieb ist die Vorgabekontur kaum noch zu erkennen.
Bild 2-46: Dynamische Bahngenauigkeit verschiedener Antriebskonzepte (72414)
Bild 2-47: Vor- und Nachteile von linearen Direktantrieben (42698)
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2.7.2 Vergleich verschiedener Antriebskonzepte
Die fehlenden mechanischen Übertragungsglieder im Kraftfluss von linearen Direktantrieben führen im
Vergleich zu konventionellen Kugelgewindetrieben zu einem deutlich geänderten Beschleunigungs-
verhalten. Beim direktangetriebenen Kugelgewindetrieb ist das Beschleunigungsverhalten vom Dreh-
moment des Servomotors, dem Massenträgheitsmoment von Motor und Spindel sowie dem reduzier-
ten Massenträgheitsmoment der linear bewegten Masse von Schlitten und Nutzlast (z. B. dem Werk-
stück) abhängig. Das Beschleunigungsvermögen der Linearmotor-Vorschubeinheit ist allein von der
Vorschubkraft des Motors und der linear bewegten Masse abhängig. Der Einfluss der linear bewegten
Masse auf das Beschleunigungsverhalten ist in Bild 2-48 vergleichend für die Vorschubkonzepte Ku-
gelgewindetrieb und Linearmotor dargestellt.
Bild 2-48: Vergleich des Beschleunigungsvermögens: Linearmotor - Kugelgewindetrieb (42699)
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2.8 Literatur
Bauer, C.-U. Optimierung der Konstruktion von Werkzeugmaschinen mit Hilfe von Finite-Element-Berechnungen, Band 1, Dissertation, Technischen Universität Hamburg-Harburg 1991
Enselmann, A.; Finke, M.; Jasper, J.
Hochgeschwindigkeitsbearbeitung - Möglichkeiten und Grenzen. In: Weinert, K.: Spanende Fertigung, 2. Ausgabe, Vulkan-Verlag, Es-sen, 1997, S. 456-473
Perovic, B. Werkzeugmaschinen, Berechnungsgrundlagen und Gestaltung in den spangebenden Verfahren, Vieweg Verlag 1984
Pritschow, G. Zum Einfluss der Geschwindigkeitsverstärkung auf die dynamischen Bahnabweichungen. wt - Produktion und Management 86 (1996), S. 337-341
Spranger, W. Entwicklung und Anwendung von Verfahren zur 3-D Gestaltoptimie-rung dickwandiger, massiver Bauteile, Dissertation, RWTH Aachen 1994
Spur, G. Die Genauigkeit von Maschinen. Carl Hanser Verlag, München, Wien, 1996
Weck, M.; Hennes, N. Neue Maschinenkonzepte für die spanende Bearbeitung. In: Bohren und Fräsen im modernen Produktionsprozess, Begleitband zum Fachgespräch, Institut für Spanende Fertigung (ISF), Universität Dortmund, 1997, S. 111-127
Weck, M.; Hennes, N. Produktion im 21. Jahrhundert - Neue Maschinenkonzepte. dima - Die Maschine 6 (1996), S. 112-128
Wurst, K.-H.; Wagner, R. Neue Maschinenkonzepte für die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung. wt - Produktion und Management 85 (1995), S. 167-172