2011 bauen!

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Dort, wo vor zehn Jahren die Feu- erwerksfabrik in Enschede in die Luft flog, ist seither ein bemer- kenswerter neuer Stadtteil ent- standen. Ein Highlight in Room- beek ist die Villa Welpeloo, die zum großen Teil aus Reststof- fen und alten, neu verwerte- ten Baumaterialien aus der nä- heren Umgebung entstand. Second Life ARCHITEKTUR AUS WERTSTOFFEN ÖKOLOGIE Recycling am Bau 02/03-2011 bauen! 57 56 bauen! 02/03-2011

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Publication about Villa Welpeloo

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Dort, wo vor zehn Jahren die Feu-erwerksfabrik in Enschede in die Luft flog, ist seither ein bemer-kenswerter neuer Stadtteil ent-standen. Ein Highlight in Room-beek ist die Villa Welpeloo, die zum großen Teil aus Reststof-fen und alten, neu verwerte-ten Baumaterialien aus der nä-heren Umgebung entstand.

Second Life

A r c h i t e k t u r A u s W e r t s t o f f e n

Ö k o l o g i e ■ R e c y c l i n g a m B a u

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Eine heftige explosion erschütter-te an einem warmen nachmittag im Mai 2000 die niederländische

stadt enschede, nahe der deutschen Grenze. Die hiesige feuerwerksfabrik war nach einem Brand mit einem verheeren-den knall in die Luft gegangen. 23 Men-schen wurden getötet, mehr als 1 000 verletzt und ein großer teil des stadtteils roombeek in schutt und Asche gelegt.

insgesamt 42,5 hektar wurden komplett verwüstet.

Neuer Stadtteil mit Geschichte

nach dem unglück beauftragte die stadt den Architekt Pi de Bruijn damit, einen neuen städtebaulichen Plan für room-beek zu entwickeln. Dabei sollte zum einen die Geschichte des Viertels berück-sichtigt, zum anderen die Bevölkerung

aktiv beteiligt werden. Das ergebnis die-ser Arbeit ist mit Preisen ausgezeichnet und heute eines der beliebtesten stadt-teile in enschede. Zu seiner besonderen Atmosphäre trägt bei, dass relikte seiner von der textilindustrie geprägten Ver-gangenheit, wie zum Beispiel etliche alte Wassertürme, bis heute erhalten und mit neuen modernen Akzenten kombiniert wurden. Zehn Jahre nach der katastrophe

n e u A u s A Lt

Das holz der fassa-de stammt von alten kabeltrommeln. es wurde wärmebe-handelt, um eine bessere Witterungs-beständigkeit zu er-langen.

Die große halle im erdgeschoss ist eine Mi-schung zwischen Wohnzimmer, essplatz und Ausstellungsbereich. hier zeigen die samm-ler die Arbeiten von nachwuchskünstlern.

Die halle ist eher ein halböffentlicher Bereich. oberhalb der vier stufen, auf der ebene der küche beginnt nach Angaben der hausherrin der private teil des hauses.

Das tragwerk des Gebäudes besteht aus dem stahl einer alten textilmaschi-ne. sie wurde kom-plett demontiert und die einzelteile zum stahlskelett der Villa Welpeloo zu-sammen gesetzt.

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Die küche liegt etwas er-höht im Vergleich zur hal-le. sie besteht aus wieder-verwendeten Werbe- und schaltafeln, aus denen auch alle übrigen einbaumöbel im haus gefertigt wurden, wie zum Beispiel die schränke und regale im Atelier der Bauherren gleich neben der küche.

Die hebebühne wur-de bereits beim Bau de hauses verwendet, um Materialien zwi-schen den Geschossen zu befördern – heute nutzt ihn die Bauherrin zur kunst

W i e D e r V e r W e n D e n i s t f ü r u n s n o r M A L

ist der ort der Verwüstung nicht wieder zu erkennen – die Wunden im stadtbild heilen langsam. unter anderem entstand im südosten roombeeks ein Viertel mit besonders repräsentativen einfamilien-häusern, die zum teil von international renommierten Architekten entworfen wurden. in dieser illustren nachbarschaft steht auch die Villa Welpeloo, ein moder-nes dreigeschossiges flachdachgebäude mit rustikal anmutender holzfassade und großen Glasflächen.

Das Haus besteht zu über 60 Prozent aus Recyclingmaterial

Das Besondere an dem neuen heim eines kunstverliebten Paares ist aber nicht nur die schlichte und dennoch raffinierte, lichtverwöhnte Architektur des Gebäu-des, sondern dass es zu über 60 Prozent aus industrieabfällen aus der region um enschede gebaut wurde. Die fassade be-steht aus dem holz alter kabeltrommeln, die tragende stahlkonstruktion des hau-ses wurde aus den einzelteilen einer alten textilmaschine zusammengeschraubt und die Dämmung stammt aus einem alten

industriegebäude, das in der nähe abge-baut wurde.Die 2012 Architecten, Jan Jongert und Je-roen Bergsma, arbeiten bereits seit ihrem studium an recycling-Architektur und -Design. Die Bauherrin kennt Jan Jongert schon seitdem dieser ein kind war. „ich habe einmal zu ihm gesagt: Wenn ich ein-mal ein haus bauen sollte, dann sollst du der Architekt sein“, erzählt die Bauherrin lächelnd, um zu erklären, wie sie und ihr Mann mit den rotterdamer-recycling-Architekten zusammentrafen, um dieses ungewöhnliche Projekt zu verwirklichen.Die Bauherren strebten von Anfang an ein haus in moderner Architektur an. Dass sie nun in einem recycling-haus wohnen, scheint sie immer noch mit einer Mischung aus überraschung, Begeiste-rung und stolz zu erfüllen.„unsere Generation ist ja eigentlich damit aufgewachsen, Materialien wiederzuver-

Der flur im obergeschoss ist die Bibliothek und erschließt die schlafzimmer. hinter der tür links im Bild liegt der scherenlift, der das obergeschoss mit der küche verbindet.

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wohnen/essen 44,5

ich war mal ein kaffeebecher: Die kunststoff-oberflächen im Bad bestehen aus ehemaligen Plastik-trinkgefäßen, die eingeschmolzen und zu Platten verarbeitet wurden. A

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BAD 10

J e D e s s t ü c k D e s h A u s e s h At e i n e e i G e n e G e s c h i c h t e

entWurf unD AusführunG:Villa Welpeloo von 2012 Architektenkruiskade 6, 3012 eh, rotterdam niederlandefon +3110 4664 444www.2012architecten.nl

BAuWeise:stahlskelettbau mit holzfassade aus regionalen recyclingmaterialien; fassade: kabeltrommeln; tragwerk: ehemalige textilmaschine; Däm-mung: aus einem Abrissgebäude aus der umgebung; flachdach, ePs-Dämmung; edelstahlfenster; küchenmöbel und einbauschränke aus ehemaligen Werbeschildern und schaltafeln.

technik:fernwärmeheizung, Grauwassernutzungsanlage vorbereitet.

enerGieVerBrAuch:Jahresprimärenergieverbrauch 133 kWh/m2a

WohnfLÄche:eG 135 m2, DG 78 m2

BAukosten:Auf Anfrage beim Architekten

o B e r G e s c h o s s

e r D G e s c h o s s

Daten & fakten

wenden“, erklärt die Bauherrin,„ es ist normal für uns.“ Beim Bau ist recycling aber bei weitem noch keine norm. so mussten die Architekten, um brauchbares Alt-Baumaterial für die Villa zu finden, erst einmal systematisch eine rohstoff-Landkarte erstellen, auf der eingezeichnet wurde, wo welche Materialien zu bekom-men waren. Die Architekten unterzogen die Auswahl dabei einer genauen ökolo-gischen Bilanzierung: Die second-hand-holzfassade verursachte zum Beispiel nur rund fünf Prozent der co2-emmissionen, die bei einer vergleichbaren fassade aus neuem Material angefallen wäre. Zwölf Prozent sind es bei der stahlkonstruktion.

Second-Hand zum Neupreis Bei den Baukosten konnten solch hohe einsparungen leider nicht verwirklicht werden: Da es sich um ein Vorzeige-Pro-jekt handelt, waren die Aufwendungen für die individuelle Aufarbeitung der re-cyclingmaterialien vergleichsweise hoch, was die niedrigen Anschaffungskosten wieder amortisiert hat. ab

Vor dem schlaf- und Badezimmer der hausherren befindet sich ein großer Balkon, von dem aus sich ein schöner Blick nach süden rich-tung Down-town-enschede bietet.

Auch im schlafzimmer findet sich die eigenwillige kombination aus Alt und neu. Das Bett ist ein erbstück aus der familie des Bauherren. Der raumteilende schrank besteht aus alten Werbetafeln.

schlAfen 21

schlAfen 19

BAD 4

flur 20

wohnen/essen 44

hAlle 22

stuDio 27

GAst XX

GArAGe

Küche 15

wc 5

wc XXwinDfAnG

8

ABst. 14

BAD 16

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