23.035 i ging - buch der wandlungen i ging - pce.at · pdf file23.037 a. das orakelbuch i...

727

Upload: lamtram

Post on 14-Feb-2018

218 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

Page 1: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind
Page 2: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.035 I GingI Ging - Buch der Wandlungen

I Ging

Buch der Wandlungen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 3: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.036 I Ging, 15a. Das Orakelbuch

Aus der Einleitung zur Erstausgabe

I. Der Gebrauch des Buchs der Wandlungen

a) Das Orakelbuch

Das Buch der Wandlungen war zunächst eine Samm-lung von Zeichen für Orakelzwecke. Orakel wurdenim Altertum allenthalben gebraucht, und die ur-sprünglichsten unter ihnen beschränkten sich auf dieAntworten Ja und Nein. So liegt auch bei dem Buchder Wandlungen diese Orakelentscheidung zugrunde.Das »Ja« wurde durch einen einfachen ganzen Strichangedeutet —, das »Nein« durch einen gebrochenenStrich - -. Schon sehr früh scheint jedoch das Bedürf-nis zu einer größeren Differenzierung vorhanden ge-wesen zu sein, und aus den einfachen Strichen erga-ben sich Kombinationen durch Verdoppelung

, denen dann noch eindrittes Strichelement hinzugefügt wurde, wodurch diesogenannten acht Zeichen entstanden. Diese acht Zei-chen wurden als Bilder dessen, was im Himmel undauf Erden vorging, aufgefaßt. Dabei herrschte die An-schauung eines dauernden Übergangs des einen in dasandere, ebenso wie in der Welt ein dauernder Über-gang der Erscheinungen ineinander stattfindet. Hier

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 4: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.037 I Ging, 15a. Das Orakelbuch

haben wir nun den entscheidenden Grundgedankender Wandlungen. Die acht Zeichen sind Zeichenwechselnder Übergangszustände, Bilder, die sich dau-ernd verwandeln. Worauf das Augenmerk gerichtetwar, waren nicht die Dinge in ihrem Sein – wie dasim Westen hauptsächlich der Fall war –, sondern dieBewegungen der Dinge in ihrem Wechsel. So sind dieacht Zeichen nicht Abbildungen der Dinge, sondernAbbildungen ihrer Bewegungstendenzen. Diese achtBilder haben dann auch einen mannigfaltigen Aus-druck gefunden. Sie stellten gewisse Vorgänge in derNatur dar, die ihrem Wesen entsprachen. Sie stelltenferner eine Familie von Vater, Mutter, drei Söhnen,drei Töchtern dar, nicht in mythologischem Sinn, wieetwa der griechische Olymp von Göttern bevölkert ist,sondern ebenfalls in jenem sozusagen abstraktenSinn, daß nicht Dinge, sondern Funktionen dargestelltwerden.

Gehen wir diese acht Symbole, wie sie dem Buchder Wandlungen zugrunde liegen, durch, so bekom-men wir folgende Anordnung:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 5: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.038 I Ging, 16a. Das Orakelbuch

Wir haben somit in den Söhnen das bewegende Ele-ment in seinen verschiedenen Stadien: Anfang der Be-wegung, Gefahr in der Bewegung, Ruhe und Vollen-dung der Bewegung. In den Töchtern haben wir dasElement der Hingebung in seinen verschiedenen Sta-dien: Sanftes Eindringen, Klarheit und Anpassung,heitere Ruhe.

Um nun eine noch größere Mannigfaltigkeit zu ge-winnen, wurden diese acht Bilder sehr früh schonkombiniert, wodurch man die Zahl von 64 Zeichenbekam. Diese 64 Zeichen bestehen nun je aus sechspositiven oder negativen Strichen. Diese Striche sindwandelbar gedacht. Sooft ein Strich sich wandelt,geht der durch ein Zeichen dargestellte Zustand ineinen andern über. So haben wir z.B. das doppelteZeichen Kun, das Empfangende, die Erde . Esstellt die Art der Erde dar, das kraftvoll Hingebende,im Lauf des Jahres den Spätherbst, da alle Lebens-kräfte ruhen. Wandelt sich nun der unterste Strich, so

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 6: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.039 I Ging, 17a. Das Orakelbuch

bekommen wir das Zeichen Fu, die Wiederkehr.Es stellt den Donner dar, die Bewegung, die sich zurSonnwendzeit in der Erde wieder regt, die Wiederkehrdes Lichten.

Wie aus diesem Beispiel hervorgeht, müssen sichnicht alle Striche wandeln. Es hängt ganz davon ab,welchen Charakter der Strich hat. Ein Strich, der diepositive Natur in der Steigerung enthält, schlägt um insein Gegenteil, das Negative; dagegen bleibt ein posi-tiver Strich von geringerer Stärke unverändert, undentsprechend ist es mit den negativen Strichen.

Darüber nun, welche Striche so stark mit positiveroder negativer Kraft geladen zu denken sind, daß siesich bewegen, geben im zweiten Buch Kapitel IX desersten Abschnitts der großen Abhandlung sowie derSonderabschnitt über das Wahrsagen genaueren Auf-schluß. Hier sei nur so viel gesagt, daß die sich bewe-genden positiven Striche mit Neun, die sich bewegen-den negativen Striche mit Sechs bezeichnet werden,während die Striche, die ruhen und also nur als Auf-baumaterial des Zeichens ohne innere Sonderbedeu-tung dienen, durch eine Sieben bzw. Acht repräsen-tiert werden. Wenn es also im Text heißt: »Anfangseine Neun bedeutet«, so heißt das: Wenn der positiveStrich auf dem Anfangsplatz durch eine Neun reprä-sentiert wird, so bedeutet er folgendes: ... – Wird erdagegen durch eine Sieben repräsentiert, so kommt er

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 7: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.040 I Ging, 17a. Das Orakelbuch

für das Orakel nicht in Betracht. Ebenso ist es mit denSechsen und Achten. In unserem vorigen Beispielhaben wir das Zeichen Kun, das Empfangende, dassich folgendermaßen zusammensetzt:

8 oben - -8 auf fünftem Platz - -8 auf viertem Platz - -8 auf drittem Platz - -8 auf zweitem Platz - -Anfangs 6 - -

Es bleiben also die fünf oberen Striche außer Be-tracht, und nur die Sechs zu Anfang hat eine selbstän-dige Bedeutung. Durch ihre Umgestaltung geht derZustand Kun, das Empfangende, in den Zustand

Fu, die Wiederkehr, über.Auf diese Weise also haben wir eine Reihe von

symbolhaft ausgedrückten Zuständen, die durch dieBewegung ihrer Linien ineinander übergehen können(nicht müssen; denn wenn ein Zeichen sich nur ausSiebenen und Achten zusammensetzt, so bewegt essich nicht, und nur sein Zustand als ganzer kommt inBetracht).

Zu dem Gesetz der Wandlung und den Bildern derWandelzustände, wie sie durch die 64 Zeichen gege-ben waren, kommt nun noch ein weiteres. Jede Situa-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 8: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.041 I Ging, 18a. Das Orakelbuch

tion verlangte eine besondere Handlungsweise, umsich ihr anpassen zu können. In jeder Situation wareine Handlungsweise richtig, eine andere falsch. Of-fenbar brachte die richtige Handlungsweise Glück,die falsche Unglück. Welche Handlungsweise ist nunin jedem Fall die richtige? Diese Frage war das Ent-scheidende. Sie ist es, die dazu geführt hat, aus dem IGing mehr zu machen als ein gewöhnliches Wahrsa-gebuch. Wenn eine Kartenlegerin ihrer Kundin sagt,daß sie in acht Tagen einen Geldbrief aus Amerikabekommen werde, so kann diese nichts tun als warten,bis dieser Brief kommt – oder nicht. Es ist Schicksal,das verkündet wird, das unabhängig ist vom Tun undLassen des Menschen. Darum bleibt alle Wahrsagungohne moralische Bedeutung. Indem sich in China zumersten Male jemand fand, der sich mit den Zukunftverkündenden Zeichen nicht zufrieden gab, sondernfragte: Was soll ich tun? geschah es, daß aus demWahrsagebuch ein Weisheitsbuch werden mußte.Dem König Wen, der ums Jahr 1000 v. Chr. lebte,und seinem Sohn, dem Herzog von Dschou, war dieseWendung vorbehalten. Sie versahen die bisher stum-men Zeichen und Linien, aus denen jeweils von Fallzu Fall die Zukunft divinatorisch erraten werdenmußte, mit klaren Ratschlägen für richtiges Handeln.Dadurch wurde der Mensch zum Mitgestalter desSchicksals; denn seine Handlungen griffen als ent-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 9: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.042 I Ging, 18a. Das Orakelbuch

scheidende Faktoren ins Weltgeschehen ein, um soentscheidender, je früher man durch das Buch derWandlungen die Keime des Geschehens erkennenkonnte; denn auf die Keime kam es an. Solange dieDinge noch im Entstehen sind, können sie geleitetwerden. Haben sie sich erst in ihren Folgen ausge-wachsen, so werden sie zu übermächtigen Wesen,denen der Mensch machtlos gegenübersteht. So wurdedenn das Buch der Wandlungen zu einem Wahrsage-buche ganz besonderer Art. Seine Zeichen und Linienbildeten in ihren Bewegungen und Wandlungen ge-heimnisvoll die Bewegungen und Wandlungen desMakrokosmos nach. Durch den Gebrauch der Schaf-garbenstengel konnte man den Punkt erhalten, vondem eine Übersicht über die Verhältnisse möglichwar. Hatte man die Übersicht, so gaben die WorteAuskunft über das, was man zu tun hatte, um der Zeitzu entsprechen.

Für unser modernes Empfinden ist hierbei nur dieMethode, durch Abteilen von Schafgarbenstengeln dieSituation zu erfahren, befremdlich. Dieser Vorgangwurde aber als ein geheimnisvoller betrachtet in derWeise, daß eben durch dieses Abteilen dem Unbe-wußten im Menschen die Möglichkeit verliehenwurde, sich zu betätigen. Nicht jedermann hat in glei-cher Weise die Fähigkeit, das Orakel zu fragen. Esbedarf dazu eines klaren und ruhigen Gemüts, das

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 10: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.043 I Ging, 18a. Das Orakelbuch

empfänglich ist für die kosmischen Einwirkungen, diein den unscheinbaren Orakelstengeln verborgen sind,die als Produkte der Pflanzenwelt mit dem Urleben inbesonderen Beziehungen standen. Sie entstammtenheiligen Pflanzen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 11: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.044 I Ging, 19b. Weisheitsbuch

b) Das Weisheitsbuch

Was jedoch weit wichtiger geworden ist, ist der ande-re Gebrauch des Buchs der Wandlungen als Weis-heitsbuch. Laotse sah dieses Buch und wurde dadurchangeregt zu einigen seiner tiefsten Aphorismen. Jaseine ganze Gedankenwelt ist von den Lehren desBuchs durchdrungen. Kungtse sah das Buch derWandlungen und gab sich dem Nachdenken darüberhin. Er schrieb wohl einige Erklärungen dazu auf undüberlieferte andere in mündlicher Lehre seinen Schü-lern. Dieses von Kungtse herausgegebene und kom-mentierte Buch der Wandlungen ist es, das auf unsereZeit gekommen ist.

Fragen wir nach den Grundanschauungen, die ein-heitlich das Buch durchdringen, so können wir unsauf ganz wenige, aber große Gedanken beschränken.

Der Grundgedanke des Ganzen ist der Gedanke derWandlung. In den Gesprächen1 wird einmal erzählt,wie der Meister Kung an einem Fluß stand undsprach: »So fließt alles dahin wie dieser Fluß, ohneAufhalten, Tag und Nacht.« Damit ist der Gedankeder Wandlung ausgesprochen. Der Blick richtet sichfür den, der die Wandlung erkannt hat, nicht mehr aufdie vorüberfließenden Einzeldinge, sondern auf dasunwandelbare ewige Gesetz, das in allem Wandel

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 12: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.045 I Ging, 19b. Weisheitsbuch

wirkt. Dieses Gesetz ist der SINN des Laotse, derLauf, das Eine in allem Vielen. Um sich zu verwirkli-chen, bedarf es einer Entscheidung, einer Setzung.Diese Grundsetzung ist der große Uranfang alles des-sen, was ist: Tai Gi, eigentlich: der Firstbalken. Diespätere Philosophie hat sich mit diesem Uranfang vielbeschäftigt. Man hat den Wu Gi, den Ururanfang, alsKreis gezeichnet, und Tai Gi war dann der in Lichtund Dunkel, Yin und Yang, geteilte Kreis, der auch inIndien und Europa eine Rolle spielte: ☯. Aber dieSpekulationen gnostisch-dualistischer Art sind demUrgedanken des I Ging fremd. Diese Setzung ist fürihn einfach der Firstbalken, die Linie. Mit dieserLinie, die an sich eins ist, kommt eine Zweiheit in dieWelt. Zugleich mit ihr ist oben und unten, rechts undlinks, vorn und hinten – kurz die Welt der Gegensätzegesetzt.

Diese Gegensätze sind bekannt geworden unterdem Namen Yin und Yang und haben namentlich inden Wendezeiten der Tsin- und Handynastie in denJahrhunderten vor unserer Zeitrechnung, als es eineganze Schule der Yin-Yang-Lehre gab, viel Aufsehenerregt. Damals wurde das Buch der Wandlungen viel-fach als Zauberbuch verwendet, und tausend Dingewurden in das Buch hineingeheimnißt, von denen esursprünglich nichts weiß. Natürlich hat diese Lehrevom Yin und Yang, vom Weiblichen und Männlichen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 13: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.046 I Ging, 20b. Weisheitsbuch

als Urprinzipien, auch in der fremden Wissenschaftüber China Aufsehen erregt. Man vermutete hier nachbewährten Mustern phallische Ursymbole und wasdamit zusammenhängt. Zur großen Enttäuschung sol-cher Entdecker muß gesagt werden, daß in dem Ur-sinn der Worte Yin und Yang nichts liegt, was daraufhinweist. Yin ist in seiner Urbedeutung das Wolkige,Trübe; Yang bedeutet eigentlich: in der Sonne wehen-de Banner, also etwas Beleuchtetes, Helles. Übertra-gen wurden die beiden Begriffe auf die erleuchteteund die dunkle (d.h. südliche und nördliche) Seiteeines Berges oder Flusses (wo aber die Südseite imBlick auf den Fluß dunkel, d.h. Yin, und die das Lichtreflektierende Nordseite hell, d.h. Yang, ist). Von hieraus wurden die Ausdrücke dann auf das Buch derWandlungen übertragen auf die beiden wechselndenGrundzustände des offenbaren Seins. Es verdient üb-rigens bemerkt zu werden, daß sie im eigentlichenText des Buchs in diesem Sinn gar nicht vorkommen,ebensowenig in den ältesten Kommentaren, sondernerst in der großen Abhandlung, die ja in manchenihrer Teile schon unter taoistischem Einfluß steht. ImKommentar zur Entscheidung ist statt dessen von Fe-stem und Weichem die Rede.

Wie es sich aber auch im übrigen damit verhaltenmag, soviel steht fest, daß aus dem Wandel und Über-gang dieser Kräfte das Dasein sich aufbaut, wobei

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 14: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.047 I Ging, 20b. Weisheitsbuch

denn der Wandel teils ein dauernder Umschlag voneinem ins andere ist, teils ein kreisförmig geschlosse-ner Ablauf von in sich zusammenhängenden Ereignis-komplexen wie Tag und Nacht, Sommer und Winter.Dieser Wandel aber ist nicht sinnlos, sonst könnte eskein Wissen davon geben, sondern eben dem durchge-henden Gesetz, dem SINN (Tao), unterworfen.

Der zweite Grundgedanke des Buchs der Wandlun-gen ist seine Ideenlehre. Die acht Zeichen stellen Bil-der vor – nicht sowohl von Gegenständen als vonWandlungszuständen. Damit verbindet sich die Auf-fassung, die sich in Laotses Lehren ebenso wie indenen Kungtses ausspricht, daß alles, was in derSichtbarkeit geschieht, die Auswirkung eines »Bil-des«, einer Idee im Unsichtbaren ist. Insofern ist allesirdische Geschehen nur gleichsam eine Nachbildungeines übersinnlichen Geschehens, die auch, was denzeitlichen Verlauf anlangt, später als jenes übersinnli-che Geschehen sich ereignet. Diese Ideen sind denHeiligen und Weisen, die in Kontakt stehen mit jenenhöheren Sphären, durch unmittelbare Intuition zu-gänglich. Dadurch sind diese Heiligen in den Standgesetzt, in das Weltgeschehen bestimmend einzugrei-fen, und der Mensch bildet so mit dem Himmel, derübersinnlichen Welt der Ideen, und der Erde, der kör-perlichen Welt der Sichtbarkeit, eine Dreiheit der Ur-mächte. In doppeltem Sinn findet nun diese Ideenlehre

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 15: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.048 I Ging, 21b. Weisheitsbuch

ihre Anwendung. Das Buch der Wandlungen zeigt dieBilder des Geschehens und mit ihnen das Werden derZustände in statu nascendi. Indem man nun durchseine Hilfe die Keime erkennt, lernt man die Zukunftvoraussehen, ebenso wie man die Vergangenheit ver-stehen lernt. So dienen die Bilder, die den Zeichen zu-grunde liegen, eben dazu, Vorbilder zu sein für daszeitgemäße Handeln in den durch sie angedeuteten Si-tuationen. Aber nicht nur die Anpassung an den Na-turverlauf wird auf diese Weise ermöglicht, sondernes wird in der großen Abhandlung (II. Abteilung, Ka-pitel II) auch der sehr interessante Versuch gemacht,die Schaffung aller Kultureinrichtungen der Mensch-heit auf solche Ideen und Bilder zurückzuführen.Ganz einerlei, wie man sich zu der Durchführung imeinzelnen stellt, dem Grundgedanken nach ist hiereine Wahrheit getroffen.

Außer den Bildern kommen als dritter Hauptbe-standteil noch die Urteile in Betracht. Hierdurch be-kommen die Bilder gleichsam Worte. Die Urteile deu-ten an, ob eine Handlung Heil oder Unheil, Reue oderBeschämung mit sich bringt. Damit setzen sie denMenschen in die Lage, sich frei zu entscheiden, einegegebene Richtung, die sich aus der Zeitsituation ansich ergeben würde, eventuell zu verlassen, wenn sieunheilvoll ist, und auf diese Weise sich vom Zwangder Ereignisse unabhängig zu machen. Indem das

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 16: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.049 I Ging, 21b. Weisheitsbuch

Buch der Wandlungen durch seine Urteile und seineErklärungen, die sich seit Kungtse daran angeschlos-sen haben, dem Leser den reifsten Schatz chinesischerLebensweisheit darbietet, gibt es eine umfassendeÜbersicht über die Gestaltungen des Lebens und setztihn in den Stand, an der Hand dieser Übersicht seinLeben organisch und souverän zu gestalten, so daß esin Einklang kommt mit dem letzten SINN, der allem,was ist, zugrunde liegt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 17: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.050 I Ging, 22Zur Übersetzung

Zur Übersetzung

Als nach der chinesischen Revolution (von 1911)Tsingtau der Aufenthaltsort einer Reihe der bedeu-tendsten chinesischen Gelehrten der alten Schulewurde, lernte ich unter ihnen Lau Nai Süan kennen,der mir zum ersten Mal die Geheimnisse des Buchesder Wandlungen erschloß. Gemeinsam gingen wir andie Arbeit. Er erklärte den Text auf chinesisch, undich machte mir Notizen. Dann übersetzte ich den Textfür mich ins Deutsche. Darauf übersetzte ich ohneBuch meinen deutschen Text ins Chinesische zurück,und Lau Nai Süan verglich, ob ich in allen Punktendas Richtige getroffen. Dann wurde der deutsche Textnoch stilistisch gefeilt und in seinen Einzelheiten be-sprochen. Ich habe ihn dann noch drei- bis viermalumgearbeitet und die wichtigsten Erklärungen beige-fügt. So wuchs die Übersetzung heran. Sie ist – inzehnjähriger Arbeit – nach folgenden Grundsätzenvollendet worden, deren Kenntnisse die Lektüre we-sentlich erleichtern dürfte:

Die Übersetzung des Textes ist so kurz und konziswie möglich gegeben, um den archaischen Eindruck,den er auch im Chinesischen macht, zur Geltung kom-men zu lassen.

Um das Eindringen in das Werk auch dem Nicht-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 18: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.051 I Ging, 22Zur Übersetzung

fachmann möglichst zu erleichtern, wurde zunächstim ersten Buch der Text der 64 Zeichen mit sachlicherErklärung gegeben. Man lese zunächst diesen Teildurch auf die Gedanken hin, die darin gegeben sind,ohne sich stören zu lassen durch die Formen- und Bil-derwelt. Man verfolge z.B. das Schöpferische in sei-nem stufenweisen Fortschritt, wie er mit Meisterhandgezeichnet ist in dem ersten Zeichen, und nehme zu-nächst ruhig die Drachen mit in Kauf, wie sie nun ein-mal dastehen. Auf diese Weise bekommt man eineVorstellung davon, was chinesische Lebensweisheitüber die verschiedenen Lebenslagen zu sagen hat.

Im zweiten Buch folgt dann die Erklärung, warumalles so ist. Es ist da das notwendigste Material zumVerständnis der Struktur der Zeichen zusammengetra-gen, aber nur das absolut notwendige, und soviel wiemöglich wurde nur das älteste Material, wie es in denAnhängen, den sogenannten zehn Flügeln, vorhandenist, gegeben. Diese Flügel wurden nun soweit wiemöglich an den Text aufgeteilt, um eine leichtereÜbersicht zu ermöglichen, nachdem ihre sachlichenAngaben auch schon im ersten Teil im Kommentarmit verwendet wurden. Wenn man also in die Tiefendes Wissens vom Buch der Wandlungen eindringenwill, ist das zweite und dritte Buch und auch das drit-te, das die Kommentare enthält [Große Ausgabe, 42.Tausend 1973], nicht zu entbehren. Andererseits soll-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 19: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.052 I Ging, 22Zur Übersetzung

te das Fassungsvermögen des europäischen Lesersnicht auf einmal mit allzuviel Ungewohntem belastetwerden. Das eine kann als feste Überzeugung ausge-sprochen werden, daß jedermann, der sich das Wesendes Buchs der Wandlungen wirklich zu eigen gemachthat, dadurch bereichert wird an Erfahrung und wirkli-chem Lebensverständnis.

Richard Wilhelm (1923)

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 20: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.053 I Ging, 22Zur Übersetzung

Fußnoten

1 Lun Yü IX, 16.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 21: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.054 I Ging, 23Erstes Buch: Der Text

Erstes Buch

Der Text

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 22: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.055 I Ging, 251. Kiën / Das Schöpferische

Erste Abteilung

1. Kiën / Das Schöpferische

oben Kiën, das Schöpferische, der Himmelunten Kiën, das Schöpferische, der Himmel

Das Zeichen besteht aus sechs ungeteilten Strichen. Dieungeteilten Striche entsprechen der lichten, starken, gei-stigen, tätigen Urkraft. Das Zeichen ist ganz einheitlichstark in seiner Natur. Da ihm keinerlei Schwäche anhaf-tet, ist es seiner Eigenschaft nach die Kraft. Sein Bild istder Himmel. Die Kraft wird dargestellt als nicht gebun-den an bestimmte räumliche Verhältnisse. Darum wirdsie aufgefaßt als Bewegung. Als Grundlage dieser Bewe-gung kommt die Zeit in Betracht. So ist denn auch dieMacht der Zeit und die Macht des Beharrens in der Zeit,die Dauer, in dem Zeichen begriffen.

Bei der Erklärung des Zeichens ist durchgehend einedoppelte Deutung zu berücksichtigen: die makrokosmi-sche und die Wirkung in der Menschenwelt. Auf dasWeltgeschehen angewandt ist in dem Zeichen das starkeschöpferische Wirken der Gottheit ausgedrückt. Auf dieMenschenwelt angewandt bezeichnet es das schöpferi-sche Wirken des Heiligen und Weisen, des Herrschers

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 23: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.056 I Ging, 251. Kiën / Das Schöpferische

und Führers der Menschen, der ihr höheres Wesen durchseine Kraft weckt und entwickelt1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 24: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.057 I Ging, 26Das Urteil

Das Urteil

Das Schöpferische wirkt erhabenes Gelingen,fördernd durch Beharrlichkeit.

Dem ursprünglichen Sinne nach gehören die Eigenschaf-ten paarweise zusammen. Für den, der dies Orakel ge-winnt, bedeutet das, daß ihm Gelingen aus den Urtiefendes Weltgeschehens zuteil werden wird und daß alles dar-auf ankommt, daß er allein durch Beharrlichkeit im Rech-ten sein und anderer Glück sucht.

Sehr früh hat sich das Nachdenken den vier Eigen-schaften in ihrer Sonderbedeutung zugewandt. Das chi-nesische Wort, das mit »erhaben« wiedergegeben ist, be-deutet »Haupt, Ursprung, groß«. Darum heißt es in derErklärung des Kungtse: »Groß wahrlich ist die Ur-sprungskraft des Schöpferischen, alle Wesen verdankenihm ihren Anfang. Und diese Kraft durchdringt den gan-zen Himmel.« Denn diese erste Eigenschaft geht auchdurch die drei andern hindurch.

Der Anfang aller Dinge liegt sozusagen noch im Jen-seitigen in der Form von Ideen, die erst zur Verwirkli-chung kommen müssen. Aber im Schöpferischen liegtauch die Kraft, diesen Urbildern der Ideen Gestalt zu ver-leihen. Das wird in dem Wort »Gelingen« bezeichnet.Dieser Vorgang wird dargestellt unter einem Bild derNatur2. »Die Wolken gehen, und der Regen wirkt, undalle einzelnen Wesen strömen in ihre Gestalt ein.«

Auf das menschliche Gebiet übertragen zeigen dieseEigenschaften dem großen Mann den Weg zu großem

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 25: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.058 I Ging, 27Das Urteil

Erfolg: »Indem er in großer Klarheit die Ursachen undWirkungen schaut, vollendet er zur rechten Zeit die sechsStufen und steigt zur rechten Zeit auf ihnen wie auf sechsDrachen empor zum Himmel.« Die sechs Stufen sind diesechs Einzelpositionen des Zeichens, die weiter untenunter dem Bild von Drachen dargestellt werden. Als Wegzum Erfolg ist hier das Erkennen und Verwirklichen desWeltsinnes bezeichnet, der als durchlaufendes Gesetzdurch Ende und Anfang alle zeitlich bedingten Erschei-nungen bewirkt. So wird jede erreichte Stufe zugleich dieVorbereitung für die nächste, und die Zeit ist dann keinHemmnis mehr, sondern das Mittel der Verwirklichungdes Möglichen.

Nachdem durch die beiden Eigenschaften erhaben undGelingen der Schöpfungsakt zum Ausdruck kam, wird imAnschluß an die beiden Ausdrücke »fördernd«, d.h. wört-lich »schaffend, was das dem Wesen Entsprechende ist«,und »beharrlich«, d.h. wörtlich »recht und fest«, das Werkder Erhaltung als fortlaufend sich verwirklichende Ausge-staltung aufgezeigt. »Der Lauf des Schöpferischen verän-dert und gestaltet die Wesen, bis jedes seine rechte, ihmbestimmte Natur erlangt, dann bewahrt er sie in Überein-stimmung mit dem großen Gleichmaß. So zeigt er sichfördernd durch Beharrlichkeit.«

Auf das menschliche Gebiet übertragen ergibt sichhieraus, wie der große Mann durch seine ordnende Tätig-keit der Welt Frieden und Sicherheit bringt: »Indem ersich mit seinem Haupt erhebt über die Menge der Wesen,kommen alle Lande zusammen in Ruhe.«

Eine andere Spekulation geht mit der Trennung derWorte »erhaben, Gelingen, fördernd, beharrlich« nochweiter und setzt sie in Parallele mit den vier menschli-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 26: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.059 I Ging, 27Das Urteil

chen Kardinaltugenden: Der »Erhabenheit«, die zugleichals Grundprinzip alle andern Eigenschaften einschließt,wird die Liebe zugeordnet. Der Eigenschaft »Gelingen«wird die Sitte zugeordnet, die die Äußerungen der Liebeordnet, organisiert und darum erfolgreich macht. Der Ei-genschaft »fördernd« wird die Gerechtigkeit zugeordnet,die Zustände schafft, in denen jeder das seinem WesenEntsprechende, was ihm gebührt und sein Glück aus-macht, erhält. Der Eigenschaft der »Beharrlichkeit« wirddie Weisheit zugeordnet, die die festen Gesetze alles Ge-schehens erkennt und darum dauernde Zustände zuschaffen vermag.

Diese Spekulationen, die schon in dem Aufsatz WenYen im zweiten Teil des Buchs der Wandlungen ange-regt sind, haben dann die Brücke gebildet, auf der diePhilosophie der fünf Wandlungsstufen (Elemente), die imBuch der Urkunden verankert ist, mit der Philosophie desBuchs der Wandlungen, die rein auf der polaren Zweiheitvon positiven und negativen Prinzipien beruht, kombi-niert wurde, wodurch dann im Lauf der Zeit einer immerweiter gehenden Zahlensymbolik die Tür geöffnetwurde3.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 27: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.060 I Ging, 28Das Bild

Das Bild

Des Himmels Bewegung ist kraftvoll.So macht der Edle sich stark und unermüdlich.

Die Verdoppelung des Zeichens Kiën, dessen Bild derHimmel ist, deutet, da es nur einen Himmel gibt, auf dieBewegung des Himmels. Eine vollendete Kreisbewegungdes Himmels ist ein Tag. Die Verdoppelung des Zeichensbedeutet, daß auf jeden Tag ein weiterer folgt. Das er-zeugt die Vorstellung der Zeit und zugleich, da es dersel-be Himmel ist, der sich in unermüdlicher Kraft bewegt,der kraftvollen Dauer in und über der Zeit, einer Bewe-gung, die nie stillsteht oder erlahmt, wie Tag um Tag ein-ander dauernd folgen. Diese Dauer in der Zeit ist das Bildder Kraft, wie sie dem Schöpferischen zu eigen ist.

Der Weise entnimmt daraus das Vorbild dafür, wie ersich zu dauernder Wirkung zu entwickeln vermag. Ermuß sich ganz einheitlich stark machen, indem er allesNiederziehende, Gemeine bewußt ausschaltet. So ge-winnt er die Unermüdlichkeit, die auf geschlossenen Tä-tigkeitskreisen beruht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 28: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.061 I Ging, 28Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien4

Anfangs eine Neun bedeutet:Verdeckter Drache. Handle nicht.

Der Drache hat in China eine ganz andere Bedeutung alsin der westlichen Auffassung. Der Drache ist das Symbolder beweglich-elektrischen, starken, anregenden Kraft,die sich im Gewitter zeigt. Diese Kraft zieht sich im Win-ter in die Erde zurück, tritt im Frühsommer wieder inWirkung und erscheint am Himmel als Blitz und Donner.Infolge davon regen sich dann auf der Erde auch dieschöpferischen Kräfte wieder.

Hier ist diese schöpferische Kraft noch verdeckt unter-halb der Erde und hat daher noch keine Wirkung. Das be-deutet, auf menschliche Verhältnisse übertragen, daß einbedeutender Mensch noch unerkannt ist. Aber er bleibtsich darum dennoch selber treu. Er läßt sich von äußeremErfolg und Mißerfolg nicht beeinflussen, sondern wartetstark und unbekümmert seine Zeit ab.

So gilt es für den, der diesen Strich zieht, zu warten inruhig starker Geduld. Die Zeit wird sich schon erfüllen.Man braucht nicht zu fürchten, daß ein starker Wille sichnicht durchsetzt. Doch gilt es, seine Kraft nicht voreiligauszugeben und etwas erzwingen zu wollen, das nochnicht an der Zeit ist.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Erscheinender Drache auf dem Feld.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 29: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.062 I Ging, 29Die einzelnen Linien

Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.

Hier beginnen die Wirkungen der lichten Kraft sich zuzeigen. Auf menschliche Verhältnisse übertragen bedeu-tet das, daß der große Mann auf dem Felde seiner Tätig-keit erscheint. Noch hat er keine herrschende Stellung,sondern ist noch unter Seinesgleichen. Aber was ihn vorandern auszeichnet, ist sein Ernst, seine unbedingte Zu-verlässigkeit, der Einfluß, den er ohne bewußte Anstren-gung auf seine Umgebung ausübt. Ein solcher Menschist dazu bestimmt, großen Einfluß zu bekommen und dieWelt in Ordnung zu bringen. Darum ist es fördernd, ihnzu sehen.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Der Edle ist den ganzen Tag schöpferisch tätig.Des Abends noch ist er voll innerer Sorge.Gefahr. Kein Makel.

Ein Wirkungskreis eröffnet sich für den bedeutendenMann. Sein Ruhm beginnt sich auszubreiten. Die Massenfallen ihm zu. Seine innere Kraft ist der gesteigerten äu-ßeren Tätigkeit gewachsen. Es gibt alle Hände voll zutun, und selbst abends noch, da andere ruhen, drängensich die Pläne und Sorgen. Eine Gefahr ist hier vorhan-den am Platz des Überganges aus der Niedrigkeit in dieHöhe. Schon mancher große Mann ging dadurch zugrun-de, daß die Massen ihm zufielen und ihn mitrissen in ihreBahnen hinein. Ehrgeiz verdarb die innere Reinheit. Aberwahre Größe wird durch Versuchungen nicht beeinträch-tigt. Wenn man in Fühlung bleibt mit den Keimen der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 30: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.063 I Ging, 29Die einzelnen Linien

neuen Zeit und ihren Forderungen, so besitzt man genü-gende Vorsicht, sich vor Abwegen zu hüten, und bleibtohne Makel.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Schwankender Aufschwung über die Tiefe. Kein

Makel.

Hier ist die Stelle des Übergangs erreicht, wo die Freiheitsich betätigen kann. Eine doppelte Möglichkeit liegt vordem bedeutenden Mann: entweder sich aufzuschwingenund im großen Leben maßgebend zu sein oder sich zu-rückzuziehen und in der Stille seine Persönlichkeit auszu-bilden: der Weg des Helden oder des verborgenen Heili-gen. Welches der richtige ist, darüber gibt es kein allge-meines Gesetz. Jeder, der in solcher Lage ist, muß nachden innersten Gesetzen seines Wesens sich frei entschei-den. Wenn er ganz wahr und folgerichtig handelt, so fin-det er den Weg, der ihm entspricht, und dieser Weg istfür ihn recht und ohne Makel.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Fliegender Drache am Himmel.Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.

Hier ist der große Mann in der Sphäre der Himmlischenangelangt. Sein Einfluß erstreckt sich weithin sichtbarüber die ganze Welt. Jeder, der ihn sieht, kann sich seligpreisen.

Kungtse sagt darüber: »Was im Ton übereinstimmt,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 31: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.064 I Ging, 30Die einzelnen Linien

schwingt miteinander. Was wahlverwandt ist im inner-sten Wesen, das sucht einander. Das Wasser fließt zumFeuchten hin, das Feuer wendet sich dem Trockenen zu.Die Wolken (des Himmels Atem) folgen dem Drachen,der Wind (der Erde Atem) folgt dem Tiger. So erhebt sichder Weise, und alle Wesen blicken nach ihm. Was vomHimmel stammt, fühlt sich verwandt mit dem, was dro-ben ist. Was von der Erde stammt, fühlt sich verwandtmit dem, was drunten ist. Jedes folgt seiner Art.«

Oben eine Neun bedeutet:Hochmütiger Drache wird zu bereuen haben.

Wenn man so hoch emporsteigen will, daß man die Füh-lung mit den übrigen Menschen verliert, so wird man ver-einsamt, und das führt notwendig zu Mißerfolg. Hier liegteine Warnung gegen ein titanisches Emporstreben, dasüber die Kraft geht. Ein Sturz zur Tiefe würde die Folgesein.

Wenn lauter Neunen erscheinen, bedeutet das:Es erscheint eine Schar von Drachen ohne Haupt.

Heil!

Wenn alle Linien Neunen sind, so kommt das ganze Zei-chen in Bewegung und verwandelt sich in das ZeichenKun, das Empfangende, dessen Charakter die Hingebungist. Die Stärke des Schöpferischen und die Milde desEmpfangenden vereinen sich. Das Starke ist angedeutetdurch die Schar der Drachen, das Milde durch den Um-stand, daß ihre Häupter verborgen sind. Das bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 32: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.065 I Ging, 30Die einzelnen Linien

Milde in der Handlungsweise verbunden mit Stärke desEntschlusses bringt Heil.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 33: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.066 I Ging, 30Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Das Zeichen ist dem 4. Monat (Mai-Juni) zugeord-net, wenn die lichte Kraft auf ihrer Höhe steht, nochehe die Sonnenwende den Rückgang des Jahres be-ginnt.

2 Vgl. Genesis Kap. 2, 1 ff., wo auch die Entfaltungder Einzelwesen auf das Fallen des Regens zurückge-führt wird.

3 Das Schöpferische bewirkt Anfang und Zeugungaller Wesen. Man kann es daher bezeichnen als Him-mel, lichte Kraft, Vater, Herr. Es ist nun eine Frage,ob das Schöpferische im Chinesischen persönlich ge-dacht ist wie Zeus bei den Griechen. Die Antwort lau-tet, daß dieses Problem für das Chinesentum gar nichtdas Wichtigste ist. Das Göttlich-Schöpferische ist so-zusagen überpersönlich. Es macht sich nur fühlbarund bemerkbar durch seine übermächtige Aktivität.Wohl hat es sozusagen ein Äußeres, das ist der Him-mel. Und der Himmel hat wie alles Lebende ein seeli-sches Selbstbewußtsein, das ist Gott (der höchsteHerrscher). Allein ganz objektiv redet man von demallen als dem Schöpferischen.

4 Die Linien werden von unten nach oben gezählt.Der Anfangsstrich ist also der unterste. Erlangt der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 34: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.067 I Ging, 30Die einzelnen Linien

Fragende eine Sieben, so ist das zwar ein starkerStrich, der für den Aufbau des Gesamtzeichens in Be-tracht kommt, doch bewegt er sich nicht und hat daherin seiner Einzelheit keine Bedeutung. Erlangt der Fra-gende dagegen eine Neun, so bewegt sich der Strich,und seine Sonderbedeutung tritt dabei hervor und istim einzelnen zu bedenken. Dasselbe gilt von den üb-rigen starken Linien im ganzen Buch. In den einzel-nen Zeichen bedeuten die beiden unteren Linien dieErde, die mittleren das Gebiet der Menschenwelt, dieoberen den Himmel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 35: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.068 I Ging, 312. Kun / Das Empfangende

2. Kun / Das Empfangende

oben Kun, das Empfangende, die Erdeunten Kun, das Empfangende, die Erde

Das Zeichen besteht aus lauter geteilten Linien. Die ge-teilte Linie entspricht der schattigen, weichen, rezeptivenUrkraft des Yin. Die Eigenschaft des Zeichens ist dieHingebung, sein Bild ist die Erde. Es ist das vollkom-mene Gegenstück zu dem Schöpferischen, das Gegen-stück, nicht der Gegensatz; eine Ergänzung keine Be-kämpfung. Es ist die Natur gegenüber dem Geist, dieErde gegenüber dem Himmel, das Räumliche gegenüberdem Zeitlichen, das Weiblich-Mütterliche gegenüber demMännlich-Väterlichen. Der Grundsatz dieses Gegenstük-kes findet sich aber, auf menschliche Verhältnisse über-tragen, nicht nur in den Beziehungen zwischen Mannund Weib, sondern auch von Fürst und Minister oderVater und Sohn; ja selbst in den einzelnen Menschen istdiese Zweiheit in dem Zusammensein von Geistigem undSinnlichem.

Dennoch kann von einem eigentlichen Dualismusnicht geredet werden, denn es besteht zwischen den bei-den Zeichen das Verhältnis einer klaren Rangordnung.An sich ist natürlich das Empfangende ebenso wichtigwie das Schöpferische. Aber durch die Eigenschaft derHingebung ist die Stellung dieser Urkraft dem Schöpferi-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 36: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.069 I Ging, 312. Kun / Das Empfangende

schen gegenüber bezeichnet. Sie muß unter der Leitungund Anregung des Schöpferischen sein, dann wirkt sieheilvoll. Nur wenn sie aus dieser Stellung heraustritt unddem Schöpferischen ebenbürtig zur Seite treten will, wirdsie böse. Daraus ergibt sich dann Gegensatz und Kampfgegen das Schöpferische, der für beide Teile unheilvollwirkt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 37: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.070 I Ging, 31Das Urteil

Das Urteil

Das Empfangende wirkt erhabenes Gelingen,fördernd durch die Beharrlichkeit einer Stute.Hat der Edle etwas zu unternehmen und will voraus,so geht er irre; doch folgt er nach, so findet er

Leitung.Fördernd ist es, im Westen und Süden Freunde zu

finden,im Osten und Norden der Freunde zu entraten.Ruhige Beharrlichkeit bringt Heil.

Die vier Grundrichtungen des Schöpferischen: »erhabe-nes Gelingen, fördernd durch Beharrlichkeit« finden sichauch als Bezeichnung des Empfangenden. Nur ist die Be-harrlichkeit näher definiert als die Beharrlichkeit einerStute. Das Empfangende bezeichnet die räumliche Wirk-lichkeit gegenüber der geistigen Möglichkeit des Schöpfe-rischen. Wenn das Mögliche wirklich wird, das Geistigeräumlich, so geschieht das immer durch eine einschrän-kende, individuelle Bestimmung. Das ist bezeichnet da-durch, daß hier dem Ausdruck »Beharrlichkeit« die nähe-re Bestimmung »einer Stute« beigefügt ist. Das Pferd ge-hört zur Erde wie der Drache zum Himmel, es symboli-siert durch seine unermüdliche Bewegung über dieEbene hin die Weiträumigkeit der Erde. Der Ausdruck»Stute« ist gewählt, weil die Stute die Kraft und Schnel-ligkeit des Pferdes mit der Sanftheit und Hingebung derKuh vereinigt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 38: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.071 I Ging, 32Das Urteil

Die Natur kann nur darum, weil sie dem Wesen desSchöpferischen gewachsen ist, dessen Anregungen ver-wirklichen. Ihr Reichtum besteht darin, daß sie alleWesen ernährt, und ihre Größe, daß sie alles verschöntund herrlich macht. So schafft sie Gedeihen für alles Le-bendige. Während das Schöpferische die Dinge zeugt,werden sie vom Empfangenden geboren1. Auf menschli-che Verhältnisse übertragen, handelt es sich darum, derLage entsprechend sich zu verhalten. Man ist nicht inselbständiger Stellung, sondern als Gehilfe tätig. Da giltes, etwas zu leisten. Nicht führen zu wollen – dadurchverirrte man sich nur –, sondern sich führen zu lassen, istdie Aufgabe. Wenn man es versteht, dem Schicksal ge-genüber sich hingebend zu verhalten, so findet man sich-er eine entsprechende Leitung. Der Edle läßt sich leiten.Er geht nicht blindlings voran, sondern er entnimmt denVerhältnissen, was von ihm verlangt wird, und folgt die-ser Weisung des Schicksals.

Da man etwas leisten soll, bedarf man der Gehilfenund Freunde zur Zeit der Arbeit und Anstrengung, wenndie Gedanken, die ausgeführt werden sollen, schon fest-liegen. Die Zeit der Arbeit und Anstrengung wird durchden Westen und Süden ausgedrückt. Denn der Südenund Westen ist das Symbol für den Ort, da das Empfan-gende für das Schöpferische arbeitet – wie die Natur imSommer und Herbst; wenn man da nicht alle Kräfte zu-sammenfaßt, wird man nicht fertig mit der Arbeit, dieman zu leisten hat. Darum bedeutet hier, Freunde zu be-kommen, eben daß man Leistung findet. Aber außer derArbeit und Anstrengung gibt es auch eine Zeit des Pla-nens und Ordnens; da bedarf's der Einsamkeit. Der Ostensymbolisiert den Ort, da man die Aufträge von seinem

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 39: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.072 I Ging, 32Das Urteil

Herrn erhält, und der Norden den Ort, da man über dasGeleistete berichtet. Da gilt es allein und sachlich zu sein.In dieser heiligen Stunde muß man der Genossen entra-ten, damit nicht durch der Parteien Haß und Gunst dieReinheit getrübt wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 40: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.073 I Ging, 33Das Bild

Das Bild

Der Zustand der Erde ist die empfangendeHingebung.

So trägt der Edle weiträumigen Wesens dieAußenwelt.

Ebenso wie es nur einen Himmel gibt, gibt es auch nureine Erde. Während aber beim Himmel die Verdoppelungdes Zeichens zeitliche Dauer bedeutet, bedeutet sie beider Erde die räumliche Ausdehnung und Festigkeit, mitder sie alles, was da lebt und webt, trägt und erhält. DieErde in ihrer Hingebung trägt ohne Ausnahme Gut undBöse. So macht der Edle seinen Charakter weiträumig,gediegen und tragfähig, so daß er Menschen und Dingezu tragen und ertragen vermag.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 41: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.074 I Ging, 33Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Tritt man auf Reif, so naht das feste Eis.

Wie die lichte Kraft das Leben darstellt, so die schattigeKraft den Tod. Im Herbst, wenn der Frühreif fällt, ist dieKraft des Dunkels und der Kälte erst in der Entfaltung.Nach den ersten Spuren werden sich nach festen Geset-zen die Äußerungen des Todes allmählich mehren, bisschließlich der starre Winter mit seinem Eis da ist.

Genau so geht es im Leben. Wenn sich gewisse, kaummerkliche Zeichen des Verfalls zeigen, so geht es weiter,bis schließlich der Untergang da ist. Aber im Leben kannman vorbeugen, wenn man die Anzeichen des Verfallsbeachtet und ihnen rechtzeitig entgegentritt.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Gerade, rechtwinklig, groß.Ohne Absicht bleibt doch nichts ungefördert.

Der Himmel hat als Symbol den Kreis, die Erde dasrechtwinklige Quadrat. Somit ist das Rechtwinklige eineursprüngliche Eigenschaft der Erde. Dagegen ist die ge-radlinige Bewegung ursprünglich eine Eigenschaft desSchöpferischen, ebenso wie die Größe. Aber alle recht-winkligen Dinge haben ihre Wurzel in der geraden Linieund bilden ihrerseits wieder körperliche Größen. Wennman in der Mathematik Linien, Flächen und Körper un-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 42: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.075 I Ging, 34Die einzelnen Linien

terscheidet, so ergeben sich aus geraden Linien recht-winklige Flächen und aus rechtwinkligen Flächen kubi-sche Größen. Das Empfangende richtet sich nach den Ei-genschaften des Schöpferischen und macht sie zu seineneigenen. So wird aus einer Geraden ein Quadrat und auseinem Quadrat ein Würfel. Das ist die einfache Hinge-bung an die Gesetze des Schöpferischen, ohne etwasdavon- oder dazuzutun. Darum bedarf es für das Emp-fangende nicht einer besonderen Absicht oder Anstren-gung, und alles wird recht.

Die Natur erzeugt die Wesen ohne Falsch, das ist ihreGeradheit; sie ist ruhig und still, das ist ihre Rechtwink-ligkeit; sie weigert sich nicht, irgendein Wesen zu dulden,das ist ihre Größe. Darum erreicht sie ohne äußeres Ma-chen oder besondere Absichten für alle das Rechte. Fürden Menschen bedeutet es höchste Weisheit, in seinemWirken so selbstverständlich zu werden wie die Natur.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Verborgene Linien; man vermag beharrlich zu

bleiben.Folgst du etwa eines Königs Diensten,so suche nicht Werke, aber vollende!

Wenn man frei von Eitelkeit ist, so vermag man seineVorzüge so zu verdecken, daß sie nicht vorzeitig die öf-fentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So kann manin der Stille reifen. Wenn es die Verhältnisse erfordern, somag man auch in die Öffentlichkeit hervortreten, aberauch dann zurückhaltend. Der Weise wird den Ruhmgern andern lassen. Er sucht nicht fertige Tatsachen, die

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 43: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.076 I Ging, 34Die einzelnen Linien

ihm als Verdienste angerechnet werden, wohl aber er-hofft er wirkende Ursachen, d.h. er vollendet die Werkeso, daß sie für die Zukunft fruchtbringend sind.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Zugebundener Sack. Kein Makel; kein Lob.

Das Schattige öffnet sich, wenn es sich bewegt, undschließt sich, wenn es ruht. Hier ist die strengste Ver-schlossenheit gezeichnet. Die Zeit ist gefährlich: jedesHervortreten führt entweder zur Feindschaft übermächti-ger Gegner, wenn man sie bekämpfen wollte, oder zumißverstandener Anerkennung, wenn man sich läßlichgäbe. So gilt es, sich zu verschließen, sei es in der Ein-samkeit oder im Weltgetriebe: denn auch da kann mansich so gut verbergen, daß niemand einen kennt.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Gelbes Untergewand bringt erhabenes Heil.

Gelb ist die Farbe der Erde und der Mitte, das Symbol desZuverlässigen und Echten. Das Untergewand ist unauf-fällig verziert, das Symbol vornehmer Zurückhaltung.Wenn jemand zu wirken berufen ist an hervorragender,doch nicht unabhängiger Stellung, so beruht der wahreErfolg auf der höchsten Diskretion. Die Echtheit undFeinheit darf nicht direkt hervortreten, sondern nur alsWirkung von innen her sich mittelbar äußern.

Oben eine Sechs bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 44: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.077 I Ging, 35Die einzelnen Linien

Drachen kämpfen auf dem Anger.Ihr Blut ist schwarz und gelb.

Auf dem obersten Platz sollte das Schattige dem Lichtenweichen. Will es sich auf dem Platz, der ihm nicht ge-bührt, behaupten, und statt zu dienen, herrschen, so ziehtes sich den Zorn des Starken zu. Es kommt zum Kampf,in dem es gestürzt wird, in dem jedoch beide Teile zuSchaden kommen.

Der Drache, das Symbol des Himmels, kommt herbeiund bekämpft den falschen Drachen, zu dessen Bilde hierdas Irdische sich gesteigert hat. Schwarzblau ist die Farbedes Himmels, Gelb ist die Farbe der Erde. Wenn alsoschwarzes und gelbes Blut fließt, so ist das ein Zeichen,daß durch diesen unnatürlichen Kampf beide GrundkräfteSchaden leiden2.

Wenn lauter Sechsen erscheinen, bedeutet das:Fördernd ist dauernde Beharrlichkeit.

Wenn lauter Sechsen erscheinen, verwandelt sich dasZeichen des Empfangenden in das Zeichen des Schöpfe-rischen. Es gewinnt so die Kraft der Dauer im Festhaltendes Rechten. Es gibt zwar keinen Fortschritt, aber auchkeinen Rückschritt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 45: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.078 I Ging, 35Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Es findet sich hier eine ähnliche Auffassung, wieGoethe sie in den Versen ausdrückt:

So schauet mit bescheidenem BlickDer ewigen Weberin Meisterstück,Wie ein Tritt tausend Fäden regt,Die Schifflein hinüber herüber schießen,Die Fäden sich begegnend fließen,Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt;Das hat sie nicht zusammengebettelt,Sie hat's von Ewigkeit angezettelt,Damit der ewige MeistermannGetrost den Einschlag werfen kann.

2 Während die oberste Linie des Schöpferischen Tita-nenstolz zeigt und eine Parallele bildet zur griechi-schen Sage des Ikarus, ist in der obersten Linie desEmpfangenden eine Parallele zum Mythos von Luzi-fer, der sich gegen die oberste Gottheit empört, oderzu dem Kampf der dunklen Mächte gegen die GötterWalhalls, der mit der Götterdämmerung endet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 46: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.079 I Ging, 363. Dschun / Die Anfangsschwierigkeit

3. Dschun / Die Anfangsschwierigkeit

oben Kan, das Abgründige, das Wasserunten Dschen, das Erregende, der Donner

Der Name des Zeichens, Dschun, stellt eigentlich einGras dar, das bei seinem Hervorsprießen aus der Erde aufein Hindernis stößt. Daraus ergibt sich die Bedeutung derAnfangsschwierigkeit. Das Zeichen deutet, wie Himmelund Erde die Einzelwesen hervorbringen. Es ist ihre ersteBegegnung, die mit Schwierigkeiten verbunden ist. Dasuntere Zeichen, Dschen, ist das Erregende; seine Bewe-gung geht nach oben; zum Bild hat es den Donner. Dasobere Zeichen, Kan, ist das Abgründige, Gefährliche;seine Bewegung geht nach unten; zum Bild hat es denRegen. Die Lage deutet also auf dichte, chaotische Fülle.Donner und Regen erfüllen die Luft. Aber das Chaoslichtet sich. Die Bewegung, die nach oben gerichtet ist,während das Abgründige sich senkt, kommt schließlichaus der Gefahr hinaus. Im Gewitter entladen sich die ge-spannten Kräfte, und alles atmet erleichtert auf.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 47: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.080 I Ging, 36Das Urteil

Das Urteil

Die Anfangsschwierigkeit wirkt erhabenes Gelingen.Fördernd durch Beharrlichkeit.Man soll nichts unternehmen.Fördernd ist es, Gehilfen einzusetzen.

Werdezeiten haben Schwierigkeiten. Es ist wie eine Erst-geburt. Aber diese Schwierigkeiten entstehen aus derFülle dessen, was nach Gestaltung ringt. Es ist alles inBewegung begriffen, darum ist trotz der vorhandenenGefahr Aussicht auf großen Erfolg da, wenn man Beharr-lichkeit hat. Wenn solche Anfangszeiten als Schicksalkommen, so ist noch alles ungestaltet und dunkel. Darummuß man abwarten, denn jedes vorzeitige Zufassen könn-te Mißerfolg bringen. Ebenso ist es von großer Wichtig-keit, daß man nicht allein bleibt. Man muß Gehilfenhaben, um gemeinsam mit ihnen das Chaos zu bewälti-gen. Das heißt aber nicht, daß man selbst untätig denVorgängen zuschauen soll, sondern man muß mit Handanlegen, anfeuernd und leitend bei allem dabei sein.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 48: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.081 I Ging, 36Das Bild

Das Bild

Wolken und Donner: das Bild derAnfangsschwierigkeit.

So wirkt der Edle entwirrend und ordnend.

Wolken und Donner werden dargestellt durch bestimmteLinienornamente, das heißt, daß in dem Chaos der An-fangsschwierigkeit die Ordnung schon angelegt ist. Somuß der Edle in solchen Anfangszeiten die unübersichtli-che Fülle gliedern und ordnen, wie man Seidenfäden auseinem Knäuel auseinanderliest und sie zu Strängen ver-bindet. Man muß, um im Unendlichen sich zu finden, un-terscheiden und verbinden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 49: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.082 I Ging, 37Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Zögern und Hemmung.Fördernd ist es, beharrlich zu bleiben.Fördernd ist es, Gehilfen einzusetzen.

Wenn man zu Anfang einer Unternehmung auf Hem-mung stößt, so darf man den Fortschritt nicht erzwingenwollen, sondern muß vorsichtig innehalten. Aber mandarf sich nicht irremachen lassen, sondern muß dauerndund beharrlich sein Ziel im Auge behalten. Wichtig ist es,daß man sich die richtigen Hilfskräfte sucht. Die findetman nur dann, wenn man bescheiden mit den Menschenverkehrt und sich nicht überhebt. Nur dadurch falleneinem die Menschen zu, mit deren Hilfe man die Schwie-rigkeiten in Angriff nehmen kann.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Schwierigkeiten türmen sich.Pferd und Wagen trennen sich.Nicht Räuber er ist,Will freien zur Frist.Das Mädchen ist keusch, verspricht sich nicht.Zehn Jahre, dann verspricht sie sich.

Man befindet sich in Schwierigkeit und Hemmung. Dazeigt sich plötzlich eine Wendung, wie wenn jemand mit

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 50: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.083 I Ging, 38Die einzelnen Linien

Wagen und Pferden herankäme und ausspannte. Dies Er-eignis kommt so überraschend, daß man vermutet, derHerankommende sei ein Räuber. Allmählich zeigt es sich,daß er keine bösen Absichten hat, sondern freundlicheVerbindung sucht und Erleichterung anbietet. Aber mannimmt das Anerbieten nicht an, da es nicht von der rech-ten Seite kommt, sondern wartet, bis die Zeit erfüllt ist –zehn Jahre sind ein geschlossener Zeitraum, eine erfüllteZeit. Dann kehren von selbst die normalen Verhältnissewieder, und man kann sich mit dem Freund vereinen, dereinem bestimmt ist.

Unter dem Bild einer Braut, die in schweren Konflik-ten ihrem Geliebten treu bleibt, wird ein Rat für eine be-sondere Lebenslage erteilt: Wenn in Zeiten der Schwie-rigkeit, da man auf Hemmung stößt, unerwartet eine Er-leichterung angeboten wird von einer Seite, zu der mankeine Beziehung hat, so soll man vorsichtig sein undkeine Verpflichtungen auf sich nehmen, wie das dieFolge einer solchen Hilfe wäre, da man sonst in der Frei-heit der Entscheidung beeinträchtigt wäre. Wenn man dieZeit abwartet, so werden die ruhigen Verhältnisse wieder-kommen, und man erreicht, was man gehofft1.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Wer den Hirsch jagt ohne Förster,der verirrt sich nur im Wald.Der Edle versteht die Zeichen der Zeitund steht lieber ab.Weitermachen bringt Beschämung.

Wenn man keinen Führer hat und in einem fremden

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 51: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.084 I Ging, 38Die einzelnen Linien

Walde jagen will, so verirrt man sich. Man darf sich ausden Schwierigkeiten, in denen man steht, nicht unbe-dacht und führerlos herausstehlen wollen. Das Schicksalläßt sich nicht betrügen. Voreiliges Streben ohne die nöti-ge Leitung führt zu Mißerfolg und Schande. Darum wirdder Edle, der die Keime des Kommenden erkennt, lieberauf einen Wunsch verzichten, als dadurch, daß er ihn zuerzwingen sucht, sich Mißerfolg und Beschämung zuzu-ziehen.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Pferd und Wagen trennen sich.Suche nach Vereinigung.Hingehen bringt Heil.Alles wirkt fördernd.

Man ist in einer Lage, da man die Pflicht hat, zu handeln,aber die Kraft reicht nicht aus. Doch bietet sich Gelegen-heit, Anschluß zu finden. Da gilt es, zuzugreifen. Mandarf sich nicht durch einen falschen Stolz und falsche Zu-rückhaltung abhalten lassen. Es ist ein Zeichen innererKlarheit, wenn man es über sich gewinnt, den erstenSchritt zu tun, selbst wenn eine gewisse Selbstverleug-nung damit verbunden ist. In schwieriger Lage ist eskeine Schande, sich helfen zu lassen. Wenn man denrichtigen Gehilfen findet, geht alles gut.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Schwierigkeiten im Segnen.Kleine Beharrlichkeit bringt Heil,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 52: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.085 I Ging, 39Die einzelnen Linien

große Beharrlichkeit bringt Unheil.

Man findet sich in der Lage, daß man keine Möglichkeithat, seine guten Absichten so zum Ausdruck zu bringen,daß sie wirklich in die Erscheinung treten und verstandenwerden. Andere schieben sich dazwischen und entstellenalles, was man tut. Da muß man dann vorsichtig sein undallmählich vorgehen. Man darf nichts Großartiges gewalt-sam durchsetzen wollen; denn so etwas gelingt nur, wennman das allgemeine Vertrauen schon genießt. Nur im stil-len, durch treue und gewissenhafte Arbeit kann man all-mählich dahin wirken, daß die Verhältnisse sich aufklä-ren und die Hemmung fällt.

Oben eine Sechs bedeutet:Pferd und Wagen trennen sich.Blutige Tränen ergießen sich.

Es gibt Menschen, denen werden die Anfangsschwierig-keiten zu schwer. Sie bleiben stecken und finden sichnicht mehr durch. Sie lassen die Hände sinken und gebenden Kampf auf. Ein solcher Verzicht gehört zum Traurig-sten. Darum macht Kungtse dazu die Bemerkung: »Bluti-ge Tränen ergießen sich: das darf man nicht dauerndtun2.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 53: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.086 I Ging, 39Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Eine andere Deutung ergibt sich aus folgender,ebenfalls möglichen Übersetzung:

Schwierigkeiten türmen sich.Pferd und Wagen wenden sich.Wär nicht der Räuber da,Der Freier käme ja.Das Mädchen ist treu, verspricht sich nicht.Zehn Jahre, dann verspricht sie sich.

2 Wenn man im Kampf des Lebens an solche Stellegelangt, da man nicht weiterkommt und ein Seufzersich der Brust entringt, wie an jener berühmten Stellevon Beethovens C-moll-Symphonie: dauernd darf die-ser Zustand nicht sein. Man muß die Pferde der wil-lensstarken Gedanken wieder anspannen und denKampf zu Ende führen.

»Wer niemals ruht,Wer mit Herz und BlutAuf Unmögliches sinnt,Der gewinnt.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 54: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.087 I Ging, 394. Mong / Die Jugendtorheit

4. Mong / Die Jugendtorheit

oben Gen, das Stillehalten, der Bergunten Kan, das Abgründige, das Wasser

Auf doppelte Weise ist das Gedenken der Jugend undTorheit in diesem Zeichen nahegelegt. Das obere Zei-chen, Gen, hat als Bild einen Berg, das untere, Kan, hatals Bild das Wasser. Die Quelle, die unten am Berg her-vorkommt, ist das Bild der unerfahrenen Jugend. Die Ei-genschaft des oberen Zeichens ist das Stillehalten, die desunteren der Abgrund, die Gefahr. Das Stillehalten voreinem gefährlichen Abgrund ist ebenfalls ein Symbol derratlosen Torheit der Jugend. In den beiden Zeichen liegtaber auch der Weg, wie die Jugendtorheiten überwundenwerden können: Das Wasser ist etwas, das mit Notwen-digkeit weiterfließt. Wenn die Quelle hervorbricht, soweiß sie zunächst freilich nicht, wohin. Aber sie fülltdurch ihr stetiges Fließen die tiefe Stelle, die sie am Fort-schritt hindert, aus, und dann ist der Erfolg da.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 55: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.088 I Ging, 40Das Urteil

Das Urteil

Jugendtorheit hat Gelingen.Nicht ich suche den jungen Toren,der junge Tor sucht mich.Beim ersten Orakel gebe ich Auskunft.Fragt er zwei-, dreimal, so ist das Belästigung.Wenn er belästigt, so gebe ich keine Auskunft.Fördernd ist Beharrlichkeit.

In der Jugend ist Torheit nichts Schlimmes. Es kann ihrdoch gelingen. Nur muß man einen erfahrenen Lehrerfinden und ihm auf die rechte Weise gegenübertreten.Dazu gehört erstens, daß man die eigene Unerfahrenheitselbst empfindet und einen Lehrer aufsucht. Nur dieseBescheidenheit und dieses Interesse verbürgt die nötigeAufnahmebereitschaft, die sich in ehrfurchtsvoller Aner-kennung des Lehrers äußern wird.

Darum muß der Lehrer ruhig warten, bis er aufgesuchtwird. Er soll sich nicht von sich aus anbieten: nur so kanndie Belehrung zur rechten Zeit und auf die rechte Weiseerfolgen.

Die Antwort, die der Lehrer auf die Fragen des Schü-lers gibt, soll klar und bestimmt sein wie die Antwort, dieein Orakelsucher zu erhalten wünscht. Sie muß dann alsLösung des Zweifels und Entscheidung angenommenwerden. Mißtrauisches oder gedankenloses Weiterfragendient zur bloßen Belästigung des Lehrers und wird ambesten mit Stillschweigen übergangen, ähnlich wie das

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 56: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.089 I Ging, 40Das Urteil

Orakel auch nur eine Antwort gibt und versucherischenZweifelsfragen gegenüber versagt.

Wenn dazu die Beharrlichkeit tritt, die nicht nachläßt,bis man Punkt für Punkt sich angeeignet hat, so wird einschöner Erfolg sicher sein.

Das Zeichen gibt somit Ratschläge sowohl für denLehrenden als auch für den Lernenden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 57: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.090 I Ging, 40Das Bild

Das Bild

Unten am Berg kommt ein Quell hervor:das Bild der Jugend.So nährt der Edle durch gründliches Handelnseinen Charakter.

Die Quelle kommt dadurch ins Fließen und zur Überwin-dung des Stillstandes, daß sie alle hohlen Stellen aufihrem Weg ausfüllt. Ebenso ist der Weg zur Bildung desCharakters die Gründlichkeit, die nichts überspringt, son-dern allmählich und stetig wie das Wasser alle Lückenausfüllt und so vorankommt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 58: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.091 I Ging, 41Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Um den Toren zu entwickeln,ist es fördernd, den Menschen in Zucht zu nehmen.Man soll die Fesseln abnehmen.So weitermachen bringt Beschämung.

Am Anfang der Erziehung steht das Gesetz. Die Unerfah-renheit der Jugend ist geneigt, zunächst alles lässig undspielerisch zu nehmen. Da muß ihr der Ernst des Lebensgezeigt werden. Ein gewisses Sichzusammennehmen, woes durch stramme Zucht erzwungen wird, ist gut. Wermit dem Leben spielt, kommt nie zurecht. Aber die Zuchtdarf nicht in Drill ausarten. Fortgesetzter Drill wirkt be-schämend und lähmt die Kraft.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Die Toren ertragen in Milde, bringt Heil.Die Frauen zu nehmen wissen, bringt Heil.Der Sohn ist dem Hauswesen gewachsen.

Hier ist ein Mann gezeichnet, der keine äußere Machthat, aber die nötige Geisteskraft, um die auf ihm lastendeVerantwortung zu tragen. Er besitzt die innere Überle-genheit und Stärke, die die Unzulänglichkeiten dermenschlichen Torheit in Milde zu tragen versteht. Diesel-be Gesinnung gilt den Frauen als dem schwächeren Ge-schlecht gegenüber. Man muß sie zu nehmen wissen und

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 59: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.092 I Ging, 42Die einzelnen Linien

anzuerkennen in einer gewissen ritterlichen Nachsicht.Nur durch diese Vereinigung von innerer Kraft und äuße-rer Zurückhaltung wird man die Verantwortung der Lei-tung eines größeren gesellschaftlichen Organismus über-nehmen können und dabei wirklich Erfolg haben.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Nicht sollst du ein Mädchen nehmen,das einen ehernen Mann siehtund sich nicht im Besitz behält.Nichts ist fördernd.

Ein schwacher, unerfahrener Mensch, der nach obenstrebt, verliert leicht seine persönliche Eigenart, wenn eran hoher Stelle eine starke Persönlichkeit sieht, die ersklavisch nachahmt. Er gleicht einem Mädchen, das sichpreisgibt, wenn sie einem starken Mann begegnet. Einersolchen unfreien Annäherung gegenüber darf man nichtentgegenkommend sein. Entgegenkommen wäre wederfür den Jüngling noch für den Erzieher gut.

Ein Mädchen ist es ihrer Würde schuldig, daß sie aufWerbung wartet. In beiden Fällen ist es unwürdig, sichselbst anzubieten, und es ist nicht gut, ein solches Ange-bot anzunehmen.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Beschränkte Torheit bringt Beschämung.

Für die Jugendtorheit ist es das hoffnungsloseste, sich inleere Einbildungen zu verstricken. Je eigensinniger sie

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 60: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.093 I Ging, 42Die einzelnen Linien

auf solchen wirklichkeitsfremden Einbildungen beharrt,desto gewisser zieht sie sich Beschämungen zu.

Für den Erzieher wird beschränkter Torheit gegenüberoft nichts übrigbleiben, als sie eine Zeitlang sich selbst zuüberlassen und die ihr aus ihrem Gebaren entspringendeBeschämung nicht zu ersparen. Das ist oft der einzigeWeg zur Rettung.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Kindliche Torheit bringt Heil.

Ein unerfahrener Mensch, der kindlich und anspruchslosBelehrung sucht, ist gut daran. Denn wer vom Hochmutfrei sich dem Lehrer unterstellt, der wird sicher gefördert.

Oben eine Neun bedeutet:Beim Bestrafen der Torheit ist es nicht fördernd,Übergriffe zu begehen.Fördernd ist nur, Übergriffe abzuwehren.

Unter Umständen muß ein unverbesserlicher Tor bestraftwerden. Wer nicht hören will, muß fühlen. Diese Strafeist von der Aufrüttlung zu Beginn verschieden. Aber dieVerhängung der Strafe darf nicht im Zorn geschehen,sondern muß sich auf eine sachliche Abwehr unberech-tigter Übergriffe beschränken. Sie ist nie Selbstzweck,sondern hat nur der Herstellung geordneter Verhältnissezu dienen.

Das gilt sowohl von der Erziehung als auch von denMaßregeln einer Regierung gegen eine Bevölkerung, die

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 61: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.094 I Ging, 42Die einzelnen Linien

sich Ausschreitungen zuschulden kommen läßt. Das Ein-schreiten der Regierung muß immer nur abwehrend seinund hat als einziges Ziel die Herstellung der öffentlichenSicherheit und Ruhe.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 62: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.095 I Ging, 435. Sü / Das Warten (Die Ernährung)

5. Sü / Das Warten (Die Ernährung)

oben das Abgründige, das Wasserunten das Schöpferische, der Himmel

Alle Wesen bedürfen der Nahrung von oben. Aber dasSpenden der Speise hat seine Zeit, die man erwartenmuß. Das Zeichen zeigt die Wolken am Himmel, dieRegen spenden, der alles Gewächs erfreut und den Men-schen mit Speise und Trank versieht. Dieser Regen wirdkommen zu seiner Zeit. Man kann ihn nicht erzwingen,sondern muß darauf warten. Der Gedanke des Wartenswird außerdem nahegelegt durch die Eigenschaften derbeiden Urzeichen: innen Stärke, davor Gefahr. Stärke vorGefahr überstürzt sich nicht, sondern kann warten, wäh-rend Schwäche vor Gefahr in Aufregung gerät und nichtdie Geduld zum Warten hat.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 63: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.096 I Ging, 43Das Urteil

Das Urteil

Das Warten.Wenn du wahrhaftig bist, so hast du Licht und

Gelingen.Beharrlichkeit bringt Heil.Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.

Das Warten ist kein leeres Hoffen. Es hat die innere Ge-wißheit, sein Ziel zu erreichen. Nur diese innere Gewiß-heit gibt das Licht, das allein zum Gelingen führt. Dasführt zur Beharrlichkeit, die Heil bringt und die Kraft ver-leiht, das große Wasser zu durchqueren.

Eine Gefahr liegt vor einem, die überwunden werdenmuß. Schwäche und Ungeduld vermögen nichts. Nurwer stark ist, wird mit seinem Schicksal fertig, denn erkann infolge der inneren Sicherheit ausharren. DieseStärke zeigt sich in unerbittlicher Wahrhaftigkeit. Nurwenn man den Dingen, so wie sie sind, ins Auge zuschauen vermag, ohne jeden Selbstbetrug und Illusion,entwickelt sich aus den Ereignissen ein Licht, das denWeg zum Gelingen erkennen läßt. Auf diese Erkenntnismuß entschlossen beharrliches Handeln folgen; denn nur,wenn man entschlossen seinem Schicksal entgegengeht,wird man damit fertig. Dann kann man das große Wasserdurchqueren, d.h. die Entscheidung treffen und die Ge-fahr bestehen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 64: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.097 I Ging, 44Das Bild

Das Bild

Wolken steigen am Himmel auf: das Bild desWartens.

So ißt und trinkt der Edle und ist heiter und guterDinge.

Wenn die Wolken am Himmel aufsteigen, so ist das einZeichen, daß es regnen wird. Da läßt sich dann weiternichts machen als warten, bis der Regen fällt. So ist esauch im Leben, wenn ein Schicksal sich vorbereitet. So-lange die Zeit noch nicht erfüllt ist, soll man nicht sorgenund durch eigenes Machen und Eingreifen die Zukunftgestalten wollen, sondern in Ruhe Kraft sammeln durchEssen und Trinken für den Leib, durch Heiterkeit undGuter-Dinge-Sein für den Geist. Das Schicksal kommtganz von selbst, und dann ist man bereit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 65: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.098 I Ging, 44Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Warten auf dem Anger.Fördernd ist es, im Dauernden zu bleiben.Kein Makel.

Die Gefahr ist noch fern. Man wartet noch auf weiterEbene. Die Verhältnisse sind noch einfach. Es liegt nuretwas in der Luft, das kommen wird. Da gilt es, die Re-gelmäßigkeiten des Lebens so lange beizubehalten, als esmöglich ist. Nur dadurch bewahrt man sich vor allzu-früher Vergeudung der Kräfte und bleibt frei von Makelund Fehler, die für später eine Schwächung bedeutenwürden.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Warten auf dem Sand.Es gibt ein wenig Gerede.Das Ende bringt Heil.

Die Gefahr rückt allmählich näher. Der Sand ist demUfer des Stromes, der die Gefahr bedeutet, nahe. Es be-ginnen sich Unzuträglichkeiten zu zeigen. Es entsteht insolcher Zeit leicht eine allgemeine Unruhe. Man wirftsich gegenseitig die Schuld vor. Wer da gelassen bleibt,dem wird es gelingen, daß schließlich alles gut geht. Alleüble Nachrede muß endlich verstummen, wenn man ihrnicht den Gefallen beleidigter Gegenrede tut.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 66: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.099 I Ging, 45Die einzelnen Linien

Neun auf drittem Platz bedeutet:Warten im Schlammbewirkt das Kommen des Feindes.

Der Schlamm, der schon vom Wasser des Stromes be-spült wird, ist kein günstiger Ort für das Warten. Statt dieKräfte zu sammeln, um in einem Zug das Wasser zudurchqueren, hat man einen vorzeitigen Anlauf gemacht,dessen Kraft eben bis zum Schlamm führt. Eine solcheungünstige Lage zieht von außen her die Feinde herbei,die naturgemäß die Lage ausnützen. Durch Ernst undVorsicht allein ist es möglich, sich vor Schaden zu be-wahren.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Warten im Blut.Heraus aus dem Loch.

Es ist die Lage äußerst gefährlich. Es ist voller Ernst ge-worden und geht auf Leben und Tod. Blutvergießen istunmittelbar zu erwarten. Man kann nicht vorwärts undnicht rückwärts. Man ist abgeschnitten wie in einemLoch. Da gilt es einfach auszuharren und das Schicksalüber sich ergehen zu lassen. Diese Ruhe, die nicht durcheigenes Handeln den Schaden noch schlimmer macht, istder einzige Weg, aus dem gefährlichen Loch herauszu-kommen.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 67: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.100 I Ging, 46Die einzelnen Linien

Warten bei Wein und Speise.Beharrlichkeit bringt Heil.

Auch mitten in der Gefahr gibt es Ruhepausen, da eseinem verhältnismäßig gut geht. Wenn man die rechte in-nere Stärke besitzt, so wird man die Ruhepausen ausnüt-zen, um sich zu stärken zu neuem Kampf. Man vermagden Augenblick zu genießen, ohne sich von seinem Zielabbringen zu lassen; denn Beharrlichkeit ist not, um Sie-ger zu bleiben.

Auch im öffentlichen Leben ist es so. Es kann nichtalles auf einmal erreicht werden. Höchste Weisheit ist es,den Leuten solche Erholungspausen zu gönnen, die dieFreudigkeit der Arbeit beleben zur Vollendung desWerks. Hier liegt das Geheimnis des ganzen Zeichensverborgen. Dadurch unterscheidet es sich von dem Zei-chen »die Hemmung«, daß man beim Warten seinerSache sicher ist und daher die Ruhe der innern Heiterkeitsich nicht rauben läßt.

Oben eine Sechs bedeutet:Man gerät in das Loch.Da kommen ungebetener Gäste drei.Ehre sie, so kommt am Ende Heil.

Das Warten ist vorüber: die Gefahr läßt sich nicht mehrabwenden. Man gerät in das Loch, muß sich in das Un-vermeidliche ergeben. Da scheint nun alles vergebens ge-wesen zu sein. Aber gerade in dieser Not tritt eine unvor-hergesehene Wendung ein. Von außen her geschiehtohne eigenes Zutun ein Eingriff, von dem man zunächst

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 68: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.101 I Ging, 46Die einzelnen Linien

zweifelhaft sein kann, wie er gemeint ist, ob Rettung, obVernichtung naht. Da gilt es nun, innerlich beweglich zubleiben. Nicht trotzig abweisendes Sichverschließen, son-dern ehrfurchtsvolles Begrüßen der neuen Wendung istdas Richtige. So kommt man schließlich aus der Gefahrheraus, und alles geht gut. Auch glückliche Wendungenkommen oft in einer Form, die uns zunächst fremd er-scheint1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 69: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.102 I Ging, 46Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 In »Hermann und Dorothea« ist diese Wahrheit soausgedrückt: »Denn die Wünsche verhüllen uns selbstdas Gewünschte; die Gaben kommen von oben herabin ihren eignen Gestalten.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 70: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.103 I Ging, 466. Sung / Der Streit

6. Sung / Der Streit

oben Kiën, das Schöpferische, der Himmelunten Kan, das Abgründige, das Wasser

Das obere Urzeichen, dessen Bild der Himmel ist, hat dieBewegungsrichtung nach oben, das untere Urzeichen»Wasser« ist seiner Natur nach abwärts gerichtet. Die Be-wegungsrichtungen der beiden Hälften gehen auseinan-der, das ergibt den Gedanken des Streites.

Die Eigenschaft des Schöpferischen ist die Stärke, diedes Abgründigen die Gefahr, Hinterlist. Wo List Gewaltvor sich hat, da gibt es Streit.

Eine dritte Ableitung legt sich innerhalb des Charaktersdurch Verbindung von abgründiger Hinterlist im Innernund starker Entschlossenheit im Äußern nahe. Ein derar-tiger Charakter wird sicher streitsüchtig sein.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 71: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.104 I Ging, 47Das Urteil

Das Urteil

Der Streit: Du bist wahrhaftig und wirst gehemmt.Sorgliches Innehalten auf halbem Weg bringt Heil.Zu Ende führen bringt Unheil.Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.Nicht fördernd ist es, das große Wasser zu

durchqueren.

Streit entsteht, wenn man im Gefühl seines Rechts aufWiderstand stößt. Ohne die Überzeugung des eigenenRechts führt Widerstand zu Hinterlist oder gewaltsamemÜbergriff, aber nicht zum offenen Streit.

Ist man in Streit verwickelt, so ist machtvolle Beson-nenheit, die jederzeit zur Beilegung des Streites und zumVergleich auf halbem Weg bereit ist, das einzige Heilbrin-gende. Ein Verfolgen des Streites bis zum bitteren Endeist, selbst wenn man recht behält, vom Übel, weil mandadurch die Feindschaft verewigt. Es ist wichtig, den gro-ßen Mann zu sehen, d.h. einen unparteiischen Mann,dessen Autorität hinreicht, um den Streit friedlich beizule-gen oder gerecht zu entscheiden. Auf der andern Seite istes zu vermeiden, in Zeiten des Unfriedens »das großeWasser zu durchqueren«, d.h. gefahrvolle Unternehmun-gen zu beginnen, denn die bedürfen einheitlich zusam-mengefaßter Kräfte, wenn sie gelingen sollen. Streit imInnern lähmt die Kraft, die Gefahr im Äußeren zu besie-gen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 72: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.105 I Ging, 47Das Bild

Das Bild

Himmel und Wasser gehen einander entgegengesetzt:das Bild des Streites.So überlegt der Edle bei allen Geschäften, die er tut,den Anfang.

Das Bild deutet darauf hin, daß die Ursachen des Streitesin den zuvor schon vorhandenen entgegengesetztenRichtungen beider Teile liegen. Sind solche einander ent-gegenstrebenden Richtungen einmal vorhanden, so folgtder Streit mit Notwendigkeit. Daraus folgt, daß, um Streitzu verhüten, im ersten Anfang alles sorgfältig bedachtwerden muß. Wenn Recht und Pflicht genau festgelegtsind, oder wenn bei einer Verbindung von Menschenderen geistige Richtungen zusammengehen, so ist die Ur-sache des Streits zum voraus beseitigt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 73: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.106 I Ging, 48Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Wenn man die Sache nicht verewigt,so gibt es ein kleines Gerede.Am Ende kommt Heil.

Solange der Streit noch im ersten Anfang ist, tut man ambesten, ihn fallen zu lassen. Zumal einem stärkeren Geg-ner gegenüber ist es nicht ratsam, es auf ein Austragendes Streites ankommen zu lassen. Es kommt dabei viel-leicht zu einem kleinen Wortwechsel, aber am Ende gehtalles gut.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Man kann nicht streiten, kehrt heim und weicht

aus.Die Menschen seiner Stadt, dreihundert Häuser,bleiben frei von Schuld.

Im Kampf mit einem überlegenen Gegner ist Rückzugkeine Schande. Wenn man sich rechtzeitig zurückzieht,vermeidet man üble Folgen. Wollte man den ungleichenStreit aus falschem Ehrgefühl heraufbeschwören, sowürde man selbst das Unglück sich zuziehen. Eine weiseNachgiebigkeit in solchem Falle kommt der ganzen Um-gebung zugute, die auf diese Weise nicht in den Streithineingezogen wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 74: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.107 I Ging, 48Die einzelnen Linien

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Von alter Tugend sich nähren, gibt Beharrlichkeit.Gefahr, am Ende kommt Heil.Folgst du etwa eines Königs Diensten,so suche nicht Werke.

Es wird hier vor der Gefahr gewarnt, die die Neigungzum Umsichgreifen bringt. Nur was durch frühere Ver-dienste ehrlich verdient ist, bleibt dauernder Besitz. Einsolcher Besitz kann wohl einmal angefochten werden,aber da er wirkliches Eigentum ist, kann er nicht geraubtwerden. Denn was einem vermöge der Kraft des eigenenWesens angehört, kann man nicht verlieren. Wenn manin die Dienste eines Höheren tritt, so kann man den Streitnur dadurch vermeiden, daß man keine Werke für sichsucht. Es mag genügen, wenn sie getan werden. Die Ehremag dem andern bleiben.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Man kann nicht streiten,kehrt um und fügt sich dem Geschick,ändert sich und findet Frieden in Beharrlichkeit.Heil!

Die innere Gesinnung ist zunächst friedlos. Man fühltsich in seiner Lage nicht wohl und möchte sich durchStreit eine bessere Lage verschaffen. Man hat es miteinem schwächeren Gegner zu tun und wäre daher wohldazu imstande – ein Unterschied zur Neun auf zweitem

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 75: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.108 I Ging, 49Die einzelnen Linien

Platz –, aber man kann nicht streiten, weil man nicht dieinnere Berechtigung und das gute Gewissen dazu findet.Darum kehrt man um und fügt sich in sein Geschick.Man ändert seinen Sinn und findet so den dauerndenFrieden in der Übereinstimmung mit dem ewigen Gesetz.Das bringt Heil.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Streiten vor ihm bringt erhabenes Heil.

Es ist hier der Schlichter des Streits gezeigt, der machtvollund gerecht ist und der die Kraft besitzt, dem RechtNachdruck zu verleihen. Ihm kann man eine Streitsachegetrost überweisen. Wenn man recht hat, erlangt mangroßes Heil.

Oben eine Neun bedeutet:Wenn einem etwa auch ein Ledergürtel verliehen

wird,am Ende eines Morgens wird er ihm dreimal

entrissen.

Hier ist jemand gezeichnet, der den Streit bis zum bitterenEnde geführt und recht behalten hat. Er bekommt eineAuszeichnung. Aber das Glück ist nicht von Dauer. Eswird immer wieder angefochten, und Streit ohne Ende istdie Folge.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 76: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.109 I Ging, 497. Schï / Das Heer

7. Schï / Das Heer

oben Kun, das Empfangende, die Erdeunten Kan, das Abgründige, das Wasser

Das Zeichen setzt sich zusammen aus dem UrzeichenKan, das Wasser, und Kun, die Erde. Dadurch ist dasGrundwasser symbolisiert, das sich innerhalb der Erdesammelt. Ebenso sammelt sich die Heerkraft innerhalbder Menge eines Volkes: im Frieden unsichtbar, aber je-derzeit zur Verfügung als Quelle der Macht. Die Eigen-schaften der Urzeichen sind: innerhalb Gefahr und außer-halb Gehorsam. Das deutet auf das Wesen des Heeres,das im Innersten etwas Gefährliches ist, während nachaußen Zucht und Gehorsam herrschen muß.

Auf die einzelnen Linien hin betrachtet, ist der Herrdes Zeichens die starke Neun auf zweitem Platz, der dieanderen weichen Linien sich unterordnen. Diese Liniebezeichnet den Gebieter, da sie im Zentrum eines der bei-den Urzeichen steht. Da sie aber im unteren, nicht imoberen steht, ist sie nicht das Bild des Herrschers, son-dern des tüchtigen Generals, der das Heer in Gehorsamhält durch seine Autorität.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 77: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.110 I Ging, 50Das Urteil

Das Urteil

Das Heer braucht Beharrlichkeit und einen starkenMann.

Heil ohne Makel.

Ein Heer ist eine Masse, die, um ein Heer zu werden, derOrganisation bedarf. Ohne feste Disziplin läßt sich nichtserreichen. Diese Disziplin läßt sich aber nicht durch Ge-waltmittel erzwingen, sondern es braucht einen starkenMann, dem die Herzen sich zuwenden, der Begeisterungerweckt. Damit er sich entfalten kann, bedarf er des un-bedingten Vertrauens seines Herrschers, der ihm, solangeder Krieg dauert, die volle Verantwortung überlassenmuß. Ein Krieg ist aber immer etwas Gefährliches undbringt Schaden und Verheerung mit sich. Darum darfman ihn nicht leichtfertig unternehmen, sondern nur wieeine giftige Arznei als letzte Auskunft. Der gerechteGrund und ein klares, verständliches Kriegsziel mußdurch einen erfahrenen Führer dem Volk deutlich ge-macht werden. Nur wenn ein ganz bestimmtes Kriegszielda ist, für das das Volk sich mit Bewußtsein einsetzenkann, entsteht die Einheitlichkeit und Stärke der Über-zeugung, die zum Sieg führt. Aber der Führer muß auchdafür sorgen, daß in der Kriegsleidenschaft und im Sie-gestaumel nichts Ungerechtes geschieht, das die allge-meine Anerkennung nicht findet. Gerechtigkeit und Be-harrlichkeit sind die Grundbedingungen dafür, daß allesgut geht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 78: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.111 I Ging, 50Das Bild

Das Bild

Inmitten der Erde ist Wasser, das Bild des Heeres.So mehrt der Edle durch Weitherzigkeit gegen das

Volk seine Massen.

Das Grundwasser ist unsichtbar inmitten der Erde vor-handen. So ist auch die Kriegsmacht eines Volkes un-sichtbar in seinen Massen vorhanden.

Jeder Bauer wird, wenn Gefahr droht, Soldat und kehrtnach Beendigung des Kriegs hinter seinen Pflug zurück.Wer gegen das Volk weitherzig ist, der gewinnt die Liebedes Volkes, und das Volk, das unter einem milden Regi-ment lebt, wird stark und kräftig. Nur ein wirtschaftlichstarkes Volk kann als Kriegsmacht von Bedeutung sein.Man muß also die Macht pflegen durch Förderung derwirtschaftlichen Beziehungen des Volkes und menschen-freundliche Regierung. Nur wo dieses unsichtbare Bandzwischen Regierung und Volk da ist, daß das Volk unterihr geborgen ist wie das Grundwasser in der Erde, ist esmöglich, einen Krieg siegreich zu führen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 79: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.112 I Ging, 51Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Ein Heer muß ausziehen nach der Ordnung.Ist die nicht gut, droht Unheil.

Zu Beginn einer kriegerischen Unternehmung muß Ord-nung herrschen. Es muß ein gerechter und triftiger Grundda sein, und der Gehorsam und das Ineinandergreifen derTruppen muß wohl organisiert sein, sonst ist Mißerfolgdie unvermeidliche Folge.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Inmitten des Heeres!Heil! Kein Makel!Der König verleiht dreifache Auszeichnung.

Der Führer muß inmitten seines Heeres sein. Er mußFühlung mit ihm haben und Gutes und Böses mit denMassen teilen, die er führt. Nur auf diese Weise ist er derschweren Anforderung gewachsen, die auf ihm ruht. Erbedarf dabei der Anerkennung durch den Herrscher. DieAuszeichnungen, die er erhält, sind berechtigt, da es sichnicht um persönliche Bevorzugung handelt, sondern indem Führer das ganze Heer geehrt wird, in dessen Mitteer weilt.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 80: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.113 I Ging, 51Die einzelnen Linien

Das Heer führt etwa im Wagen Leichen. Unheil!

Die eine Erklärung deutet auf eine Niederlage infolgedavon, daß ein anderer als der berufene Führer sich in dieLeitung einmischt. Die andere Erklärung stimmt demSinne nach damit überein, nur daß der Ausdruck »Lei-chen im Wagen führen« anders gedeutet wird. Bei Beer-digungen und Totenopfern war es in China Sitte, daß derVerstorbene, dem geopfert wurde, durch einen Knabenaus der Familie vertreten wurde, der am Platz der Leichesaß und an der Stelle des Verstorbenen geehrt wurde.Daraus entnimmt diese Erklärung den Sinn, daß auf demWagen ein »Leichenknabe« sitzt, d.h. daß die Autoritätnicht von der dazu berufenen Stelle ausgeht, sondern sichvon andern angemaßt wird. Vielleicht läßt sich die ganzeSchwierigkeit beheben durch Annahme eines Schreibfeh-lers (fan = alle für schï = Leiche). Dann würde der Sinnohne weiteres sein: Wenn im Heer etwa sich die Mengezum Herrn macht (auf dem Wagen fährt), so ist das un-heilvoll.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Das Heer zieht sich zurück. Kein Makel.

Wenn man einem überlegenen Feind gegenübersteht, mitdem der Kampf aussichtslos ist, so ist ein geordneterRückzug das einzig Richtige, weil durch ihn das Heer vorNiederlage und Auflösung bewahrt wird. Es ist keines-wegs ein Zeichen von Mut oder Stärke, einen aussichtslo-sen Kampf unter allen Umständen annehmen zu wollen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 81: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.114 I Ging, 52Die einzelnen Linien

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Im Feld ist ein Wild. Es ist fördernd, es zu fangen.Ohne Makel.Der Älteste führe das Heer.Der Jüngere fährt Leichen,da bringt Beharrlichkeit Unheil.

Das Wild ist im Feld, d.h. es hat seinen Aufenthaltsort,den Wald, aufgegeben und ist in die Felder verwüstendeingebrochen. Das deutet auf einen Einbruch des Fein-des. In diesem Fall ist energischer Kampf und Bestrafungdurchaus berechtigt. Nur muß der Kampf nach der Regelgeführt werden. Er darf nicht zum wilden Durcheinanderwerden, da sich jeder auf eigene Faust wehrt. Das würdetrotz größter Beharrlichkeit und Tapferkeit zu Unheil füh-ren. Sondern das Heer muß von einem erfahrenen Führergeleitet sein. Es muß Krieg geführt werden. Nicht darfdie Menge einfach totschlagen, was ihr in die Händekommt, sonst erleidet man eine Niederlage, und trotz allerBeharrlichkeit droht Unheil.

Oben eine Sechs bedeutet:Der große Fürst erläßt Befehle,gründet Staaten, belehnt Familien.Gemeine Menschen soll man nicht benützen.

Der Krieg ist siegreich beendet. Der Sieg ist gewonnen,der König verteilt unter seinen Getreuen Lehen und Fa-milienbesitz. Dabei ist es aber wichtig, daß gemeine Men-schen nicht zur Macht gelangen dürfen. Wenn sie mitge-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 82: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.115 I Ging, 52Die einzelnen Linien

holfen haben, so mag man sie mit Geld abfinden. AberLandgebiete und Herrschaftsrechte darf man ihnen nichtverleihen, damit kein Mißbrauch vorkommt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 83: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.116 I Ging, 538. Bi / Das Zusammenhalten

8. Bi / Das Zusammenhalten

oben Kan, das Abgründige, das Wasserunten Kun, das Empfangende, die Erde

Das Wasser über der Erde fließt zusammen, wie esimmer kann, z.B. im Meer, wo sich alle Flüsse sammeln.Dies ist ein Symbol, das auf das Zusammenhalten undauf seine Gesetze deutet. Derselbe Gedanke wird dadurchnahegelegt, daß alle Linien weich sind, bis auf den festenStrich an fünfter Stelle auf dem Platz des Herrschers. DieWeichen halten zusammen, indem sie von dem festenWillen an leitender Stelle beeinflußt werden, der ihr Ver-einigungsmittelpunkt ist. Aber auch diese starke, leitendePersönlichkeit hält mit den andern zusammen, durch diesie eine Ergänzung zu ihrem eigenen Wesen findet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 84: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.117 I Ging, 53Das Urteil

Das Urteil

Das Zusammenhalten bringt Heil.Ergründe das Orakel nochmals,ob du Erhabenheit, Dauer und Beharrlichkeit hast;dann ist kein Makel da.Die Unsicheren kommen allmählich herbei.Wer zu spät kommt, hat Unheil.

Es handelt sich darum, daß man sich mit andern zusam-mentut, um durch den Zusammenhalt sich gegenseitig zuergänzen und zu fördern. Für einen solchen Zusammen-halt muß ein Mittelpunkt da sein, um den sich die andernscharen. Mittelpunkt für das Zusammenhalten von Men-schen zu werden, ist eine schwere Sache mit großer Ver-antwortung. Es bedarf innerlicher Größe, Konsequenzund Kraft dazu. Darum prüfe sich selbst, wer andre umsich vereinigen will, ob er der Sache gewachsen ist; dennwer andre sammeln will ohne das Siegel des Berufenen,der richtet mehr Verwirrung an, als wenn kein Zusam-menschluß stattgefunden hätte.

Wo aber ein wirklicher Sammlungspunkt vorhandenist, da kommen die Unsicheren, anfangs noch Zögerndenallmählich von selbst herbei. Die, die zu spät kommen,haben selbst den Schaden davon. Denn es handelt sichauch beim Zusammenhalten um die richtige Zeit. Bezie-hungen knüpfen sich und festigen sich nach bestimmteninneren Gesetzen. Gemeinsame Erlebnisse festigen sie,und wer zu spät kommt und nicht mehr teilnehmen kannan diesen grundlegenden gemeinsamen Erfahrungen, der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 85: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.118 I Ging, 53Das Urteil

hat darunter zu leiden, wenn er als Nachzügler die Türverschlossen findet.

Wer aber die Notwendigkeit des Zusammenschlusseserkannt hat und nicht die Kraft in sich fühlt, als Mittel-punkt des Zusammenhaltens zu wirken, der hat diePflicht, sich einer andern organischen Gemeinschaft an-zuschließen1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 86: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.119 I Ging, 54Das Bild

Das Bild

Auf der Erde ist Wasser: das Bild desZusammenhaltens.

So haben die Könige der Vorzeit die einzelnenStaaten als

Lehen vergeben und mit den Lehensfürstenfreundlichen Verkehr gepflegt.

Das Wasser auf der Erde füllt alle Lücken aus und haftetfest an ihr. Die Gesellschaftsorganisation des Altertumswar auf diesen Grundsatz des Zusammenhaltens zwi-schen Abhängigen und Herrscher gegründet. Das Wasserfließt von selbst zusammen, weil es in allen seinen Teilenunter denselben Gesetzen steht. So muß auch diemenschliche Gesellschaft zusammenhalten durch eine In-teressengemeinschaft, die jeden einzelnen sich als Gliedeines Ganzen fühlen läßt. Die Zentralgewalt eines gesell-schaftlichen Organismus muß dafür sorgen, daß jedesGlied sein wahres Interesse im Zusammenhalten findet,wie das in dem väterlichen Verhältnis von Großkönigund Lehnsträgern im chinesischen Altertum der Fall war.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 87: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.120 I Ging, 54Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Halte wahr und treu zu ihm: das ist kein Makel.Wahrheit wie eine volle Tonschüssel:So kommt schließlich von außen her das Heil.

Wenn es sich um Anknüpfen von Beziehungen handelt,ist volle Wahrhaftigkeit die einzig richtige Grundlage.Diese Gesinnung, die unter dem Bild einer gefüllten irde-nen Schüssel dargestellt wird, bei der alles Gehalt, nichtsleere Form ist, äußert sich nicht in klugen Worten, son-dern durch die Kraft des Innern, und diese Kraft ist sostark, daß sie mit Macht das Heil von außen an sich zieht.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Halte zu ihm im Innern. Beharrlichkeit bringt Heil.

Wenn man auf rechte und beharrliche Weise den Bitten,die von oben her zum Wirken uns auffordern, entgegen-kommt, so sind die Beziehungen zum andern in ersterLinie innerliche, man verliert sich selbst nicht. Wer aberstreberhaft klebend Zusammenhalt sucht, der folgt nichtdem Pfad des Edlen, der seine Würde wahrt, sondernwirft sich weg.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Du hältst zusammen mit Menschen,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 88: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.121 I Ging, 55Die einzelnen Linien

die nicht die rechten sind.

Man ist oft unter lauter Menschen, die nicht zur eigenenSphäre gehören. Da darf man sich nicht zu einer falschenVertraulichkeit durch die Macht der Gewohnheit hinrei-ßen lassen. Daß das vom Übel wäre, bedarf nicht erst derWorte. Geselligkeit ohne Intimität ist solchen Leuten ge-genüber das einzig Richtige; nur dadurch hält man sichfrei für eine spätere Beziehung zu seinesgleichen.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Auch äußerlich halte zu ihm. Beharrlichkeit bringt

Heil.

Die Beziehungen zu einem Mann, der Mittelpunkt desZusammenhaltens ist, sind hier schon fest geregelt. Dadarf und soll man seine Anhänglichkeit auch offen zei-gen. Man muß nur fest bleiben und darf sich durch nichtsirremachen lassen.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Offenbarung des Zusammenhaltens.Der König läßt bei der Jagd nur von drei Seiten

treibenund verzichtet auf das Wild, das vorne abbiegt.Die Bürger bedürfen nicht der Warnung. Heil!

Bei den königlichen Treibjagden im alten China war esüblich, daß das Wild von drei Seiten her angetrieben

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 89: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.122 I Ging, 56Die einzelnen Linien

wurde. Auf der vierten Seite konnte das angetriebeneWild abbiegen. Soweit die Tiere hier nicht abbogen, muß-ten sie in ein Tor hinein, hinter dem der König jagdbereitstand. Nur die Tiere wurden geschossen, die hier eindran-gen. Die, welche vorne abbogen, ließ man laufen. DieseSitte entsprach der königlichen Gesinnung, die aus derJagd keine Schlächterei machen wollte, sondern nur dasWild zur Strecke brachte, das sich sozusagen freiwilliggestellt hatte.

Es zeigt sich hier ein Herrscher bzw. ein einflußreicherMann, dem die Menschen zufallen. Wer zu ihm kommt,den nimmt er auf, wer nicht kommt, den läßt er laufen.Er bittet keinen, schmeichelt keinem: sie kommen allevon selbst. Auf diese Weise bildet sich eine freie Abhän-gigkeit bei denen, die zu ihm halten. Die Leute brauchensich nicht gewaltsam zusammenzunehmen, sondern kön-nen harmlos ihre Gesinnungen zeigen. Es bedarf keinerpolizeilichen Veranstaltung. Sie sind ihrem Herrn vonselber zugetan. Auch für das Leben im allgemeinen giltdiese Freiheit. Man soll nicht um die Gunst der Men-schen werben. Wenn man in sich die Reinheit und Kraftausbildet, die nötig ist für einen Mittelpunkt der Samm-lung, so kommen die Menschen von selbst, die einem be-stimmt sind.

Oben eine Sechs bedeutet:Er findet zum Zusammenhalten kein Haupt. Unheil.

Das Haupt ist der Anfang. Ohne einen rechten Anfanggibt es kein rechtes Ende. Wenn man den Anschluß ver-paßt hat und nun immer zögert, vor voller, wahrer Hinga-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 90: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.123 I Ging, 56Die einzelnen Linien

be sich scheuend, so wird man zu spät seinen Fehler be-reuen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 91: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.124 I Ging, 56Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Vergleiche dazu das Distichon: »Immer strebe zumGanzen, und kannst du selber kein Ganzes werden,als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 92: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.125 I Ging, 569. Siau Tschu / Des kleinen Zähmungskraft

9. Siau Tschu / Des kleinen Zähmungskraft

oben Sun, das Sanfte, der Windunten Kiën, das Schöpferische, der Himmel

Das Zeichen bedeutet das Kleine, die Kraft des Schatti-gen, die zurückhält, zähmt, hemmt. Auf dem viertenPlatz, dem Platz des Ministers, ist ein schwacher Strich,der die ganzen übrigen starken Striche im Zaume hält.Vom Bild aus betrachtet, ist es der Wind, der oben amHimmel weht. Er hemmt den aufsteigenden Atem desSchöpferischen, die Wolken, so daß sie sich verdichten.Aber er ist nicht sofort stark genug, sie zum Niederschlagzu bringen. Das Zeichen gibt eine Konstellation, da vor-übergehend durch Schwaches ein Starkes im Zaum ge-halten wird. Das kann nur durch Sanftheit geschehen,wenn es von Erfolg begleitet sein soll.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 93: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.126 I Ging, 57Das Urteil

Das Urteil

Des Kleinen Zähmungskraft hat Gelingen.Dichte Wolken, kein Regen von unserm westlichen

Gebiet.

Das Gleichnis stammt aus der Lage der Verhältnisse inChina zur Zeit des Königs Wen. Er stammte aus Westen,war aber damals im Osten am Hof des Großkönigs, desTyrannen Dschou Sin. Die Zeit zum Handeln im großenwar noch nicht gekommen. Er konnte den Tyrannen nurdurch gütliches Zureden einigermaßen im Zaum halten.Daher das Bild, daß reichliche Wolken aufsteigen, diedem Land Feuchtigkeit und Segen versprechen, zunächstaber noch kein Regen fällt. Die Situation ist nicht ungün-stig. Es ist Aussicht auf schließlichen Erfolg da. Aber esstehen noch Hindernisse im Weg. Man kann erst Vorar-beiten tun. Nur durch kleine Mittel gütlichen Zuredenskann man wirken. Die Zeit des Durchgreifens im großenist noch nicht da. Aber es gelingt wenigstens, in be-schränktem Umfang hemmend und zähmend zu wirken.Dabei ist feste Entschlossenheit im Innern und sanfte An-passung im Äußern nötig, um seinen Willen durchzuset-zen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 94: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.127 I Ging, 57Das Bild

Das Bild

Der Wind fährt über den Himmel hin:das Bild der Zähmungskraft des Kleinen.So verfeinert der Edle die äußere Form seines

Wesens.

Der Wind treibt die Wolken am Himmel zwar zusam-men, aber weil er nur Luft ist ohne festen Körper, bringter keine großen, dauernden Wirkungen hervor. So bleibtdem Menschen in Zeiten, da eine große Wirkung nachaußen nicht möglich ist, auch nur übrig, daß er im kleinensein Wesen in seinen Äußerungen verfeinert.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 95: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.128 I Ging, 57Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Wiederkehr auf den Weg. Wie wäre das ein Makel!

Heil!

In der Natur des Starken liegt es, voran zu drängen.Damit begibt er sich aber in den Hemmungsbereich.Darum kehrt er auf den seiner Lage entsprechenden Wegzurück, auf dem er frei ist im Fortschritt und Rückzug.Das ist gut und vernünftig, daß man nichts mit Gewalt er-zwingen will, und bringt der Natur der Sache nach Heil.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Läßt sich mitziehen zur Wiederkehr. Heil!

Man möchte an sich voran. Aber ehe man noch weiter-kommt, sieht man an dem Beispiel anderer gleichgearte-ter Menschen, daß dieser Weg behindert ist. Ein vernünf-tiger, entschlossener Mensch wird in einem solchen Fallsich nicht erst selbst einer persönlichen Zurückweisungaussetzen, sondern sich mit den andern Gleichgesinntenzurückziehen, wenn das Streben nach vorwärts der Zeitnicht entspricht. Das bringt Heil, weil er sich auf dieseWeise nicht selbst preisgibt.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Dem Wagen springen die Speichen ab.Mann und Frau verdrehen die Augen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 96: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.129 I Ging, 58Die einzelnen Linien

Hier wird der Versuch gemacht, gewaltsam vorzudrin-gen, im Bewußtsein davon, daß die hemmende Machtnur gering ist. Allein da den Umständen entsprechend dasSchwache tatsächlich die Macht besitzt, so muß dieserÜberrumpelungsversuch mißlingen. Äußere Umständeverhindern den Fortschritt, wie ein Wagen nicht voran-kommt, wenn ihm die Speichen abspringen. DiesemWink des Schicksals fügt man sich noch nicht. Deshalbgibt es ärgerliche Auseinandersetzungen wie zwischenzwei Eheleuten. Das ist natürlich kein günstiger Zustand;denn wenn infolge der Lage dem schwächeren Teil auchdas Festhalten gelingt, so sind doch zu viele Schwierig-keiten damit verbunden, als daß es erfreulich wirkenkönnte. Infolge davon kann auch der Starke seine Kraftnicht zum richtigen Einfluß auf seine Umgebung gebrau-chen. Er hat eine Zurückweisung erfahren, wo er einenleichten Sieg erhoffte; damit hat er sich etwas vergeben.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Bist du wahrhaftig, so schwindet Blut und weicht

Angst.Kein Makel.

In schwerer, verantwortungsvoller Stellung soll man denMächtigen, dem man leitend zur Seite steht, so zähmen,daß das rechte geschieht. Darin liegt eine große Gefahr,die selbst Blutvergießen befürchten läßt. Aber die Machtselbstloser Wahrheit ist größer als alle diese Hindernisse.Sie macht solchen Eindruck, daß man seine Bemühun-gen erfolgreich zu Ende bringt und alle Gefahr des Blut-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 97: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.130 I Ging, 59Die einzelnen Linien

vergießens und alle Angst schwinden.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Bist du wahrhaftig und treu verbunden,so bist du reich in deinem Nächsten.

Die Treue führt zu fester Bindung, weil sie auf gegensei-tiger Ergänzung beruht. Beim schwächeren Teil bestehtdie Treue in Hingebung, beim stärkeren Teil in Zuverläs-sigkeit. Diese gegenseitige Ergänzung führt zu wahremReichtum, der dadurch erst recht sich zeigt, daß man ihnnicht einzeln für sich behält, sondern mit seinem Näch-sten gemeinsam hat. Geteilte Freude ist doppelte Freude.

Oben eine Neun bedeutet:Es kommt zum Regen, es kommt zur Ruhe.Das ist der dauernden Wirkung des Charakters zu

verdanken.Die Frau kommt durch Beharrlichkeit in Gefahr.Der Mond ist fast voll. Macht der Edle fort,so kommt Unheil.

Der Erfolg ist da. Der Wind hat den Regen zusammenge-trieben. Ein fester Standpunkt ist erreicht. Das ist zustan-de gekommen durch allmähliche Zusammenhäufungkleiner Wirkungen, die sich aus der Verehrung für einenüberlegenen Charakter ergeben. Ein solcher Stück fürStück zusammengetragener Erfolg bedarf aber sehr derVorsicht. Wollte man sich nun der Einbildung hingeben,daß man auf ihn pochen könnte, so wäre das gefährlich.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 98: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.131 I Ging, 59Die einzelnen Linien

Das Weibliche, Schwache, das den Sieg erlangt hat, darfsich nie hartnäckig darauf berufen. Das brächte Gefahr.Die schattige Kraft im Mond ist am stärksten, wenn erbeinahe voll ist. Steht er als Vollmond der Sonne direktgegenüber, so ist seine Abnahme unvermeidlich. In sol-chen Verhältnissen muß man sich mit dem Erreichten be-gnügen. Weiterschreiten, ehe die Zeit dazu gekommenist, brächte Unheil.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 99: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.132 I Ging, 5910. Lü / Das Auftreten

10. Lü / Das Auftreten

oben Kiën, das Schöpferische, der Himmelunten Dui, das Heitere, der See

Das Auftreten bedeutet einerseits die richtige Art, sich zubenehmen. Oben ist der Himmel, der Vater, unten ist derSee, die jüngste Tochter. Das zeigt den Unterschied vonhoch und niedrig, wie er der Stille, dem richtigen Auftre-ten in der Gesellschaft zugrunde liegt. Auftreten heißtwörtlich: »treten auf etwas«. Das kleine »Heitere« tritt aufdas große »Starke«. Die Bewegungsrichtung beider Ur-zeichen ist nach oben. Daß das Starke auf das Schwachetritt, ist etwas Selbstverständliches, das im Buch derWandlungen nicht besonders erwähnt wird. Das Auftre-ten des Schwachen dem Starken gegenüber ist deshalbnicht gefährlich, weil es in Heiterkeit geschieht, ohne An-maßung, so daß der Starke nicht gereizt wird und es sichgutmütig gefallen läßt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 100: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.133 I Ging, 60Das Urteil

Das Urteil

Auftreten auf des Tigers Schwanz.Er beißt den Menschen nicht. Gelingen.

Die Lage ist eigentlich schwierig. Stärkstes und Schwäch-stes ist unmittelbar beisammen. Das Schwache geht hin-ter dem Starken her und macht sich mit ihm zu schaffen.Aber das Starke läßt es sich gefallen und tut ihm nichtszuleide, denn die Berührung ist heiter und nicht verlet-zend.

Die menschliche Lage ist, daß man es mit wilden, un-zugänglichen Menschen zu tun hat. Man erreicht in die-sem Falle seinen Zweck, wenn man sich in seinem Auf-treten an die gute Sitte hält. Gute, angenehme Formendes Auftretens führen auch reizbaren Menschen gegen-über zum Gelingen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 101: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.134 I Ging, 60Das Bild

Das Bild

Oben der Himmel, unten der See: das Bild desAuftretens.

So unterscheidet der Edle hoch und niedrigund festigt dadurch den Sinn des Volkes.

Himmel und See zeigen einen Höhenunterschied, derdurch ihr Wesen von selbst gekommen ist und daherdurch keinerlei Neid getrübt wird. So muß es auch in derMenschheit Höhenunterschiede geben. Eine allgemeineGleichheit ist unmöglich durchzuführen. Es handelt sichaber darum, daß die Rangunterschiede in der menschli-chen Gesellschaft nicht willkürlich und ungerecht sind;denn dann ist Neid und Klassenkampf die unausbleibli-che Folge. Wenn dagegen die äußeren Rangunterschiedeeiner inneren Berechtigung entsprechen und innere Wür-digkeit der Maßstab für den äußeren Rang ist, dann beru-higen sich die Menschen dabei, und die Gesellschaftkommt in Ordnung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 102: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.135 I Ging, 61Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Einfaches Auftreten. Fortschreiten ohne Makel.

Man befindet sich in einer Lage, in der man noch nichtgebunden ist durch die Verpflichtungen des Verkehrs.Wenn man einfach auftritt, bleibt man frei von gesell-schaftlichen Verpflichtungen und kann ruhig den Nei-gungen des eigenen Herzens folgen, da man keine Anfor-derungen an die Menschen stellt, sondern zufrieden ist.Das Auftreten bedeutet nicht Stehenbleiben, sondernFortschreiten. Man befindet sich in ganz geringer An-fangsstellung. Aber man besitzt die innere Stärke, die denFortschritt verbürgt. Wenn man sich mit der Einfachheitzufrieden gibt, so kann man fortschreiten ohne Makel.Wenn jemand sich nicht in bescheidenen Verhältnissenberuhigen kann, so will er voran und ist streberisch undunruhig, weil er durch sein Auftreten der Niedrigkeit undArmut entgehen will, nicht weil er etwas leisten will. Hater sein Ziel erreicht, so wird er sicher hochmütig undüppig. Darum ist sein Fortschreiten mit Makel behaftet.Der Tüchtige dagegen ist zufrieden bei einfachem Auftre-ten. Er will fortschreiten, um etwas zu leisten. Hat erdann sein Ziel erreicht, so leistet er etwas, und alles istgut.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Auftreten auf schlichter, ebener Bahn.Eines dunkeln Mannes Beharrlichkeit bringt Heil.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 103: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.136 I Ging, 61Die einzelnen Linien

Es ist hier die Lage eines einsamen Weisen gezeichnet.Er hält sich von dem Weltgetriebe fern, sucht nichts, willvon niemandem etwas und läßt sich nicht blenden vonverlockenden Zielen. Er ist sich selbst treu und wandeltso auf ebener Straße unangefochten durchs Leben. Weiler genügsam ist und das Schicksal nicht herausfordert,bleibt er frei von Verwicklungen.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Ein Einäugiger kann sehen, ein Lahmer kann

auftreten.Er tritt auf des Tigers Schwanz. Der beißt den

Menschen. Unheil!Ein Krieger handelt so für seinen großen Fürsten.

Ein Einäugiger kann wohl sehen, aber es reicht ihm nichtzum klaren Sehen. Ein Lahmer kann wohl auftreten, aberes reicht ihm nicht zum Vorankommen. Wenn jemandmit solchen Schwächen sich dennoch für stark hält undsich demgemäß in Gefahr begibt, so zieht er sich Unheilzu. Denn er begeht etwas, das über seine Kraft geht.Diese tollkühne Art, ohne Rücksicht auf die eigenenKräfte voranzustürmen, mag höchstens für einen Krieger,der für seinen großen Fürsten kämpft, hingehen.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Er tritt auf des Tigers Schwanz.Vorsicht und Behutsamkeit führt endlich zum Heil.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 104: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.137 I Ging, 62Die einzelnen Linien

Es handelt sich um eine gefährliche Unternehmung. Esist die innere Kraft vorhanden, sie zu bestehen. Aber dieinnere Kraft verbindet sich nach außen hin mit zögernderVorsicht, im Gegensatz zur vorigen Linie, die innerlichschwach ist, aber nach außen hin vorandrängt. So ist derschließliche Erfolg sicher, der darin besteht, daß man sei-nen Willen erreicht, nämlich durch Weiterschreiten dieGefahr überwindet.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Entschlossenes Auftreten.Beharrlichkeit bei Bewußtsein der Gefahr.

Es handelt sich um den Herrn des ganzen Zeichens. Mansieht sich genötigt zu entschlossenem Auftreten. Dabeimuß man sich aber der Gefahr bewußt bleiben, die mitsolch einem entschlossenen Auftreten verbunden ist, na-mentlich, wenn man beharrlich dabei bleibt. Nur das Be-wußtsein der Gefahr ermöglicht das Gelingen.

Oben eine Neun bedeutet:Blicke auf dein Auftreten und prüfe die günstigen

Zeichen.Ist alles vollkommen, so kommt erhabenes Heil.

Das Werk ist zu Ende. Will man wissen, ob das Heil dieFolge sein wird, so blicke man auf sein Auftreten zurückund auf die Folgen, die es gehabt. Sind die Wirkungengut, so ist das Heil gewiß. Niemand kennt sich selbst. Nuraus den Folgen seines Tuns, aus den Früchten der Werke

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 105: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.138 I Ging, 62Die einzelnen Linien

läßt sich ermessen, was man zu erwarten hat.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 106: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.139 I Ging, 6211. Tai / Der Friede

11. Tai / Der Friede

oben Kun, das Empfangende, die Erdeunten Kiën, das Schöpferische, der Himmel

Das Empfangende, dessen Bewegung sich nach untensenkt, ist oben; das Schöpferische, dessen Bewegungnach oben steigt, ist unten. Ihre Einflüsse begegnen dahereinander und sind in Harmonie, so daß alle Wesen blühenund gedeihen. Das Zeichen ist dem ersten Monat (Febru-ar-März) zugeordnet, in dem die Kräfte der Natur denneuen Frühling vorbereiten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 107: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.140 I Ging, 63Das Urteil

Das Urteil

Der Friede. Das Kleine geht hin, das Große kommther.

Heil! Gelingen!

Das Zeichen deutet in der Natur auf eine Zeit, da sozusa-gen der Himmel auf Erden ist. Der Himmel hat sich unterdie Erde gestellt. So vereinigen sich ihre Kräfte in innigerHarmonie. Dadurch entsteht Friede und Segen für alleWesen.

In der Menschenwelt ist es eine Zeit gesellschaftlicherEintracht. Die Hohen neigen sich zu den Niedrigenherab, und die Niedrigen und Geringen sind den Hohenfreundlich gesinnt, so daß alle Fehde ein Ende hat.

Innen, im Zentrum, am ausschlaggebenden Platz, istdas Lichte; das Dunkle ist draußen. So hat das Lichtekräftige Wirkung, und das Dunkle ist nachgiebig. Aufdiese Weise kommen beide Teile auf ihre Rechnung.Wenn die Guten in der Gesellschaft in zentraler Stellungsind und die Herrschaft in Händen haben, so kommenauch die Schlechten unter ihren Einfluß und bessern sich.Wenn im Menschen der vom Himmel kommende Geistherrscht, so kommt auch die Sinnlichkeit unter seinenEinfluß und findet so den ihr gebührenden Platz.

Die einzelnen Linien treten von unten her in das Zei-chen ein und verlassen es oben wieder. Es sind also dieKleinen, Schwachen, Schlechten im Weggang begriffen,und die Großen, Starken, Guten sind im Aufstieg. Dasbringt Heil und Gelingen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 108: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.141 I Ging, 63Das Bild

Das Bild

Himmel und Erde vereinigen sich: das Bild desFriedens.

So teilt und vollendet der Herrscherden Lauf von Himmel und Erde,fördert und ordnet die Gaben von Himmel und Erdeund steht so dem Volke bei.

Himmel und Erde stehen im Verkehr und vereinigen ihreWirkungen. Das gibt eine allgemeine Zeit des Blühensund Gedeihens. Dieser Kraftstrom muß vom Herrscherder Menschen geregelt werden. Das geschieht durch Ein-teilung. So wird die unterschiedslose Zeit entsprechendder Folge ihrer Erscheinungen vom Menschen in Jahres-zeiten eingeteilt und der allumgebende Raum durchmenschliche Festsetzungen in Himmelsrichtungen unter-schieden. Auf diese Weise wird die Natur mit ihrer über-wältigenden Fülle der Erscheinungen beschränkt und ge-bändigt. Auf der andern Seite muß die Natur in ihrenHervorbringungen gefördert werden. Das geschieht,wenn man die Erzeugnisse der richtigen Zeit und demrichtigen Ort anpaßt. Dadurch wird der natürliche Ertraggesteigert. Diese bändigende und fördernde Tätigkeit derNatur gegenüber ist die Arbeit an der Natur, die demMenschen zugute kommt1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 109: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.142 I Ging, 64Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Zieht man Bandgras aus, so geht der Rasen mit.Jeder nach seiner Art. Unternehmungen bringen Heil.

In Zeiten der Blüte zieht jeder tüchtige Mann, der aufeinen Posten berufen wird, sofort andere Gleichgesinntenach sich, wie man beim Herausziehen von Bandgrasimmer gleich mehrere durch die Wurzeln miteinander zu-sammenhängende Stengel mit herauszieht. Der Sinn desTüchtigen ist in solchen Zeiten, da die Wirkung im Gro-ßen möglich ist, darauf gerichtet, ins Leben hinauszuzie-hen und etwas zu leisten.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Die Ungebildeten in Milde tragen,entschlossen den Fluß durchschreiten,das Ferne nicht vernachlässigen,die Genossen nicht berücksichtigen:so mag man es fertigbringen, in der Mitte zu

wandeln.

In Zeiten der Blüte ist es vor allem wichtig, daß man dieinnere Größe besitzt, auch die Unvollkommenen zu tra-gen. Denn ein großer Meister kennt kein unfruchtbaresMaterial. Er kann aus allem noch etwas machen. DieseWeitherzigkeit ist aber keineswegs Nachlässigkeit oder

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 110: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.143 I Ging, 64Die einzelnen Linien

Schwäche. Man muß gerade in Blütezeiten stets bereitsein, auch gefährliche Unternehmungen, wie das Über-schreiten eines Flusses, zu wagen, wenn sie notwendigsind. Ebenso gilt es nicht, das Entfernte zu vernachlässi-gen, sondern mit Pünktlichkeit alles zu besorgen. VorParteiungen und Cliquenwirtschaft hat man sich beson-ders zu hüten. Denn wenn auch die Gleichgesinnten zu-sammen hervortreten, dürfen sie doch nicht durch gegen-seitiges Zusammenhalten eine Partei bilden, sondern esmuß jeder seine Pflicht tun. Diese vier Dinge sind es,durch die man die verborgene Gefahr allmählichen Er-schlaffens, die in jeder Friedenszeit lauert, überwindenkann, und auf diese Weise findet man die rechte Mittedes Handelns.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Keine Ebene, auf die nicht ein Abhang folgt,kein Hingang, auf den nicht die Wiederkehr folgt.Ohne Makel ist, wer beharrlich bleibt in Gefahr.Beklage dich nicht über diese Wahrheit,genieße das Glück, das du noch hast.

Alles Irdische ist dem Wechsel unterworfen. Auf Blütefolgt Niedergang. Das ist das ewige Gesetz auf Erden.Das Schlechte kann wohl zurückgedrängt, aber nichtdauernd beseitigt werden. Es kommt wieder. Diese Über-zeugung könnte einen schwermütig machen. Aber dassoll sie nicht. Sie soll nur bewirken, daß man im Glücknicht in Verblendung gerät. Bleibt man der Gefahr einge-denk, so bleibt man beharrlich und macht keinen Fehler.Solange das innere Wesen stärker und voller bleibt als das

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 111: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.144 I Ging, 65Die einzelnen Linien

äußere Glück, solange wir innerlich dem Schicksal über-legen bleiben, solange bleibt das Glück uns treu.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Er flattert hernieder, nicht pochend auf Reichtum,zusammen mit seinem Nächsten, arglos und

wahrhaftig.

In Zeiten gegenseitigen Vertrauens kommen die Hohenganz einfach, und ohne auf ihren Reichtum zu pochen,gemeinsam zu den Niedrigen. Das ist nicht Zwang derUmstände, sondern entspricht der innersten Gesinnung.Dann macht sich die Annäherung ganz zwanglos, weilsie auf innerer Überzeugung beruht.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Der Herrscher I gibt seine Tochter in die Ehe.Das bringt Segen und erhabenes Heil.

Der Herrscher I ist Tang, der Vollender. Er hatte be-stimmt, daß die kaiserlichen Prinzessinnen, trotzdem sieim Rang höher standen als die Gatten, denen sie vermähltwurden, ebenso ihren Gatten zu gehorchen hatten wieandere Ehefrauen. Auch hier ist auf wirklich bescheideneVereinigung von hoch und niedrig hingewiesen, dieGlück und Segen bringt.

Oben eine Sechs bedeutet:Der Wall fällt wieder in den Graben.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 112: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.145 I Ging, 65Die einzelnen Linien

Jetzt brauche keine Heere.In der eigenen Stadt verkünde deine Befehle.Beharrlichkeit bringt Beschämung.

Der schon in der Mitte des Zeichens angedeutete Wech-sel ist eingetreten. Der Stadtwall sinkt wieder in den Gra-ben zurück, aus dem er genommen war. Das Verhängnisbricht herein. In diesem Fall gilt es, sich dem Schicksal zufügen und nicht durch gewaltsamen Widerstand dasSchicksal aufhalten zu wollen. Das einzige, was übrigbleibt, ist, im engsten Kreis sich zu wahren. Wollte manauf dem üblichen Weg beharrlich dem Übel widerstre-ben, so würde der Zusammenbruch nur schlimmer, undBeschämung wäre die Folge.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 113: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.146 I Ging, 65Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Denselben Gedanken hat Goethe ausgedrückt in denVersen:

Dich im Unendlichen zu finden,Mußt unterscheiden und dann verbinden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 114: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.147 I Ging, 6612. Pi / Die Stockung

12. Pi / Die Stockung

oben Kiën, das Schöpferische, der Himmelunten Kun, das Empfangende, die Erde

Das Zeichen ist das gerade Gegenteil des vorigen. DerHimmel oben zieht sich immer weiter zurück, die Erdeunten sinkt immer weiter in die Tiefe. Die schöpferischenKräfte stehen außer Beziehung. Es ist die Zeit der Stok-kung und des Niedergangs. Das Zeichen ist dem sieben-ten Monat (August-September) beigeordnet, wenn dasJahr seinen Höhepunkt überschritten hat und das herbstli-che Welken sich vorbereitet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 115: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.148 I Ging, 66Das Urteil

Das Urteil

Die Stockung.Schlechte Menschen sind nicht förderndfür die Beharrlichkeit des Edlen.Das Große geht hin, das Kleine kommt herbei.

Himmel und Erde stehen außer Verkehr, und alle Dingeerstarren. Obere und Untere stehen außer Beziehung,und auf Erden herrscht Verwirrung und Unordnung.Innen ist das Dunkle, und das Lichte ist außen. Innen istSchwäche, außen ist Härte, innen sind die Gemeinen,und die Edlen sind außen. Die Art der Gemeinen ist imAufsteigen, die Art der Edlen ist im Abnehmen. Aber dieEdlen lassen sich in ihren Grundsätzen nicht beirren.Wenn sie die Möglichkeit des Wirkens nicht mehr haben,so bleiben sie diesen Grundsätzen doch treu und ziehensich in die Verborgenheit zurück.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 116: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.149 I Ging, 67Das Bild

Das Bild

Himmel und Erde vereinigen sich nicht:das Bild der Stockung.So zieht sich der Edle auf seinen innern Wert zurück,um den Schwierigkeiten zu entgehen.Er läßt sich nicht durch Einkünfte ehren.

Wenn gegenseitiges Mißtrauen im öffentlichen Lebenherrscht infolge des Einflusses, den die Gemeinen haben,so ist eine fruchtbare Wirksamkeit unmöglich, weil dieGrundlage falsch ist. Darum weiß der Edle, was er untersolchen Umständen zu tun hat. Er läßt sich nicht durchglänzende Angebote zur Teilnahme an der öffentlichenWirksamkeit verleiten, die für ihn, da er die Gemeinheitder andern nicht mitmachen kann, doch nur gefährlichwäre. Darum verbirgt er seinen Wert und zieht sich in dieVerborgenheit zurück.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 117: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.150 I Ging, 67Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Zieht man Bandgras aus, so geht der Rasen mit.Jeder nach seiner Art.Beharrlichkeit bringt Heil und Gelingen.

Der Text ist beinahe derselbe wie bei der ersten Linie desletzten Zeichens, nur im umgekehrten Sinn. Dort ziehteiner den andern nach sich auf dem Weg in die amtlicheLaufbahn. Hier zieht einer den andern mit in den Rück-zug aus der Öffentlichkeit. Darum heißt es hier nicht»Unternehmungen bringen Heil«, sondern »Beharrlich-keit bringt Heil und Gelingen«. Nur dadurch, daß manversteht, wenn die Wirkungsmöglichkeiten nicht mehr dasind, sich rechtzeitig zurückzuziehen, erspart man sichdie Beschämung und hat in höherem Sinne Gelingen,indem man seine Persönlichkeit in ihrem Wert zu wahrenweiß.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Sie tragen und dulden,das bedeutet für die Gemeinen Heil.Dem großen Mann dient die Stockung zum

Gelingen.

Die Gemeinen sind bereit, in kriecherischer Weise ihrenVorgesetzten zu schmeicheln. Sie würden auch denEdlen dulden, wenn er ihnen behilflich wäre, die Verwir-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 118: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.151 I Ging, 68Die einzelnen Linien

rung zu lösen. Das ist für sie heilbringend. Aber der großeMann trägt ruhig die Folgen der Stockung. Er mischt sichnicht in die Scharen der Gemeinen. Dort ist sein Platznicht. Dadurch schafft er, indem er persönlich zu leidenhat, seinen Grundsätzen Erfolg.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Sie tragen Scham.

Die Gemeinen, die auf unrechtmäßige Weise emporge-kommen sind, fühlen sich der Verantwortung, die sie aufsich genommen haben, nicht gewachsen. Sie beginnen –zunächst noch, ohne es nach außen hin zu zeigen –, imstillen sich zu schämen. Das ist der Anfang der Wendungzum Besseren.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Wer auf Befehl des Höchsten wirkt, bleibt ohne

Makel.Die Gleichgesinnten genießen des Segens.

Die Zeit der Stockung naht sich dem Umschlag. Werwieder Ordnung schaffen will, muß dazu berufen seinund das nötige Ansehen besitzen. Wer sich nach eignemGutdünken zum Ordner aufwerfen wollte, könnte Fehlerund Mißerfolge wirken. Wer aber berufen ist, dem kom-men die Zeitverhältnisse entgegen, und sein Segen wirdallen Gleichgesinnten zuteil.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 119: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.152 I Ging, 68Die einzelnen Linien

Die Stockung läßt nach. Dem großen Manne Heil!»Wenn es mißlänge, wenn es mißlänge!«Dadurch bindet er es an ein Bündel von

Maulbeerstauden.

Die Zeit ändert sich. Der rechte Mann ist gekommen, derwieder Ordnung schaffen kann. Darum Heil! Aber geradein solchen Übergangszeiten ist Furcht und Zittern nötig.Nur durch die äußerste Besorgtheit, die dauernd denkt:»Wenn es mißlänge!«, wird der Erfolg befestigt. Wenneine Maulbeerstaude abgeschnitten wird, so sprossen ausder Wurzel eine Reihe von Schößlingen, die besondersfest sind. Daher ist die Festigung des Erfolges unter demBild des Anbindens an Maulbeerstauden symbolisiert.

Konfuzius sagt darüber: »Gefahr entsteht, wo einersich auf seinem Platz sicher fühlt. Untergang droht, woeiner seinen Bestand zu wahren sucht. Verwirrung ent-steht, wo einer alles in Ordnung hat. Darum vergißt derEdle, wenn er sicher ist, nicht der Gefahr, wenn er be-steht, nicht des Untergangs, und wenn er Ordnung hat,nicht der Verwirrung. Dadurch kommt er persönlich inSicherheit, und das Reich wird gewahrt.«

Oben eine Neun bedeutet:Die Stockung hört auf.Erst Stockung, dann Heil.

Die Stockung dauert nicht ewig. Allerdings hört sie nichtvon selber auf, sondern es bedarf des rechten Mannes,um ihr ein Ende zu bereiten. Das ist der Unterschied des

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 120: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.153 I Ging, 68Die einzelnen Linien

Friedens und der Stockung. Der Friede bedarf dauernderAnstrengung, um festgehalten zu werden. Sich selbstüberlassen, würde er sich in Stockung und Niedergangverwandeln. Die Niedergangszeit verwandelt sich nichtvon selbst in Frieden und Blüte, sondern sie bedarf derAnstrengung, um beseitigt zu werden. Hierin ist dieschöpferische Stellung des Menschen gekennzeichnet,die nötig ist, damit die Welt in Ordnung kommt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 121: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.154 I Ging, 6913. Tung Jen / Gemeinschaft mit Menschen

13. Tung Jen / Gemeinschaft mit Menschen

oben Kiën, das Schöpferische, der Himmelunten Li, das Haftende, die Flamme

Das Bild des oberen Urzeichens, Kiën, ist der Himmel,das des unteren, Li, ist die Flamme. Die Natur des Feuersist es, emporzulodern zum Himmel. Das gibt die Idee derGemeinschaft. Die zweite Linie ist es, die durch ihr zen-trales Wesen die fünf starken um sich vereint. Das Zei-chen ist das Gegenstück zu Nr. 7, das Heer. Dort: innenGefahr, außen Gehorsam als Wesen des kriegerischenHeeres, das zu seinem Zusammenhalt des einen Starkenunter den vielen Schwachen bedarf. Hier: innen Klarheit,außen Stärke, als Wesen der friedlichen Vereinigung derMenschen, die zu ihrem Zusammenhalt des einen Wei-chen unter den vielen Festen bedarf.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 122: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.155 I Ging, 69Das Urteil

Das Urteil

Gemeinschaft mit Menschen im Freien: Gelingen.Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.Fördernd ist des Edlen Beharrlichkeit.

Die wirkliche Gemeinschaft der Menschen muß aufGrund einer kosmischen Anteilnahme zustande kommen.Nicht Sonderzwecke des Ichs, sondern Menschheitszielebringen dauernde Gemeinschaft unter Menschen hervor;darum heißt es: Gemeinschaft mit Menschen im Freienhat Gelingen. Wenn solche Einigkeit herrscht, dann las-sen sich auch schwierige und gefährliche Aufgaben, wiedas Durchqueren des großen Wassers, vollbringen. Umaber solche Gemeinschaft zuwege bringen zu können, be-darf es eines beharrlichen und aufgeklärten Führers, derklare, einleuchtende und begeisternde Ziele hat und siemit Kraft durchzuführen weiß. (Das innere Zeichen be-deutet Klarheit, das äußere Stärke.)

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 123: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.156 I Ging, 70Das Bild

Das Bild

Himmel zusammen mit Feuer:das Bild der Gemeinschaft mit Menschen.So gliedert der Edle die Stämme und unterscheidet die

Dinge.

Der Himmel hat dieselbe Bewegungsrichtung wie dasFeuer und ist doch von ihm unterschieden. Wie die leuch-tenden Körper am Himmel zur Gliederung und Eintei-lung der Zeit dienen, so müssen auch die menschlicheGesellschaft und alle wirklich zusammengehörigen Dingeorganisch gegliedert sein. Die Gemeinschaft soll nichtVermischung der Einzelnen und Vermischung der Dingesein – das wäre Chaos, nicht Gemeinschaft, sondern siebedarf der gegliederten Mannigfaltigkeit, um zur Ord-nung zu führen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 124: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.157 I Ging, 70Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Gemeinschaft mit Menschen im Tore. Kein Makel.

Der Beginn einer Vereinigung von Menschen soll vor derTür stattfinden. Alle stehen einander gleich nahe. Irgend-welche Sonderbestrebungen bestehen noch nicht. Somacht man keinen Fehler. Die Grundlagen jeder Vereini-gung müssen allen Beteiligten in gleicher Weise zugäng-lich seid. Geheimabmachungen bringen Unheil.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Gemeinschaft mit Menschen im Klan:

Beschämung.

Hier ist die Gefahr einer Sonderpartei auf Grund von per-sönlichen und selbstsüchtigen Interessen. Solche Partei-ungen, die ausschließend sind und nicht für alle Raumhaben, die einen Teil der Menschen verdammen müssen,um die übrigen zusammenzuscharen, entstehen aus nied-rigen Motiven und führen daher auf die Dauer zu Be-schämung.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Versteckt Waffen im Dickicht,steigt auf den hohen Hügel davor.Drei Jahre lang erhebt er sich nicht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 125: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.158 I Ging, 71Die einzelnen Linien

Hier ist die Gemeinschaft in Mißtrauen umgeschlagen.Man mißtraut den andern, legt geheimen Hinterhalt undsucht von ferne den andern auszuspähen. Man hat es miteinem harten Gegner zu tun, dem auf diese Weise nichtbeizukommen ist. Es sind hier Hemmungen gezeigt, dieder Gemeinschaft mit andern im Wege stehen. Man hatselbst Hintergedanken und sucht den andern gelegentlichzu überrumpeln. Aber gerade das macht mißtrauisch,man sucht dieselben Hinterlisten auch beim Gegner undsucht sie auszuspionieren. Infolge davon entfernt mansich von wahrer Gemeinschaft immer mehr. Je länger esdauert, desto mehr entfremdet man sich.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Er steigt auf seine Mauer, er kann nicht angreifen.

Heil!

Hier rückt die Versöhnung nach der Entzweiung näher.Zwar sind noch trennende Mauern da, auf denen mansich gegenübersteht. Aber die Schwierigkeiten sind zugroß. Man kommt in Not, und durch die Not kommt manzur Besinnung. Man kann nicht kämpfen, aber geradedarauf beruht das Heil.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Die gemeinsamen Menschen weinen erst und

klagen,aber nachher lachen sie.Nach großen Kämpfen gelingt es ihnen, sich zu

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 126: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.159 I Ging, 71Die einzelnen Linien

treffen.

Es sind zwei Menschen äußerlich getrennt, aber im Her-zen vereint. Sie sind durch ihre Stellung im Leben ausein-andergehalten. Dazwischen erheben sich viele Hindernis-se und Hemmungen, die sie trauern machen. Aber sie las-sen sich durch kein Hindernis scheiden, sondern bleibeneinander treu. Und obwohl die Überwindung dieser Hin-dernisse schwere Kämpfe kostet, so werden sie doch sie-gen, und dann wird ihre Traurigkeit in Freude sich ver-wandeln, wenn sie sich finden.

Kungtse sagt darüber:»Das Leben führt den ernsten Mann auf bunt ver-

schlungnem Pfade.Oft wird gehemmt des Laufes Kraft, dann wieder

geht's gerade.Hier mag sich ein beredter Sinn in Worten frei ergie-

ßen,Dort muß des Wissens schwere Last in Schweigen sich

verschließen.Doch wo zwei Menschen einig sind in ihrem innern

Herzen,Da brechen sie die Stärke selbst von Eisen oder Erzen.Und wo zwei Menschen sich im innern Herzen ganz

verstehn,Sind ihre Worte süß und stark wie Duft von Orchide-

en.«

Oben eine Neun bedeutet:Gemeinschaft mit Menschen auf dem Anger: keine

Reue.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 127: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.160 I Ging, 71Die einzelnen Linien

Es fehlt hier der warme Anschluß des Herzens. Man stehteigentlich schon außerhalb der Gemeinschaft mit ande-ren. Aber man schließt sich an. Die Gemeinschaft umfaßtnicht alle, sondern nur die äußerlich beisammen Wohnen-den. Der Anger ist die Weide vor der Stadt. Das letzteZiel der Vereinigung der Menschheit ist hier noch nichterreicht. Doch braucht man sich keine Vorwürfe zu ma-chen. Man schließt sich der Gesellschaft an, ohne Son-derzwecke.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 128: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.161 I Ging, 7214. Da Yu / Der Besitz von Großem

14. Da Yu / Der Besitz von Großem

oben Li, das Haftende, die Flammeunten Kiën, das Schöpferische, der Himmel

Das Feuer am Himmel oben strahlt weit, so daß alleDinge ins Licht und in die Erscheinung treten. Dieschwache fünfte Linie befindet sich auf geehrtem Platz,und alle die starken Striche entsprechen ihr. Wer aufhohem Platz bescheiden und mild ist, dem fällt alles zu1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 129: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.162 I Ging, 72Das Urteil

Das Urteil

Der Besitz von Großem: Erhabenes Gelingen.

Die beiden Urzeichen zeigen an, daß Kraft und Klarheitsich vereinigen. Der Besitz von Großem ist vom Schick-sal bestimmt und entspricht der Zeit. Wie ist es möglich,daß die schwache Linie die Kraft hat, die Starken festzu-halten und zu besitzen? Durch ihre uneigennützige Be-scheidenheit. Es ist eine günstige Zeit. Stärke im Innernund Klarheit und Bildung im Äußern. Die Kraft äußertsich fein und beherrscht. Das gibt erhabenes Gelingenund Reichtum2.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 130: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.163 I Ging, 72Das Bild

Das Bild

Das Feuer am Himmel oben:das Bild des Besitzes von Großem.So hemmt der Edle das Böse und fördert das Guteund gehorcht so des Himmels gutem Willen.

Die Sonne droben am Himmel, die alles Irdische be-scheint, ist das Bild des Besitzes im Großen. Aber ein sol-cher Besitz muß recht verwaltet werden. Die Sonnebringt das Böse und das Gute an den Tag. Vom Men-schen muß das Böse bekämpft und gehemmt, das Gutegefördert und begünstigt werden. Nur auf diese Weiseentspricht man dem guten Willen Gottes, der nur dasGute will und nicht das Böse.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 131: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.164 I Ging, 73Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Keine Beziehung zu Schädlichem, das ist nicht ein

Makel.Bleibt man der Schwierigkeit bewußt,so bleibt man ohne Makel.

Großer Besitz, der noch im Anfangsstadium ist und nochkeine Anfechtung erfahren hat, ist ohne Makel; denn esist noch gar keine Gelegenheit vorhanden, Fehler zu ma-chen. Aber es sind noch viele Schwierigkeiten zu über-winden. Nur wenn man sich dieser Schwierigkeiten be-wußt bleibt, wird man wirklich innerlich frei von derMöglichkeit des Hochmuts und der Verschwendung undhat jeden Makel im Prinzip überwunden.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Ein großer Wagen zum Beladen.Man mag etwas unternehmen. Kein Makel.

Großer Besitz besteht nicht allein in der Menge derGüter, die einem zur Verfügung stehen, sondern vorallem in ihrer Beweglichkeit und Verwendbarkeit. Dannmag man sie zu Unternehmungen gebrauchen und bleibtfrei von Verlegenheit und Fehlern. Unter dem großenWagen, dem man viel aufladen kann und mit dem manweit fahren kann, sind tüchtige Gehilfen verstanden, dieeinem zur Seite stehen, die ihrer Aufgabe gewachsen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 132: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.165 I Ging, 74Die einzelnen Linien

sind. Solchen Leuten kann man eine große Verantwor-tung aufladen, was bei wichtigen Unternehmungen nötigist.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Ein Fürst bringt ihn dem Sohn des Himmels dar.Ein kleiner Mensch kann das nicht.

Es ist die Sache eines hochherzigen, freisinnigen Men-schen, daß er seinen Besitz nicht als sein ausschließlichespersönliches Eigentum betrachtet, sondern dem Herr-scher bzw. der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Da-durch stellt er sich auf den richtigen Standpunkt dem Be-sitz gegenüber, der niemals als Privatbesitz von Dauersein kann. Ein engherziger Mensch ist freilich dazu nichtimstande. Für ihn schlägt großer Besitz zum Schadenaus, da er, statt zu opfern, behalten will3.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Er macht einen Unterschiedzwischen sich und seinem Nächsten.Kein Makel.

Es ist eine Stellung gekennzeichnet, die zwischen reichenund mächtigen Nachbarn steht. Das bringt Gefahr. Dagilt es, nicht rechts und nicht links zu sehen, frei zu blei-ben von Neid und dem Versuch, es andern gleichzutun.So bleibt man frei von Fehlern4.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet;

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 133: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.166 I Ging, 74Die einzelnen Linien

Wessen Wahrheit umgänglich ist und doch würdig,der hat Heil.

Die Lage ist sehr günstig. Ohne äußeren Zwang, nur in-folge der ungesuchten Aufrichtigkeit, gewinnt man dieMenschen, daß sie auch in aufrichtiger Wahrheit einemzugetan sind. Doch genügt zur Zeit des Besitzes von Gro-ßem die Milde allein nicht. Sonst könnte leicht Frechheitallmählich aufkommen. Dieses Aufkommen von Frech-heit muß durch Würde in Schranken gehalten werden,dann ist das Heil gewiß.

Oben eine Neun bedeutet:Vom Himmel her wird er gesegnet, Heil!Nichts, das nicht fördernd ist.

In der Fülle des Besitzes und der Macht bleibt man be-scheiden und ehrt den Weisen, der außerhalb des Weltge-triebes steht. Dadurch stellt man sich unter den segensrei-chen Einfluß vom Himmel her, und alles geht gut.

Konfuzius sagt über diesen Strich: »Segnen bedeutethelfen. Der Himmel hilft dem Hingebenden, die Men-schen helfen dem Wahrhaftigen. Wer in Wahrhaftigkeitwandelt und hingebend ist in seinem Denken und dannnoch die Würdigen hochhält, der wird vom Himmel hergesegnet. Er findet Heil und nichts ist, das nicht förder-lich wäre.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 134: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.167 I Ging, 74Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Der Sinn des Zeichens stimmt mit dem Worte Jesuüberein: »Selig sind die Sanftmütigen, denn sie wer-den das Erdreich besitzen.«

2 Man könnte denken, das Zeichen »Zusammenhal-ten«, Nr. 8, sei noch günstiger, da dort ein Starker diefünf Schwachen um sich versammelt. Dennoch ist dashier beigefügte Urteil »Erhabenes Gelingen« viel gün-stiger. Das kommt daher, daß die von dem starkenHerrscher Zusammengehaltenen dort nur einfache Un-tertanen sind, während hier dem sanftmütigen Herrnlauter starke und tüchtige Männer als Gehilfen zurSeite stehen.

3 Es ist hier vom Besitz derselbe Grundsatz ausge-sprochen, der in dem Worte ausgedrückt ist:

»Wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren,Wer aber sein Leben verliert, der wird es behalten.«

4 Eine andere Übersetzung, die allgemein akzeptiertist, würde lauten:

Er verläßt sich nicht auf seine Fülle. Kein Makel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 135: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.168 I Ging, 74Die einzelnen Linien

Das würde bedeuten, daß man sich von Fehlern frei-hält dadurch, daß man hat, als habe man nicht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 136: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.169 I Ging, 7515. Kiën / Die Bescheidenheit

15. Kiën / Die Bescheidenheit

oben Kun, das Empfangende, die Erdeunten Gen, das Stillehalten, der Berg

Das Zeichen setzt sich zusammen aus Gen, das Stillehal-ten, der Berg, und Kun. Der Berg ist der jüngste Sohndes Schöpferischen, der Repräsentant des Himmels aufErden. Er spendet die Segnungen des Himmels, Wolkenund Regen, die sich um seinen Gipfel sammeln, nachunten und leuchtet daraufhin verklärt in himmlischemLicht. Das zeigt die Bescheidenheit und ihre Wirkung beihohen und starken Menschen. Oben steht Kun, die Erde.Die Eigenschaft der Erde ist die Niedrigkeit, aber ebendarum wird sie in diesem Zeichen als erhöht dargestellt,indem sie oben über dem Berg ist. Das zeigt die Wirkungder Bescheidenheit bei niedrigen, einfachen Menschen:sie werden dadurch erhöht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 137: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.170 I Ging, 75Das Urteil

Das Urteil

Bescheidenheit schafft Gelingen.Der Edle bringt zu Ende.

Das Gesetz des Himmels macht das Volle leer und fülltdas Bescheidene: wenn die Sonne am höchsten steht,muß sie nach himmlischem Gesetz dem Untergang zu,und wenn sie am tiefsten unter der Erde ist, geht sieeinem neuen Aufstieg entgegen. Wenn der Mond voll ist,nimmt er nach demselben Gesetz ab, und wenn er leer ist,nimmt er wieder zu. Dieses himmlische Gesetz wirkt sichauch in den Schicksalen der Menschen aus. Das Gesetzder Erde ist, das Volle zu verändern und dem Bescheide-nen zuzufließen: Die hohen Berge werden von den Was-sern abgetragen und die Täler aufgefüllt. Das Gesetz derSchicksalsmächte ist, dem Vollen zu schaden und demBescheidenen Glück zu spenden. Und auch die Men-schen hassen das Volle und lieben das Bescheidene.

Die Schicksale folgen festen Gesetzen, die sich mitNotwendigkeit auswirken. Aber der Mensch hat es in derHand, sein Schicksal zu gestalten, je nachdem er sichdurch sein Benehmen dem Einfluß der segnenden oderzerstörenden Kräfte aussetzt. Wenn der Mensch hochsteht und sich bescheiden zeigt, so leuchtet er im Lichtder Weisheit. Wenn er niedrig ist und sich bescheidenzeigt, so kann er nicht übergangen werden. So gelingt esdem Edlen, sein Werk zu Ende zu führen, ohne sich desFertigen zu rühmen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 138: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.171 I Ging, 76Das Bild

Das Bild

Inmitten der Erde ist ein Berg:das Bild der Bescheidenheit.So verringert der Edle, was zu viel ist,und vermehrt, was zu wenig ist.Er wägt die Dinge und macht sie gleich.

Der Erde, in der ein Berg verborgen ist, sieht man ihrenReichtum nicht an, denn das Hohe des Berges dient zumAusgleich der Vertiefungen. So ergänzt sich Hohes undTiefes, und das Resultat ist die Ebene. Hier ist das Bildder Bescheidenheit, daß das, was langer Wirkung bedurf-te, als selbstverständlich und leicht erscheint. So macht esder Edle, wenn er Ordnung auf Erden herstellt. Er gleichtdie sozialen Gegensätze, die die Quelle des Unfriedenssind, aus und schafft dadurch gerechte und ebene Ver-hältnisse1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 139: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.172 I Ging, 77Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Ein bescheiden-bescheidener Edlermag das große Wasser durchqueren. Heil!

Eine gefährliche Unternehmung, wie das Durchquereneines großen Wassers, ist sehr erschwert, wenn viele An-sprüche und Rücksichten dabei in Betracht kommen. Da-gegen fällt sie leicht, wenn sie rasch und einfach erledigtwird. Darum ist die ganz anspruchslose Gemütsverfas-sung der Bescheidenheit geeignet, auch schwierige Un-ternehmungen fertigzubringen, weil sie keine Anforde-rungen und Vorbedingungen stellt, sondern schlank undleicht die Sache erledigt; denn wo keine Ansprüche erho-ben werden, erheben sich keine Widerstände.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Sich äußernde Bescheidenheit. Beharrlichkeit

bringt Heil.

Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Wenn je-mand innerlich so bescheiden ist, daß sich diese Gesin-nung in seinem äußeren Benehmen zeigt, so gereicht esihm zum Heil: denn auf diese Weise hat er von selbst dieMöglichkeit beharrlicher Wirkung, die von niemand ver-drängt wird.

Neun auf drittem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 140: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.173 I Ging, 77Die einzelnen Linien

Ein verdienstvoll-bescheidener Edler bringt zuEnde.

Heil!

Hier ist das Zentrum des Zeichens, wo sein Geheimnisausgesprochen wird. Durch große Leistungen erwirbtman sich bald einen bedeutenden Namen. Wenn mansich durch den Ruhm blenden läßt, so wird sehr bald dieKritik einsetzen, und Schwierigkeiten werden sich erhe-ben. Wenn man dagegen trotz seiner Verdienste beschei-den bleibt, so macht man sich beliebt und gewinnt dieHilfskräfte, die nötig sind, um das Werk, das man unter-nommen hat, zu Ende zu führen.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Nichts, das nicht fördernd wärefür Bescheidenheit in der Bewegung.

Alles hat sein Maß. Auch die Bescheidenheit im Beneh-men kann übertrieben werden. Hier ist sie am Platz, dadie Lage zwischen einem verdienstvollen Gehilfen untenund einem gütigen Herrscher oben sehr große Verant-wortung mit sich bringt. Das Vertrauen des Oberen darfnicht mißbraucht, die Verdienste des Unteren dürfennicht verdeckt werden. Es gibt wohl Beamte, die sichnicht hervortun. Sie decken sich durch den Buchstabender Verordnungen, sie lehnen jede Verantwortung ab, sienehmen Bezahlung an, ohne Entsprechendes zu leisten,sie tragen Titel, denen keine Wirklichkeit Bedeutung gibt.Die hier erwähnte Bescheidenheit ist das Gegenteildavon. Die Bescheidenheit in einer solchen Stellung zeigt

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 141: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.174 I Ging, 78Die einzelnen Linien

sich eben darin, daß man mit Interesse an der Arbeit ist.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Nicht pochen auf Reichtum seinem Nächsten

gegenüber.Fördernd ist es, mit Gewalt anzugreifen.Nichts, das nicht fördernd wäre.

Bescheidenheit ist verschieden von schwächlicher Gut-mütigkeit, die alles laufen läßt. Wenn man an verantwor-tungsvollem Posten steht, muß man unter Umständenauch einmal energisch durchgreifen. Aber dazu ist esnötig, daß man nicht durch persönliches Pochen auf seineÜberlegenheit zu wirken sucht, sondern man muß seinerUmgebung gewiß sein. Das Zugreifen muß rein sachlichsein und darf nichts persönlich Verletzendes haben.Darin zeigt sich die Bescheidenheit auch in der Strenge.

Oben eine Sechs bedeutet:Sich äußernde Bescheidenheit.Fördernd ist es, Heere marschieren zu lassen,um die eigne Stadt und das eigene Land zu züchtigen.

Wem es wirklich mit seiner Bescheidenheit Ernst ist, dermuß sorgen, daß sie in der Wirklichkeit sich zeigt. Ermuß mit großer Energie dabei vorgehen. Wenn Feindse-ligkeit entsteht, ist nichts leichter, als die Schuld beim an-dern zu suchen. Ein schwacher Mensch zieht sich dannvielleicht beleidigt auf sich selbst zurück und hat Mitleidmit sich selbst und hält es für Bescheidenheit, daß er sich

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 142: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.175 I Ging, 78Die einzelnen Linien

nicht wehrt. Wirkliche Bescheidenheit zeigt sich darin,daß sie kraftvoll darangeht, Ordnung zu schaffen, unddabei beim eignen Ich und dem engsten Kreise anfängtmit der Züchtigung. Nur dadurch wird wirklich etwasKraftvolles geleistet, daß man den Mut hat, seine Heeregegen sich selbst marschieren zu lassen2.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 143: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.176 I Ging, 78Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Man bemerkt bei diesem Zeichen eine Reihe vonParallelen zur prophetischen und christlichen Lehreder Bibel, z.B.»Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden.Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden.«»Alle Tale sollen erhöht werden, und alle Berge undHügel sollen erniedrigt werden, und was ungleich ist,soll eben, und was höckricht ist, soll schlicht werden«(Jes. 40, 4).»Gott widerstrebt den Hoffärtigen, aber den Demüti-gen gibt er Gnade.«Auch das Weltgericht in der parsischen Religion zeigtähnliche Züge. Und zum letztzitierten Spruch wäredie griechische Auffassung vom Neid der Götter zuerwähnen.

2 Es gibt wenige Zeichen im Buch der Wandlungen,bei denen alle Linien nur günstig sind, wie bei demZeichen Bescheidenheit. Daraus geht hervor, wie hochdie chinesische Weisheit diese Tugend wertet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 144: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.177 I Ging, 7816. Yü / Die Begeisterung

16. Yü / Die Begeisterung

oben Dschen, das Erregende, der Donnerunten Kun, das Empfangende, die Erde

Die starke Linie auf viertem Platz, dem Platz des leiten-den Beamten, findet bei allen den andern schwachen Li-nien Entgegenkommen und Gehorsam. Das obere Urzei-chen, Dschen, hat die Bewegung zur Eigenschaft, dasuntere, Kun, den Gehorsam, die Hingebung. Es wird alsoeine Bewegung begonnen, die auf Hingebung stößt unddaher mitreißend, begeisternd wirkt. Von großer Bedeu-tung ist ferner das Gesetz von der Bewegung auf derLinie des geringsten Widerstandes, das in diesem Zeichenausgesprochen ist als Gesetz für Naturgeschehen undMenschenleben.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 145: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.178 I Ging, 79Das Urteil

Das Urteil

Die Begeisterung. Fördernd ist es,Gehilfen einzusetzen und Heere marschieren zu

lassen.

Die Zeit der Begeisterung beruht darauf, daß ein bedeu-tender Mann da ist, der in Fühlung mit der Volksseele istund in Übereinstimmung mit ihr handelt. Darum findet erallgemeinen, willigen Gehorsam. Um Begeisterung zuwecken, ist es daher nötig, daß man sich mit seinen An-ordnungen nach der Natur der Geführten richtet. Auf die-ser Regel der Bewegung auf der Linie des geringsten Wi-derstandes beruht die Unverbrüchlichkeit der Naturgeset-ze. Sie sind nicht etwas außerhalb der Dinge, sondern dieden Dingen immanente Harmonie der Bewegung. Darumweichen die Himmelskörper nicht ab von ihren Bahnen,und alles Naturgeschehen vollzieht sich in fester Regel-mäßigkeit. In ähnlicher Weise liegen die Dinge auch inder menschlichen Gesellschaft. Auch hier werden sichnur solche Gesetze durchführen lassen, die im Volksemp-finden ihre Wurzel haben, während Gesetze, die diesemEmpfinden widersprechen, nur Erbitterung wecken.

Die Begeisterung ermöglicht dann auch, Gehilfen ein-zusetzen zur Durchführung der Arbeiten, ohne daß gehei-me Gegenwirkungen zu befürchten sind. Die Begeiste-rung ist es auch, die Massenbewegungen, wie im Krieg,so zu vereinheitlichen vermag, daß sie den Sieg erlangen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 146: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.179 I Ging, 80Das Bild

Das Bild

Der Donner kommt aus der Erde hervorgetönt:das Bild der Begeisterung.So machten die alten Könige Musik,um die Verdienste zu ehren,und brachten sie herrlich dem höchsten Gotte dar,indem sie ihre Ahnen dazu einluden.

Wenn der Donner, die elektrische Kraft, zu Beginn desSommers wieder aus der Erde hervorgerauscht kommtund das erste Gewitter die Natur erfrischt, so löst sicheine lange Spannung. Erleichterung und Freude greifenPlatz. Ähnlich besitzt die Musik die Macht, die Spannungim Herzen, der dunklen Gefühle Gewalt zu lösen. DieBegeisterung des Herzens äußert sich unwillkürlich imLaut des Gesanges, in Tanz und rhythmischer Bewegungdes Körpers. Von alters her wurde die begeisternde Wir-kung des unsichtbaren Klanges, der die Herzen der Men-schen bewegt und vereint, als Rätsel empfunden. DieHerrscher benützten diese natürliche Neigung zur Musik.Sie erhöhten und ordneten sie. Die Musik galt als etwasErnstes, Heiliges, sie sollte die Gefühle der Menschen rei-nigen. Sie sollte die Tugenden der Helden preisen und sodie Brücke schlagen zur unsichtbaren Welt. Im Tempelnahte man Gott mit Musik und Pantomimen (aus denensich später das Theater entwickelt hat). Die religiösen Ge-fühle gegen den Schöpfer der Welt wurden vereinigt mitden heiligsten menschlichen Gefühlen, den Gefühlen derEhrfurcht vor den Ahnen. Sie wurden eingeladen zu die-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 147: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.180 I Ging, 80Das Bild

sen Gottesdiensten als Gäste des Himmelsherrn und Ver-treter der Menschheit in jenen höheren Regionen. Indemso die eigene Vergangenheit mit der Gottheit verknüpftwurde in weihevollen Momenten religiöser Begeisterung,schloß sich das Band zwischen Gottheit und Menschheit.Der Herrscher, der in seinen Ahnen die Gottheit verehrte,war dadurch der Sohn des Himmels, in dem die himmli-sche und die irdische Welt sich mystisch berührten. DieseGedanken sind die letzte und höchste Zusammenfassungder chinesischen Kultur. Meister Kung selbst sagte vondem großen Opfer, bei dem diese Bräuche vollzogenwurden: »Wer dieses Opfer ganz verstünde, der könntedie Welt regieren, als drehte sie sich auf seiner Hand.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 148: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.181 I Ging, 80Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Begeisterung, die sich äußert, bringt Unheil.

Jemand in untergeordneter Stellung hat vornehme Bezie-hungen, deren er sich begeistert rühmt. Durch diesenÜbermut zieht er mit Notwendigkeit das Unheil an. Be-geisterung darf nie ein egoistisches Gefühl sein, sondernnur als allgemeine Stimmung, die mit andern verbindet,hat sie ihre Berechtigung.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Fest wie ein Stein. Kein ganzer Tag.Beharrlichkeit bringt Heil.

Es wird hier jemand gezeichnet, der sich von keinen Illu-sionen betören läßt. Während andere durch Begeisterungsich blenden lassen, erkennt er vollkommen klar die er-sten Zeichen der Zeit. So ist er nach oben hin nichtschmeichlerisch, nach unten hin nicht nachlässig. So ister fest wie Stein. Sobald das erste Anzeichen von Miß-stimmung sich zeigt, weiß er sich rechtzeitig zurückzuzie-hen, ohne auch nur einen Tag zu versäumen. Beharrlich-keit in solchem Tun bringt Heil.

Konfuzius sagt darüber: »Die Keime zu kennen, das istwohl göttlich. Der Edle ist im Verkehr nach oben hinnicht schmeichelnd, im Verkehr nach unten hin nicht an-maßend. Er kennt wohl die Keime. Die Keime sind der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 149: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.182 I Ging, 81Die einzelnen Linien

erste unmerkliche Beginn der Bewegung, das, was vonHeil (und Unheil) zuerst sich zeigt. Der Edle sieht dieKeime und handelt sofort. Er wartet nicht erst den gan-zen Tag. Im Buch der Wandlungen heißt es:

›Fest wie ein Stein. Kein ganzer Tag. Beharrlichkeitbringt Heil.‹

Fest wie ein Stein, wozu ein ganzer Tag?Das Urteil kann man wissen.Der Edle kennt Geheim- und Offenbares.Er kennt das Schwache, kennt das Starke auch:Drum schauen die Myriaden zu ihm auf.«

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Nach oben blickende Begeisterung schafft Reue.Zögern bringt Reue.

Es ist hier das Gegenteil der vorigen Linie; dort Selbstän-digkeit, hier das begeisterte Emporblicken. Zögert man zulange, so schafft auch das Reue. Es gilt in der Annähe-rung den richtigen Moment zu ergreifen; nur dann trifftman das Rechte.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Der Ursprung der Begeisterung. Er erreicht Großes.Zweifle nicht.Die Freunde scharen sich um dichwie um eine Haarspange.

Jemand, der Begeisterung zu erwecken vermag durch dieeigene Sicherheit und Freiheit von Bedenken: dadurch,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 150: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.183 I Ging, 82Die einzelnen Linien

daß er nicht zweifelt und ganz wahrhaftig ist, zieht er dieMenschen an. Indem er ihnen Vertrauen schenkt, ge-winnt er sie zu begeisterter Mitarbeit und hat Erfolg. Wieeine Haarspange den Haaren Halt gibt und sie vereinigt,so vereinigt er die Menschen durch den Halt, den erihnen gibt.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Beharrlich krank und stirbt doch immer nicht.

Die Begeisterung wird hier verhindert. Man befindet sichunter dauerndem Druck, der nicht zu freiem Aufatmenkommen läßt. Aber dieser Druck hat unter Umständensein Gutes. Man wird dadurch bewahrt, daß man seineKräfte in leerer Begeisterung aufzehrt. So kann der dau-ernde Druck gerade dazu dienen, daß man am Lebenbleibt.

Oben eine Sechs bedeutet:Verblendete Begeisterung.Aber wenn man nach der Vollendung zur Änderungkommt, so ist das kein Makel.

Wenn man sich von der Begeisterung verblenden läßt, soist das vom Übel. Aber wenn diese Verblendung auchschon vollendete Tatsache ist und man kann sich nochändern, so wird man frei von Makel. Ernüchterung ausfalscher Begeisterung ist sehr wohl möglich und ist sehrgünstig.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 151: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.184 I Ging, 8217. Sui / Die Nachfolge

17. Sui / Die Nachfolge

oben Dui, das Heitere, der Seeunten Dschen, das Erregende, der Donner

Oben ist das Heitere, dessen Charakter die Freude ist,unten das Erregende, dessen Charakter die Bewegung ist.Freude bei der Bewegung führt zur Nachfolge. Das Hei-tere ist die jüngste Tochter, das Erregende der ältesteSohn. Ein älterer Mann stellt sich unter ein junges Mäd-chen und nimmt Rücksicht auf sie. Dadurch bewegt ersie zur Nachfolge.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 152: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.185 I Ging, 82Das Urteil

Das Urteil

Die Nachfolge hat erhabenes Gelingen.Fördernd ist Beharrlichkeit. Kein Makel.

Um Nachfolge zu erreichen, muß man selbst erst sich an-zupassen verstehen. Nur durch Dienen kommt man zumHerrschen; denn nur so erlangt man die freudige Zustim-mung der Unteren, die zur Nachfolge nötig ist. Wo durchList oder Gewalt, Verschwörung oder Parteiung Nachfol-ge erzwungen werden soll, da regt sich immer Wider-stand, der die bereitwillige Nachfolge verhindert.

Freudige Bewegung kann aber auch zu Üblem führen.Darum wird als Bedingung beigefügt: »Fördernd ist Be-harrlichkeit«, d.h. Konsequenz im Rechten, und »ohneMakel«. Ebenso wie man selbst nur unter dieser Bedin-gung Nachfolge verlangen soll, darf man auch andernnur unter dieser Bedingung folgen, ohne Schaden zunehmen.

Der Gedanke der Nachfolge unter Anpassung an das,was die Zeit erfordert, ist groß und wichtig, daher lautetauch das beigefügte Urteil so günstig.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 153: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.186 I Ging, 83Das Bild

Das Bild

Inmitten des Sees ist der Donner: das Bild derNachfolge.

So kehrt der Edle zur Zeit des Abenddunkelszu Erholung und Ruhe ein.

Im Herbst zieht sich die Elektrizität wieder in die Erde zu-rück und ruht. Der Donner inmitten des Sees ist als Bildgenommen, nicht der Donner in Bewegung, sondern derDonner der Winterruhe. Nachfolge ergibt sich aus diesemBild in dem Sinn der Anpassung an die Zeiterfordernisse.Der Donner inmitten des Sees deutet auf Zeiten des Dun-kels und der Ruhe. So gönnt sich der Edle, nachdem erden Tag über unermüdlich tätig war, zur Nachtzeit Erho-lung und Ruhe. Jede Lage wird nur dann gut, wenn mansich ihr anzupassen vermag und nicht durch falschen Wi-derstand sich aufreibt1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 154: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.187 I Ging, 83Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Das Maßgebende ändert sich. Beharrlichkeit bringt

Heil.Zur Tür hinausgehen im Verkehr schafft Werke.

Es gibt Ausnahmezustände, da das Verhältnis von Leiterund Geleitetem sich ändert. In der Idee der Anpassungund Nachfolge liegt es, daß man, wenn man andere leitenwill, zugänglich bleibt und sich bestimmen läßt von denAnsichten der Untergebenen. Nur muß man dabei festeGrundsätze haben, daß man nicht schwankend wird, woes sich nur um Meinungen des Tages handelt. Wenn manerst bereit ist, auf Meinungen anderer zu hören, so darfman nicht immer nur mit Gleichgesinnten und Parteige-nossen zusammensitzen, sondern man muß zur Tür hin-aus und mit Menschen allerlei Art, ob Freund, ob Feind,unbefangen verkehren. Nur dadurch bringt man etwaszustande.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Hängt man sich an den kleinen Knaben,so verliert man den starken Mann.

Bei Freundschaft und engen Beziehungen muß man inder Auswahl vorsichtig sein. Man macht sich entwedereine gute oder eine schlechte Gesellschaft. Man kannnicht beide zugleich haben. Wenn man sich an Unwürdi-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 155: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.188 I Ging, 84Die einzelnen Linien

ge wegwirft, so verliert man den Anschluß an geistig be-deutende Menschen, die einen im Guten zu fördern ver-mögen.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Hängt man dem starken Mann an,so verliert man den kleinen Knaben.Durch Nachfolge findet man, was man sucht.Fördernd ist es, beharrlich zu bleiben.

Wenn man den rechten Anschluß bei bedeutenden Men-schen gefunden hat, so ist damit naturgemäß ein gewisserVerlust verbunden. Man muß sich vom Niedern, Ober-flächlichen scheiden. Aber man wird sich doch im Inner-sten befriedigt fühlen, indem man findet, was man für dieFörderung der Persönlichkeit sucht und braucht. Nur giltes, fest zu bleiben. Man muß wissen, was man will, unddarf sich nicht durch Augenblicksneigungen irremachenlassen.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Die Nachfolge schafft Erfolg. Beharrlichkeit bringt

Unheil.Mit Wahrhaftigkeit auf dem Weg zu wandeln,bringt Klarheit.Wie könnte das ein Makel sein?

Es gelingt oft, wenn man einen gewissen Einfluß besitzt,daß man Nachfolger findet durch Leutseligkeit nach

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 156: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.189 I Ging, 85Die einzelnen Linien

unten hin. Die Menschen, die sich einem anschließen,meinen es aber nicht ehrlich. Sie suchen ihren persönli-chen Vorteil und suchen sich durch Schmeicheleien undUnterwürfigkeit unentbehrlich zu machen. Wenn mansich an solche Parteigänger gewöhnt, so daß man nichtmehr ohne sie sein kann, so bringt das Unheil. Nur wennman ganz frei ist von dem eigenen Ich und mit Überzeu-gung nur auf das Rechte, Sachliche bedacht ist, bekommtman die Klarheit, solche Menschen zu durchschauen,und wird frei von Makel.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Wahrhaft im Guten. Heil!

Jeder Mensch muß etwas haben, dem er nachfolgt, dasihm als Leitstern dient. Wer dem Schönen und Guten mitÜberzeugung nachfolgt, der mag sich durch dieses Wortbestärkt finden.

Oben eine Sechs bedeutet:Er findet feste Anhänglichkeitund wird noch dazu gebunden.Der König stellt ihn dem Westberg vor.

Es handelt sich um einen Menschen, der das Getriebe derWelt für seine Person schon hinter sich hat, einen erhabe-nen Weisen. Aber es findet sich ein Nachfolger, der ihnversteht und nicht von ihm läßt. So kommt er noch ein-mal in die Welt zurück und hilft jenem bei seinem Werk.So entsteht eine Verbindung ewiger Art.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 157: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.190 I Ging, 85Die einzelnen Linien

Das Gleichnis ist gewählt von der Dschoudynastie.Diese Dynastie ehrte verdiente Gehilfen dadurch, daß sieeinen Platz bekamen im Ahnentempel der Herrscherfami-lie auf dem Westberg. Dadurch wurde ein solcher Mannin den Schicksalsbereich des Herrscherhauses aufgenom-men.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 158: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.191 I Ging, 85Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Vgl. den Spruch von Goethe:

Noch ist es Tag, da rühre sich der Mann,Die Nacht tritt ein, wo niemand wirken kann

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 159: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.192 I Ging, 8518. Gu / Die Arbeit am Verdorbenen

18. Gu / Die Arbeit am Verdorbenen

oben Gen, das Stillehalten, der Bergunten Sun, das Sanfte, der Wind

Das chinesische Zeichen Gu stellt eine Schüssel dar, inderen Inhalt Würmer wachsen. Das bedeutet das Verdor-bene. Das ist dadurch gekommen, daß die sanfte Gleich-gültigkeit des unteren Urzeichens mit der starren Trägheitdes oberen Urzeichens zusammengekommen ist, so daßdie Verhältnisse in Stagnation gerieten. Da also eine Ver-schuldung vorliegt, so enthalten diese Zustände die Auf-forderung zu ihrer Beseitigung. Daher ist die Bedeutungdes Zeichens nicht einfach »das Verdorbene«, sondern»das Verdorbene als Aufgabe«, die »Arbeit am Verdorbe-nen«.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 160: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.193 I Ging, 86Das Urteil

Das Urteil

Die Arbeit am Verdorbenen hat erhabenes Gelingen.Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.Vor dem Anfangspunkt drei Tage,nach dem Anfangspunkt drei Tage.

Was durch Schuld von Menschen verdorben ist, kanndurch Arbeit von Menschen wieder gutgemacht werden.Es ist nicht unabänderliches Geschick, wie während derStockungszeit, sondern eine Folge von Mißbrauch dermenschlichen Freiheit, was den Zustand des Verderbensherbeigeführt hat. Deshalb ist die Arbeit an der Besse-rung aussichtsvoll, weil sie im Einklang mit den Möglich-keiten der Zeit steht. Nur darf man vor Arbeit und Ge-fahr – symbolisiert durch das Durchqueren des großenWassers – nicht zurückschrecken, sondern muß ener-gisch zugreifen. Das Gelingen hat jedoch zur Vorbedin-gung die rechte Überlegung. Das ist ausgedrückt in demZusatz: »Vor dem Anfangspunkt drei Tage, nach demAnfangspunkt drei Tage.« Erst muß man die Gründe ken-nen, die zum Verderben geführt haben, ehe man sie ab-stellen kann: daher Achtung während der Zeit vor demAnfangspunkt. Und dann muß man sorgen, daß das neueGeleise sich sicher einfährt, so daß ein Rückfall vermie-den wird: daher Achtung auf die Zeit nach dem Anfangs-punkt. An die Stelle der Gleichgültigkeit und Trägheit, diezum Verderben geführt haben, müssen Entschlossenheitund Energie treten, damit auf das Ende ein neuer Anfangfolgt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 161: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.194 I Ging, 86Das Bild

Das Bild

Unten am Berg weht der Wind: das Bild desVerderbens.

So rüttelt der Edle die Leute auf und stärkt ihrenGeist.

Wenn der Wind unten am Berg weht, so wird er zurück-geworfen und verdirbt die Pflanzen. Das enthält die Auf-forderung zu bessern. So ist es auch mit den niedrigenStimmungen und Moden: sie bringen Verderben in diemenschliche Gesellschaft. Um das zu beseitigen, muß derEdle die Gesellschaft erneuern. Die Methoden dazu wer-den ebenfalls den beiden Urzeichen entnommen, nur daßihre Wirkungen sich geordnet nacheinander entfalten. Ermuß die Stagnation beseitigen durch Aufrütteln der öf-fentlichen Meinung (wie der Wind aufrüttelnd wirkt) unddann den Charakter der Leute stärken und beruhigen(wie der Berg Ruhe und Nahrung allem Wachstum inseiner Umgebung gibt).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 162: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.195 I Ging, 87Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Zurechtbringen des vom Vater Verdorbenen.Wenn ein Sohn da ist,bleibt auf dem heimgegangenen Vater kein Makel.Gefahr. Schließlich Heil.

Das starre Stehenbleiben beim Hergebrachten hat Verder-ben zur Folge gehabt. Aber das Verderben ist noch nichttief eingewurzelt, darum kann es noch leicht gebessertwerden. Es ist, wie wenn ein Sohn das Verderben, dasunter seinem Vater sich eingeschlichen hat, ausgleicht.Da bleibt auf dem Vater kein Makel sitzen. Aber mandarf die Gefahr nicht übersehen und die Sache zu leichtnehmen. Nur wenn man sich der mit jeder Reform ver-bundenen Gefahr bewußt ist, geht schließlich alles gut.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Zurechtbringen des von der Mutter Verdorbenen.Man darf nicht zu beharrlich sein.

Es handelt sich um Fehler, die aus Schwachheit das Ver-derben veranlaßt haben. Daher das Symbol des von derMutter Verdorbenen. Da ist beim Ausgleich eine gewissezarte Rücksicht notwendig. Man darf nicht allzu schroffvorgehen wollen, damit man nicht durch Schroffheit ver-letzt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 163: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.196 I Ging, 87Die einzelnen Linien

Neun auf drittem Platz bedeutet:Zurechtbringen des vom Vater Verdorbenen.Ein wenig wird es Reue geben. Kein großer Makel.

Es ist hier jemand gezeichnet, der beim Zurechtbringender Fehler der Vergangenheit etwas zu energisch vorgeht.Dadurch werden sicher dann und wann kleinere Unzu-träglichkeiten und Verstimmungen entstehen. Aber bes-ser zuviel als zuwenig Energie. Wenn man daher auchmanchmal ein wenig zu bereuen hat, so bleibt man dochfrei von jedem ernstlichen Makel.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Dulden des vom Vater Verdorbenen.Beim Fortmachen sieht man Beschämung.

Es wird hier die Lage gezeigt, daß jemand aus Schwach-heit dem Verderben, das aus der Vergangenheit stammtund sich jetzt zu zeigen beginnt, nicht entgegentritt, son-dern ihm seinen Lauf läßt. Wenn das so weitergeht, wirdBeschämung die Folge sein.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Zurechtbringen des vom Vater Verdorbenen.Man findet Lob.

Man sieht sich einem durch die Vernachlässigung frühe-rer Zeiten entstandenen Verderben gegenüber. Man be-sitzt nicht die Kraft, ihm allein zu steuern. Doch findetman tüchtige Gehilfen, mit deren Unterstützung man

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 164: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.197 I Ging, 88Die einzelnen Linien

zwar nicht einen schöpferischen Neuanfang, aber wenig-stens eine gründliche Reform zuwege bringt, was auchdes Lobes würdig ist.

Oben eine Neun bedeutet:Dient nicht Königen und Fürsten.Steckt sich höhere Ziele.

Nicht jeder Mensch ist verpflichtet, sich in die Weltge-schäfte zu mischen. Es gibt auch solche, die innerlichschon so weit entwickelt sind, daß sie die Berechtigunghaben, der Welt ihren Lauf zu lassen, ohne sich ins politi-sche Leben reformierend einzumischen. Aber damit istnicht gemeint, daß sie tatenlos oder bloß kritisch sich ver-halten dürften. Nur die Arbeit an den höheren Zielen derMenschheit in der eigenen Person gibt die Berechtigungzu solcher Zurückgezogenheit. Denn wenn der Weisesich auch dem Tagesgetriebe fernhält, so schafft er dochunvergleichliche Menschheitswerte für die Zukunft1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 165: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.198 I Ging, 88Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 In Europa ist die Stellung Goethes nach den Napo-leonischen Kriegen ein Beispiel dieses Handelns.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 166: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.199 I Ging, 8819. Lin / Die Annäherung

19. Lin / Die Annäherung

oben Kun, das Empfangende, die Erdeunten Dui, das Heitere, der See

Das chinesische Wort Lin hat eine Reihe von Bedeutun-gen, die in einem einzigen deutschen Wort sich nicht er-schöpfen lassen. Die alten Erklärungen des Buches derWandlungen geben als erste Bedeutung »Großwerden«an. Was groß wird, sind die beiden starken Striche, dievon unten her in das Zeichen hineinwachsen. Mit ihnendehnt sich die lichte Kraft aus. Von da aus geht der Ge-danke weiter zu dem Begriff der Annäherung, und zwarder Annäherung des Starken, Höherstehenden an dasNiedrige. Es bedeutet dann schließlich auch die Herablas-sung eines Höheren gegen das Volk, ferner die Inangriff-nahme der Geschäfte. Das Zeichen ist dem zwölftenMonat (Januar-Februar) zugeordnet, da nach der Sonnen-wende die lichte Kraft schon wieder im Aufsteigen be-griffen ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 167: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.200 I Ging, 89Das Urteil

Das Urteil

Die Annäherung hat erhabenes Gelingen.Fördernd ist Beharrlichkeit.Kommt der achte Monat, so gibt's Unheil.

Das Zeichen als Ganzes deutet auf eine Zeit hoffnungs-frohen Fortschritts. Der Frühling naht. Freude und Nach-giebigkeit bringen Hohe und Niedrige einander näher. Er-folg ist gewiß. Nur bedarf es der entschlossenen und be-harrlichen Arbeit, um die Gunst der Zeit voll auszunüt-zen. Und noch eins: Die Frühlingszeit dauert nicht ewig.Im achten Monat sind die Aspekten umgekehrt. Da sindnur noch zwei starke, lichte Linien übrig, die aber nichtim Vordringen, sondern im Rückzug sind (vgl. das näch-ste Zeichen). Diesen Umschlag gilt es rechtzeitig zu be-denken. Wenn man so dem Übel begegnet, ehe es nochin die Erscheinung getreten ist, ja noch ehe es sich zuregen begonnen hat, so wird man seiner Meister werden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 168: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.201 I Ging, 89Das Bild

Das Bild

Oberhalb des Sees ist die Erde: das Bild derAnnäherung.

So ist der Edle in seiner Absicht zu lehrenunerschöpflich

und im Ertragen und Schützen des Volkes ohneGrenzen.

Die Erde grenzt von oben an den See, das ist das Bild derAnnäherung und Herablassung des Höheren gegen dieTieferstehenden. Aus den beiden Teilen des Bildes ergibtsich sein Verhalten zu diesen Menschen. Wie der See un-erschöpfliche Tiefe zeigt, so ist der Weise unerschöpflichin seiner Bereitschaft, die Menschen zu belehren; undwie die Erde grenzenlos weit ist und alle Geschöpfe trägtund hegt, so trägt und hegt der Weise die Menschen,ohne durch Grenzen irgendwelcher Art einen Teil derMenschheit auszuschließen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 169: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.202 I Ging, 89Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Gemeinsame Annäherung. Beharrlichkeit bringt

Heil.

Das Gute beginnt sich durchzusetzen und findet an ein-flußreicher Stelle Entgegenkommen. Von dort geht dieAnregung an den tüchtigen Menschen aus, herbeizukom-men. Da mag man sich dem Zug nach aufwärts anschlie-ßen. Nur muß man darauf bedacht sein, in der Zeitströ-mung sich selbst nicht zu verlieren, sondern beharrlich imRechten zu bleiben: das bringt Heil.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Gemeinsame Annäherung. Heil! Alles ist fördernd.

Da man sich in der Lage befindet, von oben her zum Her-beikommen angeregt zu sein, und da man in sich selbstdie Stärke und Konsequenz besitzt, die keiner Warnungbedarf, so hat man Heil. Auch die Zukunft braucht einemkeine Sorge zu machen. Wohl weiß man, daß alles Irdi-sche vergänglich ist und auf jeden Aufstieg ein Nieder-gang folgt: aber man läßt sich durch dieses allgemeineSchicksal nicht irremachen. Alles ist fördernd. Darumwird man rasch und brav und kühn die Lebenswege wan-dern.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 170: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.203 I Ging, 90Die einzelnen Linien

Behagliche Annäherung. Nichts, das förderndwäre.

Erreicht man Trauer darüber, so wird man ohneMakel.

Es geht fröhlich voran. Man kommt zu Macht und Ein-fluß. Aber das birgt die Gefahr, daß man im Vertrauenauf seine Stellung sich behaglich fühlt und diese behag-lich-lässige Stimmung im Verkehr mit den Menschenhervortreten läßt. Das ist unter allen Umständen schäd-lich. Doch ist die Möglichkeit des Umschlags der Stim-mung gegeben. Wenn man Trauer über diese verkehrteHaltung empfindet, wenn man die Verantwortung fühlt,die in einer einflußreichen Stellung beschlossen ist, somacht man sich frei von Fehlern.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Vollkommene Annäherung. Kein Makel.

Während die drei unteren Linien das Aufsteigen zuMacht und Einfluß bezeichnen, zeigen die drei oberendas Verhalten der Höhergestellten zu den Niedrigen,denen sie Einfluß verschaffen. Hier ist vollkommen vor-urteilslose Annäherung eines Höherstehenden an einentüchtigen Mann gezeigt, den er ohne Rücksicht auf Stan-desvorurteile in seinen Verkehr zieht. Das ist sehr gün-stig.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Weise Annäherung. Das ist recht für einen großen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 171: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.204 I Ging, 90Die einzelnen Linien

Fürsten. Heil!

Ein Fürst oder jemand in leitender Stellung soll die Weis-heit besitzen, in seine Umgebung tüchtige Menschen zuziehen, die sachkundig sind in der Leitung der Geschäfte.Seine Weisheit besteht ebensowohl darin, daß er die rech-ten Leute auszuwählen versteht, als auch darin, daß erdie, die er ausgewählt hat, gewähren läßt, daß er sichnicht selbst in die Geschäfte einmischt. Denn nur durchdiese Zurückhaltung wird er für alle Anforderungen dieLeute finden, die nötig sind, um sie sachgemäß zu erledi-gen.

Oben eine Sechs bedeutet:Großherzige Annäherung. Heil. Kein Makel.

Ein Weiser, der die Welt überwunden hat und innerlichschon mit dem Leben fertig ist, kann unter Umständen indie Lage kommen, noch einmal ins Diesseits hereinzu-kommen und sich den andern Menschen anzunähern.Das ist für die andern Menschen, denen er seine Beleh-rung und Hilfe zuwendet, von großem Heil. Aber auchfür ihn selbst ist diese großherzige Selbsterniedrigungkein Makel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 172: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.205 I Ging, 9120. Guan / Die Betrachtung (der Anblick)

20. Guan / Die Betrachtung (der Anblick)

oben Sun, das Sanfte, der Windunten Kun, das Empfangende, die Erde

Der chinesische Name des Zeichens hat mit leichter Ab-wandlung der Betonung eine doppelte Bedeutung. Einer-seits bedeutet es das Betrachten, andererseits das Gese-henwerden, das Vorbild. Diese Gedanken werden da-durch nahegelegt, daß das Zeichen aufgefaßt werdenkann als das Bild eines Turmes , wie sie im altenChina häufig waren. Von solchen Türmen hatte man eineweite Aussicht ringsumher, und andererseits war ein sol-cher Turm auf einem Berge weithin sichtbar. So wirddurch das Zeichen ein Herrscher gezeigt, der nach obendas Gesetz des Himmels und nach unten die Sitten desVolkes betrachtet und der mit seiner guten Regierung einerhabenes Vorbild für die Massen ist.

Das Zeichen ist dem achten Monat (September-Okto-ber) zugeordnet. Die lichte Kraft zieht sich zurück, diedunkle ist wieder im Steigen. Doch kommt diese Seitehier für die Gesamterklärung des Zeichens nicht in Be-tracht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 173: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.206 I Ging, 92Das Urteil

Das Urteil

Die Betrachtung.Die Waschung ist geschehen, aber noch nicht die Dar-

bringung. Vertrauensvoll blicken sie zu ihm auf.

Die Opferhandlung in China begann mit einer Waschungund Libation, durch die die Gottheit herbeigerufen wurde.Darauf wurden die Opfer dargebracht. Der Zeitpunktzwischen beiden Handlungen ist der heiligste, der Augen-blick höchster innerer Sammlung. Wenn die Frömmigkeitglaubensvoll und aufrichtig ist, so wirkt ihre Betrachtungauf die, die Zeugen sind, umwandelnd und ehrfurchtge-bietend.

So ist in der Natur ein heiliger Ernst zu sehen in derGesetzmäßigkeit, mit der alle Naturereignisse vor sichgehen. Die Betrachtung des göttlichen Sinns des Weltge-schehens gibt dem Mann, der auf Menschen zu wirkenberufen ist, die Mittel an die Hand, dieselben Wirkungenauszuüben. Dazu ist eine innere Sammlung nötig, wie siedie religiöse Betrachtung in großen und glaubensstarkenMenschen hervorbringt. Dadurch schauen sie die ge-heimnisvollen göttlichen Lebensgesetze und verschaffenihnen durch den höchsten Ernst innerer Sammlung Ver-wirklichung in ihrer eigenen Persönlichkeit. So geht vonihrem Anblick eine geheimnisvolle geistige Macht aus,die auf die Menschen wirkt und sie unterwirft, ohne daßsie sich bewußt werden, wie das zugeht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 174: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.207 I Ging, 92Das Bild

Das Bild

Der Wind geht über die Erde hin:das Bild der Betrachtung.So besuchten die alten Könige die Weltgegenden,betrachteten das Volk und spendeten Belehrung.

Wenn der Wind über die Erde weht, so kommt er überallhin, und das Gras muß sich seiner Macht beugen. Diesebeiden Vorgänge finden in dem Zeichen ihre Bestäti-gung. Sie waren in Wirklichkeit umgesetzt in den Ein-richtungen der Könige des Altertums, die einerseits durchregelmäßige Reisen sich den Anblick ihres Volkes ver-schafften, so daß ihnen nichts, was als Sitte im Volklebte, entgehen konnte, und die dabei andererseits ihrenEinfluß geltend machten, durch den solche Sitten, dienicht stimmten, geändert wurden.

Das Ganze deutet auf die Macht der überlegenen Per-sönlichkeit. Eine solche wird die große Menge der Men-schen übersehen in ihren wirklichen Gesinnungen, so daßkeine Täuschung ihm gegenüber möglich ist, und ande-rerseits wird er durch sein bloßes Dasein, durch dieWucht seiner Persönlichkeit, Eindruck auf sie machen, sodaß sie sich nach ihm richten wie das Gras nach demWinde.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 175: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.208 I Ging, 93Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Knabenhaftes Betrachten.Für einen geringen Menschen kein Makel.Für einen Edlen beschämend.

Ein verständnisloses Betrachten aus der Ferne ist hier ge-zeichnet. Es ist jemand da, der wirkt, aber dessen Wir-kungen von den geringen Menschen nicht verstandenwerden. Das tut bei der Masse nicht viel. Ob sie dieHandlungen des herrschenden Weisen verstehen odernicht: sie kommen ihnen doch zugute. Aber für den hö-heren Menschen ist das eine Schande. Er darf sich nichtmit törichtem, gedankenlosem Betrachten der herrschen-den Einflüsse begnügen. Er muß sie im Zusammenhangbetrachten und zu verstehen suchen.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Betrachtung durch die Türspalte.Fördernd für die Beharrlichkeit einer Frau.

Durch die Türspalte hat man einen beschränkten Aus-blick. Man sieht von innen nach außen. Die Betrach-tungsweise ist subjektiv beschränkt. Man bezieht alles aufsich. Man kann sich nicht in den andern und seine Be-weggründe hineinversetzen. Das ist für eine gute Haus-frau am Platz. Sie braucht nichts zu verstehen von denWelthändeln. Für einen Mann, der im öffentlichen Leben

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 176: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.209 I Ging, 93Die einzelnen Linien

zu wirken hat, ist solche beschränkt egoistische Betrach-tungsweise natürlich vom Übel1.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Betrachtung meines Lebensentscheidet über Fortschritt oder Rückzug.

Es ist hier der Platz des Übergangs. Man blickt nichtmehr nach außen, um mehr oder weniger beschränkteoder verwirrte Bilder zu erhalten, sondern man richtet dieBetrachtung auf sich selbst, um die Richtung für seineEntschließungen zu bekommen. Diese Einkehr der Be-trachtung ist gerade die Überwindung der naiven Selb-stischkeit dessen, der alles nur von seinem Standpunktaus betrachtet Man kommt zur Reflexion und damit zurObjektivität. Die Selbsterkenntnis ist aber nicht eine Be-schäftigung mit den eigenen Gedanken, sondern mit denWirkungen, die von einem ausgehen. Nur die Lebenswir-kungen geben ein Bild, das uns berechtigt, über Fort-schritt oder Rückgang zu entscheiden.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Betrachtung des Lichtes des Reichs.Fördernd ist es, als Gast eines Königs zu wirken.

Hier ist ein Mann gezeichnet, der die Geheimnisse ver-steht, durch die man ein Reich zur Blüte bringt. Ein sol-cher Mann muß an einen maßgebenden Platz gebrachtwerden, wo er wirken kann. Er soll gleichsam Gast sein,d.h. er soll selbständig wirken können und geehrt werden,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 177: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.210 I Ging, 94Die einzelnen Linien

nicht als Werkzeug benützt werden.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Betrachtung meines Lebens.Der Edle ist ohne Makel.

Ein Mann an maßgebender Stelle, zu dem die andern auf-blicken, muß dauernd zur Selbstprüfung bereit sein. Dierechte Art der Selbstprüfung besteht jedoch nicht darin,daß man sich untätig über sich selbst besinnt, sonderndarin, daß man die Wirkungen prüft, die von einem aus-gehen. Nur wenn diese Wirkungen gut sind, daß maneinen guten Einfluß auf andere ausübt, wird die Betrach-tung des eigenen Lebens die Befriedigung gewähren,ohne Fehler zu sein.

Oben eine Neun bedeutet:Betrachtung seines Lebens.Der Edle ist ohne Makel.

Während die vorige Linie einen Mann darstellt, der sichselbst betrachtet, ist hier an höchster Stelle alles Persönli-che, aufs eigene Ich Bezogene, ausgeschaltet. Es ist hierein Weiser gezeigt, der außerhalb des Weltgetriebes freivom Ich die Gesetze des Lebens betrachtet und so alsHöchstes erkennt, wie man frei von Makel wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 178: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.211 I Ging, 94Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Die Verschiedenheit in der Bewertung des Verhal-tens von Mann und Frau ist nicht auf das alte Chinabeschränkt. Das Bild, das Schiller in der »Glocke«von der Hausfrau zeichnet, bewegt sich vollkommenin diesem Kreise.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 179: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.212 I Ging, 9421. Schï Ho / Das Durchbeissen

21. Schï Ho / Das Durchbeissen

oben Li, das Haftende, das Feuerunten Dschen, das Erregende, der Donner

Das Zeichen stellt einen geöffneten Mund dar (vgl. Nr.27, I), zwischen dessen Zähnen ein Hindernis ist (an vier-ter Stelle). Infolge davon lassen sich die Lippen nicht ver-einigen. Um eine Vereinigung herbeizuführen, bedarf esdes energischen Durchbeißens des Hindernisses. Das Zei-chen besteht ferner aus den Zeichen für Donner undBlitz, um anzudeuten, wie Hindernisse in der Natur ge-waltsam beseitigt werden. Das energische Durchbeißenüberwindet das Hindernis der Vereinigung im Mund. DasGewitter mit Donner und Blitz überwindet die störendeSpannung in der Natur. Prozeß und Strafe überwindendie Störungen des harmonischen Zusammenlebens durchVerbrecher und Verleumder. Im Unterschied zu dem Zei-chen Nr. 6, der Streit, wo es sich um Zivilprozesse han-delt, ist hier der Strafprozeß behandelt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 180: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.213 I Ging, 95Das Urteil

Das Urteil

Das Durchbeißen hat Gelingen.Fördernd ist es, Gericht walten zu lassen.

Wenn ein Hindernis der Vereinigung entgegensteht, soschafft energisches Durchbeißen Erfolg. Das gilt in allenVerhältnissen. Immer wird die Einheit, wo sie nicht zu-stande kommt, durch einen Zwischenträger und Verräter,durch einen Hindernden und Hemmenden aufgehalten.Da muß man energisch durchgreifen, damit kein dauern-der Schade entsteht. Solche bewußten Hinderungen ver-schwinden nicht von selbst. Gericht und Strafe sind nötigzur Abschreckung bzw. Beseitigung.

Aber es gilt dabei in der rechten Weise vorzugehen.Das Zeichen ist aus Li, Klarheit, und Dschen, Erregung,zusammengesetzt. Li ist weich, Dschen ist hart. BloßeHärte und Erregung wäre zu heftig im Strafen. BloßeKlarheit und Weichheit wäre zu schwach. Beides vereintschafft das rechte Maß. Wichtig ist, daß der entscheiden-de Mann, der durch den fünften Strich repräsentiert ist,seiner Natur nach milde ist, während er durch seine Stel-lung ehrfurchtgebietend wirkt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 181: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.214 I Ging, 95Das Bild

Das Bild

Donner und Blitz: das Bild des Durchbeißens.So festigten die früheren Königedie Gesetze durch klarbestimmte Strafen.

Die Strafen sind die einzelnen Anwendungen der Geset-ze. Die Gesetze enthalten die Aufzeichnung der Strafen.Klarheit herrscht, wenn bei der Festsetzung der Strafenleichtere und schwerere je nach den entsprechenden Ver-gehen klar unterschieden werden. Das wird symbolisiertdurch die Klarheit des Blitzes. Die Festigung der Gesetzeerfolgt durch die gerechte Anwendung der Strafen. Daswird symbolisiert durch den Schrecken des Donners.Diese Klarheit und Strenge bezweckt, daß die Menschenin Respekt gehalten werden; nicht sind die Strafen umihrer selbst willen wichtig. Die Hindernisse im Zusam-menleben der Menschen werden alle groß durch Unklar-heit der Strafbestimmungen und Lässigkeit in ihrer Aus-führung. Nur durch Klarheit und bestimmte Raschheitder Strafen werden die Gesetze gefestigt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 182: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.215 I Ging, 96Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien1

Anfangs eine Neun bedeutet:Steckt mit den Füßen im Block, daß die Zehen

verschwinden.Kein Makel.

Wenn jemand sofort beim ersten Versuch, etwas Böseszu tun, der Strafe verfällt, so ist die Strafe nur leicht. Eswerden nur die Zehen vom Block bedeckt. Er wird da-durch am Weitersündigen verhindert und wird so frei vonMakel. Es ist das eine Mahnung, auf der Bahn des Bösenrechtzeitig einzuhalten.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Beißt durch weiches Fleisch, daß die Nase

verschwindet.Kein Makel.

Recht und Unrecht lassen sich im vorliegenden Fall leichtunterscheiden. Es ist, wie wenn man durch weichesFleisch beißt. Aber man trifft auf einen harten Sünder.Darum geht man aus Zorn in der Erregung etwas zu weit.Das Verschwinden der Nase beim Zubeißen bedeutet,daß man den feinen Spürsinn infolge der Empörung ver-liert. Doch schadet das nicht viel, weil die Strafe als sol-che gerecht ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 183: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.216 I Ging, 97Die einzelnen Linien

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Beißt auf altes Dörrfleisch und trifft auf Giftiges.Kleine Beschämung. Kein Makel.

Es soll jemand eine Strafe vollziehen, zu der er nicht ge-nügend Macht und Ansehen besitzt. Darum fügen sichdie Bestraften nicht. Es handelt sich um eine alte Sache –symbolisiert durch gesalzenes Wildpret – und dabei stößtman auf Schwierigkeiten. Das alte Fleisch ist verdorben.Man zieht sich durch Beschäftigung mit der Sache gifti-gen Haß zu. Dadurch kommt man etwas in eine beschä-mende Lage. Aber da es ein Erfordernis der Zeit war, zustrafen, so bleibt man doch frei von Makel.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Beißt auf getrocknetes Knorpelfleisch.Erhält Metallpfeile.Fördernd ist es,der Schwierigkeiten eingedenk und beharrlich zu sein.Heil!

Es sind sehr große Schwierigkeiten zu überwinden.Mächtige Gegner sollen bestraft werden. Das ist sehrmühsam. Doch es gelingt. Aber man muß die Härte vonMetall und die Geradheit eines Pfeils besitzen, um dieSchwierigkeiten zu überwinden. Wenn man dieseSchwierigkeiten kennt und beharrlich bleibt, so erlangtman Heil. Die schwierige Aufgabe gelingt zuletzt.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 184: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.217 I Ging, 97Die einzelnen Linien

Beißt auf getrocknetes Muskelfleisch.Erhält gelbes Gold.Beharrlich der Gefahr bewußt sein. Kein Makel.

Man hat einen Fall zu entscheiden, der zwar nicht leicht,aber doch klar ist. Aber die eigene Natur ist zur Gutmü-tigkeit geneigt. Darum muß man sich zusammennehmen,daß man ist wie gelbes Gold, d.h. unparteiisch – Gelb istdie Farbe der Mitte – und treu wie Gold. Nur wenn mansich dauernd der Gefahren bewußt ist, die aus der Verant-wortung entspringen, die man übernommen hat, bleibtman frei von Fehlern.

Oben eine Neun bedeutet:Steckt mit dem Hals im hölzernen Kragen,daß die Ohren verschwinden.Unheil!

Es handelt sich hier im Unterschied zu der Anfangslinieum einen Menschen, der unverbesserlich ist. Er trägt zurStrafe den hölzernen Halskragen. Aber seine Ohren ver-schwinden darin. Er hört nicht mehr auf Warnungen,sondern ist taub für sie. Diese Verstockung führt ins Un-heil2.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 185: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.218 I Ging, 97Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Die einzelnen Linien werden unabhängig vom Ge-samtsinn des Zeichens so erklärt, daß der Erste undder Oberste Strafe erleiden, während die übrigen mitVerhängung von Strafen beschäftigt sind (vgl. dazudie entsprechenden Striche des Zeichens Nr. 4, Mong,die Jugendtorheit).

2 Es ist zu bemerken, daß noch eine andere Deutungbesteht, die von der Idee »oben das Licht, d.h. dieSonne, unten die Bewegung« ausgehend das Zeichenauf einen Markt deutet, der unten in Bewegung ist,während die Sonne oben am Himmel steht. Und zwarhandelt es sich um einen Eßwarenmarkt. Das Fleischdeutet auf Eßwaren. Gold und Pfeile sind Handelsarti-kel. Das Verschwinden der Nase bedeutet das Ver-schwinden des Geruchs, d.h. der Betreffende ist nichthabgierig. Das Gift deutet auf die Gefahren desReichtums usw.

Zu: »Anfangs eine Neun« bemerkt Kungtse:

Der Gemeine schämt sich nicht der Lieblosigkeit undscheut sich nicht vor Ungerechtigkeit. Wenn er keinenVorteil winken sieht, so rührt er sich nicht. Wenn ernicht eingeschüchtert wird, so bessert er sich nicht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 186: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.219 I Ging, 97Die einzelnen Linien

Doch wenn er im Kleinen zurechtgebracht wird, sonimmt er sich im Großen in acht. Das ist für den ge-ringen Menschen ein Glück.

Zu: »Oben eine Neun« bemerkt Kungtse:

Wenn das Gute sich nicht ansammelt, reicht es nichtaus, einen berühmt zu machen. Wenn das Böse sichnicht ansammelt, ist es nicht stark genug, einen zuvernichten. Der Gemeine denkt deshalb, Gutes imKleinen habe keinen Wert; darum unterläßt er es. Erdenkt: Kleine Sünden schaden nichts. Darum gewöhnter sie sich nicht ab. So sammeln sich seine Sündenan, bis sie sich nicht mehr bedecken lassen, und seineSchuld wird so groß, daß sie sich nicht mehr lösenläßt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 187: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.220 I Ging, 9822. Bi / Die Anmut

22. Bi / Die Anmut

oben Gen, das Stillehalten, der Bergunten Li, das Haftende, das Feuer

Das Zeichen zeigt ein Feuer, das aus den geheimen Tie-fen der Erde hervorbricht und emporflackernd den Berg,die himmlische Höhe, erleuchtet und verschönt. DieAnmut, die schöne Form ist nötig bei jeder Vereinigung,damit sie geordnet und lieblich wird und nicht chaotischund ungeordnet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 188: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.221 I Ging, 98Das Urteil

Das Urteil

Anmut hat Gelingen.Im Kleinen ist es fördernd, etwas zu unternehmen.

Die Anmut bringt Gelingen. Aber sie ist nicht das We-sentliche, die Grundlage, sondern nur die Verzierung.Daher darf sie nur sparsam, im Kleinen angewandt wer-den. In dem unteren Zeichen, Feuer, tritt eine weicheLinie zwischen zwei starke und macht sie schön; die star-ken aber sind das Wesen, die schwache Linie ist die ver-schönernde Form. Im oberen Zeichen, Berg, tritt die star-ke Linie bestimmend an die Spitze, so daß sie auch hierals ausschlaggebend in Betracht kommt. In der Natursieht man am Himmel das starke Licht der Sonne. Auf ihrberuht das Leben der Welt. Aber dieses Starke, Wesentli-che wird umgewandelt und findet anmutige Abwechs-lung durch Mond und Sterne. Im Menschenleben bestehtdie schöne Form darin, daß wie Berge feststehende, star-ke Ordnungen da sind, die durch die klare Schönheit ge-fällig gemacht werden. Die Betrachtung der Formen amHimmel verleiht die Fähigkeit, die Zeit und ihre wech-selnden Anforderungen zu verstehen. Die Betrachtungder Formen im Menschenleben verleiht die Möglichkeit,die Welt zu gestalten.

Bemerkung: Das Zeichen zeigt die ruhende Schönheit:innen Klarheit und außen Stille. Das ist die Ruhe der rei-nen Betrachtung. Wenn das Begehren schweigt, derWille zur Ruhe kommt, dann tritt die Welt als Vorstel-lung in die Erscheinung. Und als solche ist sie schön und

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 189: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.222 I Ging, 99Das Urteil

dem Kampf des Daseins entnommen. Das ist die Welt derKunst. Aber durch bloße Betrachtung wird der Willenicht endgültig zur Ruhe gebracht. Er wird wieder erwa-chen, und alles Schöne war dann nur ein vorübergehen-der Moment der Erhebung. Darum ist dies noch nicht dereigentliche Weg zur Erlösung. Kungtse fühlte sich daherauch sehr unbehaglich, als er bei Gelegenheit einer Befra-gung des Orakels das Zeichen »Anmut« bekam.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 190: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.223 I Ging, 99Das Bild

Das Bild

Unten am Berg ist das Feuer: das Bild der Anmut.So verfährt der Edle bei der Klarstellungder laufenden Angelegenheiten,aber er wagt es nicht, danach Streitfragen zu

entscheiden.

Das Feuer, dessen Schein den Berg erleuchtet und anmu-tig macht, leuchtet nicht auf große Entfernung. So genügtanmutige Form zwar, um kleinere Angelegenheiten zu er-heitern und zu erhellen, aber wichtige Fragen können indieser Weise nicht entschieden werden. Sie bedürfen grö-ßeren Ernstes.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 191: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.224 I Ging, 99Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Macht seine Zehen anmutig, verläßt den Wagen und

geht.

Die Stellung zu Beginn und an untergeordnetem Platzebringt es mit sich, daß man die Mühe des Vorankom-mens selbst auf sich nehmen muß. Man hätte Gelegen-heit, sich unter der Hand eine Erleichterung – dargestelltunter dem Bild des Wagens – zu verschaffen. Aber ein insich geschlossener Mensch verschmäht solche auf zwei-felhafte Weise erlangte Erleichterungen. Er findet es an-mutiger, zu Fuß zu gehen, als unrechtmäßigerweise imWagen zu fahren.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Macht seinen Kinnbart anmutig.

Der Bart ist nichts Selbständiges. Er kann nur mit demKinn zusammen bewegt werden. Das Bild bedeutetdaher, daß die Form nur im Gefolge und als Begleiter-scheinung des Gehalts in Betracht kommt.

Der Bart ist eine überflüssige Zierde. Seine selbständi-ge Pflege – ohne Rücksicht auf den zu schmückenden in-neren Gehalt – wäre daher ein Zeichen einer gewissen Ei-telkeit.

Neun auf drittem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 192: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.225 I Ging, 100Die einzelnen Linien

Anmutig und feucht.Dauernde Beharrlichkeit bringt Heil.

Es ist eine höchst anmutige Lebenslage, in der man sichbefindet. Anmut und feuchtverklärter Glanz umgebeneinen. Diese Anmut kann wohl schmücken, sie kann aberauch versinken lassen. Daher die Warnung, nicht in derfeuchten Bequemlichkeit zu versinken, sondern dauerndbeharrlich zu bleiben. Darauf beruht das Heil.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Anmut oder Einfachheit?Ein weißes Pferd kommt wie geflogen:Nicht Räuber er ist,Will freien zur Frist.

Man ist in einer Lage, in der sich Zweifel ergeben, obman weiterhin die Anmut äußeren Glanzes suchen solloder ob es nicht besser ist, zur Einfachheit zurückzukeh-ren. In diesem Zweifel liegt schon die Antwort. Vonaußen naht sich eine Bestärkung. Es kommt heran wieein weißes Flügelpferd. Die weiße Farbe deutet auf Ein-fachheit. Und wenn es auch im ersten Augenblick enttäu-schend wirken könnte, daß man die Bequemlichkeiten,die man auf anderm Wege sich verschaffen könnte, ent-behren muß: in der treuen Verbindung mit dem Freundund Freier findet man Beruhigung. Das fliegende Pferdist das Bild der Gedanken, die alle Schranken des Raumsund der Zeit überfliegen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 193: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.226 I Ging, 100Die einzelnen Linien

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Anmut in Hügeln und Gärten.Das Seidenbündel ist ärmlich und klein.Beschämung, doch schließlich Heil.

Man zieht sich aus dem Verkehr mit den Menschen derTiefe, die nur Pracht und Luxus suchen, zurück in dieEinsamkeit der Höhen. Da findet man einen Menschen,zu dem man aufblickt und den man sich zum Freundemachen möchte. Aber die Gastgeschenke, die man zubieten hat, sind nur gering und dürftig, so daß man be-schämt ist. Doch kommt es nicht auf die äußere Gabe an,sondern auf die wahre Gesinnung; darum geht schließlichalles gut.

Oben eine Neun bedeutet:Schlichte Anmut.Kein Makel.

Hier auf der obersten Stufe wird aller Schmuck abgelegt.Die Form verdeckt nicht mehr den Gehalt, sondern läßtihn zur vollen Geltung kommen. Die höchste Anmut be-steht nicht in äußerer Verzierung des Materials, sondernin seiner schlichten, sachgemäßen Gestaltung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 194: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.227 I Ging, 10123. Bo / Die Zersplitterung

23. Bo / Die Zersplitterung

oben Gen, das Stillehalten, der Bergunten Kun, das Empfangende, die Erde

Die dunklen Linien sind im Begriff, nach oben zu steigenund auch den letzten festen und lichten Strich zu Fall zubringen, indem sie ihn durch ihren Einfluß zersetzen. DasGemeine, Dunkle bekämpft das Edle, Starke nicht direkt,sondern höhlt es durch unmerkliche Wirkung allmählichaus, so daß es schließlich zusammenbricht.

Das Zeichen stellt das Bild eines Hauses dar. Der ober-ste Strich ist das Dach. Indem nun das Dach zerbrochenwird, zerfällt das Haus.

Das Zeichen ist dem neunten Monat (Oktober-Novem-ber) zugeordnet. Die Yinkraft dringt immer mächtigerheran und ist im Begriff, die Yangkraft völlig zu verdrän-gen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 195: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.228 I Ging, 101Das Urteil

Das Urteil

Die Zersplitterung. Nicht fördernd ist es, wohin zugehen.

Es ist eine Zeit, da die Gemeinen im Vordringen sind undeben im Begriff stehen, die letzten Starken und Edlen zuverdrängen. Darum, weil das im Lauf der Zeit begründetist, ist es für den Edlen unter solchen Umständen nichtförderlich, etwas zu unternehmen. Aus den Bildern undihren Eigenschaften ist das rechte Verhalten in solchenwidrigen Zeiten zu entnehmen. Das untere Zeichen be-deutet die Erde, deren Eigenschaft die Fügsamkeit undHingebung ist, das obere Zeichen bedeutet den Berg, des-sen Eigenschaft die Stille ist. Das legt den Rat nahe, sichin die böse Zeit zu fügen und stille zu sein. Es handeltsich hier nicht um menschliches Machen, sondern umZeitverhältnisse, die nach himmlischen Gesetzen aucheinen Wechsel von Zunahme und Abnahme, Fülle undLeere zeigen. Diesen Zeitverhältnissen läßt sich nicht ent-gegenwirken. Daher ist es nicht Feigheit, sondern Weis-heit, wenn man sich fügt und vermeidet zu handeln.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 196: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.229 I Ging, 102Das Bild

Das Bild

Der Berg ruht auf der Erde: das Bild derZersplitterung.

So können die Oberen nur durch reiches Spenden andie

Unteren ihre Stellung sichern.

Der Berg ruht auf der Erde. Wenn er steil und schmal istund keine breite Grundlage hat, so muß er einstürzen.Nur dadurch, daß er breit und groß sich aus der Erde er-hebt, nicht stolz und steil, ist seine Stellung gesichert. Soruhen auch die Herrschenden auf der breiten Grundlagedes Volks. Auch für sie gilt es, freigebig und großzügigzu sein, wie die Erde, die alles trägt; dann werden sie ihreStellung in Sicherheit bringen wie die Ruhe eines Berges.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 197: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.230 I Ging, 102Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Das Bett wird zersplittert am Bein.Die Beharrlichen werden vernichtet. Unheil.

Die Gemeinen kommen heran und fangen heimlich vonunten an mit ihrer zerstörenden Wühlarbeit, um auf dieseWeise den Platz, auf dem der Edle ruht, zu untergraben.Die Anhänger des Herrschers, die ihm treu bleiben, wer-den durch Verleumdung und alle möglichen Machen-schaften vernichtet. Die Lage ist unheilvoll. Doch läßtsich nichts tun als warten.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Das Bett wird zersplittert am Rand.Die Beharrlichen werden vernichtet. Unheil.

Die Macht der Gemeinen wächst. Schon naht sich dieGefahr der eigenen Person. Es kommen schon deutlicheAnzeichen. Die Ruhe wird gestört. Während man sich indieser gefährlichen Lage befindet, ist man zudem nochohne Hilfe und Entgegenkommen von oben und unten.In dieser Isolierung ist äußerste Vorsicht nötig. Man mußsich nach der Zeit richten und rechtzeitig ausweichen.Wollte man unbeugsam und beharrlich seinen Stand-punkt weiter vertreten, so würde das zum Untergang füh-ren.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 198: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.231 I Ging, 103Die einzelnen Linien

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Er zersplittert sich mit ihnen. Kein Makel.

Man steht mitten drin in einer schlechten Umgebung, mitder man auch durch äußere Verbindungen zusammen-hängt. Doch besteht eine innere Beziehung zu einem hö-heren Menschen. Dadurch gewinnt man den innerenHalt, daß man sich frei machen kann von dem Wesen derMenschen der Umgebung. Man kommt dadurch wohl inGegensatz zu ihnen, aber das ist kein Fehler.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Das Bett wird zersplittert bis zur Haut. Unheil.

Das Unglück erreicht hier den eigenen Leib, nicht mehrnur den Ruheplatz. Eine Warnung oder sonstiger Zusatzist nicht beigefügt. Das Unheil ist auf der Höhe: es läßtsich nicht mehr abwenden.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Ein Zug Fische. Durch die Palastdamen kommt

Gunst.Alles ist förderlich.

Hier in unmittelbarer Nähe des oberen starken und lich-ten Prinzips wandelt sich die Natur des Dunklen. Es wi-derstrebt nicht mehr ränkevoll dem starken Prinzip, son-dern unterwirft sich seiner Leitung. Ja als Haupt der übri-gen Schwachen führt es diese alle dem Starken zu,gleichwie eine Fürstin ihre Dienerinnen ihrem Gatten wie

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 199: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.232 I Ging, 103Die einzelnen Linien

einen Zug Fische zuführt und dadurch seine Gunst er-langt. Indem das Niedere sich so freiwillig dem Höherenunterstellt, findet es sein Glück, und auch das Höherekommt zu seinem Recht. Darum geht alles gut.

Oben eine Neun bedeutet:Eine große Frucht ist noch ungegessen da.Der Edle erhält einen Wagen.Dem Gemeinen zersplittert sein Haus.

Hier ist das Ende der Zersplitterung erreicht. Wenn sichdas Unheil ausgetobt hat, kommen wieder bessere Zeiten.Der Same des Guten ist noch übrig. Gerade wenn dieFrucht zur Erde fällt, wächst aus ihrem Samen aufs neuedas Gute hervor. Der Edle kommt wieder zu Einfluß undWirksamkeit. Er wird getragen von der öffentlichen Mei-nung wie auf einem Wagen. Am Gemeinen aber rächtsich seine Bosheit. Sein Haus zersplittert. Darin liegt einNaturgesetz. Das Böse ist nicht nur dem Guten verderb-lich, sondern es vernichtet in seinen letzten Konsequen-zen sich selbst; denn das Böse, das nur von der Vernei-nung lebt, kann aus sich selbst nicht bestehen. Auch derGemeine fährt am besten, wenn er von einem Edlen inZucht gehalten wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 200: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.233 I Ging, 10424. Fu / Die Wiederkehr (die Wendezeit)

24. Fu / Die Wiederkehr (die Wendezeit)

oben Kun, das Empfangende, die Erdeunten Dschen, das Erregende, der Donner

Die Wendezeit wird dadurch angedeutet, daß, nachdemdie dunklen Linien die lichten alle nach oben hinausge-drängt haben, nun wieder ein lichter Strich von unten herin das Zeichen eintritt. Die Zeit des Dunkels ist vorüber.Die Sonnenwende bringt den Sieg des Lichts. Das Zei-chen ist dem elften Monat, dem Monat der Sonnenwende(Dezember-Januar) zugeordnet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 201: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.234 I Ging, 104Das Urteil

Das Urteil

Die Wiederkehr. Gelingen.Ausgang und Eingang ohne Fehl.Freunde kommen ohne Makel.Hin und her geht der Weg.Am siebten Tage kommt die Wiederkehr.Fördernd ist es, zu haben, wohin man geht.

Nach einer Zeit des Zerfalls kommt die Wendezeit. Dasstarke Licht, das zuvor vertrieben war, tritt wieder ein. Esgibt Bewegung. Diese Bewegung ist aber nicht erzwun-gen. Das obere Zeichen Kun hat als Charakter die Hinge-bung. Es ist also eine natürliche Bewegung, die sich vonselbst ergibt. Darum ist die Umgestaltung des Alten auchganz leicht. Altes wird abgeschafft, Neues wird einge-führt, beides entspricht der Zeit und bringt daher keinenSchaden. Vereinigungen von Gleichgesinnten bildensich. Aber dieser Zusammenschluß vollzieht sich in vollerÖffentlichkeit, er entspricht der Zeit, und darum ist jedesegoistische Sonderbestreben ausgeschlossen, und aus die-sen Vereinigungen ergibt sich kein Fehler. Die Wieder-kehr ist im Naturlauf begründet. Die Bewegung ist kreis-förmig. Der Weg ist in sich geschlossen. Darum brauchtman nichts künstlich zu überstürzen. Es kommt alles vonselber, wie es an der Zeit ist. Das ist der Sinn von Him-mel und Erde.

Alle Bewegungen vollziehen sich in sechs Stufen. Diesiebente Stufe bringt dann die Wiederkehr. So kommt imsiebenten Monat nach der Sommersonnenwende, von der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 202: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.235 I Ging, 105Das Urteil

an das Jahr abwärts geht, die Wintersonnenwende, eben-so kommt in der siebenten Doppelstunde nach Sonnen-untergang der Sonnenaufgang. Darum ist die Sieben dieZahl des jungen Lichts, die dadurch entsteht, daß dieSechs, die Zahl des großen Dunkels, sich um eins stei-gert. Damit kommt Bewegung in den Stillstand.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 203: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.236 I Ging, 105Das Bild

Das Bild

Der Donner inmitten der Erde: das Bild derWendezeit.

So schlössen die alten Könige zur Sonnwendzeit diePässe.

Händler und Fremdlinge wanderten nicht,und der Herrscher bereiste nicht die Gegenden.

Die Wintersonnenwende wurde in China von jeher alsdie Ruhezeit des Jahres gefeiert – ein Brauch, der sich inder Neujahrsruhezeit noch immer erhalten hat. Im Winterist die Lebenskraft – symbolisiert durch das Erregende,den Donner – noch unter der Erde. Die Bewegung ist inihren ersten Anfängen. Darum muß man sie durch Ruhekräftigen, damit sie nicht durch vorzeitigen Verbrauchsich verläuft. Dieser Grundsatz, die wiedereinsetzendeKraft durch Ruhe erstarken zu lassen, gilt von allen ent-sprechenden Verhältnissen. Die wiederkehrende Gesund-heit nach einer Krankheit, die wiederkehrende Verständi-gung nach einer Entzweiung: alles muß im ersten Anfangzart und schonend behandelt werden, damit die Wieder-kehr zur Blüte führt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 204: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.237 I Ging, 106Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Wiederkehr aus geringer Entfernung.Es bedarf keiner Reue.Großes Heil!

Kleine Abweichungen vom Guten sind nicht zu vermei-den. Man muß nur rechtzeitig umkehren, ehe man zuweit gegangen. Das ist besonders bei der Bildung desCharakters von Wichtigkeit. Jeder leise böse Gedankemuß sofort beseitigt werden, ehe man darin zu weit gehtund sich verfestigt. So hat man keine Reue nötig, undalles geht sehr gut.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Ruhige Wiederkehr. Heil!

Die Umkehr bedarf immer eines Entschlusses und ist einAkt der Selbstbezwingung. Sie wird erleichtert, wennman in guter Gesellschaft ist. Wenn man es über sich ge-winnt, sich herunterzugeben und sich nach guten Men-schen zu richten, so bringt das Heil.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Mehrfache Wiederkehr. Gefahr. Kein Makel.

Es gibt Menschen von einer gewissen inneren Unbestän-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 205: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.238 I Ging, 106Die einzelnen Linien

digkeit. Für sie ist fortwährend Umkehr der Willensrich-tung nötig. In diesem fortwährenden Abwenden vomGuten aus unbeherrschter Neigung und Wiederzuwendenaus besserem Entschluß liegt eine Gefahr. Aber da aufdiese Weise eine Verfestigung im Bösen doch auch nichteintritt, ist die allgemeine Richtung auf Ablegung desFehlers nicht ausgeschlossen.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:In der Mitte der andern wandelnd,kehrt man allein wieder.

Man ist mitten in einer Gesellschaft von geringen Men-schen, aber man hat innere Beziehungen zu einem star-ken und guten Freund. Infolge davon kehrt man alleinum. Obwohl von Lohn und Strafe nicht die Rede ist, soist es doch sicher günstig; denn ein solcher Entschlußzum Guten trägt seinen Lohn in sich.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Großzügige Wiederkehr. Keine Reue.

Wenn die Zeit zur Umkehr da ist, dann soll man sichnicht hinter kleinliche Ausreden verstecken, sondern insich gehen und sich prüfen. Und wenn man etwas falschgemacht hat, dann soll man in großzügigem Entschlußseinen Fehler eingestehen. Das ist ein Weg, der niemandgereuen wird.

Oben eine Sechs bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 206: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.239 I Ging, 106Die einzelnen Linien

Verfehlung der Wiederkehr. Unheil.Unglück von außen und innen.Wenn man so Heere marschieren läßt,wird man schließlich eine große Niederlage erleiden,so daß es für den Landesherrn unheilvoll ist.Zehn Jahre lang ist man nicht mehr imstande

anzugreifen.

Wenn man die rechte Zeit zur Umkehr versäumt, sokommt man ins Unheil. Das Unglück ist innerlich be-gründet durch die falsche Stellung zum Weltzusammen-hang. Äußeres Unglück ist die Folge dieser falschen Stel-lung. Es ist die Verstockung und ihr Gericht, das gezeich-net wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 207: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.240 I Ging, 10725. Wu Wang / Die Unschuld (das Unerwartete)

25. Wu Wang / Die Unschuld (das Unerwartete)

oben Kiën, das Schöpferische, der Himmelunten Dschen, das Erregende, der Donner

Oben ist Kiën, der Himmel, unten ist Dschen, die Bewe-gung. Das untere Zeichen, Dschen, wird bestimmt durchden starken Strich, den es von oben her, vom Himmel,bekommen hat. Wenn demgemäß die Bewegung demGesetz des Himmels folgt, dann ist der Mensch unschul-dig und ohne Falsch. Das ist das Echte, Natürliche, dasdurch keine Überlegungen und Hintergedanken getrübtist. Wo man die Absicht merkt, da ist die Wahrheit undUnschuld der Natur verloren. Natur ohne die Direktivedes Geistes ist nicht wahre Natur, sondern degenerierteNatur. Von dem Gedanken des Natürlichen aus geht dieGedankenbildung teilweise noch weiter, und so umfaßtdas Zeichen auch noch den Gedanken des Unbeabsichtig-ten, Unerwarteten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 208: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.241 I Ging, 107Das Urteil

Das Urteil

Die Unschuld. Erhabenes Gelingen.Fördernd ist Beharrlichkeit.Wenn jemand nicht recht ist, so hat er Unglück,und nicht fördernd ist es, irgend etwas zu

unternehmen.

Der Mensch hat vom Himmel die ursprünglich guteNatur erhalten, daß sie ihn bei allen Bewegungen leite.Durch Hingabe an dieses Göttliche in ihm erlangt derMensch eine lautere Unschuld, die ohne Hintergedankenan Lohn und Vorteil einfach das Rechte tut mit instinkti-ver Sicherheit. Diese instinktive Sicherheit bewirkt erha-benes Gelingen und ist fördernd durch Beharrlichkeit. Esist aber nicht alles Instinktive Natur in diesem höherenSinn des Wortes, sondern nur das Rechte, das mit demWillen des Himmels übereinstimmt. Ohne dieses Rechtewirkt eine unüberlegte instinktive Handlungsweise nurUnglück. Meister Kung sagt darüber: »Wer von der Un-schuld abweicht, wo kommt der hin? Des Himmels Willeund Segen ist nicht mit seinen Taten.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 209: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.242 I Ging, 108Das Bild

Das Bild

Unter dem Himmel geht der Donner:Alle Dinge erlangen den Naturzustand der Unschuld.So pflegten und nährten die alten Könige,reich an Tugend und entsprechend der Zeit, alle

Wesen.

Wenn der Donner – die Lebenskraft – im Frühling sichunter dem Himmel wieder regt, dann sproßt und wächstalles, und alle Geschöpfe erhalten von der schaffendenNatur die Kindesunschuld des ursprünglichen Wesens.So machen es auch die guten Herrscher der Menschen:Mit dem inneren Reichtum ihres Wesens sorgen sie füralles Leben und alle Kultur und tun alles, was zu derenPflege nötig ist, zur rechten Zeit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 210: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.243 I Ging, 108Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Unschuldiger Wandel bringt Heil!

Die ersten ursprünglichen Regungen des Herzens sindimmer gut, so daß man ihnen getrost folgen kann undgewiß sein darf, daß man Glück hat und seine Absicht er-reicht.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Wenn man beim Pflügen nicht ans Ernten denktund beim Roden nicht an das Benützen des Feldes:dann ist es fördernd, etwas zu unternehmen.

Man soll jede Arbeit um ihrer selbst willen tun, wie Zeitund Ort sie verlangen, und nicht nach dem Erfolg schie-len, dann gerät sie, und was man unternimmt, hat Erfolg.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Unverschuldetes Unglück:Die Kuh, die von jemand angebunden war,ist des Wanderers Gewinn, des Bürgers Verlust.

Manchmal kommt unverschuldetes Unglück über einen,das von einem andern veranlaßt wird, wie etwa, wenn einMann des Weges kommt und eine angebundene Kuhmitlaufen läßt. Sein Gewinn ist des Besitzers Verlust. Bei

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 211: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.244 I Ging, 109Die einzelnen Linien

allen, auch bei unschuldigen Handlungen, muß man sichnach der rechten Zeit richten, sonst kommt unerwartetesUnglück über einen.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Wer vermag beharrlich zu sein, bleibt ohne Makel.

Was einem wirklich gehört, das kann man nicht verlieren,und wenn man es wegwürfe. Man braucht darum garnicht besorgt zu sein. Man muß nur darum besorgt sein,daß man seinem eigenen Wesen treu bleibt und nicht aufandere hört.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Bei unverschuldeter Krankheit gebrauche keine

Arznei.Es wird schon von selber gut werden.

Kommt von außen her, durch Zufall, ein unerwartetesÜbel, das nicht in der eigenen Natur begründet ist und inihr seinen Anhaltspunkt hat, so soll man nicht nach äuße-ren Mitteln greifen zu seiner Beseitigung, sondern derNatur ruhig ihren Lauf lassen, dann wird es von selbstbesser.

Oben eine Neun bedeutet:Unschuldiges Handeln bringt Unglück.Nichts ist fördernd.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 212: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.245 I Ging, 109Die einzelnen Linien

Wenn man in einer Lage ist, da kein Fortschritt mehr ander Zeit ist, da gilt es ruhig und ohne Hintergedanken zuwarten. Wenn man unüberlegt handelt, um wider dasSchicksal voranzukommen, so wird ein Erfolg nicht er-reicht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 213: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.246 I Ging, 10926. Da Tschu / Des grossen Zähmungskraft

26. Da Tschu / Des grossen Zähmungskraft

oben Gen, das Stillehalten, der Bergunten Kiën, das Schöpferische, der Himmel

Das »Schöpferische« wird durch das »Stillehalten« be-zähmt. Das gibt eine große Kraft, ganz anders als bei Nr.9, wo nur das »Sanfte« das »Schöpferische« bezähmt.Während dort ein schwacher Strich die fünf Starken be-zähmen soll, sind es hier zwei, außer dem Minister auchnoch der Fürst. Darum ist ihre Zähmungskraft weit stär-ker. Eine dreifache Bedeutung liegt in dem Zeichen: derHimmel inmitten des Bergs gibt den Gedanken des Fest-haltens = Beisammenhaltens; das Zeichen Gen, welchesdas Zeichen Kiën stillhält, gibt den Gedanken des Festhal-tens = Zurückhaltens. Indem schließlich ein starker Strichoben der Herr des Zeichens ist, der als Weiser geehrt undgepflegt wird, so ergibt sich hieraus der Gedanke desFesthaltens = Pflege, Ernährung. Der letzte Gedankekommt namentlich bei dem Herrn des Zeichens, demstarken oberen Strich, der den Weisen repräsentiert, zurGeltung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 214: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.247 I Ging, 110Das Urteil

Das Urteil

Des Großen Zähmungskraft. Fördernd istBeharrlichkeit.

Nicht zu Hause essen bringt Heil.Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.

Zum Festhalten und Ansammeln von großen, schöpferi-schen Kräften, wie es in dem Zeichen dargestellt ist, be-darf es eines starken, klaren Mannes, der vom Herrschergeehrt wird. Das Zeichen Kiën deutet auf starke Schöp-ferkraft, das Zeichen Gen auf Festigkeit und Wahrheit,beide deuten auf Licht und Klarheit und auf tägliche Er-neuerung des Charakters. Nur durch eine solche täglicheSelbsterneuerung bleibt man auf der Höhe der Kraft.Während in ruhiger Zeit die Macht der Gewohnheit be-hilflich ist zur Ordnung, kommt es in solch großen Zeitender Kraftansammlung ganz auf die Macht der Persönlich-keit an. Aber weil die Würdigen geehrt werden, wie diestarke Persönlichkeit, die vom Herrscher mit der Leitungbetraut ist, beweist, darum ist es günstig, nicht zu Hausezu essen, sondern in der Öffentlichkeit durch Übernahmeeines Amtes sein Brot zu verdienen. Man ist im Einklangmit dem Himmel; darum gelingen auch schwere, gefahr-volle Unternehmungen, wie das Durchqueren des großenWassers.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 215: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.248 I Ging, 110Das Bild

Das Bild

Der Himmel inmitten des Berges:das Bild von des Großen Zähmungskraft.So lernt der Edle viele Worte der Vorzeitund Taten der Vergangenheit kennen,um dadurch seinen Charakter zu festigen.

Der Himmel inmitten des Berges deutet auf verborgeneSchätze. So liegt in den Worten und Taten der Vergan-genheit ein Schatz verborgen, der zur Festigung und Stei-gerung des eigenen Charakters verwendet werden kann.Das ist die rechte Art des Studiums, sich nicht auf histori-sches Wissen zu beschränken, sondern das Historischedurch Anwendung immer wieder gegenwärtig zu ma-chen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 216: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.249 I Ging, 111Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Es ist Gefahr da. Fördernd ist es, abzustehen.

Man wünschte wohl ein kräftiges Fortschreiten. Allein inden Verhältnissen liegt eine Behinderung. Man sieht sichfestgehalten. Wollte man den Fortschritt erzwingen, sowürde das ins Unglück bringen. Darum ist es besser, sichzu fassen und zu warten, bis den angesammelten Kräftenein Ausweg sich öffnet.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Dem Wagen werden die Achsenlager abgenommen.

Hier ist das Fortschreiten gehemmt, ähnlich wie bei desKleinen Zähmungskraft (Nr. 9, Neun auf drittem Platz).Aber während dort die hemmende Kraft gering ist unddaher ein Konflikt entsteht zwischen dem Vorwärtsdrän-genden und dem Hemmenden, infolgedessen demWagen die Speichen abspringen, ist hier die hemmendeKraft unbedingt überlegen. Daher findet kein Kampfstatt. Man fügt sich und nimmt zunächst dem Wagen dieAchsenlager ab, d.h. beschränkt sich zunächst aufs War-ten. Dadurch sammelt sich die Spannkraft zu späteremenergischem Fortschritt.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Ein gutes Pferd, das andern folgt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 217: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.250 I Ging, 111Die einzelnen Linien

Fördernd ist Bewußtsein der Gefahr undBeharrlichkeit.

Täglich übe dich im Wagenfahren und Waffenschutz.Fördernd ist es, zu haben, wohin man geht.

Der Weg öffnet sich. Die Hemmung hat aufgehört. Mansteht in Beziehung zu einem starken Willen, der in glei-cher Richtung wirkt. Man kommt voran wie ein gutesPferd, das einem andern folgt. Aber es droht noch Ge-fahr, deren man bewußt bleiben muß, um sich nicht dieFestigkeit rauben zu lassen. So muß man einerseits sichüben in dem, was voran führt, andererseits in dem, wasgegen unvermuteten Angriff schützt. Dann ist es gut, einZiel zu haben, dem man zustrebt.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Das Schutzbrett eines jungen Stieres.Großes Heil!

Diese Linie und die nächstfolgende sind es, die die vor-wärtsstrebenden unteren zähmen. Ehe einem Stier dieHörner gewachsen sind, bringt man an seiner Stirn einSchutzbrett an, das vorsorgt, daß, wenn erst die Hörnerda sind, sie nicht mehr verletzen können. Eine gute Artder Zähmung ist es, der ausbrechenden Wildheit zu be-gegnen, ehe sie sich äußert; dadurch schafft man sicheinen leichten und großen Erfolg.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Eines verschnittenen Ebers Zahn. Heil!

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 218: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.251 I Ging, 112Die einzelnen Linien

Hier ist die Zähmung des ungestüm Vorwärtsdrängendenauf indirekte Weise erreicht. Der Zahn des Ebers ist ansich gefährlich, aber wenn die Natur des Ebers verändertist, so verliert er seine Gefährlichkeit. So muß man auchbei Menschen die Wildheit nicht direkt bekämpfen, son-dern die Wurzeln der Wildheit beseitigen.

Oben eine Neun bedeutet:Man erlangt den Himmelsweg. Gelingen.

Die Zeit der Hemmung ist vorüber. Die lange durchHemmung angesammelte Kraft bricht sich Bahn und hatgroßen Erfolg. Es ist ein Weiser, der vom Herrscher ge-ehrt wird und dessen Grundsätze nun durchdringen unddie Welt gestalten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 219: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.252 I Ging, 11227. I / Die Mundwinkel (die Ernährung)

27. I / Die Mundwinkel (die Ernährung)

oben Gen, das Stillehalten, der Bergunten Dschen, das Erregende, der Donner

Das Zeichen ist das Bild eines geöffneten Mundes: obenund unten die festen Lippen und dazwischen die Öffnungdes Mundes. Vom Bild des Mundes, durch den man dieSpeisen aufnimmt, um sich zu ernähren, geht der Gedan-ke auf die Ernährung selbst über. In den drei unteren Li-nien ist die eigene Ernährung, und zwar die leibliche, inden drei oberen Linien ist die Ernährung und Pflege derandern, und zwar die geistige, höhere, zur Darstellung ge-bracht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 220: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.253 I Ging, 113Das Urteil

Das Urteil

Die Mundwinkel. Beharrlichkeit bringt Heil.Sieh auf die Ernährung und womit einer selbst sucht

seinen Mund zu füllen.

Bei der Zuwendung von Pflege und Ernährung ist eswichtig, daß für die rechten Leute gesorgt wird und manfür seine eigene Ernährung in der rechten Weise sorgt.Wenn man jemand kennenlernen will, so braucht mannur darauf zu sehen, wem jemand seine Pflege angedei-hen läßt und welche Seiten seines eigenen Wesens erpflegt und nährt. Die Natur nährt alle Wesen. Der großeMann nährt und pflegt die Tüchtigen, um durch sie füralle Menschen zu sorgen.

Mong Dsï VI A 14 sagt hierzu: Wenn man erkennenwill, ob einer tüchtig ist oder untüchtig, so braucht manauf nichts anderes zu sehen als darauf, welchen Teil sei-nes Wesens er besonders wichtig nimmt. Der Leib hatedle Teile und unedle, hat wichtige Teile und geringe.Man darf um des Geringen willen nicht das Wichtigeschädigen und um des Unedlen willen nicht das Edleschädigen. Wer die geringen Teile seines Wesens pflegt,der ist ein geringer Mensch. Wer die edlen Teile seinesWesens pflegt, der ist ein edler Mensch.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 221: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.254 I Ging, 113Das Bild

Das Bild

Unten am Berg ist der Donner: das Bild derErnährung.

So hat der Edle acht auf seine Worteund ist mäßig im Essen und Trinken.

»Gott tritt hervor im Zeichen der Erregung.« Wenn imFrühling die Lebenskräfte sich wieder regen, dann entste-hen alle Dinge aufs neue. »Er vollendet im Zeichen desStillehaltens.« So werden im Vorfrühling, wenn dieSamen zur Erde fallen, alle Dinge fertig. Das gibt dasBild der Ernährung durch Bewegung und Stille. Der Edlenimmt das zum Vorbild für die Ernährung und Pflegeseines Charakters. Die Worte sind von innen nach außengehende Bewegung. Essen und Trinken ist die von außennach innen gehende Bewegung. Beide Arten von Bewe-gung sind durch Stille zu mäßigen. So bewirkt die Stille,daß die vom Mund ausgehenden Worte das Maß nichtüberschreiten und die zum Mund eingehende Nahrungdas Maß nicht überschreitet. Dadurch wird der Charaktergepflegt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 222: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.255 I Ging, 114Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Du läßt Deine Zauberschildkröte fahrenund blickst nach mir mit herabhängenden

Mundwinkeln.Unheil!

Die Zauberschildkröte ist ein Wesen, das keiner irdischenNahrung bedarf, sondern solche Zauberkraft besitzt, daßes von der Luft leben kann. Das Bild besagt, daß man sei-ner Art und Stellung nach ganz gut frei und unabhängigaus sich selbst heraus leben könnte. Statt dessen verzich-tet man auf diese innere Selbständigkeit und blickt mitNeid und Unmut zu andern empor, die es äußerlich bes-ser haben. Dieser niedrige Neid ruft aber bei dem andernnur Hohn und Verachtung hervor. Das ist vom Übel.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Nach dem Gipfel sich wenden um Ernährung.Vom Wege abweichen, um von dem HügelErnährung zu suchen:Wenn man so fortmacht, bringt es Unheil.

Das Normale ist, daß man für seine Nahrung selbst sorgtoder sich von denen, die Pflicht und Recht dazu haben,auf rechtmäßige Weise ernähren läßt. Wenn man durchinnere Schwäche nicht imstande ist, für seine Ernährung

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 223: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.256 I Ging, 114Die einzelnen Linien

zu sorgen, so zeigt sich leicht eine Unruhe, indem manunter Umgehung des rechtmäßigen Erwerbs durch Gunstsich seinen Lebensunterhalt von höher Gestellten schen-ken läßt. Das ist unwürdig, denn man weicht von seinerArt ab. Das führt, dauernd betrieben, zu Unheil.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Abweichen von der Ernährung.Beharrlichkeit bringt Unheil.Zehn Jahre handle nicht danach. Nichts ist

fördernd.

Wer Nahrung sucht, die nicht nährt, der taumelt von Be-gierde zu Genuß, und im Genuß verschmachtet er nachBegierde. Leidenschaftlicher Taumel, um die Sinne zubefriedigen, führt nie zum Ziel. Nie (zehn Jahre ist einevollendete Periode) darf man so handeln. Es kommtnichts Gutes dabei heraus.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Nach dem Gipfel sich wenden um Ernährung bringt

Heil.Mit scharfen Augen wie ein Tiger umherspähenin unersättlichem Begehren. Kein Makel.

Anders als bei der Sechs auf zweitem Platz, die einenMenschen bedeutet, der geschäftig nur auf seinen eige-nen Vorteil bedacht ist, bedeutet diese Linie einen Men-schen, der von hoher Stelle aus bestrebt ist, sein Lichtleuchten zu lassen. Dazu braucht er Hilfskräfte, weil er

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 224: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.257 I Ging, 115Die einzelnen Linien

allein sein hohes Ziel nicht erreichen kann. Begierig wieein hungriger Tiger ist er darauf aus, die rechten Leute zufinden. Aber weil er nicht für sich, sondern für die Allge-meinheit sorgt, ist solcher Eifer kein Fehler.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Abweichen vom Weg.Bleiben in Beharrlichkeit bringt Heil.Man soll nicht das große Wasser durchqueren.

Man ist sich eines Mangels bewußt. Man sollte für dieErnährung der Menschen sorgen, aber man hat nicht dieKraft dazu. So muß man vom gewohnten Weg abwei-chen und sich von einem geistig überlegenen, aber äußer-lich unscheinbaren Menschen Rat und Hilfe erbitten.Wenn man diese Gesinnung beharrlich hegt, so hat manErfolg und Heil. Nur muß man sich seiner Abhängigkeitbewußt bleiben. Man darf nicht mit seiner eigenen Personhervortreten und große Werke, wie das Durchqueren desgroßen Wassers, unternehmen wollen.

Oben eine Neun bedeutet:Die Quelle der Ernährung.Bewußtsein der Gefahr bringt Heil.Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.

Es ist hier ein Weiser höchster Art, von dem alle Einflüs-se ausgehen, die für die Ernährung der andern sorgen.Eine solche Stellung bringt schwere Verantwortung.Bleibt er sich deren bewußt, so hat er Heil und mag auch

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 225: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.258 I Ging, 115Die einzelnen Linien

große und schwere Werke, wie das Durchqueren des gro-ßen Wassers, getrost unternehmen. Sie bringen allgemei-nes Glück für ihn und alle.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 226: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.259 I Ging, 11528. Da Go / Des grossen Übergewicht

28. Da Go / Des grossen Übergewicht

oben Dui, das Heitere, der Seeunten Sun, das Sanfte, der Wind, das Holz

Das Zeichen besteht aus vier starken Strichen im Innernund zwei schwachen Linien außen. Wenn die Starkenaußen und die Schwachen innen sind, so ist das gut undkein Übergewicht, nichts Außerordentliches liegt vor.Hier ist das Umgekehrte der Fall. Das Zeichen stellt einenBalken dar, der innen dick und schwer, aber an denEnden zu schwach ist. Das ist kein Dauerzustand. Ermuß verändert werden, vorübergehen, sonst droht Un-heil.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 227: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.260 I Ging, 116Das Urteil

Das Urteil

Des Großen Übergewicht. Der Firstbalken biegt sichdurch.

Fördernd ist es, zu haben, wohin man gehe.Gelingen.

Das Große ist im Übergewicht. Die Belastung ist zu großfür die tragenden Kräfte. Der Firstbalken, auf dem dasganze Dach ruht, biegt sich durch, weil seine tragendenEnden zu schwach für die Last sind. Es ist eine Zeit undLage, die außerordentlicher Maßregeln bedarf, um über-wunden zu werden, weil sie selbst eine Ausnahmezeit ist.Darum muß man darauf bedacht sein, möglichst rascheinen Übergang zu finden, zu handeln: das verspricht Er-folg; denn obwohl das Starke im Übergewicht ist, ist esdoch in der Mitte, d.h. im inneren Schwerpunkt, so daßkeine Revolution zu befürchten ist. Mit Gewaltmaßregelnfreilich wird nichts erreicht. Man muß den Knoten lösendurch sanftes Eindringen in den Sinn der Lage (wie dasdurch die Eigenschaft des inneren Zeichens Sun nahege-legt ist), dann wird der Übergang in andere Verhältnissegelingen. Es bedarf großer Überlegenheit; darum ist dieZeit des Übergewichts des Großen eine große Zeit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 228: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.261 I Ging, 116Das Bild

Das Bild

Der See geht über die Bäume weg:das Bild des Übergewichts im Großen.So ist der Edle, wenn er allein steht, unbesorgt,und wenn er auf die Welt verzichten muß, unverzagt.

Außerordentliche Zeiten des Übergewichts des Großensind wie eine Überschwemmung, da der See über dieBäume weggeht. Aber solche Zustände gehen vorüber. Inden einzelnen Zeichen ist die rechte Haltung in solchenAusnahmezeiten gegeben: Das Bild von Sun ist derBaum, der fest steht, auch wenn er einsam ist, und die Ei-genschaft von Dui ist die Heiterkeit, die unverzagt bleibt,auch wenn sie auf die Welt verzichten muß.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 229: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.262 I Ging, 117Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Unterlegen mit weißem Schilfgras. Kein Makel.

Wenn man in außerordentlichen Zeiten etwas beginnenwill, so muß man außerordentliche Vorsicht walten las-sen, wie man etwas Schweres, das auf den Boden gestelltwerden soll, mit Schilfgras vorsichtig unterlegt, damitnichts zerbricht. Diese Vorsicht mag übertrieben schei-nen, aber sie ist kein Fehler. Alle außerordentlichen Un-ternehmungen können nur gelingen bei äußerster Vor-sicht in den Anfängen und Grundlagen.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Ein trockener Pappelbaum treibt einen

Wurzelsproß.Ein älterer Mann bekommt eine junge Frau.Alles ist fördernd.

Das Holz steht am Wasser, daher das Bild einer altenPappel, die einen Wurzelsproß treibt. Das ist eine außer-ordentliche Wiederbelebung des Wachstumsprozesses.Dieselbe außerordentliche Lage ergibt sich, wenn ein älte-rer Mann ein junges Mädchen zur Frau bekommt, die zuihm paßt. Trotz des Außergewöhnlichen der Lage gehtalles gut.

Politisch betrachtet ist der Sinn der, daß es in außeror-dentlichen Zeiten günstig ist, sich zu den Niedrigen zu

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 230: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.263 I Ging, 117Die einzelnen Linien

halten, denn hier ist die Möglichkeit einer Erneuerung ge-geben.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Der Firstbalken biegt sich durch. Unheil.

Es ist eine Persönlichkeit gezeichnet, die in Zeiten desÜbergewichts des Großen heftig durchfahren will. Sienimmt von den andern keinen Rat, darum sind die andernauch nicht zu ihrer Unterstützung bereit. Dadurch wächstdie Last, und es kommt zum Biegen oder Brechen. In ge-fahrvollen Zeiten beschleunigt eigenwilliges Zufahrennur den Zusammenbruch.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Der Firstbalken wird gestützt. Heil.Sind Hintergedanken da, ist es beschämend.

Durch freundliche Beziehungen zu den Unteren gelingtes einem verantwortlichen Mann, der Lage Herr zu wer-den. Wenn er aber seine Beziehungen dazu mißbrauchenwollte, um für sich persönlich Macht und Erfolg zu erlan-gen, statt nur für die Rettung des Ganzen zu sorgen, sowäre das beschämend.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Eine dürre Pappel treibt Blüten.Ein älteres Weib bekommt einen Mann.Kein Makel. Kein Lob.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 231: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.264 I Ging, 118Die einzelnen Linien

Eine dürre Pappel, die Blüten treibt, erschöpft dadurchihre Kräfte und kommt dem Ende dadurch nur näher.Eine ältere Frau nimmt sich noch einmal einen Mann.Aber es findet keine Erneuerung statt. Es bleibt alles ste-ril. So bleibt doch nur die Sonderlichkeit bestehen, wennauch alles in Ehren zugeht.

Politisch ist angedeutet, daß, wenn man in unsicherenZeiten den Zusammenhang nach unten hin aufgibt undsich nur an seine Beziehungen zu höheren Ständen hält,damit ein Zustand geschaffen wird, der nicht dauerhaftist.

Oben eine Sechs bedeutet:Man muß durchs Wasser. Es geht über den Scheitel.Unheil. Kein Makel.

Hier ist die Lage gezeichnet, daß das Außerordentlicheaufs höchste gestiegen ist. Man ist mutig und will unterallen Umständen seine Aufgabe bewältigen. Dadurchkommt man in Gefahr. Das Wasser geht über einen weg.Das ist das Unheil. Aber das Leben zu lassen um derDurchsetzung des Guten und Rechten willen, das gibtkeinen Makel. Es gibt Wichtigeres als das Leben.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 232: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.265 I Ging, 11829. Kan / Das Abgründige, das Wasser

29. Kan / Das Abgründige, das Wasser

oben Kan, das Abgründige, das Wasserunten Kan, das Abgründige, das Wasser

Das Zeichen besteht aus der Wiederholung des ZeichensKan. Es ist eines der acht Doppelzeichen. Das ZeichenKan bedeutet das Hineinstürzen. Ein Yangstrich ist zwi-schen zwei Yinstriche hineingestürzt und wird von ihneneingeschlossen wie das Wasser in einer Talschlucht. Esist der mittlere Sohn. Das Empfangende hat den mittlerenStrich des Schöpferischen erlangt, und so entsteht Kan.Als Bild ist es das Wasser, und zwar das Wasser, das vonoben kommt und auf der Erde in Bewegung ist in Flüssenund Strömen und das alles Leben auf Erden veranlaßt.Auf den Menschen übertragen stellt es das Herz, dieSeele dar, die im Leib eingeschlossen ist, das Lichte, dasim Dunkeln enthalten ist, die Vernunft. Der Name desZeichens hat, weil es wiederholt ist, den Zusatz: Wieder-holung der Gefahr. Damit soll das Zeichen eine objektiveLage, an die man sich zu gewöhnen hat, nicht eine sub-jektive Gesinnung bezeichnen. Denn Gefahr als subjek-tive Gesinnung bedeutet entweder Tollkühnheit oderHinterlist. Darum wird die Gefahr auch als Schlucht be-zeichnet, d.h. ein Zustand, in dem man sich befindet wiedas Wasser in einer Schlucht, und aus der man heraus-kommt wie das Wasser, wenn man sich richtig verhält.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 233: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.266 I Ging, 119Das Urteil

Das Urteil

Das wiederholte Abgründige.Wenn du wahrhaftig bist, so hast du im Herzen

Gelingen,und was du tust, hat Erfolg.

Durch die Wiederholung der Gefahr gewöhnt man sichdaran. Das Wasser gibt das Beispiel für das rechte Ver-halten in solchen Zuständen. Es fließt immer weiter undfüllt alle Stellen, durch die es fließt, eben nur aus, esscheut vor keiner gefährlichen Stelle, vor keinem Sturzzurück und verliert durch nichts seine wesentliche eigneArt. Es bleibt sich in allen Verhältnissen selber treu. Sobewirkt die Wahrhaftigkeit in schwierigen Verhältnissen,daß man innerlich im Herzen die Lage durchdringt. Undwenn man einer Situation erst innerlich Herr gewordenist, so wird es ganz von selbst gelingen, daß die äußerenHandlungen von Erfolg begleitet sind. Es handelt sich inder Gefahr um Gründlichkeit, die alles, was zu tun ist,auch wirklich erledigt, und um Vorwärtsschreiten, damitman nicht in der Gefahr verweilend darin umkommt.

Aktiv verwendet kann die Gefahr eine wichtige Bedeu-tung haben als Schutzmaßregel. So hat der Himmel seinegefahrvolle Höhe, die ihn gegen jeden Versuch eines Ein-griffs schützt. So hat die Erde ihre Berge und Gewässer,die durch ihre Gefahren die Länder trennen. Ebenso wen-den die Herrscher die Gefahr als Schutzmaßregel an, umsich nach außen gegen Angriffe, nach innen gegen Unru-hen zu schützen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 234: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.267 I Ging, 119Das Bild

Das Bild

Das Wasser fließt ununterbrochen und kommt ansZiel:

das Bild des wiederholten Abgründigen.So wandelt der Edle in dauernder Tugendund übt das Geschäft des Lehrens.

Das Wasser erreicht sein Ziel durch ununterbrochenesFließen. Es füllt jede Vertiefung aus, ehe es weiterfließt.So macht es der Edle. Er legt Wert darauf, daß das Gutezur festen Charaktereigenschaft wird, nicht zufällig undvereinzelt bleibt. Auch bei der Belehrung anderer kommtalles auf die Konsequenz an. Denn nur durch Wiederho-lung wird der Stoff zum Eigentum des Lernenden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 235: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.268 I Ging, 120Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Wiederholung des Abgründigen.Man gerät im Abgrund in ein Loch. Unheil.

Gewohnheit des Gefährlichen bewirkt leicht, daß die Ge-fahr ins eigne Wesen eingeht. Man weiß Bescheid undgewöhnt sich ans Böse. Damit hat man den rechten Wegverloren, und Unheil ist die natürliche Folge.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Der Abgrund hat Gefahr.Man soll nur Kleines zu erreichen streben.

Innerhalb der Gefahr darf man nicht ohne weiteres da-nach trachten, unter allen Umständen herauszukommen,sondern muß sich zunächst zufrieden geben, wenn manvon der Gefahr nicht überwunden wird. Man muß ruhigdie Zeitumstände in Erwägung ziehen und sich mit Klei-nem begnügen, da zunächst ein großer Erfolg nicht zu er-reichen ist. Eine Quelle fließt auch erst spärlich, und esdauert eine Zeit, ehe sie sich einen Weg ins Freie bahnt.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Vorwärts und rückwärts, Abgrund über Abgrund.In solcher Gefahr halte zunächst inne,sonst kommst du im Abgrund in ein Loch.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 236: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.269 I Ging, 121Die einzelnen Linien

Handle nicht so.

Jeder Schritt vorwärts und rückwärts bringt in Gefahr. Anein Entkommen ist nicht zu denken. Darum darf mansich nicht zum Handeln verleiten lassen, durch das mannur noch tiefer in die Gefahr geriete. Sondern man muß,so unangenehm das Verweilen in solcher Lage ist, zu-nächst innehalten, bis ein Ausweg sich zeigt.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Ein Krug Wein, eine Reisschale als Zugabe,

Tongeschirr,einfach zum Fenster hineingereicht.Das ist durchaus kein Makel.

In Zeiten der Gefahr hören die umständlichen Formenauf. Die Hauptsache ist die wahrhaftige Gesinnung. EinBeamter braucht für gewöhnlich, ehe er eingestellt wird,bestimmte Einführungsgeschenke und Empfehlungen.Hier ist alles aufs äußerste vereinfacht. Die Geschenkesind dürftig, ein Empfehlender ist nicht da, man stellt sichselber vor, und dennoch braucht man sich alles dessennicht zu schämen, wenn man nur die ehrliche Absichthat, einander zu helfen in der Gefahr.

Ein anderer Gedanke wird noch nahegelegt: Das Fen-ster ist der Ort, durch den Helle ins Zimmer kommt.Wenn man in schwierigen Zeiten jemand aufklären will,so muß man mit dem anfangen, was ohne weiteres klarund hell ist, und von da aus ganz einfach weitergehen.

Bemerkung: Es wurde die gewöhnliche Übersetzung

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 237: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.270 I Ging, 121Die einzelnen Linien

»zwei Reisschalen« auf Grund von chinesischen Kom-mentaren verbessert.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Der Abgrund wird nicht überfüllt,er wird nur bis zum Rand gefüllt.Kein Makel.

Die Gefahr entsteht daraus, daß man zu hoch hinaus will.Das Wasser in der Schlucht häuft sich nicht auf, sonderngeht nur bis an den niedersten Rand, um herauszukom-men. So braucht man in der Gefahr auch nur in der Liniedes geringsten Widerstandes vorzugehen, dann erreichtman das Ziel. Große Werke können in solchen Zeitennicht vollbracht werden; es ist genug, wenn man aus derGefahr kommt.

Oben eine Sechs bedeutet:Mit Stricken und Tauen gebunden,eingeschlossen zwischen dornumhegten

Kerkermauern;drei Jahre findet man sich nicht zurecht.Unheil!

Ein Mensch, der in der äußersten Gefahr den rechtenWeg verloren hat und unverbesserlich in seine Sündenverstrickt ist, hat keine Aussicht, aus der Gefahr heraus-zukommen. Er gleicht einem Verbrecher, der gefesselthinter dornumhegten Kerkermauern sitzt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 238: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.271 I Ging, 12230. Li / Das Haftende, das Feuer

30. Li / Das Haftende, das Feuer

oben Li, das Haftende, das Feuerunten Li, das Haftende, das Feuer

Auch dieses Zeichen ist ein Doppelzeichen. Das einfacheZeichen Li bedeutet »haften an etwas«, »bedingt sein«,»beruhen auf etwas«, »Helligkeit«. Eine dunkle Linie haf-tet an einem hellen Strich oben und unten, das Bild einesleeren Raumes zwischen zwei starken Strichen, wodurchdiese hell werden. Es ist die mittlere Tochter. Das Schöp-ferische hat die zentrale Linie des Empfangenden in sichaufgenommen, und so entsteht Li. Als Bild ist es dasFeuer. Das Feuer hat keine bestimmte Gestalt, sondernhaftet an den brennenden Dingen und ist dadurch hell.Wie das Wasser vom Himmel herabkommt, so lodert dasFeuer von der Erde empor. Während Kan die Seele be-deutet, die in dem Körper eingeschlossen ist, bedeutet Lidie Natur in ihrer Verklärung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 239: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.272 I Ging, 122Das Urteil

Das Urteil

Das Haftende. Fördernd ist Beharrlichkeit.Sie bringt Gelingen. Pflege der Kuh bringt Heil.

Das Dunkle haftet am Lichten und vollendet so dessenHelligkeit. Indem das Helle Licht ausstrahlt, bedarf es desBeharrlichen im Innern, damit es sich nicht restlos ver-brennt, sondern dauernd leuchten kann. Alles Leuchtendein der Welt ist abhängig von etwas, an dem es haftet,damit es dauernd leuchten kann.

So haften Sonne und Mond am Himmel; Getreide,Gras und Bäume haften an der Erde. So haftet die dop-pelte Klarheit des berufenen Mannes am Rechten undvermag dadurch die Welt zu gestalten. Indem derMensch, der bedingt und nicht unabhängig dasteht in derWelt, diese Bedingtheit anerkennt, sich abhängig machtvon den harmonischen und guten Kräften des Weltzu-sammenhangs, hat er Gelingen. Die Kuh ist das Symbolder äußersten Fügsamkeit. Indem der Mensch diese Füg-samkeit und freiwillige Abhängigkeit in sich pflegt, er-langt er Klarheit ohne Schärfe und findet seinen Platz inder Welt.

Bemerkung: Es ist ein merkwürdiges Zusammentref-fen, das der Beachtung wert ist, daß hier ebenso wie inder parsischen Religion das Feuer und die Pflege der Kuhmiteinander verbunden sind.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 240: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.273 I Ging, 122Das Bild

Das Bild

Die Helle erhebt sich zweimal: das Bild des Feuers.So erleuchtet der große Mann durch Fortsetzung

dieserHelle die vier Weltgegenden.

Jedes der beiden Einzelzeichen stellt die Sonne in einemTageslauf dar. Es ist also eine wiederholte Tätigkeit derSonne dargestellt. Damit ist die zeitliche Wirkung desLichts angedeutet. Der große Mann setzt das Werk derNatur in der Menschenwelt fort. Durch die Klarheit sei-nes Wesens bewirkt er, daß das Licht immer weiter sichverbreitet und immer mehr das Menschenwesen innerlichdurchdringt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 241: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.274 I Ging, 123Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Die Fußspuren laufen kreuz und quer.Wenn man ernst dabei ist: kein Makel.

Es ist früher Morgen. Die Arbeit beginnt. Nachdem imSchlaf die Seele von der Außenwelt abgeschlossen war,fangen nun die Beziehungen zur Welt wieder an. Kreuzund quer laufen die Spuren der Eindrücke. Es herrscht ei-lige Geschäftigkeit. Wichtig ist dabei, die innere Samm-lung zu bewahren, sich nicht mitreißen zu lassen vondem Getriebe des Lebens. Wenn man ernst und gesam-melt ist, so erlangt man die nötige Klarheit zur Auseinan-dersetzung mit den zahlreichen Eindrücken, die auf eineneinstürmen. Gerade zu Anfang ist solch gesammelterErnst besonders wichtig; denn der Anfang enthält dieKeime zu allem Weiteren.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Gelber Schein. Erhabenes Heil.

Der Mittag des Tages ist erreicht. Die Sonne strahlt ingelbem Schein. Gelb ist die Farbe der Mitte und desMaßes. Gelber Schein ist daher das Bild vollkommenerKultur und Kunst, deren höchste Harmonie im Maß be-steht.

Neun auf drittem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 242: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.275 I Ging, 124Die einzelnen Linien

Beim Schein der untergehenden Sonneschlagen die Menschen entweder auf den Topf und

singen,oder sie seufzen laut über das nahende Greisenalter.Unheil.

Hier ist das Ende des Tages. Der Schein der niedergehen-den Sonne erinnert an die Bedingtheit und Vergänglich-keit des Lebens. In dieser äußeren Unfreiheit werden dieMenschen meist auch innerlich unfrei. Entweder istihnen die Vergänglichkeit ein Antrieb zu um so ausgela-ssenerer Lustigkeit, um das Leben zu genießen, solangees noch da ist, oder sie lassen sich von der Trauer hinrei-ßen und verderben sich durch die Klage um das nahendeAlter die kostbare Zeit. Beides ist vom Übel. Dem Edlenist ein früher oder später Tod nicht zweierlei. Er pflegtseine Person und wartet sein Los ab und festigt dadurchsein Schicksal.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Plötzlich ist sein Kommen;es brennt auf, erstirbt, wird weggeworfen.

Die Klarheit des Verstandes verhält sich zum Leben wiedas Feuer zum Holz. Das Feuer haftet am Holz, aber esverzehrt auch das Holz. Die Verstandesklarheit wurzeltim Leben, aber sie kann das Leben auch verzehren. Eshandelt sich darum, wie sie sich betätigt. Hier ist das Bildeines Meteors oder Strohfeuers gezeichnet. Ein aufgereg-ter, unruhiger Charakter kommt zu raschem Aufstieg.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 243: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.276 I Ging, 124Die einzelnen Linien

Aber es fehlen die nachhaltigen Wirkungen. Unter diesenUmständen ist es vom Übel, zu rasch sich auszugebenund als Meteor sich zu verzehren.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Weinend in Strömen, seufzend und klagend. Heil!

Hier ist der Höhepunkt des Lebens. Ohne Warnungwürde man in dieser Position sich verzehren wie eineFlamme. Wenn man statt dessen Furcht und Hoffnungaufgibt, die Nichtigkeit von allem einsieht und weint undseufzt, besorgt, seine Klarheit zu wahren, so kommt ausdieser Trauer Heil. Es handelt sich hier um wirklicheUmkehr, nicht wie bei Neun auf drittem Platz nur umeine vorübergehende Stimmung.

Oben eine Neun bedeutet:Der König gebraucht ihn, auszuziehen und zu

züchtigen.Am besten ist es dann, die Häupter zu tötenund die Nachläufer gefangenzunehmen. Kein Makel.

Der Zweck der Züchtigung ist, Zucht zu schaffen, nichtblindlings Strafe walten zu lassen. Es gilt, das Übel an derWurzel zu heilen. Im Staatsleben gilt es, die Rädelsführerzu beseitigen, aber die Mitläufer zu schonen. Bei derSelbstbildung gilt es, schlechte Gewohnheiten auszurot-ten, aber harmlose Gewohnheiten zu dulden. Denn allzustrenge Askese führt wie allzu strenge Strafgerichte zukeinem Erfolg.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 244: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.277 I Ging, 12531. Hiën / Die Einwirkung (die Werbung)

Zweite Abteilung

31. Hiën / Die Einwirkung (die Werbung)

oben Dui, das Heitere, der Seeunten Gen, das Stillehalten, der Berg

Der Name des Zeichens bedeutet »allgemein«, »durch-gängig« und in übertragenem Sinn »beeinflussen«, »anre-gen«. Das obere Zeichen ist Dui, das Heitere, das untereGen, das Stillehalten. Das untere starre Zeichen regtdurch beharrliche, stillehaltende Wirkung das obereschwache Zeichen an, das heiter und in Freudigkeit dieserAnregung entspricht. Gen, das untere Zeichen, ist derjüngste Sohn, das obere, Dui, die jüngste Tochter. So istdie allgemeine gegenseitige Anziehung der Geschlechterdargestellt. Dabei muß das Männliche die Initiative ergrei-fen und sich unter das Weibliche herunterbegeben bei derWerbung.

Wie die erste Abteilung des Buches mit den Zeichenfür Himmel und Erde beginnt, als den Grundlagen allesBestehenden, so die zweite Abteilung mit den Zeichenfür Werbung und Ehe, als den Grundlagen aller sozialenBeziehungen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 245: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.278 I Ging, 126Das Urteil

Das Urteil

Die Einwirkung. Gelingen.Fördernd ist Beharrlichkeit.Ein Mädchen nehmen bringt Heil.

Das Schwache ist oben, das Starke unten, dadurch ziehensich ihre Kräfte an, so daß sie sich vereinigen. Das schafftdas Gelingen. Denn alles Gelingen beruht auf der Wir-kung gegenseitiger Anziehung. Innerliches Stillhalten beiäußerer Freude bewirkt, daß die Freude nicht das Maßüberschreitet, sondern in den Grenzen des Rechten bleibt.Das ist der Sinn der beigefügten Mahnung: Fördernd istBeharrlichkeit; denn dadurch unterscheidet sich die Wer-bung, bei der der starke Mann sich unter das schwacheMädchen herunterbegibt und Rücksicht auf sie nimmt,von der Verführung. Diese Anziehung des Wahlver-wandten ist ein allgemeines Naturgesetz. Der Himmelund die Erde ziehen sich gegenseitig an, und so entstehenalle Wesen. Der Weise wirkt durch solche Anziehung aufdie Herzen der Menschen, so kommt die Welt in Frieden.Aus den Anziehungen, die etwas ausübt, kann man dieNatur aller Wesen im Himmel und auf Erden erkennen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 246: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.279 I Ging, 126Das Bild

Das Bild

Auf dem Berge ist ein See: das Bild der Einwirkung.So läßt der Edle durch Aufnahmebereitschaft dieMenschen an sich herankommen.

Ein Berg, auf dem oben ein See ist, erlangt Anregungdurch dessen Feuchtigkeit. Dieser Vorteil wird ihm zuteil,weil sein Gipfel nicht hervorragt, sondern vertieft ist. DasBild ergibt den Rat, daß man sich innerlich niedrig undfrei zu halten hat, so daß man für gute Ratschläge emp-fänglich bleibt. Wer alles besser wissen will, dem ratendie Menschen bald nicht mehr.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 247: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.280 I Ging, 126Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Die Einwirkung äußert sich in der großen Zehe.

Eine Bewegung, ehe sie wirklich ausgeführt wird, äußertsich zunächst in den Zehen. Der Gedanke der Einwir-kung ist schon da. Aber er tritt zunächst für andere nochnicht in die Erscheinung. Solange die Absicht noch keinesichtbaren Wirkungen hat, ist sie für die Außenweltgleichgültig, führt weder zum Guten noch zum Bösen.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Die Einwirkung äußert sich in den Waden.Unheil!Verweilen bringt Heil.

Die Wade folgt dem Fuß in der Bewegung. Sie kannnicht von selbst vorwärts und nicht allein stehenbleiben.Es ist eine Bewegung, die unselbständig und darum, weilsie nicht Herr ihrer selbst ist, unheilvoll ist. Man sollruhig warten, bis man durch wirkliche Einwirkung zumHandeln veranlaßt wird. Dann bleibt man frei von Scha-den.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Die Einwirkung äußert sich in den Schenkeln.Hält sich an das, was ihm folgt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 248: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.281 I Ging, 127Die einzelnen Linien

Weitermachen ist beschämend.

Jede Stimmung des Herzens regt zu einer Bewegung an.Wonach das Herz strebt, dahin laufen die Schenkel, ohnesich zu besinnen; sie halten sich an das Herz, dem sie fol-gen. Aber aufs menschliche Leben übertragen ist dieseArt, auf jede Einwirkung einer Laune hin sofort sich inBewegung zu setzen, nicht das Richtige und führt, dau-ernd fortgesetzt, zu Beschämung. Ein dreifacher Gedan-ke ergibt sich: Man darf nicht ohne weiteres allen Leutennachlaufen, auf die man einwirken möchte, sondern mußsich unter Umständen zurückhalten können. Ebensowe-nig darf man sofort allen Launen derer nachkommen, inderen Dienst man steht. Und schließlich soll man denStimmungen des eigenen Herzens gegenüber nie dieHemmungsmöglichkeit vernachlässigen, auf der diemenschliche Freiheit beruht.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Beharrlichkeit bringt Heil. Die Reue schwindet.Wenn man aufgeregt hin und her denkt,so folgen nur die Freunde,auf die man bewußte Gedanken richtet.

Hier ist der Platz des Herzens erreicht. Die Anregung, dievon hier ausgeht, ist am wichtigsten. Besonders ist daraufzu achten, daß der Einfluß beständig und gut sei, dann isttrotz der Gefahr, die sich aus der großen Beweglichkeitdes menschlichen Herzens ergibt, keine Reue mehr nötig.Wenn die eigene ruhige Kraft des persönlichen Wesenswirkt, dann sind die Wirkungen normal. Alle Menschen,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 249: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.282 I Ging, 128Die einzelnen Linien

die für die Schwingungen eines solchen Geistes empfäng-lich sind, werden dann beeinflußt. Der Einfluß auf anderesoll sich nicht als bewußte und gewollte Bearbeitung derandern äußern. Denn durch solche bewußte Agitationkommt man in Aufregung und wird aufgerieben von demewigen Hin und Her. Außerdem beschränken sich danndie Wirkungen auf die Menschen, auf die man bewußtseine Gedanken richtet.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Die Einwirkung äußert sich im Nacken.Keine Reue.

Der Nacken ist der unbeweglichste Teil des Körpers.Wenn die Einwirkung hier sich äußert, so bleibt der Willedoch fest, und die Einwirkung führt nicht zur Verwir-rung. Darum kommt hier Reue gar nicht in Betracht.Was in diesen Tiefen des Wesens, dem Unterbewußten,vor sich geht, das kann vom Bewußtsein aus weder her-vorgerufen noch gehindert werden. Allerdings ist bei ei-gener Unbeeinflußbarkeit ein Einfluß auf die Außenweltauch nicht möglich.

Oben eine Sechs bedeutet:Die Einwirkung äußert sich in Kinnladen, Wangen

und Zunge.

Die äußerlichste Art, auf andre Einfluß bekommen zuwollen, ist durch bloßes Geschwätz, ohne daß den Wor-ten etwas Wirkliches entspricht. Solche Anregung durch

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 250: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.283 I Ging, 128Die einzelnen Linien

bloße Bewegung der Sprechwerkzeuge bleibt notwendigunbedeutend. Darum ist von Glück oder Unglück nichtshinzugefügt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 251: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.284 I Ging, 12832. Hong / Die Dauer

32. Hong / Die Dauer

oben Dschen, das Erregende, der Donnerunten Sun, das Sanfte, der Wind

Das starke Zeichen Dschen ist oben, das schwache Sununten. Das Zeichen ist das Gegenstück zum vorigen: dortdie Einwirkung, hier die Vereinigung als Dauerzustand.Die Bilder sind Donner und Wind, die ebenfalls dauerndverbundene Erscheinungen sind. Das untere Zeichendeutet auf Sanftheit im Innern, das obere auf Bewegungim Äußeren.

Auf gesellschaftliche Verhältnisse übertragen, habenwir hier die Einrichtung der Ehe als dauernder Verbin-dung der Geschlechter. Während bei der Werbung derjunge Mann sich unter das Mädchen stellt, ist bei derEhe, die durch das Zusammensein des ältesten Sohnesund der ältesten Tochter repräsentiert wird, der Mannnach außen hin leitend und bewegend, die Frau im Innernsanft und gehorchend.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 252: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.285 I Ging, 129Das Urteil

Das Urteil

Gelingen. Kein Makel.Fördernd ist Beharrlichkeit.Fördernd ist, zu haben, wohin man gehe.

Die Dauer ist ein Zustand, dessen Bewegung sich nichtdurch Hemmungen aufreibt. Sie ist nicht ein Ruhezu-stand; denn bloßer Stillstand ist Rückgang. Dauer ist viel-mehr eine in sich geschlossene und darum stets sich er-neuernde, nach festen Gesetzen sich vollziehende Bewe-gung eines organisierten, in sich fest geschlossenen Gan-zen, bei der auf jedes Ende ein neuer Anfang folgt. DasEnde wird erreicht durch die Bewegung nach innen, dasEinatmen, die Systole, die Konzentration. Diese Bewe-gung geht über in einen neuen Anfang, bei dem die Be-wegung nach außen gerichtet ist, das Ausatmen, die Dia-stole, die Expansion.

So haben die Himmelskörper ihre Bahnen am Himmelund können daher dauernd leuchten. Die Jahreszeitenhaben ein festes Gesetz des Wechsels und der Umbildungund können daher dauernd wirken.

Und so hat auch der Berufene einen dauernden Sinn inseinem Weg, und die Welt kommt dadurch zur fertigenBildung. Aus dem, worin die Dinge ihre Dauer haben,kann man die Natur aller Wesen im Himmel und aufErden erkennen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 253: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.286 I Ging, 129Das Bild

Das Bild

Donner und Wind: das Bild der Dauer.So steht der Edle fest und wandelt seine Richtung

nicht.

Der Donner rollt, und der Wind weht. Beides ist etwasäußerst Bewegliches, so daß es dem Anschein nach dasGegenteil von Dauer ist. Aber ihr Hervortreten und Zu-rücktreten, ihr Kommen und Gehen folgt dauernden Ge-setzen. So beruht die Selbständigkeit des Edlen auchnicht darin, daß er starr und unbeweglich ist. Er gehtimmer mit der Zeit und wandelt sich mit ihr. Das Dau-ernde ist die feste Richtung, das innere Gesetz seines We-sens, das alle seine Handlungen bestimmt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 254: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.287 I Ging, 130Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Zu rasch Dauer wollen, bringt beharrlich Unheil.Nichts, was fördernd wäre.

Etwas Dauerndes läßt sich nur allmählich durch langeArbeit und sorgfältiges Nachdenken schaffen. »Wennman etwas zusammendrücken will, muß man es erst sichordentlich ausdehnen lassen«, sagt Laotse in diesem Sinn.Wer gleich auf einmal zu viel verlangt, der überstürztsich. Und weil er zu viel will, gelingt ihm schließlich garnichts.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Reue schwindet.

Die Situation ist abnorm. Die Kraft des Charakters iststärker als die zu Gebote stehende materielle Macht. Dakönnte man vielleicht fürchten, daß man sich zu etwashinreißen ließe, das über die Kraft geht. Allein da es dieZeit der Dauer ist, gelingt es, die innere Kraft zu beherr-schen, so daß jedes Zuviel vermieden wird und so derAnlaß zur Reue schwindet.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Wer seinem Charakter nicht Dauer gibt,dem bietet man Schande.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 255: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.288 I Ging, 130Die einzelnen Linien

Beharrliche Beschämung.

Wenn man in seinem Wesen umgetrieben wird von Stim-mungen, die von der Außenwelt durch Furcht und Hoff-nung erregt werden, so verliert man die innere Konse-quenz des Charakters. Solche innere Inkonsequenz führtdauernd zu peinlichen Erlebnissen. Diese Beschämungenkommen häufig von einer Seite, an die man nicht gedachthatte. Sie sind auch nicht sowohl Wirkungen der Außen-welt, als gesetzmäßige Zusammenhänge, die von dem ei-genen Wesen ausgelöst werden.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Im Feld ist kein Wild.

Wenn man auf der Jagd zu Schuß kommen will, so mußman es auf die rechte Weise anfangen. Wenn man dau-ernd dem Wild an einem Orte nachstellt, wo es keinesgibt, so kann man noch so lange warten und findet kei-nes. Dauer im Suchen genügt nicht. Was man nicht aufdie rechte Weise sucht, findet man nicht.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Seinem Charakter Dauer geben durch Beharrlichkeit,das ist für eine Frau von Heil, für einen Mann von

Unheil.

Eine Frau soll ihr ganzes Leben einem Manne folgen, derMann aber soll sich an das halten, was jeweils seinePflicht ist; wenn er sich dauernd nach der Frau richten

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 256: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.289 I Ging, 130Die einzelnen Linien

wollte, so wäre das für ihn ein Fehler.Dementsprechend ist für eine Frau konservatives Hal-

ten am Hergebrachten ganz gut. Dagegen der Mann mußbeweglich und anpassungsfähig bleiben und darf sich nurdurch das bestimmen lassen, was jeweils seine Pflichtverlangt.

Oben eine Sechs bedeutet:Rastlosigkeit als dauernder Zustand bringt Unheil.

Es gibt Menschen, die dauernd in hastiger Bewegungsind, ohne innerlich zur Ruhe zu kommen. Die Rastlosig-keit hindert nicht nur alle Gründlichkeit, sondern wird di-rekt zur Gefahr, wenn sie an maßgebender Stelleherrscht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 257: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.290 I Ging, 13133. Dun / Der Rückzug

33. Dun / Der Rückzug

oben Kiën, das Schöpferische, der Himmelunten Gen, das Stillehalten, der Berg

Die Kraft des Schattigen ist im Aufsteigen begriffen. DasLichte zieht sich vor ihr in Sicherheit zurück, so daß jeneihm nichts anhaben kann. Es handelt sich bei diesemRückzug nicht um menschliche Willkür, sondern um Ge-setze des Naturgeschehens. Darum ist in diesem Fall derRückzug die richtige Art des Handelns, die die Kräftenicht aufreibt1.

Als Monatszeichen ist das Hexagramm dem sechstenMonat (Juli-August) beigeordnet, in dem die Winterkräfteschon wieder anfangen, ihre Wirkung zu zeigen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 258: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.291 I Ging, 131Das Urteil

Das Urteil

Der Rückzug. Gelingen.Im Kleinen ist fördernd Beharrlichkeit.

Die Verhältnisse sind so, daß die feindlichen Kräfte,durch die Zeit begünstigt, im Vorrücken sind. In diesemFall ist der Rückzug das richtige, und eben durch denRückzug erlangt man Gelingen. Der Erfolg besteht darin,daß man den Rückzug richtig auszuführen vermag.Rückzug ist nicht zu verwechseln mit Flucht, die auf wei-ter nichts bedacht ist als Rettung unter allen Umständen.Rückzug ist ein Zeichen von Stärke. Man darf den rech-ten Moment nicht versäumen, solange man in vollem Be-sitz von Kraft und Stellung ist. Da versteht man rechtzei-tig die Zeichen der Zeit zu deuten und bereitet einen zeit-weiligen Rückzug vor, statt sich in einen verzweifeltenKampf auf Leben und Tod einzulassen. So räumt manauch dem Gegner nicht ohne weiteres das Feld, sondernerschwert ihm das Vorrücken, indem man im einzelnennoch immer Beharrlichkeit zeigt. Auf diese Weise bereitetman im Rückzug schon den Umschwung vor. Die Geset-ze eines solchen aktiven Rückzugs zu verstehen, ist nichtleicht. Der Sinn, der in solcher Zeit verborgen liegt, ist be-deutend.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 259: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.292 I Ging, 132Das Bild

Das Bild

Unter dem Himmel ist der Berg:das Bild des Rückzugs.So hält der Edle den Gemeinen fern,nicht zornig, sondern gemessen.

Der Berg erhebt sich unter dem Himmel, aber in seinerNatur liegt es, daß er schließlich stehenbleibt. Der Him-mel dagegen zieht sich nach oben vor ihm in die Fernezurück, so daß er unerreichbar bleibt. Das ist das Bild fürdie Art, wie der Edle sich dem aufsteigenden Gemeinengegenüber verhält. Er zieht sich in seiner Gesinnung vorihm zurück. Er haßt ihn nicht; denn der Haß ist eine Artvon innerer Beteiligung, durch die man sich mit dem ge-haßten Gegenstand verbindet. Der Edle zeigt die Stärke(Himmel) darin, daß er den Gemeinen durch seine Ge-messenheit zum Stillstand bringt (Berg).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 260: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.293 I Ging, 132Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Beim Rückzug am Schwanz: das ist gefährlich.Man darf nicht etwas unternehmen wollen.

Da das Zeichen das Abbild von etwas sich Zurückziehen-dem ist, so ist der erste Strich der Schwanz und der ober-ste der Kopf. Beim Rückzug ist es vorteilhaft, vorne zusein. Hier ist man hinten in unmittelbarer Berührung mitden nachdrängenden Feinden. Das ist gefährlich. Untersolchen gefahrvollen Umständen ist es nicht ratsam,etwas zu unternehmen. Durch Stillehalten entgeht manam leichtesten der drohenden Gefahr.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Er hält ihn fest mit gelbem Ochsenleder.Niemand vermag ihn loszureißen.

Gelb ist die Farbe der Mitte. Sie deutet auf das Korrekte,Pflichtgemäße. Das Leder eines Ochsen ist fest und un-zerreißbar.

Während die Edlen sich zurückziehen und die Gerin-gen nachdrängen, ist hier ein Geringer gezeichnet, dersich so fest und zäh an die Edlen hält, daß sie sich vonihm nicht losmachen können. Und weil er das Rechtewill und so stark ist in seinem Willen, erreicht er auchsein Ziel2. Auf diese Weise bestätigt die Linie das Wortdes Urteils: »Im Kleinen (hier soviel wie: für den gerin-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 261: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.294 I Ging, 133Die einzelnen Linien

gen Mann) ist günstig Beharrlichkeit.«

Neun auf drittem Platz bedeutet:Aufgehaltener Rückzug ist peinlich und gefahrvoll.Die Menschen als Knechte und Mägde zu halten,

bringt Heil.

Wenn es Zeit ist, sich zurückzuziehen, und man wird zu-rückgehalten, so ist das unangenehm und gefährlich zu-gleich, da einem die Freiheit des Handelns genommen ist.In solchem Falle ist der einzige Ausweg der, daß man dieMenschen, die einen nicht gehen lassen, sozusagen inseinen Dienst nimmt, um sich so wenigstens die Initiativezu wahren und nicht wehrlos unter ihre Herrschaft zukommen. Aber wenn dies auch ein Ausweg ist, erfreulichwird die Lage doch nicht. Denn was will man mit solchenDienern ausrichten?

Neun auf viertem Platz bedeutet:Freiwilliger Rückzug bringt dem Edlen Heil,dem Gemeinen Niedergang.

Beim Rückzug handelt es sich für den höheren Men-schen darum, daß er in aller Freundlichkeit und gerne Ab-schied nimmt. Der Rückzug fällt ihm auch innerlichleicht, weil er auf diese Weise seiner Überzeugung keineGewalt anzutun braucht. Wer darunter zu leiden hat, dasist nur der Gemeine, von dem er sich zurückzieht und derohne die Leitung des Edlen verkommen muß.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 262: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.295 I Ging, 133Die einzelnen Linien

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Freundlicher Rückzug. Beharrlichkeit bringt Heil.

Es ist die Sache des Edlen, rechtzeitig zu erkennen, wannes Zeit ist, sich zurückzuziehen. Wenn man den rechtenZeitpunkt wählt zum Rückzug, so kann sich dieser Rück-zug in vollkommen freundschaftlichen Formen vollzie-hen, ohne daß unangenehme Auseinandersetzungennötig würden. Aber trotz aller Verbindlichkeit der äuße-ren Form ist unbedingte Festigkeit des Entschlusses nötig,damit man sich nicht durch anderweitige Erwägungen ir-remachen läßt.

Oben eine Neun bedeutet:Heiterer Rückzug. Alles ist fördernd.

Die Lage ist unzweideutig. Die innere Loslösung ist einefeststehende Tatsache. Dadurch hat man die Freiheit, zugehen. Wo man seinen Weg so klar und zweifellos vorsich sieht, stellt sich eine heitere Fassung ein, die dasRechte ohne jedes Bedenken wählt. Ein solch klarer Wegführt stets zum Guten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 263: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.296 I Ging, 133Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Es ist ein ähnlicher Gedanke in dem Zeichen ausge-drückt wie in dem Wort Jesu: »Ihr sollt nicht wider-streben dem Übel« (Matth. 5, 39).

2 Es ist ein ähnlicher Gedanke angedeutet wie in demnächtlichen Kampf Jakobs mit dem Gott von Pniel 1.Mos. 32: »Ich lasse dich nicht, du segnest michdenn.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 264: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.297 I Ging, 13434. Da Dschuang / Des grossen Macht

34. Da Dschuang / Des grossen Macht

oben Dschen, das Erregende, der Donnerunten Kiën, das Schöpferische, der Himmel

Die großen, d.h. lichten, starken Linien sind mächtig.Vier lichte Linien sind von unten her in das Zeichen ein-getreten und sind im Begriff, weiter aufzusteigen. Dasobere Halbzeichen ist Dschen, das Erregende, das untereKiën, das Schöpferische. Das Schöpferische ist stark, dasErregende bewegend. Die Vereinigung von Bewegungund Stärke gibt den Sinn der Macht des Großen. Das Zei-chen ist dem zweiten Monat (März-April) zugeordnet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 265: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.298 I Ging, 134Das Urteil

Das Urteil

Des Großen Macht. Fördernd ist Beharrlichkeit.

Das Zeichen deutet auf eine Zeit, da innerer Wert gewal-tig aufsteigt und zur Macht kommt. Aber die Stärke hatdie Mitte schon überschritten. Darum liegt die Gefahrnahe, daß man sich auf seine Macht verläßt, ohne jeder-zeit nach dem Rechten zu fragen, daß man auf Bewe-gung aus ist, ohne auf die rechte Zeit zu warten. Deshalbist der Satz beigefügt, daß Beharrlichkeit förderlich ist.Denn das ist eben wirklich große Macht, die nicht inbloße Gewalt ausartet, sondern innerlich verbunden bleibtmit den Grundsätzen des Rechts und der Gerechtigkeit.Wenn man diesen Punkt versteht, daß Größe und Ge-rechtigkeit untrennbar verbunden sein müssen, so ver-steht man den wahren Sinn alles Weltgeschehens in Him-mel und Erde.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 266: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.299 I Ging, 134Das Bild

Das Bild

Der Donner ist am Himmel droben:das Bild der Macht des Großen.So tritt der Edle nicht auf Wege,die nicht der Ordnung entsprechen.

Der Donner, die elektrische Kraft, steigt im Frühjahr nachoben. Diese Bewegung ist im Einklang mit der Richtungder Bewegung des Himmels. Es ist also eine Bewegungin Übereinstimmung mit dem Himmel, die große Machtbewirkt. Wahre Größe beruht aber darauf, daß sie in Ein-klang ist mit dem, was recht ist. Darum hütet sich derEdle in Zeiten großer Macht, etwas zu tun, das nicht imEinklang ist mit dem, was der Ordnung entspricht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 267: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.300 I Ging, 135Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Macht in den Zehen.Fortmachen bringt Unheil.Das ist gewißlich wahr.

Die Zehen sind ganz unten und sind bereit voranzuschrei-ten. So ist große Macht an niederer Stelle geneigt, gewalt-sam den Fortschritt zu erzwingen. Das würde aber, wennman so weiter macht, sicher ins Unheil führen. Daher istals Rat eine Warnung beigefügt.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Beharrlichkeit bringt Heil.

Die vorausgesetzte Lage ist, daß die Pforten des Erfolgssich zu öffnen beginnen. Der Widerstand beginnt zu wei-chen. Man kommt machtvoll voran. Dies ist der Punkt,wo allzu leicht der Übermut einsetzt, der sich nicht zü-geln kann. Darum das Orakel, daß Beharrlichkeit – näm-lich im inneren Gleichgewicht, ohne übertriebene Macht-wirkung – Heil bringt.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Der Gemeine wirkt durch Macht, der Edle wirkt

nicht so.Fortmachen ist gefährlich.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 268: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.301 I Ging, 136Die einzelnen Linien

Ein Ziegenbock stößt gegen eine Heckeund verwickelt seine Hörner.

Das Pochen auf Macht führt zu Verwicklungen, wie einBock, der gegen eine Hecke stößt, seine Hörner verwik-kelt. Während der Gemeine, wenn er im Besitz der Machtist, darin schwelgt, macht es der Edle nicht so. Er ist sichder Gefahr des Weitermachens unter allen Umständenbewußt und verzichtet daher rechtzeitig auf bloße Macht-entfaltung.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Beharrlichkeit bringt Heil.Die Reue schwindet.Die Hecke öffnet sich, es gibt keine Verwicklung.Die Macht beruht auf der Achse eines großen

Wagens.

Wenn man beharrlich und still fortarbeitet an der Beseiti-gung der Widerstände, dann gelingt es schließlich1. DieHemmnisse weichen, und der Anlaß zur Reue, der aufeiner Übertreibung der Anwendung von Macht beruht,verschwindet.

Die Macht zeigt sich nicht äußerlich, aber sie hat dieWirkung, daß sie schwere Lasten voranbringt wie eingroßer Wagen, dessen Stärke auf seiner Achse beruht. Jeweniger man die Macht nach außen hin anwendet, destostärker wirkt sie.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 269: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.302 I Ging, 136Die einzelnen Linien

Verliert den Bock in Leichtigkeit.Keine Reue.

Der Bock zeichnet sich durch äußere Härte bei innererSchwäche aus. Nun ist die Lage so, daß alles ganz leichtist; kein Widerstand ist mehr vorhanden. Da mag mandas kampfbereite, bockige Wesen ablegen und wird esnicht zu bereuen haben.

Oben eine Sechs bedeutet:Ein Bock stößt gegen eine Hecke.Er kann nicht zurück, er kann nicht voran.Nichts ist fördernd.Merkt man die Schwierigkeit, so bringt das Heil.

Wenn man sich zu weit vorwagt, so kommt man an einentoten Punkt, wo man weder vorwärts noch rückwärtskann und alles nur dazu dient, die Sache noch verwickel-ter zu machen. Bei solchem Eigensinn kommt man in un-überwindliche Schwierigkeiten. Wenn man die Lage ein-sieht und nicht fortmachen will, sondern sich beruhigt, sowird mit der Zeit alles wieder gut werden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 270: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.303 I Ging, 136Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Das gilt auch für Kämpfe mit der eigenen unvoll-kommenen Natur. Auch hier gilt es, trotz dauernderRückfälle nicht müde zu werden, sondern fortzuma-chen, bis der Erfolg sich einstellt und der Momenteintritt, wo es heißt:

»Alles Vergängliche,In Sünden Verfängliche,Es war einmal.

Es wachsen Flügel,Es hebt sich der RiegelZum ewigen Saal.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 271: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.304 I Ging, 13735. Dsin / Der Fortschritt

35. Dsin / Der Fortschritt

oben Li, das Haftende, das Feuerunten Kun, das Empfangende, die Erde

Das Zeichen stellt die Sonne dar, die über die Erde em-porsteigt; es ist daher das Bild des raschen, leichten Fort-schritts, der gleichzeitig immer weitere Ausdehnung undKlarheit bedeutet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 272: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.305 I Ging, 137Das Urteil

Das Urteil

Der Fortschritt:Der starke Fürst wird geehrt durch Pferde in großer

Menge.An einem Tage wird er dreimal empfangen.

Als Beispiel wird eine Zeit geschildert, da ein starkerLehnsfürst die übrigen Fürsten um den Großkönig in Ge-horsam und Frieden versammelt und vom Großkönigreich beschenkt und in nächste Nähe gezogen wird.

Es liegt darin ein doppelter Gedanke. Die eigentlicheWirkung des Fortschrittes geht von einem Mann in ab-hängiger Stellung aus, den die andern als ihresgleichenansehen, weshalb sie ihm willig folgen. Dieser Führer be-sitzt innere Klarheit genug, um den großen Einfluß, dener hat, nicht zu mißbrauchen, sondern zugunsten desHerrn zu verwenden. Der Herr seinerseits ist frei vonjeder Eifersucht, beschenkt den großen Mann reichlichund zieht ihn dauernd in seine Nähe. Ein erleuchteterHerr und ein gehorchender Diener, das sind die Bedin-gungen großen Fortschritts.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 273: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.306 I Ging, 137Das Bild

Das Bild

Die Sonne steigt über die Erde empor:das Bild des Fortschritts.So macht der Edle selbst seine klaren Anlagen hell.

Das Licht der Sonne, das über die Erde aufsteigt, ist vonNatur klar, aber je höher die Sonne steigt, desto mehrkommt sie aus den trüben Dünsten heraus und strahlt inum so weiterem Umfang in ihrer ursprünglichen Rein-heit. So ist auch das wahre Wesen des Menschen ur-sprünglich gut, aber es wird getrübt durch den Zusam-menhang mit dem Irdischen und bedarf daher der Läute-rung, damit es in seiner ihm ursprünglich zukommendenKlarheit leuchten kann1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 274: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.307 I Ging, 138Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Fortschreitend, aber zurückgewiesen.Beharrlichkeit bringt Heil.Wenn man kein Vertrauen findet, so bleibe man

gelassen.Kein Fehler.

Zu einer Zeit, da alles nach Fortschritt drängt, befindetman sich noch in Ungewißheit darüber, ob man nichtbeim Fortschritt auf Zurückweisung stoßen könnte. Dagilt es, einfach im Rechten fortzumachen: das bringtschließlich Heil. Es kann sein, daß einem kein Vertrauenentgegengebracht wird. In diesem Fall erstrebe man nichtVertrauen unter allen Umständen; man muß gelassenund heiter bleiben und sich nicht zum Zorn reizen lassen.So bleibt man ohne Fehler.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Fortschreitend, aber in Trauer.Beharrlichkeit bringt Heil.Man bekommt dann großes Glück von seiner

Ahnfrau.

Der Fortschritt wird aufgehalten, man sieht sich gehin-dert, mit dem Menschen an leitender Stelle, zu dem manin Beziehung steht, in Verbindung zu kommen. Das

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 275: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.308 I Ging, 139Die einzelnen Linien

bringt Trauer. Aber in solchem Fall gilt es, beharrlich zubleiben, dann wird man von jener Persönlichkeit in müt-terlicher Milde großes Glück erfahren. Dieses Glückkommt und ist wohlverdient, weil die gegenseitige Zunei-gung nicht auf egoistisch-parteiischen Motiven beruht,sondern auf festen und korrekten Grundsätzen.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Alle sind einverstanden. Die Reue schwindet.

Man strebt voran, und zwar in Gemeinschaft mit andern,durch deren Einverständnis man gehoben wird. Dadurchverschwindet der Anlaß zum Bedauern, der darin zu fin-den wäre, daß man nicht die Selbständigkeit besitzt, sichgegen jedes feindliche Geschick allein durchzusetzen.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Fortschritt wie ein Hamster.Beharrlichkeit bringt Gefahr.

In Zeiten des Fortschritts ist es für starke Menschenleicht, wenn sie an unrichtiger Stelle sind, sich vieles zu-sammenzuscharren. Aber ein solches Gebaren ist licht-scheu. Und da Fortschrittszeiten immer auch Zeiten sind,da die Sonne alles lichtscheue Treiben an den Tag bringt,so bringt ein Beharren in solchem Tun notwendig Gefahrmit sich.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Die Reue schwindet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 276: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.309 I Ging, 139Die einzelnen Linien

Gewinn und Verlust nimm nicht zu Herzen.Unternehmungen bringen Heil.Alles ist fördernd.

Es ist hier eine Lage gezeichnet, da man in Fortschritts-zeiten sich an maßgebender Stelle befindet und milde undzurückhaltend ist. Man könnte sich darüber Vorwürfemachen, daß man nicht energisch genug die Gunst derZeit benutzt und alle möglichen Vorteile sich verschaffthat. Allein diese Reue schwindet. Man darf sich Verlustund Gewinn nicht zu Herzen nehmen. Das sind unterge-ordnete Dinge. Wichtiger ist, daß man Möglichkeiten zuerfolg- und segensreichem Wirken sich auf diese Weisegesichert hat.

Oben eine Neun bedeutet:Fortschreiten mit den Hörnern darf man nur,um sein eignes Gebiet zu strafen.Bewußtsein der Gefahr bringt Heil.Kein Makel.Beharrlichkeit bringt Beschämung.

Fortschreiten mit den Hörnern, d.h. angriffsweise vorge-hen, soll man in solchen Zeiten, um die es sich hier han-delt, nur den Fehlern der eigenen Leute gegenüber. Dabeimuß man sich bewußt bleiben, daß solch angriffsweisesVorgehen immer mit Gefahr verbunden ist. Dadurch ver-meidet man die Fehler, die sonst drohen, und was manbeabsichtigt hat, gelingt. Dagegen wird eine beharrlicheFortsetzung dieser allzu energischen Haltung, namentlich

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 277: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.310 I Ging, 139Die einzelnen Linien

Fernerstehenden gegenüber, Beschämung bringen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 278: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.311 I Ging, 139Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Hier ist das Thema, das in der »Höheren Bildung«(Da Hüo) ausführlich behandelt wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 279: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.312 I Ging, 14036. Ming I / Die Verfinsterung des Lichts

36. Ming I / Die Verfinsterung des Lichts

oben Kun, das Empfangende, die Erdeunten Li, das Haftende, das Feuer

Die Sonne ist hier unter die Erde gesunken, daher ver-dunkelt. Der Name des Zeichens bedeutet eigentlich Ver-wundung des Hellen, daher die einzelnen Linien auchvielfach von Verwundungen reden. Die Situation istgenau die entgegengesetzte wie beim vorigen Zeichen.Dort ein weiser Mann an der Spitze, der tüchtige Gehil-fen hat, mit denen er gemeinsam voranschreitet; hier einfinsterer Mann an maßgebender Stelle, durch den derTüchtige und Weise geschädigt wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 280: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.313 I Ging, 140Das Urteil

Das Urteil

Die Verfinsterung des Lichts.Fördernd ist es, in der Not beharrlich zu sein.

Man darf sich auch von ungünstigen Verhältnissen nichtwehrlos mitreißen, nicht in seiner inneren Willenshaltungbeugen lassen. Dies ist möglich, wenn man innerlich lichtist und nach außen hin nachgiebig und fügsam. Durchdiese Haltung läßt sich auch die größte Not überwinden.Man muß freilich unter Umständen sein Licht verbergen,um trotz Schwierigkeiten in der unmittelbaren Umge-bung seinen Willen durchhalten zu können. Die Beharr-lichkeit muß im innersten Bewußtsein leben und darfnach außen nicht hervortreten. Nur so kann man unterSchwierigkeiten seinen Willen wahren.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 281: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.314 I Ging, 140Das Bild

Das Bild

Das Licht ist in die Erde hineingesunken:das Bild der Verfinsterung des Lichts.So lebt der Edle mit der großen Menge:er verhüllt seinen Schein und bleibt doch hell.

In Zeiten der Finsternis gilt es vorsichtig und zurückhal-tend zu sein. Nicht durch rücksichtsloses Auftreten sollman sich nutzlos übermächtige Feindschaft zuziehen.Man soll in solchen Zeiten die Gewohnheiten der Men-schen zwar nicht mitmachen, aber sie auch nicht kritischans Licht ziehen. Im Verkehr muß man in solchen Zeitennicht alles wissen wollen. Man muß manches auf sich be-ruhen lassen, ohne sich darum betören zu lassen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 282: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.315 I Ging, 141Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Verfinsterung des Lichts im Fluge.Er senkt seine Flügel.Der Edle auf seiner Wanderschaft ißt drei Tage

nichts.Aber er hat, wohin er geht.Der Wirt hat über ihn zu reden.

In großartigem Entschluß will man sich über alle Hinder-nisse emporschwingen. Aber da trifft man auf das feindli-che Geschick. Man zieht sich zurück und weicht aus. DieZeit ist schwer. Rastlos muß man ohne bleibende Stätteweitereilen. Wenn man nicht innerliche Kompromissemachen will, sondern seinen Grundsätzen treu bleiben, sokommt man in Mangel. Aber man hat sein festes Ziel,dem man zustrebt, auch wenn die Leute, bei denen manwohnt, einen nicht verstehen und über einen lästern.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Die Verfinsterung des Lichts verletzt ihn am linken

Schenkel.Er wirkt Hilfe mit der Macht eines Pferdes. Heil.

Hier ist der Herr des Lichts an untergeordnetem Platz. Erwird verletzt vom Herrn der Finsternis. Aber die Verwun-dung ist nicht lebensgefährlich, sondern nur hinderlich.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 283: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.316 I Ging, 142Die einzelnen Linien

Rettung ist noch möglich. Der Betroffene denkt nicht ansich selbst, sondern nur an die Rettung der anderen, dieauch bedroht sind. Darum sucht er mit äußerster Kraft zuretten, was zu retten ist. In diesem pflichtmäßigen Han-deln liegt das Heil.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Die Verfinsterung des Lichts auf der Jagd im Süden.Man bekommt ihr großes Haupt.Man darf nicht zu eilig Beharrlichkeit erwarten.

Scheinbar ist ein Spiel des Zufalls am Werk. Während derStarke und Getreue bestrebt ist, in eifriger Tätigkeit Ord-nung zu schaffen, ohne alle Hintergedanken, trifft er wiezufällig den Rädelsführer der Unordnung und wird seinerhabhaft. Damit ist der Sieg erlangt. Aber man darf nichtdie Abstellung der Mißbräuche allzu hastig betreiben. Daswäre vom Übel, weil die Mißbräuche schon zu lange imSchwange waren.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Er dringt in die linke Bauchhöhle ein.Man erhält das Herz der Verfinsterung des Lichtsund verläßt Tor und Hof.

Man befindet sich in der Nähe des Hauptes der Finsternisund erfährt so seine geheimsten Gedanken. Auf dieseWeise erkennt man, daß Besserung nicht mehr zu erhof-fen ist, und wird rechtzeitig instand gesetzt, den Ort desUnheils zu verlassen, ehe es hereinbricht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 284: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.317 I Ging, 142Die einzelnen Linien

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Verfinsterung des Lichts wie beim Prinzen Gi.Fördernd ist Beharrlichkeit.

Der Prinz Gi lebte am Hof des finsteren TyrannenDschou Sin, der als historisches Beispiel ungenannt derganzen Situation zugrunde liegt. Der Prinz Gi war einVerwandter dieses Tyrannen, darum konnte er sich nichtvom Hofe zurückziehen. Er verbarg deshalb seine guteGesinnung und stellte sich wahnsinnig. So wurde er dennals Sklave gehalten, ohne daß er durch äußere Unbildenin seiner Gesinnung sich hätte irremachen lassen.

Hieraus ergibt sich die Lehre für diejenigen, die in Zei-ten der Finsternis ihren Platz nicht verlassen können. Siebedürfen bei unbesiegbarer Beharrlichkeit im Innern nachaußen hin doppelter Vorsicht, um der Gefahr zu entge-hen.

Oben eine Sechs bedeutet:Nicht Licht, sondern Dunkel.Erst stieg er zum Himmel empor,dann stürzte er in die Tiefen der Erde hinunter.

Hier ist der Höhepunkt der Finsternis erreicht. Die fin-stere Macht war erst so hoch gestellt, daß sie alle Gutenund Lichten verletzen konnte. Zum Schluß jedoch gehtsie an ihrer eigenen Finsternis zugrunde, denn das Bösemuß in dem Augenblick stürzen, da es das Gute vollkom-men überwunden und damit die Kraft aufgezehrt hat, der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 285: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.318 I Ging, 142Die einzelnen Linien

es bisher seinen Bestand verdankte.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 286: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.319 I Ging, 14337. Gia Jen / Die Sippe

37. Gia Jen / Die Sippe

oben Sun, das Sanfte, der Windunten Li, das Haftende, das Feuer

Das Zeichen stellt die Gesetze dar, die innerhalb derSippe walten. Der oberste starke Strich stellt den Vaterdar, der unterste den Sohn, der fünfte starke Strich stelltden Gatten dar, die zweite weiche Linie die Gattin. Ande-rerseits stellen die beiden starken Linien auf fünftem unddrittem Platz zwei Brüder dar, die zugehörigen schwa-chen Linien auf viertem und zweitem Platz ihre Frauen,so daß alle Beziehungen und Verhältnisse innerhalb derSippe zu ihrem wesensgemäßen Ausdruck kommen. Jedeeinzelne Linie hat die ihrem Platz entsprechende Natur.Daß auf dem sechsten Platz, wo man eine schwacheLinie erwarten könnte, dennoch ein starker Strich steht,bezeichnet aufs deutlichste die starke Herrschaft, die vomHaupt der Sippe ausgehen muß. Der Strich kommt hiernicht in seiner Eigenschaft als sechster, sondern als ober-ster in Betracht. Die Sippe zeigt die Gesetze im Innerndes Hauses wirksam, die nach außen übertragen Staatund Welt in Ordnung halten. Der Einfluß, der vom In-nern der Sippe nach außen wirkt, ist dargestellt unter demBild des Windes, der vom Feuer erzeugt wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 287: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.320 I Ging, 144Das Urteil

Das Urteil

Die Sippe. Fördernd ist die Beharrlichkeit der Frau.

Die Grundlage der Sippe sind die Beziehungen von Gatteund Gattin. Das Band, das die Sippe zusammenhält, liegtin der Treue und Beharrlichkeit der Frau. Ihr Platz ist imInnern (zweite Linie), der Platz des Mannes im Äußern(fünfte Linie). Daß Mann und Frau ihren rechten Platzeinnehmen, entspricht den großen Gesetzen der Natur. Inder Sippe bedarf es der festen Autorität: das sind die El-tern. Wenn der Vater wirklich Vater ist und der SohnSohn, wenn der ältere Bruder seinen Platz als älterer Bru-der ausfüllt und der jüngere seinen Platz als jüngerer Bru-der, wenn der Gatte wirklich Gatte ist und die Gattin Gat-tin, dann ist die Sippe in Ordnung. Ist die Sippe in Ord-nung, so kommen die ganzen Gesellschaftsbeziehungender Menschheit in Ordnung. Von den fünf gesellschaftli-chen Beziehungen liegen drei innerhalb der Sippe: diezwischen Vater und Sohn – die Liebe –, zwischen Mannund Frau – die Zucht –, zwischen älterem und jüngeremBruder – die Ordnung. Die liebevolle Ehrfurcht des Soh-nes wird dann weiterhin auf den Fürsten übertragen alsPflichttreue und die Ordnung und Zuneigung der Brüderauf den Freund als Treue und das Verhältnis zu den Vor-gesetzten als Unterordnung. Die Sippe ist die Keimzelleder Gesellschaft, der Naturboden, auf dem die Ausübungder moralischen Pflichten durch natürliche Zuneigung er-leichtert wird, so daß im engen Kreis die Grundlage ge-schaffen wird, von der sie dann auf die menschlichen Be-ziehungen im allgemeinen übertragen werden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 288: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.321 I Ging, 144Das Bild

Das Bild

Der Wind kommt aus dem Feuer hervor:das Bild der Sippe.So hat der Edle in seinen Worten die Sacheund in seinem Wandel die Dauer.

Die Hitze erzeugt Kraft; das bedeutet der Wind, der durchdas Feuer entfacht wird und aus ihm hervorgeht. Das istdie Wirkung von innen nach außen. Ganz dasselbe ist beider Regelung der Sippe notwendig. Auch hier muß dieWirkung von der eigenen Person auf andere ausgehen.Um eine solche Wirkung ausüben zu können, müssen dieWorte eine Kraft haben; das können sie nur, wenn sie aufetwas Wirklichem beruhen, wie die Flamme auf demBrennstoff. Nur wenn die Worte sachlich sind, sich aufbestimmte Verhältnisse klar beziehen, haben sie Einfluß.Allgemeine Reden und Ermahnungen sind gänzlich wir-kungslos. Ferner müssen die Worte unterstützt werdenvon dem ganzen Benehmen, wie der Wind durch seineDauer wirkt. Nur ein festes, konsequentes Handeln wirdauf andere den Eindruck machen, daß sie sich ihm anpas-sen und nach ihm richten können. Sind Wort und Beneh-men nicht im Einklang und konsequent, so bleibt dieWirkung aus.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 289: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.322 I Ging, 145Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Fester Abschluß innerhalb der Sippe. Reue

schwindet.

Die Familie muß eine festbegrenzte Einheit bilden, inner-halb deren jedes Glied seinen Platz kennt. Von Anfang anmüssen die Kinder an feste Ordnungen gewöhnt werden,noch ehe ihr Wille auf anderes gerichtet ist. Wenn manzu spät mit der Durchsetzung der Ordnung beginnt,wenn der Wille der Kinder schon verwöhnt ist, so leistendie großgewordenen Launen und Leidenschaften Wider-stand, und es gibt Anlaß zur Reue. Wenn man mit derOrdnung rechtzeitig beginnt, so kommen wohl auch An-lässe zur Reue vor. Sie sind beim Zusammenleben in grö-ßerem Kreis unvermeidbar. Aber die Reue schwindetimmer wieder. Es zieht sich alles zurecht. Denn es gibtnichts, das leichter vermeidbar und schwerer durchführ-bar wäre, als den Kindern »den Willen zu brechen«.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Sie soll nicht ihrer Laune folgen.Sie soll im Innern für Speise sorgen.Beharrlichkeit bringt Heil.

Die Frau soll sich immer nach dem Willen des Hausherrnrichten, sei es des Vaters, des Gatten oder des erwachse-nen Sohnes1. Ihre Stellung ist inmitten des Hauses. Hier

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 290: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.323 I Ging, 145Die einzelnen Linien

hat sie große und wichtige Pflichten, die sie nicht erst zusuchen braucht. Sie muß für die Nahrung der Angehöri-gen und die Opferspeisen sorgen. Dadurch wird sie zumMittelpunkt für das gesellschaftliche und religiöse Lebender Familie. Beharrlichkeit in dieser Stellung bringt demganzen Hause Heil.

Auf allgemeine Verhältnisse übertragen, wird der Raterteilt, nichts gewaltsam zu suchen, sondern auf die vor-handenen Pflichten ruhig sich zu beschränken.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Wenn es in der Sippe hitzig zugeht,so entsteht Reue über zu große Strenge.Doch Heil!Wenn Weib und Kind tändeln und lachen,so führt das schließlich zur Beschämung.

In der Familie soll die rechte Mitte zwischen Härte undLäßlichkeit herrschen. Zu große Strenge gegen das eigeneFleisch und Blut führt zu Reue. Das beste ist, festeDämme zu errichten, innerhalb derer den einzelnen volleBewegungsfreiheit gelassen wird. Doch ist im Zweifels-falle zu große Strenge trotz einzelner Mißgriffe besser,weil die Zucht der Familie erhalten bleibt, als zu großeSchwäche, die zu Schande führt.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Sie ist der Reichtum des Hauses.Großes Heil!

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 291: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.324 I Ging, 146Die einzelnen Linien

Die Hausfrau ist es, von der der Wohlstand der Familieabhängt. Wohlstand herrscht immer dann, wenn Ausga-ben und Einnahmen zueinander in gesundem Verhältnisstehen. Das führt zu großem Heil. Aufs öffentliche Lebenübertragen, ist hier der treue Haushalter gemeint, der dasallgemeine Wohl durch seine Maßregeln fördert.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Ein König naht er seiner Sippe, fürchtet euch nicht.Heil!

Ein König ist das Bild eines väterlichen, innerlich reichenMannes. Er handelt nicht so, daß man sich vor ihm fürch-ten muß, sondern die ganze Familie kann Vertrauenhaben, weil die Liebe herrscht im Verkehr2. Sein Wesenübt ganz von selbst den rechten Einfluß aus.

Oben eine Neun bedeutet:Seine Arbeit ist ehrfurchtgebietend.Schließlich kommt Heil.

Die Ordnung der Familie beruht letzten Endes auf derPerson des Hausherrn. Wenn er seine Person so ausbil-det, daß sie in der Kraft innerer Wahrheit imponierendwirkt, dann geht in der Familie alles gut. Man muß dieVerantwortung in leitender Stellung selbst auf sich neh-men.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 292: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.325 I Ging, 146Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Vgl.: »Dienen lerne beizeiten das Weib nach seinerBestimmung.«

2 Vgl.: »Furcht ist nicht in der Liebe.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 293: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.326 I Ging, 14638. Kui / Der Gegensatz

38. Kui / Der Gegensatz

oben Li, das Haftende, die Flammeunten Dui, das Heitere, der See

Das Zeichen besteht aus dem oberen Urzeichen Li, dieFlamme, die nach oben flammt, und dem Urzeichen Dui,der See, unten, der nach unten sickert. Diese Bewegun-gen stehen zueinander im Gegensatz. Ferner ist Li diezweite und Dui die jüngste Tochter. Obwohl sie im sel-ben Hause wohnen, gehören sie doch verschiedenenMännern an, und ihr Wille ist daher nicht gemeinsam,sondern auf Gegensätzliches gerichtet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 294: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.327 I Ging, 147Das Urteil

Das Urteil

Der Gegensatz. In kleinen Sachen Heil.

Wenn die Menschen in Gegensatz und Entfremdungleben, so läßt sich ein großes gemeinsames Werk nichtausführen. Die Gesinnungen gehen zu weit auseinander.Vor allem darf man nicht schroff vorgehen, wodurch derGegensatz nur noch verschärft würde, sondern muß sichauf allmähliche Wirkungen im kleinen beschränken. Hierist noch Heil zu erwarten, da die Lage so ist, daß der Ge-gensatz nicht jede Verständigung ausschließt.

Der Gegensatz, der im allgemeinen als Hemmung er-scheint, hat als polarer Gegensatz innerhalb eines umfas-senden Ganzen auch seine guten und wichtigen Funktio-nen.

Die Gegensätze zwischen Himmel und Erde, Geist undNatur, Mann und Weib bewirken durch ihren Ausgleichdie Schöpfung und Fortpflanzung des Lebens. In dersichtbaren Welt der Dinge ermöglicht der Gegensatz eineSonderung in Arten, durch die Ordnung in die Weltkommt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 295: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.328 I Ging, 147Das Bild

Das Bild

Oben das Feuer, unten der See:das Bild des Gegensatzes.So behält der Edle bei aller Gemeinschaft seine

Besonderheit.

Wie die beiden Elemente Feuer und Wasser, auch wennsie beisammen sind, sich nie vermischen, sondern ihre ei-gene Natur behalten, so wird der gebildete Mensch auchdurch Verkehr und gemeinsame Interessen mit anders ge-arteten Menschen sich nie dahin bringen lassen, daß ersich gemein macht, sondern er wird bei aller Gemeinsam-keit doch immer seine Eigenart wahren.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 296: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.329 I Ging, 148Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Die Reue schwindet.Wenn du dein Pferd verlierst, so lauf ihm nicht nach.Es kommt von selber wieder.Wenn du böse Menschen siehst, so hüte dich vor

Fehlern.

Auch in Zeiten des Gegensatzes kann man so handeln,daß man frei von Fehlern bleibt, so daß die Reue schwin-det. Man darf bei beginnendem Gegensatz die Einheitnicht erzwingen wollen; dadurch würde man nur das Ge-genteil erreichen, wie ein Pferd sich immer weiter ent-fernt, wenn man ihm nachläuft. Ist es unser Pferd, sokann man es ruhig laufen lassen: es kommt von selberwieder. So kommt auch ein Mensch, der zu uns gehörtund infolge eines Mißverständnisses sich augenblicklichvon uns entfernt, von selber wieder, wenn man ihn ma-chen läßt. Auf der anderen Seite gilt es vorsichtig sein,wenn böse Menschen, die nicht zu uns gehören, sich her-beidrängen – auch infolge eines Mißverständnisses. Hiergilt es, Fehler zu vermeiden: sie nicht gewaltsam entfer-nen wollen, wodurch erst recht Feindschaft entstünde,sondern sie einfach dulden. Sie ziehen sich schon vonselbst zurück.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Man begegnet seinem Herrn in enger Gasse.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 297: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.330 I Ging, 148Die einzelnen Linien

Kein Makel.

Infolge der Mißverständnisse ist es nicht möglich, daßMenschen, die ihrer Art nach zusammengehören, aufganz korrekte Weise zusammenkommen. Da mag dennein zufälliges Zusammentreffen unter unformellen Um-ständen auch hingehen, wenn nur die innere Zusammen-gehörigkeit vorhanden ist.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Man sieht den Wagen nach hinten gezerrt,die Rinder festgehalten,dem Menschen Haare und Nase abgeschnitten.Kein guter Anfang, aber ein gutes Ende.

Manchmal sieht es so aus, als ob sich alles gegen einenverschworen habe; man sieht sich im Fortschritt ge-hemmt und zurückgehalten, man sieht sich beschimpftund verletzt (Abschneiden von Haaren und Nase wareine schwere, entehrende Strafe). Aber man darf sichdann nicht irremachen lassen, sondern muß trotz dieserGegensätze festhalten an dem Menschen, mit dem mansich zusammengehörig weiß. So wird trotz des schlechtenAnfangs das Ende schließlich gut werden.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Durch Gegensatz vereinsamt,trifft man auf einen Gleichgesinnten,mit dem man in Treuen verkehren kann.Trotz der Gefahr kein Makel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 298: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.331 I Ging, 149Die einzelnen Linien

Wenn man in einer Gesellschaft ist, von der man durcheinen inneren Gegensatz getrennt ist, so kommt man inVereinsamung. Aber wenn man in solcher Lage einenMenschen trifft, der ursprünglich seinem ganzen Wesennach zu einem gehört, dem man sein volles Vertrauenschenken kann, dann überwindet man alle Gefahren derVereinsamung. Unser Wille hat Erfolg, und man wirdfrei von Fehlern.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Die Reue schwindet.Der Gefährte beißt sich durch die Hülle.Wenn man hingeht zu ihm, wie wäre das ein

Fehler?

Man findet einen treuen Menschen, den man in der allge-meinen Entfremdung zuerst verkennt. Aber er beißt sichdurch die trennenden Hüllen durch. Da ist es nun fürden, dem dieser Gefährte sich in seinem wahren Wesenzeigt, Pflicht, ihm entgegenzugehen und mit ihm zusam-menzuarbeiten.

Oben eine Neun bedeutet:Durch Gegensatz vereinsamt, sieht man seinen

Gefährtenwie ein schmutzbeladenes Schwein,wie einen Wagen voll Teufel.Erst spannt man den Bogen nach ihm,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 299: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.332 I Ging, 149Die einzelnen Linien

dann legt man den Bogen weg.Nicht Räuber er ist, will freien zur Frist.Beim Hingehen fällt Regen, dann kommt Heil.

Hier ist die Vereinsamung durch Mißverständnisse, nichtdurch die äußeren Verhältnisse, sondern durch innere Zu-stände bedingt. Man verkennt seine besten Freunde, hältsie für unrein wie ein schmutziges Schwein und für ge-fährlich wie einen Wagen voll Teufel. Man setzt sich inVerteidigungsstellung. Aber schließlich erkennt man sei-nen Irrtum, legt den Bogen weg und merkt, daß der ande-re in bester Absicht zu enger Verbindung kommt. So löstsich die Spannung. Die Vereinigung löst den Gegensatz,wie der fallende Regen die Schwüle vor dem Gewitter ab-löst. Alles geht gut, denn der Gegensatz schlägt geradeauf seiner Höhe in sein Gegenteil um.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 300: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.333 I Ging, 15039. Giën / Das Hemmnis

39. Giën / Das Hemmnis

oben Kan, das Abgründige, das Wasserunten Gen, das Stillehalten, der Berg

Das Zeichen stellt einen gefährlichen Abgrund dar, dervor einem liegt; hinter sich hat man den steilen, unzu-gänglichen Berg. So ist man von Hemmnissen umgeben.Aber in der Eigenschaft des Berges, stillezuhalten, liegtauch gleichzeitig ein Fingerzeig, wie man aus denHemmnissen herauskommen kann. Das Zeichen stelltHemmnisse dar, die im Lauf der Zeit sich einstellen, dieaber überwunden werden können und sollen. Daher istdie ganze Auskunft darauf gerichtet, die Hemmnisse zuüberwinden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 301: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.334 I Ging, 150Das Urteil

Das Urteil

Das Hemmnis. Fördernd ist der Südwesten.Nicht fördernd ist der Nordosten.Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.Beharrlichkeit ist von Heil.

Südwesten ist die Gegend des Rückzugs, Nordosten dieGegend des Vordringens. Es handelt sich um eine Lage,da sich Hemmnisse einem gegenüberstellen, die nicht di-rekt überwunden werden können. In diesem Fall ist esWeisheit, angesichts der Gefahr stehenzubleiben und sichzurückzuziehen. Dieser Rückzug ist jedoch nur die Vor-bereitung zur Überwindung der Hemmnisse. Es gilt, sichmit gleichgesinnten Freunden zusammenzutun und sichder Leitung eines Mannes zu unterstellen, der der Lagegewachsen ist; dann wird es gelingen, die Hemmnisse zubeseitigen. Dazu bedarf es der Gesinnung der Beharrlich-keit gerade dann, wenn man scheinbar etwas tun muß,das vom Ziel abführt. Diese unbeirrbare Richtung des In-nern bringt schließlich Heil. Das Hemmnis, das nur eineZeitlang dauert, ist von Wert für die Bildung der eigenenPersönlichkeit. Das ist der Wert der Not.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 302: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.335 I Ging, 151Das Bild

Das Bild

Auf dem Berg ist das Wasser: das Bild desHemmnisses.

So wendet sich der Edle seiner eigenen Person zuund bildet seinen Charakter.

Schwierigkeiten und Hemmnisse werfen den Menschenauf sich selbst zurück. Während aber der Gemeine dieSchuld draußen bei andern Menschen sucht und dasSchicksal anklagt, sucht der Edle den Fehler in sichselbst, und durch dieses Insichgehen wird die äußereHemmung für ihn ein Anlaß innerer Bereicherung undBildung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 303: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.336 I Ging, 151Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Gehen führt in Hemmnis, Kommen findet Lob.

Wenn man sich einem Hemmnis gegenüber sieht, so han-delt es sich darum, zu überlegen, wie man damit am be-sten fertig wird. Wenn eine Gefahr uns droht, dürfen wirnicht blindlings nach vorwärts streben, das führte nur inVerwicklungen. Sondern es ist richtig, sich zunächst zu-rückzuziehen, nicht um den Kampf aufzugeben, sondernum den richtigen Augenblick für das Handeln abzuwar-ten.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Des Königs Diener ist in Hemmnis über Hemmnis.Aber es ist nicht seine eigene Schuld.

Während man normalerweise das Hemmnis am bestenumgeht und auf der Linie des geringsten Widerstands zuüberwinden sucht, gibt es doch einen Fall, da man derSchwierigkeit entgegengehen muß, auch wenn sichSchwierigkeit auf Schwierigkeit türmt: wenn nämlich derWeg der Pflicht dahin führt, daß man nicht aus freier Ent-schließung handeln kann, sondern die Pflicht hat, imDienste einer höheren Sache die Gefahr aufzusuchen.Dann mag man es tun und dabei innerlich vollkommenberuhigt sein, weil man nicht durch eigene Schuld sich indiese schwierige Situation begeben hat.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 304: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.337 I Ging, 152Die einzelnen Linien

Neun auf drittem Platz bedeutet:Gehen führt in Hemmnisse; da kommt er zurück.

Während die vorige Linie den Beamten zeigt, der um derPflicht willen den Weg der Gefahr gehen muß, ist hierder Mann gezeigt, der als Familienvater oder Haupt derSeinen zu handeln hat. Wollte er sich leichtsinnig in Ge-fahr stürzen, so würde es doch nutzlos sein, weil die sei-ner Hut Anvertrauten allein nicht weiterkommen. Ziehter sich dagegen zurück und wendet sich den Seinen wie-der zu, so begrüßen ihn diese mit großer Freude.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Gehen führt in Hemmnisse,Kommen führt zur Vereinigung.

Auch hier ist eine Lage gezeichnet, der man allein nichtgewachsen ist. In solchem Fall ist der gerade Weg nichtder kürzeste. Wollte man aus eigner Kraft vorwärtsstre-ben, ohne die nötigen Vorbereitungen, so fände mannicht den nötigen Beistand und würde zu spät erkennen,daß die Berechnungen täuschen, indem die Umstände,mit denen man rechnen zu können hoffte, sich als zuschwach erweisen. Darum ist es in diesem Fall richtiger,zunächst sich zurückzuhalten und zuverlässige Gefährtenum sich zu sammeln, auf die man sich stützen kann, umdie Hemmnisse zu überwinden.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 305: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.338 I Ging, 152Die einzelnen Linien

Inmitten der größten Hemmnisse kommen Freunde.

Hier sehen wir den Mann, der berufen ist, der Not zusteuern. Er darf den Hemmnissen nicht ausweichen wol-len, auch wenn sie sich noch so gefährlich vor ihm auf-türmen. Aber da er wirklich einen höheren Beruf hat, soist die Macht seines Geistes stark genug, die Menschenan sich zu ziehen, daß sie kommen und ihm helfen, under ist imstande, sie wirklich zu organisieren, damit durchdie planvoll verteilte Zusammenarbeit aller Beteiligtendas Hemmnis überwunden wird.

Oben eine Sechs bedeutet:Gehen führt in Hemmnisse, Kommen führt zu großemHeil.Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.

Es ist hier jemand gezeichnet, der die Welt und ihr Ge-triebe schon hinter sich hat. Wenn nun die Zeit derHemmnisse für die Welt kommt, so könnte es scheinen,als wäre es das einfachste für ihn, einfach die Welt hintersich zu lassen und sich hinaus ins Jenseits zu flüchten.Aber dieser Weg ist ihm versperrt. Er darf nicht alleinselig werden und die Welt ihrer Not überlassen. Sondernseine Pflicht ruft ihn noch einmal zurück ins Weltgetrie-be. Gerade seine Erfahrung und innere Freiheit ermögli-chen ihm dann, etwas Großes und Reifes zu schaffen, dasHeil bringt. Und es ist fördernd, den großen Mann zusehen, mit dem zusammen man das Werk der Rettungvollbringen kann.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 306: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.339 I Ging, 15340. Hië / Die Befreiung

40. Hië / Die Befreiung

oben Dschen, das Erregende, der Donnerunten Kan, das Abgründige, das Wasser

Die Bewegung geht hier aus der Gefahr heraus. DasHemmnis ist beseitigt, die Schwierigkeiten sind in der Lö-sung begriffen. Die Befreiung ist noch nicht vorüber,sondern setzt eben erst ein, und ihre verschiedenen Stadi-en kommen in dem Zeichen zur Darstellung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 307: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.340 I Ging, 153Das Urteil

Das Urteil

Die Befreiung. Fördernd ist der Südwesten.Wenn nichts mehr da ist, wohin man zu gehen

hätte,ist das Wiederkommen von Heil.Wenn es noch etwas gibt, wohin man gehen muß,dann ist Raschheit von Heil.

Es handelt sich um eine Zeit, da Spannungen und Ver-wicklungen sich zu lösen beginnen. In solchen Zeiten giltes, sobald wie möglich zu den gewöhnlichen Verhältnis-sen sich zurückzuziehen – dies die Bedeutung des Süd-westens. Solche Zeiten des Umschlags sind sehr wichtig.Ähnlich wie ein befreiender Regen die Spannung der At-mosphäre löst und alle Knospen zum Springen bringt,wirkt eine Zeit der Befreiung von drückender Last erlö-send und anregend auf das Leben. Aber eins ist wichtig:Man darf in solchen Zeiten den Triumph nicht übertrei-ben wollen. Es gilt, nicht weiter vorzudringen, als nötigist. Sowie die Befreiung erreicht ist, zurückzukehren zurOrdnung des Lebens, das ist von Heil. Wenn noch Resteaufzuarbeiten bleiben, so gilt es, das so schnell wie mög-lich zu tun, damit reiner Tisch gemacht wird und keineVerzögerungen eintreten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 308: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.341 I Ging, 154Das Bild

Das Bild

Donner und Regen erheben sich:das Bild der Befreiung.So verzeiht der Edle Fehler und vergibt die Schuld.

Das Gewitter hat luftreinigende Wirkung. So macht esder Edle auch mit den Fehlern und Sünden der Men-schen, die Spannungszustände hervorrufen. Durch Klar-heit schafft er Befreiung. Aber wenn die Verfehlungenam Tage sind, dann bleibt er nicht dabei, sondern gehtüber die Fehler, die unabsichtlichen Übertretungen, ein-fach weg, wie der Donner verklingt, und vergibt dieSchuld, die absichtlichen Übertretungen, wie das Wasseralles vom Schmutz reinigt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 309: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.342 I Ging, 154Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Ohne Makel.

Es werden nicht viele Worte gemacht, entsprechend derSituation. Die Hemmung ist vorüber, die Befreiung ist da.Man erholt sich in Ruhe und hält sich still. Das ist in Zei-ten nach überstandenen Schwierigkeiten ganz das richti-ge.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Auf dem Feld erlegt man drei Füchseund bekommt einen gelben Pfeil.Beharrlichkeit ist von Heil.

Das Bild ist von der Jagd genommen. Der Jäger fängtdrei listige Füchse und erhält zur Belohnung einen gelbenPfeil. Die Hemmnisse des öffentlichen Lebens sind diefalschen Füchse, die als Schmeichler den Herrscher zubeeinflussen suchen. Sie müssen beseitigt werden, eheBefreiung eintreten kann. Aber der Kampf darf nicht mitfalschen Waffen geführt werden. Die gelbe Farbe deutetauf Maß und Mitte beim Vorgehen gegen die Feinde, derPfeil auf die gerade Richtung. Wenn man sich der Aufga-be der Befreiung mit ganzem Herzen widmet, bekommtman eine solche Kraft der inneren Geradheit, daß sie alsWaffe wirkt gegen alles Falsche und Gemeine.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 310: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.343 I Ging, 155Die einzelnen Linien

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Wenn einer eine Last auf dem Rücken trägtund trotzdem auf dem Wagen fährt,veranlaßt er dadurch die Räuber, herbeizukommen.Beharrlichkeit führt zu Beschämung.

Ein Mensch ist aus ärmlichen Verhältnissen heraus ineine bequeme Lage gekommen, da er von Not befreit ist.Wenn er nun nach Art eines Emporkömmlings es sichbequem machen will, ohne doch in seinem Wesen zu denbequemen Verhältnissen zu passen, so zieht er dadurchRäuber an, und wenn er so fort macht, gerät er bestimmtin Schande.

Kungtse sagt darüber: »Eine Last auf dem Rücken zutragen, ist das Geschäft eines gemeinen Menschen. EinWagen ist das Gerät eines vornehmen Mannes. Wennnun ein Gemeiner das Gerät eines vornehmen Mannesbenutzt, so denken die Räuber darauf, es ihm wegzuneh-men. Wenn einer frech nach oben und hart nach untenist, so denken die Räuber daran, ihn anzugreifen. LässigeAufbewahrung verführt die Räuber zum Stehlen. Üppi-ger Schmuck eines Mädchens verlockt zum Raub ihrerTugend.«

Neun auf viertem Platz bedeutet:Befreie dich von deiner großen Zehe.Dann kommt der Gefährte herbei,und dem kannst du trauen.

Zu Zeiten des Stillstandes kommt es vor, daß gemeine

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 311: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.344 I Ging, 155Die einzelnen Linien

Menschen sich einem höheren Menschen anschließenund durch tägliche Gewohnheit mit ihm zusammenwach-sen und unentbehrlich werden, wie die große Zehe demFuß, dem sie das Gehen erleichtert. Aber wenn die Zeitder Befreiung naht mit ihrer Berufung zur Tat, dann mußman sich frei machen von solchen Zufallsbekanntschaf-ten, mit denen man doch nicht innerlich zusammenge-hört. Denn sonst bleiben die gleichgesinnten Freunde,denen man wirklich trauen kann und mit denen gemein-sam sich etwas leisten läßt, voll Mißtrauen weg.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Wenn der Edle sich nur befreien kann, das bringt

Heil.Er zeigt so den Gemeinen, daß es ihm ernst ist.

Befreiungszeiten bedürfen des inneren Entschlusses. DieGemeinen sind nicht zu entfernen durch Verbote und äu-ßere Mittel. Will man sie loswerden, so muß man sich in-nerlich erst vollkommen von ihnen losmachen, dann mer-ken sie von selber, daß es einem ernst ist, und ziehen sichzurück.

Oben eine Sechs bedeutet:Der Fürst schießt nach einem Habicht auf hoher

Mauer.Er erlegt ihn. Alles ist fördernd.

Der Habicht auf hoher Mauer ist das Bild eines machtvol-len Gemeinen an hoher Stelle, der die Befreiung hindert.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 312: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.345 I Ging, 156Die einzelnen Linien

Er widersteht der Einwirkung durch innere Einflüsse, daer in seiner Bosheit verhärtet ist. Er muß gewaltsam be-seitigt werden; dazu bedarf es der entsprechenden Mittel.

Kungtse sagt darüber: »Der Habicht ist der Zweck derJagd. Pfeil und Bogen sind die Werkzeuge und Mittel.Der Schütze ist der Mensch, der die Mittel zum Zweckrichtig gebrauchen muß. Der Edle birgt die Mittel in sei-ner Person. Er wartet die Zeit ab, und dann handelt er.Wie sollte da nicht alles gut gehen? Er handelt und istfrei. Darum braucht er nur auszugehen und erlegt dieBeute. So steht es mit einem Menschen, der handelt,nachdem er die Mittel fertiggestellt hat.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 313: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.346 I Ging, 15641. Sun / Die Minderung

41. Sun / Die Minderung

oben Gen, das Stillehalten, der Bergunten Dui, das Heitere, der See

Das Zeichen stellt eine Minderung des unteren Zeichenszugunsten des oberen dar, indem der dritte, ursprünglichstarke Strich nach oben gegangen ist und der ursprüng-lich schwache obere Strich an seine Stelle getreten ist.Das Untere wird also auf Kosten des Oberen vermindert.Das aber ist Verminderung schlechthin. Wenn man dasFundament eines Bauwerks vermindert und seine oberenMauern verstärkt, so verliert das Ganze an Festigkeit.Ebenso ist eine Minderung des Volkswohlstands zugun-sten der Regierung eine Verminderung schlechthin. Unddie ganze Tendenz des Zeichens geht dahin, darauf hin-zuweisen, wie diese Wohlstandsverschiebung vor sichgehen kann, ohne daß die Quellen des Wohlstands imVolk und seinen unteren Ständen dadurch versiegen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 314: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.347 I Ging, 157Das Urteil

Das Urteil

Minderung verbunden mit Wahrhaftigkeitwirkt erhabenes Heil ohne Makel.Man kann darin beharrlich sein.Fördernd ist es, etwas zu unternehmen.Wie übt man das aus?Zwei kleine Schüsselchen mag man benützen zum

Opfer.

Minderung bedeutet nicht unter allen Umständen etwasSchlechtes. Mehrung und Minderung kommen zu ihrerZeit. Da gilt es, sich in die Zeit zu finden und die Armutnicht durch leeren Schein verdecken zu wollen. Wenndurch eine Zeit der geringen Dinge eine innere Wahrheitzum Ausdruck kommt, so darf man sich der Einfachheitnicht schämen. Sie ist dann gerade das richtige, das inne-re Kraft verleiht, durch die man dann wieder etwas unter-nehmen kann. Man darf selbst kein Bedenken tragen,wenn die äußere Schönheit der Kultur, ja selbst die Aus-gestaltung religiöser Beziehungen unter der Einfachheitzu leiden hätte. Man muß von der Stärke der inneren Ge-sinnung etwas nehmen und es der Dürftigkeit der äuße-ren Erscheinung als Ersatz zulegen. Dann hilft die Kraftdes Gehalts über die Schlichtheit der Form hinweg. VorGott bedarf es nicht des falschen Scheins. Auch mit ge-ringen Mitteln läßt sich die Gesinnung des Herzens zumAusdruck bringen1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 315: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.348 I Ging, 157Das Bild

Das Bild

Unten am Berg ist der See: das Bild der Minderung.So bändigt der Edle seinen Zorn und hemmt seine

Triebe.

Der See unten am Berg verdunstet. Dadurch wird er ge-mindert zu Gunsten des Bergs, der durch seine Feuchtig-keit bereichert wird. Der Berg ist das Bild eigensinnigerStärke, die sich zum Zorn verdichten kann; der See istdas Bild der unkontrollierten Lustigkeit, die sich zu lei-denschaftlichen Trieben entwickeln kann, wenn sie aufKosten der Lebenskräfte sich entwickelt. Da gilt es zumindern: Der Zorn muß durch Stillehalten gemindertwerden, die Triebe müssen durch Einschränkung ge-hemmt werden. Durch diese Minderung der niederenSeelenkräfte werden die höheren Seiten der Seele berei-chert.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 316: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.349 I Ging, 158Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Wenn die Geschäfte fertig sind, rasch hingehen,ist kein Makel.Doch muß man überlegen,wie weit man andere mindern darf.

Es ist selbstlos und gut, wenn man nach Erledigung derunmittelbar wichtigen eigenen Aufgaben seine Kraft inden Dienst der anderen stellt und, ohne viel daraus zumachen oder zu prahlen, rasch hilft, wo zu helfen ist.Aber der Mann an höherer Stelle, dem so geholfen wird,muß wohl überlegen, wieviel er annehmen darf, ohne denhilfreichen Diener oder Freund im wesentlichen zu schä-digen. Nur wo solches Zartgefühl vorhanden ist, kannman sich ohne Bedenken unbedingt geben.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Fördernd ist Beharrlichkeit.Etwas zu unternehmen, ist von Unheil.Ohne sich selbst zu mindern,vermag man die andern zu mehren.

Ein edles Selbstbewußtsein und konsequenter Ernst, dersich nichts vergibt, ist die Gesinnung, die notwendig ist,wenn man andern dienen will. Wer sich wegwirft, umeinem Höheren zu Willen zu sein, der mindert zwar seine

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 317: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.350 I Ging, 158Die einzelnen Linien

eigene Stellung, ohne aber dem andern dauernd zu nüt-zen. Das aber ist vom Übel. Ohne sich selbst aufzugeben,dem andern zu dienen, das erst ist der wahre Dienst vondauerndem Wert.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Wenn drei Menschen miteinander wandern,so vermindern sie sich um einen Menschen.Wenn ein Mensch wandert,so findet er seinen Gefährten.

Wo drei zusammen sind, da gibt es Eifersucht. Da mußeiner weichen. Engste Verbindung ist nur zu zweienmöglich. Wo aber einer einsam ist, da findet er sicher sei-nen Gefährten, der ihn ergänzt.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Wenn man seine Mängel mindert,macht man, daß der andre eilig kommt und Freude

hat.Kein Makel.

Oft hindern unsere Fehler selbst wohlgesinnte Menschen,uns näherzutreten. Diese Fehler werden oft verstärkt undschlimmer gemacht durch die Umgebung, in der wir unsbefinden. Wenn man es über sich bringen kann, sich her-abzugeben und sie abzulegen, so befreit man die wohlge-sinnten Freunde von einem inneren Druck und bewirkt,daß sie sich nur um so schneller nahen zu beiderseitigerFreude.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 318: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.351 I Ging, 159Die einzelnen Linien

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Es mehrt ihn wohl jemand.Zehn Paar Schildkröten können dem nicht

widerstreben.Erhabenes Heil!

Wenn jemand vom Schicksal zum Glück bestimmt ist, sokommt es unweigerlich. Alle Orakel, wie sie z.B. durchSchildkrötenschalen gewonnen werden, müssen in gün-stigen Zeichen zu seinen Gunsten übereinstimmen. Erbraucht sich vor nichts zu fürchten, denn sein Glück isthöhere Fügung.

Oben eine Neun bedeutet:Wenn man ohne Minderung der anderen gemehrt

wird,so ist das kein Makel. Beharrlichkeit bringt Heil.Fördernd ist es, etwas zu unternehmen.Man bekommt Diener,aber hat kein besonderes Heim mehr.

Es gibt Menschen, die Segen spenden für die ganze Welt.Jeder Kraftzuwachs, jede Mehrung, die ihnen zuteil wird,kommt allen Menschen zugute und bedeutet daher keineMinderung für die andern. Durch beharrliche und eifrigeArbeit hat man Erfolg und findet Gehilfen, wie man siebraucht. Aber was man wirkt, ist nicht ein irgendwie be-grenzter Privatvorteil, sondern es ist offen und für jeder-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 319: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.352 I Ging, 159Die einzelnen Linien

mann zugänglich.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 320: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.353 I Ging, 159Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Vgl. das Scherflein der Witwe im Lukasevange-lium.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 321: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.354 I Ging, 15942. I / Die Mehrung

42. I / Die Mehrung

oben Sun, das Sanfte, der Windunten Dschen, das Erregende, der Donner

Der Gedanke der Mehrung drückt sich dadurch aus, daßder unterste starke Strich des oberen Halbzeichens sichheruntergesenkt und unter das untere Halbzeichen ge-stellt hat. Der Grundgedanke des Buchs der Wandlungenkommt auch in dieser Auffassung zum Ausdruck. Wah-res Herrschen muß Dienen sein. Ein Opfer des Höheren,das eine Mehrung des Niederen bewirkt, wird Mehrungschlechthin genannt, um dadurch den Geist anzudeuten,der allein imstande ist, der Welt zu helfen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 322: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.355 I Ging, 160Das Urteil

Das Urteil

Die Mehrung. Fördernd ist es, etwas zu unternehmen.Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.

Durch das Opfer, das von oben her zur Mehrung des Un-teren gebracht wird, entsteht im Volk eine Stimmung derFreude und Dankbarkeit, die für die Blüte des Gemein-wesens überaus wertvoll ist. Wenn die Menschen soihren Führern zugetan sind, dann läßt sich etwas unter-nehmen, und auch schwierige, gefahrvolle Dinge werdengelingen. Darum gilt es in solchen aufsteigenden Zeiten,deren Entwicklung von Erfolg begleitet ist, zu arbeitenund die Zeit auszunutzen. Diese Zeit ist wie die Zeit,wenn Himmel und Erde sich vermählen, wenn die Erdeder schöpferischen Kraft des Himmels teilhaftig wird undnun die Lebewesen gestaltet und verwirklicht. Die Zeitder Mehrung dauert nicht, darum muß sie benützt wer-den, solange sie da ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 323: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.356 I Ging, 160Das Bild

Das Bild

Wind und Donner: das Bild der Mehrung.So der Edle: Sieht er Gutes, so ahmt er es nach,hat er Fehler, so legt er sie ab.

Indem man beobachtet, wie Donner und Wind sich ge-genseitig mehren und verstärken, lernt man den Weg zuseiner eignen Selbstmehrung und Besserung. Wenn manan anderen etwas Gutes entdeckt, soll man es nachahmenund so alles Gute auf Erden sich zu eigen machen. Siehtman an sich selbst etwas Schlechtes, so lege man es ab.Dadurch wird man frei vom Bösen. Diese ethische Ver-änderung ist die wichtigste Mehrung der Persönlichkeit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 324: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.357 I Ging, 161Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Fördernd ist es, große Taten zu vollbringen.Erhabenes Heil! Kein Makel.

Wenn man von oben her eine große Förderung erfährt,muß man den Kraftzuwachs, den man so erhält, dazu be-nützen, etwas Großes zu leisten, zu dem man sonst viel-leicht weder Kraft noch Verantwortungsfreudigkeit ge-funden hätte. Dadurch, daß man frei von Selbstsucht ist,wird großes Heil bewirkt, und indem man großes Heil zu-stande bringt, bleibt man frei von Vorwürfen.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Es mehrt ihn wohl jemand.Zehn Paar Schildkröten können dem nicht

widerstreben.Dauernde Beharrlichkeit bringt Heil.Der König stellt ihn dar vor Gott. Heil!

Die wirkliche Mehrung kommt dadurch, daß man in sichdie Bedingungen dafür schafft: Aufnahmebereitschaftund Liebe zum Guten. Dadurch kommt das Erstrebte vonselber mit naturgesetzlicher Notwendigkeit. Wo die Meh-rung so in Einklang steht mit den höchsten Weltgesetzen,kann sie durch keine Konstellation von Zufällen verhin-dert werden. Nur kommt alles darauf an, daß man sichdurch unerwartetes Glück nicht leichtsinnig machen läßt,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 325: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.358 I Ging, 161Die einzelnen Linien

sondern durch innere Stärke und Beständigkeit es sich zueigen macht. Dann bekommt man Bedeutung vor Gottund Menschen und kann etwas ausrichten zum bestender Welt.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Man wird gemehrt durch unheilvolle Ereignisse.Kein Makel, wenn du wahrhaftig bistund in der Mitte wandelstund dem Fürsten berichtest mit einem Siegel.

Eine Zeit des Segens und der Bereicherung ist in ihrerWirkung so stark, daß selbst sonst unheilvolle Ereignissedenen zum besten dienen müssen, die davon betroffensind. Sie werden frei von Fehlern und gewinnen dadurch,daß sie der Wahrheit entsprechend handeln, eine solcheinnere Autorität, daß sie Einfluß ausüben, als seien siedurch Brief und Siegel bestätigt.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Wenn du in der Mitte wandelstund dem Fürsten berichtest,so wird er folgen.Fördernd ist es, benützt zu werdenbei der Verlegung der Hauptstadt.

Es ist von Wichtigkeit, daß es Menschen gibt, die zwi-schen Führern und Geführten vermitteln. Das müssenselbstlose Persönlichkeiten sein, namentlich in Zeiten der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 326: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.359 I Ging, 162Die einzelnen Linien

Mehrung, da vom Führer Nutzen ausgehen soll für dasVolk. Von dem Segen darf nichts in selbstsüchtigerWeise zurückgehalten werden, sondern er muß wirklichdenen zugute kommen, für die er bestimmt ist. Eine sol-che Vermittlerpersönlichkeit, die auch auf den Führereinen guten Einfluß ausübt, ist besonders wichtig in Zei-ten, da es sich um große, für die Zukunft entscheidendeUnternehmungen handelt, die der inneren Zustimmungaller Beteiligten bedürfen.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Wenn du wahrhaftig ein gütiges Herz hast,so frage nicht. Erhabenes Heil!Wahrhaftig wird Güte als deine Tugend anerkannt

werden.

Wirkliche Güte rechnet und fragt nicht nach Würdigkeitund Dank, sondern sie wirkt sich aus nach innerer Not-wendigkeit. Ein solch wahrhaft gütiges Herz findet sichauch belohnt, indem es anerkannt wird, und so wird dersegensvolle Einfluß sich ungehemmt ausdehnen.

Oben eine Neun bedeutet:Er gereicht niemand zur Mehrung.Es schlägt ihn wohl gar jemand.Er hält sein Herz nicht dauernd fest. Unheil!

Der Sinn der Lage ist, daß die Oberen durch Verzicht dieUnteren mehren sollen. Indem man diese Pflicht ver-säumt und niemand nützt, entzieht man sich auch dem

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 327: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.360 I Ging, 162Die einzelnen Linien

fördernden Einfluß der andern und sieht sich bald verein-samt. Dadurch zieht man sich Angriffe zu. Eine Gesin-nung, die nicht dauernd im Einklang ist mit den Forde-rungen der Zeit, wird notwendig Unheil mit sich bringen.Konfuzius sagt über diese Linie: »Der Edle bringt seinePerson in Ruhe, ehe er sich bewegt; er faßt sich in seinemSinn, ehe er redet; er festigt seine Beziehungen, ehe erum etwas bittet. Indem der Edle diese drei Stücke in Ord-nung bringt, ist er in völliger Sicherheit. Wenn man aberunvermittelt ist in seinen Bewegungen, so tun die Leutenicht mit. Wenn man aufgeregt ist in seinen Worten, sofinden sie keinen Widerhall bei den Leuten. Wenn manohne vorherige Beziehungen etwas verlangt, so geben eseinem die Leute nicht. Wenn niemand mit einem ist, sokommen die Schädiger herbei.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 328: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.361 I Ging, 16243. Guai / Der Durchbruch (die Entschlossenheit)

43. Guai / Der Durchbruch (dieEntschlossenheit)

oben Dui, das Heitere, der Seeunten Kiën, das Schöpferische, der Himmel

Das Zeichen bedeutet einerseits einen Durchbruch nachlange angesammelter Spannung, wie den Durchbrucheines geschwellten Flusses durch seine Dämme, wieeinen Wolkenbruch. Auf menschliche Verhältnisse über-tragen, ist es andererseits die Zeit, da allmählich die Ge-meinen im Schwinden sind. Ihr Einfluß ist im Abneh-men, und durch eine entschlossene Aktion kommt eineÄnderung der Verhältnisse zum Durchbruch. Das Zei-chen ist dem dritten Monat (April-Mai) zugeordnet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 329: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.362 I Ging, 163Das Urteil

Das Urteil

Der Durchbruch.Entschlossen muß man am Hof des Königsdie Sache bekanntmachen.Der Wahrheit gemäß muß sie verkündet werden.

Gefahr!Man muß seine eigene Stadt benachrichtigen.Nicht fördernd ist es, zu den Waffen zu greifen.Fördernd ist es, etwas zu unternehmen.

Wenn in einer Stadt auch nur ein Gemeiner an herrschen-dem Platz sich hält, so vermag er die Edlen zu bedrücken.Wenn im Herzen auch nur noch eine Leidenschaft nistet,so vermag sie die Vernunft zu umdüstern. Leidenschaftund Vernunft können nicht zusammen bestehen, darumist unbedingter Kampf notwendig, wenn man das Gutezur Herrschaft bringen will. Für den entschlossenenKampf des Guten zur Beseitigung des Bösen gibt es aberbestimmte Regeln, die nicht außer acht gelassen werdendürfen, wenn man Erfolg haben will. 1. Entschlossenheitmuß auf einer Vereinigung von Stärke und Freundlich-keit beruhen. 2. Ein Kompromiß mit dem Schlechten istnicht möglich; es muß unter allen Umständen offen dis-kreditiert werden. Ebenso dürfen auch die eigenen Lei-denschaften und Fehler nicht beschönigt werden. 3. DerKampf darf nicht direkt durch Gewalt geführt werden.Wo das Böse gebrandmarkt ist, da sinnt es auf Waffen,und wenn man ihm den Gefallen tut, es Schlag gegen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 330: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.363 I Ging, 163Das Urteil

Schlag zu bekämpfen, so zieht man den kürzeren, weilman dadurch selbst in Haß und Leidenschaft verwickeltwird. Darum gilt es, beim eigenen Haus anzufangen: per-sönlich auf der Hut zu sein vor den gebrandmarkten Feh-lern. Dadurch stumpfen sich die Waffen des Bösen vonselbst ab, wenn sie keinen Gegner finden. Ebenso dürfenauch eigene Fehler nicht direkt bekämpft werden. Solan-ge man sich mit ihnen herumschlägt, bleiben sie immersiegreich. 4. Die beste Art, das Böse zu bekämpfen, istenergischer Fortschritt im Guten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 331: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.364 I Ging, 164Das Bild

Das Bild

Der See ist an den Himmel emporgestiegen:das Bild des Durchbruchs.So spendet der Edle Reichtum nach unten hinund scheut es, bei seiner Tugend zu verweilen.

Wenn das Wasser des Sees an den Himmel emporgestie-gen ist, so läßt das einen Wolkenbruch befürchten. Dasläßt sich der Edle zur Warnung dienen, indem er rechtzei-tig einem gewaltsamen Zusammenbruch vorbeugt. Wernur für sich allein Reichtum anhäufen wollte, ohne anandre zu denken, der würde es bestimmt erleben, daß eseinen Zusammenbruch mit ihm gibt. Denn auf alles Sam-meln folgt ein Zerstreuen. Darum zerstreut der Edleschon während des Sammelns. Ebenso ist er bei der Bil-dung seines Charakters darauf bedacht, sich nicht in Ei-gensinn zu versteifen, sondern sich in dauernder strengerSelbstprüfung eindrucksfähig zu erhalten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 332: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.365 I Ging, 164Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Mächtig in den vorwärtsschreitenden Zehen.Geht man hin und ist der Sache nicht gewachsen,so macht man einen Fehler.

In Zeiten entschlossenen Voranschreitens ist besondersder erste Anfang schwierig. Man fühlt sich zu entschlos-senem Voranschreiten begeistert. Aber der Widerstand istnoch sehr stark. Da gilt es, die eigene Kraft zu ermessenund nur so weit sich einzulassen, als man des Erfolgessicher ist. Blinde Draufgängerei ist vom Übel, denn gera-de zu Anfang kann ein unerwarteter Rückschlag von denunheilvollsten Folgen sein.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Alarmruf. Abends und nachts Waffen.Fürchte nichts.

Bereit sein ist alles. Entschlossenheit ist mit Vorsicht un-trennbar verbunden. Wenn man sorgfältig und besonnenist, so braucht man nicht zu erschrecken und aufgeregt zuwerden. Wenn man allezeit wachsam ist, solange nochkeine Gefahr da ist, so ist man gewappnet, wenn die Ge-fahr naht, und braucht sich nicht zu fürchten. Der Edle istauf der Hut vor dem, was noch nicht zu sehen ist, undbesorgt vor dem, was noch nicht zu hören ist; darumweilt er inmitten der Schwierigkeiten, als wären es keine

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 333: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.366 I Ging, 165Die einzelnen Linien

Schwierigkeiten. Wenn man seinen Charakter ausbildet,so fügen sich einem die Menschen von selbst. Siegt dieVernunft, so ziehen sich die Leidenschaften von selbstzurück. Besonnen sein und nicht die Rüstung vergessen,das ist der rechte Weg zur Sicherheit.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Mächtig in den Backenknochen zu sein bringt Unheil.Der Edle ist fest entschlossen.Er wandelt einsam und kommt in den Regen.Er wird bespritzt, und man murrt wider ihn.Kein Makel.

Die Lage, in der man sich befindet, ist zweideutig. Wäh-rend alle im entschlossenen Kampf gegen das Gemeinebegriffen sind, ist man allein in einer gewissen Beziehungzu einem gemeinen Menschen. Wollte man sich nun äu-ßerlich stark zeigen und, ehe die Verhältnisse reif sind,sich gegen ihn wenden so würde man damit nur die Ge-samtlage gefährden; denn der Gemeine würde dann vor-zeitig zu Gegenmaßregeln greifen. Die Aufgabe des hö-heren Menschen ist hier überaus schwierig. Er muß in-nerlich fest entschlossen sein und, während er mit demGemeinen verkehrt, sich doch von aller Beteiligung anseiner Gemeinheit fernhalten. Dabei wird er natürlichverkannt. Man denkt, er gehöre mit zu der Partei des Ge-meinen. Er ist ganz einsam, weil ihn niemand versteht.Seine Beziehungen zu dem Gemeinen beschmutzen ihnin den Augen der Menge, und man wendet sich murrendgegen ihn. Aber er trägt die Verkennung und macht kei-nen Fehler, da er sich selber treu bleibt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 334: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.367 I Ging, 166Die einzelnen Linien

Neun auf viertem Platz bedeutet:An den Oberschenkeln ist keine Haut,und das Gehen fällt schwer.Ließe man sich führen wie ein Schaf,so würde die Reue schwinden.Wenn man aber diese Worte hört,so wird man sie nicht glauben.

Man leidet an innerer Unruhe, so daß man nicht auf sei-nem Platz beharren kann. Man möchte unter allen Um-ständen voran und findet dabei unübersteigliche Hinder-nisse. So ist man mit seiner Lage in innerem Konflikt.Das kommt von dem Eigensinn, mit dem man seinenWillen durchsetzen möchte. Würde man von diesem Ei-gensinn lassen, so ginge alles gut. Aber dieser Rat wirdwie so viele gute Ratschläge überhört werden. Denn derEigensinn macht, daß man zwar Ohren hat, aber nichthört.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Dem Unkraut gegenüber braucht es feste

Entschlossenheit.In der Mitte wandeln bleibt frei von Makel.

Unkraut wächst immer wieder nach und läßt sich schwerausrotten. So bedarf der Kampf gegen einen hochstehen-den Gemeinen feste Entschlossenheit. Man steht mit ihmin Beziehungen, und es ist infolge davon zu fürchten, daßman den Kampf als hoffnungslos aufgibt. Aber das darf

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 335: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.368 I Ging, 166Die einzelnen Linien

nicht sein. Man muß entschlossen weitermachen und darfsich nicht vom Weg abbringen lassen. Nur so bleibt manfrei von Makel.

Oben eine Sechs bedeutet:Kein Ruf! Schließlich kommt Unheil.

Der Sieg scheint errungen zu sein. Es ist nur noch einRest übrig von dem Bösen, dessen entschlossene Ausrot-tung an der Zeit ist. Es sieht alles ganz leicht aus. Abergerade darin besteht die Gefahr. Wenn man nicht auf derHut ist, gelingt es dem Bösen, durch Verdeckung zu ent-kommen, und wenn es erst entgangen ist, so entstehtneues Unheil aus den übriggebliebenen Keimen; denndas Böse stirbt nicht leicht. Auch beim Bösen des eigenenCharakters muß man gründliche Arbeit tun. Wenn mannachlässigerweise etwas übriglassen wollte, so würde dar-aus neues Übel entstehen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 336: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.369 I Ging, 16644. Gou / Das Entgegenkommen

44. Gou / Das Entgegenkommen

oben Kiën, das Schöpferische, der Himmelunten Sun, das Sanfte, der Wind

Das Zeichen deutet auf eine Lage, da das dunkle Prinzipheimlich und unerwartet von innen und unten her sichwieder eindrängt, nachdem es beseitigt war. Das Weibli-che kommt von sich aus den Männern entgegen. Das isteine gefährliche und nicht günstige Lage, wegen dermöglichen Konsequenzen, die es rechtzeitig zu erkennenund dadurch zu verhindern gilt.

Das Zeichen ist dem fünften Monat (Juni-Juli) zuge-ordnet, da mit der Sommersonnenwende das dunkle Prin-zip allmählich wieder aufzusteigen beginnt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 337: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.370 I Ging, 167Das Urteil

Das Urteil

Das Entgegenkommen. Das Mädchen ist mächtig.Man soll ein solches Mädchen nicht heiraten.

Das Emporkommen des Gemeinen ist unter dem Bildeines frechen Mädchens gezeichnet, das sich leichthinpreisgibt und dadurch die Herrschaft an sich reißt. Daswäre nicht möglich, wenn das Starke und Lichte demnicht auch seinerseits entgegenkäme. Das Gemeine siehtso harmlos und schmeichelnd aus, daß man seine Freudedaran hat. Es sieht so klein und schwach aus, daß manmeint, unbesorgt mit ihm scherzen zu können.

So kommt der Gemeine nur dadurch hoch, daß derEdle ihn für ungefährlich hält und ihm Macht verleiht.Würde man ihm vom ersten Anfang an entgegentreten,so würde er nie zu Einfluß gelangen können.

Aber die Zeit des Entgegenkommens hat doch auchnoch eine andere Seite, die der Beachtung wert ist. Wenndas Entgegenkommen des Schwachen dem Starken ge-genüber nicht die Regel sein darf, so hat es doch zu Zei-ten seine große Bedeutung. Wenn Himmel und Erde ein-ander entgegenkommen, so kommen alle Geschöpfe zumGedeihen. Wenn Fürst und Gehilfe einander entgegen-kommen, so kommt die Welt in Ordnung. Ein gegenseiti-ges Entgegenkommen der füreinander bestimmten undaufeinander angewiesenen Prinzipien ist nötig. Nur mußes frei sein von unreinen Nebengedanken, sonst ist esvom Übel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 338: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.371 I Ging, 167Das Bild

Das Bild

Unter dem Himmel ist der Wind:das Bild des Entgegenkommens.So macht es der Fürst beim Verbreiten seiner Befehleund ihrer Verkündigung an die vier

Himmelsgegenden.

Die Lage ist ähnlich wie bei dem Zeichen »Anblick« (Nr.20). Dort weht der Wind über die Erde, hier weht erunter dem Himmel. Beide Male kommt er überall hin.Aber wenn dort der Wind auf der Erde unten war, soergab das das Bild der Kenntnisnahme der Verhältnissedurch den Herrscher. Hier weht der Wind von oben; dasdeutet auf den Einfluß, den der Herrscher durch seineBefehle ausübt. Der Himmel ist den Dingen auf Erdenfern, aber er bringt sie in Bewegung durch den Wind. DerHerrscher ist dem Volke fern, aber er bringt es in Bewe-gung durch seine Befehle und Willensäußerungen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 339: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.372 I Ging, 168Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Man muß es hemmen mit ehernem Radschuh.Beharrlichkeit ist von Heil.Wenn man es hingehen läßt, so erfährt man Unheil.Auch ein mageres Schwein hat die Anlage dazu,

umherzutoben.

Wenn ein minderwertiges Element sich eingeschlichenhat, so muß man es sofort energisch hemmen. Dadurch,daß es konsequent gehemmt wird, kann man üble Wir-kungen vermeiden. Wenn man ihm seinen Lauf läßt, soentsteht sicher Unheil daraus. Man darf durch die Gering-fügigkeit dessen, was sich einschleicht, sich nicht dazuverführen lassen, es zu leicht zu nehmen. Solange einSchwein noch jung und mager ist, kann es noch nichtviel umhertollen, aber wenn es sich erst satt und stark ge-fressen hat, kommt seine wahre Natur zur Geltung, wennman es nicht vorher schon beschränkt hat.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Im Behälter ist ein Fisch. Kein Makel!Nicht fördernd für Gäste.

Das niedere Element wird nicht vergewaltigt, aber untersanfter Kontrolle gehalten. Dann ist nichts Schlimmes zubefürchten. Nur muß man dafür sorgen, daß es nicht mitFernerstehenden zusammenkommt, weil es – losgelas-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 340: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.373 I Ging, 168Die einzelnen Linien

sen – seine schlechten Seiten ungehemmt entfaltenwürde.

Neun auf drittem Platz bedeutet:An den Oberschenkeln ist keine Haut,und das Gehen fällt schwer.Wenn man der Gefahr eingedenk ist,macht man keinen großen Fehler.

Man ist innerlich in Versuchung, sich mit dem schlechtenElement, das sich einem anbietet, einzulassen. Das isteine sehr gefährliche Lage. Glücklicherweise ist mandaran durch die Umstände behindert. Man möchte gern,aber kann nicht. Das gibt eine schmerzliche Unentschie-denheit des Handelns. Aber wenn man sich über die Ge-fährlichkeit der Lage klar wird, so wird man wenigstensgrößere Fehler vermeiden.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Im Behälter ist kein Fisch.Daraus erhebt sich Unheil.

Die kleinen Leute muß man dulden, damit sie einemwohlgesinnt bleiben. Dann kann man sie auch benutzen,wenn man sie einmal braucht. Wenn man sich ihnen ent-fremdet und ihnen nicht entgegenkommt, so wenden siesich von einem ab, und man hat sie nicht zur Verfügung,wenn man sie einmal braucht. Das hat man sich dannaber selbst zuzuschreiben.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 341: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.374 I Ging, 169Die einzelnen Linien

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Mit Weidenblättern bedeckte Melone:verborgene Linien.Da fällt es einem vom Himmel herunter zu.

Die Melone ist wie der Fisch ein Symbol des dunklenPrinzips. Sie ist süß, aber fault leicht, weshalb sie mitWeidenblättern schützend zugedeckt wird. Die Lage istso, daß ein starker, hoher, in sich gefestigter Mensch dieNiedrigen, die unter seiner Hand sind, duldend schützt.Er hat die festen Linien der Ordnung und Schönheit insich selbst. Aber er macht sie nicht geltend. Er fällt jenennicht durch äußeres Scheinen oder lästige Mahnungenbeschwerlich, sondern läßt sie ganz frei, im festen Ver-trauen auf die innerlich umbildende Macht, die einer star-ken und reinen Persönlichkeit innewohnt. Und siehe da!Das Schicksal ist günstig. Die Niedrigen werden beein-flußt und fallen ihm als reife Früchte zu.

Oben eine Neun bedeutet:Er kommt mit seinen Hörnern entgegen.Beschämung. Kein Makel.

Wenn man sich aus der Welt zurückgezogen hat, so wirdeinem das Getriebe der Welt oft unerträglich. Oft gibt esMenschen, die sich in edlem Stolz von allem Gemeinenfernhalten und es schroff zurückstoßen, wo es ihnen ent-gegenkommt. Solche Menschen werden als stolz und un-zugänglich gescholten, aber da sie nicht mehr durchPflichten des Handelns an die Welt gebunden sind, so istdas weiter nicht schlimm. Sie wissen die Abneigung der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 342: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.375 I Ging, 169Die einzelnen Linien

Masse in Fassung zu tragen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 343: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.376 I Ging, 17045. Tsui / Die Sammlung

45. Tsui / Die Sammlung

oben Dui, das Heitere, der Seeunten Kun, das Empfangende, die Erde

Das Zeichen ist dem Zeichen Bi, Zusammenhalten (Nr.8), nach Form und Bedeutung verwandt. Dort das Was-ser über der Erde, hier ein See über der Erde. Der See istder Sammlungspunkt des Wassers, daher ist die Idee derSammlung hier noch stärker ausgedrückt als in jenemZeichen. Derselbe Grundgedanke ergibt sich auch daraus,daß es hier zwei starke Striche sind auf viertem und fünf-tem Platz, weiche die Sammlung bewirken, während dortnur ein Strich an fünfter Stelle inmitten der Schwachensteht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 344: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.377 I Ging, 170Das Urteil

Das Urteil

Die Sammlung. Gelingen.Der König naht sich seinem Tempel.Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.Das bringt Gelingen. Fördernd ist Beharrlichkeit.Große Opfer zu bringen schafft Heil.Fördernd ist es, etwas zu unternehmen.

Die Sammlung der Menschen in größeren Gemeinschaf-ten ist entweder eine natürliche, wie innerhalb der Fami-lie, oder eine künstliche, wie im Staat. Die Familie sam-melt sich um den Vater als ihr Oberhaupt. Die Fortset-zung dieser Sammlung vollzieht sich durch die Ahnenop-fer, bei denen sich der ganze Klan versammelt. DieAhnen werden durch die gesammelte Andacht der Hin-terbliebenen in ihrem Geiste konzentriert, so daß sie sichnicht zerstreuen und auflösen.

Wo die Menschen gesammelt werden sollen, bedarf esder religiösen Kräfte. Aber es muß auch ein menschlichesHaupt als Mittelpunkt der Sammlung da sein. Um anderesammeln zu können, muß dieser Mittelpunkt der Samm-lung erst in sich selbst gesammelt sein. Nur durch gesam-melte moralische Kraft läßt sich die Welt einigen. Solchegroßen Einigungszeiten werden dann auch große Werkehinterlassen. Das ist der Sinn der großen Opfer, die ge-bracht werden. Und auch auf weltlichem Gebiet bedarf esin Zeiten der Sammlung großer Werke.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 345: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.378 I Ging, 170Das Bild

Das Bild

Der See ist oberhalb der Erde:das Bild der Sammlung.So erneuert der Edle seine Waffen,um Unvorhergesehenem zu begegnen.

Wenn das Wasser im See sich sammelt, so daß es überdie Erde emporsteigt, so droht ein Durchbruch. Dagegenmuß man Vorkehrungen treffen. So entsteht auch leichtStreit, wo Menschen sich in großer Anzahl sammeln; woGüter sich sammeln, entsteht leicht Raub. Darum mußman sich in Zeiten der Sammlung rechtzeitig rüsten, umUnerwartetes abzuwehren. Das Leid auf Erden kommtmeist durch unerwartete Ereignisse, auf die man nicht ge-rüstet ist. Ist man gefaßt, so läßt es sich verhüten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 346: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.379 I Ging, 171Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Wenn du wahrhaftig bist, doch nicht bis zum Ende,so gibt es bald Verwirrung, bald Sammlung.Wenn du rufst, so kannst du nach einem Griff wieder

lachen.Bedaure nichts. Hingehen ist ohne Makel.

Die Lage ist hier, daß man sich sammeln will um einenFührer, zu dem man aufblickt. Doch befindet man sich inzahlreicher Gesellschaft, durch die man sich beeinflussenläßt, so daß man in seinem Entschluß wankend wird. Sohat man keinen festen Mittelpunkt für eine Sammlung.Wenn man aber dieser Not Ausdruck verleiht und umHilfe ruft, so genügt ein Griff des Führers, um alle Not zuwenden. Darum darf man sich nicht irremachen lassen.Sich an jenen Führer anzuschließen, ist ohne weiteres dasrechte.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Sich ziehen lassen bringt Heil und bleibt ohne Makel.Wenn man wahrhaftig ist,ist es auch fördernd, ein kleines Opfer zu bringen.

Man soll in Zeiten der Sammlung seinen Weg nicht will-kürlich wählen. Es sind geheime Kräfte am Werk, die dieMenschen zusammenführen, die zueinander passen. Die-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 347: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.380 I Ging, 172Die einzelnen Linien

ser Anziehung muß man sich überlassen, dann machtman keinen Fehler. Wo innere Beziehungen vorhandensind, da sind keine großen Vorbereitungen und Förmlich-keiten nötig. Man versteht sich ohne weiteres, wie dieGottheit auch ein kleines Opfer gnädig annimmt, wenn esvon Herzen kommt.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Sammlung unter Seufzen. Nichts, das fördernd wäre.Hingehen ist ohne Makel. Kleine Beschämung.

Man hat oft das Bedürfnis des Anschlusses, aber alle an-dern in der Umgebung haben sich schon untereinanderzusammengeschlossen, so daß man isoliert bleibt. Dieganze Lage ist so, daß sie sich als unhaltbar erweist. Dagilt es, sich dem Fortschritt zuzuwenden, entschlossensich an einen Mann anzuschließen, der dem Mittelpunktder Sammlung nähersteht und einen in den geschlosse-nen Kreis einzuführen vermag. Das ist kein Fehler, auchwenn man als Außenseiter zunächst eine etwas beschä-mende Stellung hat.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Großes Heil! Kein Makel.

Es ist hier ein Mann gezeichnet, der im Namen seinesHerrn die Menschen um sich sammelt. Da er keine Son-dervorteile für sich erstrebt, sondern uneigennützig an derallgemeinen Einheit arbeitet, so ist seine Arbeit von Er-folg gekrönt, und alles wird recht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 348: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.381 I Ging, 172Die einzelnen Linien

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Wenn man beim Sammeln die Stellung hat,so gibt das keinen Makel.Wenn manche noch nicht wahrhaft dabei sind,so bedarf es erhabener, dauernder Beharrlichkeit,dann schwindet die Reue.

Wenn sich die Menschen von selbst um einen sammeln,so ist das, wenn es einem ungesucht zuteil wird, nur gut.Man bekommt dadurch einen gewissen Einfluß, derdurchaus nützlich sein kann. Aber damit ist natürlichauch die Möglichkeit gegeben, daß sich manche umeinen sammeln, die nicht aus innerem Vertrauen kom-men, sondern nur um der einflußreichen Stellung willen.Das ist gewiß bedauerlich. Solchen Leuten gegenübergibt es kein anderes Mittel, als ihr Vertrauen zu erwerbendurch vermehrte, unentwegte Pflichttreue und Beständig-keit. Dadurch wird das geheime Mißtrauen allmählichüberwunden, und der Anlaß zum Bedauern fällt weg.

Oben eine Sechs bedeutet:Klagen und Seufzen, Tränen in Strömen.Kein Makel.

Es kann vorkommen, daß man sich wohl anschließenmöchte, aber in seinen guten Absichten verkannt wird.Da ist man traurig und klagt. Aber das ist der rechte Weg.Denn dadurch kann es kommen, daß der andere zur Be-sinnung kommt und man den gesuchten und schmerzlich

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 349: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.382 I Ging, 172Die einzelnen Linien

vermißten Anschluß doch noch findet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 350: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.383 I Ging, 17346. Schong / Das Empordringen

46. Schong / Das Empordringen

oben Kun, das Empfangende, die Erdeunten Sun, das Sanfte, der Wind, das Holz

Das untere Zeichen, Sun, hat als Bild das Holz, dasobere, Kun, bedeutet die Erde. Damit ist der Gedankeverbunden, daß das Holz in der Erde emporwächst. Die-ses »Empordringen« ist im Gegensatz zu dem »Fort-schritt« (Nr. 35) mit Anstrengung verbunden, wie diePflanze Kraft braucht, um durch die Erde emporzudrin-gen. Darum steht das Zeichen, obwohl es mit Erfolg ver-bunden ist, in Beziehung zur Anstrengung des Willens.Der »Fortschritt« zeigt mehr Expansion, das »Empordrin-gen« mehr geradliniges Aufsteigen zu Macht und Einflußaus Unbekanntheit und Niedrigkeit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 351: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.384 I Ging, 173Das Urteil

Das Urteil

Das Empordringen hat erhabenes Gelingen.Man muß den großen Mann sehen.Fürchte dich nicht!Aufbruch nach Süden bringt Heil.

Das Empordringen der tüchtigen Elemente stößt auf keinHindernis, darum ist es von großem Erfolg begleitet. DieArt, die das Empordringen ermöglicht, ist nicht gewalttä-tig, sondern bescheiden und fügsam. Aber da man vonder Zeiten Gunst getragen wird, kommt man voran. Manmuß hingehen und die maßgebenden Leute aufsuchen.Man braucht sich davor nicht zu fürchten; denn der Er-folg wird nicht ausbleiben. Nur muß man sich an die Ar-beit machen; denn Tätigkeit (dies die Bedeutung des Sü-dens) ist von Heil.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 352: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.385 I Ging, 174Das Bild

Das Bild

Inmitten der Erde wächst das Holz:das Bild des Empordringens.So häuft der Edle hingebenden Wesens Kleines,um es zu Hohem und Großem zu bringen.

Das Holz in der Erde wächst ohne Hast und ohne Rastder Höhe zu, indem es sich fügsam um die Hindernisseherumbiegt. So ist der Edle hingebend in seinem Charak-ter und ruht nie in seinem Fortschritt1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 353: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.386 I Ging, 174Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Empordringen, das Zutrauen findet, bringt großes

Heil.

Hier ist die Anfangslage des Aufstiegs. Wie das Holz fürsein Empordringen die Kraft aus der Wurzel entnimmt,die an sich ganz unten ist, so entstammt die Kraft zumEmporkommen dieser Stellung. Sie ist niedrig und unbe-kannt. Aber es besteht eine innere Verwandtschaft desWesens zu den oberen Herrschenden, und diese Gemein-samkeit verschafft einem das Zutrauen, das man braucht,um etwas leisten zu können.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Wenn man wahrhaftig ist,so ist es auch fördernd, ein kleines Opfer zu bringen.Kein Makel.

Es ist hier ein starker Mann vorausgesetzt. Er paßt zwarinsofern nicht in seine Umgebung, als er zu rauh ist undzu wenig auf Formen gibt. Aber er ist innerlich aufrichtig,darum findet er Entgegenkommen, und seine Dürftigkeitin den äußeren Formen bringt keinen Schaden. Die Auf-richtigkeit ist hier der Ausfluß solider Eigenschaften,während sie bei dem entsprechenden Strich des vorigenZeichens die Wirkung innerer Demut ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 354: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.387 I Ging, 175Die einzelnen Linien

Neun auf drittem Platz bedeutet:Man dringt empor in eine leere Stadt.

Hier fallen alle Hemmungen weg, die dem Vordringensonst gesteckt sind. Es geht mit merkwürdiger Leichtig-keit voran. Unbedenklich folgt man dieser Straße, um denErfolg auszunützen. Es sieht, äußerlich betrachtet, so aus,wie wenn alles in bester Ordnung wäre. Dennoch ist keinglückverheißender Ausdruck beigefügt. Es fragt sich, wielange ein solcher hemmungsloser Erfolg dauert. Doch giltes, solchen Bedenken nicht nachzuhängen, weil dadurchdie Kraft nur gehemmt würde, sondern rasch die Gunstder Zeit sich zunutze zu machen.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Der König bringt ihn dem Berg Ki dar. Heil. Kein

Makel.

Der Berg Ki ist im Westen Chinas, dem Stammlande desKönigs Wen, von dessen Sohne, dem Herzog vonDschou, die Worte zu den Einzellinien beigefügt sind. Esist eine Erinnerung an die Zeiten der Erhebung der Dyna-stie Dschou. Damals wurden die großen Gehilfen vomKönig Wen dem Gott des heimatlichen Berges vorge-stellt, und sie bekamen ihren Platz zur Seite des Herr-schers in den Ahnenhallen. Es ist hier ein Stadium ge-zeichnet, in dem das Empordringen zum Ziele gelangt.Man wird berühmt vor Menschen und Göttern und auf-genommen in den Kreis der Männer, die das Leben derNation im Geiste aufbauen, und bekommt dadurch dau-ernde, überzeitliche Bedeutung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 355: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.388 I Ging, 175Die einzelnen Linien

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Beharrlichkeit bringt Heil. Man dringt empor auf

Stufen.

Wenn man immer weiter vorankommt, so ist es wichtig,daß man sich am Erfolg nicht berauscht. Man muß gera-de bei großem Erfolg dauernd nüchtern bleiben, keineStufen überspringen wollen, sondern langsam, wie zö-gernd, Schritt für Schritt weiter gehen. Nur dieser ruhige,stetige Fortschritt, der nichts überstürzt, führt zum Ziel.

Oben eine Sechs bedeutet:Empordringen im Dunkeln.Fördernd ist es, unablässig beharrlich zu sein.

Wer blindlings empordringt, der ist innerlich betört. Erkennt nur den Fortschritt, nicht den Rückzug. Dabei er-schöpft man sich aber. Wichtig ist es, in solchem Falleunablässig darauf bedacht zu sein, daß man gewissenhaftund konsequent sein und bleiben muß. Nur dadurch wirdman von blindem Drange frei, der stets vom Übel ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 356: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.389 I Ging, 175Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Vgl. dazu:»Beschäftigung, die nie ermattet,Die langsam schafft, doch nie zerstört,Die zu dem Bau der EwigkeitenZwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht,Doch von der großen Schuld der ZeitenMinuten, Tage, Jahre streicht.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 357: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.390 I Ging, 17647. Kun / Die Bedrängnis

47. Kun / Die Bedrängnis

(die Erschöpfung)

oben Dui, das Heitere, der Seeunten Kan, das Abgründige, das Wasser

Oben ist der See, das Wasser darunter. Der See ist leerund erschöpft. Noch auf eine andere Weise kommt derGedanke der Erschöpfung heraus: oben eine dunkleLinie, die zwei lichte unten hält; unten ist eine lichteLinie zwischen zwei dunkle eingeklemmt. Das obere Zei-chen gehört dem dunklen Prinzip an, während das unteredem lichten Prinzip angehört. So sind überall die Edlenvon den Gemeinen unterdrückt und in Schranken gehal-ten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 358: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.391 I Ging, 176Das Urteil

Das Urteil

Die Bedrängnis. Gelingen. Beharrlichkeit.Der große Mann wirkt Heil. Kein Makel.Wenn man etwas zu sagen hat, wird es nicht geglaubt.

Notzeiten sind das Gegenteil von Erfolg. Aber sie könnenzu Erfolg führen, wenn sie den rechten Menschen tref-fen. Wenn ein starker Mensch in Not kommt, so bleibt ertrotz aller Gefahr heiter, und diese Heiterkeit ist dieGrundlage späterer Erfolge. Sie ist die Beständigkeit, diestärker ist als das Schicksal. Wer sich durch Erschöpfunginnerlich brechen läßt, der hat freilich keinen Erfolg. Aberwen die Not nur beugt, in dem erzeugt sie eine Kraft derGegenwirkung, die sicher mit der Zeit ans Licht kommt.Doch dazu ist kein Gemeiner fähig. Nur der große Mannwirkt Heil und bleibt ohne Makel. Freilich nach außenhin ist ihm zunächst der Einfluß versagt, da seine Wortekeine Wirkung haben. Darum gilt es in Zeiten der Not in-nerlich stark zu sein und wenig Worte zu machen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 359: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.392 I Ging, 177Das Bild

Das Bild

Im See ist kein Wasser: das Bild der Erschöpfung.So setzt der Edle sein Leben daran,um seinem Willen zu folgen.

Wenn das Wasser aus dem See nach unten geflossen ist,muß der See vertrocknen und sich erschöpfen. Das istSchicksal. Das ist das Bild widriger Schicksale im Men-schenleben. In solchen Zeiten läßt sich nichts tun, als daßman sein Schicksal auf sich nimmt und sich selbst treubleibt. Es handelt sich dabei aber um die tiefste Schichtdes eigentlichen Wesens; denn nur die ist jedem äußerenSchicksal überlegen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 360: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.393 I Ging, 177Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Man sitzt bedrängt unter einem kahlen Baumund gerät in ein finsteres Tal.Drei Jahre lang sieht man nichts.

Wenn man in Not kommt, ist es vor allem wichtig, starkzu sein und die Not innerlich zu überwinden. Wenn manaber schwach ist, dann übermannt einen die Not. Stattweiterzuschreiten, bleibt man sitzen unter einem kahlenBaum und gerät immer mehr in Finsternis und Schwer-mut hinein. Dadurch wird die Lage nur immer aussichts-loser. Diese Haltung ist die Folge einer inneren Verblen-dung, die man durchaus überwinden muß.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Man ist bedrängt bei Wein und Speisen.Der Mann mit den scharlachroten Kniebinden

kommt eben.Fördernd ist es, Opfer darzubringen.Aufbrechen ist von Unheil.Kein Makel.

Hier ist es eine innere Bedrängnis, in der man sich befin-det. Äußerlich geht alles gut; man hat zu essen und zutrinken. Aber man ist erschöpft durch die Gewöhnlichkei-ten des Lebens, aus denen sich kein Ausweg zeigt. Doch

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 361: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.394 I Ging, 178Die einzelnen Linien

von oben her kommt Hilfe. Ein Fürst- die Fürsten trugenim alten China scharlachrote Kniebinden – ist auf derSuche nach tüchtigen Gehilfen. Aber es sind noch Hin-dernisse zu überwinden. Darum ist es wichtig, diesenHindernissen im Unsichtbaren zu begegnen durch Opferund Gebet. Unvorbereitet aufzubrechen würde ins Unheilführen, obwohl es sittlich nicht unrecht ist. Man muß hierdurch innere Geduld eine widrige Situation überwinden.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Man läßt sich bedrängen durch Steinund stützt sich auf Dornen und Disteln.Man geht in sein Haus und sieht nicht seine Frau.

Unheil!

Es zeigt sich hier ein Mann, der unruhig und unentschie-den ist in Zeiten der Not. Erst will er voran, da stößt erauf Hindernisse, die allerdings nur dann eine Bedrängnisbedeuten, wenn man dagegen in unüberlegter Weise an-geht. Man will mit dem Kopfe durch die Wand und fühltsich infolge davon durch die Wand bedrängt. Dann stütztman sich auf Dinge, die keinen Halt in sich selbst habenund für den nur bedenklich sind, der sich auf sie stützt.Nun kehrt man unentschlossen um und zieht sich in seinHaus zurück, aber nur, um zu neuer Enttäuschung zuentdecken, daß seine Frau nicht da ist.

Kungtse sagt darüber: »Wenn jemand sich von etwas,das ihn nicht bedrängen sollte, bedrängen läßt, so wirdsein Name sicher in Schande geraten. Wenn er sich aufDinge stützt, auf die man sich nicht stützen kann, so wirdsein Leben sicher in Gefahr geraten. Wer in Schande und

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 362: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.395 I Ging, 178Die einzelnen Linien

Gefahr ist, dem naht die Todesstunde; wie kann er danoch seine Frau sehen!«

Neun auf viertem Platz bedeutet:Er kommt ganz sachte, bedrängt in einem goldnen

Wagen.Beschämung, aber man kommt zu Ende.

Ein wohlhabender Mann sieht die Not der Unteren undmöchte auch ganz gerne helfen. Doch greift er nichtrasch und energisch zu, wo es nötig ist, sondern fängt dieSache zögernd und gemessen an. Da stößt er auf Hinder-nisse. Mächtige und reiche Leute der Bekanntschaft zie-hen ihn in ihre Kreise. Er muß mittun und kann sichihnen nicht entziehen. Daher befindet er sich in einer gro-ßen Verlegenheit. Aber die Not ist vorübergehend. Dieursprüngliche Stärke der Natur gleicht den begangenenFehler wieder aus, und das Ziel wird erreicht.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Es werden ihm Nase und Füße abgeschnitten.Man ist bedrängt von dem in purpurnen

Kniebinden.Sachte kommt die Freude.Fördernd ist es, Opfer und Spenden zu bringen.

Es ist jemand, dem das Wohl der Menschen am Herzenliegt, von oben und unten her bedrängt (das ist der Sinnder abgeschnittenen Nase und Füße). Man findet keineHilfe bei den Menschen, deren Pflicht es wäre, bei dem

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 363: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.396 I Ging, 179Die einzelnen Linien

Rettungswerk mitzuhelfen (die Minister trugen purpurneKniebinden). Doch entwickeln sich die Dinge allmählichzum Bessern. Bis dahin gilt es in starker innerer Samm-lung vor Gott zu treten und für das Wohl des Ganzen zubeten und zu opfern.

Oben eine Sechs bedeutet:Er ist bedrängt von Ranken.Er bewegt sich unsicher und spricht: »Bewegung

schafft Reue.«Wenn man darüber Reue empfindet und sich

aufmacht,so hat man Heil.

Man ist bedrängt durch Bande, die sich leicht zerreißenlassen. Die Bedrängnis naht sich ihrem Ende. Aber manist noch unschlüssig. Man ist noch beeinflußt von demfrüheren Zustand und denkt, man werde es zu bereuenhaben, wenn man sich bewegt. Aber sobald man zur Ein-sicht kommt, diese geistige Haltung ablegt und einen star-ken Entschluß faßt, so gelingt es, der Bedrängnis Herr zuwerden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 364: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.397 I Ging, 17948. Dsing / Der Brunnen

48. Dsing / Der Brunnen

oben Kan, das Abgründige, das Wasserunten Sun, das Sanfte, der Wind, das Holz

Unten ist das Holz, oben das Wasser. Das Holz steigt indie Erde, um das Wasser heraufzuholen. Es ist das Bilddes altchinesischen Wippbrunnens. Mit dem Holz sindnicht etwa die Eimer, die in alter Zeit von Ton waren, ge-meint, sondern die Holzstange, durch deren Bewegungendas Wasser aus dem Brunnen gehoben wird. Das Bilddeutet auch auf die Pflanzenwelt, die in ihren Adern dasWasser aus der Erde emporhebt. Der Brunnen, aus demman Wasser schöpft, enthält außerdem den Gedanken derunerschöpflichen Nahrungsspende.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 365: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.398 I Ging, 180Das Urteil

Das Urteil

Der Brunnen.Man mag die Stadt wechseln,aber kann nicht den Brunnen wechseln.Er nimmt nicht ab und nimmt nicht zu.Sie kommen und gehen und schöpfen aus dem

Brunnen.Wenn man beinahe das Brunnenwasser erreicht hat,aber noch nicht mit dem Seil drunten istoder seinen Krug zerbricht, so bringt das Unheil.

Die Hauptstädte wurden im alten China zuweilen verlegt,teils aus Gründen der Gunst der Lage, teils bei demWechsel der Dynastien. Der Baustil wechselte im Laufder Jahrhunderte, aber die Form des Brunnens ist von ur-alter Zeit bis auf den heutigen Tag dieselbe geblieben. Soist der Brunnen ein Bild der gesellschaftlichen Organisati-on der Menschheit in ihren primitivsten Lebensnotwen-digkeiten, die von allen politischen Gestaltungen unab-hängig ist. Die politischen Gestaltungen, die Nationenwechseln, aber das Leben der Menschen mit seinen Er-fordernissen bleibt ewig dasselbe. Das läßt sich nicht än-dern. Dieses Leben ist auch unerschöpflich. Es wird nichtweniger noch mehr und ist für alle da. Geschlechter kom-men und gehen, und sie alle genießen das Leben in seinerunerschöpflichen Fülle.

Für eine gute staatliche oder gesellschaftliche Organi-sation der Menschen ist aber ein Doppeltes nötig. Man

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 366: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.399 I Ging, 180Das Urteil

muß bis auf die Grundlagen des Lebens hinuntergehen.Alle Oberflächlichkeit in der Lebensordnung, die die tief-sten Lebensbedürfnisse unbefriedigt läßt, ist ebenso un-vollkommen, als hätte man gar keinen Versuch zur Ord-nung gemacht. Ebenso ist eine Fahrlässigkeit, durch dieder Krug zerbricht, vom Übel. Wenn z.B. der militärischeSchutz eines Staates so übertrieben wird, daß er Kriegehervorruft, durch die die Macht des Staates vernichtetwird, so ist das ein Zerbrechen des Krugs. Auch für deneinzelnen Menschen kommt das Zeichen in Betracht. Soverschieden die Anlagen und Bildungen der Menschensind, die menschliche Natur in ihren Grundlagen ist beijedem dieselbe. Und jeder Mensch kann bei seiner Bil-dung aus dem unerschöpflichen Born der göttlichenNatur des Menschenwesens schöpfen. Aber auch hierdrohen zwei Gefahren: einmal, daß man in seiner Bil-dung nicht durchdringt bis zu den eigentlichen Wurzelndes Menschentums, sondern in Konvention stecken-bleibt – eine solche Halbbildung ist ebenso schlimm wieUnbildung –, oder daß man plötzlich zusammenbrichtund die Bildung seines Wesens vernachlässigt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 367: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.400 I Ging, 181Das Bild

Das Bild

Über dem Holz ist Wasser: das Bild des Brunnens.So ermuntert der Edle das Volk bei der Arbeitund ermahnt es, einander zu helfen.

Unten ist das Zeichen Sun, Holz, darüber das ZeichenKan, Wasser. Das Holz saugt das Wasser nach oben. Wiedas Holz als Organismus die Tätigkeit des Brunnensnachahmt, die allen Teilen der Pflanze zugute kommt, soordnet der Edle die menschliche Gesellschaft, daß sie wieein Pflanzenorganismus zum Wohl des Ganzen ineinan-dergreift.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 368: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.401 I Ging, 181Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Der Schlamm des Brunnens wird nicht getrunken.Zu einem alten Brunnen kommen keine Tiere.

Wenn sich jemand in den sumpfigen Niederungen um-hertreibt, so versinkt sein Leben im Schlamm. Ein solcherMensch verliert seine Bedeutung für die Menschheit.Wer sich selbst wegwirft, zu dem kommen auch die an-dern nicht mehr. Niemand kümmert sich schließlichmehr um ihn.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Am Brunnenloch schießt man Fische.Der Krug ist zerbrochen und rinnt.

Das Wasser ist an sich klar. Aber man gebraucht es nicht.So halten sich nur Fische im Brunnen auf, und werkommt, kommt nur, um Fische zu fangen; aber der Krugist zerbrochen, so daß man die Fische nicht darin aufbe-wahren kann.

Es wird eine Lage geschildert, da jemand an sich guteGaben hätte; aber sie werden vernachlässigt. Niemandkümmert sich um ihn. Dadurch kommt er innerlich her-unter. Er gibt sich mit gemeinen Menschen ab und kannnichts Tüchtiges mehr leisten.

Neun auf drittem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 369: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.402 I Ging, 182Die einzelnen Linien

Der Brunnen ist gereinigt, aber man trinkt nichtdaraus.

Das ist meines Herzens Leid;denn man könnte daraus schöpfen.Wäre der König klar,so genösse man gemeinsam das Glück.

Hier ist ein tüchtiger Mann vorhanden. Er gleicht einemgereinigten Brunnen, dessen Wasser man trinken könnte.Aber er wird nicht gebraucht. Das ist das Leid der Men-schen, die ihn kennen. Der Wunsch besteht, daß der Fürstes erfahre; dann wäre es für alle Beteiligten ein Glück.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Der Brunnen wird ausgemauert, kein Makel.

Wenn der Brunnen ausgemauert wird, so kann man ihnzwar solange nicht benützen, aber die Arbeit ist nicht ver-gebens; sie bewirkt, daß das Wasser klar bleibt. So gibt esim Leben auch Zeiten, in denen man sich selbst in Ord-nung bringen muß. Während dieser Zeit kann man zwarnichts für andere leisten, aber sie ist dennoch wertvoll,weil man durch innere Ausbildung seine Kraft und Fähig-keiten steigert, so daß man nachher um so mehr leistet.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Im Brunnen ist ein klarer, kühler Quell,den man trinken kann.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 370: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.403 I Ging, 182Die einzelnen Linien

Das ist ein guter Brunnen, der auf seinem Grunde eineQuelle lebendigen Wassers hat. Ein Mann, der solche Tu-genden hat, ist zum Retter und Führer der Menschen ge-boren. Er hat das Wasser des Lebens. Dennoch fehlt dasZeichen: Heil. Beim Brunnen kommt alles darauf an, daßdas Wasser geschöpft wird. Das beste Wasser ist für dieErfrischung der Menschen nur als Möglichkeit da, solan-ge es nicht gehoben ist. So kommt es auch bei Führernder Menschheit darauf an, daß man aus ihrer Quelletrinkt, ihre Worte ins Leben überführt.

Oben eine Sechs bedeutet:Man schöpft aus dem Brunnen ohne Hinderung.Er ist zuverlässig. Erhabenes Heil!

Der Brunnen ist für alle da. Kein Verbot hemmt dieSchöpfenden. Aber so viele auch kommen, sie finden,was sie brauchen; denn der Brunnen ist zuverlässig. Erhat eine Quelle und versiegt nicht; darum ist er für dasganze Land ein großes Heil: so der wirklich große Mann,der unerschöpflich reich ist an innerem Gut. Je mehrMenschen aus ihm schöpfen, desto größer wird seinReichtum.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 371: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.404 I Ging, 18349. Go / Die Umwälzung (die Mauserung)

49. Go / Die Umwälzung (die Mauserung)

oben Dui, das Heitere, der See.unten Li, das Haftende, das Feuer

Das Zeichen bedeutet ursprünglich ein Tierfell, das sichim Lauf des Jahres durch Mauserung ändert. Von da auswird das Wort übertragen auf die Mauserungen imStaatsleben, die großen Umwälzungen, die mit einem Re-gierungswechsel verbunden sind. Die beiden Figuren, ausdenen das Zeichen sich zusammensetzt, sind wie bei Kui,»der Gegensatz« (Nr. 38), die beiden jüngeren Töchter Liund Dui. Aber während dort die ältere der beiden obensteht und sich daraus im wesentlichen nur ein Gegensatzder Tendenzen ergibt, ist hier die jüngere oben, und dieWirkungen gehen gegeneinander, die Kräfte bekämpfensich wie Feuer und Wasser (See), von denen jedes das an-dere zu vernichten strebt. Daher der Gedanke der Um-wälzung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 372: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.405 I Ging, 183Das Urteil

Das Urteil

Die Umwälzung.Am eigenen Tag, da findest du Glauben.Erhabenes Gelingen, fördernd durch Beharrlichkeit.Die Reue schwindet.

Staatliche Umwälzungen sind etwas überaus Schweres.Man darf sie nur im äußersten Notfall, wenn kein andererAusweg übrig ist, vornehmen. Nicht jeder ist dazu beru-fen, sondern nur der, der das Vertrauen des Volkes hat,und auch der erst dann, wenn die Zeit erfüllt ist. Manmuß dabei in der rechten Weise vorgehen, daß man dasVolk erfreut und durch Aufklärung Ausschreitungen ver-hindert. Man muß dabei ferner ganz frei von selbstsüchti-gen Zielen ein und muß wirklich der Not des Volkes ab-helfen. Nur dann hat man nichts zu bereuen. Die Zeitenändern sich und mit ihnen die Anforderungen. So ändernsich die Jahreszeiten im Lauf des Jahres. So gibt es auchim Weltenjahr Frühling und Herbst der Völker und Natio-nen, die gesellschaftliche Umgestaltungen erfordern.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 373: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.406 I Ging, 183Das Bild

Das Bild

Im See ist Feuer: das Bild der Umwälzung.So ordnet der Edle die Zeitrechnungund macht die Zeiten klar.

Das Feuer unten und der See oben bekämpfen und ver-nichten einander. So findet im Lauf des Jahres auch einKampf der lichten und der dunklen Kraft statt, der sich inden Umwälzungen der Jahreszeiten auswirkt. DerMensch wird Herr über den Wechsel der Natur, wenn erseine Regelmäßigkeit erkennt und den Zeitverlauf ent-sprechend einteilt. Dadurch kommt Ordnung und Klar-heit in den scheinbar chaotischen Wechsel der Zeiten,und man kann sich schon im voraus auf die Erfordernisseder verschiedenen Zeiten einstellen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 374: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.407 I Ging, 184Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Man wird eingewickelt in das Fell einer gelben Kuh.

Änderungen darf man erst unternehmen, wenn es nichtmehr anders möglich ist. Darum ist zunächst äußersteZurückhaltung nötig. Man muß innerlich ganz fest wer-den, sich mäßigen – Gelb ist die Farbe der Mitte, die Kuhist das Symbol der Fügsamkeit – und zunächst nochnichts unternehmen; denn jedes vorzeitige Losschlagenhat üble Folgen.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Am eigenen Tage, da mag man umwälzen.Aufbruch bringt Heil. Kein Makel.

Wenn man alles versucht hat, um die Verhältnisse zu re-formieren, ohne daß es einen Erfolg hatte, dann ergibtsich die Notwendigkeit einer Revolution. Allein eine sol-che tiefgreifende Umwälzung muß wohl vorbereitet sein.Es muß ein Mann da sein, der die Fähigkeiten und das öf-fentliche Vertrauen besitzt. Einem solchen Mann magman sich dann zuwenden. Das bringt Heil und ist keinFehler. Es handelt sich zunächst erst um die innere Stel-lung zu dem Neuen, das kommen muß. Man muß ihmgleichsam entgegengehen. Nur dadurch wird es vorberei-tet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 375: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.408 I Ging, 185Die einzelnen Linien

Neun auf drittem Platz bedeutet:Aufbruch bringt Unheil. Beharrlichkeit bringt Gefahr.Wenn die Rede von der Umwälzung dreimal ergangen

ist,dann mag man sich ihm zuwenden und wird Glauben

finden.

Wenn Wechsel nötig ist, dann gibt es zwei Fehler, dieman vermeiden muß. Der eine ist zu rasches und rück-sichtsloses Vorgehen, das mit Unheil verbunden ist. Derandere ist überkonservatives Zögern, das ebenfalls ge-fährlich ist. Man darf nicht auf jede Rede hören, die nachÄnderung des Bestehenden ruft. Aber man darf wieder-holte und wohlbegründete Beschwerden auch nicht über-hören. Wenn dreimal das Wort vom Wechsel an einenkommt und man es wohl überlegt hat, dann mag manihm Glauben schenken und darauf eingehen. Dann wirdman Glauben finden und etwas erreichen1.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Die Reue schwindet. Man findet Glauben.Die Staatsordnung zu wechseln, bringt Heil.

Grundstürzende Änderungen erfordern die nötige Autori-tät. Sowohl die innere Charakterstärke muß da sein alsauch die einflußreiche Stellung. Es muß einer höherenWahrheit entsprechen, was man tut, und darf nicht will-kürlichen oder kleinlichen Motiven entspringen, dannbringt es großes Heil. Wenn keine solche innere Wahrheiteiner Revolution zugrunde liegt, ist sie immer vom Übel

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 376: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.409 I Ging, 185Die einzelnen Linien

und hat keinen Erfolg. Denn die Menschen unterstützenschließlich doch nur solche Unternehmungen, für dereninnere Gerechtigkeit sie ein instinktives Gefühl haben.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Der große Mann ändert wie ein Tiger.Noch ehe er das Orakel fragt, findet er Glauben.

Ein Tigerfell mit seinen deutlich sichtbaren schwarzenStreifen auf gelbem Grund ist weithin sichtbar deutlichgegliedert. So ist es bei Umwälzungen, die ein großerMann zustande bringt: es werden große, klare Richtliniensichtbar, die jedermann verstehen kann. So braucht ernicht erst das Orakel zu fragen, denn ganz von selbst fälltihm das Volk zu.

Oben eine Sechs bedeutet:Der Edle ändert wie ein Panther.Der Geringe mausert sich im Gesicht.Aufbruch bringt Unheil.In Beharrlichkeit weilen bringt Heil.

Nachdem die großen grundsätzlichen Fragen entschiedensind, sind noch Umgestaltungen im einzelnen und ge-nauere Durchführungen notwendig. Diese sind zu ver-gleichen mit den ebenfalls deutlichen, aber kleinerenFlecken des Pantherfells. Auch bei den Geringen findetinfolge davon eine Änderung statt. Sie mausern sichebenfalls der neuen Ordnung entsprechend. Freilich istdiese Mauserung nicht tiefgehend, aber das läßt sich auch

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 377: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.410 I Ging, 185Die einzelnen Linien

nicht erwarten. Man muß sich mit dem Möglichen zufrie-den geben. Wollte man zu weit gehen und zu viel errei-chen wollen, so würde das zur Beunruhigung und zumUnheil ausschlagen. Denn was durch eine große Umwäl-zung erstrebt werden soll, sind klare, gefestigte Zustände,die eine allgemeine Beruhigung bei dem zur Zeit Mögli-chen gewähren.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 378: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.411 I Ging, 185Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Vergleiche dazu in Goethes Märchen das dreimali-ge: »Es ist an der Zeit«, ehe die große Umwälzungeintritt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 379: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.412 I Ging, 18650. Ding / Der Tiegel

50. Ding / Der Tiegel

oben Li, das Haßende, das Feuerunten Sun, das Sanfte, der Wind, das Holz

Das ganze Zeichen ist das Bild des Tiegels, unten dieBeine, dann der Bauch, dann die Ohren, bzw. Henkel,und oben die Ringe zum Tragen. Das Bild des Tiegelslegt gleichzeitig den Gedanken der Ernährung nahe. DerTiegel, aus Bronze gegossen, war das Gerät, das im Ah-nentempel und bei Festmählern die gekochten Speisenenthielt. Aus ihm wurden sie vom Hausherrn in dieSchüsseln der Gäste geschöpft.

Auch der Brunnen hat den Nebengedanken der Nah-rungsspende, aber mehr für das Volk. Der Tiegel alsGerät der verfeinerten Kultur legt Pflege und Ernährungder tüchtigen Männer nahe, deren Pflege der Staatsregie-rung zugute kam (vgl. die vier Zeichen der Ernährung,Nr. 5, 27, 48, 50).

Dieses Zeichen und das Zeichen »Brunnen« sind diebeiden einzigen Zeichen im Buch der Wandlungen, diekonkrete künstliche Gegenstände darstellen. Allein auchhier hat der Gedanke seine abstrakte Seite. Unten Sun istHolz und Wind, oben Li ist die Flamme; es stellt also diedurch Holz und Wind entfachte Flamme dar, die eben-falls den Gedanken der Speisenbereitung nahelegt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 380: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.413 I Ging, 187Das Urteil

Das Urteil

Der Tiegel. Erhabenes Heil. Gelingen.

Während der Brunnen die soziale Grundlage der Gesell-schaft behandelt, die wie das Wasser ist, das dem Holzzur Nahrung dient, so wird hier der kulturelle Überbauder Gesellschaft angedeutet. Hier ist es das Holz, das derFlamme, dem Geistigen, zur Nahrung dient. Alles Sicht-bare muß sich steigern und fortsetzen ins Unsichtbarehinein. Dadurch bekommt es die rechte Weihe und rechteKlarheit und wurzelt in den Weltzusammenhängen fest.

So ist hier die Kultur gezeigt, wie sie ihren Gipfel inder Religion hat. Der Tiegel dient zum Opfern für Gott.Das höchste Irdische muß dem Göttlichen geopfert wer-den. Aber das wahrhaft Göttliche zeigt sich nicht abge-sondert vom Menschlichen. Gottes höchste Offenbarungist in Propheten und Heiligen. Ihre Verehrung ist diewahre Gottesverehrung. Der Wille Gottes, der durch siegeoffenbart wird, muß demütig entgegengenommen wer-den, dann entsteht eine innere Erleuchtung und daswahre Weltverständnis, das zu großem Heil und Erfolgführt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 381: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.414 I Ging, 187Das Bild

Das Bild

Über dem Holz ist Feuer: das Bild des Tiegels.So festigt der Edledurch Richtigmachung der Stellung das Schicksal.

Das Holz ist das Schicksal des Feuers; solange es untenvorhanden ist, brennt das Feuer oben. So ist es mit demmenschlichen Leben. Auch im Menschen ist ein Schick-sal, das seinem Leben die Kraft verleiht. Und wenn es ge-lingt, dem Leben und Schicksal den richtigen Platz anzu-weisen, dann festigt man das Schicksal, indem so dasLeben unmittelbar im Einklang mit dem Schicksal ist. Esfinden sich in diesen Worten Andeutungen über die Pfle-ge des Lebens, wie sie durch die Geheimlehre der chine-sischen Yogapraxis von Mund zu Mund überliefert wer-den.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 382: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.415 I Ging, 187Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Ein Tiegel mit umgekippten Beinen.Fördernd zur Entfernung des Stockenden.Man nimmt eine Nebenfrau um ihres Sohns willen.Kein Makel.

Wenn man den Tiegel umkehrt, ehe man ihn in Ge-brauch nimmt, so hat das nichts zu sagen; im Gegenteil,der Unrat kommt auf diese Weise heraus. Eine Neben-frau ist an sich niedrig stehend, aber weil sie einen Sohnhat, kommt sie zu Ehren.

Diese beiden Gleichnisse drücken den Gedanken aus,daß in Zeiten hoher Kultur, wie sie durch das Zeichen an-gedeutet sind, jedermann, der guten Willens ist, irgend-wie ankommen kann. Wenn man noch so niedrig ist,wenn man nur bereit ist, sich zu reinigen, so wird manangenommen. Man kommt in eine Lage, da man sichfruchtbar an Leistungen erweisen kann und infolgedavon Anerkennung findet.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Im Tiegel ist Nahrung.Meine Genossen haben Neid,aber sie können mir nichts anhaben.Heil!

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 383: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.416 I Ging, 188Die einzelnen Linien

In Zeiten hoher Kultur kommt alles darauf an, daß manwirklich etwas leistet. Wenn man sich nur auf diese wirk-lichen Leistungen verläßt, so wird man zwar vielleichtNeid und Mißgunst erleben, aber das ist nicht gefährlich.Je mehr man sich auf seine positiven Leistungen be-schränkt, desto weniger können einem die Neider anha-ben.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Der Henkel des Tiegels ist verändert.Man ist behindert in seinem Wandel.Das Fett des Fasans wird nicht gegessen.Wenn erst der Regen fällt, dann erschöpft sich die

Reue.Endlich kommt Heil.

Der Henkel ist die Stelle, an der der Tiegel aufgehobenwird. Wenn der Henkel sich ändert, so kann der Tiegelnicht aufgehoben und benutzt werden, und die schönenSpeisen, die darin sind, wie das Fett von Fasanen, dienenbedauerlicherweise niemand zur Nahrung.

Es ist damit jemand gezeichnet, der in einer Zeit hoherKultur an einer Stelle sich befindet, wo er von niemandbeachtet und anerkannt wird. Das ist für sein Wirken eineschwere Hemmung. Seine ganzen guten Eigenschaftenund Geistesgaben werden auf diese Weise nutzlos ver-braucht. Allein man muß nur dafür sorgen, daß man in-nerlich wirklich geistigen Besitz hat. Dann wird sicherschließlich die Zeit kommen, da die Hemmnisse sichlösen und alles gut geht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 384: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.417 I Ging, 189Die einzelnen Linien

Die Lösung der Spannung ist hier wie sonst durch dasFallen des Regens symbolisiert.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Der Tiegel bricht die Beine.Das Mahl des Fürsten wird verschüttet,und die Gestalt wird befleckt.Unheil!

Man hat eine schwere, verantwortungsvolle Aufgabe,deren Erfüllung man nicht gewachsen ist. Da man zudemsich dieser Aufgabe nicht mit voller Kraft widmet, son-dern sich mit niedrigstehenden Menschen abgibt, so miß-lingt die Durchführung. Damit bringt man sich auchselbst in Schimpf und Schande. Kungtse sagt darüber:»Schwacher Charakter bei geehrter Stellung, geringesWissen und große Pläne, kleine Kraft und schwere Ver-antwortung werden selten dem Unheil entgehen.«

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Der Tiegel hat gelbe Henkel, goldne Tragringe.Fördernd ist Beharrlichkeit.

Es ist ein Mann an herrschender Stelle, der in seinemWesen zugänglich und bescheiden ist. Durch diese innereHaltung gelingt es ihm, starke und tüchtige Gehilfen zufinden, die ihn ergänzen und ihm bei seinem Werk hel-fen. Es ist wichtig, daß man sich in dieser Stellungnahme,die einer dauernden inneren Selbstverleugnung bedarf,nicht irremachen läßt, sondern daran festhält.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 385: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.418 I Ging, 189Die einzelnen Linien

Oben eine Neun bedeutet:Der Tiegel hat Nephritringe. Großes Heil!Nichts, das nicht fördernd wäre.

Beim vorigen Strich sind die Tragringe golden genannt,um ihre Stärke zu bezeichnen. Hier heißen sie von Ne-phrit. Der Nephrit zeichnet sich dadurch aus, daß er Härtemit einem milden Glanz vereinigt. Vom Standpunkt desMannes aus, der für den Rat zugänglich ist, wirkt dieserRat als starke Förderung. Hier ist der Rat bezeichnet vomStandpunkt des Weisen aus, der ihn erteilt. Er wird dabeimilde und geläutert sein wie edler Nephrit. Auf dieseWeise findet das Werk Wohlgefallen vor den Augen derGottheit, die großes Heil spendet, und wird angenehm beiMenschen, weshalb alles gut geht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 386: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.419 I Ging, 18951. Dschen / Das Erregende

51. Dschen / Das Erregende

(Das Erschüttern, der Donner)

oben Dschen, das Erregende, der Donnerunten Dschen, das Erregende, der Donner

Das Zeichen Dschen ist der älteste Sohn, der die Herr-schaft energisch und machtvoll ergreift. Ein Yangstrichentsteht unter zwei Yinstrichen und dringt machtvollempor. Diese Bewegung ist so heftig, daß sie Schreckenerregt. Als Bild dient der Donner, der aus der Erde her-vorbricht und durch seine Erschütterung Furcht und Zit-tern verursacht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 387: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.420 I Ging, 190Das Urteil

Das Urteil

Das Erschüttern bringt Gelingen.Das Erschüttern kommt: Hu, Hu!Lachende Worte: Ha, Ha!Das Erschüttern erschreckt hundert Meilen,und er läßt nicht Opferlöffel und Kelch fallen.

Die Erschütterung, die durch das Hervortreten Gottes imInnern der Erde aufsteigt, macht, daß der Mensch sichfürchtet, aber diese Furcht vor Gott ist etwas Gutes; dennsie bewirkt, daß Fröhlichkeit und Freude folgen kann.Wenn man innerlich gelernt hat, was Furcht und Zitternist, so ist man gegen den Schrecken durch äußere Ein-flüsse gesichert. Wenn auch der Donner tost, also, daß erhundert Meilen im Umkreis erschreckt, so bleibt man in-nerlich so gefaßt und ehrerbietig, daß man die Opfer-handlung nicht unterbricht. Ein solcher tiefer, innererErnst, der alle äußeren Schrecken machtlos abprallen läßt,ist die Geistesverfassung, wie sie die Führer der Men-schen und die Herrscher haben müssen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 388: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.421 I Ging, 190Das Bild

Das Bild

Fortgesetzter Donner: das Bild des Erschütterns.So macht der Edle unter Furcht und Zittern sein

Leben rechtund erforscht sich selbst.

Der fortgesetzte Donner bringt durch seine ErschütterungFurcht und Zittern mit sich. So steht der Edle stets in Ehr-furcht vor dem Hervortreten Gottes und bringt seinLeben in Ordnung und erforscht sein Herz, ob nichts imgeheimen dem Willen Gottes widerspricht. So ist die Ehr-furcht die Grundlage der wahrhaftigen Lebensbildung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 389: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.422 I Ging, 191Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Das Erschüttern kommt: Hu, Hu!Darauf folgen lachende Worte: Ha, Ha!Heil!

Furcht und Zittern der Erschütterung kommt zuerst aneinen, so daß man den andern gegenüber sich in Nachteilgestellt sieht. Aber das ist nur vorläufig. Wenn man durchdas Gericht hindurch ist, so kommt die Erleichterung.Und so bringt gerade der Schrecken, in den man zunächsthinein muß, im ganzen betrachtet, Heil.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Das Erschüttern kommt mit Gefahr.Hunderttausendfach verlierst du deine Schätzeund mußt auf die neun Hügel steigen.Jage ihnen nicht nach.Nach sieben Tagen bekommst du sie wieder.

Es ist eine Lage gezeichnet, da man durch eine Erschütte-rung in Gefahr gerät und große Verluste erleidet. DieVerhältnisse sind so, daß Widerstand der Richtung derZeitbewegung entgegen ist und daher keinen Erfolg hat.Darum soll man sich einfach zurückziehen in Höhenge-biete, die unzugänglich sind für die drohenden Gefahren.Die Verluste an Besitz muß man mit in Kauf nehmen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 390: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.423 I Ging, 191Die einzelnen Linien

und soll sich nicht übermäßig darum kümmern. Ohnedaß man dem Besitz nachjagt, wird man ihn von selberwiederbekommen, wenn die Zeit vorüber ist, deren Er-schütterungen den Besitz geraubt haben.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Das Erschüttern kommt und macht fassungslos.Wenn man infolge des Erschütterns handelt,so bleibt man frei von Unglück.

Es gibt dreierlei Erschütterungen: die Erschütterung desHimmels, das ist der Donner, ferner die Erschütterungdes Schicksals und endlich die Erschütterung des Her-zens.

Hier handelt es sich weniger um innere Erschütterungals um die Erschütterung des Schicksals. In solchen Er-schütterungszeiten verliert man zu leicht die Besonnen-heit, so daß man alle Möglichkeiten des Handelns ver-kennt und stumm dem Schicksal den Lauf läßt. Wennman sich durch die Erschütterung des Schicksals zu inne-rer Bewegung bringen läßt, so wird man die äußerenSchicksalsschläge ohne große Mühe überwinden.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Das Erschüttern gerät in Schlamm.

Die innere Bewegung hängt in ihrem Erfolg zum Teilauch von den Umständen ab. Wenn die Umstände sosind, daß weder Widerstand vorhanden ist, der sich ener-gisch bekämpfen ließe, noch die Dinge nachgeben, so

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 391: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.424 I Ging, 192Die einzelnen Linien

daß ein Sieg errungen werden kann, sondern alles zähund träge ist wie Schlamm, so wird die Bewegung ge-lähmt.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Das Erschüttern geht hin und her: Gefahr.Aber man verliert durchaus nichts,nur gibt es Geschäfte.

Es ist hier nicht nur eine einmalige Erschütterung, son-dern eine wiederholte, die gar keine Zeit zum Aufatmenläßt. Aber dennoch bringt die Erschütterung keinen Ver-lust, da man darauf bedacht ist, sich im Zentrum der Be-wegung zu halten und dadurch von dem Schicksal befreitzu sein, wehrlos hin und her geworfen zu werden.

Oben eine Sechs bedeutet:Das Erschüttern bringt Verfall und ängstliches

Umherblicken.Vorangehen bringt Unheil.Wenn es noch nicht den eignen Leib erreicht,sondern erst den Nachbar erreicht hat,so ist kein Makel.Die Genossen haben zu reden.

Die innere Erschütterung raubt einem die Besinnung undKlarheit des Blickes, wenn sie aufs höchste gestiegen ist.In einer solchen Erschütterung ist es natürlich nicht mög-lich, besonnen zu handeln. Da ist es das richtige, sich

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 392: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.425 I Ging, 192Die einzelnen Linien

stillzuhalten, bis die Ruhe und Klarheit sich wiedergefun-den hat.

Dazu ist man aber nur imstande, solange man selbstnoch nicht von der Aufregung angesteckt ist, währendman an der Umgebung schon die unheilvollen Wirkun-gen einer solchen Erregung beobachten kann. Zieht mansich nun rechtzeitig von der Handlung zurück, so bleibtman frei von Fehlern und Schaden. Aber die Genossen inihrer Erregung, die sich nicht mehr warnen lassen, wer-den sicher mit einem unzufrieden sein. Allein darauf darfman keine Rücksicht nehmen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 393: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.426 I Ging, 19352. Gen / Das Stillehalten, der Berg

52. Gen / Das Stillehalten, der Berg

oben Gen, das Stillehalten, der Bergunten Gen, das Stillehalten, der Berg

Das Bild des Zeichens ist der Berg, der jüngste Sohn vonHimmel und Erde. Das Männliche ist oben, wohin es sei-ner Natur nach strebt, das Weibliche unten, wohin seineBewegungsrichtung führt. So ist Ruhe vorhanden, da dieBewegung ihr normales Ende erreicht hat.

Auf den Menschen angewandt, ist das Problem ge-zeigt, die Ruhe des Herzens zu erlangen. Das Herz istsehr schwer zur Ruhe zu bringen. Während der Buddhis-mus die Ruhe erstrebt durch Abklingen jeglicher Bewe-gung im Nirwana, ist der Standpunkt des Buchs derWandlungen, daß Ruhe nur ein polarer Zustand ist, derals seine Ergänzung dauernd die Bewegung hat.

Vielleicht sind in den Worten des Textes Anweisungenzur Yogaübung enthalten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 394: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.427 I Ging, 193Das Urteil

Das Urteil

Stillehalten seines Rückens,so daß er seinen Leib nicht mehr empfindet.Er geht in seinen Hof und sieht nicht seine Menschen.Kein Makel.

Die wahre Ruhe ist die, daß man stillehält, wenn die Zeitgekommen ist, stillezuhalten, und daß man vorangeht,wenn die Zeit gekommen ist, voranzugehen. Auf dieseWeise ist Ruhe und Bewegung in Übereinstimmung mitden Erfordernissen der Zeit, und dadurch gibt es Lichtdes Lebens.

Das Zeichen ist Ende und Anfang aller Bewegung. DerRücken wird genannt, weil im Rücken alle Nervensträn-ge sich befinden, die die Bewegung vermitteln. Wennman die Bewegung dieser Rückenmarksnerven zum Still-stand bringt, so verschwindet sozusagen das Ich in seinerUnruhe. Wenn nun der Mensch innerlich so ruhig gewor-den ist, dann mag er sich der Außenwelt zuwenden. Ersieht in ihr nicht mehr den Kampf und das Gewühl derEinzelwesen und hat deshalb die wahre Ruhe, wie sienötig ist, um die großen Gesetze des Weltgeschehens zuverstehen und dementsprechend zu handeln. Wer aus die-ser Tiefenlage heraus handelt, der macht keinen Fehler.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 395: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.428 I Ging, 193Das Bild

Das Bild

Zusammenstehende Berge: das Bild des Stillehaltens.So geht der Edle mit seinen Gedanken nicht über

seineLage hinaus.

Das Herz denkt dauernd. Das läßt sich nicht ändern. Aberes sollen die Bewegungen des Herzens, d.h. die Gedan-ken, sich auf die gegenwärtige Lebenslage beschränken.Alles Darüberhinausdenken macht das Herz nur wund1.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 396: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.429 I Ging, 194Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Stillehalten seiner Zehen.Kein Makel.Fördernd ist dauernde Beharrlichkeit.

Das Ruhigbleiben der Zehen bedeutet ein Stehenbleiben,noch ehe man angefangen hat, sich zu bewegen. Der An-fang ist die Zeit, da man wenig Fehler macht. Man istnoch in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Un-schuld. Man sieht die Dinge intuitiv, wie sie sind, nochunbeeinflußt von der Verdunkelung durch Interessen undBegehrlichkeit. Wer anfangs stillesteht, solange er dieWahrheit noch nicht verlassen hat, der findet das richtige.Nur ist dauernde Festigkeit nötig, damit man nicht in einwillenloses Sichtreibenlassen hineingerät.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Stillehalten seiner Waden.Er kann den nicht retten, dem er folgt.Sein Herz ist nicht froh.

Das Bein kann sich nicht selbständig bewegen, sondernist in seiner Bewegung abhängig von der Bewegung desLeibes. Wenn der Leib in starker Bewegung ist und dasBein wird plötzlich angehalten, so führt die weitergehen-de Bewegung des Leibes dazu, daß der Mensch fällt.

So ist es auch mit einem Menschen, der sich im Gefol-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 397: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.430 I Ging, 195Die einzelnen Linien

ge einer stärkeren Persönlichkeit befindet. Er wird mitge-rissen. Selbst wenn er auf der Bahn des Unrechts einhält,so kann er doch den andern in seiner starken Bewegungnicht mehr aufhalten. Wo der Herr vorwärts drängt, kannihn der Diener, auch wenn er es noch so gut meint, nichtretten.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Stillehalten seiner Hüften.Steifmachen seines Kreuzbeins.Gefährlich. Das Herz erstickt.

Es handelt sich hier um erzwungene Ruhe. Das Herz, dasin der Unruhe ist, soll gewaltsam gebändigt werden. Aberdas Feuer, das gewaltsam zurückgedrängt wird, wandeltsich zu beizendem Rauch, der erstickend sich ausbreitet.

Bei Meditations- und Konzentrationsübungen darfman daher nicht gewaltsam vorgehen. Sondern die Ruhemuß sich ganz natürlich aus einem Zustand innererSammlung heraus entwickeln. Wenn gewaltsam durchkünstliches Steifhalten die Ruhe erzwungen werden soll,so wird die Meditation zu großen Unzuträglichkeiten füh-ren.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Stillehalten seines Rumpfes.Kein Makel.

Ruhighalten des Rückens, wie es in den Worten zum Ge-samtzeichen erwähnt ist, bedeutet, daß man das Ich ver-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 398: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.431 I Ging, 195Die einzelnen Linien

gißt. Das ist die höchste Stufe der Ruhe. Hier ist dieseStufe der Ruhe noch nicht erreicht. Man vermag es zwarschon, das Ich mit seinen Gedanken und Regungen stille-zuhalten. Aber man wird doch noch nicht ganz freidavon. Immerhin ist das Stillehalten des Herzens einewichtige Funktion, die mit der Zeit zum völligen Aus-schalten der egoistischen Triebe führt. Wenn man auchnoch nicht von allen Gefahren des Zweifels und der Un-ruhe frei bleibt, so ist dennoch diese Gemütshaltung, dasie auf dem Weg zu jener andern, höheren liegt, kein Feh-ler.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Stillehalten seiner Kinnladen.Die Worte haben Ordnung.Die Reue schwindet.

In gefährlicher Lage, namentlich solange man der Lagenicht gewachsen ist, ist man sehr leicht mit Reden undvorlauten Scherzen bei der Hand. Aber durch unvorsich-tiges Reden kommt man leicht in Situationen, da mannachher manches zu bereuen hat. Allein, wenn man sichim Reden zurückhält, so bekommen die Worte immermehr eine feste Gestalt, und dann verschwindet jederAnlaß zur Reue.

Oben eine Neun bedeutet:Großzügiges Stillehalten.Heil!

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 399: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.432 I Ging, 195Die einzelnen Linien

Hier ist die Vollendung der Bemühung zur Ruhe gege-ben. Man ist ruhig nicht in kleinlich abgezirkelter Weiseim einzelnen, sondern eine allgemeine Resignation imganzen gibt Ruhe und Heil für alles Einzelne.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 400: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.433 I Ging, 195Die einzelnen Linien

Fußnoten

1 Vergl. Goethe:»Sehnsucht ins Ferne, Künftige zu beschwichtigen,Beschäftige dich hier und heut im Tüchtigen.«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 401: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.434 I Ging, 19653. Dsien / Die Entwicklung

53. Dsien / Die Entwicklung

(Allmählicher Fortschritt)

oben Sun, das Sanfte, der Wind, das Holzunten Gen, das Stillehalten, der Berg

Das Zeichen besteht aus Sun (Holz, Eindringen) obenbzw. außen und Gen (Berg, Stille) unten bzw. innen. EinBaum auf dem Berg entwickelt sich langsam und ord-nungsgemäß, infolge davon steht er festgewurzelt. Da-durch ergibt sich der Gedanke der Entwicklung, dieSchritt für Schritt allmählich weitergeht. Auch die Eigen-schaften der Figuren deuten darauf hin: Innen ist Ruhe,die vor Unbesonnenheiten schützt, und außen Eindrin-gen, das die Entwicklung und den Fortschritt ermöglicht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 402: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.435 I Ging, 196Das Urteil

Das Urteil

Die Entwicklung. Das Mädchen wird verheiratet.Heil!

Fördernd ist Beharrlichkeit.

Zögernd ist die Entwicklung, die dazu führt, daß dasMädchen dem Mann in sein Heim folgt. Es müssen dieverschiedenen Formalitäten erledigt werden, ehe die Hei-rat zustande kommt. Diese allmähliche Entwicklungkann auch auf andere Verhältnisse übertragen werden,immer, wenn es sich um korrekte Beziehungen der Zu-sammenarbeit handelt, z.B. bei Anstellung eines Beam-ten. Da muß eine korrekte Entwicklung abgewartet wer-den. Ein überstürztes Vorgehen wäre nicht gut. Ebensoist es schließlich, wo man Einfluß auf andere ausübenwill. Auch da handelt es sich um einen korrekten Wegder Entwicklung durch die Kultur der eigenen Persön-lichkeit. Aller agitatorische Einfluß wirkt nicht auf dieDauer.

Auch im Innern muß die Entwicklung denselben Wegnehmen, wenn dauernde Resultate erreicht werden sol-len.

Das Sanfte, sich Anpassende, aber doch auch Eindrin-gende ist das Äußere, das aus innerer Ruhe hervorgehenmuß.

Gerade das Allmähliche der Entwicklung macht es not-wendig, daß Beständigkeit vorhanden ist. Denn nur dieBeständigkeit bewirkt, daß der langsame Fortschritt sichdoch nicht im Sande verläuft.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 403: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.436 I Ging, 197Das Bild

Das Bild

Auf dem Berge ist ein Baum: das Bild derEntwicklung.

So weilt der Edle in würdiger Tugend,um die Sitten zu bessern.

Der Baum auf dem Berge ist weithin sichtbar, und seineEntwicklung ist von Einfluß auf das Landschaftsbild derganzen Gegend. Er schießt nicht empor wie die Sumpfge-wächse, sondern sein Wachstum geht allmählich vor sich.Die Wirkung auf die Menschen kann auch nur allmählichsein. Keine plötzliche Beeinflussung oder Erweckung istnachhaltig. Ganz allmählich muß der Fortschritt sein.Und um diesen Fortschritt in der öffentlichen Meinung,den öffentlichen Sitten zu erreichen, ist es nötig, daß diePersönlichkeit Einfluß und Schwerkraft bekommt. Diesgeschieht durch sorgfältige und dauernde Arbeit an dereigenen moralischen Entwicklung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 404: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.437 I Ging, 197Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Die Wildgans zieht allmählich dem Ufer zu.Der junge Sohn ist in Gefahr.Es gibt Gerede. Kein Makel.

Die einzelnen Linien haben alle den allmählichen Zug derWildgans zum Bild. Die Wildgans ist das Symbol derehelichen Treue. Es heißt von ihr, daß sie nach dem Toddes Gatten sich nicht mit anderen vereinigt.

Die erste Linie zeigt die erste Station auf dem Zug derWasservögel vom Wasser zur Höhe. Das Ufer wird er-reicht. Die Lage ist die eines einsamen jungen Menschen,der anfangen will, sich im Leben durchzusetzen. Weil erniemand hat, der ihm entgegenkommt, sind seine erstenSchritte langsam und zögernd, und er ist von Gefahr um-geben. Natürlich wird er vielfach kritisiert. Aber geradedie Schwierigkeiten machen, daß er sich nicht übereiltund sein Fortschritt gelingt.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Die Wildgans zieht allmählich dem Felsen zu.Essen und Trinken in Frieden und Eintracht. Heil!

Der Fels ist ein sicherer Platz am Ufer. Die Entwicklungist einen Schritt weiter. Man ist über die anfängliche Un-sicherheit hinaus und hat eine gesicherte Lebensstellunggefunden, durch die man einen auskömmlichen Lebens-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 405: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.438 I Ging, 198Die einzelnen Linien

unterhalt hat. Dieser erste Erfolg, der die Bahn der Mög-lichkeit des Wirkens eröffnet, gibt der Stimmung eine ge-wisse Fröhlichkeit, und beruhigt schreitet man der Zu-kunft zu.

Von der Wildgans heißt es, daß sie ihre Genossen her-beiruft, wenn sie Futter findet; das ist das Bild des Frie-dens und der Eintracht im Glück. Man will sein Glücknicht für sich allein haben, sondern ist bereit, es mit an-dern zu teilen.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Die Wildgans zieht allmählich der Hochebene zu.Der Mann zieht aus und kehrt nicht wieder.Die Frau trägt ein Kind, aber bringt es nicht zur Welt.Unheil!Fördernd ist es, Räuber abzuwehren.

Die trockene Hochebene ist nicht für die Wildgans. Ziehtsie dorthin, so hat sie ihren Weg verloren und ist zu weitgegangen. Das widerspricht dem Gesetz der Entwick-lung.

So geht es auch im Menschenleben. Wenn man nichtdie Dinge sich ruhig entwickeln läßt, sondern von sichaus sich voreilig in den Kampf stürzt, so bringt das Un-heil. Das eigene Leben schlägt man in die Schanze, unddie Familie geht darüber zugrunde. Aber das ist keines-wegs notwendig, sondern nur die Folge davon, daß mandas Gesetz der natürlichen Entwicklung übertritt. Wennman nicht von sich aus den Kampf aufsucht, sondernsich darauf beschränkt, seinen Platz kraftvoll zu behaup-ten und unberechtigte Angriffe abzuwehren, so geht alles

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 406: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.439 I Ging, 199Die einzelnen Linien

gut.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Die Wildgans zieht allmählich dem Baume zu.Vielleicht bekommt sie einen flachen Ast. Kein

Makel.

Der Baum ist kein Platz, der für eine Wildgans geeignetist. Aber wenn sie klug ist, findet sie einen flachen Ast,auf dem sie stehen kann. Im Leben kommt man im Laufder Entwicklung auch oft in Situationen, die einem nichtentsprechen, in denen man sich schwer ohne Gefahr be-haupten kann. Da ist es wichtig, daß man klug und nach-giebig ist. Dann kann man mitten in der Gefahr einen si-cheren Platz ausfindig machen, an dem sich leben läßt.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Die Wildgans zieht allmählich dem Gipfel zu.Die Frau bekommt drei Jahre lang kein Kind.Endlich kann sie nichts verhindern. Heil!

Der Gipfel ist ein hoher Platz. Auf hoher Stelle gerät manleicht in Vereinsamung. Man wird verkannt von dem, aufden man angewiesen ist: die Frau von ihrem Mann, derBeamte von seinem Herrn. Die Ursache davon sind fal-sche Menschen, die sich dazwischen gedrängt haben. DieFolge ist, daß die Beziehungen steril bleiben und nichtsgeleistet wird. Aber die Entwicklung bringt es mit sich,daß solche Mißverständnisse sich lösen und die Vereini-gung schließlich doch zustande kommt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 407: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.440 I Ging, 199Die einzelnen Linien

Oben eine Neun bedeutet:Die Wildgans zieht allmählich den Wolkenhöhen zu.Ihre Federn können zum heiligen Tanz verwendet

werden.Heil!

Hier ist das Leben abgeschlossen. Das Werk liegt vollen-det da. Hoch erhebt sich seine Bahn in den Himmel, wieder Flug der Wildgänse, wenn sie jeden irdischen Bodenverlassen haben. Da fliegen sie hin und halten die Ord-nung ihres Fluges ein, Figuren strenger Linien bildend.

Und wenn ihre Federn herunterfallen, so können siezum Schmuck bei den heiligen Tempeltanzpantomimenverwendet werden.

So ist das Leben eines vollendeten Menschen ein hellesLicht für die Menschen der Erde, die zu ihm als Vorbildaufsehen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 408: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.441 I Ging, 20054. Gui me / Das Heiratende Mädchen

54. Gui me / Das Heiratende Mädchen

oben Dschen, das Erregende, der Donnerunten Dui, das Heitere, der See

Oben ist Dschen, der älteste Sohn, unten Dui, die jüngsteTochter. Der Mann geht voran, das Mädchen folgt ihmerfreut. Es wird der Eintritt des Mädchens in das Hausdes Mannes geschildert. Es gibt im ganzen vier Zeichen,die die Beziehungen zwischen Gatten schildern. Nr. 31,Hiën, »allseitiger Einfluß«, schildert die Anziehung, dieein junges Paar aufeinander ausübt. Nr. 32, Hong, »dieDauer«, schildert die dauernden Verhältnisse der Ehe. Nr.53, Dsiën, »die Entwicklung«, schildert die zögerndenund zeremoniellen Vorgänge beim Abschluß einer kor-rekten Ehe. Gui Me, »die Heirat des Mädchens«, endlichzeigt einen älteren Mann, dem ein junges Mädchen zurEhe folgt.

Bemerkung: In China herrscht formell die Einehe.Jeder Mann hat nur eine offizielle Frau. Diese Verbin-dung, die weniger die beiden Beteiligten als die Familienangeht, wird unter strenger Beobachtung der Formen ge-schlossen. Doch behält der Mann das Recht, auch denzarteren Neigungen persönlicher Art Gehör zu schenken.Ja es ist die schönste Pflicht einer guten Frau, ihm darinbehilflich zu sein. Auf diese Weise wird das Verhältnisein schönes und offenes. Das Mädchen, das nach der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 409: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.442 I Ging, 20054. Gui me / Das Heiratende Mädchen

Wahl des Mannes in die Familie eintritt, ordnet sich derHausfrau bescheiden unter als jüngere Schwester. Selbst-verständlich handelt es sich hier um sehr heikle und zarteFragen, die viel Takt auf jeder Seite erfordern. Dochwenn die Umstände günstig sind, findet sich hier die Lö-sung eines Problems, die der europäischen Kultur nichtgelungen ist. Selbstverständlich entspricht die Weiblich-keit in China so wenig dem Ideal, wie die Ehen in Europadurchschnittlich im Einklang mit den europäischen Ehei-dealen sind.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 410: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.443 I Ging, 200Das Urteil

Das Urteil

Das heiratende Mädchen.Unternehmungen bringen Unheil.Nichts, das fördernd wäre.

Ein Mädchen, das in die Familie aufgenommen ist, ohneHauptfrau zu sein, muß sich besonders vorsichtig und zu-rückhaltend benehmen. Es darf sich nicht von sich ausaufmachen, um die Hausfrau zu verdrängen, denn daswürde Unordnung bedeuten, und man käme dadurch inunhaltbare Verhältnisse.

Das bezieht sich auf alle freien Verhältnisse unterMenschen. Während die rechtlich geordneten Verhältnis-se einen festen Zusammenhang von Pflichten und Rech-ten aufweisen, beruhen die Neigungsverhältnisse derMenschen in ihrer Dauer rein auf taktvoller Zurückhal-tung.

Diese Neigung als Prinzip der Beziehungen ist vongrößter Bedeutung in allen Verhältnissen der Welt, dennaus der Vereinigung von Himmel und Erde kommt derBestand der ganzen Natur, und ebenso ist unter den Men-schen die freie Neigung als Prinzip der Vereinigung An-fang und Ende.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 411: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.444 I Ging, 201Das Bild

Das Bild

Oberhalb des Sees ist der Donner:das Bild des heiratenden Mädchens.So erkennt der Edle durch die Ewigkeit des Endes dasVergängliche.

Der Donner erregt das Wasser des Sees, das ihm inschimmernden Wellen folgt. Das ist das Bild des Mäd-chens, das dem Manne seiner Wahl folgt. Allein jede Ver-bindung von Menschen untereinander schließt die Gefahrin sich, daß sich Verirrungen einschleichen, die zu endlo-sen Mißverständnissen und Unzuträglichkeiten führen.Darum gilt es, das Ende dauernd in Betracht zu ziehen.Wenn man sich treiben läßt, kommt man zusammen undgeht wieder auseinander, wie es der Tag fügt. Wenn mandagegen ein dauerhaftes Ende ins Auge faßt, so wird eseinem gelingen, die Klippen zu umgehen, die näherenBeziehungen der Menschen untereinander entgegenste-hen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 412: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.445 I Ging, 201Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Das heiratende Mädchen als Nebenfrau.Ein Lahmer, der auftreten kann.Unternehmungen bringen Heil.

Die Fürsten des Altertums hatten eine feste Rangordnungunter den Palastdamen, die der Königin unterstellt warenwie die jüngeren Schwestern der ältesten. Sie waren auchvielfach aus der Familie der Königin, die sie selbst ihremGatten zuführte.

Der Sinn ist der, daß ein junges Mädchen, wenn sie imEinverständnis mit der Ehefrau in eine Familie eintritt,dieser nach außen hin nicht gleichsteht, sondern beschei-den zurücktreten wird. Aber wenn sie es versteht, sich inden Zusammenhang einzufügen, so bekommt sie eineStellung, die durchaus befriedigend ist, und sie wird sichgeborgen fühlen in der Liebe des Gatten, dem sie Kinderbringt.

Dieselbe Bedeutung ergibt sich in den Beziehungenvon Beamten. Ein Fürst hat vielleicht einen Mann, mitdem er persönlich befreundet ist und den er in sein Ver-trauen zieht. Dieser Mann muß taktvollerweise nachaußen hin zurücktreten hinter den offiziellen Staatsmini-ster. Aber obwohl er durch diese Stellung gehindert istwie ein Lahmer, kann er doch etwas ausrichten durch dieGüte seines Wesens.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 413: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.446 I Ging, 202Die einzelnen Linien

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Ein Einäugiger, der sehen kann.Fördernd ist die Beharrlichkeit eines einsamen

Menschen.

Die Lage ist hier so, daß das Mädchen sich mit einemManne verbunden hat, der sie enttäuscht. Mann und Frausollen zusammenwirken wie die beiden Augen. Hier istdas Mädchen einsam zurückgeblieben. Der Mann ihrerWahl ist entweder untreu geworden oder gestorben. Abersie verliert das innere Licht der Treue nicht. Ob auch dasandere Auge erloschen ist, sie hält die Treue fest auch inder Einsamkeit.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Das heiratende Mädchen als Sklavin.Sie heiratet als Nebenfrau.

Ein Mädchen, das sich in geringer Stellung befindet undkeinen Mann bekommt, kann als Nebenfrau unter Um-ständen noch unterkommen.

Die Situation ist die, daß man allzusehr nach Freudenbegehrt, die man auf normalem Weg nicht erlangen kann.So gibt man sich in eine Lage hinein, die mit der eigenenWürde sich nicht ganz verträgt. Es wird weder ein Urteilnoch eine Warnung beigefügt, sondern einfach die Situa-tion als solche aufgedeckt, so daß sich jeder selbst dieLehre daraus ziehen kann.

Neun auf viertem Platz bedeutet:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 414: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.447 I Ging, 202Die einzelnen Linien

Das heiratende Mädchen verzögert die Frist.Eine späte Heirat kommt zu ihrer Zeit.

Das Mädchen ist sehr gut, will sich nicht wegwerfen undversäumt darüber die übliche Zeit der Ehe. Das schadetaber nichts. Sie wird für ihre Reinheit belohnt und findetschließlich, wenn auch spät, doch noch den für sie be-stimmten Gatten.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Der Herrscher I verheiratet seine Tochter.Da waren die gestickten Kleider der Fürstin

nicht soprächtig wie die der Dienerin.Der Mond, der fast voll ist, bringt Heil.

Der Herrscher I ist Tang, der Vollender. Er hat ein Gesetzerlassen, daß die kaiserlichen Prinzessinnen in der Eheebenfalls ihren Männern untertan sein müssen (vgl. Nr.11, Strich 5). Der Kaiser wartet nicht auf Werbung, son-dern gibt seine Tochter nach freiem Ermessen in die Ehe.Darum ist die Initiative auf Seiten der Familie des Mäd-chens hier in der Ordnung.

Wir sehen hier ein Mädchen vornehmer Abkunft, diein bescheidene Verhältnisse heiratet und sich mit Anmutder neuen Lage anzupassen versteht. Sie ist frei von allerEitelkeit äußeren Schmuckes, vergißt ihren Rang in derEhe und stellt sich unter ihren Gatten, wie der Mond, dernoch nicht ganz voll ist, der Sonne nicht direkt gegen-übertritt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 415: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.448 I Ging, 203Die einzelnen Linien

Oben eine Sechs bedeutet:Die Frau hält den Korb, aber es sind keine Früchte

darin.Der Mann sticht das Schaf, aber es fließt kein Blut.Nichts, das fördernd wäre.

Beim Opfer für die Ahnen mußte die Frau die Früchte ineinem Korb darbringen, der Mann persönlich das Opfer-tier schlachten. Hier werden die Formen nur oberflächlicherfüllt. Die Frau nimmt einen leeren Korb, der Mannsticht ein schon vorher geschlachtetes Schaf, nur ebenum die Form zu wahren. Aber diese unfromme, frivoleGesinnung verheißt kein Glück für die Ehe.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 416: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.449 I Ging, 20355. Fong / Die Fülle

55. Fong / Die Fülle

oben Dschen, das Erregende, der Donnerunten Li, das Haftende, die Flamme

Dschen ist die Bewegung, Li die Flamme, deren Eigen-schaft die Klarheit ist. Im Innern Klarheit, nach außenBewegung, das gibt Größe und Fülle. Es ist eine Zeithoher Kultur, die durch das Zeichen dargestellt wird. Al-lerdings liegt in dem Umstand, daß es sich um ein Höch-stes handelt, auch der Gedanke schon angedeutet, daßdieser außerordentliche Zustand der Fülle sich nicht dau-ernd wird halten lassen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 417: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.450 I Ging, 203Das Urteil

Das Urteil

Die Fülle hat Gelingen.Der König erreicht sie.Sei nicht traurig; du mußt sein wie die Sonne am

Mittag.

Eine Zeit höchster Größe und Fülle herbeizuführen, istnicht jedem Sterblichen beschieden. Es muß ein gebore-ner Herrscher über die Menschen sein, der so etwas ver-mag, weil sein Wille auf das Große gerichtet ist. Die Zeiteiner solchen Fülle ist meist kurz. Ein Weiser könntedaher angesichts des folgenden Niedergangs wohl traurigwerden. Doch ziemt sich solche Trauer nicht für ihn. Nurein Mann, der innerlich frei von Sorge und Kummer ist,kann eine Zeit der Fülle heraufführen. Er muß sein wiedie Sonne am Mittag, die alles unter dem Himmel er-leuchtet und erfreut.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 418: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.451 I Ging, 204Das Bild

Das Bild

Donner und Blitz kommen beide: das Bild der Fülle.So entscheidet der Edle die Prozesse und führt die

Strafen aus.

Das Zeichen hat eine gewisse Beziehung zu dem Zeichen»das Durchbeißen«, Nr. 21, wo ebenfalls Donner undBlitz beisammen sind, aber in umgekehrter Reihenfolge.Während dort die Gesetze festgelegt werden, werden siehier ausgeführt und angewandt. Innen die Klarheit er-möglicht eine genaue Prüfung des Sachverhalts, undaußen die Erschütterung sorgt für strenge und präziseDurchführung der Strafen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 419: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.452 I Ging, 204Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Wenn man seinem bestimmten Herrn begegnet, so

magman zehn Tage beisammen sein, und es ist kein

Fehler.Hingehen findet Anerkennung.

Um eine Zeit der Fülle herbeizuführen, bedarf es der Ver-einigung von Klarheit und energischer Bewegung. Wodiese beiden Eigenschaften in zwei Menschen sich fin-den, da passen diese Menschen zueinander, und auchwenn sie zur Zeit der Fülle einen vollen Kreislauf beisam-men sind, ist es nicht zu lang und kein Fehler. Darummag man hingehen, um zu wirken; es wird Anerkennungfinden.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Der Vorhang ist von solcher Fülle,daß man am Mittag die Polsterne sieht.Durch Hingehen erreicht man Mißtrauen und Haß.Wenn man durch Wahrheit ihn erweckt, kommt Heil.

Oft kommt es vor, daß sich zwischen den Herrscher, derdas Große will, und den Mann, der das Große ausführenkönnte, Intrigen und Parteiränke eindrängen, die verfin-sternd wirken wie eine Sonnenfinsternis. Dann sieht man

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 420: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.453 I Ging, 205Die einzelnen Linien

statt der Sonne die Nordsterne am Himmel. Der Herrwird in den Schatten gedrängt durch eine Partei, die dieHerrschaft an sich gerissen. Wollte man in solcher Zeitetwas Energisches unternehmen, so würde man nur aufMißtrauen und Neid stoßen, die alle Bewegung unmög-lich machen würden. Da gilt es dann, innerlich in derMacht der Wahrheit zu stehen, die schließlich so stark ist,daß sie im Unsichtbaren auf den Herrscher wirkt, so daßalles gut geht.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Das Gestrüpp ist von solcher Fülle,daß man am Mittag die kleinen Sterne sieht.Er bricht seinen rechten Arm. Kein Makel.

Hier wird als Bild die fortschreitende Bedeckung derSonne geschildert. An diesem Punkt ist die Totalität er-reicht, darum sieht man am Mittag selbst die kleinen Ster-ne.

Auf gesellschaftliche Verhältnisse übertragen, ist hierder Fürst so verfinstert, daß auch die unbedeutendstenMenschen sich hervordrängen können. Da ist es füreinen tüchtigen Mann, der die rechte Hand des Herr-schers sein könnte, unmöglich, etwas zu unternehmen.Es ist, als wäre die Hand gebrochen. Aber es ist nichtseine Schuld, daß er auf diese Weise am Handeln verhin-dert ist.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Der Vorhang ist von solcher Fülle,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 421: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.454 I Ging, 205Die einzelnen Linien

daß man am Mittag die Polsterne sieht.Er begegnet seinem gleichen Herrn. Heil!

Hier ist die Finsternis schon im Abnehmen, darum findetsich das einander Entsprechende zusammen. Auch hiermuß die Ergänzung gefunden werden: zur Handelsfreu-digkeit die nötige Weisheit. Dann wird alles gut gehen. Esist hier die umgekehrte Ergänzung in Betracht gezogenwie beim ersten Strich. Dort sollte die Weisheit durchEnergie ergänzt werden, hier die Energie durch Weisheit.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Es kommen Linien, es naht Segen und Ruhm. Heil!

Der herrschende Mann ist bescheiden, so daß er für Ratder Tüchtigen zugänglich ist. So kommen Männer inseine Umgebung, die ihm die Richtlinien des Handelnsnahebringen. Dadurch kommt Segen, Ruhm und Heil fürihn und alles Volk.

Oben eine Sechs bedeutet:Sein Haus ist in Fülle.Er verdeckt seine Sippe.Er späht durch das Tor und merkt niemand mehr.Drei Jahre lang sieht er nichts. Unheil!

Es ist hier ein Mann gezeichnet, der durch seinen Hoch-mut und Eigenwillen das Gegenteil erreicht von dem,was er erstrebt. Er sucht Fülle und Pracht für seine Woh-nung. Er will unbedingt Herr sein in seinem Haus. Aber

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 422: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.455 I Ging, 205Die einzelnen Linien

dadurch entfremdet er sich seine Familie, so daß erschließlich ganz vereinsamt dasteht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 423: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.456 I Ging, 20656. Lü / Der Wanderer

56. Lü / Der Wanderer

oben Li, das Haftende, das Feuerunten Gen, das Stillehalten, der Berg

Der Berg (Gen) steht still, oben das Feuer (Li) flammt aufund verweilt nicht. Darum bleiben sie nicht beisammen.Fremde, Trennung ist das Los des Wanderers.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 424: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.457 I Ging, 206Das Urteil

Das Urteil

Der Wanderer. Durch Kleinheit Gelingen.Dem Wanderer ist Beharrlichkeit von Heil.

Als Wanderer und Fremdling darf man nicht schroff seinund hoch hinaus wollen. Man hat keinen großen Bekann-tenkreis, darum darf man sich nicht brüsten. Man mußvorsichtig und zurückhaltend sein, so schützt man sichvor Übel. Wenn man gegen die andern zuvorkommendist, so erringt man Erfolge. Der Wanderer hat keine festeStätte, die Straße ist seine Heimat. Darum muß er dafürsorgen, daß er innerlich recht und fest ist, daß er nur anguten Orten verweilt und nur mit guten Menschen ver-kehrt. Dann hat er Heil und kann unangefochten seineStraße ziehen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 425: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.458 I Ging, 206Das Bild

Das Bild

Auf dem Berg ist Feuer: das Bild des Wanderers.So ist der Edle klar und vorsichtig in der Anwendung

vonStrafen und verschleppt keine Streitigkeiten.

Wenn das Gras auf dem Berge abbrennt, so gibt es einenhellen Schein. Aber das Feuer verweilt nicht, sondernwandert der neuen Nahrung nach. Es ist nur eine raschvorübergehende Erscheinung. So soll es auch mit Strafenund Prozessen sein. Sie müssen eine rasch vorübergehen-de Erscheinung sein und dürfen sich nicht verschleppen.Die Gefängnisse müssen etwas sein, das die Leute nurvorübergehend, wie Gäste, aufnimmt. Sie dürfen nicht zuWohnräumen der Menschen werden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 426: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.459 I Ging, 207Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Wenn der Wanderer sich mit kleinlichen Dingen

abgibt,so zieht er sich dadurch Unglück zu.

Ein Wanderer darf sich nicht entwürdigen und sich mitgemeinen Dingen am Weg abgeben. Gerade je niedrigerund wehrloser seine Stellung nach außen hin ist, destomehr muß er innerlich seine Würde wahren. Denn wennein Fremder denkt, dadurch freundliche Aufnahme zufinden, daß er sich zu Scherzen und Lächerlichkeiten her-gibt, so irrt er sich. Die Folgen sind nur Verachtung undbeleidigende Behandlung.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Der Wanderer kommt zur Herberge.Er hat seinen Besitz bei sich.Er erlangt eines jungen Dieners Beharrlichkeit.

Der Wanderer, der hier gezeichnet wird, ist bescheidenund zurückhaltend. Innerlich verliert er sich nicht selbst,darum findet er einen Ruheort. Nach außen hin verliert ernicht die Zuneigung der Menschen, darum fördern ihnalle, so daß er Besitz erwerben kann. Außerdem findetsich ein treuer und zuverlässiger Diener bei ihm ein, wieer für den Wanderer von unschätzbarem Wert ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 427: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.460 I Ging, 208Die einzelnen Linien

Neun auf drittem Platz bedeutet:Dem Wanderer verbrennt seine Herberge.Er verliert die Beharrlichkeit seines jungen Dieners.Gefahr.

Ein gewalttätiger Fremder weiß sich nicht zu benehmen.Er mischt sich in Angelegenheiten und Streitigkeiten, dieihn nichts angehen. Dadurch verliert er seinen Ruheplatz.Er behandelt seinen Diener fremd und hochfahrend. Da-durch verliert er dessen Treue. Wenn man als Fremderniemand mehr hat, auf den man sich verlassen kann, soist das sehr gefährlich.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Der Wanderer ruht an einem Unterkunftsort.Er erlangt seinen Besitz und eine Axt.Mein Herz ist nicht froh.

Hier ist ein Wanderer gezeichnet, der sich äußerlich zubescheiden versteht, obwohl er innerlich stark und vor-wärtsdringend ist. Darum findet er wenigstens einen Un-terkunftsort, an dem er weilen kann. Auch gelingt es ihm,Besitz zu erwerben. Aber er ist mit seinem Besitz nicht inSicherheit. Er muß stets auf der Hut sein, bereit, sich mitbewaffneter Hand zu verteidigen. Darum fühlt er sichnicht wohl. Es kommt ihm dauernd zum Bewußtsein,daß er ein Fremder ist in fremdem Land.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Er schießt einen Fasan; auf den ersten Pfeil fällt er.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 428: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.461 I Ging, 208Die einzelnen Linien

Schließlich kommt dadurch Lob und Amt.

Die Staatsmänner auf Reisen pflegten sich bei den Für-sten durch das Geschenk eines Fasans einzuführen. DerWanderer will hier in Fürstendienste treten. Er schießt zudiesem Zweck einen Fasan, den er beim ersten Schuß er-legt. So findet er Freunde, die ihn loben und empfehlen,und wird schließlich von dem Fürsten angenommen, derihm ein Amt verleiht.

Oft kommen Verhältnisse vor, die einen veranlassen,in der Fremde seine Heimat zu suchen. Wenn man esversteht, die Lage zu treffen und sich in der rechtenWeise einzuführen, so mag man einen Freundeskreis undWirkungskreis auch in der Fremde finden.

Oben eine Neun bedeutet:Dem Vogel verbrennt sein Nest.Der Wanderer lacht erst,dann muß er klagen und weinen.Er verliert die Kuh im Leichtsinn. Unheil!

Das Bild des Vogels, dem sein Nest verbrennt, zeigt denVerlust des Ruheorts. Wenn der Vogel beim Bau seinesNestes leichtsinnig und unvorsichtig war, so kann ihmdieses Unglück begegnen. So auch dem Wanderer. Wenner sich gehen läßt in Scherz und Lachen und nicht mehrdaran denkt, daß er ein Wanderer ist, so wird er später zuweinen und zu klagen haben. Denn wenn man im Leicht-sinn seine Kuh, d.i. seine bescheidene Anpassungsfähig-keit, verliert, so ist das vom Übel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 429: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.462 I Ging, 20957. Sun / Das Sanfte

57. Sun / Das Sanfte

(Das Eindringliche, der Wind)

oben Sun, das Sanfte, der Wind, das Holzunten Sun, das Sanfte, der Wind, das Holz

Sun ist eines der acht Doppelzeichen. Es ist die ältesteTochter, hat als Bild den Wind oder das Holz, als Eigen-schaft die Sanftheit, die jedoch eindringt wie der Windoder das Holz mit seinen Wurzeln.

Das Dunkle, das an sich starr und unbeweglich ist,wird aufgelöst durch das eindringende lichte Prinzip, demes sich unterordnet in Sanftheit. In der Natur ist es derWind, der die angehäuften Wolken auseinandertreibt undheitre Himmelsklarheit schafft. Im Menschenleben ist esdie durchdringende Klarheit des Urteils, die alle dunklenHintergedanken zunichte macht. Im Leben der Gemein-schaft ist es der mächtige Einfluß einer bedeutenden Per-sönlichkeit, die alle lichtscheuen Machenschaften auf-deckt und auseinandertreibt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 430: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.463 I Ging, 209Das Urteil

Das Urteil

Das Sanfte. Durch Kleines Gelingen.Fördernd ist es, zu haben, wohin man geht.Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.

Eindringlichkeit erzeugt allmähliche und unscheinbareWirkungen. Es soll nicht durch Vergewaltigung gewirktwerden, sondern durch ununterbrochene Beeinflussung.Diese Wirkungen sind weniger in die Augen fallend alsdie durch Überrumpelung gewonnenen, aber sie sindnachhaltiger und völliger. Damit man auf diese Weisewirken kann, muß man ein klares Ziel haben; denn nurdadurch, daß die eindringliche Beeinflussung immer inderselben Richtung wirkt, wird etwas erreicht.

Das Kleine kann nur dann etwas erreichen, wenn essich einem bedeutenden Manne unterordnet, der die Fä-higkeit besitzt, Ordnung zu schaffen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 431: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.464 I Ging, 210Das Bild

Das Bild

Einander folgende Winde:das Bild des Sanft-Eindringenden.So verbreitet der Edle seine Geboteund wirkt seine Geschäfte.

Das Eindringliche des Windes beruht auf seiner Unauf-hörlichkeit. Dadurch wird er so machtvoll. Er nimmt dieZeit als Mittel zur Wirkung. So muß auch der Gedankedes Herrschers in die Volksseele eindringen. Auch dazuist eine dauernde Einwirkung durch Aufklärung undGebot vonnöten. Erst wenn das Gebot in die Volksseeleübergegangen ist, ist ein darauf bezügliches Handelnmöglich. Unvorbereitetes Handeln schreckt nur zurückund wirkt abstoßend.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 432: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.465 I Ging, 210Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Beim Vorgehen und Rückweichenist fördernd die Beharrlichkeit eines Kriegers.

Das sanfte Wesen geht oft bis zur Unentschlossenheit.Man fühlt nicht die Kraft, entschlossen fortzuschreiten.Tausend Bedenken erheben sich, aber man hat auchnicht Lust, sich zurückzuziehen, sondern treibt unent-schlossen hin und her. In solchem Fall ist eine militäri-sche Entschlossenheit das richtige, daß man entschiedendas tut, was die Ordnung erfordert. Entschlossene Diszi-plin ist weit besser als unentschlossene Zuchtlosigkeit.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Eindringen unter das Bett.Man benützt Priester und Magier in großer Zahl.Heil! Kein Makel.

Zuweilen hat man es mit verborgenen Feinden zu tun,ungreifbaren Einflüssen, die sich in die dunkelsten Win-kel verkriechen und von dort aus die Leute suggestiv be-einflussen. In solchen Fällen ist es nötig, diesen Dingenbis in die geheimsten Winkel nachzuspüren, um festzu-stellen, um was für Einflüsse es sich handelt – dies dieAufgabe der Priester –, und sie zu beseitigen – dies dieAufgabe der Magier. Gerade das Anonyme solcher Um-triebe erfordert besonders unermüdliche Energie, die sich

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 433: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.466 I Ging, 211Die einzelnen Linien

aber belohnt macht. Denn wenn solche unkontrollierba-ren Einflüsse erst ans Licht gebracht und gebrandmarktsind, haben sie ihre Macht über die Menschen verloren.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Wiederholtes Eindringen. Beschämung.

Das eindringliche Nachdenken darf nicht zu weit getrie-ben werden, sonst hemmt es die Entschlußfähigkeit.Wenn eine Sache gründlich durchgedacht ist, dann giltes, sich zu entscheiden und zu handeln. Durch wiederhol-tes Durchdenken kommt man immer aufs neue in Be-denklichkeit und dadurch in Beschämung, weil man sichzum Handeln als unfähig erweist.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Reue schwindet.Auf der Jagd fängt man drei Arten von Wild.

Wenn man angeborene Bescheidenheit infolge der ver-antwortungsvollen Stelle, die man bekleidet, und der Er-fahrungen, die man gesammelt hat, mit energischer Betä-tigung verbindet, so erreicht man sicher einen großen Er-folg. Die drei Arten von Tieren dienten zu Opfern für dieGötter, zur Bewirtung der Gäste und zum täglichen Ge-brauch. Wenn man für alle drei Zwecke etwas erlegte, sowar das Jagdergebnis besonders gut.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Beharrlichkeit bringt Heil. Reue schwindet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 434: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.467 I Ging, 211Die einzelnen Linien

Nichts, das nicht fördernd ist.Kein Anfang, aber ein Ende.Vor der Änderung drei Tage, nach der Änderung

dreiTage. Heil!

Während bei der »Arbeit am Verdorbenen« (Nr. 18) einganz neuer Ausgangspunkt geschaffen werden muß, han-delt es sich hier nur um Reformen. Der Anfang war nichtgut, aber man ist an einen Zeitpunkt gekommen, da eineneue Richtung eingeschlagen werden kann. Man mußändern und bessern. Das muß man tun in Beständigkeit,d.h. in rechter und fester Gesinnung, dann wird es gelin-gen, und die Reue schwindet. Nur ist es zu beachten, daßsolche Verbesserungen sorgfältiger Überlegung bedürfen.Ehe man die Änderung bewerkstelligt, ist wiederholteÜberlegung nötig, und nachdem die Änderung da ist,muß man auch noch eine Zeitlang sorgfältig untersuchen,wie die Besserungen sich in Wirklichkeit ausnehmen.Solche sorgfältige Arbeit ist von Heil begleitet.

Oben eine Neun bedeutet:Eindringen unter das Bett.Er verliert seinen Besitz und seine Axt.Beharrlichkeit bringt Unheil.

Die Erkenntnis ist eindringlich genug. Man dringt denschädlichen Einflüssen bis in die geheimsten Winkelnach. Aber man hat keine Kraft mehr, sie entscheidendzu bekämpfen. In diesem Fall ist jeder Versuch, in die

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 435: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.468 I Ging, 211Die einzelnen Linien

persönlichen Gebiete der Finsternis einzudringen, nurvom Übel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 436: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.469 I Ging, 21258. Dui / Das Heitere, der See

58. Dui / Das Heitere, der See

oben Dui, das Heitere, der Seeunten Dui, das Heitere, der See

Dui ist wie Sun eines der acht Doppelzeichen. Dui bedeu-tet die jüngste Tochter, hat als Bild den lächelnden See,als Eigenschaft die Freude. Die Freude beruht nicht, wiees wohl scheinen könnte, auf der Weichheit, die sich inder oberen Linie zeigt. Die Eigenschaft des weichen bzw.dunklen Prinzips ist nicht Freude, sondern Schwermut.Vielmehr beruht die Freude darauf, daß innen zwei starkeStriche sind, die sich äußern durch das Mittel der Weich-heit.

Wahre Freude beruht also darauf, daß im Innern Fe-stigkeit und Stärke vorhanden sind, die nach außen hinweich und milde auftreten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 437: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.470 I Ging, 212Das Urteil

Das Urteil

Das Heitere. Gelingen. Günstig ist Beharrlichkeit.

Die fröhliche Stimmung wirkt ansteckend, darum hat sieErfolg. Aber die Freude bedarf als Grundlage der Bestän-digkeit, damit sie nicht zu unbeherrschter Lustigkeit aus-artet. Wahrheit und Stärke müssen im Herzen wohnen,während die Milde nach außen im Verkehr zutage tritt.Auf diese Weise nimmt man Gott und den Menschen ge-genüber die rechte Stellung ein und erreicht etwas. Durchbloßes Einschüchtern ohne Milde läßt sich unter Umstän-den für den Augenblick etwas erreichen, aber nicht fürdie Dauer. Wenn man dagegen durch Freundlichkeit dieHerzen der Menschen gewinnt, so bewirkt man, daß siealle Beschwerden gern auf sich nehmen, ja wenn es seinmuß, selbst den Tod nicht scheuen. So groß ist die Machtder Freude über die Menschen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 438: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.471 I Ging, 213Das Bild

Das Bild

Aufeinander beruhende Seen: das Bild des Heiteren.So tut sich der Edle mit seinen Freunden zusammen

zurBesprechung und Einübung.

Ein See verdunstet nach oben und erschöpft sich dadurchallmählich. Wenn aber zwei Seen miteinander in Verbin-dung sind, so erschöpfen sie sich nicht so leicht, weileiner den andern bereichert. So ist es auch auf wissen-schaftlichem Gebiet. Die Wissenschaft soll eine erfri-schende und belebende Kraft sein. Das kann sie nur wer-den im belebenden Verkehr mit gleichgesinnten Freun-den, mit denen man sich bespricht und übt in der Anwen-dung der Lebenswahrheiten. So wird das Wissen vielsei-tig und bekommt eine heitere Leichtigkeit, während dasWissen der Autodidakten immer etwas Schweres undEinseitiges behält.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 439: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.472 I Ging, 213Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Zufriedene Heiterkeit. Heil!

Eine stille, wortlose, in sich gesammelte Freude, dienichts von außen begehrt und mit allem zufrieden ist,bleibt frei von allen egoistischen Zu- und Abneigungen.In dieser Freiheit liegt das Heil, denn sie birgt die ruhigeSicherheit des in sich gefestigten Herzens.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Wahrhaftige Heiterkeit. Heil! Die Reue schwindet.

Oft befindet man sich in Beziehung zu minderwertigenMenschen, aus deren Mitte andere Freuden winken, alssie dem höheren Menschen gemäß sind. Wollte man ansolchen Freuden teilnehmen, so würde das sicher Reuenach sich ziehen; denn ein höherer Mensch ist mit niede-ren Freuden nicht wirklich zu befriedigen. Wenn man in-folge dieser Erkenntnis sich in seinem Willen nicht beir-ren läßt, so daß man nicht an dieser Art Gefallen findet,dann wagt einem selbst eine zweifelhafte Umgebungkeine unedlen Freuden anzubieten, da sie einen ja dochnicht erfreuen würden. – Damit aber ist jeder Anlaß zumBedauern beseitigt.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Kommende Heiterkeit. Unheil!

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 440: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.473 I Ging, 214Die einzelnen Linien

Die wahre Freude muß aus dem eigenen Innern quellen.Wenn man aber innerlich leer ist, so daß man sich an dieAußenwelt verliert, so kommen die Freuden von außenherbei. Das ist es, was manche Menschen als Zerstreuungbegrüßen. Menschen, die aus innerer Haltlosigkeit dasBedürfnis nach Zerstreuung haben, werden stets Gele-genheit haben, sich zu zerstreuen. Sie ziehen die äußerli-chen Freuden durch die Leere ihres Wesens an sich. Da-durch verlieren sie sich immer mehr, was natürlich vomÜbel ist.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Überlegte Heiterkeit ist nicht beruhigt.Nach Abtun der Fehler hat man Freude.

Oft befindet sich der Mensch mitteninne zwischen ver-schiedenen Arten der Freude. Solange man noch nichtentschieden ist, welche Art der Freude man wählen will,die höhere oder die niedere, solange befindet man sich in-nerlich in Unruhe. Erst wenn man klar erkannt hat, daßdie Leidenschaft Leiden bringt, vermag man sich so zuentscheiden, daß man das Niedere von sich abtut und diehöheren Freuden erstrebt. Ist diese Entscheidung besie-gelt, so hat man die wahre innere Heiterkeit und Ruhe ge-funden, und der innere Widerstreit ist überwunden.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Wahrhaftigkeit gegen das Zersetzende ist

gefährlich.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 441: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.474 I Ging, 214Die einzelnen Linien

Auch dem besten Menschen nahen sich gefährliche Ele-mente. Wenn man sich mit diesen einläßt, so wirkt ihrzersetzender Einfluß ganz langsam, aber sicher und ziehtseine Gefahren unvermeidlich hintennach. Wer aber dieLage erkennt und die Gefahr zu durchschauen versteht,der weiß sich zu hüten und bleibt frei von Schaden.

Oben eine Sechs bedeutet:Verführende Heiterkeit.

Wenn man innerlich eitel ist, so lockt man die Freudender Zerstreuung an und hat unter ihnen zu leiden (vgl.Sechs auf drittem Platz). Wenn man innerlich nicht gefe-stigt ist, so wirken die Freuden der Außenwelt, denenman sich nicht entzieht, so stark auf einen ein, daß manmitgerissen wird. Hier ist von Gefahr, von Heil oder Un-heil nicht mehr die Rede. Man hat die Steuerung des Le-bens aus der Hand gegeben, und es hängt vom Zufall undäußeren Einflüssen ab, was aus einem wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 442: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.475 I Ging, 21559. Huan / Die Auflösung

59. Huan / Die Auflösung

oben Sun, das Sanfte, der Windunten Kan, das Abgründige, das Wasser

Der Wind, der oben über das Wasser fährt, zerstreut esund löst es auf in Schaum und Dunst. Darin liegt auchder Gedanke, daß die Lebensenergie, wenn sie sich imMenschen staut (was durch die Eigenschaft des unterenZeichens als Gefahr angedeutet ist), durch die Sanftheitwieder zerstreut und aufgelöst wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 443: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.476 I Ging, 215Das Urteil

Das Urteil

Die Auflösung. Gelingen.Der König naht seinem Tempel.Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.Fördernd ist Beharrlichkeit.

Das Zeichen hat in seinem Text Ähnlichkeit mit dem Zei-chen Tsui, »die Sammlung« (Nr. 45). Dort handelt es sichum Sammlung des Getrennten, wie das Wasser sich inSeen auf der Erde sammelt. Hier handelt es sich um Zer-streuung und Auflösung des trennenden Egoismus. DasZeichen »die Auflösung« zeigt sozusagen den Weg, derzur Sammlung führt. Daher erklärt sich die Ähnlichkeitdes Textes.

Zur Überwindung des trennenden Egoismus der Men-schen bedarf es der religiösen Kräfte. Die gemeinsameFeier der großen Opferfeste und Gottesdienste, die zu-gleich den Zusammenhang und die soziale Gliederungvon Familie und Staat zum Ausdruck brachten, war dasMittel, das die großen Herrscher anwandten, um die Her-zen in gemeinsamer Wallung des Gefühls durch heiligeMusik und Pracht der Zeremonien zum Bewußtsein desgemeinsamen Ursprungs aller Wesen zu bringen, wo-durch die Trennung überwunden, die Erstarrung aufge-löst wurde. Ein weiteres Mittel ist das Zusammenwirkenan gemeinsamen großen Unternehmungen, die dem Wil-len ein großes Ziel vorhalten und in der Richtung auf die-ses Ziel alles Trennende auflösen, wie in einem Schiff,das einen großen Strom durchquert, alle Insassen sich in

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 444: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.477 I Ging, 215Das Urteil

der gemeinsamen Arbeit einigen müssen.Zu solcher Auflösung der Härte des Egoismus ist aber

nur jemand fähig, der selbst von allen egoistischen Ne-bengedanken frei in Gerechtigkeit und Beständigkeit ver-harrt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 445: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.478 I Ging, 216Das Bild

Das Bild

Der Wind fährt über das Wasser: das Bild derAuflösung.

So opferten die alten Könige dem Herrn und bautenTempel.

Das Wasser beginnt im Herbst und Winter zu erstarrenund zu Eis zu gefrieren. Wenn die milden Lüfte des Früh-lings kommen, löst sich die Erstarrung, und das in Eis-schollen Zerstreute vereinigt sich wieder. So ist es auchmit dem Sinn des Volkes. Durch Härte und Selbstsuchterstarrt das Herz, und in dieser Erstarrung trennt es sichvon allem andern. Egoismus und Habsucht isolieren dieMenschen. Darum muß eine fromme Rührung das Men-schenherz ergreifen. Es muß gelöst werden in heiligenSchauern der Ewigkeit, die es erschüttern durch die Ah-nung des gemeinsamen Schöpfers aller Wesen und eini-gen durch die Macht der Gemeinschaftsgefühle bei derheiligen Feier der Anbetung des Göttlichen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 446: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.479 I Ging, 216Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Er bringt Hilfe mit der Macht eines Pferdes.

Hier handelt es sich darum, daß, noch ehe die Trennungvollzogen ist, die ersten Anfänge dazu überwunden wer-den; daß die Wolken zerstreut werden, noch ehe Sturmund Regen eingetreten sind. In solchen Zeiten, da gehei-me Abweichungen der Stimmungen auftreten und gegen-seitige Mißverständnisse die Folge sind, muß man raschund stark handeln, um diese Mißverständnisse und dasgegenseitige Mißtrauen aufzulösen.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Bei der Auflösung läuft er seiner Stütze zu.Die Reue schwindet.

Wenn man in sich selbst die Anfänge der Entfremdungvon andern, des Menschenhasses und der Mißstimmungentdeckt, dann gilt es, diese Stockungen zu zerstreuen.Man muß sich innerlich aufmachen, seiner Stütze zuei-len. Eine solche Stütze des Menschen liegt nie im Haß,sondern immer in einer gemäßigten und gerechten, mitWohlwollen gepaarten Beurteilung der Menschen. Wennman diesen freien Blick auf die Menschheit wieder ge-winnt, unter Zerstreuung alles schwarzgalligen Unmuts,verschwindet aller Anlaß zur Reue.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 447: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.480 I Ging, 217Die einzelnen Linien

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Er löst sein Ich auf. Keine Reue.

Die Arbeit kann unter Umständen so schwer werden, daßman nicht mehr an sich selbst denken kann. Man mußdie eigene Person vollkommen auf die Seite setzen, alleszerstreuen, was das Ich trennend um sich sammelnmöchte. Nur auf der Grundlage eines großen Verzichtesgewinnt man die Kraft zu großen Leistungen. Dadurch,daß man sein Ziel außer sich hat in einer großen Sache,kann man diesen Standpunkt gewinnen.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Er löst sich von seiner Schar. Erhabenes Heil!Durch Auflösung folgt Anhäufung.Das ist etwas, an das Gewöhnliche nicht denken.

Wenn man an einer Aufgabe arbeitet, die ins große Ganzegeht, muß man alle Privatfreundschaften beiseite lassen.Nur wenn man über den Parteien steht, leistet man etwasAusschlaggebendes. Wer diesen Verzicht auf das Nahewagt, wird die Fernen gewinnen. Aber man muß einenweiten Überblick über die Zusammenhänge des Lebenshaben, wie ihn nur ungewöhnliche Menschen erlangen,um diesen Standpunkt verstehen zu können.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Auflösend wie Schweiß sind seine lauten Rufe.Auflösung! Ein König weilt ohne Makel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 448: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.481 I Ging, 217Die einzelnen Linien

In Zeiten allgemeiner Auflösung und Trennung ist eingroßer Gedanke der Organisationspunkt der Genesung.Wie eine Krankheit durch lösenden Schweiß ihre Krisefindet, so ist in Zeiten allgemeiner Stockung ein großer,suggestiver Gedanke eine wahre Erlösung. Die Men-schen haben etwas, um das sie sich sammeln können,einen herrschenden Mann, der die Mißverständnisse zer-streuen kann.

Oben eine Neun bedeutet:Er löst sein Blut auf.Weggehen, Sichfernhalten, Hinausgehen ist ohne

Makel.

Das Auflösen des Blutes bedeutet auflösen, was Blut undWunden bringen könnte, die Gefahr vermeiden. Es isthier aber nicht der Gedanke ausgesprochen, daß man nurfür sich selbst Schwierigkeiten umgeht, sondern der, daßman die Seinen rettet, ihnen hilft wegzugehen, noch ehedie Gefahr da ist, sich fernzuhalten von einer schon vor-handenen Gefahr und den Ausweg zu finden aus einerGefahr, die sie schon ergriffen hat. Auf diese Weise tutman das Rechte.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 449: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.482 I Ging, 21860. Dsië / Die Beschränkung

60. Dsië / Die Beschränkung

oben Kan, das Abgründige, das Wasserunten Dui, das Heitere, der See

Der See hat einen beschränkten Raum. Wenn mehr Was-ser hineinkommt, so fließt er über. Darum muß man ihmSchranken setzen. Es sind im Bild die Wasser unten unddie Wasser oben, zwischen denen die Feste des Himmelsals Schranke ist.

Das chinesische Wort für Beschränkung bedeutet ei-gentlich die festen Glieder, durch die die Bambusstengeleingeteilt sind. Im gewöhnlichen Leben ist damit gemeintdie Sparsamkeit, die feste Schranken für ihre Ausgabenhat. Im moralischen Leben sind es die festen Schranken,die sich der Edle steckt für seine Handlungen, die Schran-ken der Treue und der Uneigennützigkeit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 450: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.483 I Ging, 218Das Urteil

Das Urteil

Beschränkung. Gelingen.Bittere Beschränkung darf man nicht beharrlich üben.

Schranken sind bemühend. Aber sie richten etwas aus.Durch Sparsamkeit im gewöhnlichen Leben ist man ge-rüstet auf Zeiten der Not. Durch Zurückhalten erspartman sich Beschämung. Aber ebenso sind Schranken inder Ordnung der Weltverhältnisse unentbehrlich. DieNatur hat feste Schranken für Sommer und Winter, Tagund Nacht, und durch diese Schranken erhält das Jahrseine Bedeutung. So dient die Sparsamkeit dazu, daßdurch feste Schranken in den Ausgaben die Güter erhal-ten bleiben und die Menschen nicht geschädigt werden.

Nur ist auch in der Beschränkung Maßhalten nötig.Wollte man seiner eigenen Natur allzu bittere Schrankenauferlegen, so würde sie darunter leiden. Wollte man dieBeschränkung der andern zu weit treiben, so würden siesich empören. Darum sind auch in der BeschränkungSchranken nötig.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 451: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.484 I Ging, 219Das Bild

Das Bild

Oberhalb des Sees ist Wasser:das Bild der Beschränkung.So schafft der Edle Zahl und Maß und untersucht,was Tugend und rechter Wandel ist.

Der See ist etwas Endliches; das Wasser ist unerschöpf-lich. Der See kann nur ein bestimmtes Maß des unendli-chen Wassers fassen. Darin besteht seine Eigenart. DurchSonderung und Aufrichtung von Schranken gewinntauch im Leben das Individuum seine Bedeutung. Hierhandelt es sich nun darum, diese Sonderungen, die sozu-sagen das Rückgrat der Moral sind, ganz klar festzuset-zen. Unbeschränkte Möglichkeiten sind nichts, was fürden Menschen geeignet ist. Dadurch würde sein Lebennur zerfließen im Grenzenlosen. Um stark zu werden, be-darf es der freien Schrankensetzung der Pflicht. Nurindem der einzelne sich mit diesen Schranken umgibtund frei für sich das Gebot der Pflicht festsetzt, gewinnter die Bedeutung als freier Gast.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 452: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.485 I Ging, 219Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Nicht zu Tür und Hof hinausgehen ist kein Makel.

Oft möchte man etwas unternehmen, sieht sich aber un-übersteigbaren Schranken gegenüber. Da gilt es, die Ein-sicht zu haben, wo man innehalten muß. Wenn man dasrichtig versteht und nicht über die Schranken hinausgeht,die einem gesteckt sind, dann sammelt man eine Kraft,daß man imstande ist, energisch zu handeln, wenn dieZeit dazu gekommen ist. Verschwiegenheit ist bei Vorbe-reitung wichtiger Dinge von prinzipieller Wichtigkeit.

Kungtse sagt darüber: »Wo Unordnung entsteht, dasind die Worte die Stufe dazu. Wenn der Fürst nicht ver-schwiegen ist, so verliert er den Diener. Wenn der Dienernicht verschwiegen ist, so verliert er das Leben. WennSachen im Keime nicht verschwiegen behandelt werden,so schadet das der Vollendung. Darum ist der Edle sorg-fältig im Verschweigen und geht nicht hinaus.«

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Nicht zu Tor und Hof hinausgehen bringt Unheil.

Wenn die Zeit des Handelns gekommen ist, gilt es ra-sches Zugreifen. Wie das Wasser anfangs in einem Seesich sammelt, ohne hinauszufließen, sich aber sichereinen Weg öffnet, wenn der See voll ist, so ist es auch imMenschenleben. Es ist ganz gut, zu zögern, solange die

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 453: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.486 I Ging, 220Die einzelnen Linien

Zeit noch nicht gekommen ist, aber nicht länger. Wenndie Hindernisse beseitigt sind, so daß man handeln kann,ist das ängstliche Zögern ein Fehler, der sicher Unheilbringt, weil man die Gelegenheit versäumt hat.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Wer keine Beschränkung kennt, wird zu klagen

haben.Kein Makel.

Wenn man nur auf Freuden und Genuß bedacht ist, ver-liert man leicht das Gefühl für die notwendigen Schran-ken. Aber wenn man sich der Verschwendung hingibt,wird man die Folgen unter Bedauern zu erfahren haben.Man darf die Fehler nicht an andern suchen wollen. Nurwenn man seinen Fehler selbst einsieht, wird man durchsolche unangenehmen Erlebnisse frei von Fehlern.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Zufriedene Beschränkung. Gelingen.

Jede Beschränkung hat ihren Wert. Aber wenn diese Be-schränkung noch dauernde Anstrengung erfordert, dannist sie mit zu viel Kraftaufwand verbunden. Wo die Be-schränkung aber etwas Natürliches ist, wie es z.B. in derNatur des Wassers liegt, nach unten zu fließen, da führtsie notwendig zu Erfolg, weil sie in diesem Fall eineKraftersparnis bedeutet. Die Energie, die sonst im vergeb-lichen Kampf mit dem Objekt sich erschöpft, kommt rest-los der Sache zugut, und der Erfolg kann nicht ausblei-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 454: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.487 I Ging, 220Die einzelnen Linien

ben.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Süße Beschränkung bringt Heil.Hingehen bringt Achtung.

Die Beschränkung muß in der richtigen Weise durchge-führt werden, um zu wirken. Wenn man nur andernSchranken auferlegen und sich selbst ihnen entziehenwill, werden diese Schranken immer bitter empfundenund erzeugen Widerstreben. Wenn dagegen jemand, derin leitender Stellung ist, selbst mit der Beschränkung be-ginnt, wenig Leistungen von seinen Leuten verlangt undmit bescheidenen Mitteln etwas zustande bringt, sokommt dadurch Heil. Wo ein solches Vorbild wirkt, dafindet es Nachfolge, so daß geraten muß, was man unter-nimmt.

Oben eine Sechs bedeutet:Bittere Beschränkung: Beharrlichkeit bringt

Unheil.Reue schwindet.

Wenn man zu streng ist in der Beschränkung, so haltenes die Menschen nicht aus. Je konsequenter man in sol-cher Strenge ist, desto mehr ist es vom Übel; denn einRückschlag läßt sich auf die Dauer nicht vermeiden. Sorächt sich auch der gequälte Körper, wenn man mit zustrenger Askese vorgehen will. Aber wenn diese rück-sichtslose Strenge auch nicht etwas ist, das sich dauernd

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 455: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.488 I Ging, 221Die einzelnen Linien

und regelmäßig anwenden ließe, so kann es doch Zeitengeben, da sie das einzige Mittel ist, sich vor Verschul-dung und Reue zu wahren. Es sind das die Situationen,da Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Person das einzi-ge Mittel ist, die Seele zu retten, die sonst in Halbheit undVersuchung unterginge.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 456: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.489 I Ging, 22161. Dschung Fu / Innere Wahrheit

61. Dschung Fu / Innere Wahrheit

oben Sun, das Sanfte, der Windunten Dui, das Heitere, der See

Über dem See weht der Wind und bewegt die Oberflächedes Wassers. So zeigen sich sichtbare Wirkungen des Un-sichtbaren. Das Zeichen besteht oben und unten aus fe-sten Strichen, während es in der Mitte frei ist. Das deutetauf die Freiheit des Herzens von Voreingenommenheiten,so daß es fähig ist zur Aufnahme der Wahrheit. Die bei-den Teilzeichen haben umgekehrt in der Mitte einen fe-sten Strich. Das deutet auf die Kraft der inneren Wahrheitin ihren Wirkungen.

Die Eigenschaften der Teilzeichen sind: oben Sanft-heit, Nachgiebigkeit gegen die Unteren, unten Fröhlich-keit im Gehorsam gegen die Oberen. Solche Zuständeschaffen die Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens,das Erfolge ermöglicht.

Das Zeichen Fu (Wahrheit) ist eigentlich das Bild einesVogelfußes über einem Jungen. Es enthält die Idee desBrütens. Das Ei ist hohl. Die Kraft des Lichten muß bele-bend von außen wirken. Aber es muß doch schon einKeim des Lebens im Innern sein, damit das Leben ge-weckt werden kann. Es lassen sich weitgehende Spekula-tionen an diese Gedanken knüpfen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 457: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.490 I Ging, 222Das Urteil

Das Urteil

Innere Wahrheit. Schweine und Fische. Heil!Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.Fördernd ist Beharrlichkeit.

Schweine und Fische sind die ungeistigsten und daher amschwersten zu beeinflussenden Tiere. Die Kraft der inne-ren Wahrheit muß einen hohen Grad erreicht haben, ehesich ihr Einfluß auch auf solche Wesen erstreckt. Wennman solchen widerspenstigen, schwer zu beeinflussendenMenschen gegenübersteht, beruht das ganze Geheimnisdes Erfolgs darauf, daß man den richtigen Weg findet,um Zugang zu ihnen zu finden. Man muß sich erst inner-lich ganz frei machen von seinen Voreingenommenhei-ten. Man muß sozusagen die Psyche des andern ganz un-befangen auf sich wirken lassen; dann kommt man ihminnerlich nah, versteht ihn und bekommt Macht über ihn,so daß die Kraft der eigenen Person durch die geöffnetePforte Einfluß auf den andern gewinnt. Wenn man sokeine Hindernisse unüberwindlich findet, dann mag manauch die gefährlichsten Dinge unternehmen – wie dasDurchqueren des großen Wassers –, und es wird gelin-gen. Nur ist es wichtig, daß man versteht, worauf dieKraft innerer Wahrheit beruht. Sie ist nicht identisch miteinfacher Intimität oder geheimem Zusammenhalten.Solch intimes Zusammenhalten kann auch unter Räubernstattfinden. Auch in diesem Fall bedeutet es freilich eineKraft. Aber sie gereicht nicht zum Heil, weil sie nicht un-überwindlich ist. Alles Zusammengehen auf Grund von

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 458: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.491 I Ging, 222Das Urteil

Interessengemeinschaft geht nur bis an einen gewissenPunkt. Wo die Interessengemeinschaft aufhört, hört auchdas Zusammenhalten auf, und intimste Freundschaftschlägt oft in Haß um. Nur wo die Grundlage das Rechte,die Beständigkeit ist, bleibt die Verbindung so fest, daßsie alles überwindet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 459: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.492 I Ging, 222Das Bild

Das Bild

Über dem See ist der Wind:das Bild der inneren Wahrheit.So bespricht der Edle die Strafsachen,um Hinrichtungen aufzuhalten.

Der Wind bewegt das Wasser, weil er in seine Zwischen-räume einzudringen vermag. So sucht der Edle, wo erFehler der Menschen abzuurteilen hat, in ihr Inneres ver-ständnisvoll einzudringen und dadurch eine liebevolleBeurteilung der Umstände zu gewinnen. Die ganze anti-ke Rechtsprechung der Chinesen war von diesem Grund-satz geleitet. Höchstes Verständnis, das zu verzeihen ver-steht, galt als höchste Gerechtigkeit. Eine solche Recht-sprechung war nicht erfolglos; denn der moralische Ein-druck sollte so stark sein, daß ein Mißbrauch solcherMilde nicht zu befürchten war. Denn sie entsprang nichtder Schwäche, sondern überlegener Klarheit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 460: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.493 I Ging, 223Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Bereitsein bringt Heil.Sind Hintergedanken da, so ist das beunruhigend.

Die Hauptsache für die Kraft innerer Wahrheit ist, daßman in sich gefestigt und bereit ist. Aus dieser innerenHaltung entspringt das richtige Verhalten zur Außenwelt.Wenn man dagegen geheime Beziehungen besondererArt pflegen wollte, so würde einen das um die innereSelbständigkeit bringen, und je mehr man sich gesichertfühlte in dem Bewußtsein, in andern seinen Rückhalt zufinden, desto mehr käme man in Unruhe und Sorgen, obnun auch diese geheimen Verbindungen wirklich haltbarsind. Dadurch verliert man den inneren Frieden und dieKraft innerer Wahrheit.

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Ein rufender Kranich im Schatten.Sein Junges antwortet ihm.Ich habe einen guten Becher. Ich will ihn mit dir

teilen.

Hier ist von unwillkürlichem Einfluß des inneren Wesensauf gleichgestimmte Menschen die Rede. Der Kranichbraucht sich nicht auf hohem Hügel zu zeigen. Wenn erauch ganz im Verborgenen seinen Ruf ertönen läßt, seinJunges hört seine Stimme und kennt sie und gibt ihm

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 461: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.494 I Ging, 224Die einzelnen Linien

Antwort. Wo eine fröhliche Stimmung ist, da findet sichauch ein Genosse ein, der einen Becher Wein mit einemteilt.

So zeigt sich das Echo, das durch Sympathie im Men-schen erweckt wird. Wo eine Stimmung sich wahr undrein ausspricht, wo eine Tat der klare Ausdruck der Ge-sinnung ist, da wirken sie geheimnisvoll in die Ferne, zu-nächst auf solche, die innerlich aufnahmebereit sind.Aber diese Kreise erweitern sich. Die Wurzel aller Wir-kung liegt im eignen Innern. Wenn das sich ganz wahrund stark in Wort und Tat äußert, dann ist die Wirkunggroß. Die Wirkung ist nur das Spiegelbild dessen, was ausder eigenen Brust hervorgeht. Jede Absicht auf Wirkungwürde diese Wirkung nur zerstören.

Kungtse sagt darüber: »Der Edle weilt in seinem Zim-mer. Äußert er seine Worte gut, so findet er Zustimmungaus einer Entfernung von über tausend Meilen. Wievielmehr aus der Nähe! Weilt der Edle in seinem Zimmerund äußert seine Worte nicht gut, so findet er Wider-spruch aus einer Entfernung von über tausend Meilen.Wieviel mehr noch aus der Nähe! Die Worte gehen vonder eigenen Person aus und wirken auf die Menschen.Die Werke entstehen in der Nähe und werden sichtbar inder Ferne. Worte und Werke sind des Edlen Türangelund Armbrustfeder. Indem sich diese Angel und Federbewegen, bringen sie Ehre oder Schande. Durch Worteund Werke bewegt der Edle Himmel und Erde. Muß manda nicht vorsichtig sein?«

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Er findet einen Genossen,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 462: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.495 I Ging, 224Die einzelnen Linien

bald trommelt er, bald hört er auf.Bald schluchzt er, bald singt er.

Hier ist die Kraftquelle nicht im eigenen Ich, sondern inder Beziehung zu andern Menschen. Wenn man auchnoch so nahe mit ihnen steht, wenn unser Schwerpunktauf ihnen beruht, so läßt sich nicht vermeiden, daß manumhergeworfen wird zwischen Freude und Leid. Him-melhoch jauchzend, zu Tode betrübt, das ist das Schick-sal derer, die abhängen von der inneren Übereinstim-mung mit andern Menschen, die sie lieben. Hier wird nurdas Gesetz ausgesprochen, daß dem so ist. Ob dieser Zu-stand als lästig oder als höchstes Glück der Liebe emp-funden wird, bleibt der subjektiven Beurteilung des Be-troffenen überlassen.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Der Mond, der beinahe voll ist.Das Gespannpferd geht verloren.Kein Makel.

Um die Kraft der inneren Wahrheit zu steigern, muß mansich dem Höheren zuwenden, von dem man Erleuchtungempfangen kann wie der Mond von der Sonne. Dabei istaber eine gewisse Demut nötig, wie der Mond sie hat, dernicht ganz voll ist. Tritt der Mond als Vollmond derSonne direkt gegenüber, so beginnt er auch sofort wiederabzunehmen. Wie man der Quelle der Erleuchtung ge-genüber demütig und ehrfurchtsvoll sein muß, so mußman andererseits auf menschliche Parteiungen verzich-ten. Nur wenn man seinen Weg geht wie ein Pferd, das

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 463: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.496 I Ging, 225Die einzelnen Linien

geradeaus läuft, ohne nach seinem Mitpferd zu schielen,behält man die innere Freiheit, die vorwärts bringt.

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Er besitzt Wahrheit, die verkettet.Kein Makel.

Hier ist der Herr gezeichnet, der durch die Kraft seinesWesens alles zusammenhält. Nur wenn seine Charakter-stärke so umfassend ist, daß er alle beeinflussen kann, diezu seiner Herrschaft gehören, ist er so, wie er sein muß.Die Suggestivkraft muß vom Herrscher ausgehen. Siewird alle die Seinigen fest zusammenknüpfen und eini-gen. Ohne diese Zentralkraft ist alle äußere Einigung nurLüge, die im entscheidenden Augenblick zerbricht.

Oben eine Neun bedeutet:Hahnenruf, der zum Himmel dringt.Beharrlichkeit bringt Unheil.

Der Hahn ist zuverlässig. Er ruft, wenn es Morgen wird.Er kann aber nicht selbst zum Himmel fliegen. Er krähtnur. So soll durch bloße Worte Glaube erweckt werden.Das gelingt wohl gelegentlich. Aber wenn man es dau-ernd betreibt, so ist das vom Übel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 464: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.497 I Ging, 22562. Siau Go / Des Kleinen Übergewicht

62. Siau Go / Des Kleinen Übergewicht

oben Dschen, das Erregende, der Donnerunten Gen, das Stillehalten, der Berg

Während bei dem Zeichen »Des Großen Übergewicht«(Nr. 28) die starken Striche im Übergewicht sind, undzwar innen, eingeschlossen zwischen die beiden Strichezu Anfang und zu Ende, sind hier die schwachen Stricheim Übergewicht, ebenfalls außen, während die starkeninnen sind. Darauf beruht eben der Ausnahmezustand.Sind die starken Striche außen, so haben wir die ZeichenI, Ernährung, und Dschung Fu, Innere Wahrheit, diebeide nicht Ausnahmezustände bezeichnen. Wenn dieStarken innen im Übergewicht sind, so müssen sie sichdurchsetzen. Das schafft Kampf und Ausnahmezuständeim Großen. Hier dagegen muß notgedrungen das Schwa-che die Vertretung nach außen übernehmen. Wenn manan einem entscheidenden Platz steht, dem man seinemWesen nach eigentlich nicht gewachsen ist, so ist außer-ordentliche Vorsicht nötig.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 465: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.498 I Ging, 226Das Urteil

Das Urteil

Des Kleinen Übergewicht. Gelingen.Fördernd ist Beharrlichkeit.Man mag kleine Dinge tun, man soll nicht große

Dinge tun.Der fliegende Vogel bringt die Botschaft:Es ist nicht gut, nach oben zu streben,es ist gut, unten zu bleiben. Großes Heil!

Außerordentliche Bescheidenheit und Gewissenhaftigkeitwird sicher von Erfolg belohnt werden, nur ist es wichtig,daß sie nicht leere Formel und kriechendes Wesen wer-den, sondern mit der rechten Würde im persönlichenAuftreten verbunden bleiben, so daß man sich nicht weg-wirft. Man muß verstehen, was die Forderungen der Zeitsind, um die rechte Ergänzung für die Mängel und Schä-den der Zeit zu finden. Immerhin darf man sich nicht aufgroße Erfolge gefaßt machen, da dazu die nötige Stärkefehlt. Darum ist die Botschaft so wichtig, nicht nachhohen Dingen zu streben, sondern sich zu den niedrigenzu halten. Daß diese Botschaft durch einen Vogel ge-bracht wird, ergibt sich aus der Gestalt des Zeichens. Dievier starken, schweren Striche im Innern, die nur vonzwei schwachen Strichen außen gestützt werden bei DaGo, Nr. 28, geben das Bild des lastenden Firstbalkens.Hier sind die tragenden leichten Striche außen und in derÜberzahl; das gibt das Bild des schwebenden Vogels.Aber der Vogel soll sich nicht überheben und in dieSonne fliegen wollen, sondern sich herablassen auf die

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 466: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.499 I Ging, 226Das Urteil

Erde, wo sein Nest ist. Damit gibt er die Botschaft, diedas Zeichen verkündet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 467: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.500 I Ging, 226Das Bild

Das Bild

Auf dem Berg ist der Donner:das Bild von des Kleinen Übergewicht.So legt der Edle im Wandeldas Übergewicht auf die Ehrerbietung.Bei Trauerfällen legt er das Übergewicht auf die

Trauer.Bei seinen Ausgaben legt erdas Übergewicht auf die Sparsamkeit.

Der Donner auf dem Berge ist anders als der in derEbene. In den Bergen ist der Donner viel näher, währender außerhalb der Gebirge weniger hörbar ist als der Don-ner eines gewöhnlichen Gewitters. So entnimmt der Edlediesem Bild die Aufforderung, in allen Dingen die Pflichtnäher und unmittelbarer ins Auge zu fassen als die Men-schen des Alltags, obwohl infolge davon sein Betragenvon außen her gesehen kleinlich erscheinen könnte. Ernimmt es besonders genau mit seinen Handlungen. BeiTrauerfällen steht ihm die innere Ergriffenheit weit näherals äußerer Formelkram, und so ist er bei Aufwendungenfür seine eigene Person außerordentlich einfach und an-spruchslos. Dieses alles bewirkt, daß er den Menschender Masse gegenüber eine Ausnahmeerscheinung ist.Aber das Wesen dieser Ausnahme liegt darin, daß sienach außen hin auf der Seite des Geringen sich befindet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 468: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.501 I Ging, 227Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Der Vogel kommt durch Fliegen ins Unheil.

Der Vogel soll zunächst im Nest bleiben, bis er flügge ist.Will er vorher fliegen, so zieht er sich Unheil zu. Außer-ordentliche Maßnahmen dürfen erst getroffen werden,wenn es nicht mehr anders geht. Zunächst muß man sichso lange als möglich ins Herkömmliche fügen, sonst ver-braucht man sich und seine Kraft und erreicht dochnichts.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Sie geht an ihrem Ahnherrn vorbei und trifft die

Ahnfrau.Er erreicht nicht seinen Fürsten und trifft den

Beamten.Kein Makel.

Zwei Ausnahmefälle sind hier genannt: Im Ahnentempel,wo Generationenwechsel stattfindet, steht der Enkel aufderselben Seite wie der Großvater; darum hat er zu ihmdie nächsten Beziehungen. Hier ist die Frau des Enkelsgezeichnet, die beim Opfer am Ahnherrn vorübergehtund sich der Ahnfrau zuwendet. Dieses außerordentlicheVerhalten ist aber ein Ausdruck ihrer Bescheidenheit. Siewagt es eher, vor die Ahnfrau zu treten, der sie sich durchihr Geschlecht verwandt fühlt; darum ist dieses Abwei-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 469: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.502 I Ging, 228Die einzelnen Linien

chen von der Regel kein Fehler.Ein anderes Bild ist das des Beamten, der zunächst

ordnungsgemäß bei seinem Fürsten Audienz sucht. Wenner ihn aber nicht trifft, sucht er nichts mit Gewalt zu er-zwingen, sondern findet sich in gewissenhafter Pflichter-füllung zurecht, indem er sich einreiht in die Zahl der Be-amten. Auch diese außerordentliche Zurückhaltung ist inAusnahmezeiten kein Fehler. (Als Regel gilt, daß jederBeamte zunächst eine Audienz bei seinem Fürsten hat,durch den er angestellt wird. Hier geht die Anstellungvon dem Minister aus.)

Neun auf drittem Platz bedeutet:Wenn man sich nicht außerordentlich vorsieht,so kommt etwa einer von hinten und schlägt einen.Unheil!

Zuzeiten ist außerordentliche Vorsicht unbedingt nötig.Aber gerade in solchen Lebenslagen gibt es gerade undstarke Persönlichkeiten, die im Bewußtsein ihres gutenRechts es verschmähen, sich vorzusehen, weil sie das fürkleinlich halten. Vielmehr gehen sie stolz und unbeküm-mert ihre Straße. Aber dieses Selbstvertrauen täuscht sie.Es gibt Gefahren, die aus dem Hinterhalt sich nahen unddenen sie nicht gewachsen sind.

Immerhin handelt es sich um eine Gefahr, der mannicht unbedingt ausgesetzt ist, sondern die sich vermei-den läßt, wenn man die Zeitlage versteht, die eine Hin-wendung auf das Kleine, Unbedeutende in außerordentli-cher Weise verlangt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 470: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.503 I Ging, 228Die einzelnen Linien

Neun auf viertem Platz bedeutet:Kein Makel. Ohne vorbeizugehen, trifft er ihn.Hingehen bringt Gefahr. Man muß sich hüten.Handle nicht. Sei dauernd beharrlich.

Die Härte des Charakters ist durch die Weichheit der Stel-lung gemildert, so daß man keinen Fehler macht. Man be-findet sich in einer Lage, da man sich aufs äußerste zu-rückhalten muß. Man darf von sich aus nichts unterneh-men, um das Gewünschte zu treffen. Und wenn man hin-gehen wollte, um gewaltsam sein Ziel zu erreichen, sokäme man in Gefahr. Darum muß man sich hüten undnicht handeln, sondern dauernd die innere Beharrlichkeitwahren.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Dichte Wolken,kein Regen von unserm westlichen Gebiet.Der Fürst schießt und trifft jenen in der Höhle.

Da hier ein hoher Platz ist, ist aus dem Bild des fliegen-den Vogels das der fliegenden Wolken geworden. Aberob die Wolken auch noch so dicht sind, sie fliegen amHimmel dahin und spenden keinen Regen. So kann inaußerordentlichen Zeiten wohl ein geborener Herrscherda sein, der berufen wäre, die Welt in Ordnung zu brin-gen, aber er vermag nichts auszurichten und dem Volkseinen Segen nicht zuzuwenden, weil er allein steht undkeinen Gehilfen hat.

In solchen Zeiten muß man nach Gehilfen suchen, mit

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 471: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.504 I Ging, 229Die einzelnen Linien

denen zusammen man das Werk vollbringen kann. Aberdiese Gehilfen muß man bescheiden in der Verborgenheitsuchen, in die sie sich zurückgezogen haben. Nicht aufBerühmtheit und großen Namen kommt es an, sondernauf wirkliche Leistungen.

Durch solche Bescheidenheit findet man den rechtenMann und vermag das außerordentliche Werk trotz allerSchwierigkeit zu vollenden.

Oben eine Sechs bedeutet:Ohne ihn zu treffen, geht er an ihm vorbei.Der fliegende Vogel verläßt ihn. Unheil!Das bedeutet Unglück und Schaden.

Wenn man über das Ziel hinausschießt, so kann man esnicht treffen. Wenn der Vogel nicht in sein Nest will,sondern immer höher hinaus, so fällt er schließlich demJäger ins Netz. Wer in Zeiten des Außerordentlichen imKleinen nicht haltzumachen weiß, sondern unruhigimmer weiter will, der zieht sich Unheil durch Götter undMenschen zu, weil er sich von der Naturordnung ent-fernt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 472: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.505 I Ging, 22963. Gi Dsi / Nach der Vollendung

63. Gi Dsi / Nach der Vollendung

oben Kan, das Abgründige, das Wasserunten Li, das Haftende, das Feuer

Das Zeichen ist die Ausgestaltung des Zeichens Tai, derFriede (Nr. 11). Der Übergang aus der Verwirrung zurOrdnung ist vollzogen, und nun ist auch im einzelnenalles auf seinem Platz. Die starken Linien sind auf denstarken, die schwachen Linien sind auf den schwachenPlätzen. Das ist ein sehr günstiger Aspekt. Allein er gibtdoch zu denken. Gerade wenn das vollkommene Gleich-gewicht erreicht ist, kann jede Bewegung dazu führen,daß aus dem Zustand der Ordnung wieder der Zerfall ent-steht. Dem einen starken Strich, der nach oben gegangenist und so die Ordnung im einzelnen vollkommen ge-macht hat, folgen die anderen ihrer Natur entsprechendnach, und so entsteht dann plötzlich wieder das ZeichenPi, die Stockung (Nr. 12). So deutet das Zeichen auf dieVerhältnisse eines Höhepunktes, die äußerste Vorsichtnötig machen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 473: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.506 I Ging, 230Das Urteil

Das Urteil

Gelingen im Kleinen. Fördernd ist Beharrlichkeit.Im Anfang Heil, am Ende Wirren.

Der Übergang von der alten in die neue Zeit ist schonvollzogen. Prinzipiell ist alles schon geregelt. Nur nochim einzelnen läßt sich Erfolg erzielen. Dabei kommt es je-doch darauf an, daß man stets die rechte Gesinnungwahrt. Es geht alles seinen Gang wie von selbst. Das ver-führt zu leicht dazu, daß man in seiner Anspannung er-lahmt und die Dinge laufen läßt, ohne sich im einzelnendarum zu kümmern. Diese Gleichgültigkeit ist aber dieWurzel allen Übels. Aus ihr entspringen mit Notwendig-keit Verfallserscheinungen. Hier ist die Regel aufgestellt,wie es in der Geschichte zu gehen pflegt. Aber dieseRegel ist kein unausweichliches Gesetz. Wer sie versteht,der vermag durch unausgesetzte Beständigkeit und Vor-sicht ihre Wirkungen zu vermeiden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 474: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.507 I Ging, 230Das Bild

Das Bild

Das Wasser ist oberhalb des Feuers:das Bild des Zustands nach der Vollendung.So bedenkt der Edle das Unglückund rüstet sich im voraus dagegen.

Wenn das Wasser im Kessel über dem Feuer hängt, sostehen beide Elemente in Beziehung, und es wird da-durch Kraft erzeugt. (Vgl. die Entstehung des Dampfes.)Allein die dadurch entstehende Spannung gebietet Vor-sicht. Läuft das Wasser über, so wird das Feuer ausge-löscht, und seine Kraftwirkung geht verloren. Ist dieHitze zu groß, so verdampft das Wasser und geht in dieLuft. Die Elemente, die hier in Beziehung zueinander ste-hen und so Kraft wirken, sind an sich einander feindlich.Nur die äußerste Vorsicht kann Schaden verhüten. Sogibt es auch im Leben Verhältnisse, da alle Kräfte ausge-glichen sind und zusammenwirken und daher scheinbaralles in bester Ordnung ist. Der Weise allein erkennt insolchen Zeiten die Momente der Gefahr und weiß durchrechtzeitige Vorkehrungen sie zu bannen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 475: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.508 I Ging, 231Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Neun bedeutet:Er hemmt seine Räder.Er kommt mit dem Schwanz ins Wasser.Kein Makel.

In Zeiten nach einem großen Übergang ist alles auf Fort-schritt und Entwicklung aus und drängt voran. Aber die-ses Vorwärtsdrängen zu Beginn ist nicht gut und führtsicher zu Verlust und Sturz, indem man über das Zielhinausschießt. Ein starker Charakter läßt sich daher durchden allgemeinen Schwindel nicht anstecken, sondernhemmt rechtzeitig seinen Lauf. So wird er wohl nichtganz unberührt bleiben von den unheilvollen Folgen desallgemeinen Drängens, aber es trifft ihn nur von hintenwie einen Fuchs, der das Wasser schon überschritten hatund nur noch mit dem Schwanz ins Wasser kommt, undkann ihm nicht wesentlich schaden, da sein Verhalten dasRichtige getroffen hat.

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:Die Frau verliert ihren Wagenvorhang.Lauf ihm nicht nach, am siebten Tage bekommst

du es.

Wenn eine Frau im Wagen fuhr, hatte sie einen Vorhang,der sie den Blicken der Neugierigen verbarg. Kam dieserVorhang abhanden, so wäre es gegen die gute Sitte gewe-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 476: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.509 I Ging, 231Die einzelnen Linien

sen, weiterzufahren. Auf das öffentliche Leben übertra-gen bedeutet es, daß einem, wenn man etwas leisten will,von maßgebender Seite nicht das Vertrauen entgegenge-bracht wird, dessen man sozusagen zu seinem persönli-chen Schutz bedarf. Gerade in Zeiten nach der Vollen-dung kann man finden, daß die Herrschenden stolz undselbstbewußt werden und sich nicht mehr darum küm-mern, unbekannten Talenten mit Aufmerksamkeit entge-genzukommen.

Hieraus entsteht nun in der Regel die Streberei. Wenneinem von oben her kein Vertrauen entgegengebrachtwird, so sucht man Mittel und Wege, um es zu findenund sich ans Licht zu bringen. Von einem solchen un-würdigen Verfahren wird jedoch abgeraten. »Such nichtdanach.« Wirf dich nicht an die Außenwelt weg, sondernwarte ruhig und bilde selbständig deinen persönlichenWert aus. Die Zeiten ändern sich. Sind die sechs Stufendes Zeichens vorüber, so kommt die neue Ära. Waseinem gehört, kann man nicht auf die Dauer verlieren. Eskommt ganz von selbst zu einem. Man muß nur wartenkönnen.

Neun auf drittem Platz bedeutet:Der hohe Ahn züchtigt das Teufelsland.Nach drei Jahren überwindet er es.Gemeine darf man nicht verwenden.

Der »hohe Ahn« ist der dynastische Titel des HerrschersWu Ding aus der Yin-Dynastie. Nachdem er mit starkerHand die Zustände im Reich geordnet hatte, führte erlangwierige Kolonialkriege zur Unterwerfung der von

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 477: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.510 I Ging, 232Die einzelnen Linien

Hunnen bewohnten nördlichen Grenzgebiete, aus denendauernd Einfälle drohten. Die Situation, die gezeichnetist, ist die, daß nach Zeiten der Vollendung, wenn eineneue Macht aufgekommen und im Innern alles in Ord-nung ist, mit einer gewissen Notwendigkeit die kolonialeExpansion beginnt. Hierbei ist in der Regel mit langwieri-gen Kämpfen zu rechnen. Aber dabei ist eine richtige Ko-lonialpolitik besonders wichtig. Man darf die sauer erwor-benen Gebiete nicht als eine Versorgungsanstalt betrach-ten für Menschen, die sich in der Heimat irgendwie un-möglich gemacht haben, aber für die Kolonien noch gera-de gut genug sind. Dadurch verdirbt man von vornhereinjeden Erfolg. Das gilt im Großen wie im Kleinen; dennnicht nur aufsteigende Staaten treiben Kolonialpolitik.Jeder aufstrebenden Unternehmung liegen der Trieb nachExpansion und die damit verbundenen Gefahren nahe.

Sechs auf viertem Platz bedeutet:Die schönsten Kleider geben Lumpen.Den ganzen Tag sei vorsichtig.

In Zeiten der Kulturblüte kommen immer zuweilen Er-schütterungen vor, die einen inneren Schaden der Gesell-schaft aufdecken und dann zunächst allgemeines Aufse-hen erregen. Da jedoch die allgemeine Lage günstig ist,lassen sich solche Schäden unschwer flicken und vor derÖffentlichkeit verheimlichen. Dann verschwindet wiederalles aus dem Gedächtnis, und es sieht so aus, als herrsch-te eitel Friede. Dem Denkenden jedoch sind solche Vor-fälle ernste Winke, die er nicht vernachlässigt. Nur da-durch kann man die üblen Folgen abwenden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 478: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.511 I Ging, 233Die einzelnen Linien

Neun auf fünftem Platz bedeutet:Der Nachbar im Osten, der einen Ochsen

schlachtet,bekommt nicht soviel wirkliches Glückwie der Nachbar im Westen mit seinem kleinen

Opfer.

Auch die religiöse Haltung wird durch die seelische Stim-mung in Zeiten nach der Vollendung beeinflußt. An Stel-le der einfachen alten Formen tritt bei den Gottesdienstenimmer reichere Ausgestaltung und immer größerer äuße-rer Prunk. Aber dieser Prachtentfaltung fehlt der innereErnst. Menschliche Willkür tritt an die Stelle des gewis-senhaften Innehaltens des göttlichen Willens. Aber wäh-rend der Mensch sieht, was vor Augen ist, sieht Gott dasHerz an. Darum ruht nicht soviel Segen auf dem mächti-gen, aber kalten Gottesdienste, wie auf einem einfachen,frommen Opfer ruht.

Oben eine Sechs bedeutet:Er kommt mit dem Haupt ins Wasser. Gefahr.

Hier ist zum Schluß nochmals eine Warnung beigefügt.Nach dem Übergang über ein Wasser kann man nur dannmit dem Kopf ins Wasser kommen, wenn man sichleichtsinnig wieder dem Wasser zuwendet. Solange manvorwärts schreitet und nicht zurücksieht, entgeht mandieser Gefahr. Allein es liegt etwas Verlockendes darin,stehenzubleiben und auf die überwundene Gefahr zu-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 479: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.512 I Ging, 233Die einzelnen Linien

rückzublicken. Solche eitle Selbstbespiegelung bringtaber kein Glück. Man gerät dadurch in Gefahr, und wennman sich nicht noch entschließt, unaufhaltsam fortzu-schreiten, so fällt man dieser Gefahr zum Opfer.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 480: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.513 I Ging, 23364. We Dsi / Vor der Vollendung

64. We Dsi / Vor der Vollendung

oben Li, das Haftende, die Flammeunten Kan, das Abgründige, das Wasser

Es ist in dem Zeichen die Zeit angedeutet, da der Über-gang aus der Unordnung zur Ordnung noch nicht vollen-det ist. Der Umschwung ist zwar schon vorbereitet,indem alle Striche des oberen Trigramms zu denen desunteren in Beziehung stehen. Aber sie sind noch nichtauf ihrem Platz. Während das vorige Zeichen dem Herbstgleicht, der den Übergang vom Sommer zum Winter bil-det, ist dieses Zeichen wie der Frühling, der aus der Stok-kungszeit des Winters in die fruchtbare Zeit des Sommersführt. Mit diesem hoffnungsvollen Ausblick schließt dasBuch der Wandlungen ab.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 481: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.514 I Ging, 234Das Urteil

Das Urteil

Vor der Vollendung. Gelingen.Wenn aber der kleine Fuchs,wenn er beinahe den Übergang vollendet hat,mit dem Schwanz ins Wasser kommt,dann ist nichts, das fördernd wäre.

Die Verhältnisse sind schwierig. Die Aufgabe ist großund verantwortungsvoll. Es handelt sich um nichts Gerin-geres, als die Welt aus der Verwirrung in die Ordnungzurückzuführen. Dennoch ist es eine Aufgabe, die Erfolgverheißt, da ein Ziel vorhanden ist, das die auseinander-strebenden Kräfte zu vereinigen vermag. Nur muß manzunächst noch leise und behutsam vorgehen. Man mußvorgehen wie ein alter Fuchs, der übers Eis geht. InChina ist die Vorsicht des Fuchses, wenn er über Eisgeht, sprichwörtlich. Er horcht stets auf das Krachen undsucht sich sorgfältig und umsichtig die sichersten Stellenaus. Ein junger Fuchs, der diese Vorsicht noch nichtkennt, geht kühnlich drauflos, und da kann es vorkom-men, daß er hineinfällt, wenn er beinahe schon über dasWasser ist, und seinen Schwanz naß macht. Dann warnatürlich die ganze Mühe vergeblich.

Dementsprechend ist in Zeiten vor der VollendungÜberlegung und Vorsicht die Grundbedingung des Erfol-ges.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 482: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.515 I Ging, 234Das Bild

Das Bild

Das Feuer ist oberhalb des Wassers:das Bild des Zustands vor dem Übergang.So ist der Edle vorsichtig in der Unterscheidung derDinge, damit jedes auf seinen Platz kommt.

Wenn das Feuer, das ohnehin nach oben dringt, oben unddas Wasser, dessen Bewegung abwärts geht, unten ist, sogehen ihre Wirkungen auseinander und bleiben ohne Be-ziehung. Will man eine Wirkung erreichen, so muß manerst erforschen, was die Natur der in Betracht kommen-den Kräfte und welches der ihnen zukommende Platz ist.Bringt man die Kräfte an der rechten Stelle zum Einsatz,so haben sie die gewünschte Wirkung, und die Vollen-dung wird erreicht. Um aber die äußeren Kräfte richtighandhaben zu können, ist es vor allem nötig, daß manselbst den richtigen Standpunkt einnimmt. Denn nur vonda aus kann man richtig wirken.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 483: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.516 I Ging, 235Die einzelnen Linien

Die einzelnen Linien

Anfangs eine Sechs bedeutet:Er kommt mit dem Schwanz ins Wasser.Beschämend.

In Zeiten der Unordnung ist es verlockend, sich mög-lichst rasch vorzudrängen, um etwas Sichtbares zu lei-sten. Aber diese Begeisterung führt zu nichts als Mißer-folg und Beschämung, solange die Zeit noch nicht ge-kommen ist, etwas zu wirken. In dieser Zeit ist es klug,wenn man sich durch Zurückhaltung den Schimpf desMißlingens erspart. (Man beachte den Unterschied der Si-tuation vom ersten Strich des vorigen Zeichens.)

Neun auf zweitem Platz bedeutet:Er hemmt seine Räder.Beharrlichkeit bringt Heil.

Auch hier ist die Zeit zum Handeln noch nicht gekom-men. Aber die Geduld, die vonnöten ist, darf nicht ein trä-ges Warten sein, das in den Tag hineinlebt. Das würdedauernd zu keinem Erfolg führen. Sondern man muß insich die Kraft ausbilden, die einen befähigt voranzukom-men. Man muß gleichsam einen Wagen haben, um denÜbergang zu vollziehen. Aber man muß ihn noch hem-men. Geduld im höchsten Sinn ist gehemmte Kraft.Daher darf man nicht einschlafen und das Ziel aus demAuge verlieren. Wenn man stark und beständig in seinem

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 484: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.517 I Ging, 235Die einzelnen Linien

Entschluß bleibt, dann geht schließlich alles gut.

Sechs auf drittem Platz bedeutet:Vor der Vollendung bringt Angriff Unheil.Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.

Die Zeit des Übergangs ist da. Aber man hat nicht dieKraft, den Übergang zu vollenden. Wollte man versu-chen, ihn zu erzwingen, so wäre das unheilvoll, eben weildann der Zusammenbruch unvermeidlich wäre. Was istaber zu tun? Man muß eine neue Lage schaffen, manmuß die Kräfte tüchtiger Gehilfen heranziehen und mitihnen gemeinsam den entscheidenden Schritt tun – dasgroße Wasser durchqueren. Dann wird die Vollendungmöglich werden.

Neun auf viertem Platz bedeutet:Beharrlichkeit bringt Heil. Reue schwindet.Erschütterung, um das Teufelsland zu züchtigen.Drei Jahre lang gibt es Belohnungen mit großen

Reichen.

Nun ist die Zeit des Kampfes. Der Übergang muß vollzo-gen werden. Man muß sich in seinem Entschluß ganzstark machen; das bringt Heil. Alle Bedenken, die einemin solch ernsten Kampfzeiten aufsteigen können, müssenschweigen. Es gilt einen heißen Kampf, das Teufelsland,die Mächte des Zerfalls zu erschüttern und zu züchtigen.Aber der Kampf hat auch seinen Lohn. Jetzt ist die Zeit,Grundlagen der Macht und Herrschaft zu legen für die

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 485: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.518 I Ging, 236Die einzelnen Linien

Zukunft.

Sechs auf fünftem Platz bedeutet:Beharrlichkeit bringt Heil. Keine Reue.Das Licht des Edlen ist wahrhaftig.Heil!

Der Sieg ist errungen. Die Kraft der Beständigkeit istnicht zuschanden geworden. Es ist alles gut gegangen.Alle Bedenken sind überwunden. Der Erfolg hat die Tatgerechtfertigt. Aufs neue strahlt das Licht einer edlen Per-sönlichkeit und setzt sich durch unter Menschen, diedaran glauben und sich darum sammeln. Die neue Zeitund mit ihr das Heil ist da. Und wie die Sonne nach demRegen doppelt schön erstrahlt oder der Wald nach einemBrande aus den verkohlten Trümmern mit vermehrterFrische grünt, so hebt sich die neue Zeit vom Elend deralten um so glänzender ab.

Oben eine Neun bedeutet:In wahrem Vertrauen trinkt man Wein.Kein Makel. Wenn man aber sein Haupt naß

macht,so verliert man das in Wahrheit.

Vor der Vollendung an der Grenze der neuen Zeit ist manim vollen gegenseitigen Vertrauen mit den Seinen zusam-men und verbringt die Zeit des Wartens beim Wein. Dadie neue Zeit schon unmittelbar vor der Tür steht, ist daskein Makel. Nur muß man dabei auf das rechte Maß be-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 486: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.519 I Ging, 236Die einzelnen Linien

dacht sein. Wenn man sich den Kopf im Übermut be-gießt, so verliert man die günstige Lage durch Unmäßig-keit.

Bemerkung: Wie das Zeichen »Nach der Vollendung«den allmählichen Übergang aus der Zeit des Aufstiegsüber die Kulturhöhe zur Stockungszeit darstellt, so stelltdas Zeichen »Vor der Vollendung« den Übergang ausdem Chaos zur Ordnung dar. Dieses Zeichen steht amEnde des Buchs der Wandlungen. Es weist darauf hin,daß in jedem Ende ein neuer Anfang liegt. So gibt es denMenschen Hoffnung. Das Buch der Wandlungen ist einBuch der Zukunft.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 487: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.520 I Ging, 237Zweites Buch: Das Material

Zweites Buch

Das Material

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 488: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.521 I Ging, 239Einleitung

Einleitung

Der erste Teil brachte den Text des Kernstücks ausdem Buch der Wandlungen. Dabei wurde das Ge-wicht darauf gelegt, sozusagen nur die geistige Seite,die Weisheit, die unter den oft wunderlichen Formenverborgen ist, ans Licht zu bringen. Das, was unserKommentar bietet, ist eine Zusammenfassung dessen,was im Lauf der Jahrhunderte im Anschluß an dieZeichen und Linien von den bedeutendsten DenkernChinas gedacht und gesagt wurde. Oft aber wird demLeser der Gedanke aufsteigen: Warum ist das allesso? Warum sind diese oft ganz unerwarteten Bildermit den Zeichen und Linien verknüpft? Aus welchenTiefen des Bewußtseins tauchen sie auf? Sind es reinwillkürliche Bildungen, oder folgen sie bestimmtenGesetzen? Wie kommt es ferner, daß diese Bilder nungerade mit diesen Gedanken verknüpft sind? Ist esnicht Willkürlichkeit, tiefe philosophische Gedankenzu suchen, wo dem Anschein nach nur groteske Phan-tasiebilder ihr Spiel treiben? Auf alle diese Fragensoll der zweite Teil Antwort geben, soweit es möglichist. Er soll das Material entfalten, aus dem jene Ge-dankenwelt hervorgeht, den Körper bieten zu jenemGeist. Und da zeigt es sich, wie ein geheimer Zusam-menhang tatsächlich besteht, wie auch scheinbar will-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 489: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.522 I Ging, 240Einleitung

kürliche Bilder doch irgendwie eine Unterlage habenin der Struktur der Zeichen, wenn man diese nur tiefgenug versteht. Die ältesten Kommentare, in denentechnische Ableitung und gedankenmäßige Ausfüh-rungen in der Regel verknüpft sind, stammen vonKungtse selbst oder mindestens aus seiner Umge-bung. Wir haben das, was sie an Gedankengehalt bie-ten, schon im ersten Teil mitverwendet. Hier werdensie mit dem Text zusammen, ohne den sie nicht ver-ständlich sind, noch einmal gegeben und nach ihrertechnischen Seite hin ausgeführt. Diese technischeSeite ist zum vollen Verständnis des Buchs unbedingterforderlich, und kein chinesischer Kommentar läßtsie beiseite. Es schien aber dennoch angezeigt, sievon der geistigen zu trennen, um den europäischenLeser nicht allzusehr durch Ungewohntes zu verwir-ren. Daß dabei Wiederholungen nicht zu vermeidenwaren, habe ich nicht bedauert. Das Buch der Wand-lungen ist ein Werk, das organisch langsam in Jahr-tausenden herangereift ist und das man sinnend undmeditierend in sich aufnehmen muß. Und dabei eröff-net gerade die scheinbare Wiederholung immer neueAusblicke. Was im zweiten Teil geboten wird, ist imwesentlichen das, was unter dem Namen der »zehnFlügel« bekannt ist. Diese zehn Flügel oder Erläute-rungen enthalten tatsächlich die älteste Kommentarli-teratur über das Buch der Wandlungen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 490: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.523 I Ging, 240Einleitung

Der erste dieser Kommentare heißt Tuan Dschuan.Tuan ist eigentlich der Schweinskopf, so wie er beiOpfern dargebracht wurde. Durch Klanggleichheitbekam das Wort ferner den Sinn von »Entscheidung«.Tuan, »Entscheidung«, oder Tsï, »Urteil«, bzw. HiTsï, »beigefügte Urteile«, war der Name, der den Ur-teilen über die einzelnen Zeichen gegeben wurde.Diese »Urteile« oder »Entscheidungen« werden demKönig Wen von Dschou (ca. 1150 v. Chr.) zuge-schrieben, und es ist im allgemeinen nicht an dieserTatsache gezweifelt worden. Zu diesen Entscheidun-gen gibt nun der Tuan Dschuan oder »Kommentar zuden Entscheidungen« die genauen Erklärungen aufGrund der Struktur und des sonstigen Materials derZeichen. Dieser Kommentar wird chinesischerseitsdem Kungtse zugeschrieben. Er ist durchaus gründli-che, wertvolle Arbeit und wirft viel Licht auf die inne-re Organisation der Zeichen des I Ging. Da notorischbekannt ist, daß Kungtse sich viel mit dem Buch derWandlungen beschäftigt hat, und da die Anschauun-gen dieses Kommentars nirgends den Anschauungendes Kungtse widersprechen, sehe ich keinen Grund, indie Behauptung der Autorschaft Kungtses Zweifel zusetzen. Dieser Kommentar zerfällt entsprechend denbeiden Abteilungen des Buchs der Wandlungen inzwei Teile und bildet die beiden ersten Flügel oderErläuterungen. Wir haben ihn aufgeteilt und den ein-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 491: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.524 I Ging, 241Einleitung

zelnen Zeichen, zu denen er gehört, jeweils beigege-ben1.

Der dritte und vierte Flügel wird von dem soge-nannten Siang Dschuan, Kommentar zu den Bildern,gebildet. Auch dieser Kommentar ist entsprechenddem Text in zwei Hälften geteilt. In seiner heutigenForm besteht er aus den sogenannten »großen Bil-dern«, die sich auf die Bilder der beiden Halbzeichenbeziehen und daraus den Sinn des Gesamtzeichensableiten, um aus dieser Betrachtung wieder Schlüssefür das menschliche Leben zu ziehen.

Dieser Kommentar gehört seinem ganzen Gedan-kenkreis nach in die Umgebung der »Höheren Bil-dung« (Da Hüo), also ebenfalls in die nächste Umge-bung von Kungtse.

Außer den »Großen Bildern« enthält dieser Kom-mentar aber auch noch die »Kleinen Bilder«; das sindganz kurze Winke zu den Worten des Herzogs vonDschou zu den einzelnen Linien. Von »Bildern« istdabei in keiner Weise die Rede. Es muß durch irgend-ein Mißverständnis bzw. Zufall gekommen sein, daßdieser Kommentar zu dem Text der einzelnen Linienin diesen Kommentar zu den »Bildern« mit hineinge-kommen ist. Dieser Linienkommentar enthält nurganz kurze Andeutungen, die meist gereimt sind.Möglich, daß sie zur Gedächtnishilfe niedergeschrie-bene Schlagworte einer sonst ausführlicheren Erklä-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 492: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.525 I Ging, 241Einleitung

rung waren. Daß sie alt sind und aus der konfuziani-schen Schule stammen, ist ebenfalls sicher. Wie nahesie an Kungtse selbst heranreichen, darüber möchteich kein bestimmtes Urteil abgeben.

Auch diese Kommentare wurden aufgeteilt und denihnen entsprechenden Stellen zugewiesen.

Der fünfte und sechste Flügel wird gebildet voneinem Aufsatz, über den manche Unklarheit herrscht:er heißt Hi Tsï oder Da Dschuan und ist ebenfalls inzwei Hälften geteilt. Die Bezeichnung Da Dschuanfindet sich bei Sï Ma Tsiën und bedeutet »GroßerKommentar«, »Große Abhandlung«. Über die Be-zeichnung Hi Tsï, »Beigefügte Urteile«, sagt DschuHi folgendes: »Die beigefügten Urteile sind ursprüng-lich die Urteile, die König Wen und der Herzog vonDschou gemacht und den Zeichen und ihren Linienbeigefügt haben, eben der heutige Text des Buches.Der vorliegende Abschnitt ist der Kommentar, in demKungtse die beigefügten Urteile erklärt, wobei er eineallgemeine Einführung in den ganzen Text des Ge-samtwerks gibt.« Man sieht sofort die Unklarheit derDefinition. Wenn die »Beigefügten Urteile« die Be-merkungen des Königs Wen und Herzogs Dschou zuden Zeichen und einzelnen Linien sind, so erwartetman von einem »Kommentar zu den beigefügten Ur-teilen« eben einen Kommentar zu den betreffendenBemerkungen und keine Abhandlung über das Werk

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 493: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.526 I Ging, 242Einleitung

im allgemeinen. Nun findet sich schon ein Kommen-tar zu den Entscheidungen der Zeichen, d.h. zum Textdes Königs Wen. Dagegen fehlt ein ausführlicherKommentar zu den Bemerkungen zu den einzelnenLinien des Herzogs von Dschou. Was wir haben, sindnur die kurzen Stichworte, die unter dem offenbar fal-schen Titel »Kleine Bilder« gehen. Wohl aber findensich Reste eines solchen Kommentars oder vielmehreiner ganzen Anzahl solcher Kommentare. Einigedavon – zu den beiden ersten Zeichen – sind in denWen Yen (Kommentar zu den Textworten) enthalten,worüber weiter unten noch näher gesprochen werdensoll. Einige Erklärungen zu einzelnen Linien sind indem Kommentar zu den beigefügten Urteilen da unddort zerstreut. Es ist höchst wahrscheinlich, daß wirin dem, was heute unter dem Namen Hi Tsï Dschuangeht, zwei ganz verschiedene Dinge beisammenhaben: eine Sammlung von Aufsätzen über das Buchder Wandlungen im allgemeinen, vermutlich das, wasSï Ma Tsiën den großen Kommentar, Da Dschuan,nannte, und darin zerstreut und dürftig nach Gesichts-punkten geordnet die Reste eines Kommentars zu denbeigefügten Urteilen der einzelnen Striche. Manchesweist darauf hin, daß wir in diesem Kommentar aufdieselbe Quelle kommen, wie sie auch in dem einenKommentar der unter dem Namen Wen Yen (Kom-mentar zu den Textworten) gehenden Sammlung vor-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 494: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.527 I Ging, 242Einleitung

liegt.Daß die unter dem Namen Hi Tsï oder Da Dschuan

gehenden Abhandlungen nicht von Kungtse niederge-schrieben sind, ist ganz klar. Es werden ja darin häu-fig Sätze als Aussprüche des Meisters zitiert2. Es istnatürlich Traditionsgut der konfuzianischen Schule,und zwar aus verschiedenen Zeiten, darin enthalten.

Ein sehr wichtiger Abschnitt ist der sogenannte sie-bente Flügel, genannt Wen Yen (Kommentar zu denTextworten). Es ist der Rest eines Kommentars zumBuch der Wandlungen oder vielmehr einer ganzenSerie solcher Kommentare. Er enthält sehr wertvollesMaterial aus der konfuzianischen Schule. Leider gehter nicht über das zweite Zeichen, Kun, hinaus.

Zum Zeichen Kiën, das Schöpferische, enthält erim ganzen vier verschiedene Kommentare, die in derÜbersetzung (die ebenfalls auf die beiden ZeichenKiën und Kun verteilt ist) als a, b, c, d bezeichnetsind. Der Kommentar a gehört derselben Schicht anwie die in den Hi Tsï zerstreuten Kommentarreste; siegeben den Text mit angehängter Frage: »Was heißtdas?«, ähnlich wie das im Kung-Yang-Kommentarzum Tschun Tsiu der Fall ist. Kommentar b und centhalten kurze Bemerkungen zu den einzelnen Linienim Stil des Kommentars der »Kleinen Bilder«. Kom-mentar d beschäftigt sich wieder mit dem Urteil zumganzen Zeichen und den einzelnen Strichen, ebenso

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 495: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.528 I Ging, 243Einleitung

wie a, nur in freierer Weise. Zum Zeichen Kun ist nurnoch ein Kommentar vorhanden, der der Art nach mitKommentar a verwandt ist, obwohl er eine andereSchicht repräsentiert (der Text wird den Ausführun-gen des Meisters nachgestellt), die in den Hi Tsï übri-gens ebenfalls vorkommt.

Der achte Flügel, Besprechung der Zeichen, SchuoGua, enthält altes Material zu der Erklärung der achtUrzeichen. Darunter dürfte manches Stück sein, dasüber Kungtse zeitlich hinaufgeht und seinerseits vonihm bzw. seiner Schule kommentiert ist.

Der neunte Flügel: die Reihenfolge, Anordnung derZeichen, Sü Gua, enthält eine zum Teil recht schwachmotivierte Erklärung, weshalb die Zeichen in ihrerheutigen Reihenfolge stehen, die nur dadurch interes-sant ist, daß sie zuweilen eigenartige Deutungen derNamen der Zeichen gibt, die sicher auf alter Überlie-ferung beruhen. Auch dieser Kommentar, der mitKungtse natürlich nichts zu tun hat, wurde aufgeteiltund den einzelnen Zeichen zugeordnet unter der Über-schrift: Reihenfolge.

Der letzte Flügel: Dsa Gua oder Vermischte Zei-chen sind in Versus memoriales gefaßte Definitionender einzelnen Zeichen, größtenteils in paarweiser Ge-genüberstellung, die übrigens von der Ordnung imjetzigen Buch der Wandlungen sehr wesentlich ab-weichen. Auch diese Definitionen wurden unter der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 496: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.529 I Ging, 243Einleitung

Überschrift »Vermischte Zeichen« aufgeteilt und deneinzelnen Zeichen beigegeben.

Im folgenden werden zunächst die beiden Ab-schnitte Schuo Gua, Besprechung der Zeichen, und HiTsï Dschuan oder Da Dschuan, Kommentar zu denbeigefügten Urteilen oder – richtiger – großer Kom-mentar, in Übersetzung gegeben und dann noch eini-ges über die Struktur der Zeichen aus verschiedenenQuellen beigebracht, das zum Verständnis des zwei-ten Teils von Wichtigkeit ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 497: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.530 I Ging, 243Einleitung

Fußnoten

1 James Legge in »The Sacred Books of China, theTexts of Confucianism Part II, the Yi King, Oxford1882« macht viel Aufhebens davon, daß erst durchAbtrennung der Kommentare vom Text das eigentli-che Verständnis des I Ging ermöglicht werde. Er son-dert daher die alten Kommentare sorgfältig ab, gibtdann aber dem Text die Kommentare der Sung-Zeitbei. Warum die Sung-Zeit, die ein Jahrtausend späterist, dem ursprünglichen Text näher gestanden habensoll als Konfuzius, darüber hat sich Legge nicht geäu-ßert. In Wirklichkeit folgt er mit peinlicher Genauig-keit der auch von uns benützten Rezension Dschou IDschê Dschung aus der Kanghi-Zeit. Legges Überset-zung steht hinter seinen übrigen sehr zurück. Er er-spart sich z.B. einfach die Übersetzung der Namender Zeichen, die freilich nicht ganz leicht, aber um sonotwendiger ist. Auch sonst kommen entschiedeneMißverständnisse vor.

2 Auch hier wird die Entstehung des Buchs derWandlungen in das »Mittlere Altertum« verlegt, eineZeiteinteilung, nach der die Epoche der Frühlings-und Herbst-Annalen, die mit Kungtse schließt, als»Jüngeres Altertum« geht. Daß diese Zeiteinteilungnicht von Kungtse selbst gebraucht sein kann, ist

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 498: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.531 I Ging, 243Einleitung

ohne weiteres klar.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 499: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.532 I Ging, 244Kapitel I

Schuo Gua

Besprechung der Zeichen

Kapitel I

§ 1

Die heiligen Weisen vor alters machten das Buchder Wandlungen also: Um in geheimnisvollerWeise den lichten Göttern zu helfen, erfanden siedas Schafgarbenorakel. Sie teilten dem Himmel dieZahl drei zu und der Erde die Zahl zwei und be-rechneten danach die weiteren Zahlen.Sie betrachteten die Veränderungen im Dunkelnund Lichten und stellten danach die Zeichen fest.Sie erzeugten Bewegungen im Festen und Weichenund ließen so die einzelnen Linien entstehen. Siebrachten sich in Übereinstimmung mit SINN undLEBEN und stellten demgemäß die Ordnung desRechten auf. Indem sie die Ordnung der Außenweltbis zu Ende durchdachten und das Gesetz des eig-nen Innern bis zum tiefsten Kern verfolgten, ge-langten sie bis zum Verständnis des Schicksals.

Dieser erste Paragraph bezieht sich auf das gesamte Buchder Wandlungen und die ihm zugrunde liegenden Prinzi-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 500: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.533 I Ging, 245Kapitel I

pien. Der ursprüngliche Zweck der Zeichen des Buchsder Wandlungen war die Erfragung des Schicksals. Da je-doch die göttlichen Wesen ihrem Wissen nicht unmittel-bar Ausdruck geben, mußte ein Mittel gefunden werden,durch das sie sich vernehmlich machen konnten. DerMedien für die Äußerung der übermenschlichen Intelli-genz waren seit alters drei: Menschen, Tiere und Pflan-zen, in denen das Leben auf verschiedene Weise pulsiert.Dazu kam als viertes die Benützung des Zufalls, in demsich gerade bei dem Mangel des unmittelbaren Sinnes eintieferer Sinn Ausdruck verschaffen konnte. Diese Benüt-zung des Zufalls ergab das Orakel. Das Buch der Wand-lungen beruht auf dem Pflanzenorakel, das durch medialveranlagte Menschen gehandhabt wird.

Die festgesetzte Sprache für die Kommunikation mitden übermenschlichen Intelligenzen beruht auf der Zahlund ihrer Symbolik. Die Grundprinzipien der Welt sindHimmel und Erde, Geist und Materie. Die Erde ist dasabgeleitete, darum wird ihr die Zahl zwei zugeteilt. DerHimmel ist die letzte Einheit, die aber die Erde in sich be-faßt, darum wird ihm die Zahl drei zugeteilt – da die Einszu abstrakt und unbeweglich ist, weil sie keine Mannig-faltigkeit in sich enthält. Dementsprechend wurden dannweiterhin die ungeraden Zahlen der himmlischen, die ge-raden Zahlen der irdischen Welt zugeteilt.

Die aus sechs Linien bestehenden Zeichen sind sozusa-gen Abbildungen von wirklichen Weltzuständen mitihren Kombinationen der lichten, himmlischen und derdunklen, irdischen Kraft. Innerhalb dieser Zeichen istaber die Möglichkeit der Veränderung und Umgestaltungder einzelnen Linien gegeben, so daß aus jedem Zeichenein neues entsteht, wie die Zustände der Welt sich fort-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 501: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.534 I Ging, 245Kapitel I

während wandeln. Der Vorgang des Wandels zeigt sichan den bewegten Linien, das Endergebnis im neuentstan-denen Zeichen.

Außer dem Zweck des Orakels dient aber das Buch derWandlungen auch zum intuitiven Verständnis der Welt-verhältnisse, zum Eindringen in die letzten Tiefen vonNatur und Geist. Die Zeichen geben die Bilder der Zu-stände und Verhältnisse der Welt im ganzen, die einzel-nen Linien behandeln innerhalb dieser Gesamtverhältnis-se die wechselnden Einzellagen. Das Buch der Wandlun-gen befindet sich im Einklang mit dem Sinn und Lebender Welt (Naturgesetz = Dau und Sittengesetz = De).Darum vermag es die Regeln aufzustellen darüber, wasfür jedermann das rechte ist. Der letzte Sinn der Welt, dasSchicksal, das Sosein der Welt, wie sie nun einmal durchschöpferische Entscheidung (Ming) geworden ist, wirderreicht, indem man in der Welt der äußeren Erfahrung(Natur) und der inneren Erfahrung (Geist) hinabsteigt bisin die letzten Quellen. Beide Wege führen zum selbenZiel. (Vgl. hierzu das erste Kapitel von Laotse.)

§ 2

Die heiligen Weisen vor alters machten das Buchder Wandlungen also: Sie wollten den Ordnungendes inneren Gesetzes und des Schicksals nachge-hen. Darum stellten sie den SINN des Himmels festund nannten ihn: das Dunkle und das Lichte. Siestellten den SINN der Erde fest und nannten ihn:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 502: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.535 I Ging, 246Kapitel I

das Weiche und das Feste. Sie stellten den SINNdes Menschen fest und nannten ihn: die Liebe unddie Gerechtigkeit. Diese drei Grundkräfte nahmensie zusammen und verdoppelten sie. Darum bildenim Buch der Wandlungen immer sechs Linien einZeichen.Die Plätze werden eingeteilt in dunkle und lichte,darauf stehen abwechselnd weiche und feste.Darum hat das Buch der Wandlungen sechs Plätze,die die Linienfiguren bilden.

Dieser Paragraph handelt von den Elementen der einzel-nen Zeichen und ihrem Zusammenhang mit dem Welt-verlauf. Wie am Himmel aus Abend und Morgen ein Tagwird durch den Wechsel von Dunkel und Licht (Yin undYang), so werden abwechselnd die geraden und ungera-den Plätze der einzelnen Zeichen als dunkel und licht be-zeichnet. Platz 1, 3, 5 sind lichte Plätze, Platz 2, 4, 6 sinddunkle Plätze. Wie ferner auf der Erde aus Festem undWeichem alle Wesen gebildet sind, so erhalten die einzel-nen Linien festen, d.h. ungeteilten, oder weichen, d.h. ge-teilten, Charakter. Diesen beiden Grundkräften in Him-mel und Erde entsprechen im Menschen die polaren Ei-genschaften der Liebe und der Gerechtigkeit, wobei Liebedem lichten, Gerechtigkeit dem dunklen Prinzip ent-spricht. Diese menschlichen Eigenschaften finden, da essich hierbei um etwas Subjektives, nichts Objektives han-delt, in den Elementen der Zeichen (Plätzen und Stri-chen) keinen besonderen Ausdruck. Wohl aber kommtdie Dreiheit der Weltprinzipien innerhalb der Gesamtzei-chen und ihrer Einteilung zum Ausdruck. Diese drei Prin-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 503: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.536 I Ging, 246Kapitel I

zipien zerfallen in Subjekt (Mensch), Objekt mit Form(Erde) und Gehalt (Himmel). Der unterste Platz innerhalbder Zeichen ist der Platz der Erde, der mittlere der desMenschen, der oberste der des Himmels. Entsprechendder polaren Zweiheit werden nun die ursprünglich ausdrei Strichen bestehenden Zeichen verdoppelt, so daß eszwei Plätze der Erde, des Menschen, des Himmels gibt.Und zwar sind dann jeweils die beiden unteren Plätze dieder Erde, Platz drei und vier die des Menschen und diebeiden oberen die des Himmels.

Es ist eine vollkommen geschlossene Weltbetrachtung,die hier ihren Ausdruck findet. Sie steht in unmittelbaremZusammenhang mit der des Werkes »Maß und Mitte«.

Dieses erste Kapitel gehört seinem ganzen Gedanken-gehalt nach zu der unter dem Namen »Beigefügte Urtei-le« gehenden Sammlung von Essays über den Sinn unddie Struktur der Gesamtzeichen. Mit dem folgenden istkein Zusammenhang da.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 504: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.537 I Ging, 247Kapitel II

Kapitel II

§ 3

Himmel und Erde bestimmen die Richtung. Bergund See stehen in Verbindung ihrer Kräfte. Donnerund Wind regen einander auf. Wasser und Feuerbekämpfen einander nicht. So werden die acht Zei-chen durcheinander gestellt.Das Vergehende zu zählen, beruht auf der Vor-wärtsbewegung. Das Kommende zu wissen, beruhtauf der rückläufigen Bewegung. Darum hat dasBuch der Wandlungen rückläufige Zahlen.

Hier werden in einem vermutlich sehr alten Spruch dieacht Urzeichen genannt in paarweiser Reihenfolge, dieder Überlieferung nach auf Fu Hi zurückgeht, also zurZeit der Abfassung des Buchs der Wandlungen in derDschoudynastie schon vorhanden war. Diese Reihenfol-ge wird die Reihenfolge des früheren Himmels oder vor-weltliche Reihenfolge genannt. Die einzelnen Zeichensind den Zeichen der Windrose folgendermaßen beige-ordnet – wobei zu beachten ist, daß im Chinesischen derSüden oben zu stehen pflegt:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 505: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.538 I Ging, 248Kapitel II

Kiën, Himmel, und Kun, Erde, bestimmen die Richtung-sachse Nord-Süd. Dann kommt die Beziehung Gen,Berg, und Dui, See. Sie stehen insofern in Verbindungihrer Kräfte, als der Wind vom Berg nach dem See wehtund die Wolken und Dünste vom See nach dem Bergaufsteigen. Dschen, Donner, und Sun, Wind, verstärkeneinander bei ihrem Hervortreten. Li, Feuer, und Kan,Wasser, stehen in der Welt der Erscheinung in unver-söhnlichem Gegensatz. Aber in den vorweltlichen Bezie-hungen stören ihre Wirkungen einander nicht, sondernhalten einander im Gleichgewicht.

Beim Durcheinanderstellen der Zeichen, d.h. wenn siein Bewegung kommen, ist eine doppelte Bewegung zukonstatieren, die gewöhnliche, rechtläufige, sich im Zeit-verlauf summierende und expandierende, durch die dasVergehende bestimmt wird, und eine entgegengesetzte,rückläufige, sich im Zeitverlauf zusammenfaltende undkontrahierende, durch die die Keime der Zukunft sich ge-stalten. Die Kenntnis dieser Bewegung verleiht das Wis-sen der Zukunft. Bildlich ausgedrückt: Wenn man ver-steht, wie der Baum sich im Samenkorn zusammenzieht,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 506: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.539 I Ging, 248Kapitel II

so versteht man die künftige Entfaltung des Samenkornszum Baum.

§ 4

Der Donner bewirkt die Bewegung, der Wind be-wirkt die Auflösung, der Regen bewirkt die Be-feuchtung, die Sonne bewirkt die Erwärmung, dasStillehalten bewirkt die Innehaltung, das Heitre be-wirkt die Erfreuung, das Schöpferische bewirkt dieBeherrschung, das Empfangende bewirkt die Ber-gung.

Hier werden abermals die durch die acht Urzeichen dar-gestellten Kräfte in ihrer Wirkung auf die Natur darge-stellt. Dabei werden die vier ersten mit ihren Bildern, dievier letzten mit ihren Namen genannt, da nur die vier er-sten in ihren Bildern zeitlich wirksame Naturkräfte be-zeichnen, während die andern auf Zustände deuten, dieim Lauf des Jahres eintreten.

Dabei haben wir eine vorwärtsgehende (aufsteigende)Linie, in der die Kräfte des vergangenen Jahres sich aus-wirken. – Die Verfolgung dieser Linie führt nach § 3 zurKenntnis der Vergangenheit, die als Ursache in ihrenWirkungen latent gegenwärtig ist. In der zweiten Hälfte,die nicht nach den Bildern (Erscheinungen), sondernnach den Eigenschaften der Zeichen benannt ist, setzteine rückläufige Bewegung ein (der Sprung von Li, dasim Osten steht, zurück zu Gen im Nordwesten). In dieser

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 507: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.540 I Ging, 249Kapitel II

Linie entwickeln sich die Kräfte des kommenden Jah-res. – Die Verfolgung dieser Linie führt zur Kenntnis derZukunft, die als Wirkung durch ihre Ursachen, bzw.Keime, die sich kontrahierend verdichten, vorbereitetwird.

Die Kräfte wirken sich innerhalb der vorweltlichen An-ordnung immer in paarweisen Gegensätzen aus. DerDonner, die elektrische Kraft, weckt die Samen des altenJahres. Sein Gegenstück, der Wind, löst die Starrheit deswinterlichen Eises auf. Der Regen befeuchtet die Samen,so daß sie keimen können, sein Gegenstück, die Sonne,gibt die nötige Wärme dazu. Daher der Spruch: »Wasserund Feuer bekämpfen einander nicht.« Nun kommen dierückläufigen Kräfte. Das Stillehalten hemmt die weitereExpansion; die Samenanlage beginnt. Sein Gegenstück,das Heitere, bewirkt die Freuden der Ernte. Dann kom-men zum Abschluß die richtunggebenden Kräfte: dasSchöpferische, das das große Gesetz des Daseins reprä-sentiert, und das Empfangende, das das Bergen im Mut-terschoß zeigt, in den alles zurückkehrt, nachdem es denKreislauf des Lebens vollendet.

Wie im Jahreslauf sind auch im Menschenleben solcheaufsteigenden und rückläufigen Kraftlinien vorhanden,aus denen Vergangenheit und Zukunft entnommen wer-den kann.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 508: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.541 I Ging, 249Kapitel II

§ 5

Gott tritt hervor im Zeichen des Erregenden, ermacht alles völlig im Zeichen des Sanften, er läßtdie Geschöpfe einander erblicken im Zeichen desHaftenden (des Lichts), er läßt sie einander dienenim Zeichen des Empfangenden. Er erfreut sie imZeichen des Heiteren, er kämpft im Zeichen desSchöpferischen, er müht sich im Zeichen des Ab-gründigen, er vollendet sie im Zeichen des Stille-haltens.

Hier ist die Reihenfolge der acht Zeichen nach der Ord-nung des Königs Wen gegeben, die die Reihenfolge desspäteren Himmels oder innerweltliche Ordnung genanntwird. Die Zeichen sind hier aus ihrer paarweise entgegen-gesetzten Ordnung gelöst und in der zeitlichen Reihenfol-ge ihres Hervortretens in die Erscheinung im Kreislaufdes Jahres gezeigt. Dabei ist die Ordnung der Zeichensehr wesentlich verändert. Himmelsrichtungen und Jah-reszeiten sind kombiniert. Die Ordnung stellt sich folgen-dermaßen dar:

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 509: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.542 I Ging, 250Kapitel II

Das Jahr beginnt die Schöpfertätigkeit Gottes zu zeigenin dem Zeichen Dschen, das Erregende, das im Ostensteht und den Frühling bedeutet. Über die Art, wie dieseWirksamkeit Gottes in der Natur vor sich geht, enthältdas Folgende nähere Ausführungen.

Es ist höchst wahrscheinlich, daß der obige Spruch einRätselspruch aus alter Zeit ist, der im Folgenden eineDeutung erfahren hat, die wohl auf die Gedankenwelt derSchule des Kungtse hinweist.

Alle Wesen treten hervor im Zeichen des Erregen-den. Das Erregende steht im Osten.Sie werden völlig im Zeichen des Sanften. DasSanfte steht im Südosten. Völligkeit bedeutet, daßalle Wesen rein und völlig werden.Das Haftende ist die Helle, in der alle Wesen ein-ander erblicken. Es ist das Zeichen des Südens.Daß die heiligen Weisen mit dem Gesicht nach

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 510: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.543 I Ging, 251Kapitel II

Süden gewandt waren, wenn sie den Sinn desWeltreichs anhörten, hat die Bedeutung, daß siesich dem Hellen zuwandten bei ihrem Walten. Of-fenbar entnahmen sie das diesem Zeichen.Das Empfangende bedeutet die Erde. Sie sorgtdafür, daß alle Wesen ernährt werden. Darum heißtes: »Er läßt sie einander dienen im Zeichen, desEmpfangenden.«Das Heitere ist der Mittherbst, der alle Wesen er-freut. Darum heißt es: »Er erfreut sie im Zeichendes Heiteren.«»Er kämpft im Zeichen des Schöpferischen.« DasSchöpferische ist das Zeichen des Nordwestens. Esbedeutet, daß hier das Dunkle und das Lichte ein-ander aufregen.Das Abgründige bedeutet das Wasser. Es ist dasZeichen des genauen Nordens, das Zeichen derMühe, dem alle Wesen zufallen. Darum heißt es:»Er müht sich im Zeichen des Abgründigen.«Das Stillehalten ist das Zeichen des Nordostens,wo aller Wesen Anfang und Ende vollendet wird.Darum heißt es: »Er vollendet sie im Zeichen desStillehaltens.«

Hier werden Jahreslauf und Tageslauf miteinander inEinklang gebracht. Was im vorigen Abschnitt als die Ent-faltung des Göttlichen dargestellt war, wird hier nach sei-ner Erscheinung in der Natur dargestellt. Die Zeichen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 511: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.544 I Ging, 251Kapitel II

werden den Jahreszeiten und Himmelsrichtungen zuge-teilt, ohne Schematismus, durch gelegentliche Hinweise,aus denen sich das oben gezeichnete Schema ergibt. DerFrühling regt sich, und damit kommt Keimen und Spros-sen in die Natur. Das entspricht dem Morgen des Tages.Dieses Erwachen ist dem Zeichen des Erregenden,Dschen, zugeteilt, das als Donner und elektrische Kraftaus der Erde hervorströmt. Dann kommt die linde Luft,die die Pflanzenwelt erneuert und die Erde mit Grün klei-det. Das entspricht dem Zeichen des Sanften, Eindringen-den, Sun. Sun hat als Bild sowohl den Wind, der das star-re Wintereis auflöst, als auch das Holz, das organisch sichentwickelt. Die Wirkung dieses Zeichens ist, daß dieDinge in ihre Formen sozusagen einströmen, sich entwik-keln und auswachsen zu dem, was im Keim als Formvorgebildet ist. Darauf kommt die Höhe des Jahres, Mitt-sommer, bzw. im Tageslauf der Mittag. Hier steht dasZeichen Li, das Haftende, das Licht. Hier erblicken dieWesen einander. Das vegetativ Organische geht über insseelisch Bewußte. So ist das zugleich ein Bild dermenschlichen Gemeinschaft, in der der Herrscher, derKlarheit zugewandt, über den Erdkreis waltet. Es ist zubeachten, daß das Zeichen Li den Platz im Süden ein-nimmt, den bei der vorweltlichen Ordnung das ZeichenKiën, das Schöpferische, innehatte. Li besteht demWesen nach aus dem unteren und dem oberen Strich vonKiën, die den zentralen Strich von Kun in sich aufgenom-men haben. Man muß zum vollen Verständnis die inner-weltliche Ordnung immer als transparent sich vorstellen,wobei die vorweltliche Ordnung durchschimmert. Sokommen wir hier bei dem Zeichen Li gleichzeitig auf denHerrscher Kiën, der mit dem Gesicht nach Süden ge-wandt regiert. Darauf kommt das Reifen der Feldfrüchte,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 512: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.545 I Ging, 252Kapitel II

das Kun, die Erde, das Empfangende, gewährt. Es ist dieZeit der Erntearbeit, des gemeinsamen Dienens. Dannfolgt der Mittherbst unter dem Zeichen des Heiteren, Dui,das, wie der Abend den Tag, so als Herbst das Jahr seinerReife und Freude zuführt. Es kommt dann die strengeZeit, da sich zeigen muß, was geleistet ist. Gericht liegt inder Luft. Von der Erde kehren die Gedanken zurück zumHimmel, dem Schöpferischen, Kiën. Ein Kampf wird ge-kämpft. Eben während das Schöpferische zur Herrschaftkommt, ist der äußeren Auswirkung nach die dunkle Yin-kraft am mächtigsten. Daher regen hier das Dunkle unddas Lichte einander auf. Ein Zweifel, wer in diesemKampf siegen wird, kann nicht bestehen, da es nur dieletzte Auswirkung vorher gelegener Ursachen ist, diedurch das Schöpferische ihr Gericht findet. Darauf folgtdann der Winter im Zeichen des Abgründigen, Kan. Kan,das im Norden – am Platz des Empfangenden in der vor-weltlichen Ordnung – steht, hat als Symbol die Tal-schlucht. Es kommt die Mühe des Sammelns in dieScheunen. Wie das Wasser keine Mühe scheut, sondernsich immer der tiefsten Stelle zuwendet, weshalb ihmalles zufließt, so ist der Winter im Jahreslauf und die Mit-ternacht im Tageslauf die Zeit der Sammlung. Geheim-nisvoll bedeutend ist das Zeichen Stillehalten, Gen, dasals Symbol den Berg hat. Hier knüpft sich in tiefverbor-gener Stille im Samenkorn das Ende aller Dinge an einenneuen Anfang. Tod und Leben, Sterben und Auferstehensind die Gedanken, die der Übergang vom alten Jahr insneue auslöst.

So ist der Kreis geschlossen. Wie in der Natur der Tagoder das Jahr, so ist jedes Leben, ja jeder Erlebniszyklusein Zusammenhang, durch den Altes und Neues ver-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 513: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.546 I Ging, 253Kapitel II

knüpft wird. Von hier aus ist es zu verstehen, wenn inmehreren der 64 Zeichen Südwesten die Arbeitszeit undGemeinsamkeit bedeutet und Nordwesten die einsameZeit, da Altes beendet und Neues begonnen wird.

§ 6

Der Geist ist geheimnisvoll in allen Wesen undwirkt durch sie. Unter allem, was die Dinge be-wegt, gibt es nichts Schnelleres als den Donner.Unter allem, was die Dinge beugt, gibt es nichtsSchnelleres als den Wind. Unter allem, was dieDinge erwärmt, gibt es nichts Austrocknenderes alsdas Feuer. Unter allem, was die Dinge erfreut, gibtes nichts Erfreulicheres als den See. Unter allem,was die Dinge feuchtet, gibt es nichts Feuchteresals das Wasser. Unter allem, was die Dinge endetund die Dinge anfängt, gibt es nichts Herrlicheresals das Stillehalten.Darum: Wasser und Feuer ergänzen einander, Don-ner und Wind stören einander nicht, Berg und Seestehen in Kraftwirkung miteinander: so nur ist Ver-änderung und Umgestaltung möglich und könnenalle Dinge vollendet werden.Hier wird nur die Wirkung der sechs abgeleitetenUrzeichen aufgeführt. Diese Wirkung ist die Wir-kung des Geistigen, das nicht ein Ding neben Din-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 514: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.547 I Ging, 253Kapitel II

gen ist, sondern die Kraft, die durch die verschiede-nen Wirkungen von Donner, Wind usw. sich be-weist. Die beiden Urzeichen »das Schöpferische«und »das Empfangende« sind nicht genannt, weilsie als Himmel und Erde eben die Ausstrahlungendes Geistes sind, innerhalb deren durch die Wir-kung der abgeleiteten Kräfte die sichtbare Welt ent-steht und sich wandelt. Jede dieser Kräfte wirkt ineiner bestimmten Richtung; aber Bewegung undWandlung ist nur möglich dadurch, daß die paar-weise entgegengesetzten Kräfte, ohne einander auf-zuheben, die Kreisbewegung in Schwung setzen,auf der das Leben der Welt beruht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 515: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.548 I Ging, 253Kapitel III

Kapitel III

Das dritte Kapitel behandelt die acht Zeichen einzeln undgibt die Symbolzusammenhänge, mit denen sie verknüpftsind. Es ist insofern von Wichtigkeit, als aus diesen Sym-bolzusammenhängen sich vielfach die Textworte zu deneinzelnen Strichen erklären lassen. Die Kenntnis dieserZusammenhänge ist technisch wichtig für das Verständ-nis des Buchs der Wandlungen in Beziehung auf seinenAufbau.

§ 7 Die Eigenschaften

Das Schöpferische ist stark, das Empfangende isthingebend, das Erregende bedeutet Bewegung. DasSanfte ist eindringend. Das Abgründige ist gefähr-lich. Das Haftende bedeutet Abhängigkeit. DasStillehalten bedeutet Stehenbleiben. Das Heiterebedeutet Freude.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 516: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.549 I Ging, 254Kapitel III

§ 8 Die symbolischen Tiere

Das Schöpferische wirkt im Pferd, das Empfangen-de in der Kuh, das Erregende im Drachen, dasSanfte im Hahn, das Abgründige im Schwein, dasHaftende im Fasan, das Stillehalten im Hund, dasHeitere im Schaf.

Das Schöpferische wird symbolisiert durch das Pferd1,das rasch und unermüdlich dahinrennt, das Empfangendedurch die sanfte Kuh. Das Erregende, dessen Bild derDonner ist, hat den Drachen, der aus der Tiefe sich anden Gewitterhimmel emporschwingt, entsprechend demeinen starken Strich, der unterhalb der beiden weichenLinien nach oben drängt. Das Sanfte, Eindringende hatden Hahn, der als Wächter der Zeit mit seiner Stimme dieStille durchdringt, die sich ausbreitet wie der Wind: dasBild des Sanften. Das Abgründige hat als Bild das Was-ser. Das Schwein ist unter den Haustieren das imSchlamm und Wasser lebende. Das Haftende, der Schein,hat in seinem Zeichen Li schon ursprünglich das Bildeines fasanartigen Feuervogels. Das Stillehalten hat denHund, den treuen Wächter, zum Tier, das Heitere dasSchaf, das als Tier des Westens gilt; die beiden oberen,getrennten Striche deuten auf die Hörner des Schafs.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 517: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.550 I Ging, 254Kapitel III

§ 9 Die Körperteile

Das Schöpferische wirkt im Haupt, das Empfan-gende in der Bauchhöhle, das Erregende im Fuß,das Sanfte in den Schenkeln, das Abgründige imOhr, das Haftende (der Schein) im Auge, das Stille-halten in der Hand, das Heitere im Mund.

Das Haupt beherrscht den ganzen Leib. Die Bauchhöhledient zum Aufbewahren, der Fuß tritt auf und bewegt, dieHand hält fest. Die Schenkel verzweigen sich verhülltnach unten, der Mund öffnet sich sichtbar nach oben.Das Ohr ist außen hohl, das Auge ist innen hohl: lauterGegensatzpaare, die den Zeichen entsprechen.

§ 10 Die Familie der Urzeichen

Das Schöpferische ist der Himmel, darum wird esder Vater genannt. Das Empfangende ist die Erde,darum wird es die Mutter genannt.Im Zeichen des Erregenden sucht sie zum erstenmaldie Kraft des Männlichen und bekommt einenSohn. Darum heißt das Erregende der älteste Sohn.Im Zeichen des Sanften sucht das Männliche zumerstenmal die Kraft des Weiblichen und erhält eineTochter. Darum heißt das Sanfte die älteste Toch-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 518: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.551 I Ging, 255Kapitel III

ter.Im Abgründigen sucht sie zum zweitenmal und be-kommt einen Sohn. Darum heißt das der mittlereSohn.Im Haftenden sucht er zum zweitenmal und be-kommt eine Tochter. Darum heißt das die mittlereTochter.Im Stillehalten sucht sie zum drittenmal und be-kommt einen Sohn. Darum heißt dies der jüngsteSohn.Im Heiteren sucht er zum drittenmal und bekommteine Tochter. Darum heißt das die dritte Tochter.

Bei den Söhnen stammt der Ableitung nach das Materiel-le von der Mutter, daher zwei weibliche Strichelemente,während das beherrschende, determinierende Strichele-ment vom Vater stammt und umgekehrt. Die Geschlech-ter schlagen in den Nachkommen jeweils in ihr Gegenteilum.

Hier in der innerweltlichen Ordnung ist ein Geschlech-terwechsel der abgeleiteten Zeichen gegenüber der vor-weltlichen Ordnung zu beobachten. In der vorweltlichenOrdnung ist jeweils der unterste Strich geschlechtsbe-stimmend. Da sind die Söhne: 1. Dschen, das Erregende,2. Li, das Haftende (die Sonne), 3. Dui, das Heitere. Siestehen in der Anordnung in der Osthälfte. Die Töchtersind: 1. Sun, das Sanfte, 2. Kan, das Abgründige (derMond), 3. Gen, das Stillehaltende. Sie stehen in der West-hälfte. Es haben also in der innerweltlichen Ordnung nurDschen und Sun ihr Geschlecht beibehalten. Die Anord-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 519: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.552 I Ging, 256Kapitel III

nung zeigt die Söhne links von Kiën, dem Schöpferi-schen, während Kun die beiden älteren Töchter rechtsvon sich, die jüngste links zwischen sich und Kiën hat.

§ 11 Weitere Symbole

Das Schöpferische ist der Himmel, ist rund, ist derFürst, ist der Vater, ist der Nephrit, ist das Metall,ist die Kälte, ist das Eis, ist das Tiefrote, ist eingutes Pferd, ist ein altes Pferd, ist ein mageresPferd, ist ein wildes Pferd, ist das Baumobst.

Die meisten der Symbole ergeben sich von selbst. DerNephrit ist das Symbol der fleckenlosen Reinheit und derFestigkeit, ebenso das Metall. Kälte und Eis ergeben sichaus der Stellung des Zeichens im Nordwesten. Das Tief-rote ist die gesteigerte Farbe des Lichten (im Text istSchwarzblau die Farbe des Schöpferischen entsprechendder Farbe des Himmels). Die verschiedenen Pferde deu-ten auf Kraft, Dauer, Festigkeit, Stärke (das »wilde« Pferdist ein mythisches Tier mit Sägezähnen, das selbst einenTiger zerbeißen kann). Das Obst ist das Symbol derDauer im Wechsel.

Zusätze späterer Kommentare: ist gerade, ist der Dra-che, ist das Obergewand, ist das Wort.

Das Empfangende ist die Erde, ist die Mutter, istTuch, ist der Kessel, ist die Sparsamkeit, ist eben-mäßig, ist ein Kalb mit der Kuh, ist ein großer

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 520: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.553 I Ging, 256Kapitel III

Wagen, ist die Form, ist die Menge, ist der Stamm.Unter den Erdarten ist es die schwarze.

Die ersten Symbole sind ohne weiteres verständlich. DasTuch ist das Ausgebreitete; die Erde ist mit Leben be-deckt wie mit einem Gewand. Im Kessel kocht man dieDinge, bis sie gar sind; so ist die Erde der große Schmelz-tiegel des Lebens. Die Sparsamkeit ist eine Grundeigen-schaft der Natur. Ebenmäßig bedeutet, daß sie keine Zu-und Abneigung kennt. Kalb mit Kuh ist Symbol derFruchtbarkeit; der große Wagen ist das Symbol, daß siealle Wesen trägt. Form und Verzierung ist das Gegenteildes Gehalts, der im Schöpferischen gegeben ist. DieMenge oder Mehrheit steht im Gegensatz zur Einheit desSchöpferischen. Der Stamm ist das, aus dem die Zweigeentspringen, wie alles Leben aus der Erde entspringt.Schwarz ist das gesteigerte Dunkel2.

Das Erregende ist der Donner, ist der Drache, istdunkelgelb, ist das Ausbreiten, ist eine großeStraße, ist der älteste Sohn, ist entschieden und hef-tig, ist grüner, junger Bambus, ist Schilf und Rohr.Unter den Pferden bedeutet es die, die gut wiehernkönnen, die mit weißen Hinterbeinen, die galoppie-renden, die mit einem Stern auf der Stirn.Unter den Nutzpflanzen sind es die Hülsenfrüchte.Schließlich ist es das Starke, das üppig Gedeihen-de.

Dunkelgelb ist die Mischung des dunklen Himmels und

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 521: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.554 I Ging, 257Kapitel III

der gelben Erde. Das Ausbreiten – vielleicht ist zu lesen:die Blüten – deutet auf das üppige Wachstum im Früh-ling, das die Erde mit einem Pflanzenkleide überzieht.Die große Straße deutet auf den allgemeinen Weg zumLeben im Frühling. Bambus, Schilf und Rohr sind beson-ders rasch wachsende Pflanzen. Das Wiehern der Pferdedeutet auf ihre Verwandtschaft mit dem Donner. Dieweißen Hinterbeine leuchten weithin beim Lauf. Der Ga-lopp ist die bewegteste Gangart. Die Hülsenfrüchte tragenbeim Keimen noch die Hülse des Samens an sich.

Das Sanfte ist das Holz, ist der Wind, ist die ältesteTochter, ist die Richtschnur, ist die Arbeit, ist dasWeiße, ist das Lange, ist das Hohe, ist Fortschrittund Rückzug, ist das Unentschiedene, ist der Ge-ruch.Unter den Menschen bedeutet es die Grauhaarigen,bedeutet es die mit breiter Stirn, bedeutet es die mitviel Weiß im Auge, bedeutet es die, die dem Ge-winn nahe stehen, so daß sie auf dem Markt dasDreifache bekommen. Schließlich ist es das Zei-chen der Heftigkeit.

Die ersten Bedeutungen sind ohne weiteres verständlich.Die Richtschnur ist das Zeichen insofern, als es sich aufdie windartige Ausbreitung von Befehlen bezieht. Weißist die Farbe des Yinprinzips. Hier ist das Yin im Anfangan unterster Stelle. Das Holz wächst lang; der Windkommt in große Höhen hinauf. Fortschritt und Rückzugbezieht sich auf die Unentschiedenheit des Windes; hier-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 522: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.555 I Ging, 258Kapitel III

her gehört auch die Unentschiedenheit und der Geruch,der durch den Wind vermittelt wird. Die Grauhaarigen,spärlich behaarten Menschen haben viel Weiß im Haar.Die mit viel Weiß im Auge sind hochmütig und heftig.Heftig sind auch die Gewinnsüchtigen, so daß schließlichdas Zeichen in sein Gegenteil umschlägt und die Heftig-keit, d.h. Dschen, repräsentiert.

Das Abgründige ist das Wasser, sind Gräben, istder Hinterhalt, ist das Geradebiegen und Krumm-biegen, ist der Bogen und das Rad.Unter den Menschen bedeutet es die Melancholi-schen, die im Herzen Kranken, die mit Ohren-schmerzen.Es ist das Zeichen des Blutes, ist das Rote.Unter den Pferden bedeutet es die mit schönemRücken, mit wildem Mut, die den Kopf hängen las-sen, die dünne Hufe haben, die Stolpernden.Unter den Wagen bedeutet es die mit vielen Feh-lern.Es ist das Durchdringen, ist der Mond.Es bedeutet die Diebe.Unter den Holzarten bedeutet es die festen mit vielMark.

Die ersten Eigenschaften ergeben sich wieder von selbst.Das Gerade- und Krummbiegen liegt im schlängelndenGang des Wassers; von da aus kommt der Gedanke aufGebogenes, auf Bogen und Rad. Der Trübsinn wird aus-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 523: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.556 I Ging, 258Kapitel III

gedrückt durch den einen starken Strich, der zwischenzwei schwachen eingeklemmt ist, ebenso die Herzkrank-heit. Das Zeichen ist die Mühe und das Ohr. Durch müh-sames Anhören gibt es Ohrenschmerzen.

Das Blut ist die Flüssigkeit des Körpers, daher ist seineFarbe rot, wenn auch etwas heller als die von Kiën, demSchöpferischen. Durch das Durchdringen bekommt es,auf den Wagen angewandt, das Bild eines zerbrochenenWagens, der als Lastwagen dient. Das Durchdringen wirdnahegelegt durch den durchdringenden Strich in derMitte, der zwischen die zwei schwachen eingekeilt ist.Als Wasserelement bedeutet es den Mond, der somit alsmännlich erscheint. Die heimlich Durchdringenden undFortschleichenden sind die Diebe. Ebenso ist auch dieMarkigkeit des Holzes etwas, das mit der Eigenschaft desDurchdringens zusammenhängt.

Das Haftende ist das Feuer, ist die Sonne, ist derBlitz, ist die mittlere Tochter.Es bedeutet Panzer und Helme, es bedeutet Lanzenund Waffen. Unter den Menschen bedeutet es diemit großem Bauch.Es ist das Zeichen der Trockenheit. Es bedeutet dieSchildkröte, die Krabbe, die Schnecke, die Mu-schel, die Karettschildkröte.Unter den Bäumen bedeutet es die oben am Stammdürren.

Soweit sich die verschiedenen Symbole nicht von selbstverstehen, werden sie nahegelegt durch die Bedeutung

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 524: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.557 I Ging, 259Kapitel III

des Feuers, der Hitze und Trockenheit, ferner durch denCharakter des Zeichens, das außen fest und innen hohlbzw. weich ist. Hierher gehören die Waffen, der dickeBauch, die Schaltiere, die hohlen Bäume, die oben anfan-gen dürr zu werden.

Das Stillehalten ist der Berg, ist ein Nebenweg, be-deutet kleine Steine, bedeutet Türen und Öffnun-gen, bedeutet Früchte und Samen, bedeutet Eunu-chen und Wächter, bedeutet die Finger, ist derHund, ist die Ratte und die Arten der Schwarz-schnäbel.Unter den Bäumen bedeutet es die festen, knotigen.

Ein Nebenweg wird durch die Bergpfade nahegelegt,ebenso die Steine. Das Tor wird durch die Form des Zei-chens nahegelegt. Früchte und Samen sind dieVermittlung zwischen Ende und Anfang der Pflanzen.Eunuchen sind Türhüter, Wächter sind Straßenhüter,beide schützen und bewachen. Die Finger sind zum Fest-halten da. Der Hund bewacht, die Ratte nagt, die Vögelmit schwarzen Schnäbeln können Dinge leicht festhalten.Ebenso sind die knotigen Stämme diejenigen, die ammeisten standhalten.

Das Heitere ist der See, ist die jüngste Tochter, isteine Zauberin, ist Mund und Zunge, bedeutet Ver-derben und Zerbrechen, bedeutet Abfallen und Auf-springen.Unter den Erdarten bedeutet es die harten und sal-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 525: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.558 I Ging, 259Kapitel III

zigen.Es ist die Nebenfrau, ist das Schaf.

Die Zauberin ist eine Frau, die redet. Das Heitere ist obenoffen, daher Mund und Zunge. Es steht im Westen undsteht daher mit dem Gedanken des Herbstes, des Zerstö-rens, in Verbindung, daher Verderben und Zerbrechen,Abfallen und Aufspringen der reifen Früchte. Harte, salzi-ge Erde ist die Erde an Orten, wo Seen ausgetrocknetsind. Die Nebenfrau leitet sich ab aus dem Gedanken derjüngsten Tochter. Das Schaf, außen schwach und innenbockig, wird, wie schon bemerkt, durch die Form des Zei-chens nahegelegt. Zu beachten ist, daß Schaf und Ziegein China als ungefähr dieselben Tiere, die denselbenNamen haben, aufgefaßt werden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 526: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.559 I Ging, 259Kapitel III

Fußnoten

1 Es sind hier Varianten zum Text des I Ging vorhan-den, in denen das Schöpferische den Drachen, dasEmpfangende die Stute, das Haftende die Kuh hat.

2 Im Text ist die Farbe des Empfangenden Gelb, seinTier die Stute.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 527: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.560 I Ging, 260Kapitel I

Da Dschuan

Die Große Abhandlung

(auch Hi Tsï Dschuan, Kommentar zu denbeigefügten Urteilen, genannt)

1. Abteilung

A. Die Grundlagen

Kapitel I

Die Wandlungen in der Schöpfung und im Buch derWandlungen

§ 1

Der Himmel ist hoch, die Erde ist niedrig; damit istdas Schöpferische und das Empfangende bestimmt.Entsprechend diesem Unterschied von Niedrigkeitund Höhe werden vornehme und geringe Plätzefestgesetzt.Bewegung und Ruhe haben ihre bestimmten Geset-ze; danach werden feste und weiche Linien unter-schieden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 528: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.561 I Ging, 261Kapitel I

Die Ereignisse folgen je nach ihrer Art bestimmtenRichtungen. Die Dinge unterscheiden sich vonein-ander nach bestimmten Klassen. Auf diese Weiseentstehen Heil und Unheil. Am Himmel bilden sichErscheinungen, auf Erden bilden sich Gestaltun-gen; daran offenbaren sich Veränderung und Um-gestaltung.

Man unterscheidet im Buch der Wandlungen drei Artendes Wandels: das Nichtwandeln, das Umwandeln und dasVerwandeln. Das Nichtwandeln ist sozusagen der Hinter-grund, auf dem aller Wandel erst möglich ist. Es muß beiallem Wandel ein Vergleichspunkt da sein, auf den derWandel bezogen wird, sonst ist eine bestimmte Ordnungnicht möglich, sondern alles löst sich auf in chaotischeBewegung. Dieser Beziehungspunkt muß festgesetztwerden, bedarf jederzeit einer Wahl und Entscheidung.Er gibt das Koordinatensystem, in das alles Weitere ein-gereiht werden kann. Daher steht am Anfang der Weltwie am Anfang des Denkens die Entscheidung, die Fest-setzung des Beziehungspunktes. An sich ist jeder Bezieh-ungspunkt möglich, nur ergibt die Erfahrung, daß wirschon beim Erwachen unseres Bewußtseins in bestimm-ten übermächtigen Beziehungsgefügen mittendrin ste-hen. Das Problem ist nun, den eigenen Beziehungspunktso zu wählen, daß er mit dem Beziehungspunkt des kos-mischen Weltgeschehens zusammenfällt. Denn nur dannwird die durch unsere Entscheidung geschaffene Weltvor dem Schicksal bewahrt bleiben, an übermächtigenBeziehungsgefügen, mit denen sie sonst in Konfliktkäme, zu zerschellen. Selbstverständlich ist Vorausset-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 529: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.562 I Ging, 261Kapitel I

zung für diese Entscheidung der Glaube, daß die Welt imletzten Grunde ein Gefüge einheitlicher Beziehungen ist,daß sie ein Kosmos, kein Chaos ist. Dieser Glaube ist dieGrundlage der chinesischen Philosophie – wie aller Philo-sophie überhaupt. Dieser Beziehungspunkt höchster Ord-nung ist eben das Nichtwandelnde, das den Beziehungs-punkt bildet für alles Wandelnde.

Als Grundlage dieses Beziehungsgefüges dient demBuch der Wandlungen die Unterscheidung zwischenHimmel und Erde: der Himmel, die obere, lichte Welt, diezwar unkörperlich, aber doch stark alles Geschehen regeltund bestimmt, und ihm gegenüber die Erde, die untere,dunkle Welt, die körperlich ist und abhängig in ihren Be-wegungen von den Erscheinungen des Himmels. Mit die-sem Unterschied von oben und unten ist dann irgendwieein Wertunterschied gesetzt, so daß das eine Prinzip dasgeehrtere, vornehmere ist, während das andere geringerund niedriger gedacht ist. Diese beiden Grundprinzipienalles Daseins werden dann symbolisiert als die beidengrundlegenden Zeichen des Buchs der Wandlungen, alsdas Schöpferische und das Empfangende. Man kanndabei nicht im letzten Sinn von einer dualistischenGrundlage reden; denn diese beiden Prinzipien sind javerbunden durch ein einheitliches Beziehungsverhältnis.Sie bekämpfen einander nicht, sondern ergänzen einan-der. Eben durch den Höhenunterschied ist dann sozusa-gen ein Gefälle gesetzt, das Bewegung und lebendige Äu-ßerung der Kraft ermöglicht.

Indem diese Auffassung von hoch und niedrig mitWertbetonungen verknüpft wird, kommt man auf denUnterschied von vornehm und gering. Das wird dannsymbolisch ausgedrückt in den Zeichen des Buchs der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 530: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.563 I Ging, 262Kapitel I

Wandlungen, die in hohe und niedrige, vornehme undgeringe Plätze eingeteilt werden. Jedes Zeichen bestehtaus sechs Plätzen, von denen die ungeraden vornehm, diegeraden gering sind.

Mit diesem Unterschied hängt ein anderer zusammen.Am Himmel herrscht fortwährende Bewegung und Ver-änderung, auf Erden sind feste, scheinbar dauernde Zu-stände zu beobachten. Genauer betrachtet ist das Schein.Es gibt für die Weltanschauung des Buchs der Wandlun-gen nichts schlechthin Ruhendes, sondern Ruhe ist nurein Zwischenzustand der Bewegung, ist sozusagen laten-te Bewegung. Aber es gibt Punkte, an denen die Bewe-gung sichtbar wird. Das wird symbolisiert durch festeund weiche Linien, aus denen sich die einzelnen Zeichenaufbauen. Dabei wird als Prinzip der Bewegung dasFeste, Starke und als Prinzip der Ruhe das Weiche be-zeichnet. Dargestellt wird die feste Linie durch einen un-geteilten Strich, der dem Prinzip des Lichten entspricht,und die weiche Linie durch den geteilten Strich, der demPrinzip des Dunklen entspricht.

Aus der Kombination des Charakters der Linien (festund weich) mit dem Charakter der Plätze (vornehm undgering) ergibt sich nun eine große Mannigfaltigkeit vonmöglichen Situationen. Das dient zur Symbolisierungeines dritten Ereigniskomplexes in der Welt. Es gibtGleichgewichtszustände, in denen eine gewisse Harmo-nie herrscht, und Zustände gestörten Gleichgewichts, indenen Verwirrung herrscht. Der Grund hiervon liegtdarin, daß es ein durchgehendes System der Ordnung inder Welt gibt. Wenn dieser Ordnung entsprechend jedesan dem ihm gebührenden Platz ist, so ist diese Harmoniehergestellt. In der Natur läßt sich eine solche Tendenz der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 531: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.564 I Ging, 263Kapitel I

Ordnung feststellen. Die Plätze ziehen sozusagen Ver-wandtes an, damit Harmonie entstehe. Dieser Tendenzaber wirkt eine andere parallel. Die Dinge werden nichtnur durch die Ordnungstendenz bestimmt, sondern bewe-gen sich auch noch aus andern, ihnen sozusagen vonaußen her mechanisch zugeteilten Kräften. Infolge davonist nicht unter allen Umständen die Erreichung desGleichgewichtszustands möglich, sondern es könnenauch Abweichungen eintreten, die dann Verwirrung undUnordnung mit sich bringen. Auf menschliche Verhält-nisse übertragen ist der Zustand der Harmonie Heil undder der Disharmonie Unheil. Diese Geschehenskomplexekönnen nur zur Darstellung gebracht werden durch dieKombinationen von Linien und Plätzen, wie oben ge-zeigt.

Ein weiteres Gesetz ist folgendes: Am Himmel bildensich Erscheinungen durch den Wandel von Sonne, Mondund Sternen. Diese Erscheinungen folgen bestimmtenGesetzen. Mit den Erscheinungen verbunden bilden sichauf Erden Gestaltungen nach ebensolchen Gesetzen, sodaß sich die Gestaltungen auf Erden: Blüte und Frucht,Wachstum und Niedergang, berechnen lassen, wenn mandie Gesetze der Zeit kennt. Wenn man die Gesetze desWandels kennt, so läßt er sich im voraus berechnen, unddamit wird das freie Handeln möglich. Veränderungensind die unmerklichen divergierenden Tendenzen, diesichtbar werden und Umgestaltungen wirken, wenn sieeinen gewissen Punkt erreicht haben.

Dies sind die unveränderlichen Gesetze, nach denenfür das chinesische Denken sich die Wandlungen vollzie-hen. Das Buch der Wandlungen hat eben den Zweck,diese Gesetze in den Gesetzen der Veränderung innerhalb

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 532: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.565 I Ging, 263Kapitel I

der einzelnen Zeichen zur Darstellung zu bringen. Sobaldes gelingt, diese Gesetze vollkommen nachzubilden, hatman eine zureichende Übersicht über das Geschehen undvermag Vergangenheit und Zukunft in gleichem Maße zuverstehen und in die Bedingungen des Handelns mit auf-zunehmen.

§ 2

Darum lösen die acht Zeichen einander ab, indemFestes und Weiches einander verdrängt.

Hier wird das Umwandeln erklärt. Das Umwandeln istein Kreislauf von Erscheinungen, von denen jede die an-dere ablöst, um zuletzt wieder bei der ersten einzumün-den. Beispiele für solche in sich geschlossene Komplexesind der Tageslauf, der Jahreslauf und die Erscheinun-gen, die sich während dieser Zyklen in der organischenWelt zeigen. Das Umwandeln ist der Wechsel in der or-ganischen Welt, wie das dritte Prinzip, das Verwandeln,den durch Kausalität hervorgerufenen fortgesetztenWechsel der Erscheinungen bedeutet.

Festes und Weiches verdrängen einander innerhalb deracht Zeichen. Auf diese Weise gestaltet sich das Festeum, schmilzt gleichsam und wird zum Weichen; das Wei-che verändert sich, verflicht sich gleichsam und wird zumFesten. Dadurch wandeln sich die acht Zeichen der Reihenach ineinander um, und die regelmäßig wechselnden Er-scheinungen des Jahres nehmen ihren Lauf. Aber dassel-be ist der Fall mit allen Zyklen; auch das Leben gehört

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 533: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.566 I Ging, 264Kapitel I

dazu. Was Tag und Nacht, was Sommer und Winter ist,dasselbe ist innerhalb des Lebenszyklus Leben und Tod.Um die Art des Umwandelns und die dadurch entstehen-de Ablösung der Zeichen zu verstehen, ist hier ihre Rei-henfolge nach der vorweltlichen Ordnung noch einmalgegeben. Es gibt zwei Bewegungsrichtungen: die recht-läufige, aufwärtssteigende und die rückläufige, abwärts-steigende. Die erste geht vom Tiefpunkt: Kun, dem Emp-fangenden, der Erde aus, die zweite vom Höhepunkt:Kiën, dem Schöpferischen, dem Himmel.

§ 3

Erregt werden die Dinge durch Donner und Blitz,befruchtet werden sie durch Wind und Regen;indem Sonne und Mond ihren Kreislauf gehen,wird es einmal kalt, einmal heiß.

Hier haben wir die Aufeinanderfolge der Zeichen imWechsel des Jahres, und zwar immer so, daß das eine dieUrsache für das nächste ist. Ganz tief im Schoß der Erderegt sich die schaffende Kraft, Dschen, das Erregende,dessen Bild der Donner ist. Indem diese elektrische Krafthervortritt, bilden sich Erregungszentren, deren Aus-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 534: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.567 I Ging, 264Kapitel I

gleich im Blitz vor sich geht. Der Blitz ist Li, das Haften-de, die Flamme. Daher die Voranstellung des Donnersvor den Blitz. Der Donner ist sozusagen dasjenige, wasden Blitz hervorruft, nicht nur der Donnerlaut. Nunkommt der Sprung: der Gegensatz des Donners setzt ein,der Wind, Sun. Der Wind bewirkt den Regen, Kan. Dannder neue Sprung: die Zeichen Li und Kan, die vorher inihrer abgeleiteten Form als Blitz und Regen wirkten, tre-ten nun in ihrer ursprünglichen Form auf als Sonne, dasTagesgestirn, und Mond, das Nachtgestirn. Sie bewirkenin ihrem Kreislauf Kälte und Hitze. Wenn die Sonnehoch am Himmel kulminiert, kommt die Hitze, die durchdas Südostzeichen Dui, der See, das Heitere, symbolisiertist. Wenn der Mond hoch am Himmel kulminiert, dannkommt die Kälte, die durch das Nordwestzeichen Gen,der Berg, das Stillehalten, symbolisiert ist.

Die Reihenfolge ist also (vgl. die obige Figur):

1a-2a 1b-2b2a-3a 2b-3b

so daß 2a (Li) und 2b (Kan) zweimal genannt sind; ein-mal abgeleitet (Blitz, Regen) und einmal ursprünglich(Sonne, Mond).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 535: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.568 I Ging, 265Kapitel I

§ 4

Der Weg des Schöpferischen wirkt das Männliche.Der Weg des Empfangenden wirkt das Weibliche.

Hier kommt nun der Anfang der Verwandlung in die Er-scheinung in der fortlaufenden, nicht in sich zurückkeh-renden Generation der Geschlechter. Es zeigt sich hier,wie sehr sich das Buch der Wandlungen auf das Lebenbeschränkt. Nach westlichen Auffassungen wäre die Ver-wandlung der Ort, wo die mechanische Kausalität ihrRecht hat. Für das Buch der Wandlungen ist Verwand-lung Generationenfolge, also immer noch etwas Organi-sches.

Das Schöpferische, soweit es als Prinzip in die Erschei-nung des Lebens eintritt, verkörpert sich im männlichenGeschlecht, das Empfangende als Prinzip der Erschei-nung im weiblichen Geschlecht. So ist das Schöpferischein allen Söhnen (nach der vorweltlichen OrdnungDschen, Li, Dui) gegenwärtig, das Empfangende in allenTöchtern (nach der vorweltlichen Ordnung Sun, Kan,Gen), und zwar jeweils in der Determinante des Ge-schlechts, die durch die unterste Linie symbolisiert wird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 536: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.569 I Ging, 265Kapitel I

§ 5

Das Schöpferische erkennt die großen Anfänge.Das Empfangende vollendet die fertigen Dinge.

Es werden nun die Prinzipien des Schöpferischen undEmpfangenden weiter verfolgt. Das Schöpferische wirktdie unsichtbaren Keime allen Werdens. Diese Keime sindzunächst rein geistig, daher kann ihnen gegenüber keinHandeln, Behandeln stattfinden. Ihnen gegenüber wirktdie Erkenntnis schöpferisch. Während das Schöpferischeim Unsichtbaren wirkt und sein Feld der Geist, die Zeitist, wirkt das Empfangende im räumlich verteilten Stoffund vollendet die fertigen, räumlichen Dinge. Es ist hierder Vorgang der Zeugung und der Geburt in ihre letztenmetaphysischen Tiefen zurückverfolgt1.

§ 6

Das Schöpferische erkennt durch das Leichte.Das Empfangende vermag durch das Einfache.

Das Schöpferische ist seinem Wesen nach die Bewegung.Durch die Bewegung erreicht es die Verbindung des Ge-trennten ganz leicht. Auf diese Weise bleibt es ohneMühe, weil es die Bewegungen des Kleinsten leitet. Da-durch, daß die Richtung der Bewegung im kleinstenKeim des Werdens bestimmt wird, entwickelt sich alles

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 537: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.570 I Ging, 266Kapitel I

Weitere gesetzmäßig von selber ganz leicht. Das Empfan-gende ist seinem Wesen nach Ruhe. Durch die Ruhewird das Einfachste im räumlichen Dasein ermöglicht.Diese Einfachheit, die durch reine Rezeptivität entsteht,ist dann der Keim aller räumlichen Mannigfaltigkeit.

§ 7

Was leicht ist, ist leicht zu erkennen; was einfachist, ist leicht zu befolgen. Ist man leicht zu erken-nen, so gewinnt man Anhänglichkeit. Ist man leichtzu befolgen, so gewinnt man Werke. Wer Anhäng-lichkeit besitzt, kann lange dauern; wer Werke be-sitzt, kann groß werden. Die Dauer ist die Art desWeisen; die Größe ist das Wirkungsfeld des Wei-sen.

Hier wird ausgeführt, wie das Leichte und das Einfachesich auswirken im Menschenleben. Das Leichte ist leichtzu verstehen, daraus ergibt sich seine Suggestivkraft. Werganz klare, leicht zu verstehende Gedanken hat, gewinntdie Anhänglichkeit der Menschen, weil er die Liebe ver-körpert. Dadurch wird er frei von den Wirren der Kämpfeund Dissonanzen. Indem die innere Bewegung in Har-monie ist mit der Umgebung, kann sie sich ungestört aus-wirken und lange dauern. Diese Einheitlichkeit undDauer ist die innere Seelenverfassung des Weisen.

Genau dasselbe ist der Fall auf dem Gebiet des Han-delns. Was einfach ist, läßt sich leicht nachahmen. Infol-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 538: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.571 I Ging, 266Kapitel I

ge davon sind die andern bereit, ihre Kraft in derselbenRichtung zu betätigen; denn jeder wird gerne das tun,was ihm leicht wird, weil es einfach ist. So summierensich die Kräfte, die Einfachheit wird ganz von selbst zurMannigfaltigkeit. Dadurch wächst sie heran, und derBeruf des Weisen wird erfüllt, als Führer der Menge dieMenge zu großen Werken zu leiten.

§ 8

Durch Leichtigkeit und Einfachheit erfaßt man dieGesetze der ganzen Welt. Hat man die Gesetze derganzen Welt erfaßt, so ist darin die Vollendungenthalten.

Hier wird die Anwendung der oben durchgeführtenGrundsätze auf die Gestaltung des Buchs der Wandlun-gen gezeigt. Das Leichte und das Einfache wird symboli-siert durch einen ganz geringen Wandel der einzelnenStriche. Die Striche werden aus geteilten zu ungeteiltendurch eine ganz leichte Bewegung, durch die die getrenn-ten Enden zusammengeschlossen werden. Sie werdenaus ungeteilten zu geteilten durch eine ganz einfacheTrennung in der Mitte. Auf diese Weise werden durchdiese ganz leichten und einfachen Änderungen die Geset-ze alles Werdens unter dem Himmel abgebildet, und dieVollendung wird dadurch erreicht.

Es wird hierdurch die Art der Wandlung als Wandlungder kleinsten Teile definiert. Das ist die vierte Bedeutungdes Wortes I, die allerdings mit der Bedeutung »Wandel«

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 539: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.572 I Ging, 266Kapitel I

nur in losem Zusammenhang steht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 540: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.573 I Ging, 266Kapitel I

Fußnoten

1 Hier ist ein Punkt, wo die Prinzipien des Schöpferi-schen und des Empfangenden mit den griechischenPrinzipien des Logos und Eros sich sehr nahe berüh-ren.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 541: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.574 I Ging, 267Kapitel II

Kapitel II

Über die Abfassung und den Gebrauch des Buchsder Wandlungen

§ 1

Die heiligen Weisen stellten die Zeichen auf, damitman daran die Erscheinungen erblicken sollte. Siefügten die Urteile bei, um Heil und Unheil zu zei-gen.

Die Zeichen des Buchs der Wandlungen sind Abbilderder Erscheinungen auf Erden. Sie zeigen in ihrem Zu-sammenhang den Zusammenhang des Weltgeschehens.So waren sie Darstellungen der Ideen. Allein diese Bilderoder Erscheinungen zeigten nur das Tatsächliche. Esblieb nun noch übrig, daraus einen Ratschlag zu entneh-men, damit man wußte, ob eine Richtung des Handelns,die aus dem Bild sich ergab, wertvoll oder schädlich war,ob man sie einschlagen oder vermeiden sollte. Soweit wardie Grundlage des Buchs der Wandlungen schon zur Zeitdes Königs Wen vorhanden. Die Zeichen waren sozusa-gen Orakelbilder, die zeigten, was unter bestimmten Um-ständen als Ereignis zu erwarten war. Jetzt wurden vomKönig Wen und seinem Sohn die Erklärungen beigefügt.Dadurch ergab sich, ob der Verlauf der durch die Bilderangedeuteten Handlung Heil oder Unheil brachte. Sokam das Moment der Freiheit herein. Man konnte im Ab-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 542: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.575 I Ging, 267Kapitel II

bild des Weltgeschehens nun nicht nur sehen, was an Er-eignissen zu erwarten war, sondern sah, wohin sie führ-ten. Da man den Ereigniskomplex zunächst im Abbildvor sich hatte, konnte man sein Handeln danach einrich-ten, indem man Richtungen, die Heil erwarten ließen,verfolgte und solche, die in Unheil führten, vermied,noch ehe der Ereigniskomplex begonnen war.

§ 2

Indem die festen und weichen Striche einander ver-drängen, entsteht Veränderung und Umgestaltung.

Hier wird im einzelnen ausgeführt, inwiefern im Buchder Wandlungen die Weltvorgänge dargestellt sind. ImBuch der Wandlungen sind die Zeichen zusammenge-setzt aus festen und weichen Strichen. Unter bestimmtenUmständen wandeln sich diese festen und weichen Stri-che, so daß die festen sich umgestalten und erweichenund die weichen sich verändern und verfestigen. Damitist die Nachbildung des Wechsels der Welterscheinungengegeben.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 543: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.576 I Ging, 268Kapitel II

§ 3

Darum sind Heil und Unheil die Nachbildungenvon Verlust oder Gewinn; Reue und Beschämungsind die Nachbildungen von Trauer oder Vorsorge.

Wenn die Richtung der Handlung mit den Weltgesetzenübereinstimmt, dann führt sie zum Gewinn des Erstreb-ten. Dies findet seinen Ausdruck in dem beigefügtenWort: Heil. Wenn die Richtung des Handelns mit denWeltgesetzen in direktem Gegensatz steht, so führt sienotwendig zu Verlust. Dies wird bezeichnet durch dasUrteil: Unheil. Nun gibt es aber auch Bewegungsrichtun-gen, die nicht so unbedingt auf ein Ziel losführen, Abbie-gungen der Richtung sozusagen. Wenn nun die Richtungursprünglich falsch war, aber man rechtzeitig Trauer dar-über empfindet, kann man das Unheil vermeiden unddurch Umkehr das Heil doch noch erlangen. Dieser Zu-stand wird ausgedrückt durch das Urteil: Reue. DiesesUrteil enthält also eine Aufforderung zur Trauer und Um-kehr. Auf der andern Seite kann eine Richtung ursprüng-lich richtig gewesen sein, aber man gerät in Gleichgültig-keit und Übermut und kommt so unvermerkt aus demHeil ins Unheil. Das wird ausgedrückt durch das Urteil:Beschämung. Dieses Urteil enthält also eine Warnungzur Vorsorge, daß man innehält auf dem Fehlweg undsich zum Heil zurückwendet.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 544: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.577 I Ging, 268Kapitel II

§ 4

Veränderung und Umgestaltung sind die Nachbil-dungen von Fortschritt und Rückschritt. Das Festeund das Weiche sind die Nachbildungen von Tagund Nacht. Die Bewegungen der sechs Linien ent-halten die Wege der drei Urmächte.

Veränderung ist die Umwandlung einer weichen Linie ineine feste. Das deutet auf Fortschritt. Umgestaltung istdie Umwandlung eines festen Strichs in einen weichen.Das deutet auf Rückschritt. Die festen Striche sind dieDarstellungen des Lichtes, die weichen Striche die Dar-stellungen des Dunkels1. Die sechs Linien jedes Zeichenssind verteilt auf die drei Urmächte: Himmel, Erde undMensch. Die beiden unteren Plätze sind der Ort der Erde,die beiden mittleren der Ort des Menschen, die beidenoberen der Ort des Himmels.

Diese Abteilung des Kapitels zeigt, inwiefern das Buchder Wandlungen eine Nachbildung der Weltverhältnisseenthält.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 545: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.578 I Ging, 269Kapitel II

§ 5

Darum ist es die Ordnung der Wandlungen, dersich der Edle hingibt und wodurch er zur Ruhekommt. Es sind die Urteile zu den einzelnen Lini-en, deren sich der Edle erfreut und über die er nach-sinnt.

Von hier ab wird der rechte Gebrauch des Buchs derWandlungen gezeigt. Eben weil das Buch der Wandlun-gen eine Nachbildung aller Weltverhältnisse ist mit denbeigefügten, die rechte Richtung weisenden Urteilen, giltes nun, das tatsächliche Leben nach diesen Ideen zu bil-den, so daß das Leben seinerseits eine Nachbildung desWandels wird. Dies ist kein Idealismus in dem Sinn, daßman ein starres Idealbild einem anders gearteten Lebenkünstlich und äußerlich einbilden wollte. Sondern indemdas Buch der Wandlungen den wesentlichen Sinn derverschiedenen Lebenslagen erfaßt, wird man dadurch inden Stand gesetzt, sein Leben sinnvoll zu gestalten,indem man der Ordnung und Reihenfolge nach jeweilsgerade das tut, was die Lage erfordert. Indem man aufdiese Weise jeder Lage gewachsen ist, weil man demSinn der Lage sich ohne Widerstand hingibt, gelangt manzum Frieden der Seele. So kommt das Handeln in Ord-nung. Aber ebenso wird das Denken befriedigt, indemdurch die Meditation über die Urteile der einzelnen Lini-en die Weltbeziehungen intuitiv erkannt werden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 546: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.579 I Ging, 269Kapitel II

§ 6

Darum betrachtet der Edle in Zeiten der Ruhe dieseBilder und sinnt nach über die Urteile. Wenn eretwas unternimmt, so betrachtet er die Veränderun-gen und sinnt nach über die Orakel. Darum wird ervom Himmel gesegnet. »Heil! Nichts, das nichtfördernd ist.«

Hier sind die Zeiten der Ruhe und des Handelns erwähnt.In Zeiten der Ruhe erlangt man durch Meditation überdie Bilder und Urteile des Buchs Erfahrung und Lebens-weisheit. In Zeiten des Handelns greift man zum Orakelvermittels der Veränderungen, die sich in den Zeichendurch Handhabung der Schafgarbenstengel zeigen, undentnimmt dementsprechend die Ratschläge, die sich aufdiese Weise für das Handeln ergeben.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 547: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.580 I Ging, 269Kapitel II

Fußnoten

1 Zu beachten ist, daß selbst hier noch nicht die spä-ter so geläufigen Bezeichnungen Yin und Yang ge-wählt sind. Das läßt auf das Alter dieses Textesschließen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 548: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.581 I Ging, 270Kapitel III

B. Die Ausführungen

Kapitel III

Über die Worte zu den Zeichen und Linien

§ 1

Die Entscheidungen beziehen sich auf die Bilder.Die Strichurteile beziehen sich auf die Veränderun-gen.

Die Entscheidungen (Urteile), die König Wen zu den Ge-samtzeichen gab, beziehen sich jeweils auf das durch dasZeichen dargestellte Bild der Gesamtsituation. Die deneinzelnen Strichen vom Herzog von Dschou beigefügtenUrteile beziehen sich auf die innerhalb der Gesamtsitua-tion sich vollziehenden Veränderungen. Beim Orakelkommen diese Strichurteile nur in Betracht, wenn die be-treffenden Linien sich »bewegen«, d.h. entweder durcheine Neun oder durch eine Sechs dargestellt werden. (DasNähere hierüber vergleiche in dem Abschnitt über dasOrakel.)

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 549: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.582 I Ging, 270Kapitel III

§ 2

»Heil« und »Unheil« bezieht sich auf Verlust oderGewinn, »Reue« und »Beschämung« bezieht sichauf kleinere Unvollkommenheiten. »Kein Makel«bedeutet, daß man imstande ist, seine Fehler auf dierechte Weise auszubessern.

Hier ist eine nähere Ausführung von § 3 des vorigen Ka-pitels. Wenn man in Worten und Handlungen immer dasRechte trifft, das heißt Gewinn; wenn man nicht dasRechte trifft, das heißt Verlust. Kleinere Abweichungenvom Rechten heißen Unvollkommenheiten. Wenn mandas Rechte nicht weiß und aus Versehen das Unrechtetut, das ist ein Fehler. Wenn man diese kleinen Unrichtig-keiten merkt und sie wieder gutmachen möchte, so ent-steht Reue. Wenn man seine kleinen Unrichtigkeitennicht merkt oder die Möglichkeit hätte, sie gutzumachen,aber nicht fähig oder gewillt ist, sie gutzumachen, so ent-steht Beschämung. Die Fehler sind wie die Risse ineinem Kleid: Wenn ein Kleid zerrissen ist und man bes-sert es aus, so ist es wieder ganz. Wenn man Fehler hatund bessert sie dadurch aus, daß man sich dem Rechtenwieder zuwendet, so bleibt kein Makel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 550: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.583 I Ging, 271Kapitel III

§ 3

Darum beruht die Anordnung von vornehm und ge-ring auf den einzelnen Plätzen, der Ausgleich vongroß und klein auf den Gesamtzeichen, die Unter-scheidung von Heil und Unheil auf den Urteilen.

Die sechs Plätze des Zeichens werden folgendermaßenunterschieden: der unterste und der oberste sind sozusa-gen außerhalb der Situation. Davon ist der unterste dergeringe Platz, weil er noch nicht in die Situation eingetre-ten ist. Der oberste Platz ist vornehm; er ist der Weise au-ßerhalb der Weltgeschäfte, unter Umständen auch einvornehmer Mann ohne Macht. Von den inneren Plätzensind zwei und vier die Plätze der Beamten bzw. derSöhne, der Frauen. Davon ist der vierte der höhere, derzweite der geringere. Der dritte und der fünfte Platzhaben maßgebende Stellungen, der dritte an der Spitzedes unteren Zeichens, der fünfte als Herrscher des Gan-zen.

Groß und klein bedeutet die festen und die weichen Li-nien. Sie finden ihren Ausgleich im Gesamtzeichen. So-wohl die großen wie die kleinen können gut sein und Heilbedeuten, wenn sie an den für sie richtigen Plätzen ste-hen. Welches diese Plätze sind, läßt sich nicht in abstractobestimmen, sondern das kommt auf die Art des Gesamt-zeichens an. Oft kann die Lage so sein, daß Weichheitgut ist; dann wird ein weicher Strich auf weichem Platzbesonders günstig sein, und ein fester auf festem Platzkann dann unter Umständen ungünstig sein. Oft ist Kraft

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 551: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.584 I Ging, 271Kapitel III

nötig; dann ist ein weicher Strich auf festem Platz besser;oft wieder verlangt die Situation, daß Charakter und Platzübereinstimmen: kurz, die Verteilung im einzelnen ergibtsich aus dem betreffenden Zeichen bzw. der Situation,die es nachbildet. Darum sind die Urteile beigefügt, umHeil bzw. Unheil anzudeuten, wie es sich aus der Situati-on ergibt.

§ 4

Die Sorge vor Reue und Beschämung beruht aufder Grenze. Der Antrieb zur Makellosigkeit beruhtauf der Reue.

Reue und Beschämung sind die Folge von Abweichun-gen vom rechten Weg und bedingen daher stets eine Um-kehr. Man kann sich beides ersparen, wenn man zurrechten Zeit auf der Hut ist. Der Punkt, wo die Sorge ein-zusetzen hat, die Reue und Beschämung erspart, ist derGrenzpunkt, da, wo das Gute oder Böse sich im Gemütschon regt, aber noch nicht in die Erscheinung getretenist. Wenn man in diesem Moment eingreift und der Be-wegung in ihrem Keim die Richtung aufs Gute gibt,bleibt einem Reue und Beschämung erspart. Wenn dage-gen ein Fehler schon gemacht ist, so ist die Reue die psy-chologische Kraft, die zu Buße und Besserung führt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 552: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.585 I Ging, 271Kapitel III

§ 5

Darum gibt es unter den Zeichen kleine und große,und dementsprechend reden die Urteile von Gefahroder Sicherheit. Die Urteile weisen jedesmal aufdie Richtung der Entwicklung hin.

Unter den Situationen, die durch die Zeichen nachgebil-det sind, gibt es aufwärtsstrebende, expansive und abstei-gende, sich verengernde. Dementsprechend ist zu man-chen Zeiten mehr mit Gefahr zu rechnen, zu andern wie-der auf Sicherheit und Ruhe zu hoffen. Um sich jeweilsder entsprechenden Situation völlig anzupassen, ist esvon großem Wert, daß man diese Verhältnisse kennt. Dasist ebenfalls die Funktion der Urteile, daß sie jeweils dieRichtung angeben, in der die Situation sich entwickelt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 553: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.586 I Ging, 272Kapitel IV

Kapitel IV

Die tieferen Beziehungen des Buchs derWandlungen

§ 1

Das Buch der Wandlungen enthält das Maß vonHimmel und Erde; darum kann man damit denSINN von Himmel und Erde umfassen und glie-dern.

Dieses Kapitel geht von den geheimnisvollen Zusammen-hängen aus, in denen die Nachbildungen des Buchs derWandlungen mit der Wirklichkeit stehen. Eben weil imBuch der Wandlungen ein vollkommenes Abbild vonHimmel und Erde, ein Mikrokosmos aller möglichen Be-ziehungen gegeben ist, vermag man alle Bewegungen derentsprechenden Beziehungskomplexe daraus zu berech-nen.

Die Frage, inwiefern das Buch der Wandlungen einsolches Abbild des Kosmos sein könne, beantwortet sichdadurch, daß es das Werk von Menschen mit kosmischerIntelligenz ist, die ihre Weisheit in den Symbolen diesesBuchs niedergelegt haben. Somit enthält dieses Buch denStandard von Himmel und Erde.

In dem folgenden Paragraphen wird ausgeführt, wieder Umstand, daß im Buch der Wandlungen das Maß,der Standard von Himmel und Erde enthalten ist, es er-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 554: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.587 I Ging, 273Kapitel IV

möglicht, daß man an der Hand dieses Buches die Geset-ze der Welt erforschen kann, während der dritte Para-graph aus der Ähnlichkeit der Wandlungen mit Himmelund Erde die restlose Darstellung der inneren Anlagenfolgert und der vierte Paragraph daraus, daß die Wand-lungen alle Gestalten in sich befassen, zeigt, wie manschließlich zur Beherrschung des Schicksals kommenkann.

§ 2

Indem man emporblickend mit seiner Hilfe die Zei-chen am Himmel verständnisvoll betrachtet undniederblickend die Linienzüge der Erde untersucht,erkennt man die Verhältnisse des Dunkeln und Hel-len. Indem man an die Anfänge zurückgeht und dieDinge bis zu Ende verfolgt, erkennt man die Leh-ren von Geburt und Tod. Die Vereinigung vonSamen und Kraft wirkt die Dinge; das Entweichender Seele bewirkt die Veränderung: daraus erkenntman die Zustände der ausgehenden und rückkeh-renden Geister.

Das Buch der Wandlungen beruht auf den beiden Grund-prinzipien des Lichten und des Dunkeln. Die Zeichensind aufgebaut aus diesen Elementen. Die einzelnen Lini-en sind entweder ruhig oder in Bewegung. Indem sieruhig sind (das sind die Linien, die durch die Zahl 7 = fest

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 555: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.588 I Ging, 273Kapitel IV

und 8 = weich dargestellt werden), bauen sie die be-stimmten Zeichen auf. Indem sie sich bewegen (das istder Fall, wenn die Linien durch die Zahl 9 = fest und 6 =weich dargestellt werden), lösen sie das Zeichen wiederauf und verwandeln es in ein anderes. Diese Vorgängesind es nun, die den Blick eröffnen in die Geheimnissedes Lebens.

Wenn man diese Prinzipien anwendet auf die Zeichenam Himmel (Sonne = Licht, Mond = dunkel) und die Li-nienzüge auf Erden (Himmelsrichtungen), so erkenntman die Verhältnisse des Dunkeln und Hellen, d.h. dieGesetze, die dem Lauf der Jahreszeiten und ihrem Wech-sel zugrunde liegen, der das Hervortreten und Zurückge-hen der vegetativen Lebenskraft bedingt. Auf diese Weiseerkennt man durch Beobachtung der Anfänge und End-punkte des Lebens, daß Geburt und Tod nichts anderesist als ebenderselbe Kreislauf. Geburt ist das Hervortretenin die Welt der Sichtbarkeit, Tod ist das Zurückkehren indie Gebiete des Unsichtbaren. Beide bedingen ebensowe-nig einen absoluten Anfang oder ein absolutes Ende, wiedas bei den Erscheinungen des Jahres in ihrem Wechselder Fall ist. Nicht anders verhält es sich mit den Men-schen. Wie die konstanten Linien die Zeichen aufbauenund, wenn sie in Bewegung kommen, eine Veränderungbewirken, so wird das körperliche Dasein aufgebautdurch die Vereinigung »ausgehender« Lebensströme des(männlichen) Samens und der (weiblichen) Kraft. Dieseskörperliche Dasein ist verhältnismäßig konstant, solangedie aufbauenden Kräfte im Ruhezustand des Gleichge-wichts sich befinden. Geraten sie in Bewegung, so ent-steht der Abbau. Das Seelische entweicht – das höhereSeelische steigt aufwärts, das niedrige Seelische sinkt zur

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 556: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.589 I Ging, 274Kapitel IV

Erde –; der Leib löst sich auf. Die geistigen Kräfte, dieAufbau und Abbau des sichtbaren Daseins bewirken, sindebenfalls entweder dem lichten oder dem dunkeln Prinzipangehörig. Die lichten Geister (Schen) gehen aus, dassind die wirkenden, die auch neue Verkörperungen ein-gehen können; die dunkeln Geister (Gui) kehren heim,das sind die sich zurückziehenden, die den Ertrag des Le-bens erst verarbeiten. Es liegt in dieser Auffassung vonrückkehrenden und ausgehenden Geistern keineswegsder Gedanke von guten und bösen Wesen, sondern nurder Unterschied des sich ausstreckenden und sich zusam-menziehenden Substrats der Lebenskraft. Es sind Wech-selzustände im großen Meer des Lebens.

§ 3

Indem der Mensch dadurch dem Himmel und derErde ähnlich wird, kommt er nicht in Widerspruchmit ihnen. Seine Weisheit umfaßt alle Dinge, undsein SINN ordnet die ganze Welt. Darum macht erkeinen Fehler. Er wirkt allenthalben, aber er läßtsich nirgends hinreißen. Er freut sich des Himmelsund kennt das Schicksal. Darum ist er frei von Sor-gen. Er ist zufrieden mit seiner Lage und ist echt inseiner Gütigkeit. Darum vermag er Liebe zu üben.

Hier wird gezeigt, wie mit Hilfe der Grundsätze desBuchs der Wandlungen die restlose Darstellung der inne-ren Anlagen möglich ist. Diese Entfaltung beruht darauf,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 557: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.590 I Ging, 274Kapitel IV

daß der Mensch in sich innere Anlagen hat, die Himmelund Erde ähnlich sind, daß er ein Mikrokosmos ist.Indem nun im Buch der Wandlungen die Gesetze vonHimmel und Erde nachgebildet sind, gibt es zugleich dieHilfsmittel an die Hand, die eigne Natur zu bilden, so daßdie innersten guten Anlagen rein zur Darstellung kom-men. Hierbei kommt ein Doppeltes in Betracht: die Weis-heit und das Wirken, Intellekt und Wille. Indem Intellektund Wille richtig zentriert sind, kommt auch das Gefühls-leben in die richtige Harmonie der Stimmung. Es sindvier Sätze, die man auf Weisheit und Liebe, Gerechtigkeitund Sitte zurückführen kann, wobei dann wieder dieKombination mit den vier Worten des Zeichens »dasSchöpferische«: »Erhabenes Gelingen, fördernd ist Be-harrlichkeit« naheliegt. Die Wirkung von Weisheit, Liebeund Gerechtigkeit zeigt sich im ersten Satz. Auf derGrundlage umfassender Weisheit können die Anordnun-gen, die der Liebe zur Welt entspringen, so getroffen wer-den, daß für alle das Rechte herauskommt und kein Feh-ler gemacht wird. Das ist das Fördernde. Der zweite Satzzeigt Weisheit und Liebe, die sich nichts und niemandemversagt, geordnet durch die Sitte, die zu nichts Ungehöri-gem, Einseitigem sich hinreißen läßt und dadurch Gelin-gen hat. Der dritte Satz zeigt die Harmonie des Innern invollendeter Weisheit, die sich des Himmels freut undseine Fügungen versteht. Das gibt die Grundlage für dieBeharrlichkeit. Der letzte Satz endlich zeigt die Liebe, diesich vertrauensvoll in jede Lage fügt und aus dem Schatzder innern Gütigkeit sich im Wohlwollen gegen alle Men-schen zeigt und dadurch die Erhabenheit, die Wurzelalles Guten, erreicht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 558: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.591 I Ging, 275Kapitel IV

§ 4

In ihm sind die Formen und Bereiche aller Gestal-tungen des Himmels und der Erde, so daß nichtsihm entgeht. In ihm sind alle Dinge ringsum voll-endet, so daß ihrer keines fehlt. Darum kann mandurch ihn den SINN von Tag und Nacht durchdrin-gen, so daß man ihn versteht. Darum ist der Geistan keinen Ort gebunden und das Buch der Wand-lungen an keine Gestalt.

Hier wird gezeigt, inwiefern man durch das Buch derWandlungen zur Beherrschung des Schicksals kommenkann. Die Prinzipien des Buchs der Wandlungen enthal-ten die Kategorien aller Dinge, wörtlich die Gußformenund den Umfang aller Umgestaltungen. Diese Kategoriensind im Geist des Menschen; alles, was geschieht undsich umgestaltet, muß den durch den Menschengeist vor-geschriebenen Gesetzen gehorchen. Erst durch das In-krafttreten dieser Kategorien werden die Dinge zu Din-gen. Indem diese Kategorien im Buch der Wandlungenniedergelegt sind, ermöglicht es, die Bewegungen desLichten und des Dunklen, des Lebens und des Todes, derGötter und der Dämonen zu durchdringen und zu verste-hen. Diese Erkenntnis ermöglicht aber die Beherrschungdes Schicksals. Denn das Schicksal kann gestaltet wer-den, wenn man seine Gesetze kennt. Der Grund, warumman dem Schicksal entgegentreten kann, ist der, daß dieWirklichkeit immer bedingt und durch diese räumlich-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 559: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.592 I Ging, 275Kapitel IV

zeitlichen Bedingungen beschränkt und bestimmt ist. DerGeist aber ist an diese Bestimmungen nicht gebundenund kann sie daher herbeiführen, wie es durch seineZwecke erfordert wird. Das Buch der Wandlungen istdeshalb so umfassend in seiner Anwendungsmöglichkeit,weil es nur diese rein geistigen Beziehungen enthält, dieso abstrakt sind, daß sie in jedem Gefüge von Wirklich-keit ihren Ausdruck finden können. Sie enthalten nur denSINN, der dem Geschehen zugrunde liegt. Darum lassensich alle zufälligen Konstellationen nach diesem SINNgestalten. Die bewußte Anwendung dieser Möglichkeitenaber gewährt die Herrschaft über das Schicksal.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 560: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.593 I Ging, 276Kapitel V

Kapitel V

Der SINN in seinem Verhältnis zur lichten unddunklen Kraft

§ 1

Was einmal das Dunkle und einmal das Lichte her-vortreten läßt, das ist der SINN.

Das Lichte und das Dunkle sind die beiden Urkräfte, die-selben, die im bisherigen Text als fest und weich oder alsTag und Nacht bezeichnet wurden. Fest und weich sinddie Bezeichnungen der Linien im Buch der Wandlungen,das Lichte und das Dunkle die Bezeichnungen der beidenUrkräfte in der Natur. Warum bisher Tag und Nacht ge-nannt wurden und hier auf einmal die Ausdrücke Lichtund Dunkel auftreten, möge einer späteren Untersuchungzu erklären vorbehalten sein. Möglicherweise handelt essich um eine spätere Schicht des Textes. Jedenfalls kön-nen wir beobachten, daß der Gebrauch dieser Ausdrückemit der Zeit immer mehr überhandnimmt.

Die Ausdrücke Yin = das Dunkle und Yang = dasLichte bezeichnen die lichte bzw. schattige Seite einesBerges oder Flusses, wobei Yang die Südseite des Bergesist, weil sie von der Sonne beschienen wird, während esbei einem Fluß die Nordseite darstellt, weil hierher dasLicht des Flusses reflektiert wird. Für das Yin gilt jeweilsdas Umgekehrte. Allmählich werden diese Bezeichnun-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 561: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.594 I Ging, 276Kapitel V

gen ausgedehnt auf die beiden polaren Weltkräfte, die wirpositiv und negativ nennen können. Möglich ist, daß mitdiesen Bezeichnungen, die mehr den Kreislauf betonenals den Wechsel, dann auch die kreisförmige Darstellungdes Uranfangs ☯ aufgekommen ist, die später eine sogroße Rolle spielt1.

§ 2

Als Fortsetzender ist er gut. Als Vollender ist erdas Wesen.

Die Urkräfte kommen nicht zum Stillstand, sondern derKreislauf des Werdens setzt sich dauernd fort. Der Grunddafür ist, daß zwischen den beiden Urkräften immer wie-der ein Spannungszustand entsteht, ein Gefälle, das dieKräfte in Bewegung hält und zu ihrer Vereinigungdrängt, wodurch sie sich immer wieder neu erzeugen.Das wird durch den SINN bewirkt, ohne daß er dabei ir-gendwie in Erscheinung tritt. Diese Eigenschaft desSINNS, die Welt zu erhalten durch dauerndes Neuerzeu-gen des Spannungszustandes zwischen den polaren Kräf-ten, wird als gut bezeichnet (vgl. Laotse, Kap. 8)2.

Als die Kraft, die die Dinge vollendet, ihnen ihre Indi-vidualität, ihren Mittelpunkt verleiht, um den sie sich insich selbst organisieren, heißt er das Wesen, das, was dieDinge bei ihrer Entstehung bekommen3.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 562: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.595 I Ging, 277Kapitel V

§ 3

Der Gütige entdeckt ihn und nennt ihn gütig. DerWeise entdeckt ihn und nennt ihn weise. Das Volkgebraucht ihn Tag für Tag und weiß nichts vonihm; denn der SINN des Edlen ist selten.

Der SINN in seiner Offenbarung erscheint jedem aufseine eigne Weise. Der tätige Mensch, dem die Gütigkeitund Menschenliebe das Höchste ist, entdeckt diesenSINN des Weltgeschehens und nennt ihn die höchste Gü-tigkeit: »Gott ist die Liebe.« Der kontemplative Mensch,dem ruhige Weisheit das Höchste ist, entdeckt diesenSINN des Weltgeschehens und nennt ihn die höchsteWeisheit. Das gemeine Volk lebt in den Tag hinein, dau-ernd getragen und genährt von diesem SINN, aber weißnichts von ihm; es sieht nur, was vor Augen ist. Denn dieArt des Edlen, die nicht nur Dinge sieht, sondern denSINN der Dinge, ist selten. Der SINN der Welt ist zwarGüte und Weisheit, aber er ist seinem innersten Wesennach auch jenseits von Güte und Weisheit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 563: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.596 I Ging, 277Kapitel V

§ 4

Er offenbart sich als Gütigkeit, aber er verbirgtseine Wirkungen. Er belebt alle Dinge, aber er teiltnicht die Sorgen des heiligen Weisen. Seine herrli-che Art, sein großes Wirkungsfeld sind das Höch-ste, was es gibt.

Die Bewegung von innen nach außen zeigt den SINN inseinen Offenbarungen als Allgütigen. Aber dabei bleibt ergeheimnisvoll am lichten Tag. Die Bewegung von außennach innen verbirgt die Ergebnisse seiner Wirkungen. Esist, wie im Frühling und Sommer sich alle Keime entfal-ten und die lebenspendende Güte der Natur offenbarwird. Daneben aber geht die stille Kraft, die alle Ergebnis-se des Wachstums im Samen verbirgt und in geheimnis-voller Weise die Wirkungen des kommenden Jahres vor-bereitet. Der SINN wirkt auf diese Weise unerschöpflichund ewig. Aber diese belebende Wirkung, der alle Wesenihr Dasein verdanken, ist etwas rein Spontanes. Siegleicht nicht dem bewußten Sorgen des Menschen, dermit innerer Mühe das Gute erstrebt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 564: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.597 I Ging, 278Kapitel V

§ 5

Daß er alles in vollem Reichtum besitzt, das istsein großes Wirkungsfeld. Daß er alles täglich er-neuert, das ist seine herrliche Art.

Es gibt nichts, das nicht der Besitz des SINNS wäre;denn er ist allgegenwärtig; alles, was ist, ist in ihm unddurch ihn. Aber es ist kein toter Besitz, sondern durchseine ewige Art macht er alles immer wieder neu, so daßdie Welt jeden Tag wieder so herrlich ist wie am erstenSchöpfungstage.

§ 6

Als Erzeuger alles Erzeugens heißt er die Wand-lung.

Das Dunkle erzeugt das Lichte, und das Lichte erzeugtdas Dunkle in unaufhörlichem Wechsel; aber was diesenWechsel, dem alles Leben sein Dasein verdankt, erzeugt,das ist der SINN und sein Gesetz der Wandlung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 565: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.598 I Ging, 278Kapitel V

§ 7

Als Vollender der Urbilder heißt er das Schöpferi-sche, als Nachbildendes heißt er das Empfangende.

Es liegt hier die Anschauung zugrunde, die auch im Taot-eking ausgesprochen ist4, daß nämlich der Wirklichkeiteine Welt der Urbilder zugrunde liegt, die in der körperli-chen Welt ihre Nachbilder – eben die wirklichen Dinge –haben. Die Welt der Urbilder ist der Himmel, die Welt derNachbilder die Erde, dort die Kraft, hier der Stoff, dortdas Schöpferische, hier das Empfangende. Aber es istderselbe SINN, der sich sowohl im Schöpferischen als imEmpfangenden auswirkt.

§ 8

Indem er dazu dient, die Gesetze der Zahl zu erfor-schen und so die Zukunft zu wissen, heißt er dieOffenbarung. Indem er dazu dient, die Veränderun-gen mit lebendigem Zusammenhang zu durchdrin-gen, heißt er das Werk.

Auch das Künftige entwickelt sich nach den festen Geset-zen, nach berechenbaren Zahlen. Wenn man diese Zah-len kennt, so lassen sich die zukünftigen Ereignisse mitvollkommener Sicherheit berechnen. Auf diesem Gedan-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 566: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.599 I Ging, 279Kapitel V

ken beruht das Orakel des Buchs der Wandlungen. Die-ses Unabänderliche ist die Welt des Dämonischen, in deres keine Willkür gibt. Hier liegt alles fest. Das ist das Ge-biet des Yin. Aber außer dieser starren Welt der Zahl gibtes lebendige Tendenzen. Die Dinge entwickeln sich, sieverfestigen sich in einer Richtung, sie erstarren, danngehen sie unter, eine Veränderung tritt ein, der Zusam-menhang ist wieder hergestellt, die Welt ist wieder eins.Das Geheimnis des SINNS ist nun, in dieser Welt desWandelbaren, der Welt des Lichts, dem Gebiet des Yang,die Veränderungen so in Gang zu halten, daß keine Er-starrung eintritt, sondern fortwährend der durchgehendeZusammenhang erhalten bleibt. Wem es gelingt, dem,was er schafft, diese Regenerationskraft mitzugeben, derschafft etwas Organisches, und das so geschaffene Werkhat Dauer in sich selbst.

§ 9

Dasjenige an ihm, was durch das Lichte und Dunk-le nicht ermessen werden kann, heißt der Geist.

Die beiden Grundkräfte in ihrem Wechsel und ihrer ge-genseitigen Wirkung dienen zur Erklärung der sämtlichenErscheinungen der Welt. Aber es bleibt ein Rest, der sichdurch dieses Gegenspiel nicht erklären läßt, ein letztesWarum. Diese letzte Tiefe des SINNS ist der Geist, dasGöttliche, Unerforschliche, schweigend zu Verehrendean ihm.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 567: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.600 I Ging, 279Kapitel V

Fußnoten

1 Der SINN, chinesisch Tao, ist dasjenige, was dasSpiel dieser Kräfte in Bewegung bringt und unterhält.Weil dieses Etwas nur eine Richtung bedeutet, die un-sichtbar und vollkommen unkörperlich ist, hat manim Chinesischen das Lehnwort Tao = Weg, Laufdafür gewählt, der ja auch nichts in sich selber ist unddoch alle Bewegungen regelt. Über die Gründe derÜbersetzung dieses Worts mit SINN vgl. die Einlei-tung zu meiner Übersetzung des Laotse.

2 Man sieht hier, wie die Anschauung des Buchs derWandlungen auf das Organische eingestellt ist. ImOrganischen gibt es keine Entropie.

3 Hier ist wohl die Stelle, auf der die Lehre desMongtse begründet ist, daß das Wesen des Menschengut sei.

4 Vgl. R. Wilhelm, Chinesische Lebensweisheit, pag.16ff.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 568: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.601 I Ging, 279Kapitel VI

Kapitel VI

Übertragung des Verhältnisses des SINNS auf dasBuch der Wandlungen

§ 1

Das Buch der Wandlungen ist weit und groß. Redetman von der Ferne, so kennt es keine Schranken.Redet man von der Nähe, so ist es still und recht.Redet man vom Raum zwischen Himmel und Erde,so umfaßt es alles.

Hier wird das Buch der Wandlungen in Beziehung ge-setzt zu der Welt des Makrokosmos und Mikrokosmos.Erst wird sein Bereich im Horizontalen, in der Weite an-gegeben. Seine Gesetze gelten in allen Fernen, und eben-so gelten sie für das Nächste, als die Gesetze der eigenenBrust. Dann wird die vertikale Richtung, der Raum zwi-schen Himmel und Erde, angegeben, weil die Schicksaleder Menschen sozusagen vom Himmel herabkommen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 569: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.602 I Ging, 280Kapitel VI

§ 2

Das Schöpferische ist im Ruhezustand eins und imBewegungszustand geradeaus, darum erzeugt esdas Große. Das Empfangende ist im Ruhezustandgeschlossen und im Bewegungszustand sich öff-nend, darum erzeugt es das Weite.

Das Schöpferische ist hier das Zeichen des Buchs derWandlungen und besonders die Linie, durch die es sym-bolisiert wird. Diese Linie ist im Ruhezustand eine ein-fach eindimensionale Linie: —. Im Bewegungszustandeist die Bewegung direkt nach vorwärts gerichtet. DasEmpfangende ist durch eine geteilte Linie symbolisiert:- -. Im Ruhezustand schließt sie sich, im Bewegungszu-stand öffnet sie sich. So ist das, was durch das Schöpferi-sche gewirkt wird, seiner Art nach bezeichnet als groß.Das Schöpferische erzeugt die Qualität. Das, was durchdas Empfangende erzeugt wird, ist seiner Gestalt nachbezeichnet als weit, mannigfaltig. Das Empfangende er-zeugt die Quantität.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 570: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.603 I Ging, 280Kapitel VI

§ 3

Durch seine Weite und Größe entspricht es Him-mel und Erde. Durch seine Veränderungen und Zu-sammenhänge entspricht es den vier Jahreszeiten.Durch die Bedeutung des Lichten und Dunkeln ent-spricht es Sonne und Mond. Durch das Gute desLeichten und Einfachen entspricht es der höchstenArt.

Hier werden die Parallelen des Buchs der Wandlungenmit den Weltzusammenhängen aufgezeigt. Es enthälträumliche Mannigfaltigkeit, Quantität, wie die Erde. Esenthält intensive Größe, Qualität, wie der Himmel. Eszeigt Veränderungen und in sich zusammengeschlosseneZusammenhänge wie der Lauf des Jahres innerhalb dervier Jahreszeiten. Es zeigt im Prinzip des Lichten dieselbeBedeutung, wie sie der Sonne zugrunde liegt. Das Lichteheißt Yang. Die Bezeichnung der Sonne ist Tai Yang,das große Lichte. Im Prinzip des Dunkeln zeigt es diesel-be Bedeutung, wie sie dem Mond zugrunde liegt. DasDunkle heißt Yin. Die Bezeichnung für den Mond ist TaiYin, das große Dunkle. Oben wurde ausgeführt, daß dasWesen des Schöpferischen im Leichten, das Wesen desEmpfangenden im Einfachen liegt, jenen Keimen desWerdens, aus denen sich alles Weitere spontan entwik-kelt. Diese Art entspricht dem Guten im SINN in seinerKunst, das Leben auf die einfachste Weise fortzusetzen(vgl. Kap. 5, § 2), und damit der höchsten Art des SINNS(vgl. Kap. 5, § 4).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 571: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.604 I Ging, 281Kapitel VII

Kapitel VII

Die Wirkungen des Buchs der Wandlungen auf denMenschen

§ 1

Der Meister sprach: Ist nicht das Buch der Wand-lungen das Höchste? Das Buch der Wandlungen istes, wodurch die heiligen Weisen ihre Art erhöhtenund ihr Wirkungsfeld erweiterten.Die Weisheit erhöht. Die Sitte macht demütig. DieHöhe ahmt dem Himmel nach. Die Demut folgtdem Vorbild der Erde.

Der Spruch wird ausdrücklich als Wort des MeistersKung bezeichnet, woraus folgt, daß der Aufsatz nicht inseinem ganzen Umfang von Kungtse stammen kann,sondern in seiner Schule entstand. In Wirklichkeit enthal-ten die einzelnen Kapitel ja auch Ausführungen sehr ver-schiedener Art und wohl auch aus verschiedener Zeit.

Es wird hier gezeigt, wie das Buch der Wandlungen,recht benützt, zur Übereinstimmung mit den letztenWeltprinzipien führt. Die Weisen erhöhen dadurch ihreArt, indem sie die Weisheit sich aneignen, die in diesemBuch geborgen ist. Damit kommen sie in Übereinstim-mung mit dem Himmel, der hoch ist. Der Geist gewinntauf diese Weise Höhe des Standpunkts. Auf der andern

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 572: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.605 I Ging, 281Kapitel VII

Seite erweitert sich das Wirkungsfeld. Durch den umfas-senden Gesichtskreis erhebt sich der Gedanke der Sitte,der Einzelne ordnet sich dem Ganzen unter. Durch diesedemütige Unterordnung kommen sie in Übereinstim-mung mit der Erde, die niedrig ist. Als Einzelpersönlich-keit gewinnt man auf diese Weise die Weite des Wir-kungsfelds.

§ 2

Himmel und Erde bestimmen den Schauplatz, unddie Wandlungen vollziehen sich inmitten davon.Das vollendete Wesen des Menschen, das sich dau-ernd erhält, ist das Tor des SINNS und der Gerech-tigkeit.

Der Himmel ist der Schauplatz der geistigen Welt, dieErde der Schauplatz der körperlichen Welt. In diesenWelten bewegen sich die Dinge, die alle nach den Regelndes Buchs der Wandlungen sich entwickeln und umge-stalten. Ebenso ist das Wesen des Menschen, das vollen-det ist und dauert, das Tor, durch das die Handlungen desMenschen aus- und eingehen; und wenn man in Ein-klang mit den Lehren des Buchs der Wandlungen sichbefindet, entsprechen diese Handlungen dem SINN derWelt und der Gerechtigkeit. Dabei entspricht der SINN,der in seiner Äußerung sich als Gütigkeit zeigt, dem lich-ten und die Gerechtigkeit dem dunklen Prinzip, der Erhö-hung und Erweiterung des Wesens.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 573: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.606 I Ging, 282Kapitel VIII

Kapitel VIII

Über den Gebrauch der beigefügten Erklärungen

§ 1

Die heiligen Weisen vermochten alle die wirrenMannigfaltigkeiten unter dem Himmel zu überse-hen. Sie beobachteten die Formen und Erscheinun-gen und bildeten die Dinge und ihre Eigenschaftenab. Das nannte man: die Bilder.

Es wird hier gezeigt, wie aus den Urbildern, die den Er-scheinungen und Dingen zugrunde liegen, die Abbilderdes Buchs der Wandlungen entstanden.

§ 2

Die heiligen Weisen vermochten all die Bewegun-gen unter dem Himmel zu übersehen. Sie betrachte-ten, wie sie zusammentrafen und zusammenhingen,um nach ihren ewigen Ordnungen zu laufen. Dafügten sie Urteile bei, um ihr Heil und Unheil zuentscheiden. Das nannte man: die Urteile.

Das letzte Wort heißt im Text »Striche«. In der Überset-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 574: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.607 I Ging, 282Kapitel VIII

zung wurde die Korrektur von Hu Schï in seiner »Ge-schichte der chinesischen Philosophie« akzeptiert, die dieGegenüberstellung von Bildern und Urteilen, wie sie sichauch an anderen Stellen des Buchs der Wandlungen fin-det, besser herausbringt.

§ 3

Sie reden von den wirrsten Mannigfaltigkeiten,ohne daß sie Abneigung erwecken. Sie reden vondem höchst Beweglichen, ohne daß sie Verwirrungveranlassen.

§ 4

Das kommt davon her, daß sie beobachteten, ehesie redeten, und besprachen, ehe sie sich bewegten.Durch Beobachtung und Besprechung machten siedie Veränderungen und Umgestaltungen vollkom-men.

Auch in diesen beiden Paragraphen tritt die Gegenüber-stellung von Beobachtung am Bild der Zeichen für dieKenntnis der Mannigfaltigkeiten und Besprechung imUrteil der Zeichen für die Kenntnis der Bewegungsrich-tungen hervor. Wir haben hier Ausführungen über dieTheorie des Einfachen als Wurzel der Mannigfaltigkeiten

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 575: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.608 I Ging, 283Kapitel VIII

der Form (in Übereinstimmung mit dem Empfangenden)und des Leichten als Wurzel aller Bewegungen (in Über-einstimmung mit dem Schöpferischen) wie in Kap. I, §6ff. Die folgenden Paragraphen (Reste eines ausführli-chen Kommentars zu den einzelnen Linien der Zeichen)führen nun Beispiele dafür an.

§ 5

»Ein rufender Kranich im Schatten. Sein Jungesantwortet ihm. Ich habe einen guten Becher. Ichwill ihn mit dir teilen.« Der Meister sprach: DerEdle weilt in seinem Zimmer. Äußert er seineWorte gut, so findet er Zustimmung aus einer Ent-fernung von über tausend Meilen. Wieviel mehrnoch aus der Nähe! Weilt der Edle in seinem Zim-mer und äußert seine Worte nicht gut, so findet erWiderspruch aus einer Entfernung von über tau-send Meilen. Wieviel mehr noch aus der Nähe! DieWorte gehen von der eignen Person aus und wirkenauf die Menschen. Die Werke entstehen in derNähe und werden sichtbar in der Ferne. Worte undWerke sind des Edlen Türangel und Armbrustfeder.Indem sich diese Angel und Feder bewegen, brin-gen sie Ehre oder Schande. Durch Worte undWerke bewegt der Edle Himmel und Erde. Mußman da nicht vorsichtig sein?

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 576: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.609 I Ging, 283Kapitel VIII

Vgl. Buch I, Zeichen Nr. 61, Dschung Fu, Innere Wahr-heit, Neun auf zweitem Platz: Ausführung über dasReden.

§ 6

»Die gemeinsamen Menschen weinen erst und kla-gen, aber nachher lachen sie.«

Der Meister sprach:Das Leben führt den ernsten Mann auf bunt ver-

schlungnem Pfade.Oft wird gehemmt des Laufes Kraft, dann wieder

geht's gerade.Hier mag sich ein beredter Sinn in Worten frei er-

gießen,Dort muß des Wissens schwere Last in Schweigen

sich verschließen.Doch wo zwei Menschen einig sind in ihrem innern

Herzen,Da brechen sie die Stärke selbst von Eisen oder

Erzen.Und wo zwei Menschen sich im innern Herzen

ganz verstehen,Sind ihre Worte süß und stark wie Duft von Orchi-

deen.Vgl. Buch I, Zeichen Nr. 13, Tung Jen, Gemeinschaft

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 577: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.610 I Ging, 284Kapitel VIII

mit Menschen, Neun auf fünftem Platz: ebenfalls überdas Reden.

§ 7

»Anfangs eine Sechs bedeutet: Unterlegen mit wei-ßem Schilfgras. Kein Makel.«Der Meister sprach: Wenn man etwas nur einfachauf den Boden stellt, so geht es ja auch. Aber wennman es mit weißem Schilfgras unterlegt, was fürein Fehler könnte dabei sein? Das ist das Äußerstean Vorsicht. Das Schilfgras ist an sich ein wertlo-ses Ding, aber es kann von sehr wichtiger Wirkungsein. Wenn man so vorsichtig ist in allem, was mantut, bleibt man frei von Fehlern.

Vgl. Buch III, Zeichen Nr. 28, Da Go, des Großen Über-gewicht, Anfangssechs: Über das Handeln.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 578: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.611 I Ging, 284Kapitel VIII

§ 8

»Ein verdienstvoll-bescheidener Edler bringt zuEnde. Heil!«Der Meister sprach: Wenn man sich seiner Mühennicht rühmt und seine Verdienste sich nicht zur Tu-gend anrechnet, das ist die höchste Großzügigkeit.Das heißt, daß man sich mit seinen Verdienstenunter andere stellt. In seiner Art herrlich, in seinenSitten ehrfurchtsvoll, ist der Bescheidene äußerstverdienstvoll, und deshalb vermag er seine Stellungzu wahren.

Vgl. Buch III, Zeichen Nr. 15, Kiën, die Bescheidenheit,Neun auf drittem Platz: Über das Handeln.

§ 9

»Hochmütiger Drache wird zu bereuen haben.«Der Meister sprach: Wer vornehm ist ohne dieStellung dazu, wer hoch ist ohne das Volk dazu,bei wem die tüchtigen Leute in untergeordnetenStellen sind, ohne daß sie seine Unterstützung fin-den, der wird es zu bereuen haben, sowie er sichbewegt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 579: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.612 I Ging, 285Kapitel VIII

Vgl. Buch III, Zeichen Nr. 1, Kiën, das Schöpferische,obere Neun, Wen Yen, wo dieser Passus – offenbar ausdemselben Kommentar stammend – wörtlich enthaltenist: Über das Handeln.

§ 10

»Nicht zu Tür und Hof hinausgehen ist keinMakel.«Der Meister sprach: Wo Unordnung entsteht, dasind die Worte die Stufe dazu. Wenn der Fürstnicht verschwiegen ist, so verliert er den Diener.Wenn der Diener nicht verschwiegen ist, so verlierter das Leben. Wenn Sachen im Keime nicht ver-schwiegen behandelt werden, so schadet das derVollendung. Darum ist der Edle sorgfältig im Ver-schweigen und geht nicht hinaus.

Vgl. Buch I, Zeichen Nr. 60, Dsië, die Beschränkung,Anfangsneun: Über das Reden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 580: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.613 I Ging, 285Kapitel VIII

§ 11

Der Meister sprach: Die Verfasser des Buchs derWandlungen kannten die Räuber. Im Buch derWandlungen heißt es: »Wenn einer eine Last aufdem Rücken trägt und trotzdem Wagen fährt, ver-anlaßt er dadurch die Räuber, herbeizukommen.«Eine Last auf dem Rücken zu tragen, ist das Ge-schäft eines gemeinen Menschen. Ein Wagen istdas Gerät eines vornehmen Mannes. Wenn nun einGemeiner das Gerät eines vornehmen Mannes be-nützt, so denken die Räuber darauf, es ihm wegzu-nehmen. Wenn einer frech nach oben und hart nachunten ist, so denken die Räuber daran, ihn anzu-greifen. Lässige Aufbewahrung verführt die Räuberzum Stehlen. Üppiger Schmuck eines Mädchensverlockt zum Raub ihrer Tugend. Im Buch derWandlungen heißt es: »Wenn einer eine Last aufdem Rücken trägt und trotzdem Wagen fährt, ver-anlaßt er dadurch die Räuber, herbeizukommen«;denn das ist ein Wink für Räuber.

Vgl. Buch I, Zeichen Nr. 40, Hië, die Befreiung, Sechsauf drittem Platz: Über das Handeln.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 581: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.614 I Ging, 286Kapitel IX

Kapitel IX

Über das Orakel

§ 1

Der Himmel ist eins, die Erde zwei, der Himmeldrei, die Erde vier, der Himmel fünf, die Erdesechs, der Himmel sieben, die Erde acht, der Him-mel neun, die Erde zehn.

Dieser Paragraph steht im überlieferten Text vor KapitelX und wurde durch Tschongtse in der Sungzeit hierherversetzt und mit dem folgenden Paragraphen verbunden,der ursprünglich hinter dem jetzigen § 3 stand. Die bei-den Paragraphen gehören zweifellos zusammen, stehenaber mit dem Folgenden nur in recht losem Zusammen-hang. Sie enthalten Zahlenspekulationen, die sich an denAbschnitt Hung Fan im Buch der Urkunden anschließen.Sie sind wohl der Anfang der Verbindung der Zahlenspe-kulation des Buchs der Urkunden mit der Yin-Yang-Lehre des I Ging, wie sie besonders während der Handy-nastie eine große Rolle gespielt hat. Zum Verständnis derSache, von der hier nur eine kurze Andeutung gegebenwerden soll, muß man zurückgehen auf die Figur, dieunter dem Namen Ho Tu, der Plan vom Gelben Fluß, be-kannt ist und die von Fu Hi stammen soll. Dieser Planzeigt die Entstehung der fünf Wandlungszustände (wuhing, gewöhnlich fälschlich Elemente genannt) aus gera-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 582: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.615 I Ging, 287Kapitel IX

den und ungeraden Zahlen.

Das Wasser im Norden ist entstanden aus der Eins desHimmels, der sich die Sechs der Erde ergänzend zuge-sellt. Das Feuer im Süden ist entstanden aus der Zwei derErde, der sich die Sieben des Himmels ergänzend zuge-sellt. Das Holz im Osten ist entstanden aus der Drei desHimmels, der sich die Acht der Erde ergänzend zugesellt.Das Metall im Westen ist entstanden aus der Vier derErde, der sich die Neun des Himmels ergänzend zuge-sellt. Die Erde in der Mitte (Erdboden, Tu, stofflich, imUnterschied von Di, Erde, als Weltkörper) ist entstandenaus der Fünf des Himmels, der sich die Zehn der Erde er-gänzend zugesellt.

Die zweite Anordnung, wobei die Zahlen wieder aus-einandertreten und mit den acht Zeichen sich kombinie-ren, ist die des Lo Schu (Schrift vom Flusse Lo).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 583: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.616 I Ging, 287Kapitel IX

§ 2

Zahlen des Himmels gibt es fünf, Zahlen der Erdegibt es auch fünf. Wenn man sie an die fünf Plätzeverteilt, so hat jede ihre Ergänzung. Die Summeder Zahlen des Himmels ist 25. Die Summe derZahlen der Erde ist 30. Die Gesamtsumme der Zah-len des Himmels und der Erde ist 55. Dies ist es,was die Veränderungen und Umgestaltungen voll-endet und Dämonen und Götter in Bewegungbringt.

Dieser Paragraph ist aus den vorangehenden Anmerkun-gen ohne weiteres verständlich. Er ist ebenso wie jenerzweifellos aus späterer Zeit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 584: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.617 I Ging, 288Kapitel IX

§ 3

Die Zahl der Gesamtmenge ist 50. Davon benütztman 49. Man teilt sie in zwei Teile, um die beidenGrundkräfte nachzubilden. Dann hält man eines be-sonders, um die drei Mächte nachzubilden. Manzählt mit vier durch, um die vier Jahreszeiten nach-zubilden. Den Rest steckt man weg, um den Schalt-monat nachzubilden. In fünf Jahren sind zweiSchaltmonate, darum wiederholt man das Wegstek-ken, und danach hält man das Ganze.

Es wird hier der Prozeß des Orakelnehmens mit kosmi-schen Vorgängen in Zusammenhang gebracht. Der Her-gang beim Befragen des Orakels ist folgender:

Man hat 50 Schafgarbenstengel, von denen man abernur 49 benützt. Diese 49 werden zunächst in zwei Hau-fen geteilt. Dann steckt man vom Haufen rechts einenStengel zwischen vierten und fünften Finger der linkenHand. Dann zählt man den linken Haufen mit vier durchund steckt den Rest (vier oder weniger) zwischen drittenund vierten Finger. Darauf macht man es mit dem rech-ten ebenso und steckt den Rest zwischen zweiten unddritten Finger. Das ist eine Wandlung. Man hat dann zu-sammen entweder fünf oder neun Stengel in der Hand.Nun vereinigt man die beiden Resthaufen wieder undmacht denselben Hergang noch zweimal. Dieses zweiteund dritte Mal bekommt man entweder vier oder achtStengel. Die fünf beim erstenmal und die vier bei den üb-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 585: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.618 I Ging, 288Kapitel IX

rigen Malen gelten als Einheit mit dem Zahlenwert 3, dieneun bzw. acht haben den Zahlenwert 2. Bekommt mannun bei drei aufeinanderfolgenden Wandlungen dieWerte 3 + 3 + 3 = 9, so ergibt das ein altes Yang, einensich bewegenden festen Strich. 2 + 2 + 2 = 6 ergibt dasalte Yin, einen sich bewegenden weichen Strich. 7 ist dasjunge Yang, 8 das junge Yin. Sie kommen als Einzelstri-che nicht in Betracht (vgl. den Abschnitt über das Orakel-nehmen am Schluß dieses Buches).

§ 4

Die Zahlen, die das Schöpferische ergeben, sind216; diejenigen, die das Empfangende ergeben,sind 144, zusammen 360. Sie entsprechen denTagen des Jahres.

Wenn das Schöpferische aus sechs alten Yangstrichen,d.h. lauter Neunen zusammengesetzt ist, ergeben diesebeim Orakelnehmen folgende Zahlen:

Benützt werden:Davon ab das erstemal

Dasselbe für die sechs Linien 6 mal wiederholt, ergibt

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 586: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.619 I Ging, 289Kapitel IX

als Zahl für die Reste 6 × 36 = 216 Stengel.In ähnlicher Weise ist es beim Empfangenden, falls es

aus lauter Sechsen, d.h. alten Yinstrichen, besteht.Gesamtzahl der StengelDavon ab für eine Sechs (altes Yin)

Dasselbe für die sechs Linien eines Zeichens 6 malwiederholt, ergibt 6 × 24 = 144 Stengel als Gesamtzahlder Reste.

Zählt man nun die Zahlen für das Schöpferische unddas Empfangende zusammen, so erhält man 216 + 144 =360, was der mittleren Zahl des chinesischen Jahres ent-spricht1.

§ 5

Die Zahlen der Stengel in beiden Teilen betragen11520, was der Zahl der 10000 Dinge entspricht.

Im ganzen Buch der Wandlungen gibt es 192 Striche vonjeder Art (im ganzen 64 × 6 = 384 Striche, davon je dieHälfte Yang bzw. Yin). Von diesen 192 Strichen ergibtjeder sich bewegende Yangstrich, wie im obigen Paragra-phen gezeigt, den Stengelrest von 36, im ganzen also 192

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 587: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.620 I Ging, 289Kapitel IX

× 36 = 6912. Die sich bewegenden Yinstriche ergebeneinen Stengelrest von 24, also 192 × 24 = 4608, im gan-zen also 6912 + 4608 = 11520.

§ 6

Darum: Es sind vier Verrichtungen nötig, um eineWandlung zu ergeben; 18 Veränderungen ergebenein Zeichen.

Die Worte Wandlung und Veränderung werden hier ganzim selben Sinn gebraucht. Jeder Strich setzt sich, wieoben gezeigt, zusammen aus drei »Veränderungen« oder»Wandlungen«. Die vier Verrichtungen sind: 1. Abteilender Stäbchen in zwei Haufen. 2. Entnahme des einenStäbchens, das zwischen Goldfinger und kleinen Fingergesteckt wird. 3. Durchzählung des linken Haufens mitvier und Unterbringung des Restes zwischen Gold- undMittelfinger. 4. Durchzählung des rechten Haufens mitvier und Unterbringung des Restes zwischen Zeige-und Mittelfinger. Durch diese vier Verrichtungen be-kommt man eine »Wandlung« oder »Veränderung«, d.h.den Zahlenwert 2 oder 3 (s.o.). Wird diese Wandlungdreimal wiederholt, so bekommt man den Strichwert: ent-weder 6 oder 7 oder 8 oder 9. Sechs Striche (= 6 × 3 = 18Wandlungen) ergeben dann den Aufbau des Zeichens.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 588: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.621 I Ging, 290Kapitel IX

§ 7

Die acht Zeichen bilden eine kleine Vollendung.

Ein Zeichen aus sechs Strichen setzt sich aus zwei drei-strichigen Zeichen zusammen. Die dreistrichigen Zeichensind eben die acht Zeichen. Das untere heißt auch das in-nere, das obere heißt auch das äußere Zeichen.

§ 8

Wenn man fortfährt und weitergeht und die Zustän-de durch die Übergänge in die entsprechenden an-dern vermehrt, so sind damit alle möglichen Zu-stände auf Erden erschöpft.

Jedes der 64 Zeichen kann durch entsprechende Bewe-gung von einem oder mehreren Strichen in ein anderesübergehen. So erhält man im ganzen 64 × 64 = 4096 ver-schiedene Übergangszustände, die alle möglichen Situa-tionen erschöpfen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 589: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.622 I Ging, 290Kapitel IX

§ 9

Es offenbart den SINN und vergöttlicht die Art undden Wandel. Darum kann man mit seiner Hilfeallem auf die richtige Weise entgegentreten und mitseiner Hilfe selbst die Götter unterstützen.

Dieser Paragraph redet wieder vom Buch der Wandlun-gen im allgemeinen. Er spricht davon, daß das Buch denSinn des Weltgeschehens offenbart und dadurch Art undWandel des Menschen, der sich ihm anvertraut, götter-gleich geheimnisvoll macht, so daß der Mensch in denStand gesetzt wird, jedem Ereignis auf die richtige Weisezu begegnen und selbst den Göttern in ihrem Walten zurSeite zu stehen.

§ 10

Der Meister sprach: Wer den SINN der Verände-rungen und Umgestaltungen kennt, der kennt dasWirken der Götter.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 590: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.623 I Ging, 290Kapitel IX

Fußnoten

1 Das chinesische Jahr stimmt im wesentlichen mitdem Metonischen Jahr überein.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 591: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.624 I Ging, 291Kapitel X

Kapitel X

Der vierfache Gebrauch des Buchs der Wandlungen

§ 1

Das Buch der Wandlungen enthält einen vierfachenSINN der Heiligen und Weisen. Beim Reden richteman sich nach seinen Urteilen, beim Handeln richteman sich nach seinen Veränderungen, bei Anferti-gung von Gegenständen richte man sich nach sei-nen Bildern, beim Orakelholen richte man sichnach seinen Auskünften.

§ 2

Darum befragt der Edle es, wenn er etwas zu ma-chen oder zu tun hat, und zwar mit Worten. Jenesnimmt seine Mitteilungen auf wie ein Echo, es gibtnichts Fernes und Nahes, nichts Dunkles und Tie-fes für dasselbe: so erfährt er die künftigen Dinge.Wenn dieses Buch nicht das allergeistigste aufErden wäre, wie könnte es so etwas?

Hier wird die Psychologie des Orakels gezeichnet. DerOrakelsuchende formuliert sein Anliegen genau in Wor-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 592: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.625 I Ging, 291Kapitel X

ten und empfängt dann wie ein Echo ohne Rücksicht, obes sich um Nahes oder Fernes, Geheimes oder Tiefeshandelt, das passende Orakel, durch das er in den Standgesetzt wird, die Zukunft zu erkennen. Es ist dabei ge-dacht, daß Bewußtes und Überbewußtes miteinander inBeziehung treten. Das Bewußte geht bis zur Formulie-rung. Beim Teilen der Stäbchen tritt das Unbewußte ein,und aus dieser Teilung ergibt sich dann, wenn man dasResultat mit dem Text des Buchs vergleicht, das Orakel.

§ 3

Es werden die drei und fünf Verrichtungen vorge-nommen, um eine Veränderung zu erreichen. Eswerden Teilungen und Vereinigungen der Zahl vor-genommen. Wenn man die Änderungen durchläuft,so vollenden sie die Formen von Himmel und Erde.Steigert man ihre Zahl aufs äußerste, so bestimmensie alle Bilder auf Erden. Wenn das nicht das Aller-veränderlichste auf Erden wäre, wie könnte es soetwas?

Es ist viel über die Drei- und Fünfteilung gesprochenworden, und selbst Dschu Hi ist der Meinung, daß derPassus heute nicht mehr verständlich sei. Aber man darfnur Kapitel IX, § 3 zugrunde legen, zu dem wir hier einenähere Ausführung haben, um einen Zusammenhang inden Text zu bringen. Die drei »Verrichtungen« sind dieTeilung in zwei Haufen und das Besondersstecken eines

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 593: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.626 I Ging, 292Kapitel X

Stengels, »um die drei Mächte nachzubilden«. Daraufwerden die beiden Haufen je mit vier durchgezählt, »weilin fünf Jahren zwei Schaltmonate sind«, damit erhält man3 + 2 = 5 Verrichtungen, die eine Veränderung ergeben.So fährt man mit Teilungen und Vereinigung fort, bisman »die Formen von Himmel und Erde vollendet«, d.h.zunächst eines der acht Zeichen, d.h. eine »Kleine Voll-endung« (vgl. Kap. IX, § 7) erlangt. Man fährt dann fort,bis man den obersten, sechsten Strich erreicht hat und da-durch ein vollständiges Bild erhält, das sich jeweils auszwei Urzeichen zusammensetzt.

§ 4

Die Wandlungen haben kein Bewußtsein, keineHandlung, stille sind sie und bewegen sich nicht.Werden sie aber angeregt, so durchdringen sie alleVerhältnisse unter dem Himmel. Wenn sie nichtdas Allergöttlichste auf Erden wären, wie könntensie so etwas?

Hier ist deutlich ausgesprochen, was in den Bemerkun-gen zu § 2 ausgeführt wurde.

Bemerkung: Die Verhältnisse des Buchs der Wandlun-gen können am besten verglichen werden mit dem Netz-werk einer elektrischen Leitung, die alle Verhältnissedurchdringt. Sie hat nur die Möglichkeit des Erleuchtens,aber leuchtet nicht. Indem dann durch den Fragenden derKontakt mit einer bestimmten Situation hergestellt ist,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 594: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.627 I Ging, 292Kapitel X

wird der Strom erregt und die betreffende Situation er-leuchtet. Ohne daß in einem der Kommentare dieses Bildgebraucht wäre, läßt sich dadurch mit wenigen Wortenalles erläutern, was im Text gemeint ist.

§ 5

Die Wandlungen sind es, wodurch die Heiligen undWeisen alle Tiefen erreicht und alle Keime erfaßthaben.

§ 6

Nur durch das Tiefe kann man alle Willen aufErden durchdringen. Nur durch die Keime kannman alle Sachen auf Erden vollenden. Nur durchdas Göttliche kann man ohne Hast eilen und, ohnezu gehen, ans Ziel kommen.

Hier wird gezeigt, wie dadurch, daß das Buch der Wand-lungen in die unterbewußten Gebiete hinabreicht, sowohlder Raum als die Zeit ausgeschaltet werden. Der Raumals Prinzip der Mannigfaltigkeit und Verwirrung wirdüberwunden durch die Tiefe, das Einfache; die Zeit alsPrinzip der Ungewißheit wird überwunden durch dasLeichte, Keimhafte.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 595: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.628 I Ging, 292Kapitel X

§ 7

Wenn der Meister sprach: »Das Buch der Wand-lungen enthält einen vierfachen SINN der Heiligenund Weisen«, so ist das damit gemeint.

Es ist wohl anzunehmen, daß in § 1 ein Wort von Kung-tse zugrunde liegt, das dann rhetorisch ausgeführt undhier nochmals zusammenfassend erwähnt ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 596: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.629 I Ging, 293Kapitel XI

Kapitel XI

Über Schafgarbenstengel, Zeichen und Linien

§ 1

Der Meister sprach: Die Wandlungen, was tun siedenn? Die Wandlungen eröffnen die Dinge, vollen-den die Sachen und umfassen alle Wege auf Erden.Dies und nichts anderes. Deshalb benützten sie dieHeiligen und Weisen, um alle Willen auf Erden zudurchdringen und alle Wirkungsfelder auf Erden zubestimmen, um alle Zweifel auf Erden zu entschei-den.

Auch hier ist wieder ein Wort des Meisters vorangestellt,das in einem längeren Aufsatz variiert und ausgeführtwird.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 597: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.630 I Ging, 293Kapitel XI

§ 2

Darum ist die Art der Schafgarbenstengel rund undgeistig. Die Art der Zeichen ist winkelrecht undweise. Der Sinn der sechs Linien ist wandelnd, umAuskunft zu liefern.Die Heiligen und Weisen haben auf diese Weiseihr Herz gereinigt, sich zurückgezogen und ins Ge-heimnis verborgen. Um Heil und Unheil kümmer-ten sie sich gemeinsam mit den Menschen. Göttlichwaren sie, so daß sie die Zukunft kannten; weisewaren sie, so daß sie die Vergangenheit bewahrten.Wer ist es, der das alles kann? Nur die Vernunftund Klarheit der Alten, ihre Erkenntnis und Weis-heit, ihre göttliche Kraft ohne Nachlassen.

Hier ist durchgängig die Dreiteilung des vorigen Paragra-phen weitergeführt. Die Durchdringung aller Willen wirdverglichen mit der Geistigkeit der Schafgarbenstengel; siesind rund als Symbol des Himmels und des Geistes. DieZahl, die ihnen zugrunde liegt, ist die Sieben, 7 × 7 = 49ist ihre Zahl. Die Zeichen bedeuten die Erde, ihre Zahl istdie Acht, 8 × 8 = 64 ist die Summe der Zeichen. Sie die-nen, um das Wirkungsfeld zu bestimmen. Die Einzellini-en endlich sind beweglich und veränderlich (ihre Zahlensind 9 und 6), um Auskunft zu geben und die Zweifel derEinzellage zu entscheiden.

Diese Erkenntnis hatten die Heiligen und die Weisen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 598: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.631 I Ging, 294Kapitel XI

Sie zogen sich in die Verborgenheit zurück und pflegtenihren Geist, so daß sie aller Menschen Gesinnung durch-dringen konnten (Durchdringung), daß sie Heil und Un-heil bestimmen konnten (Wirkungsfeld) und Vergangen-heit und Zukunft kannten (Entscheidung der Zweifel).Das konnten sie vermöge ihrer Vernunft und Klarheit(Durchdringung der Willen), ihrer Erkenntnis und Weis-heit (Bestimmung des Wirkungsfelds) und ihrer göttli-chen Kraft (Entscheidung der Zweifel). Diese göttlicheKriegskraft (chin. Schen Wu) wirkt, ohne sich abzu-schwächen (dies die bessere Lesart statt: ohne zu töten).

§ 3

Darum durchschauten sie den SINN des Himmelsund verstanden die Verhältnisse der Menschen. Soerfanden sie diese göttlichen Dinge, um dem Be-dürfnis der Menschen entgegenzukommen. DieHeiligen und Weisen fasteten darum, um ihre Artgöttlich klarzumachen.

Weil jene Weisen die Gesetze des Weltverlaufs und das,was den Menschen not tat, in gleicher Weise erkannten,erfanden sie den Gebrauch der Orakelstengel – dies diegöttlichen Dinge –, um auf diese Weise die Bedürfnisseder Menschen zu erfüllen. So konzentrierten sie sich inheiliger Meditation darauf, ihrem Wesen die hierfür nöti-ge Kraft und Fülle zu geben. Dementsprechend ist dasVerständnis des Buchs der Wandlungen auch an entspre-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 599: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.632 I Ging, 295Kapitel XI

chende Konzentration und Meditation geknüpft.

§ 4

Darum nannten sie das Schließen der Pforten dasEmpfangende, und das Öffnen der Pforte nanntensie das Schöpferische. Den Wechsel zwischenSchließen und Öffnen nannten sie Veränderung.Das Hin- und Hergehen ohne Aufhören nannten siedas Durchdringen. Was sichtbar sich zeigt, nanntensie Bild, was körperlich gestaltet ist, nannten sieDing. Was festgesetzt ist für den Gebrauch, nann-ten sie Gesetz. Was fördernd ist beim Aus- undEingehen und wovon die Menschen alle leben, dasnannten sie das Göttliche.

Hier sind die Verhältnisse des SINNS des Himmels unddie Zustände der Menschen gezeigt, wie sie die Heiligenund Weisen erkannten. Das Schließen und Öffnen derPforten ist der Wechsel von Ruhe und Bewegung. Essind zugleich zwei Zustände der Yogapraxis, die persönli-cher Übung allein zugänglich sind. Das Durchdringen istder Zustand, wenn man die souveräne Herrschaft auch inder psychischen Sphäre erreicht hat und auch in der Zeitsich hin und her bewegen kann. Die nächsten Sätze zei-gen die Entstehung der körperlichen Welt. Erst liegt einBild, eine Idee zugrunde; nach diesem Urbild formt sichdas Abbild als körperliche Gestalt. Der Hergang, der die-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 600: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.633 I Ging, 295Kapitel XI

sen Vorgang des Nachbildens regelt, ist das Gesetz; unddie Kraft, die diese Vorgänge erzeugt, ist das Göttliche.Man kann zu diesen Ausführungen bei Laotse viele Par-allelen finden.

§ 5

Darum gibt es in den Wandlungen den großen Ur-anfang. Dieser erzeugt die zwei Grundkräfte. Diezwei Grundkräfte erzeugen die vier Bilder. Die vierBilder erzeugen die acht Zeichen.

Der große Uranfang (Tai Gi) spielt in der späteren Natur-philosophie eine große Rolle. Ursprünglich ist Gi derFirstbalken, also ein einfacher Strich als Symbol der Set-zung einer Einheit: —. Durch diese Setzung wird nunaber die Zweiheit mitgesetzt: ein oben und unten entstehtzugleich mit der Erscheinung dieser Setzung. Das Bedin-gende wird nun weiterhin als ungeteilter Strich bezeich-net, während das Bedingte durch einen geteilten Strichdargestellt wird: - -. Dies sind die beiden polaren Grund-kräfte, die später als Yang, das Lichte, Yin, das Dunkle,bezeichnet werden. Durch Verdoppelung entstehen danndie vier Bilder:

das alte oder große Yang das alteoder große Yin

das junge oder kleine Yang das jungeoder kleine Yin,die den vier Jahreszeiten entsprechen. Durch weitere

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 601: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.634 I Ging, 295Kapitel XI

Hinzufügung einer Linie entstehen dann die acht Zei-chen:

Dies ist derselbe Hergang, der in Laotse Kap. 42 erwähntist.

§ 6

Die acht Zeichen bestimmten Heil und Unheil. Heilund Unheil erzeugen das große Wirkungsfeld.

Das große Wirkungsfeld sind die Ordnungen und Regeln,die von den Heiligen und Weisen erlassen wurden, umfür die Menschen Heil zu erlangen und Unheil zu ver-meiden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 602: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.635 I Ging, 296Kapitel XI

§ 7

Darum: Es gibt keine größeren Urbilder als Him-mel und Erde. Es gibt nichts Beweglicheres undZusammenhängenderes als die vier Jahreszeiten. Esgibt unter den am Himmel hängenden Bildern keineleuchtenderen als Sonne und Mond. Es gibt in Be-ziehung auf Verehrung und hohe Stellung keinengrößeren als den, der Reichtum und Vornehmheitbesitzt. In Beziehung auf die Vorbereitung vonDingen zum Gebrauch, auf Herstellung von Gerä-ten, die für die ganze Welt von Nutzen sind, gibt esniemand Größeres als die Heiligen und Weisen.Um die wirren Mannigfaltigkeiten zu begreifen unddas Geheime zu erforschen, um das Tiefe zu errei-chen und in die Ferne zu wirken und so Heil undUnheil auf Erden festzusetzen und alle Anstrengun-gen auf Erden zu vollenden, gibt es nichts Größeresals das Orakel.

Ähnlich wie in Laotse Kap. 25, wo von den vier Großenim Weltraum gesprochen wird, wird hier die Größe in derNatur und in der Menschenwelt zusammen genannt. Dasnachzuahmende Urbild ist Himmel und Erde. Das Be-weglichste und Zusammenhängendste sind die Zeiten,das Leuchtendste Sonne und Mond. So ist auf Erden derHöchste der Menschenkönig, der Weise auf dem Thron,der, reich und vornehm zugleich, die Quelle von Reich-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 603: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.636 I Ging, 297Kapitel XI

tum und Adel ist. Ihm zur Seite stehen der wirkendeWeise, der Ordner und Erfinder, und – den leuchtendenBildern von Sonne und Mond entsprechend – das Orakel,das alle Verhältnisse auf Erden aufklärt und beleuchtet.

§ 8

Darum: Der Himmel erzeugt göttliche Dinge: derHeilige und der Weise nehmen sie als Muster.Himmel und Erde ändern und gestalten sich: derHeilige und der Weise ahmen ihnen nach. AmHimmel hängen Bilder, die Heil und Unheil offen-baren: der Heilige und der Weise bilden sie ab. DerGelbe Fluß brachte einen Plan hervor, und der Lo-Fluß brachte eine Schrift hervor: die Heiligen nah-men sie als Muster.

Es wird hier weiter der Parallelismus zwischen den Vor-gängen im Makrokosmos und dem Wirken der Heiligenund Weisen ausgeführt. Die göttlichen Dinge, die Him-mel und Erde erzeugen, sind wohl die Naturerscheinun-gen, die von den Heiligen in den acht Zeichen nachgebil-det wurden. Eine andere Auffassung ist, daß es sich umSchildkröten und Schafgarben handelt. Die Veränderun-gen und Umgestaltungen, die sich in Tag und Nacht undin den Jahreszeiten zeigen, sind in der Art der Wandlun-gen der Striche nachgemacht. Die Zeichen am Himmel,die Glück und Unglück bedeuten, sind Sonne, Mond undSterne nebst Kometen, Finsternissen und dergleichen. Sie

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 604: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.637 I Ging, 297Kapitel XI

sind abgebildet in den beigefügten Urteilen über Heil undUnheil.

Der letzte Satz, der auf zwei sagenhafte Vorgängeunter FuHi und Yü hindeutet, ist späterer Zusatz und hatbei der Exegese des Buchs der Wandlungen viel Unheilangerichtet. Eine Abbildung der beiden Zeichen ist in derErklärung von Kap. IX, § 1 gegeben. Daß der Zusatz hierspäter ist, ergibt sich daraus, daß §§ 7, 8, 9 alle auf dendreiteiligen Parallelismus zwischen Natur und Menschen-welt angelegt sind, der in § 1 angeschlagen ist, ein Zu-sammenhang, der durch diesen Zusatz unterbrochenwird.

§ 9

In den Wandlungen sind Bilder, um zu zeigen; essind Urteile beigefügt, um zu erläutern; es wirdHeil oder Unheil bestimmt, um zu entscheiden.

Im Text steht »vier« Bilder; das ist aus Irrtum von § 5übernommen. Hier sind unter den Bildern die acht Zei-chen zu verstehen, die die Verhältnisse in ihrem Zusam-menhang zeigen. Dies entspricht den Urbildern des Him-mels. Die beigefügten Urteile (zu den einzelnen Strichen)deuten die Veränderungen an. Dies entspricht den Verän-derungen der Jahreszeiten. Die Entscheidungen von Heilund Unheil entsprechen dann den Zeichen am Himmel.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 605: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.638 I Ging, 297Kapitel XII

Kapitel XII

Zusammenfassung

§ 1

Im Buch der Wandlungen heißt es: »Vom Himmelher wird er gesegnet. Heil! Nichts, das nicht för-dernd ist.« Der Meister sprach: Segnen bedeutethelfen. Der Himmel hilft dem Hingebenden. DieMenschen helfen dem Wahrhaftigen. Wer in Wahr-haftigkeit wandelt und hingebend ist in seinemDenken und dann noch die Würdigen hochhält, derwird vom Himmel her gesegnet, hat Heil, undnichts ist, das nicht fördernd wäre.

Hier ist aus dem Torso des Kommentars zu den einzelnenLinien, von dem sich in Kap. VIII, §§ 5-11 Reste zeigten,eine nähere Ausführung zum Schluß von Kap. II, § 6, diehier jedoch außer Zusammenhang ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 606: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.639 I Ging, 298Kapitel XII

§ 2

Der Meister sprach: »Die Schrift kann die Wortenicht restlos ausdrücken. Die Worte können dieGedanken nicht restlos ausdrücken.«Dann kann man also die Gedanken der Heiligenund Weisen nicht sehen?Der Meister sprach: »Die Heiligen und Weisenstellten die Bilder auf, um ihre Gedanken restlosauszudrücken, sie stellten Zeichen dar, um Wahrund Falsch restlos auszudrücken. Sie fügten dannnoch Urteile bei und konnten so ihre Worte restlosausdrücken.«(Sie schufen Veränderung und Zusammenhang, umden Nutzen restlos darzustellen; sie trieben an, siesetzten in Bewegung, um den Geist restlos darzu-stellen.)

Der Abschnitt gibt in Gesprächsform nach Art der LunYü ein Urteil über die Ausdrucksweise des Buchs derWandlungen. Der Meister hatte gesagt, die Schrift drückenie die Worte restlos aus, die Worte drückten nie die Ge-danken restlos aus. Ein Schüler fragt, ob man denn dieGedanken der Weisen nicht zu Gesicht bekommenkönne, und der Meister zeigt an der Hand des Buchs derWandlungen, wie das möglich sei: Sie stellten Bilder undZeichen auf, um die Verhältnisse zu zeigen, und fügtendann noch die Worte bei, so daß diese Worte im Verein

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 607: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.640 I Ging, 299Kapitel XII

mit den Bildern tatsächlich als restloser Ausdruck der Ge-danken gelten. Die letzten beiden Sätze sind aus irgendei-nem andern Zusammenhang hergesetzt, wohl des glei-chen grammatischen Baus wegen. (Vgl. § 4, 2. Hälfteund § 7)

§ 3

Das Schöpferische und das Empfangende ist das ei-gentliche Geheimnis der Wandlungen. Indem dasSchöpferische und das Empfangende vollendet sichdarstellen, sind die Wandlungen zwischen ihnenmitgesetzt. Würde das Schöpferische und das Emp-fangende vernichtet, so gäbe es nichts, woran mandie Wandlungen sehen könnte. Wenn keine Wand-lungen mehr zu sehen wären, so würden die Wir-kungen des Schöpferischen und des Empfangendenauch allmählich aufhören.

Die Wandlungen sind hier als Naturvorgang gedacht, fastidentisch mit »Leben«. Das Leben beruht auf den polarenGegensätzen der Aktivität und Rezeptivität. Dadurchwird die Spannung erhalten, deren jeweiliger Ausgleichsich als Wandlung, als Lebensvorgang zeigt. Würde die-ser Spannungszustand, dieses »Gefälle« aufhören, sowürde es kein Kriterium für das Leben mehr geben; eskönnte sich nicht mehr äußern. Aber ebenso werden an-dererseits diese polaren Gegensätze, diese Spannungendurch die Wandlungen des Lebens jederzeit neu erzeugt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 608: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.641 I Ging, 299Kapitel XII

Würde das Leben sich nicht mehr äußern, so würdenauch die Gegensätze sich durch allmähliche Entropie ver-wischen, und der Welttod wäre die Folge.

§ 4

Darum: Was oberhalb der Form ist, heißt derSINN, was innerhalb der Form ist, heißt das Ding.

Hier ist gezeigt, wie die Kräfte, die die sichtbare Weltkonstituieren, jenseitige sind. Der SINN, Tao, ist hierganz in der Bedeutung einer Ganzheitsentelechie genom-men. Er ist oberhalb der Welt der Räumlichkeit, aber erwirkt – wie wir an anderer Stelle genauer sehen, durchdie ihm innewohnenden »Bilder«, Ideen – auf die Sicht-barkeit; und was hier entsteht, sind die Dinge. Ein Dingist räumlich also durch seine körperliche Begrenzung er-faßt. Aber es kann nicht begriffen werden ohne Kenntnisdes ihm zugrunde liegenden SINNS.

Der Paragraph hat auch einen Zusatz wie § 2, der zumgroßen Teil mit geringer Textabweichung im Schlußpara-graphen wieder vorkommt.

(Was die Dinge umgestaltet und zusammenfügt,heißt die Veränderung; was sie antreibt und gehenmacht, heißt der Zusammenhang. Was sie aufhebtund darstellt für alle Menschen auf Erden, das heißtdas Wirkungsfeld.)

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 609: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.642 I Ging, 300Kapitel XII

§ 5

Darum, was die Bilder anlangt: Die Heiligen undWeisen vermochten all die wirren Mannigfaltigkei-ten unter dem Himmel zu übersehen. Sie beobach-teten die Formen und Erscheinungen und bildetendie Dinge und ihre Eigenschaften ab. Das nannteman: die Bilder. Die heiligen Weisen vermochtenall die Bewegungen unter dem Himmel zu überse-hen. Sie betrachteten, wie sie zusammentrafen undzusammenhingen, um nach ihren ewigen Ordnun-gen zu laufen. Da fügten sie Urteile bei, um ihrHeil und Unheil zu unterscheiden. Das nannte man:die Urteile.

§ 5 ist eine wörtliche Wiederholung von Kap. VIII, § 1und 2.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 610: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.643 I Ging, 300Kapitel XII

§ 6

Die erschöpfende Darstellung der wirren Mannig-faltigkeiten unter dem Himmel beruht auf den Zei-chen. Der Antrieb aller Bewegungen unter demHimmel beruht auf den Urteilen.

Auch dieser Paragraph steht mit Kap. VIII, § 3 irgendwiein Zusammenhang, während das Folgende eine Parallel-stelle der zweiten Hälfte von § 4 enthält.

§ 7

Die Umgestaltung und Zusammenfügung beruhtauf den Veränderungen. Der Antrieb und das Ge-henmachen beruht auf dem Zusammenhang. DieGeistigkeit und Klarheit beruht auf dem rechtenMann. Schweigendes Vollenden, wortloses Zutrau-en beruht auf tugendvollem Wandel.

Hier ist zum Schluß das Ineinandergreifen von Buch undMensch zur Darstellung gebracht. Nur durch die lebendi-ge Persönlichkeit gewinnen die Worte des Buchs jeweilsvolles Leben und üben dann ihre Wirkung auf die Weltaus.

Bemerkung: Es scheint sich hier um einen Gedanken-gang zu handeln, dessen Reste in Kapitel VIII und hier

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 611: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.644 I Ging, 300Kapitel XII

zerstreut sind. Das Problem ist, ob bei der Mangelhaftig-keit unserer Verständigungsmittel überhaupt Kontaktüber die Schranke der Zeit hinaus möglich sei, ob einespätere Zeit eine frühere überhaupt verstehen könne. DieAntwort lautet – am Beispiel des Buchs der Wandlungendurchgeführt – bejahend. Gewiß sind Wort und Schriftunvollkommene Gedankenvermittler; aber vermittels derBilder – wir würden sagen »Ideen« – und der in ihnen lie-genden Bewegungsantriebe wird eine geistige Kraft inBewegung gesetzt, die über die Zeit hinauswirkt und,wenn sie auf den rechten Menschen trifft, der innere Ver-wandtschaft zu jenem SINN hat, von ihm ohne weiteresaufgenommen und aufs neue zum Leben erweckt werdenkann. Das ist der Gedanke des übernatürlichen Zusam-menhangs der Auserwählten aller Zeiten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 612: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.645 I Ging, 301Kapitel I

2. Abteilung

Kapitel I

Über Zeichen und Linien, Schaffen und Wirken

§ 1

Indem die acht Zeichen der Vollendung nach ge-ordnet sind, sind die Bilder darin enthalten. Indemsie daraufhin verdoppelt werden, sind die Liniendarin enthalten.

Vgl. Abt. I, Kap. II, § 1. Die Reihenfolge nach der Voll-endung ist 1. Kiën, 2. Dui, 3. Li, 4. Dschen, 5. Sun, 6.Kan, 7. Gen, 8. Kun.

Die Einzelzeichen enthalten nur die Bilder (Ideen) des-sen, das sie vorstellen. Die Einzelstriche kommen erst beiden Doppelzeichen in Betracht, weil erst in den Doppel-zeichen der ganze Organismus von oben und unten,innen und außen usw. hervortritt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 613: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.646 I Ging, 301Kapitel I

§ 2

Indem die Festen und Weichen einander verdrän-gen, ist die Veränderung darin enthalten. Indem dieUrteile beigefügt werden mit ihren Anweisungen,ist die Bewegung darin enthalten.

Vgl. Abt. I, Kap. II, § 2. Durch den Wechsel der festenund weichen Striche erscheint die Veränderung (undUmgestaltung). Die Urteile geben ihre Anweisungendurch die beigefügten Orakel: Heil und Unheil usw.

§ 3

Heil und Unheil, Reue und Beschämung entstehendurch die Bewegung.

Vgl. Abt. I, Kap. II, § 3. Heil und Unheil, Reue und Be-schämung treten in die Erscheinung erst dadurch, daßman entsprechend handelt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 614: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.647 I Ging, 302Kapitel I

§ 4

Die Festen und Weichen stehen fest, wenn sie anihrem ursprünglichen Platz sind. Ihre Veränderun-gen und Zusammenhänge sollen der Zeit entspre-chen.

Es gibt einen Gleichgewichtszustand, wenn die festenStriche auf festem Platz, die weichen auf weichem Platzstehen. Allein dieser abstrakte Gleichgewichtszustandmuß der Veränderung und Neuorganisierung weichen,wenn es die Zeit erfordert. Die Zeit, d.h. die durch einZeichen dargestellte Gesamtsituation spielt eine wichtigeRolle für die Stellung der einzelnen Striche.

§ 5

Heil und Unheil gelangen durch Beharrlichkeit zurWirkung. Der SINN von Himmel und Erde wirddurch Beharrlichkeit sichtbar. Der SINN vonSonne und Mond wird durch Beharrlichkeit hell.Alle Bewegungen unter dem Himmel werden durchBeharrlichkeit einheitlich.

Das Geheimnis der Wirkung liegt in der Dauer. Heil undUnheil bereiten sich langsam vor. Nur indem dauerndeine Richtung befolgt wird, häufen sich allmählich die

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 615: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.648 I Ging, 302Kapitel I

Einzelwirkungen so an, daß sie nach außen hin als Heiloder Unheil in die Erscheinung treten. Ebenso sind Him-mel und Erde Wirkungen von dauernden Zuständen.Indem alle lichten, klaren Kräfte dauernd nach oben stei-gen, alle festen und trüben Bestandteile dauernd nachunten sinken, sondert sich aus dem Chaos der Kosmos,der Himmel oben und die Erde unten, ab. Ebenso ist esmit dem Lauf von Sonne und Mond; ihre Verhältnissedes Leuchtens sind Wirkungen von dauernden Bewegun-gen und Gleichgewichtszuständen; und so fahren sich füralle Bewegungen und Handlungen, die dauernd fortge-setzt werden, bestimmte Geleise ein, die dann zu Geset-zen werden. Naturgesetze sind demnach nicht etwas, dasein für allemal abstrakt feststünde, sondern sie sind Dau-erwirkungen, die das Gesetzmäßige je länger, desto deut-licher hervortreten lassen.

§ 6

Das Schöpferische ist entschieden und zeigt denMenschen daher das Leichte. Das Empfangende istnachgiebig und zeigt den Menschen daher das Ein-fache.

Die beiden Grundprinzipien bewegen sich je nach denErfordernissen der Zeit, so daß sie sich in dauerndemWandel befinden. Aber die Art ihrer Bewegungen ist insich einheitlich und konsequent. Das Schöpferische istimmer stark, entschieden, wirklich, und darum hat eskeine Schwierigkeiten. Es bleibt sich selber immer treu,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 616: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.649 I Ging, 303Kapitel I

und darauf beruht seine Leichtigkeit. Schwierigkeitensind immer Unklarheiten und Schwankungen. Ebenso istdas Empfangende in seiner Art immer sich gleichbleibendnachgiebig, der Linie des geringsten Widerstands folgendund darum einfach. Kompliziertheiten entstehen nur ausinnerlich einander widerstrebenden Motiven.

§ 7

Die Striche ahmen das nach. Die Bilder bilden dasnach.

Es wird hier eine Wortdefinition von Strichen und Bil-dern gegeben. Strich heißt chinesisch Hiau, nachahmenheißt ebenfalls Hiau (nur anders geschrieben). Bild undnachbilden heißt Siang (ebenfalls verschieden geschrie-ben). Die Striche ahmen in ihren Änderungen es nach,wie Heil und Unheil in der Bewegung durch die Dauerentsteht. Die Bilder bilden ab, wie alle Veränderungenund Zusammenhänge des Festen und Weichen im Leich-ten und Einfachen münden.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 617: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.650 I Ging, 303Kapitel I

§ 8

Die Striche und Bilder bewegen sich im Innern,und Heil und Unheil offenbaren sich im Äußern.Werk und Wirkungsfeld offenbaren sich in denVeränderungen, die Gefühle der heiligen Weisenoffenbaren sich in den Urteilen.

Die Bewegungen der Striche und Bilder und der durchsie symbolisierten kleinsten Geschehenskeime sind un-sichtbar, aber ihre Wirkungen zeigen sich in Heil und Un-heil in der sichtbaren Welt. Ebenso sind die Veränderun-gen, die sich auf Werk und Wirkungsfeld beziehen, un-sichtbar, werden aber geoffenbart durch die Worte derUrteile.

§ 9

Die große Art von Himmel und Erde ist es, Lebenzu spenden. Der große Schatz des heiligen Weisenist es, am rechten Platz zu stehen.Wodurch bewahrt man diesen Platz? Durch dieMenschen. Wodurch sammelt man die Menschenum sich? Durch Güter. Die Ordnung der Güter undRichtigstellung der Urteile, die die Menschen ab-halten, Böses zu tun, ist die Gerechtigkeit.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 618: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.651 I Ging, 304Kapitel I

Es wird hier der Zusammenhang der drei Mächte gezeigt:Himmel und Erde spenden Leben. Der heilige Weise hatdieselbe Gesinnung. Um sie aber durchführen zu können,bedarf er der Stellung als Herrscher. Diese Stellung wirdbewahrt durch die Menschen, die sich unter einem sam-meln. Die Menschen werden angezogen durch die Güter.Die Güter werden verwaltet und geschützt gegen Unrechtdurch Gerechtigkeit.

Es ist hier eine Staatstheorie auf kosmischer Grundlagegegeben, die den Anschauungen der konfuzianischenSchule entspricht. Manche Kommentare wollen diesenParagraphen als Einleitung zum nächsten Kapitel stellen,was insofern eine gewisse Berechtigung hat, als dasnächste Kapitel an der Hand des Buchs der Wandlungeneinen Überblick über die Entwicklung der Kulturge-schichte gibt.

(Die Lesart »Gütigkeit« für »Menschen« in dem Satz:»Wodurch bewahrt man diesen Platz? Durch Menschen«wird durch den Zusammenhang widerlegt.)

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 619: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.652 I Ging, 304Kapitel II

Kapitel II

Kulturgeschichte

§ 1

Als in der Urzeit Bau Hi die Welt beherrschte, dablickte er empor und betrachtete die Bilder amHimmel, blickte nieder und betrachtete die Vorgän-ge auf Erden. Er betrachtete die Zeichnungen derVögel und Tiere und die Anpassungen an die Orte.Unmittelbar ging er von sich selbst aus, mittelbarging er von den Dingen aus. So erfand er die achtZeichen, um mit den Tugenden der lichten Götterin Verbindung zu kommen und aller Wesen Ver-hältnisse zu ordnen.

Das Be Hu Tung gibt als Urzustand der menschlichenGesellschaft folgendes an: »In der Urzeit gab es nochkeine sittlichen und gesellschaftlichen Ordnungen. DieMenschen kannten nur ihre Mutter, nicht ihren Vater.Hungrig suchten sie nach Nahrung, gesättigt warfen siedie Reste weg. Sie fraßen ihre Nahrung mit Haut undHaaren und tranken das Blut und hüllten sich in Felleund Schilf. Da kam Fu Hi und blickte empor und betrach-tete die Bilder am Himmel, blickte nieder und betrachtetedie Vorgänge auf Erden. Er vereinigte Mann und Frau,ordnete die fünf Wandelzustände und setzte die Gesetze

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 620: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.653 I Ging, 305Kapitel II

des Menschentums fest. Er zeichnete die acht Zeichen,um die Welt zu beherrschen.«

Der mythische Begründer der Kultur wird verschiedengeschrieben. Die Bedeutung des Namens scheint aufeinen Jäger oder Erfinder des Kochens zu gehen. DieFrage, ob die acht oder auch schon die 64 Zeichen aufihn zurückgehen, wird verschieden entschieden. Da erselbst eine mythische Persönlichkeit ist, mag der Streitauf sich beruhen. Sicher dürfte sein, daß König Wen die64 Zeichen schon vorfand.

§ 2

Er machte geknotete Stricke und benützte sie zuNetzen und Reusen für die Jagd und den Fischfang.Das entnahm er wohl dem Zeichen: das Haftende.

Es ist in diesem Kapitel ausgeführt, wie die ganzen Kul-tureinrichtungen entstanden sind als Abbilder von ideel-len Urbildern. Dieser Gedanke enthält in höherem Sinneine Wahrheit. Jede Erfindung entsteht zuerst als Bild imGeist des Erfinders, ehe sie als »Gerät«, als »fertigesDing« in die Erscheinung tritt. Da nun nach der Theorieder in den Hi Tsï vertretenen Schule die 64 Zeichen aufgeheimnisvolle Weise Parallelbilder zur Natur geben, sokann hier der Versuch gemacht werden, aus ihnen diemenschlichen Erfindungen abzuleiten, die zur Ausgestal-tung der Kultur geführt haben. Dabei ist der Hergangnicht so gedacht, daß die Erfinder einfach die Zeichen desBuchs vorgenommen und danach die Erfindungen ge-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 621: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.654 I Ging, 305Kapitel II

macht hätten, sondern daß aus Verhältnissen heraus, diein diesen Zeichen dargestellt waren, die Erfindungen sichim Geist ihrer Urheber gestalteten.

Das Netz besteht aus Maschen, die innen leer undaußen von Fäden umgeben sind. Das Zeichen stellteine Vereinigung von solchen Maschen vor. Dazukommt, daß das Zeichen die Bedeutung Haften, Hängen-bleiben hat, wie denn im Buch der Lieder mehrfach er-wähnt ist, daß die Wildgans oder der Fasan im Netz hän-gengeblieben seien (Li).

§ 3

Als der Bau-Hi-Klan vorüber war, kam der Klandes göttlichen Landmanns auf. Er spaltete ein Holzals Pflugschar und bog ein Holz als Pflugstangeund lehrte den Vorteil des Öffnens der Erde mitdem Pflug der ganzen Welt. Das entnahm er wohldem Zeichen: die Mehrung.

Der primitive Pflug bestand aus einer gekrümmten Stan-ge, an der vorn ein zugespitztes Holz befestigt war, dasdie Erde aufritzte. Der Vorteil gegenüber dem Hackenwar, daß man auf diese Weise die Zugkraft benützen undeinen Teil der Arbeit auf das Rind abschieben konnte.Das Zeichen I, die Mehrung, besteht aus den beidenZeichen Sun und Dschen, denen beiden das Holz zuge-ordnet ist. Sun bedeutet eindringen, Dschen bedeutet Be-wegung. Die Kernzeichen sind Gen und Kun, denen die

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 622: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.655 I Ging, 306Kapitel II

Erde zugeordnet ist. Daraus ergab sich der Gedanke, einInstrument zu konstruieren aus Holz, das in die Erdeeindringt und nach vorwärts bewegt wird und die Erdeaufwühlt.

§ 4

Wenn die Sonne im Mittag stand, hielt er Marktab. Er ließ die Leute auf Erden herbeikommen undversammelte die Waren auf Erden. Sie tauschtensie gegenseitig aus, dann kehrten sie zurück, undjedes kam an seinen Platz. Das entnahm er wohldem Zeichen: das Durchbeißen.

Das Zeichen Schï Ho, das Durchbeißen, besteht ausder Sonne (Li) oben und Dschen, der Bewegung, unten.Dschen bedeutet auch einen großen Weg, während dasobere Kernzeichen, Kan, strömendes Wasser und das un-tere, Gen, kleine Pfade bedeutet. Es ist also Bewegungunter der Sonne, Zusammenströmen ausgedrückt. Dasreicht freilich noch nicht aus für den Gedanken einesMarktes. Die Worte Schï Ho können, anders geschrieben,auch Speise und Ware bedeuten, so daß daraus der Ge-danke des Marktes sich ergäbe. Offenbar hatte das Zei-chen früher die Nebenbedeutung des Marktes, vgl. auchdie Erklärung Buch I, Nr. 21, Das Durchbeißen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 623: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.656 I Ging, 307Kapitel II

§ 5

Als der Klan des göttlichen Landmanns vorüberwar, kamen die Klans des Gelben Herren, des Yauund Schun auf. Sie brachten Zusammenhang in ihreVeränderungen, daß die Leute nicht ermüdeten. Siewaren göttlich in ihren Umgestaltungen, daß dieLeute zufrieden waren. Wenn eine Wandlung amEnde angelangt war, so veränderten sie. (DurchVeränderung erreichten sie Zusammenhang.) DurchZusammenhang erreichten sie Dauer. Darum:»Vom Himmel her wurden sie gesegnet. Heil!Nichts, das nicht fördernd ist!«Der Gelbe Herr, Yau und Schun ließen die Ober-und Unterkleider herabhängen, und die Welt war inOrdnung. Das entnahmen sie wohl den Zeichen:das Schöpferische und das Empfangende.

Es sind in diesem Paragraphen zwei Schichten zu unter-scheiden. Die ältere Schicht scheint der Schluß zu sein.Es wird die Einführung der Kleider geschildert. DschongKang Tschong bemerkt dementsprechend: »Der Himmelist schwarzblau, die Erde gelb; darum machten sie dieObergewänder dunkelblau, die Untergewänder gelb.«

Das Herabhängenlassen der Gewänder wurde dannspäter dahin verstanden, daß sie ruhig und ohne sich zurühren dasaßen und alles von selber sich durch ihr Nicht-handeln ordnete. Darauf wurde dann aus schon bekann-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 624: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.657 I Ging, 307Kapitel II

tem Material eine Schilderung ihrer Kulturtätigkeit unddes auf ihr beruhenden Segens beigefügt, von der der ein-geklammerte Satz seinerseits wieder ein späterer Zusatzzu sein scheint. Der Sinn ihrer Tätigkeit war der, daß siedauernd zeitgemäße Reformen durchführten.

§ 6

Sie schabten Stämme aus zu Schiffen und härtetenHölzer im Feuer zu Rudern. Der Nutzen der Schiffeund Ruder bestand in der Vermittlung des Ver-kehrs. (Sie erreichten die Ferne, um der Welt zunützen.) Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: dieAuflösung.

Der eingeklammerte Satz wird von Dschu Hi beanstan-det. Das Zeichen Huan, die Auflösung, besteht ausdem Zeichen Sun, Holz, über Kan, Wasser; darum stehtauch im beigefügten Urteil: »Günstig ist es, das großeWasser zu durchqueren« und im Kommentar zur Ent-scheidung: »Sich auf das Holz verlassen, schafft Verdien-ste.« Das Schiff zur Vermittlung des Verkehrs über Flüs-se und als Mittel zum Reisen in die Ferne wird hier darge-stellt. Holz über dem Wasser: das ist der Sinn der Urzei-chen. Die Kernzeichen Gen und Dschen bedeuten großeund kleine Straßen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 625: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.658 I Ging, 307Kapitel II

§ 7

Sie zähmten das Rind und spannten das Pferd ein.So konnten schwere Lasten gezogen und ferne Ge-genden erreicht werden, um der Welt zu nützen.Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: die Nachfol-ge.

Das Zeichen Sui, die Nachfolge, besteht vorne ausDui, Munterkeit, und hinten aus Dschen, Bewegung, einBild, wie Rind und Pferd vorne laufen und der Wagensich hinten bewegt. Die Rinder waren für die schwerenWagen, die Pferde für die raschen Wagen und Kriegs-fahrzeuge. Das Pferd als Reittier war im ältesten Chinaunbekannt.

§ 8

Sie führten doppelte Tore und Nachtwächter mitKlappern ein, um den Räubern zu begegnen. Dasentnahmen sie wohl dem Zeichen: die Begeiste-rung.

Das Zeichen Yü, die Begeisterung, besteht oben ausdem Zeichen Dschen, Bewegung, unten aus dem Zei-chen Kun, Erde. Die Kernzeichen sind Kan, dasGefährliche, und Gen, der Berg. Kun bedeutet eine ge-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 626: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.659 I Ging, 308Kapitel II

schlossene Tür, Gen bedeutet ebenfalls eine Tür, daherdie Verdoppelung der Tore. Kan bedeutet den Dieb.Außer den Toren dient zur Vorbereitung (Yü bedeutetauch Vorbereitung) gegen ihn die Bewegung, das Holz(Dschen) in der Hand (Gen).

§ 9

Sie spalteten Holz und machten einen Stößel dar-aus. Sie höhlten die Erde aus als Mörser. Der Nut-zen des Mörsers und Stößels kam allen Menschenzugut. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: desKleinen Übergewicht.

Das Zeichen Siau Go, des Kleinen Übergewicht, be-steht oben aus Dschen, Holz, Bewegung, und unten ausGen, Stillstand, Stein. Go bedeutet auch Übergang. DerMörser war die Urform der Mühle und bedeutet denÜbergang vom Körneressen zum Backen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 627: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.660 I Ging, 308Kapitel II

§ 10

Sie bespannten ein Holz als Bogen und härtetenHölzer im Feuer als Pfeile. Der Nutzen von Pfeilund Bogen besteht darin, die Welt in Furcht zu hal-ten. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen: der Ge-gensatz.

Das Zeichen Kui, der Gegensatz, besteht oben aus Li,das Haftende, und unten aus Dui, das Heitere. Die Kern-zeichen sind Kan, Gefahr, und nochmals Li. Das ganzeZeichen deutet auf Streit. Li ist die Sonne, die aus derFerne Pfeile schickt. Li bedeutet Waffen, Kan Gefahr.Die Gefahr ist von Waffen eingeschlossen, daher fürchtetman sich nicht.

§ 11

In der Urzeit wohnten die Menschen in Höhlen undlebten in Wäldern. Die Heiligen späterer Zeit ver-wandelten das in Gebäude: Oben war ein Firstbal-ken, abwärts davon ein Dach, um Wind und Regenabzuhalten. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen:des Großen Macht.

Das Zeichen Da Dschuang, des Großen Macht, be-steht oben aus Dschen, Donner; das obere Kernzeichen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 628: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.661 I Ging, 309Kapitel II

Dui, der See, ist oben am Himmel, Kiën, dem unterenKernzeichen. Das untere Zeichen ist Kiën, der Himmel,der Luftraum. Das Ganze bedeutet also einen Himmel,einen starken, geschützten Raum unter Donner undRegen. Das Zeichen Dschen bedeutet auch Holz und alsältester Sohn den Firstbalken oben. Die beiden weichenStriche oben werden dann als das abfallende Dach ge-dacht.

§ 12

In der Urzeit bestattete man die Toten, indem mansie dicht mit Reisig bedeckte und mitten auf demLand beisetzte, ohne Grabhügel und Baumpflan-zungen. Die Trauerzeit hatte keine bestimmteDauer. Die Heiligen späterer Zeit führten statt des-sen Särge und Sarkophage ein. Das entnahmen siewohl dem Zeichen: des Großen Übergewicht.

Das Zeichen Da Go, des Großen Übergewicht, be-steht aus dem Zeichen Dui, der See, oben und Sun, Holz,Eindringen, unten. In der Mitte ist als Kernzeichen zwei-mal Kiën, der Himmel. Das Zeichen muß als Ganzes ge-nommen werden, die beiden Yinstriche oben und untenbedeuten die Erde, innerhalb derer der doppelte Sarg alsHimmel eingeschlossen ist. Dadurch, daß die Toten soeingehen (Sun), werden sie heiter (Dui). Der Ahnenkultfindet hier seine Verankerung.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 629: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.662 I Ging, 310Kapitel II

§ 13

In der Urzeit knotete man Stricke, um zu regieren.Die Heiligen späterer Zeit führten statt dessenschriftliche Urkunden ein, um die verschiedenenBeamten zu regieren und die Untertanen zu beauf-sichtigen. Das entnahmen sie wohl dem Zeichen:der Durchbruch.

Das Zeichen Guai, der Durchbruch, besteht aus Dui,Worte, oben und Kiën, stark, unten und bedeutet Festma-chen der Worte. Der Einschnitt oben deutet gleichzeitigdie Form der ältesten Urkunden an, die, in Holz geschnit-ten, aus zwei Hälften bestanden, die zusammengehaltenineinander paßten. Die alten Schriften waren in der Regelauf geglättete Bambustafeln geritzt. Hier ist die Schrift inihrer Bedeutung für die Organisierung einer größeren Ge-meinschaft hervorgehoben.

Bemerkung: Die in diesem Kapitel gegebene kulturge-schichtliche Skizze stimmt in ihren Hauptzügen merk-würdig mit unseren Auffassungen überein. Der Grundge-danke, daß allen Kultureinrichtungen eine Entwicklungvon bestimmten Ideen zugrunde liegt, ist ebenfalls zwei-fellos richtig. Es fällt nicht immer leicht, diese Ideen inden Ideenkomplexen, die durch die genannten Zeichendargestellt sind, wiederzuerkennen. Es ist nicht unmög-lich, daß hier gewisse Zusammenhänge vorlagen, dieheute verwischt sind. Manche Spuren weisen darauf hin,daß die Zeichen in der Zeit vor der Dschou-Dynastie eineandere Bedeutung hatten als die heute überlieferte. Mög-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 630: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.663 I Ging, 310Kapitel II

licherweise eröffnet dieses Kapitel Einblicke in jene Ur-bedeutungen. Daß ein Bedeutungswandel auch späternoch stattgefunden hat, ergibt sich, wenn wir die Urteilemit den Bildern vergleichen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 631: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.664 I Ging, 310Kapitel III

Kapitel III

Über die Struktur der Zeichen

§ 1

So besteht das Buch der Wandlungen aus Bildern.Die Bilder sind Nachbildungen.

Die Zeichen sind Nachbildungen der Verhältnisse amHimmel und auf Erden. Darum sind sie produktiv zu ver-wenden, haben sozusagen zeugende Kraft im Gebiet derIdeen, wie oben ausgeführt.

§ 2

Die Entscheidungen geben das Material.

Der Kommentar zur Entscheidung, von dem hier wohlgesprochen ist, gibt das Baumaterial, aus dem die Zei-chen als Ganze aufgebaut sind. So zeichnet er die Ge-samtsituation als solche, noch ehe sie sich verändert. Diesgilt natürlich auch von den Urteilen selber.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 632: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.665 I Ging, 310Kapitel III

§ 3

Die Linien sind Nachahmungen der Bewegungenauf Erden.

Die Linien sind hier soviel wie die den einzelnen Linienbeigefügten Urteile, die dann in Kraft treten, wenn dieseLinien Neunen oder Sechsen sind, d.h. sich bewegen. Inihnen sind die Veränderungen der einzelnen Situationenabgebildet.

§ 4

So entstehen Heil und Unheil, und Reue und Be-schämung erscheinen.

Durch diese Bewegung wird offenbar, wohin die Rich-tung des Geschehens sich wendet, und die Warnungs-bzw. Bestätigungszeichen werden beigefügt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 633: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.666 I Ging, 311Kapitel IV

Kapitel IV

Über die Natur der Zeichen

§ 1

Die lichten Zeichen haben mehr dunkle Linien, diedunklen Zeichen haben mehr lichte Linien.

Die »lichten« Zeichen sind die drei Söhne: Dschen, Kan, Gen, die alle aus zwei dunklen und

einer lichten Linie bestehen. Die »dunklen« Zeichen sinddie drei Töchter: Sun, Li, Dui, diealle aus zwei lichten und einer dunklen Linie bestehen.

§ 2

Was ist der Grund davon? Die lichten Zeichen sindungerade, die dunklen Zeichen sind gerade.

Die lichten Zeichen bestehen aus den Linien 7 + 8 + 8oder 7 + 6 + 8 oder 7 + 6 + 6 oder 9 + 8 + 8 oder 9 + 6 +6 oder 9 + 6 + 8; dasselbe gilt entsprechend von dendunklen Zeichen. Bei den ersten ist also die Summeimmer ungerade, der ungerade Strich ist somit der für dasZeichen ausschlaggebende, während bei den dunklenZeichen das Gegenteil der Fall ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 634: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.667 I Ging, 311Kapitel IV

§ 3

Wie ist ihre Art und ihr Wesen? Die lichten Zei-chen haben einen Herrn und zwei Untertanen. Siezeigen den Sinn des Edlen. Die dunklen Zeichenhaben zwei Herren und einen Untertan. Das ist derSinn des Gemeinen.

Wo einer herrscht, ist Einheit vorhanden. Wo dagegeneiner zwei Herren dienen soll, da kann es nichts Gutesgeben. Diese Wahrheit ist hier mehr zufällig an die Ge-stalt der Zeichen angeknüpft.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 635: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.668 I Ging, 312Kapitel V

Kapitel V

Erklärung einiger Linien aus dem Buch derWandlungen

§ 1

In den Wandlungen heißt es: »Wenn man aufgeregthin und her denkt, so folgen nur die Freunde, aufdie man bewußte Gedanken richtet.«Der Meister sprach: Was bedarf die Natur des Den-kens und Sorgens? In der Natur kehrt alles zum ge-meinsamen Ursprung und verteilt sich auf die ver-schiedenen Pfade; durch eine Wirkung wird dieFrucht von hundert Gedanken verwirklicht. Wasbedarf die Natur des Denkens, was des Sorgens?

§ 2

Wenn die Sonne geht, so kommt der Mond. Wennder Mond geht, so kommt die Sonne. Sonne undMond wechseln ab, und so entsteht das Licht.Wenn die Kälte geht, so kommt die Hitze. Wenndie Hitze geht, so kommt die Kälte. Kälte undHitze wechseln ab, und so vollendet sich das Jahr.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 636: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.669 I Ging, 312Kapitel V

Die Vergangenheit zieht sich zusammen. Die Zu-kunft dehnt sich aus. Zusammenziehen und Aus-dehnen wirken aufeinander, und so entsteht dasFörderliche.

§ 3

Die Spannerraupe zieht sich zusammen, wenn siesich ausdehnen will. Die Drachen und Schlangenhalten einen Winterschlaf, um ihr Leben zu erhal-ten. So dient das Eindringen des Samengedankensin den Geist zu seiner Wirkung. Indem man dieWirkung förderlich macht und sein Leben in Frie-den bringt, erhöht man seine Art.

§ 4

Was darüber noch hinausgeht, das übersteigt wohlalles Wissen. Wenn man das Göttliche ermißt unddie Umgestaltungen versteht, so steigert man seineArt ins Wunderbare.

In dieser Erklärung zur Neun auf viertem Platz des Zei-chens Nr. 31, Hiën, (Buch III), die Einwirkung, wird eineTheorie der Macht des Unterbewußten gegeben. Die be-wußten Wirkungen sind immer nur beschränkte, weil sie

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 637: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.670 I Ging, 313Kapitel V

durch eine Absicht hervorgerufen werden. Die Naturkennt keine Absichten, und darum ist in ihr alles so groß.Auf der Einheitlichkeit des zugrunde liegenden Wesensberuht es, daß alle tausend Wege zu einem Ziel führen,das so vollkommen ist, als wäre es aufs genaueste durch-dacht.

Es wird dann im Anschluß an den Lauf des Tages undJahres gezeigt, wie Vergangenheit und Zukunft ineinan-der übergehen, wie Zusammenziehung und Ausdehnungdie beiden Bewegungen sind, durch die die Vergangen-heit die Zukunft vorbereitet und die Zukunft die Vergan-genheit entfaltet.

In den beiden folgenden Paragraphen wird dann dieAnwendung auf den Menschen gezogen, der durch höch-ste Konzentration sein inneres Wesen so steigert und fe-stigt, daß objektive, geheimnisvolle Kraftströme von ihmausgehen, so daß seine Wirkungen aus dem Unterbewuß-ten hervorgehen und geheimnisvoll auf das Unterbewußt-sein der andern wirken, so daß eine Breite und Tiefe derWirkung erzielt wird, die über das Individuelle hinaus-geht und in die kosmischen Erscheinungsformen über-geht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 638: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.671 I Ging, 313Kapitel V

§ 5

In den Wandlungen heißt es: »Man läßt sich be-drängen durch Stein und stützt sich auf Dornen undDisteln. Man geht in sein Haus und sieht nichtseine Frau. Unheil!« Der Meister sprach: Wenn je-mand sich von etwas, das ihn nicht bedrängen soll-te, bedrängen läßt, so wird sein Name sicher inSchande geraten. Wenn er sich auf Dinge stützt,auf die man sich nicht stützen kann, so wird seinLeben sicher in Gefahr geraten. Wer in Schandeund Gefahr ist, dem naht die Todesstunde; wiekann er da noch seine Frau sehen?

Ein Beispiel für einen ungünstigen Spruch. Erklärung zuNr. 47, Kun, die Erschöpfung, Sechs auf drittem Platz(Buch I).

§ 6

In den Wandlungen heißt es: »Der Fürst schießtnach einem Habicht auf hoher Mauer. Er erlegt ihn.Alles ist fördernd.« Der Meister sprach: Der Ha-bicht ist der Zweck der Jagd. Bogen und Pfeil sindWerkzeuge und Mittel. Der Schütze ist der Mensch(der die Mittel zum Zweck richtig gebrauchen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 639: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.672 I Ging, 314Kapitel V

muß). Der Edle birgt die Mittel in seiner Person. Erwartet die Zeit ab, und dann handelt er. Wie sollteda nicht alles gut gehen? Er handelt und ist frei.Darum braucht er nur auszugehen und erlegt dieBeute. So steht es mit einem Menschen, der han-delt, nachdem er seine Mittel fertig hat.

Ein Beispiel eines günstigen Strichs. Erklärung zu Nr. 40,Hië, die Befreiung, obere Sechs (Buch I).

§ 7

Der Meister sprach: Der Gemeine schämt sich nichtder Lieblosigkeit und scheut sich nicht vor Unge-rechtigkeit. Wenn er keinen Vorteil winken sieht,so rührt er sich nicht. Wenn er nicht eingeschüch-tert wird, so bessert er sich nicht. Doch wenn er imKleinen zurechtgebracht wird, so nimmt er sich imGroßen in acht. Das ist für den geringen Menschenein Glück. Das ist damit gemeint, wenn es im Buchder Wandlungen heißt: »Steckt mit den Füßen imBlock, daß die Zehen verschwinden. Kein Makel.«

Ein Beispiel eines Strichs, der durch Reue zum Gutenführt. Erklärung zu Nr. 21, Schï Ho, das Durchbeißen,Anfangsneun (Buch I).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 640: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.673 I Ging, 314Kapitel V

§ 8

Wenn das Gute sich nicht ansammelt, reicht esnicht aus, einem einen Namen zu machen. Wenndas Böse sich nicht ansammelt, ist es nicht starkgenug, einen zu vernichten. Der Gemeine denktdeshalb, Gutes im Kleinen habe keinen Wert,darum unterläßt er es; er denkt, kleine Sündenschaden nichts, darum gewöhnt er sie sich nicht ab.So sammeln sich seine Sünden an, bis sie sichnicht mehr bedecken lassen, und seine Schuld wirdso groß, daß sie sich nicht mehr lösen läßt.In den Wandlungen heißt es: »Steckt mit dem Halsim hölzernen Kragen, daß die Ohren verschwinden.Unheil!«

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man durch Be-schämung zum Unheil geführt wird. Erklärung zu Nr.21, Schï Ho, das Durchbeißen, obere Neun (Buch I).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 641: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.674 I Ging, 315Kapitel V

§ 9

Der Meister sprach: Gefahr entsteht, wo einer sichauf seinem Platz sicher fühlt. Untergang droht, woeiner seinen Bestand zu wahren sucht. Verwirrungentsteht, wo einer alles in Ordnung hat. Darum ver-gißt der Edle, wenn er sicher ist, nicht der Gefahr,und wenn er besteht, nicht des Untergangs, undwenn er Ordnung hat, nicht der Verwirrung. Da-durch kommt er persönlich in Sicherheit und ver-mag das Reich zu schützen. In den Wandlungenheißt es: »Wenn es mißlänge! Wenn es mißlänge!Dadurch bindet er es an ein Bündel von Maulbeer-stauden.«

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man ohne Makelist und dadurch Gelingen hat. Erklärung zu Nr. 12, Pi,die Stockung, Neun auf fünftem Platz (Buch I).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 642: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.675 I Ging, 315Kapitel V

§ 10

Der Meister sprach: Schwacher Charakter bei ge-ehrter Stellung, geringes Wissen und große Pläne,kleine Kraft und schwere Verantwortung werdenselten dem Unheil entgehen. In den Wandlungenheißt es: »Der Tiegel bricht die Beine. Das Mahldes Fürsten wird verschüttet, und die Gestalt wirdbefleckt. Unheil!«Das ist von jemand gesagt, der seiner Aufgabenicht gewachsen ist.

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man Unheil hat,weil man den Verhältnissen nicht gewachsen ist. Erklä-rung zu Nr. 50, Ding, der Tiegel, Neun auf viertem Platz(Buch I).

§ 11

Der Meister sprach: Die Keime zu erkennen, das istwohl göttlich. Der Edle ist in seinem Verkehr nachoben nicht schmeichelnd, im Verkehr nach untennicht anmaßend. Er kennt wohl die Keime. DieKeime sind der erste, unmerkliche Beginn der Be-wegung, das, was von Heil (und Unheil) zuerst sichzeigt. Der Edle sieht die Keime und handelt sofort.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 643: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.676 I Ging, 316Kapitel V

Er wartet nicht erst den ganzen Tag.In den Wandlungen heißt es: »Fest wie ein Stein.Kein ganzer Tag. Beharrlichkeit bringt Heil.«Fest wie ein Stein,Wozu ein ganzer Tag?Das Urteil kann man wissen.Der Edle kennt Geheim- und Offenbares,Er kennt das Schwache, kennt das Starke auch,Drum schauen die Myriaden zu ihm auf.

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man durch Vor-herwissen dem Unheil rechtzeitig zu entgehen vermag.Erklärung von Nr. 16, Yü, die Begeisterung, Sechs aufzweitem Platz (Buch I).

§ 12

Der Meister sprach: Yen Hui, der wird es wohl er-reichen. Wenn er eine Unvollkommenheit hat, sokommt es nie vor, daß er sie nicht erkennt. Wenn ersie erkannt hat, kommt es nie vor, daß er sie zumzweitenmal begeht.In den Wandlungen heißt es: »Wiederkehr aus ge-ringer Entfernung. Es bedarf keiner Reue. GroßesHeil!«

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie man aus den Er-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 644: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.677 I Ging, 316Kapitel V

eignissen lernen kann. Yen Hui, von dem hier gespro-chen wird, ist der Lieblingsjünger Kungs, von dem auchin den Gesprächen gesagt ist, daß er nie einen Fehler wie-derholt habe. Erklärung zu Nr. 24, Fu, die Wiederkehr,Anfangsneun (Buch III).

§ 13

Der Meister sprach: Himmel und Erde kommen inBerührung, und alle Dinge gestalten sich und ge-winnen Form. Das Männliche und Weiblichemischt seinen Samen, und alle Wesen gestaltensich und werden geboren.In den Wandlungen heißt es: »Wenn drei Men-schen miteinander wandern, so vermindern sie sichum einen Menschen. Wenn ein Mensch wandert, sofindet er seinen Gefährten.«

Ein Beispiel eines Strichs, der günstig ist, durch Einheit.Erklärung zu Nr. 41, Sun, die Minderung, Sechs auf drit-tem Platz (Buch III).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 645: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.678 I Ging, 317Kapitel V

§ 14

Der Meister sprach: Der Edle bringt seine Personin Ruhe, ehe er sich bewegt. Er faßt sich in seinemSinn, ehe er redet. Er festigt seine Beziehungen,ehe er um etwas bittet. Indem der Edle diese dreiStücke in Ordnung bringt, ist er in völliger Sicher-heit. Wenn man aber unvermittelt ist in seinen Be-wegungen, so tun die Leute nicht mit. Wenn manaufgeregt ist in seinen Worten, so finden sie keinenWiderhall bei den Leuten. Wenn man ohne vorheri-ge Beziehungen etwas verlangt, so geben es einemdie Leute nicht. Wenn niemand mit einem ist, dannkommen die Schädiger herbei.In den Wandlungen heißt es: »Er gereicht niemandzur Mehrung. Es schlägt ihn wohl gar jemand. Erhält sein Herz nicht dauernd fest. Unheil!«

Ein Beispiel eines Strichs, der zeigt, wie auf die Vorberei-tung alles ankommt. Erklärung zu Nr. 42, I, die Meh-rung, obere Neun (Buch I).

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 646: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.679 I Ging, 317Kapitel VI

Kapitel VI

Über die Art des Buchs der Wandlungen imallgemeinen

§ 1

Der Meister sprach: Das Schöpferische und dasEmpfangende sind doch recht eigentlich das Tor zuden Wandlungen. Das Schöpferische ist der Vertre-ter der lichten Dinge, das Empfangende der dunk-len Dinge. Indem Dunkel und Licht ihre Art verei-nen, gewinnt das Feste und das Weiche Gestalt. Sogestalten sich die Verhältnisse des Himmels undder Erde, und man kommt in Zusammenhang mitder Art der lichten Götter.

Im Anschluß an Abt. I, Kap. XII, § 3 ist hier die Methodedes Buchs der Wandlungen dargelegt. Die beiden erstenZeichen, »das Schöpferische« und »das Empfangende«,werden als Repräsentanten der beiden polaren Urkräftegezeigt. Es soll erklärt werden, wie der Stoff das Produktder Kraft ist. Das Lichte und das Dunkle sind Kräfte.Durch Zusammenwirken dieser Kräfte entsteht das Stoff-liche, Festes und Weiches. Dieses Stoffliche bildet dieForm, den Leib aller Wesen im Himmel und auf Erden.Aber was es in Bewegung hält, das sind immer Kräfte.Und es kommt darauf an, Anschluß zu haben an diese

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 647: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.680 I Ging, 318Kapitel VI

Kräfte, diese göttlichen, leuchtenden.

§ 2

Die angewandten Namen sind vielfältig, aber nichtüberflüssig. Wenn wir ihre Arten untersuchen, sotreten uns Gedanken an den Untergang einer Zeitentgegen.

Die Namen der 64 Zeichen sind sehr mannigfach. Abersie halten sich alle im Kreis des Notwendigen. Es sind Si-tuationen gezeichnet, wie sie das Leben tatsächlich mitsich bringt. Die Art der Situationen ist durchgehends so,daß man daraus sieht, daß auf ein untergehendes ZeitalterBezug genommen wird, dem die Mittel zum Neuaufbauan die Hand gegeben werden sollen. Es wird darauf hin-gewiesen, daß der Gedankenkreis der Zeichen einer Zeitentstammt, da man schon mit Niedergangserscheinungenzu rechnen hatte.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 648: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.681 I Ging, 318Kapitel VI

§ 3

Die Wandlungen beleuchten die Vergangenheit underklären die Zukunft. Sie zeigen das Verborgeneund eröffnen das Dunkle. Durch treffende Namenunterscheiden sie die Dinge. Indem dann richtigeWorte und entschiedene Urteile dazu kommen, istalles vollkommen.

Der Text scheint – wie überhaupt in diesem ganzen Kapi-tel – etwas unsicher zu sein. Der Gesamtsinn ist aberohne weiteres zu verstehen. Es ist auch hier wieder aufdie verschiedenen Beziehungen des Buchs der Wandlun-gen hingewiesen, wie zeitlich und räumlich das Verbor-gene enthüllt wird, erst symbolisch durch Namen undBeziehungen und schließlich ausdrücklich durch die Ur-teile.

§ 4

Die angewandten Namen klingen unbedeutend,aber ihre Anwendungsmöglichkeiten sind groß. IhrSinn ist weitreichend, ihre Urteile sind geordnet.Die Worte sind umschreibend, aber treffend. DieSachen sind offen dargelegt, doch enthalten sienoch ein tieferes Geheimnis. Darum können sie inzweifelhaften Fällen dazu dienen, den Wandel der

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 649: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.682 I Ging, 318Kapitel VI

Menschen zu lenken und so die Vergeltung desTreffens und Verfehlens zu zeigen.

Es wird hier auf das Abstrakt-Allegorische der Zeichenhingewiesen, die sozusagen perspektivisch eine durchge-hende Übertragung auf alle möglichen Verhältnisse ge-statten, weil sie nur die Gesetze bieten, die in den ver-schiedenen Komplexreihen gelten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 650: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.683 I Ging, 319Kapitel VII

Kapitel VII

Die Beziehung einiger Zeichen zurCharakterbildung

§ 1

Das Aufkommen der Wandlungen war in der Zeitdes mittleren Altertums. Die die Wandlungen ver-faßt haben, hatten viel Sorge und Leid.

Das bezieht sich auf König Wen und seinen Sohn, denHerzog von Dschou, die beide schwere Zeiten durchzu-machen hatten. Der Schreiber dieser Zeilen fühlt sich indiesem Stück mit ihnen verbunden. Auch er kann nichtsanderes tun als den Organisationsplan einer untergehen-den Kultur auf die Nachwelt retten.

§ 2

So zeigt das Zeichen »Auftreten« das Fundamentdes Charakters, das Zeichen »Bescheidenheit« dieHandhabe des Charakters, das Zeichen »Wieder-kehr« den Stamm des Charakters; das Zeichen»Dauer« bewirkt die Festigkeit des Charakters, dasZeichen »Minderung« die Pflege des Charakters,

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 651: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.684 I Ging, 319Kapitel VII

das Zeichen »Mehrung« die Fülle des Charakters,das Zeichen »Bedrängnis« die Prüfung des Charak-ters, das Zeichen »Brunnen« das Feld des Charak-ters, das Zeichen »das Sanfte« die Betätigung desCharakters.

§ 3

Das Zeichen »Auftreten« ist harmonisch und er-reicht das Ziel. »Bescheidenheit« ehrt und istleuchtend. »Wiederkehr« ist klein und doch ver-schieden von den Außendingen. »Dauer« zeigtmannigfaltige Erfahrungen ohne Überdruß. »Min-derung« zeigt erst die Schwierigkeit und dann dasLeichte. »Mehrung« zeigt Wachstum der Fülleohne Kunstgriffe. »Bedrängnis« führt in Ratlosig-keit und dadurch zu Erfolg. »Brunnen« weilt aufseinem Platz und hat doch Einfluß auf andre. »DasSanfte« vermag die Dinge zu wägen und verborgenzu bleiben.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 652: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.685 I Ging, 320Kapitel VII

§ 4

Das »Auftreten« bewirkt harmonischen Wandel.»Bescheidenheit« dient dazu, die Sitte zu ordnen.»Wiederkehr« dient zur Selbsterkenntnis. »Dauer«bewirkt Einheit des Charakters. »Minderung« hältSchaden fern. »Mehrung« schafft Förderung desNützlichen. Durch »Bedrängnis« lernt man seinenGroll verringern. »Brunnen« bewirkt Unterschei-dung, was das Rechte ist. Durch das »Sanfte« ver-mag man die besonderen Umstände zu berücksich-tigen.

Es ist hier an der Hand von neun Zeichen eine Dar-stellung der Entwicklung des Charakters gegeben, undzwar in der Art, daß zunächst die Beziehungen der Zei-chen zum Charakter, darauf das Material der Zeichen undendlich ihre Wirkung gegeben werden. Die Bewegunggeht von innen nach außen. Was sich im intimsten Her-zen auswirkt, wird in seinen Folgen nach außen sichtbar.Die neun Zeichen sind:

1. Lü, das Auftreten, Nr. 10. Das Zeichen behandeltdie Regeln des guten Benehmens, deren Befolgung Vor-bedingung für Charakterbildung ist. Dieses gute Beneh-men ist harmonisch – entsprechend dem Zeichen »dasHeitere«, das innen ist – und kommt dadurch selbst unterschwierigen Umständen (Auftreten auf den Schwanz desTigers) zum Ziele. So bewirkt es die harmonischen For-men, die für das äußere Benehmen Vorbedingung sind.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 653: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.686 I Ging, 320Kapitel VII

2. Kiën, die Bescheidenheit, Nr. 15. Das Zeichen be-zeichnet die Gesinnung, die notwendig ist, damit manüberhaupt die Bildung des Charakters unternimmt. DieBescheidenheit (Berg unter der Erde) ehrt andre undkommt dadurch selbst zu Ehren. Auf diese Weise ordnetsie den Verkehr, daß man auf Freundlichkeit Freundlich-keit erlangt. Sie gibt den Formen die richtige Gesinnungals Inhalt.

3. Fu, die Wiederkehr, Nr. 24. Das Zeichen ist dadurchcharakterisiert, daß ein lichter Strich von unten wieder-kehrt und nach oben steigt. Es bedeutet Wurzel undStamm des Charakters. Das Gute, das sich unten zeigt, istzunächst noch ganz unscheinbar, aber es ist stark genug,um sich in seiner Eigenart allen Versuchungen der Um-gebung gegenüber dauernd durchzusetzen. Als Wieder-kehr legt es auch den Gedanken dauernder Umkehr nachbegangenen Fehlern nahe und der dazu nötigen Selbst-prüfung und Selbsterkenntnis.

4. Hong, die Dauer, Nr. 32. Das Zeichen bewirkt dieFestigkeit des Charakters in der Zeit. Es zeigt Wind undDonner in stetigem Zusammensein, daher gibt es man-nigfaltige Bewegungen und Erfahrungen, aus denen sichfeste Regeln ergeben, so daß ein einheitlicher Charakterdie Folge ist.

5. Sun, die Minderung, Nr. 41. Das Zeichen zeigt Min-derung des Niederen, der ungebändigten Triebe, zugun-sten des höheren, geistigen Lebens. Hiermit ist die eigent-liche Pflege des Charakters gegeben. Sie zeigt erst dieSchwierigkeit in der Bändigung der Triebe und dann dasLeichte, wenn der Charakter beherrscht ist, und hält soSchaden fern.

6. I, die Mehrung, Nr. 42. Das Zeichen gibt dem Cha-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 654: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.687 I Ging, 321Kapitel VII

rakter die nötige Fülle. Bloße Askese reicht nicht aus zueinem guten Charakter; es ist auch Größe dazu nötig. DieMehrung zeigt nun ein organisches Wachstum der Per-sönlichkeit an, das nicht gemacht ist und daher das Nütz-liche fördert.

7. Kun, die Bedrängnis, Nr. 47. Das Zeichen führt dengebildeten Charakter nun in das Feld seiner Bewährungein. Schwierigkeiten, Hindernisse erheben sich, die über-wunden werden müssen, sich aber oft als unüberwindbarerweisen. Hier sieht der Mensch sich Grenzen gegenüber,die er nicht beseitigen kann und deren Überwindung nurdurch ihre Anerkennung ermöglicht wird. Indem soDinge anerkannt werden, die als Schicksal anerkanntwerden müssen, verlernt man es, das Widrige zu has-sen. – Denn welchen Wert hätte es, gegen das Schicksalanzugehen? – Und durch diese Verminderung des Grollsläutert sich der Charakter auf eine höhere Stufe empor.

8. Dsing, der Brunnen, Nr. 48. Das Zeichen stellteinen Brunnenquell dar, dessen weitreichende Wirkungtrotz seines Beharrens am Platze darauf beruht, daß erweithin Segen spendet. So zeigt sich hier das Feld desCharakters, auf dem er seine Wirkung ausüben kann. Eszeigt den tiefen Einfluß, der von einer reichen, spenden-den Persönlichkeit ausgeht, der darum nicht geringer ist,weil das Spendende sich in der Stille hält. Es zeigt, wasdas Rechte ist, und ermöglicht so, es auszuwirken.

9. Sun, das Sanfte, das Eindringliche, Nr. 57. Das Zei-chen gibt die richtige Geschmeidigkeit des Charakters.Nicht Starrheit, die nach einmal festgelegten Prinzipienhandelt und in Wirklichkeit nur Pedanterie ist, sondernBeweglichkeit ist nötig, daß man die Dinge wägt und indie Bedürfnisse der Zeit eindringt, ohne sich zu exponie-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 655: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.688 I Ging, 321Kapitel VII

ren, und dann es lernt, die Umstände zu berücksichtigenund bei aller weisen Mannigfaltigkeit die starke Einheitdes Wesens zu wahren.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 656: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.689 I Ging, 322Kapitel VIII

Kapitel VIII

Über den Gebrauch des Buchs der WandlungenDie Linien

§ 1

Die Wandlungen sind ein Buch,Dem man nicht ferne bleiben darf.Sein SINN ist stets wechselnd,Veränderung, Bewegung ohne Rast,Durchfließend die sechs leeren Plätze;Sie steigen auf und fallen ohn' Verharren,Die Festen und die Weichen wandeln sich.Man kann sie nicht in eine Regel schließen;Nur Änderung ist es, was hier wirkt.

§ 2

Sie gehen aus und ein nach festen Maßen.Ob außen oder innen, lehren Vorsicht sie.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 657: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.690 I Ging, 322Kapitel VIII

§ 3

Auch zeigen sie Sorge und Leid und ihre Gründe.Hast du auch keinen Lehrer, doch nahe ihnen wieden Eltern.

§ 4

Erst nimm die Worte vor,Besinn dich, was sie meinen,Dann zeigen sich die festen Regeln.Doch bist du nicht der rechte Mann,Dann äußert sich der Sinn dir nicht.

In halb rhythmischer, halb gereimter Prosa wird hier eineMahnung gegeben, das Buch der Wandlungen fleißig zustudieren. Es wird rühmend hervorgehoben, wie dauern-der Wechsel die Regel des Buchs ist. Zum Schluß wirddarauf hingewiesen, daß eine innere Fähigkeit notwendigsei, das Buch zu verstehen, sonst bleibe es verschlossenwie mit sieben Siegeln. Wenn der das Orakel Befragendenicht in Kontakt mit dem SINN ist, so bekommt er keinesinnvolle Antwort, die ja doch nur vergeblich wäre.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 658: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.691 I Ging, 322Kapitel IX

Kapitel IX

Die Linien

(Fortsetzung)

§ 1

Die Wandlungen sind ein Buch, dessen Zeichen imersten Strich ihren Anfang nehmen und im letztenzusammengefaßt werden. Die Striche sind das ei-gentliche Material. Die sechs Linien sind gemischtentsprechend der Bedeutung, die ihnen zur Zeit zu-kommt.

Es wird hier das Verhältnis der Linien zum Gesamtzei-chen besprochen. Die Zeichen bauen sich aus den einzel-nen Linien als ihrem Material von unten nach oben auf.Die einzelnen Linien haben innerhalb dieses Zusammen-hangs die Bedeutung, die ihnen durch die jeweilige Situa-tion zukommt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 659: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.692 I Ging, 323Kapitel IX

§ 2

Der Anfangsstrich ist schwer zu erkennen. Derobere Strich ist leicht zu erkennen. Denn sie stehenim Verhältnis von Grund und Folge. Das Urteilzum ersten ist erwägend; beim letzten ist dann alleszu seiner Vollendung gekommen.

Hier werden zunächst der Anfangs- und der obere Strichin ihrem gegenseitigen Verhältnis gezeichnet. Beide ste-hen sozusagen außerhalb des eigentlichen Zeichens undder Kernzeichen. Im einen beginnt die Handlung erst sichzu entfalten, im andern schließt sie ab.

§ 3

Wenn man aber die mannigfaltig abgestuften Dingeund ihre Art erforschen will und Recht und Unrechtunterscheiden, so geht das nicht vollständig ohnedie mittleren Striche.

Die mannigfaltig abgestuften Dinge ergeben sich aus denmannigfaltig abgestuften Plätzen. Ihre Art ist ihr festeroder weicher Charakter. Recht und Unrecht unterschei-den sich daraus, ob die Linien dem Zeitsinn entsprechendauf den ihnen gebührenden Plätzen stehen oder nicht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 660: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.693 I Ging, 323Kapitel IX

§ 4

Ja, auch das Wichtigste über Bestehen und Unter-gehen, Heil und Unheil kann man mit der Zeit er-kennen. Der Wissende betrachtet das Urteil derEntscheidung, so kann er sich das meiste denken.

Im Kommentar zur Entscheidung sind immer die Herrender Zeichen angegeben. Indem man sich daran die weite-ren Beziehungen der Linien zu diesen Herren des Zei-chens überlegt, kann man sich schon einen ungefährenÜberschlag über ihre Stellung und Bedeutung im Ge-samtzeichen machen.

§ 5

Der zweite und vierte Platz stimmen in ihrer Arbeitüberein, aber unterscheiden sich durch ihre Plätze.In Beziehung auf die Güte stimmen sie nicht über-ein. Der zweite wird meist gelobt, der vierte meistgewarnt, weil er in der Nähe des Herrn steht. DerSinn des Weichen ist es freilich, daß es nicht för-dernd für dasselbe ist, fern zu sein. Die Hauptsacheist aber, ohne Makel zu bleiben; seine Äußerung istes, weich und zentral zu sein.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 661: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.694 I Ging, 324Kapitel IX

Der fünfte Platz ist der Platz des Herrschers. Der zweiteund vierte Platz sind die Plätze der Beamten: Der zweite,der zum fünften im Verhältnis des Entsprechens steht(beide sind der zentrale Platz im inneren bzw. äußerenZeichen), ist der Beamte, der fern vom Hofe im Landedraußen an der Arbeit ist. Der vierte Platz ist der Platz desMinisters. Darum sind die beiden Plätze – beides dunkle,d.h. abhängige – trotz Übereinstimmung in der Arbeitnicht gleich an Güte. Der zweite hat meist ein günstigesUrteil, der vierte meist ein warnendes: weil er zu nahebeim Fürsten ist, muß er doppelt vorsichtig sein. Nunliegt es eigentlich in der Art des Weichen, daß es nichtfördernd für dasselbe ist, wenn es fern vom Festen ist.Man sollte daher denken, der zweite Platz sei wenigergünstig. Allein für ihn kommt in Betracht, daß er zentralgelegen ist, daher ohne Makel bleibt.

§ 6

Der dritte und fünfte Platz stimmen in ihrer Arbeitüberein, aber unterscheiden sich durch ihre Plätze.Der dritte hat meist Unheil, der fünfte meist Ver-dienst, weil sie durch ihren Rang abgestuft sind.Der schwächere ist gefährdet, der stärkere hat denSieg.

Der fünfte Platz ist der Platz des Herrschers, der dritte alsoberster des inneren Zeichens hat wenigstens eine be-schränkte Macht. Aber er ist nicht zentral, an einer unsi-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 662: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.695 I Ging, 324Kapitel IX

cheren Stelle, an der Grenze zweier Zeichen. Darin,sowie in seinem niederen Rang liegen Momente derSchwäche, die den Platz in den meisten Lagen als gefähr-det erscheinen lassen. Der fünfte Platz ist zentral, derHerrscher des Ganzen, auf starkem Platz: das alles sindMomente der Stärke, die den Sieg verheißen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 663: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.696 I Ging, 324Kapitel X

Kapitel X

Die Linien

(Fortsetzung)

§ 1

Die Wandlungen sind ein Buch, weit und groß, indem alles vollständig enthalten ist. Es ist der SINNdes Himmels darin, der SINN der Erde darin, derSINN des Menschen darin. Es faßt diese dreiGrundmächte zusammen und verdoppelt sie, darumsind sechs Striche da. Die sechs Striche sind nichtsanderes als die Wege (SINN) der drei Grundmäch-te.

§ 2

Der Weg hat Veränderungen und Bewegungen.Darum heißen sie die veränderlichen Striche. DieseStriche haben Stufen, darum stellen sie die Dingedar. Die Dinge sind mannigfaltig, daraus ergebensich Linienzüge. Diese Linienzüge sind nichtimmer entsprechend. Daraus entstehen Heil und

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 664: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.697 I Ging, 325Kapitel X

Unheil.

Es werden hier die Plätze nach den drei Grundmächtenverteilt. Der Anfangs- und der zweite Strich sind die Plät-ze der Erde, der dritte und der vierte die des Menschen,der fünfte und der obere die des Himmels. Gleich bei demZeichen »das Schöpferische« kommt diese Einteilung inBetracht. Es wird hier dann aus der Platzgemäßheit derStriche der verschiedenen Stufen auf Heil oder Unheilihrer Bedeutung geschlossen. Der chinesische Ausdruck»Hiau« für Strich kann, anders geschrieben, auch nachah-men heißen. Darum heißen sie hier die »Veränderlichen«,nämlich die nach dem Vorbild des SINNES sich Richten-den. Das Schriftzeichen für Hiau sind zwei gekreuzteLinienpaare, die eben die Kreuzung zwischen Yang undYin andeuten.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 665: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.698 I Ging, 325Kapitel XI

Kapitel XI

Wert der Vorsicht als Lehre des Buchs derWandlungen

Die Zeit, da die Wandlungen aufkamen, war die,als das Haus Yin zu Ende kam, als die Art desHauses Dschou im Steigen war, also die Zeit, daKönig Wen und der Tyrann Dschou Sin miteinan-der zu tun hatten.Darum sind die Urteile des Buchs so häufig vorGefahr warnend. Wer sich der Gefahr bewußt ist,der schafft sich Friede; wer es leicht nimmt, derschafft sich Umsturz. Der SINN dieses Buchs istgroß. Keines der hundert Dinge läßt er aus. Er istbesorgt um Anfang und Ende, und befaßt ist er indem Wort »ohne Makel«. Das ist der SINN derWandlungen.

Der König Wen, der Ahn der Dschoudynastie, wurde vondem letzten Herrn der Yindynastie, dem TyrannenDschou Sin, gefangen gehalten. In dieser Gefangenschaftsoll er die Urteile zu den einzelnen Zeichen verfaßthaben. Die Gefahr seiner Lage bedingte es, daß diese Ur-teile alle von der Vorsicht ausgehen, die darauf bedachtist, ohne Makel zu sein, und dadurch den Erfolg erreicht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 666: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.699 I Ging, 326Kapitel XII

Kapitel XII

Zusammenfassung

§ 1

Das Schöpferische ist das Allerstärkste in der Welt.Die Äußerung seiner Art ist dauernd das Leichte,um so das Gefährliche zu beherrschen. Das Emp-fangende ist das Allerhingebendste in der Welt. DieÄußerung seiner Art ist dauernd einfach, um so dasHindernde zu beherrschen.

Die beiden Grundprinzipien des Buchs der Wandlungen,»das Schöpferische« und »das Empfangende«, werdenhier noch einmal in ihrer Art dargestellt. Das Schöpferi-sche als das Starke, dem alles leicht fällt, das sich aber derGefahr, die darin liegt, von oben nach unten zu wirken,bewußt bleibt und dadurch die Gefahr beherrscht. DasEmpfangende als das Hingebende, das darum ganz ein-fach handelt, das sich aber der Hindernisse bewußt ist, diedarin liegen, von unten nach oben zu wirken, und da-durch diese Hindernisse beherrscht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 667: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.700 I Ging, 326Kapitel XII

§ 2

Heiterkeit im Herzen wahren können und dabeidennoch besorgt sein in Gedanken: so vermag manHeil und Unheil auf Erden zu bestimmen und allesSchwierige auf Erden zu vollenden.

Im Text stehen bei »besorgt sein in Gedanken« noch zweiZeichen, die Dschu Hi mit Recht als spätere Zusätze be-seitigt hat. Heiterkeit im Herzen ist die Art des Schöpferi-schen. Sorgen in Gedanken ist die Art des Empfangen-den. Durch die Heiterkeit gewinnt man den Überblicküber Heil und Unheil, durch das Sorgen die Möglichkeitder Vollendung.

§ 3

Darum: Die Veränderungen und Umgestaltungenbeziehen sich auf das Handeln. Heilvolle Tatenhaben gute Vorbedeutungen. Darum dienen die Bil-der dazu, die Dinge zu erkennen, und das Orakeldient dazu, die Zukunft zu erkennen.

Die Veränderungen beziehen sich aufs Handeln. Darumsind die Bilder des Buchs der Wandlungen geeignet, da-nach zu handeln und die Wirklichkeit zu kennen (vgl.auch Kapitel II über die Kulturgeschichte, wo die Erfin-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 668: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.701 I Ging, 327Kapitel XII

dungen von den Bildern abgeleitet werden). Die Ereignis-se haben ihre Richtung auf Heil und Unheil zu, die sichin Vorzeichen ausdrücken. Indem das Buch der Wand-lungen diese Vorzeichen deutet, wird die Zukunft klar.

§ 4

Himmel und Erde bestimmen die Plätze. Die Heili-gen und Weisen vollenden deren Möglichkeiten.Durch Menschengedanken und Geistergedankenwerden dem Volk diese Möglichkeiten zuteil.

Himmel und Erde bestimmen die Plätze und damit dieMöglichkeiten. Die Heiligen verwirklichen diese Mög-lichkeiten, und indem im Buch der Wandlungen die Ge-danken der Menschen und der Geister zusammenwirken,gibt es die Möglichkeit, auch dem Volk die Segnungender Kultur zuteil werden zu lassen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 669: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.702 I Ging, 327Kapitel XII

§ 5

Die acht Zeichen deuten durch ihre Bilder an, dieWorte zu den Strichen und die Entscheidungenreden nach den Umständen. Indem das Feste unddas Weiche durcheinander stehen, läßt Heil undUnheil sich ersehen.

§ 6

Veränderungen und Bewegungen werden nach derFörderung beurteilt (die sie bringen). Heil und Un-heil verändern sich je nach den Verhältnissen.Darum: Liebe und Haß bekämpfen einander, undHeil und Unheil entstehen daraus. Fernes undNahes beeinträchtigen einander, und Reue und Be-schämung entstehen daraus. Wahres und Falschesbeeinflussen einander, und Nutzen und Schadenentstehen daraus. Bei allen Verhältnissen desBuchs der Wandlungen ist es so, daß, wenn zuein-ander in naher Beziehung Stehendes nicht mitein-ander stimmt, Unheil die Folge ist, aus der Schädi-gung entsteht, Reue und Beschämung.

Die nahen Beziehungen sind die in Beziehung des Ent-sprechens und Zusammenhaltens stehenden Striche. Je

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 670: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.703 I Ging, 327Kapitel XII

nachdem sie einander anziehen oder abstoßen, folgt Heiloder Unheil mit allen Abstufungen daraus.

§ 7

Wer Aufruhr plant, dessen Worte sind beschämt.Wer im innersten Herzen Zweifel hegt, dessenWorte sind verzweigt. Heilvoller Menschen Wortesind sparsam. Aufgeregte Menschen machen vieleWorte. Verleumder der Guten machen in ihrenWorten Umschweife. Wer seinen Standpunkt verlo-ren hat, dessen Worte sind verdreht.

Hier wird noch ein Überblick gegeben über die Wirkungder seelischen Zustände auf die Äußerung in Worten. Eszeigt sich daraus, daß die Verfasser des Buchs der Wand-lungen, deren Worte so sparsam sind, zu den heilvollenMenschen gehören.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 671: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.704 I Ging, 3281. Allgemeines

Die Struktur der Zeichen

1. Allgemeines

Aus dem Bisherigen ergibt sich zum größten Teil daszum Verständnis der Zeichen Nötige. Es soll hier je-doch noch ein Überblick gegeben werden über das,was zur Struktur der Zeichen gehört, damit man sichdarüber klar zu werden vermag, warum die Zeichennun gerade diese Bedeutung haben, die sie haben,warum die Linien den oft phantastisch anmutendenText haben, der ihnen beigeschrieben ist und der inallegorischer Weise ausdrückt, welche Stellung sie imGanzen der Situation des Gesamtzeichens haben undinwieweit sie daher Glück oder Unglück bedeuten.

Dieser Unterbau der Erklärung ist von den chinesi-schen Kommentatoren sehr weit getrieben worden.Namentlich seit im Lauf der Han-Zeit die Zauberge-heimnisse der fünf Wandelzustände mit dem Buch derWandlungen verknüpft wurden, hat sich immer mehrGeheimnis und schließlich auch immer mehr Hokus-pokus an das Buch angeschlossen, dem das Buch denRuf seiner Tiefe und Unverständlichkeit verdankt.Wir glauben, mit diesem ganzen Geranke den Leserverschonen zu dürfen, und haben nur das gegeben,was sich aus dem Text und den ältesten Kommentaren

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 672: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.705 I Ging, 3281. Allgemeines

als zugehörig erweist.Selbstverständlich hat ein Buch wie das Buch der

Wandlungen stets einen irrationalen Rest. Warum imEinzelfall diese Seite hervorgehoben wird und nichteine andre, die an sich ebenso möglich wäre, darüberläßt sich ebensowenig Rechenschaft geben wie dar-über, warum die Ochsen Hörner haben und nicht stattdessen obere Vorderzähne wie die Pferde. Was mög-lich ist, das ist nur der Nachweis der Zusammenhängeinnerhalb des durch Setzung Gegebenen; um imGleichnis zu bleiben, käme es der Erklärung gleich,inwiefern das Wachsen von Hörnern und Fehlen deroberen Vorderzähne in organischer Verbindung ste-hen.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 673: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.706 I Ging, 3292. Die acht Grundzeichen und ihre Verwendung

2. Die acht Grundzeichen und ihre Verwendung

Wie schon oben nachgewiesen, sind die vorliegendensechsstrichigen Zeichen dauernd als aus zwei Urzei-chen zusammengesetzt zu denken – nicht etwa aussechs einzelnen Linien. Diese Urzeichen kommen nunfür die Deutung in Betracht nach den verschiedenenSeiten ihres Wesens:

Einmal nach ihren Eigenschaften, dann nach ihrenBildern, dann nach ihrer Stellung im Familienzusam-menhang (wobei durchgängig nur der des späterenHimmels in Betracht kommt).

Kiën, das Schöpferische, ist stark, ist der Himmel, der VaterKun, das Empfangende, ist hingebend, die Mutter

ist die Erde, die MutterDschen, das Erregende, ist Bewegung, ist der der älteste

Donner oder das Holz, SohnKan, das Abgründige, ist Gefahr, ist Wasser der mittlere

oder Wolken, SohnGen, das Stillehalten, ist Innehalten, der jüngste

ist der Berg, SohnSun, das Sanfte, ist Eindringen, ist der die älteste

Wind oder das Holz, TochterLi, das Haftende, ist leuchtend oder bedingt, die mittlere

ist die Sonne oder Tochterder Blitz, das Feuer,

Dui, das Heitere, ist Freude, ist der See, die jüngsteTochter

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 674: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.707 I Ging, 3292. Die acht Grundzeichen und ihre Verwendung

Diese allgemeinen Bedeutungen müssen, namentlichwo es sich um die Erklärung der einzelnen Linienhandelt, ergänzt werden durch die zunächst überflüs-sig erscheinenden Aufzählungen in der Besprechungder Zeichen (Kapitel III).

Dabei kommt dann weiterhin die Stellung der Zei-chen zueinander in Betracht. Das untere Zeichen istunten, innen, hinten, das obere ist oben, außen, vorn.Die betonten Striche im oberen Zeichen werdenimmer als »gehend«, die betonten Striche des unterenZeichens als »kommend« bezeichnet.

Aus diesen Bezeichnungen, die sich schon imKommentar zur Entscheidung finden, wurde dannspäter ein System der Verwandlung der Zeichen inein-ander konstruiert, das viele Verwirrung angerichtethat. Da es nicht irgendwie für die Erklärung von Not-wendigkeit ist, wurde hier vollkommen davon abgese-hen. Ebenso wurde kein Gebrauch gemacht von den»lauernden« Zeichen, daß nämlich jedem Zeichen seinGegensatz im geheimen mit zugrunde liegt, also demZeichen Kiën das Zeichen Kun, dem Zeichen Dschendas Zeichen Sun usw.

Dagegen ist ganz entschieden Gebrauch zu machenvon den sogenannten Kernzeichen »Hu Gua«. DieseKernzeichen bilden die mittleren vier Striche jedesZeichens und greifen selbst wieder mit ihren beidenmittleren Strichen übereinander. Ein paar Beispiele

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 675: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.708 I Ging, 3302. Die acht Grundzeichen und ihre Verwendung

machen das ohne weiteres klar.Das Zeichen Li, das Haftende, Nr. 30 , hat als

Kernzeichenkomplex die vier Striche . Die bei-den Kernzeichen sind: oben Dui, das Heitere ,unten Sun, das Sanfte .

Das Zeichen Dschung Fu, Innere Wahrheit, Nr. 61, hat als Kernzeichenkomplex die vier Striche

. Die beiden Kernzeichen sind: oben Gen, das Stille-halten , unten Dschen, das Erregende .

Die Struktur der Zeichen ergibt daher ein stufen-weises Übereinandergreifen verschiedener Zeichenund ihrer Einflüsse

Die Anfangs- und die obere Linie gehören demnachzu einem Zeichen (dem unteren bzw. oberen Urzei-chen). Die zweite und die fünfte Linie gehören zuzwei Zeichen (dem unteren bzw. oberen Urzeichenund dem unteren bzw. oberen Kernzeichen). Die dritteund die vierte Linie gehören zu drei Zeichen (dem un-teren bzw. oberen Urzeichen und beiden Kernzei-chen). So ergibt sich für die erste und die obersteLinie ein gewisses Herausfallen aus dem Zusammen-hang, für die zweite und die fünfte ein (meist günsti-ger) Gleichgewichtszustand, für die beiden mittleren

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 676: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.709 I Ging, 3302. Die acht Grundzeichen und ihre Verwendung

Linien eine übereinandergreifende Bestimmung, dienur in besonders günstigen Fällen das Gleichgewichtnicht stört. Diese Verhältnisse stimmen mit der Wer-tung der Linien in den Urteilen vollkommen überein.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 677: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.710 I Ging, 3313. Die Zeit

3. Die Zeit

Die Gesamtsituation, die durch ein Zeichen zum Aus-druck kommt, heißt die Zeit. Dieser Ausdruck umfaßtje nach dem Charakter der verschiedenen Zeichendurchaus verschiedene Bedeutungen. Bei Zeichen,deren Gesamtsituation ein Bewegungsvorgang ist,heißt die Zeit das durch diese Bewegung veranlaßteAbnehmen oder Wachsen, Vollsein oder Leersein.Zeichen dieser Art sind z.B. Nr. 11, Tai, der Friede,Nr. 12, Pi, die Stockung, Nr. 23, Bo, die Zersplitte-rung, Nr. 24, Fu, die Wiederkehr.

Ebenso heißt die Zeit die Handlung, der Vorgang,der für ein Zeichen charakteristisch ist, wie z.B. inNr. 6, Sung, der Streit, Nr. 7, Schï, das Heer, Nr. 21,Schï Ho, das Durchbeißen, Nr. 27, I, die Ernährung.

Ferner bedeutet die Zeit das Gesetz, das durch einZeichen zum Ausdruck gebracht wird, z.B. Nr. 10,Lü, das Auftreten, Nr. 15, Kiën, die Bescheidenheit,Nr. 31, Hiën, die Einwirkung, Nr. 32, Hong, dieDauer.

Endlich kann die Zeit auch den bildlichen Zustandbedeuten, der durch ein Zeichen dargestellt wird, z.B.Nr. 48, Dsing, der Brunnen, Nr. 50, Ding, der Tiegel.

In allen Fällen ist die Zeit eines Zeichens bestim-mend für den Sinn der Gesamtsituation, von dem aus

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 678: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.711 I Ging, 3313. Die Zeit

die verschiedenen Einzellinien ihre Bedeutung erhal-ten. Je nach der Zeit kann ein und dieselbe Linie –etwa Sechs auf drittem Platz – das eine Mal günstig,das andere Mal ungünstig sein.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 679: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.712 I Ging, 3314. Die Plätze

4. Die Plätze

Die verschiedenen Plätze der Striche werden nachihrer Höhe in vornehme und geringe eingeteilt. Dabeibleiben in der Regel der unterste und der obersteaußer Betracht, während die vier mittleren innerhalbder Zeit sich betätigen. Davon ist der fünfte Platz derPlatz des Herrschers, der vierte der des Ministers inder Nähe des Herrschers, der dritte, als oberster Platzdes unteren Zeichens, hat eine Art Übergangsstellung,der zweite ist der Beamte im Lande, der jedoch mitdem Fürsten auf fünftem Platz in direkter Verbindungsteht. Ebenso kann unter Umständen der vierte Platzdie Frau des fünften vorstellen und der zweite denSohn. Unter Umständen kann auch der zweite Platzdie Frau sein, die im Innern waltet, während derMann auf fünftem Platz im Äußern tätig ist. Kurz, dieFunktionen sind stets analog, wenn auch die Bezeich-nungen wechseln.

Der unterste und der oberste Platz kommen vomStandpunkt der Zeit des Zeichens in der Regel als An-fang oder Ende in Betracht, unter Umständen ist dererste Strich auch einer, der anfängt, sich im Zeitsinnzu betätigen, ohne schon in das Feld eingetreten zusein, während der oberste jemand bedeutet, der sichschon aus den Geschäften der Zeit zurückgezogen hat.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 680: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.713 I Ging, 3314. Die Plätze

Doch kommt es auf die durch das Zeichen dargestellteZeit an, ob unter Umständen gerade diese Plätze einerepräsentative Tätigkeit haben, so z.B. der erste Platzin dem Zeichen Nr. 3, Dschun, die Anfangsschwierig-keit, Nr. 14, Da Yu, Besitz von Großem, Nr. 20,Guan, die Betrachtung, Nr. 26, Da Tschu, des GroßenZähmungskraft, Nr. 42, I, die Mehrung. In allen die-sen Fällen sind die betreffenden Striche Herren desZeichens. Auf der andern Seite kommt es auch vor,daß der fünfte Platz nicht der Platz des Herrschers ist,wenn nämlich der ganzen Situation des Zeichens ent-sprechend kein Herrscher vorkommt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 681: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.714 I Ging, 3325. Der Charakter der Striche

5. Der Charakter der Striche

Der Charakter der Striche wird bezeichnet als festoder weich, als zentral, als korrekt, oder nicht zentralund nicht korrekt. Fest (oder hart) sind die ungeteil-ten, weich (oder schwach) sind die geteilten Linien.Zentral sind die beiden mittleren Linien der Urzei-chen, also die zweite und fünfte, unabhängig von ihrersonstigen Qualität. Korrekt ist eine Linie, die auf demihr gebührenden Platz steht, also eine feste Linie auferstem, drittem, fünftem Platz, eine weiche Linie aufzweitem, viertem, sechstem Platz. Feste und weicheLinien können beide günstig oder ungünstig sein, jenach den Zeiterfordernissen des Zeichens. Wenn dieZeit Festigkeit verlangt, sind die festen Striche gün-stig, wenn die Zeit Weichheit verlangt, die weichen.Das geht sogar so weit, daß gar nicht immer Korrekt-heit ein Vorzug ist. Wenn die Zeit Weichheit vor-schreibt, ist ein fester Strich auf drittem Platz, obwohlan sich korrekt, vom Übel, weil er zu viel Festigkeitzeigt, während umgekehrt eine weiche Linie an drit-tem Platz günstig sein kann, weil sie durch Weichheitdes Wesens die Härte des Platzes ausgleicht. Nur diezentrale Stellung ist in der ganz überwiegenden An-zahl der Fälle günstig, sowohl wenn sie mit Korrekt-heit verbunden ist als auch sonst. Insbesondere kann

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 682: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.715 I Ging, 3325. Der Charakter der Striche

ein weicher Herrscher eine sehr günstige Positionhaben, besonders dann, wenn ihm ein starker, festerBeamter auf zweitem Platze entspricht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 683: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.716 I Ging, 333a. Entsprechen

6. Die Beziehungen der Striche untereinander

a) Entsprechen

Die entsprechenden Striche des unteren und des obe-ren Zeichens stehen zuweilen in besonders naher Be-ziehung zueinander, der Beziehung des Entsprechens.Es sind das folgende Verhältnisse: erster Strich zumvierten, zweiter zum fünften, dritter zum obersten.Voraussetzung ist dabei, daß die Striche verschiede-ner Natur sind. Es stehen also in der Beziehung desEntsprechens in der Regel nur weiche zu festen oderfeste zu weichen Strichen. Von den entsprechendenStrichen sind die wichtigsten die beiden zentralenStriche auf zweitem und fünftem Platz, die in der kor-rekten Beziehung des Herrschers zum Beamten, desVaters zum Sohn, des Mannes zur Frau usw. stehen.Und zwar kann dabei entweder ein starker Beamtereinem weichen Herrscher oder ein weicher Beamtereinem starken Herrscher entsprechen. Das erstere istder Fall bei 16 Zeichen, bei denen es sämtlich günstigwirkt; nämlich durchaus günstig bei den Zeichen Nr.4, 7, 11, 14, 18, 19, 32, 34, 38, 40, 41, 46, 50; weni-ger günstig, was aber durch die Zeit erklärt ist, beiNr. 26, 54, 64. Das Entsprechen zwischen weichemBeamten und starkem Herrn ist lange nicht so gün-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 684: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.717 I Ging, 333a. Entsprechen

stig. Ungünstig wirkt es bei Nr. 12, 13, 17, 20, 31.Schwierigkeiten, die sich aber aus der Zeit erklären,so daß die Beziehung doch als korrekt bezeichnetwerden kann, kommen vor bei Nr. 3, 33, 39, 63. Gün-stig wirkt die Beziehung bei Nr. 8, 25, 37, 42, 45, 49,53. Entsprechen von erster und vierter Linie kommtauch gelegentlich vor, wobei es günstig ist, wenn eineweiche Linie auf viertem Platz in Beziehung des Ent-sprechens zu einer starken Anfangslinie ist, weil dannder Sinn ist, daß ein gehorsamer Beamter im Namenseines Herrn nach starken, tüchtigen Gehilfen sucht,vgl. Nr. 3, 22, 27, 41. Dagegen bedeutet ein Entspre-chen von einem starken vierten Strich zu einem wei-chen Anfangsstrich eher eine zu vermeidende Versu-chung zu Intimität mit gemeinen Menschen, vgl. Nr.28, 40, 50. Eine Beziehung von drittem und oberstemStrich kommt kaum vor, höchstens als Versuchung;denn durch die Verwicklung mit den Weltgeschäftenverlöre der hohe, von der Welt abgewandte Weiseseine Reinheit und der Beamte an drittem Platz, wenner seinen Herrscher auf fünftem Platz überginge, seineTreue.

Im Fall, daß ein Strich Herr des Zeichens ist, kom-men selbstverständlich Beziehungen des Entsprechensunabhängig von diesen Erwägungen vor, deren Heiloder Unheil sich aus dem Zeitsinn des Gesamtzei-chens ergibt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 685: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.718 I Ging, 334b. Zusammenhalten

b) Zusammenhalten

Zwischen zwei benachbarten Strichen verschiedenenCharakters kann die Beziehung des Zusammenhaltensstattfinden, die von seiten des unteren auch als »Emp-fangen«, von seiten des oberen als »Beruhen« be-zeichnet wird. Für die Beziehung des Zusammenhal-tens kommt in erster Linie der vierte und fünfte Strich(Minister und Herrscher) in Betracht. Und zwar istumgekehrt zu der Beziehung zwischen zweiter undfünfter Linie hier das günstigere, wenn ein weicherMinister mit einem starken Herrscher zusammenhält,denn bei der größeren Nähe ist Ehrfurcht von Wert.So ist denn in 16 Zeichen, in denen ein solches Zu-sammenhalten vorkommt, dasselbe stets mehr oderweniger heilbringend, nämlich sehr gut in Nr. 8, 9,20, 29, 37, 42, 48, 53, 57, 59, 60, 61, etwas weniger,aber doch nicht ungünstig, in Nr. 3, 5, 39, 63. Dage-gen ist ein Zusammenhalten eines starken, d.h. inkor-rekten Strichs auf viertem Platz mit einem schwachenHerrn meist ungünstig, so in Nr. 30, 32, 35, 50, 51,etwas weniger ungünstig in Nr. 14, 38, 40, 54, 56,62. Günstig ist es dagegen in folgenden Zeichen, indenen die starke vierte Linie Herr des Zeichens ist:Nr. 16, 21, 34, 55 (Herr des oberen Zeichens), 64.

Außerdem kommt Zusammenhalten auch noch vor

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 686: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.719 I Ging, 334b. Zusammenhalten

zwischen dem fünften und dem obersten Strich. Esstellt dann den Herrscher dar, der sich dem Weisenunterstellt; in diesem Fall ist es meist der demütigeHerrscher (schwacher Strich auf fünftem Platz), derden starken Weisen (starker Strich oben) ehrt, so inden Zeichen Nr. 14, 26, 27, 50. Das ist natürlich sehrgünstig. Wenn dagegen auf fünftem Platz ein starkerStrich steht und oben ein schwacher, so deutet daseher auf das Sichabgeben mit minderwertigen Ele-menten und ist unerwünscht, so Nr. 28, 31, 43, 58.Nur das Zeichen Nr. 17, Sui, die Nachfolge, machthierin eine Ausnahme, weil der Gesamtsinn des Zei-chens ein Heruntergehen des Starken unter dasSchwache zur Voraussetzung hat.

Die übrigen Striche: 1 und 2, 2 und 3, 3 und 4 ste-hen nicht im korrekten Verhältnis des Zusammenhal-tens. Wo es vorkommt, bedeutet es immer die Gefahrvon Parteiungen und ist zu vermeiden. Für einenschwachen Strich ist das Beruhen auf einem Hartenauch zuweilen ein Grund von Unannehmlichkeiten.Wenn es sich um Striche handelt, die Herren des Zei-chens sind, in dem sie stehen, so kommen die Bezie-hungen des Entsprechens und Zusammenhaltens auchin Betracht, wenn es sich um irgendwelche Plätzehandelt. Außer den oben erwähnten Fällen seien alsBeispiele noch genannt: Nr. 16, Yü, die Begeisterung.Der vierte Strich ist der Herr des Zeichens, der An-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 687: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.720 I Ging, 334b. Zusammenhalten

fangsstrich entspricht ihm, der dritte Strich hält mitihm zusammen. Nr. 23, Bo, die Zersplitterung. Derobere Strich ist der Herr, der dritte entspricht ihm,und der fünfte hält mit ihm zusammen. Beides ist gut.Nr. 24, Fu, die Wiederkehr. Der Anfangsstrich istHerr, der zweite ist mit ihm verbunden, der vierte ent-spricht ihm. Beides ist günstig. Nr. 43, Guai, derDurchbruch, die Entschlossenheit. Der obere Strichist Herr, der dritte entspricht ihm, der fünfte hält mitihm zusammen. Nr. 44, Gou, das Entgegenkommen.Der Anfangsstrich ist Herr, der zweite hält mit ihmzusammen, der vierte entspricht ihm. Es handelt sichhier um Heil oder Unheil, je nach der Richtung, in dieder Sinn des Zeichens weist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 688: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.721 I Ging, 3357. Die Herren des Zeichens

7. Die Herren des Zeichens

Man unterscheidet zwei Arten von Herren des Zei-chens: die konstituierenden und die beherrschenden.Der konstituierende Herr des Zeichens ist ohne Rück-sicht auf Höhe und Güte des Charakters derjenigeStrich, der dem Zeichen den charakteristischen Sinngibt, wie z.B. der oberste, schwache Strich in Nr. 43,Guai, die Entschlossenheit. Denn das Zeichen konsti-tuiert sich aus dem Gedanken, diesen Strich ent-schlossen hinauszuwerfen.

Die beherrschenden Herren sind stets gut von Cha-rakter und werden durch den Zeitsinn und ihre Stel-lung zu Herren. Meist sind sie auf fünftem Platz.Aber es kommen gelegentlich auch andere Strichevor.

Wenn der konstituierende zugleich der beherr-schende Herr ist, so ist er sicher gut und auf zeitge-mäßem Platz. Wenn er nicht zugleich der beherr-schende Herr ist, so ist es sicher ein Zeichen davon,daß sein Charakter und sein Platz mit den Erforder-nissen der Zeit nicht übereinstimmen.

Die Herren der Zeichen können immer aus demKommentar zur Entscheidung entnommen werden.Wenn der konstituierende Herr zugleich der beherr-schende ist, so hat das Zeichen einen Herrn, sonst

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 689: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.722 I Ging, 3357. Die Herren des Zeichens

zwei. Oft gibt es zwei Striche, die den Sinn des Zei-chens konstituieren, wie z.B. in Nr. 33, Dun, derRückzug, die beiden vordringenden schwachen Stri-che, die dann beide Herren sind, indem sie die vierstarken Striche zurückdrängen; oder kommt das Zei-chen aus dem Zusammenwirken der beiden Bilder derUrzeichen zusammen, dann sind die beiden charakte-ristischen Striche der beiden Zeichen die Herren.

Bei den einzelnen Zeichen wurde durchgehends derkonstituierende Herr mit , der beherrschende Herrmit bezeichnet. Falls sie identisch sind, ist das Zei-chen gewählt. Im dritten Buch ist außerdem beijedem Zeichen der Herr ausführlich erklärt.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 690: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.723 I Ging, 336a. Das Schafgarbenorakel

Über das Orakelnehmen

a) Das Schafgarbenorakel

Das Orakel wird befragt mit Hilfe von Schafgarben-stengeln. Zum Wahrsagen gehört die Zahl von 50Stengeln. Davon wird einer beiseitegesteckt undkommt weiter nicht in Betracht. Die übrigen 49 Sten-gel werden zunächst in zwei Haufen geteilt. Daraufnimmt man vom Haufen rechts einen Stengel undsteckt ihn zwischen Goldfinger und kleinen Finger derlinken Hand. Darauf nimmt man den linken Haufen indie linke Hand und nimmt mit der rechten Bündel vonje vier Stengeln weg, bis vier oder weniger Stengelübrigbleiben. Diesen Rest steckt man nun zwischenGold- und Mittelfinger der linken Hand. Darauf wirdin derselben Weise der rechte Haufen durchgezähltund der Rest zwischen Mittel- und Zeigefinger derlinken Hand gesteckt. Die Summe der zwischen denFingern der linken Hand befindlichen Stengel ist nunentweder 9 oder 5 (die verschiedenen Möglichkeitensind 1 + 4 + 4 oder 1 + 3 + 1 oder 1 + 2 + 2 oder 1 +1 + 3; daraus ergibt sich, daß die Zahl 5 leichter zuerreichen ist als 9). Beim ersten Durchzählen der 49Stengel bleibt der erste Stengel zwischen kleinem undGoldfinger als überzählig außer Berechnung. Man

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 691: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.724 I Ging, 336a. Das Schafgarbenorakel

rechnet daher 9 = 8 und 5 = 4. Die Zahl 4 bedeutetnun eine volle Einheit, der der Zahlenwert 3 zugemes-sen wird. Die Zahl 8 dagegen bedeutet eine Doppel-einheit und wird nur mit dem Zahlenwert 2 berechnet.Hat man also beim ersten Durchzählen 9 Stengelübrig, so zählen sie 2, hat man 5 übrig, so zählen sie3. Diese werden zunächst beiseitegelegt.

Nun werden die beiden Haufen, die übrig sind,wieder zusammengenommen und aufs neue abgeteilt.Wieder nimmt man von der rechten Hälfte einen Sten-gel und steckt ihn zwischen kleinen und Goldfingerder linken Hand und verfährt dann mit dem Durchzäh-len wie zuvor. Diesmal bekommt man als Summe desRestes entweder 8 oder 4. (Nämlich oder

oder

so daß diesmal die Chancen zwischen 8 und 4 diesel-ben sind.)

8 zählt 2 und 4 zählt 3.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 692: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.725 I Ging, 337a. Das Schafgarbenorakel

Mit dem übriggebliebenen Haufen verfährt mandarauf ein drittes Mal wie zuvor und erhält alsSumme des Restes ebenfalls 8 oder 4.

Nun wird aus dem Berechnungswert der drei Rest-summen ein Strichelement aufgebaut.

Ist die Summe 5 (= 4, Wert 3) + 4 (Wert 3) + 4(Wert 3), dann ergibt sich die Zahl 9, d.h. das soge-nannte alte Yang. Das wird ein positives Strichele-ment, das sich bewegt, also für die Einzeldeutung inBetracht kommt. Es wird bezeichnet mit oder

.Ist die Summe 9 (= 8, Wert 2) + 8 (Wert 2) + 8

(Wert 2), so ergibt sich die Zahl 6, d.h. das sogenann-te alte Yin. Das wird ein negatives Strichelement, dassich bewegt, also für die Einzeldeutung in Betrachtkommt. Es wird bezeichnet mit oder .

Ist die Summe

so ergibt sich die Zahl 7, d.h. das sogenannte jungeYang. Das wird ein positives Strichelement, das ruht,also für die Einzeldeutung nicht in Betracht kommt.Es wird bezeichnet mit —.

Ist die Summe

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 693: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.726 I Ging, 338a. Das Schafgarbenorakel

so ergibt sich die Zahl 8, d.h. das sogenannte jungeYin. Das wird ein negatives Strichelement, das ruht,also für die Einzeldeutung nicht in Betracht kommt.Es wird bezeichnet mit - -.

Indem dieser Prozeß im ganzen sechsmal vorge-nommen wird, baut sich ein sechsstufiges Zeichenauf. Wenn dieses Zeichen aus lauter ruhenden Striche-lementen besteht, so kommt für das Orakel nur dieGesamtidee des Zeichens in Betracht, wie sie in dem»Urteil« des Königs Wen und dem »Kommentar zurEntscheidung« des Kungtse zum Ausdruck kommt,ferner noch das Bild des Zeichens und die dem Bildbeigefügten Textworte.

Finden sich in dem so gewonnenen Zeichen einoder mehrere bewegte Striche, so kommen außerdemdie vom Herzog von Dschou diesem Strich beigefüg-ten Worte in Betracht. Daher haben diese die Über-schrift: 9 auf xtem Platz oder 6 auf xtem Platz.

Außerdem entsteht durch die Bewegung, d.h.Wandlung1 der Striche ein neues Zeichen, das mitseinem Sinn ebenfalls in Betracht zu ziehen ist. Wennz.B. das Zeichen gezogen wird, dessen vierterStrich sich bewegt , so wird außer dem Text undBild dieses Zeichens im Ganzen der dem vierten

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 694: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.727 I Ging, 338a. Das Schafgarbenorakel

Strich beigegebene Text in Betracht kommen unddann noch außerdem der Text und das Bild des Zei-chens ; und zwar wäre dann das Zeichen derAusgangspunkt, von dem aus durch die Lage der 9auf 4. Platz und den beigefügten Rat die Endsituation

sich entwickelt. In dem zweiten Zeichen kommtder Text des bewegten Strichs nicht in Betracht.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 695: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.728 I Ging, 338b. Münzenorakel

b) Das Münzenorakel

Außer der Methode des Schafgarbenorakels ist aucheine abgekürzte Methode mit Münzen im Brauch, zuder in der Regel alte chinesische Bronzemünzen, diein der Mitte ein Loch haben und auf der einen SeiteSchrift zeigen, verwandt werden. Man nimmt dabeidrei Münzen, die gleichzeitig geworfen werden. EinWurf gibt eine Linie. Schrift gilt als Yin und zählt 2,die andere Seite gilt als Yang und zählt 3. Hieraus er-gibt sich dann der Charakter der betreffenden Linie.Sind alle drei Münzen Yang, so ist es eine Neun, sindalle drei Münzen Yin, so ist es eine Sechs. Zwei Yinund ein Yang ergeben eine Sieben, zwei Yang und einYin ergeben eine Acht. Beim Aufsuchen der Zeichenim Buch der Wandlungen verfährt man wie beimSchafgarbenorakel.

Es gibt noch eine andre Art des Münzorakels,wobei außer den Zeichen des I Ging auch noch diefünf Wandelzustände, die zyklischen Zeichen usw.verwandt werden und die von chinesischen Wahrsa-gern angewandt wird. Diese Art benützt aber nichtden Text der Zeichen des I Ging. Es heißt, sie sei eineFortsetzung des alten Schildkrötenorakels, das im Al-tertum neben dem Schafgarbenorakel gefragt wurde,das aber durch den I Ging, den Kungtse rationaler ge-

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 696: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.729 I Ging, 338b. Münzenorakel

staltet hatte, allmählich verdrängt worden ist.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 697: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.730 I Ging, 338b. Münzenorakel

Fußnoten

1 Durch Bewegung oder Wandlung entsteht auseinem starken ein schwacher und aus einem schwa-chen ein starker Strich.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 698: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.731 I Ging, 339Schema zum Auffinden der gezogenen I Ging-Zeichen

Schema zum Auffinden der gezogenen IGing-Zeichen

Es genügt, das Zeichen, das man aufsuchen will, inseine beiden Bestandteile zu trennen. Der Treffpunktder beiden Spalten gibt die Nummer des Zeichens.

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 699: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.732 I Ging, 340Verzeichnis der Bildzeichen

Verzeichnis der Bildzeichen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 700: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.733 I Ging, 341Verzeichnis der Bildzeichen

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 701: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.734 I Ging, 342A. Die acht Urzeichen nach ihrer Form

Verzeichnis der Zeichen nach Häusern geordnet

A. Die acht Urzeichen nach ihrer Form

(zum Auswendiglernen)

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 702: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.735 I Ging, 3421. Das Haus des Schöpferischen

B. Die acht Häuser

1. Das Haus des Schöpferischen

1. Das Schöpferische ist der Himmel. Nr. 12. Himmel und Wind ist: das Entgegenkommen. Nr.

443. Himmel und Berg ist: der Rückzug. Nr. 334. Himmel und Erde ist: die Stockung. Nr. 125. Wind und Erde ist: die Betrachtung. Nr. 206. Berg und Erde ist: die Zersplitterung. Nr. 237. Feuer und Erde ist: der Fortschritt. Nr. 358. Feuer und Himmel ist: Besitz von Großem. Nr. 14

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 703: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.736 I Ging, 3422. Das Haus des Abgründigen

2. Das Haus des Abgründigen

1. Das Abgründige ist das Wasser. Nr. 292. Wasser und See ist: die Beschränkung. Nr. 603. Wasser und Donner ist: die Anfangsschwierigkeit.

Nr. 34. Wasser und Feuer ist: nach der Vollendung. Nr. 635. See und Feuer ist: die Umwälzung. Nr. 496. Donner und Feuer ist: die Fülle. Nr. 557. Erde und Feuer ist: die Verfinsterung des Lichts.

Nr. 368. Erde und Wasser ist: das Heer. Nr. 7

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 704: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.737 I Ging, 3433. Das Haus des Stillehaltens

3. Das Haus des Stillehaltens

1. Das Stillehalten ist der Berg. Nr. 522. Berg und Feuer ist: die Anmut. Nr. 223. Berg und Himmel ist: des Großen Zähmungskraft.

Nr. 264. Berg und See ist: die Minderung. Nr. 415. Feuer und See ist: der Gegensatz. Nr. 386. Himmel und See ist: das Auftreten. Nr. 107. Wind und See ist: Innere Wahrheit. Nr. 618. Wind und Berg ist: die Entwicklung. Nr. 53

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 705: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.738 I Ging, 3434. Das Haus des Erregenden

4. Das Haus des Erregenden

1. Das Erregende ist der Donner. Nr. 512. Donner und Erde ist: die Begeisterung. Nr. 163. Donner und Wasser ist: die Befreiung. Nr. 404. Donner und Wind ist: die Dauer. Nr. 325. Erde und Wind ist: das Empordringen. Nr. 466. Wasser und Wind ist: der Brunnen. Nr. 487. See und Wind ist: des Großen Übergewicht. Nr. 288. See und Donner ist: die Nachfolge. Nr. 17

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 706: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.739 I Ging, 3435. Das Haus des Sanften

5. Das Haus des Sanften

1. Das Sanfte ist der Wind. Nr. 572. Wind und Himmel ist: des Kleinen Zähmungskraft.

Nr. 93. Wind und Feuer ist: die Sippe. Nr. 374. Wind und Donner ist: die Mehrung. Nr. 425. Himmel und Donner ist: die Unschuld. Nr. 256. Feuer und Donner ist: das Durchbeißen. Nr. 217. Berg und Donner ist: die Mundwinkel. Nr. 278. Berg und Wind ist: die Arbeit am Verdorbenen.

Nr. 18

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 707: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.740 I Ging, 3436. Das Haus des Haftenden

6. Das Haus des Haftenden

1. Das Haftende ist das Feuer. Nr. 302. Feuer und Berg ist: der Wanderer. Nr. 563. Feuer und Wind ist: der Tiegel. Nr. 504. Feuer und Wasser ist: vor der Vollendung. Nr. 645. Berg und Wasser ist: die Jugendtorheit. Nr. 46. Wind und Wasser ist: die Auflösung. Nr. 597. Himmel und Wasser ist: der Streit. Nr. 68. Himmel und Feuer ist: die Gemeinschaft mit Men-

schen. Nr. 13

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 708: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.741 I Ging, 3447. Das Haus des Empfangenden

7. Das Haus des Empfangenden

1. Das Empfangende ist die Erde. Nr. 22. Erde und Donner ist: die Wiederkehr. Nr. 243. Erde und See ist: die Annäherung. Nr. 194. Erde und Himmel ist: der Friede. Nr. 115. Donner und Himmel ist: des Großen Macht. Nr. 346. See und Himmel ist: der Durchbruch. Nr. 437. Wasser und Himmel ist: das Warten. Nr. 58. Wasser und Erde ist: das Zusammenhalten. Nr. 8

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 709: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.742 I Ging, 3448. Das Haus des Heiteren

8. Das Haus des Heiteren

1. Das Heitere ist der See. Nr. 582. See und Wasser ist: die Bedrängnis. Nr. 473. See und Erde ist: die Sammlung. Nr. 454. See und Berg ist: die Einwirkung. Nr. 315. Wasser und Berg ist: das Hemmnis. Nr. 396. Erde und Berg ist: die Bescheidenheit. Nr. 157. Donner und Berg ist: des Kleinen Übergewicht. Nr.

628. Donner und See ist: das heiratende Mädchen. Nr.

54

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 710: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.743 I Ging, 344Transkriptionstabelle

Transkriptionstabelle

Gegenüber der Wilhelm'schen Transkription chinesi-scher Schriftzeichen ist heute die Umschrift nachWade – Giles international gebräuchlich. Um demLeser die Identifizierung der in den Übersetzungenvon Richard Wilhelm gebrauchten Namen und Be-griffe zu ermöglichen, wird hier eine Vergleichslistebeider Umschriften gegeben.

Wilhelm Wade

a aai aian anang angau aoba pabai paiban panbang pangbau paobe peiben penbeng peng

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 711: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.744 I Ging, 344Transkriptionstabelle

bi pibiä piehbiän pienbiau piaobin pinbing pingbo pobou poubu puda tadai taidan tandang tangdau taode tedei teidi tidiä tiehdiän tiendiau tiaoding tingdiu tiudo todong tengdou toudsa tsadsä tse

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 712: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.745 I Ging, 344Transkriptionstabelle

dsai tsaidsan tsandsang tsangdsau tsaodscha chadschä chedschai chaidschan chandschang changdschau chaodschen chendschï chihdscho chodschong chengdschou choudschu chudschua chuadschuai chuaidschuan chuandschuang chuangdschui chuidschun chundschung chungdse tseidsen tsendsi chidsï tzu

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 713: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.746 I Ging, 344Transkriptionstabelle

dsiä chiehdsiän chiendsiang chiangdsiau chiaodsin chindsing chingdsiu chiudsiung chiungdso tsodsong tsengdsou tsoudsu tsudsü chüdsuan tsuandsüan chüandsui tsuidsun tsundsün chündsung tsungdsüo chüehdu tuduan tuandui tuidun tundung tungen enerl/örl erh

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 714: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.747 I Ging, 344Transkriptionstabelle

fa fafan fanfang fangfe feifen fenfo fofong fengfou foufu fuga kagai kaigan kangang kanggau kaogei keigen kengi chigia chiagiä chiehgiän chiengiang chianggiau chiaogin chinging chinggiu chiugiung chiunggo ko

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 715: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.748 I Ging, 344Transkriptionstabelle

gong kenggou kougu kugü chügua kuaguai kuaiguan kuangüan chüanguang kuanggui kueigun kungün chüngung kungguo kuogüo chüehha hahai haihan hanhang hanghau haohe heihen henhi hsihia hsiahiä hsiehhiän hsienhiang hsiang

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 716: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.749 I Ging, 344Transkriptionstabelle

hiau hsiaohin hsinhing hsinghiung hsiungho hohong henghou houhu huhü hsühua huahuai huaihuan huanhüan hsüanhuang huanghui huihun hunhün hsünhung hunghuo huohüo hsüehi ijan janjang jangjau jaojen jenjï jihjo jo, je

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 717: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.750 I Ging, 344Transkriptionstabelle

jong jengjou jouju jujuan juanjui juijun junjung jungka k'akai k'aikan k'ankang k'angkau k'aoken k'enki ch'ikia ch'iakiä ch'iehkiän ch'ienkiang ch'iangkiau ch'iaokin ch'inking ch'ingkiu ch'iukiung ch'iungko k'okong k'engkou k'ouku k'u

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 718: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.751 I Ging, 344Transkriptionstabelle

kü ch'ükua k'uakuai k'uaikuan k'uanküan ch'üankuang k'uangkui k'ueikun k'unkün ch'ünkung k'ungkuo k'uoküo ch'üehla lalai lailan lanlang langlau laole leili lilia lialiä liehliän lienliang lianhliau liaolin linling lingliu liu

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 719: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.752 I Ging, 344Transkriptionstabelle

lo lolong lenglou loulu lulü lüluan luanlüan lüanlüo lüehlun lunlung lungma mamai maiman manmang mangmau maome meimen menmi mimiä miehmiän mienmiau miaomin minming mingmiu miumo momong mengmou mou

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 720: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.753 I Ging, 344Transkriptionstabelle

mu muna nanai nainan nannang nangnau naone neinen nenni niniä niehniän nienniang niangniau niaonin ninning ningnio nioniu niuno nonong nengnou nounu nunü nünüo nüehnuan nuano oörl/erl erhou ou

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 721: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.754 I Ging, 344Transkriptionstabelle

pa p'apai p'aipan p'anpang p'angpau p'aope p'eipen p'enpi p'ipiä p'iehpiän p'ienpiau p'iaopin p'inping p'ingpo p'opong p'engpou p'oupu p'usa sasä sesai saisan sansang sangsau saoscha shaschä sheschai shaischan shan

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 722: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.755 I Ging, 344Transkriptionstabelle

schang shangschau shaoschen shenschï shihschong shengschou shouschu shuschua shuaschuai shuaischuan shuanschuang shuangschui shuischun shunschuo shuosen sensi hsisï szusia hsiasiä hsiehsiän hsiensiang hsiangsiau hsiaosin hsinsing hsingsiung hsiungso sosong seng

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 723: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.756 I Ging, 344Transkriptionstabelle

sou sousu susü hsüsuan suansüan hsüansui suisun sunsün hsünsung sungsüo hsüehta t'atai taitan tantang tangtau t'aote t'eti t'itiä t'iehtiän t'ientiau t'iaoting t'ingto t'otong t'engtou t'outsa ts'atsä ts'etsai ts'ai

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 724: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.757 I Ging, 344Transkriptionstabelle

tsan ts'antsang ts'angtsau ts'aotscha ch'atschä ch'etschai ch'aitschan ch'antschang ch'angtschau ch'aotschen ch'entschï ch'ihtscho ch'otschong ch'engtschou ch'outschu ch'utschua ch'uatschuai ch'uaitschuan ch'uantschuang ch'uangtschui ch'uitschun ch'untschung ch'ungtsen ts'entsi ch'itsï tz'utsiä ch'iehtsiän ch'irn

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 725: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.758 I Ging, 344Transkriptionstabelle

tsiang ch'iangtsiau ch'iaotsin ch'intsing ch'ingtsiu ch'iutsiung ch'iungtso ts'otsong ts'engtsou ts'outsu ts'utsü ch'ütsuan ts'uantsüan ch'üantsui ts'uitsun ts'untsün ch'üntsung ts'ungtsüo ch'üehtu t'utuan t'uantui t'uitun t'untung t'ungwa wawai waiwan wanwang wang

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 726: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.759 I Ging, 344Transkriptionstabelle

we weiwen wenwo wowong wengwu wuya yayä yehyai yaiyän yenyang yangyau yaoyin yinying yingyo yoyu yuyü yüyüan yüanyün yünyung yungyüo yüeh

Zum näheren Verständnis des I-ching seien folgendeBücher empfohlen:

Erfahrungen mit dem I Ging. Vom kreativen Um-gang mit dem Buch der Wandlungen. Hrsg. Ulf

Asiatische Philosophie - Indien und China

Page 727: 23.035 I Ging - Buch der Wandlungen I Ging - pce.at · PDF file23.037 a. Das Orakelbuch I Ging, 15 haben wir nun den entscheidenden Grundgedanken der Wandlungen. Die acht Zeichen sind

23.760 I Ging, 344Transkriptionstabelle

Diederichs. Köln 1984 (Diederichs Gelbe ReiheBd. 51)

Hellmut Wilhelm: Sinn des I Ging. Düsseldorf/Köln1972. Neuausgabe 1976 als Diederichs GelbeReihe Bd. 12.

Asiatische Philosophie - Indien und China