32. aschaffenburger 27.07.–...

68
Programm 27.07.–04.08.2019 32.ASCHAFFENBURGER TAGE

Upload: others

Post on 26-Jan-2021

2 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

  • Programm

    27.07.– 04.08.2019

    32.ASCHAFFENBURGER

    TAGE

  • Für die großzügige fi nanzielle und ideelle Unterstützung der Aschaffenburger Bachtage danken wir herzlich den nachfolgend genannten Gebietskörper schaften, Firmen und Institutionen:

    2

    ImpressumVeranstalter:Bachgesellschaft Aschaffenburg e. V.Geschäftsstelle: Dalbergstraße 9 D-63739 AschaffenburgPostanschrift: Postfach 10 01 63 D-63701 AschaffenburgTelefon (0 60 21) 3 30 14 23 Fax (0 60 21) 33 06 81 [email protected]

    Redaktion:Burkard FleckensteinMareike VorbeckProgrammbetrachtungen:Jürgen OstmannGestaltung:Atelier FleckensteinTelefon (0 88 56) 9 10 75 76 mail@fl eckenstein.info

  • 3

    Schirmherr: Oberbürgermeister Klaus Herzog

    Bach und TelemannTheodor W. Adorno sprach von der „unermesslichen qualitativen Differenz“ zwischen Bach und Telemann. Damit knüpfte er an das späte 19. Jahrhundert an, in dem Telemann noch als minder-wertiger Vielschreiber einen schlechten Ruf hatte. Auch Albert Schweitzer erlag der Versuchung, in einem Vergleich zweier Kan-taten das Werk Bachs über das von Telemann zu stellen, nicht wis-send, dass die Bach zugeschriebene Kantate tatsächlich von Tele-mann komponiert wurde, wie neuere Forschungen ergaben. Dabei waren Bach und Telemann zu Lebzeiten freundschaftlich verbun-den. Sie lernten sich kennen, als sie zur gleichen Zeit an zwei be-nachbarten Fürstenhöfen wirkten: Telemann in Eisenach und Bach in Weimar. Nach den Überlieferungen des Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel, dessen Patenonkel Telemann war, begegneten sich die Beiden regelmäßig und schätzten sich gegenseitig. Beide bewarben sich um das Amt des Thomaskantors. Bach erhielt den Zuschlag nur deshalb, weil Telemann seine Bewerbung zurückzog. Das von Telemann 1701 in Leipzig gegründete Collegium musicum wurde 1729 von Bach übernommen, Bach führte in Leipzig regel-mäßig auch Werke von Telemann auf.

    Die 32. Aschaffenburger Bachtage wollen in der Gegenüberstel-lung der Werke Bachs und Telemanns deutlich machen, dass Tele-mann weit mehr ist als ein einfallsloser Vielschreiber, und den viel-fältigen Bezügen in Leben und Werk dieser beiden Komponisten nachspüren.

    27.07.– 04.08.2019

    32.ASCHAFFENBURGER

    TAGE

  • Weitere Informationen ab Dezember 2019 unter www.bachtage.eu

    18.07.– 26.07.2020

    33.ASCHAFFENBURGER

    TAGE

    Bach und

    Beethoven

    vorschau

    Beethoven: C-Dur Messe Bach: MotettenEnjott Schneider: Beethovens Schöpfungu. a.

    Süddeutscher Kammerchor Chor der Aschaffenburger Singakademie Preisträger des Jan-Koetsier-Wettbewerbs für Blechbläserquintett Guido Morini – Cembalo und Orgel u. a.

  • 5

    Inhalt

    Orgelfahrt.....................................................................................................6Musik zur Marktzeit ...................................................................................8Ellis Brass – Blechbläserquintett ........................................................... 10Kantatengottesdienst zur Eröffnung .................................................. 14Kammerkonzert – Violine und Akkordeon .........................................20Elina Albach – Cembalo ...........................................................................26Vortrag ........................................................................................................ 32Isang Enders – Violoncello Solo I ..........................................................34Isang Enders – Violoncello Solo II ......................................................... 35Kammerchor Ars Antiqua – Ensemble Inégal ....................................42Musik zur Marktzeit .................................................................................54Breakin’ Bach .............................................................................................56Junge Organisten .....................................................................................58Bennewitz Quartet .................................................................................60

  • 6

    Orgelfahrt an die Bergstraße und nach Rheinhessen Sa 27|07|19 – 08:30 Uhr Abfahrt an der Städtischen Musikschule, Kochstraße 8, 63739 Aschaffenburg

    Regionalkantor a.D. Peter Schäfer Leitung und Orgelführung

    Orgelbeiträge u. a. von Schülerinnen und Schülern des Regionalzentrums für Kirchenmusik

    ORGELFAHRT

    Peter Schäfer war bis zu seiner Verabschiedung in den Ruhestand im März 2019 als Regionalkantor für die Region Untermain und als Kirchenmusiker in Klingenberg und Erlenbach tätig. Er initiierte mehrere Konzertreihen in der Region, u.a. auch die Himmelthaler Sommerkonzerte, die besondere kirchenmusikalische Akzente setzen. Neben seinen Aufgaben als Leiter des Aschaffenburger Regionalzentrums für Kirchenmu-sik zur Aus- und Fortbildung der Kirchenmusiker und als Orgelsach-verständiger entwickelte er eine rege Konzerttätigkeit; er spielt an Orgeln im In- und Ausland.

  • 7

    Für die diesjährige Orgelfahrt sind folgende Stationen vorgesehen:

    8:30 Abfahrt an der Städtischen Musikschule, Kochstraße 8

    10:00 St. Anna Kirche, Bensheim-Gronau

    11:45 Wormser Dom (Abb. oben)Der Dom St. Peter zu Worms, im Wesentlichen zwischen 1130 und 1181 erbaut, ist der kleinste der drei rheinischen Kaiser-dome. Er verfügt seit 1985 über eine an klassischen Konzepten des 18. Jahrhunderts orientierte Schwalbennest-Orgel der Fir-ma Klais (Bonn). Als stilistisches Gegengewicht kam 1996 eine Chor-Orgel hinzu, die von der Firma Oberlinger (Windesheim) nach den klanglichen Prinzipien der Cavaillé-Coll-Orgeln des 19. Jahrhunderts erbaut wurde.

    13:30 Winzervesper, Weingut Brüder Dr. Becker, Ludwigshöhe

    15:30 Katharinenkapelle, Oppenheim

    ca. 17:30 Rückkehr nach Aschaffenburg

    © A

    ndre

    asTh

    um -

    Eige

    nes W

    erk

    CC B

    Y-SA

    3.0

    , htt

    ps:/

    /com

    mon

    s.wik

    imed

    ia.o

    rg/

    w/i

    ndex

    .php

    ?cur

    id=1

    6924

    252

  • SCHEMELLI- UND GELLERT-LIEDER

    8

    Sa 27|07|19 – 11:15 Uhr Christuskirche Aschaffenburg

    Klavierklasse der Städtischen Musikschule

    MUSIK ZUR MARKTZEIT

    Johann Sebastian Bach Fantasie c-Moll (1685–1750) BWV 906

    Julia Rothenbücher, Klavier (Klasse John-Noel Attard)

    Notenbüchlein der Anna Magdalena BachMenuett d-Moll BWV Anh. 132 Menuett a-Moll BWV Anh. 120Felix Moser, Klavier (Klasse Sanja Sutej)

    Marsch D-Dur BWV Anh. 122 Hannah Groschup, Klavier (Klasse Petra Heinemann)

  • 9

    Das wohltemperierte Klavier Bd. 1 Präludium G-Dur BWV 860Janis Schott, Klavier (Klasse Linda Rommelfanger) Suite für Violoncello solo Nr. 1 G-Dur BWV 1007 Prélude (Arr.: Janis Schott)Janis Schott, Marimba (Klasse Jörg Fabig)

    Sechs kleine PräludienNr 3 e-Moll BWV 941 Nr 6 c-MollSarah Schallenkammer, Klavier (Klasse Sanja Sutej)

    Sinfonia a-Moll BWV 799eingerichtet für Blockflöte und Klavier von Roger A. BeesonMarlene Rogath, Blockflöte (Klasse Monika Kaiser)Sarah Schallenkammer, Klavier (Klasse Sanja Sutej)

    Sinfonia F-Dur BWV 794 Sinfonia g-Moll BWV 795 Marlene Rogath, Blockflöte (Klasse Monika Kaiser)Emily Fixel, Klavier (Klasse John-Noel Attard)

    Sonate für Violine und Cembalo Nr. 4 Es-Dur BWV 1017AdagioEnsemble „Aschaffenburg Akkordeonal“ (Klasse Alma Flammersberger)

    Englische Suite Nr. 2 a-Moll BWV 1017Prélude BWV 807Victoria Lang, Klavier (Klasse Oskar Göpfert)

  • 10

    Sa 27|07|19 – 20:00 Uhr Stiftskreuzgang Aschaffenburg(bei ungünstiger Witterung Stiftsbasilika)

    Ellis Brass:Katie Smith und Michael Mason – TrompetenMargreth Nußdorfer – HornKris Garfitt – PosauneGeorge Ellis – Tuba

    ELLIS BRASS BLECHBLÄSERQUINTETT

    Georg Philipp Telemann Auszug aus der Tafelmusik (1681–1767) Ouvertüre (Arr.: Gunter Carlier) Réjouissance – Trio

    Rondo Vivace

    Johann Sebastian Bach Passacaglia und Fuge c-Moll (1685–1750) BWV 582 (Arr.: Neil Balm)

    Jan Koetsier Blechbläserquintett op. 65(1911–2006) Andante con moto – Allegro con brio

    Andantino – Allegro molto – Presto – Tempo I Molto vivace

    – Pause –

    Georg Philipp Telemann Triosonate g-Moll(Arr.: Gunter Carlier) Largo

    Allegro Cantabile Allegro

    Johann Sebastian Bach „Schafe können sicher weiden“, Arie aus der „Jagdkantate“ BWV 208

    Victor Ewald Blechbläserquintett Nr. 2 (1860–1935) Es-Dur op. 6

    Allegro risoluto Tema con variazioni Allegro vivace

  • 11

    Das Bläserquintett Ellis Brass wurde 2014 an der Guildhall School of Mu-sic and Drama in London gegründet, wo alle fünf Mitglieder ihre Ausbil-dung absolvierten. Seitdem gibt das Ensemble regelmäßig international Konzerte und tritt bei Festivals auf. Beim X. Internationalen Jan-Koetsier-Wettbewerb 2016 in München wurde Ellis Brass mit dem Sonderpreis – einem Konzert bei den 30. Aschaffenburger Bachtagen 2017 – ausgezeich-net.

    Trompeterin Katie Smith trat bereits mit Orchestern wie dem Royal Phil-harmonic oder dem BBC Symphony Orchestra auf. Nach ihrem Abschluss an der Guildhall School setzt sie ihr Studium an der Royal Academy of Music fort. Michael Mason spielt als freischaffender Trompeter nicht nur in Klassik-Ensembles, sondern regelmäßig auch mit dem National Youth Jazz Orchestra und in verschiedenen Popbands. Die gebürtige Salzburge-rin Margreth Nußdorfer, Hornistin des Quintetts, studierte an der Musik-hochschule München bei Johannes Hinterholzer und Eric Terwilliger. Seit 2016 ist sie Mitglied der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kai-serslautern. Posaunist Kris Garfitt spielte als Mitglied des European Union Youth Orchestra schon in vielen europäischen Städten. Er arbeitet regel-mäßig mit dem BBC Scottish Symphony Orchestra und dem Orchestra of the English National Ballet zusammen. Tubist George Ellis trat bereits mit einer ganzen Reihe führender britischer Orchester auf, unter ihnen Lon-don Philharmonic Orchestra, London Symphony Orchestra, Philharmonia Orchestra, English National Ballet, Royal Ballet Sinfonia und Royal Nort-hern Sinfonia.

    Pausenbewirtung

  • 12

    Programmbetrachtungen

    Durch den Erfolg von Gruppen wie „Canadian Brass“ hat sich das Blech-bläserquintett aus zwei Trompeten, Horn, Posaune und Tuba längst zur Standardbesetzung entwickelt, für die in den letzten Jahrzehnten viele Originalwerke entstanden. Brass-Ensembles, die ältere Musik spielen wollen, müssen jedoch auf Bearbeitungen zurückgreifen. Denn die Natur-toninstrumente früherer Jahrhunderte konnten schon wegen ihres einge-schränkten Tonrepertoires keine eigene Kammermusiktradition ausbil-den; ihre Möglichkeiten waren weitgehend auf Fanfarenklänge begrenzt. Erst durch die Erfindung der Ventile im frühen 19. Jahrhundert ließen sich Trompeten zunehmend als normale Melodieinstrumente wie Oboe oder Geige einsetzen. Daher sind die älteren Werke des Programms von Ellis Brass in Transkriptionen zu hören.

    Georg Philipp Telemann galt in seiner Zeit als bester und berühmtester deutscher Komponist – und das nicht nur in seiner Heimat, sondern auch im Ausland, etwa in Frankreich. Seinen Ruhm verbreiteten nicht zuletzt die zahlreichen Kammermusikstücke, die er in Hamburg im Selbstverlag herausgab. So fand beispielsweise die „Musique de table“, die 1733 in drei Teilen erschien, nicht weniger als 206 Subskribenten, die den stolzen Preis von acht Reichstalern im Voraus zahlten. Unter ihnen waren adelige Musikliebhaber und reiche Kaufleute, aber auch berühmte Musiker wie Georg Friedrich Händel oder die Flötenvirtuosen Johann Joachim Quantz und Michel Blavet. Jeder der drei Teile der Sammlung ist gleich aufgebaut: Auf eine groß besetzte Ouvertüre (Suite) folgt eine Quartettsonate, ein Konzert, eine Triosonate, eine Solosonate mit Continuo und eine „Conclu-sion“, die sich an Besetzung und Tonart der Ouvertüre anschließt.

    Fast könnte man Johann Sebastian Bachs Passacaglia BWV 582 als eine ausgeschriebene Improvisation bezeichnen. Denn in der Gattung der Pas-sacaglia (oder der sehr ähnlichen Chaconne) wird unablässig eine Bassfi-gur wiederholt, und über ihrem Fundament entfalten sich virtuose Ober-stimmenvariationen, die von den Musikern der Barockzeit oft aus dem Stegreif ausgeführt wurden. Bach allerdings baut seine (ursprünglich für Orgel bestimmte) Passacaglia ausgesprochen planvoll auf: Er steigert das eher unscheinbare Thema in zwanzig mächtigen Variationen bis ins Uner-messliche, weitet den Tonraum dabei zunehmend aus und lässt die Me-lodie auch in die oberen Stimmen wandern. Den glänzenden Höhepunkt bildet eine Fuge, die auf der ersten Hälfte des Bassthemas der Passacaglia basiert.

    Der gebürtige Niederländer Jan Koetsier machte zuerst als Dirigent auf sich aufmerksam. Er sammelte wichtige Erfahrungen als Assistent von Willem Mengelberg am Amsterdamer Concertgebouw und wurde 1950 Chefdirigent beim Bayerischen Rundfunk in München, 1966 auch Profes-sor für Dirigieren an der dortigen Musikhochschule. Als Komponist be-schäftigte er sich mit den verschiedensten Gattungen, doch heute bringt man seinen Namen vorwiegend mit Werken für Bläser in Verbindung; seit einigen Jahren ist sogar ein internationaler Wettbewerb für Blechbläser-Kammermusik nach ihm benannt. Koetsiers Vorliebe für das Genre geht zurück auf seine langjährige Verbindung mit dem „Philip Jones Brass En-semble“, für das er viele Auftragswerke schrieb. Das Bläserquintett op. 65 aus dem Jahr 1974 legt den Schwerpunkt auf das rhythmische Element.

  • 13

    So lebt der schnelle Hauptteil des ersten Satzes von seinen zahlreichen Taktwechseln und sich verlagernden Akzenten. Im zweiten steht eine schlichte Trompetenmelodie einem burlesken Tubathema gegenüber. Im lebhaften Finale stören immer wieder Akzentverschiebungen und gele-gentlich 7/8-Einschübe den gleichmäßigen Fluss des 6/8-Takts.

    Eine Triosonate als Arrangement für Quintett – wie soll das funktionie-ren? Tatsächlich war ja auch die ursprüngliche Besetzung solcher Stücke kein Trio im strengen Sinn, denn neben den beiden Melodieinstrumenten (meist Violinen) war Generalbass gefordert, und der wiederum setzte sich zusammen aus einem Bassinstrument (wie etwa Cello) und einem Tasten- oder Zupfinstrument (z. B. Cembalo). Der Cembalist spielte mit der linken Hand den Bass mit und setzte mit der rechten meist aus dem Stegreif die in Ziffern angegebenen Harmonien um. Ein geschickter Musiker konnte dabei durchaus auch eigene Ideen improvisierend einflechten. Die dabei üblichen Methoden – etwa Verwendung paralleler Terzen, neu erfun-dener Gegenstimmen oder rhythmischer Begleitfiguren – kommen auch in der Quintett-Bearbeitung von Georg Philipp Telemanns Sonate zum Einsatz. Zusätzlich nutzt der Arrangeur Gunter Carlier die Besetzung, um auch einmal andere Stimmen als die beiden obersten an der melodischen Substanz zu beteiligen.

    Einige der beliebtesten Sätze Johann Sebastian Bachs finden sich in sei-nen Kantaten. Oftmals erreichten sie ihre Popularität nicht alleine auf-grund der Eingängigkeit ihrer Melodien, sondern vor allem auch durch die geniale Art ihrer Verarbeitung: Auf wundersame Weise fügen sich hym-nische Vokallinien mit einem scheinbar unabhängigen, fast konzertanten Instrumentalsatz zu einem harmonischen Ganzen. Ein Stück dieser Art ist die Sopranarie „Schafe können sicher weiden“. Sie stammt aus der welt-lichen Kantate „Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd“ BWV 208, der sogenannten „Jagdkantate“. Bach schrieb diese Huldigungsmusik 1713 aus Anlass des 31. Geburtstags des Herzogs Christian von Sachsen-Weißen-fels.

    Im Russland des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurden neue musikalische Entwicklungen vielfach von hochbegabten Amateuren vo-rangetrieben. So übten etwa die fünf Komponisten des „Mächtigen Häuf-leins“ (Balakirew, Borodin, Cui, Mussorgski, Rimski-Korsakow) mindestens zeitweise, wenn nicht dauerhaft einen nicht-musikalischen Beruf aus. Der wichtigste Musikverleger und Mäzen, Mitrofan Beljajew, war eigentlich Holzhändler. Und Victor Ewald, Autor von vier Werken für Blechbläser-quintett, verdiente seinen Lebensunterhalt als Professor am St. Petersbur-ger Institut für Zivilingenieurwesen – dort machte er sich vor allem um Techniken der Ziegelstein- und Zementproduktion verdient. Allerdings war er schon als Zwölfjähriger ins St. Petersburger Konservatorium ein-getreten und hatte dort Kornett, Klavier, Horn, Cello, Harmonielehre und Komposition studiert. Später gehörte er als Cellist dem Hausquartett Bel-jajews an und als Tubist einem Bläserquintett des gleichen Zirkels. Seine Werke für diese Besetzung wurden damals nicht von den heute üblichen Instrumenten gespielt, sondern von zwei Kornetten (statt Trompeten), Althorn (statt Waldhorn), Tenorhorn (statt Posaune) und Tuba.

  • 14

    Kantatengottesdienst zur Eröffnung der BachtageSo 28|07|19 – 10:00 Uhr Stiftsbasilika Aschaffenburg

    Pfarrer Martin Heim – Festpredigt

    Gabriele Hierdeis – SopranChristoph Kögel – BassWolfgang Huhn, Katharina Schuhwerk – Trompeten und HörnerKMD Christoph Emanuel Seitz – OrgelKammerchor und Kammerorchester der StiftsbasilikaCaroline Roth – Leitung

    KANTATENGOTTESDIENST

    Georg Philipp Telemann Aus der Kantate (1681–1767) „Gott der Hoffnung erfülle euch“ TVWV 1:634 für Soli, Chor, zwei Hörner, Streicher und Basso continuo (früher als BWV 218 J. S. Bach zugeschrieben)

    1. Coro: „Gott der Hoffnung erfülle euch“4. Aria (Sopran): „Ihr Christen, wollt ihr selig sein?“5. Choral: „Komm, Gott Schöpfer“

    Johann Sebastian Bach „Wer mich liebet“, Kantate (1685–1750) BWV 59 für Sopran, Bass, Chor, zwei Trompeten, Pauken, Streicher und Basso continuo

    Duett (Sopran, Bass): „Wer mich liebet“Recitativo (Sopran): „O was sind das vor Ehren“Choral: „Komm, heiliger Geist, Herre Gott!“Aria (Bass): „Die Welt mit allen Königreichen“Choral: „Nun danket alle Gott“ aus der Kantate BWV 79

  • 15

    Georg Philipp Telemann Passacaille aus der „Ouvertüren-Suite“ TWV 55:D18 für zwei Trompeten, Pauken, Streicher und Basso continuo

    Passacaille

    Mit ihrem breit gefächerten Repertoire ist Gabriele Hierdeis eine interna-tional gefragte Sopranistin, deren Verpflichtungen sie nicht nur ins west-europäische Ausland, sondern auch nach Russland, Ägypten, China sowie nach Nord- und Südamerika geführt haben. Durch zahlreiche Konzerte, Rundfunk- und CD-Aufnahmen mit renommierten Ensembles wie L’Orfeo Barockorchester, The New Bach Ensemble, Ensemble Caprice, Montreal, La Risonanza, Mailand, Musikpodium Stuttgart, Cantus Cölln und La Sta-gione Frankfurt etablierte sich Gabriele Hierdeis bei vielen deutschen und internationalen Festivals als versierte Barockinterpretin. Ebenso engagiert setzt sich Gabriele Hierdeis für zeitgenössische Musik ein; sie hat etwa mit dem Ensemble Modern sowie dem Klangforum Wien unter Leitung von Sylvain Cambreling, Beat Furrer, Bernhard Kontarsky, und Franck Ollu Werke von Widmann, Furrer, Stockhausen, Ligeti, Penderecki, Berio und Lachenmann ur- bzw. erstaufgeführt. Für ihre ersten Opernengagements wurde sie an die Oper Frankfurt verpflichtet; danach folgten Theaterpro-duktionen in Wuppertal und Magdeburg, am Schlosstheater Potsdam, im markgräflichen Opernhaus Bayreuth, im Rahmen der Schwetzinger Festspiele, des Festival d’Automne, Paris, des Steirischen Herbsts und des New Yorker Lincoln Festivals. Erfolgreiche CD-Einspielungen mit Gabriele Hierdeis liegen bei internationalen Labels wie harmonia mundi, Brilliant Classics, CPO u. a. vor.

    Christoph Kögel, Bariton/Bass, geboren in Kempten im Allgäu, studier-te Gesang an der Hochschule für Musik in Frankfurt am Main bei Mar-tin Gründler und parallel dazu Liedgesang bei Charles Spencer. Mit dem Diplom für Opern-Gesang schloss er 1992 sein Studium ab. Er belegte Meisterkurse bei Brigitte Fassbaender und Sena Jurinac. Fest- und Gasten-gagements führten ihn an das Theater Osnabrück, an das Pfalztheater Kaiserslautern, an die Städtischen Bühnen Lübeck und die Staatstheater Mainz und Darmstadt sowie an die Zeitgenössische Oper Berlin in Ko-operation mit Komische Oper Berlin. Dort sang er Partien wie Silvio (Le-oncavallo: „Pagliacci“), Harlekin (Strauss: „Ariadne auf Naxos“), König Thoas (Gluck: „Iphigenie auf Tauris“), Graf Almaviva (Mozart: „Figaros Hochzeit“), Guglielmo (Mozart: „Cosí fan tutte“), Falke (Strauß: „Die Fle-dermaus“), Pantalon (Prokofjew: „Die Liebe zu den drei Orangen“), Offi-zier (Glass: „In a Penal Colony“). Er ist seit 1999 freies Ensemblemitglied der „Kleinen Oper Bad Homburg“, die sich Oper für Kinder zum Programm gemacht hat. Im Gesangsquartett colcanto Frankfurt singt er den Bass. Seit 1999 ist der freischaffende Künstler hauptsächlich im Konzertfach tätig. Er sang mit verschiedenen Ensembles wie den Frankfurter Vokal-solisten, dem Johann-Rosenmüller-Ensemble, den Hofer Symphonikern, L’arpa festante, der Meininger Hofkapelle und dem Eesti Riiklik Sümfoo-niaorkester. Sein Repertoire reicht vom Barock bis zu zeitgenössischen Werken. Neben Liederabenden gilt sein Hauptinteresse den Konzert- und Oratorienpartien von Bach, Brahms, Graun, Händel, Haydn, Mendelssohn, Mozart und Telemann.

  • 16

    Der Kammerchor der Stiftsbasilika wurde 1997 vom ehemaligen Stifts-kantor Andreas Unterguggenberger gegründet. Er pflegt im Wechsel mit den anderen Chören der Stiftsbasilika St. Peter und Alexander die geist-liche Musik in Liturgie und Konzert. Das Repertoire umfasst a-cappella-Werke aus allen Epochen von der Renaissance bis hin zu moderner Musik. Daneben widmet sich der Chor auch Werken für Chor und Orchester. So gelangten Bachs Weihnachtsoratorium, Händels „Messias“, Beethovens „Christus am Ölberge“, Mozarts Requiem und zahlreiche weitere Werke zur Aufführung. Zur Tradition ist das große Weihnachtskonzert der Stifts-musik am zweiten Weihnachtstag geworden. Hier kamen unter Mit-wirkung namhafter Solisten und Orchester neben anderen Werken die Weihnachtsoratorien von Bach, Saint-Saëns, Graun und Herzogenberg zur Aufführung. Eine enge Zusammenarbeit besteht zwischen Kammer-chor und Kammerorchester der Stiftsbasilika. Dieses Ensemble aus meist ortsansässigen Profimusikern findet sich projektweise zusammen und begleitet neben dem Kammerchor auch die Stiftschorknaben und -mäd-chen bei konzertanten Aufführungen wie auch bei liturgischen Festen. Einladungen zu Festivals und Chorfahrten führten den Kammerchor be-reits in die verschiedensten Länder. Chorkonzerte in Budapest, Rom und Palestrina, Caen/Normandie und Perth/Schottland zählen zu den heraus-ragenden Ereignissen im Chorleben. Seit November 2017 leitet Stifts- und Stadtkantorin Caroline Roth den Kammerchor der Stiftsbasilika.

    Caroline Roth, 1979 in Würzburg geboren, erhielt von früher Kindheit an Musikunterricht (Flöte, Akkordeon, Klavier, später Orgel). Sie studierte von 1999 bis 2006 Kirchenmusik in Würzburg und Frankfurt/Main, u.a. bei Martin Lücker, Gerd Wachowski, Jörg Straube und Winfried Toll. Paral-lel zum Kirchenmusikstudium absolvierte sie das Magisterstudium in den Fächern Musikwissenschaft, Musikpädagogik und Katholische Theologie. Caroline Roth ist seit vielen Jahren als Chorleiterin und Konzertorganistin tätig und fungierte schon während ihrer Studienzeit bei zahlreichen Edi-tionen geistlicher und weltlicher Musik als Herausgeberin. Konzerte – als Solistin oder Ensemblespielerin – führten sie über Deutschland hinaus u. a. nach Italien und Großbritannien. Von 2006 bis 2012 war sie Lektorin im Musikverlag Dr. J. Butz, Bonn. Daran anschließend war sie bis 2017 Kan-torin der Pfarrei St. Maria Magdalena und Christi Auferstehung in Bonn. Seit November 2017 hat Caroline Roth die Stelle der Stifts- und Stadtkan-torin inne und leitet die Stiftschorknaben und -mädchen, den Jugendchor, den Kammerchor sowie den Martinus-Chor Aschaffenburg. Die Koordina-tion der Kirchenmusik in der Innenstadt zählt ebenso wie die Ausbildung von Orgelschülern zu ihren Aufgaben.

  • 17

    Programmbetrachtungen

    Die Zeitgenossen sahen in Georg Philipp Telemann den bedeutendsten deutschen Komponisten. Dagegen war Johann Sebastian Bach überre-gional höchstens als Meister der schon veralteten kontrapunktischen Künste und als Orgelvirtuose bekannt. Diese Komponisten-Hierarchie stellten erst die Musikschriftsteller des 19. Jahrhunderts auf den Kopf: Sie erklärten Telemann zum langweiligen Vielschreiber, während sie um Bach einen wahren Geniekult betrieben. Dass die Nachwelt Telemann schablonenhaftes, gedankenloses Komponieren vorwarf, hat vor allem mit der schier unüberschaubaren Menge seiner Werke zu tun: Wer 1.750 Kirchenkantaten hinterlässt, kann doch wohl kaum jede einzelne mit der gleichen Inspiration geschrieben haben? Allerdings wurde eine gan-ze Reihe dieser Kantaten lange Zeit fälschlich Bach zugeschrieben – was dann doch wieder für ihre hohe Qualität spricht. Allein acht Kantaten mit Einträgen im Bach-Werke-Verzeichnis konnte Alfred Dürr 1950 in seinem Aufsatz „Zur Echtheit einiger Bach zugeschriebener Kantaten“ Telemann zuordnen – darunter auch „Gott der Hoffnung erfülle euch“, die unter BWV 218 geführt wurde und heute die Nummer TVWV 1:634 trägt. Tele-mann hatte sie 1717 für den Hof in Eisenach komponiert. Er war zwar zu diesem Zeitpunkt bereits städtischer Musikdirektor in Frankfurt am Main, vervollständigte aber noch einige Kantatenzyklen, die er während seiner Eisenacher Zeit (1706-1712) begonnen hatte. Die Pfingstkantate „Gott der Hoffnung erfülle euch“ war Teil seines „Concerten-Jahrgangs“, auch „Das Harmonische Zion“ oder „Italienischer Jahrgang“ genannt. Die darin ent-haltenen Werke sind oft farbenprächtig instrumentiert; im vorliegenden Fall treten zwei Hörner zur üblichen Streicherbesetzung. Die Texte der ersten vier Sätze stammen von dem mit Telemann befreundeten Pastor und Kirchenlieddichter Erdmann Neumeister; eine Choralstrophe mit Worten Martin Luthers schließt die Kantate ab. Im Eingangschor ver-bindet sich weitgehend akkordischer Chorsatz mit Jagdrufen der Hörner und bewegten Violinfigurationen. In der an vorletzter Stelle platzierten Sopranarie wechseln die Streicher plötzlich ins Unisono, wenn der Text von Vater, Sohn und heiligem Geist spricht – sie versinnbildlichen so die Dreieinigkeit Gottes.

    Ähnlich knapp wie Telemanns Werk ist Johann Sebastian Bachs Kanta-te „Wer mich liebet“ BWV 59 gestaltet. Sie war ebenfalls für den ersten Pfingsttag bestimmt und basiert wie TVWV 1:634 auf einen Text Erd-mann Neumeisters sowie einem Luther-Choral. Bach führte sie wahr-scheinlich erstmals 1724, möglicherweise auch bereits 1723 in Leipzig auf. Die Kantate beginnt mit einem ausgedehnten Duett zwischen Sopran und Bass, deren Stimmen einander fast durchweg imitieren; erst gegen Ende singen sie vereint in Sext- und Terzparallelen. Den gesamten Satz durchdringt ein Motiv, das gleich eingangs von der ersten Violine vorge-stellt wird und später den Worten „Wer mich liebet“ zugeordnet ist. Dem Duett folgt ein von Streichern begleitetes Sopran-Rezitativ, das in seinen letzten Takten (vielleicht vom Heiligen Geist beseelt?) in ein Arioso um-schlägt. Ein harmonisierter Choral, wie man ihn normalerweise am Ende erwartet, schließt sich an, danach aber noch eine Bass-Arie mit obligater Violine. Dieser merkwürdige Schluss hat Spekulationen veranlasst, ob Bach vielleicht vorhatte, später noch weitere Abschnitte aus Neumeisters siebenteiliger Textvorlage zu vertonen.

  • 18

    In jedem Fall schrieb er für Pfingsten 1725 noch eine umfangreichere und stärker besetzte Kantate (BWV 74), in der Material aus BWV 59 enthalten ist.

    Den beiden Kantaten lässt das Kammerorchester der Stiftsbasilika noch einen Instrumentalsatz Georg Philipp Telemanns folgen. Diese Passacail-le stammt aus einer seiner zahlreichen Orchestersuiten, die nach ihren ausladenden Eröffnungssätzen auch „Ouvertüren“ genannt werden. Te-lemann hatte diese typisch französischen Stücke schon in seiner Sorauer Zeit (1705/06) kennen gelernt, „weil der Herr Graf [Erdmann von Prom-nitz] kurz vorher aus Frankreich wiedergekommen war, und also diesel-ben liebte. Ich wurde des Lully, Campra und andrer guten Meister Arbeit habhaft, und legte mich fast ganz auf derselben Schreibart, so dass ich der Ouvertüren in zwei Jahren bei 200 zusammen brachte.“ Entwickelt hatte sich die Orchestersuite aus der französischen Oper, der „Tragédie lyrique“, die stets ausgedehnte Ballettszenen enthielt. Gerne hätten sich die Fürsten der deutschen Kleinstaaten mit ähnlichen Opern unterhalten lassen. Doch den Prunk von Versailles konnten sie sich nicht leisten, und so begnügten sie sich mit Instrumentalauszügen. Bald schrieben deut-sche Musiker selbst solche Suiten – und zwar ohne vorher eine Oper zu komponieren. Telemann nahm in seine Suiten neben Tänzen auch Cha-rakterstücke auf. Erhalten haben sich von ihm etwa 130 Werke der Gat-tung; ursprünglich müssen es aber mehrere Hundert, nach anderen Anga-ben sogar bis zu 1000 gewesen sein.

    Kantate „Gott der Hoffnung erfülle euch“ TWV 1:634, Sätze 1, 4 und 5

    CoroGott der Hoffnung erfülle euch mit allerlei Freude und Friede im Glauben, dass ihr völlige Hoffnung habt, durch die Kraft des heiligen Geistes.

    AriaIhr Christen, wollt ihr selig sein? So weihet eure Herzen ein, dass mit dem Vater und dem Sohne der heilge Geist darinnen wohne. Wer Gottes Wort im Glauben hält, der hat ein Herz, das Gott gefällt.

    ChoralKomm, Gott Schöpfer, heiliger Geist, besuch das Herz der Menschen dein, mit Gnaden sie füll, wie du weißt, dass dein Geschöpf vorhin sein.

  • 19

    Kantate „Wer mich liebet“ BWV 59 DuettWer mich liebet, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.

    RecitativoO was sind das vor Ehren, worzu uns Jesus setzt, der uns so würdig schätzt, dass er verheißt, samt Vater und dem heilgen Geist in unsern Herzen einzukehren. O! was sind das vor Ehren! Der Mensch ist Staub, der Eitelkeit ihr Raub, der Müh und Arbeit Trauerspiel und alles Elends Zweck und Ziel. Wie nun? Der Allerhöchste spricht, er will in unsern Seelen die Wohnung sich erwählen. Ach, was tut Gottes Liebe nicht? Ach, dass doch, wie er wollte, ihn auch ein jeder lieben sollte.

    ChoralKomm, heiliger Geist, Herre Gott! Erfüll mit deiner Gnaden Gut deiner Gläubigen Herz, Mut und Sinn. Dein brünstig Lieb entzünd in ihn’. O Herr, durch deines Lichtes Glanz zu dem Glauben versammlet hast das Volk aus aller Welt Zungen; das sei dir, Herr, zu Lob gesungen. Halleluja! Halleluja!

    AriaDie Welt mit allen Königreichen, die Welt mit aller Herrlichkeit kann dieser Herrlichkeit nicht gleichen, womit uns unser Gott erfreut: Dass er in unsern Herzen thronet und wie in einem Himmel wohnet. Ach Gott, wie selig sind wir doch, wie selig werden wir erst noch, wenn wir nach dieser Zeit der Erden bei dir im Himmel wohnen wer-den.

    Aus der Kantate „Gott der Herr ist Sonn und Schild“ BWV 79

    ChoralNun danket alle Gottmit Herzen, Mund und Händen,der große Dinge tutan uns und allen Enden,der uns von Mutterleibund Kindesbeinen anunzählig viel zugutund noch itzund getan.

  • SCHEMELLI- UND GELLERT-LIEDER

    20

    Kammerkonzert So 28|07|19 – 18:00 Uhr Kreuzkapelle Großostheim

    Anne Maria Wehrmeyer – Violine Julius Schepansky – Akkordeon Bundesauswahl „Konzerte junger Künstler“

    VIOLINE UND AKKORDEON KAMMERKONZERT

    Johann Sebastian Bach Sonate f-Moll BWV 1018 (1685–1750) für Violine und obligates Cembalo

    [ohne Satzbezeichnung]AllegroAdagioVivace

    Georg Philipp Telemann Partia à Cembalo solo G-Dur (1681–1767) TWV 32:1

    PreludioDolceRondeauMenuetsGigue à l’Angloise

    Johann Sebastian Bach Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine solo

    AllemandaCorrenteSarabandaGigaCiaccona

    Georg Philipp Telemann Sonate D-Dur TWV 41:D9 für Flöte und Basso continuo

    LargoVivaceDolceAllegro

  • 21

    Carl Philipp Emanuel Bach Sonate g-Moll H. 542.5 (1714–1788) für Violine und Cembalo (früher als BWV 1020 J. S. Bach zugeschrieben)

    [ohne Satzbezeichnung]AdagioAllegro

    Anne Maria Wehrmeyer, geboren 2000 in Berlin, begann im Alter von vier Jahren Violine zu spielen. Mit acht wurde sie Jungstudentin an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin. 2009 zog sie mit ihrer Fami-lie nach Regensburg, von 2012 bis 2014 war sie Jungstudentin am Wiener Konservatorium, und ab 2014 studierte sie bei Linus Roth am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg. Anne Maria empfi ng Impulse durch Meisterkurse u.a. bei Zakhar Bron, Midori Goto, Ingolf Turban, Pavel Vernikov, Pierre Amoyal, Salvatore Accardo und Viktor Tretyakov. 2017 er-spielte sie sich im großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie den mit 5.000 Euro dotierten 2. Preis beim renommierten TONALi Musikwettbe-werb. Bei nationalen und internationalen Wettbewerben erhielt sie seit 2012 viele weitere Auszeichnungen und Preise. Anne Marias Repertoire umfasst Werke vom Barock bis in die Gegenwart, darunter Kammermusik in den unterschiedlichsten Besetzungen. Als Solistin trat sie u.a. mit den Regensburger Philharmonikern, den Nürnberger Symphonikern, dem Jun-

    © N

    atal

    ia Ja

    nsen

  • 22

    gen Sinfonieorchester Berlin und den Zagreber Philharmonikern auf. Sie spielt eine Violine von Carlo Giuseppe Testore, Mailand um 1710, aus dem Deutschen Musikinstrumentenfonds.

    Julius Schepansky, geboren 1998, erhielt seinen ersten Akkordeonunter-richt im Alter von sieben Jahren. Nach seinem Jungstudium bei Claudia Buder in Münster begann er 2017 sein Studium in der Klasse von Mie Miki und Heidi Luosujärvi an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Zusätzlich studiert er bei Peter Walter Jazzklavier. Als Solist und in unter-schiedlichen kammermusikalischen Formationen ist Julius Schepansky Preisträger verschiedener nationaler und internationaler Wettbewerbe. Als mehrfacher Bundespreisträger von Jugend musiziert wurde er 2016 in die Europäische Union der Musikwettbewerbe für die Jugend, EMCY auf-genommen. Darüber hinaus wurde er mit einer Vielzahl von Sonderprei-sen ausgezeichnet und war Stipendiat der Deutschen Stiftung Musikle-ben. Konzerte führten den jungen Akkordeonisten und Pianisten nach Indonesien, Italien, Japan, Luxemburg, Norwegen, Russland, Senegal, Spanien und Tschechien. Er spielte u.a. in der Laeizshalle Hamburg und der Kölner Philharmonie, war 2018 Akademist bei den Sommerlichen Mu-siktagen Hitzacker und wirkte bei diversen Uraufführungen mit. Ein wich-tiger Bestandteil seiner künstlerischen Arbeit liegt in der Auseinanderset-zung mit zeitgenössischer Musik sowie der Improvisation. Als Jazzpianist komponiert er eigene Werke.

  • 23

    Programmbetrachtungen

    Eigentlich war Johann Sebastian Bach ja ein konservativer Komponist, der eher die musikalischen Errungenschaften der Vergangenheit zusam-menfasste, als neue Entwicklungen anzustoßen. Mitunter erwies er sich allerdings als durchaus innovativ – so etwa in seinen Sonaten für ein Melodieinstrument (Gambe, Flöte oder Violine) und obligates Cembalo. Üblich war es ja im Barock, nur die Bassstimme des Cembalos zu notie-ren; die Begleitakkorde der rechten Hand improvisierte der Spieler nach den Generalbassziffern. Bach jedoch schrieb in seinen sechs Sonaten für Violine und obligates Cembalo BWV 1014-1019 auch die Noten der rech-ten Hand genau aus. Diese spielt vor allem in den fugenartigen schnel-len Sätzen eine Melodiestimme, die dem Geigenpart gleichberechtigt gegenübersteht. So ergibt sich die Struktur eines Trios: Geige, Cembalo-diskant (an Stelle einer zweiten Geige) und Cembalobass (ohne Akkorde). Entstanden sind alle sechs Sonaten wohl in Bachs Köthener Zeit, vermut-lich nicht vor 1720. Die Sonate f-Moll BWV 1018 beginnt mit einem lang-samen Satz, der in den meisten Abschriften ohne Bezeichnung überliefert ist; nur Bachs Schüler Kirnberger gab ihm in seiner Kopie den treffenden Titel „Lamento“. Der Satz beginnt mit einem dreistimmigen Vorspiel des Cembalos (zwei Oberstimmen und Bass), dem sich die Violine zunächst mit lange ausgehaltenen Tönen hinzugesellt. Erst allmählich greift sie die vom Tasteninstrument vorgestellten Motive auf. An zweiter Stelle folgt ein fugiertes Allegro in der typischen Satzart einer Triosonate. Eine unge-wöhnliche Struktur hat das Adagio: Die Violine deutet in konstant pulsie-rendem Rhythmus und in Doppelgriffen Mollakkorde an, die das Cembalo in freien Melismen ausschmückt. Ein weiterer fugierter Satz, dieses Mal über ein chromatisches, von Synkopen bestimmtes Thema im raschen Dreiertakt, schließt die Sonate ab.

    Während Bachs Kammermusikwerke ausschließlich in Handschriften überliefert sind, haben sich diejenigen Georg Philipp Telemanns vielfach in gedruckter Form erhalten. Denn neben seinen Pflichten als Kantor am Hamburger Johanneum, Musikdirektor der fünf Hauptkirchen, Leiter der Oper am Gänsemarkt sowie eines Collegium musicum betätigte sich Te-lemann auch noch als Verleger seiner eigenen Werke. Er stach sie selbst in Kupferplatten, und jeder Musikliebhaber konnte sie „in des Verfassers Wohnung, und in der Music-Bude an der Börse“ erstehen. Das hatte na-türlich Auswirkungen auf die Kompositionen selbst: Da sie sich nicht an einen bestimmten Virtuosen, sondern an ein breites Publikum wenden, sind ihre spieltechnischen Schwierigkeiten und Umfänge geringer als etwa bei Bach. Das zeigt sich auch im Fall seiner 18 erhaltenen Cemba-losuiten. Die Suite oder Partia G-Dur TWV 32:1 findet sich im „Getreuen Music-Meister“, einer von Telemann verlegten Zeitschrift für den bürger-lichen Hausgebrauch, die ihre Abonnenten im 14-Tage-Rhythmus mit neu-en Liedern, Arien und Instrumentalstücken versorgte.

  • 24

    Wie Telemann verwendete auch Bach die Begriffe „Partia“ und „Partita“ synonym mit der Bezeichnung „Suite“. Gemeint ist also eine Reihe von Tanzsätzen, die manchmal durch ein Präludium eingeleitet wird. Bachs Partita d-Moll BWV 1004 für Violine solo enthält zwar kein solches Vor-spiel, dafür aber alle vier Stammsätze der Suite: die mäßig schnelle, ge-radtaktige Allemande, die lebhafte Courante, mit viel Laufwerk und im Dreiermetrum, die langsame, feierliche Sarabande und die schnelle, sprin-gende Gigue. Doch anders als sonst üblich, ist mit der Gigue das Werk noch nicht zu Ende. Es folgt nämlich noch die Chaconne (oder „Ciaccona“) – vielleicht der berühmteste Satz des gesamten sechsteiligen Zyklus für Violine solo und zweifellos ein Gipfelpunkt in der Entwicklung der deut-schen Geigenschule. Als Chaconne bezeichnet man laut Johann Gottfried Walthers „Musicalischem Lexicon“ von 1732 einen „Tanz, und eine Instru-mentalpièce, deren Baß-Subjectum oder thema gemeiniglich aus vier Tacten in 3/4 bestehet, und, so lange als die darüber gesetzte Variationes oder Couplets währen, immer obligat, d.i. unverändert bleibet.“ Bachs Chaconne geht insofern über das traditionelle Muster hinaus, als sich ihr harmonisches Schema im Verlauf der 64 Variationen ständig verändert. Durch den Wechsel von d-Moll über D-Dur zurück nach d-Moll gliedert sich das Stück in drei Teile, die jeweils in sich eine eindrucksvolle Steige-rungs-Dramaturgie aufweisen.

    „Gieb jedem Instrument das / was es leyden kan / So hat der Spieler Lust / du hast Vergnügen dran.“ In diesem Reim fasste Telemann 1718 sein künstlerisches Credo zusammen. Er verstand es, für jedes Instrument wirkungsvoll und dabei nicht zu schwer zu schreiben – schließlich war er selbst auf keinem Instrument ein Virtuose, beherrschte aber so gut wie alle ganz passabel. Telemann wusste allerdings auch, dass man manche Kompositionen sehr gut von einem Instrument aufs andere übertragen kann – er tat das gelegentlich selbst und hätte sicher nicht gegen eine Wiedergabe seiner Sonate D-Dur für Flöte und Basso continuo TWV 41:D9 mit Violine und Akkordeon protestiert. Das Stück findet sich in einem weiteren von ihm selbst herausgegebenen Druck, den „Essercizii Musici“. Diese Sammlung erschien 1739/40 in Hamburg, doch man geht davon aus, dass die darin enthaltene Musik bis zu zehn Jahre zuvor ent-standen war. Es handelt sich um je zwölf Solo- und zwölf Triosonaten, die neben dem üblichen Basso continuo die sechs gebräuchlichsten Instru-mente der damaligen bürgerlichen Hausmusik verlangen – nämlich Violi-ne, Traversflöte, Viola da gamba, Blockflöte, Oboe und Cembalo.

  • 25

    Für welche Besetzung die Sonate g-Moll H. 542.5 komponiert wurde, ist bis heute ungeklärt. Sämtliche Quellen nennen zwar die Violine, doch der Tonumfang (nicht unter d’) spricht eher für Flöte, ebenso der Klangcha-rakter und das völlige Fehlen von Doppelgriffen. Darüber hinaus haben Musikforscher immer wieder die Frage aufgeworfen, von wem die Sonate eigentlich stammt. Ein Manuskript aus dem frühen 19. Jahrhundert weist sie Johann Sebastian Bach zu, in dessen Werkverzeichnis sie später unter der Nummer BWV 1020 aufgenommen wurde. Zwei frühere Abschriften sowie ein Katalogeintrag des Verlags Breitkopf (1763) nennen jedoch Carl Philipp Emanuel Bach als Autor – daher findet man sie in Eugene Helms thematischem Katalog von 1989 als H. 542.5. Wie Barthold Kuijken, der Herausgeber einer Neuausgabe, nachweist, erscheint der galante Stil der Sonate mit seinen Klopfbässen und gefälligen kurzen Phrasen aber weder für Johann Sebastian Bach noch für seinen zweitältesten Sohn Carl Phi-lipp Emanuel wirklich typisch. Auch die Hypothese einer Gemeinschafts-arbeit von Lehrer und Schüler löst dieses Problem nicht, ebenso wenig die Zuschreibung an einen dritten Komponisten wie etwa Johann Joachim Quantz. „Als Schlussfolgerung der vielen Überlegungen bleibt vorläufig“, so Kuijken, „dass [...] BWV 1020 für Vater Bach viel zu dünn, für Carl Phi-lipp Emanuel wie für die anderen Bach-Söhne untypisch und für Quantz zu gut ist. Andere Namen aus deren Generation drängen sich leider nicht auf: man würde sich freuen, diesen guten, ehrlichen Komponisten kennen zu lernen!“

  • 26

    Mo 29|07|19 – 20:00 Uhr Altes Forstamt Webergasse

    Elina Albach – Cembalo

    ELINA ALBACH – CEMBALO

    Johann Sebastian Bach Präludium und Fuge B-Dur(1685–1750) BWV 866 aus dem „Wohltemperierten Clavier“ Band I

    Partita Nr. 1 B-Dur BWV 825Präludium Allemande Corrente Sarabande Menuet 1 und 2 Giga

    Georg Philipp Telemann Ouvertüre Nr. 1 g-Moll TWV 32:5 (1681–1767) Ouvertüre Larghetto e scherzando Allegro

    Johann Sebastian Bach Ciaconna aus der Partita Nr. 2 d-Moll (Bearbeitung für Cembalo für Violine solo BWV 1004 von Gustav Leonhardt)

    – Pause –

    Mauricio Kagel Recitativarie für singende (1931–2008) Cembalistin

    Johann Sebastian Bach Präludium und Fuge A-Dur BWV 864 aus dem „Wohltemperierten Clavier“ Band I

    Präludium a-Moll BWV 894

    Präludium und Fuge D-Dur BWV 850 aus dem „Wohltemperierten Clavier“ Band I

    Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903

  • 27

    Elina Albach studierte von 2009 bis 2014 an der Schola Cantorum Basili-ensis bei Jörg-Andreas Bötticher und schloss ihr Masterstudium mit Aus-zeichnungen ab. 1990 in Berlin geboren und aufgewachsen, bestimmt seit ihrer frühen Kindheit maßgeblich die Musik ihr Leben, dem Cembalo widmet sie sich seit ihrem fünften Lebensjahr. Zu ihren Lehrern in diesem Fach zählten Gerhard Kastner, Ton Koopman und Rudolf Lutz.

    In den vergangenen Jahren war Elina Albach mit CONTINUUM und an-deren Ensembles auf zahlreichen Festivals wie den Festspielen Meck-lenburg-Vorpommern, den Händelfestspielen Göttingen, den Thüringer Bachwochen, dem Festival Oude Muziek Utrecht, dem Bachfest Leipzig, dem Kunstfest Weimar, der Zeitfenster-Biennale Berlin, dem Holland Fe-stival, dem Sydney Festival zu Gast. Als Korrepetitorin ist sie beim Leip-ziger Bach Wettbewerb und Deutschen Musikwettbewerb engagiert. Für die Saison 2017 ist sie mit CONTINUUM für das renommierte europäische EEEmerging Programm Ambronay ausgewählt worden. Die erste CD-Auf-nahme des Ensembles in Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk erschien 2018.

    2014 war Elina als Stipendiatin bei der Concerto 21 Akademie der Alfred Toepfer Stiftung Hamburg eingeladen. Zahlreiche Konzerte, Auszeich-nungen bei Wettbewerben (Gebrüder-Graun Preis, Int. Berliner-Bach-Wettbewerb, Deutscher Musikwettbewerb, Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler) und Aufnahmen (WDR, BR, ARD, DLF, SWR) sind Zeug-nisse ihres künstlerischen Schaffens. 2016/2017 unterrichtete Elina Cem-balo, Generalbass und Kammermusik an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden.

    © M

    arco

    Bor

    ggre

    ve

  • 28

    Programmbetrachtungen

    In gewisser Hinsicht stand Johann Sebastian Bach am Ende einer Mu-sikepoche: Er war der letzte Großmeister der Fuge, die ja auf der Vokal-polyphonie des 16. Jahrhunderts beruhte. Manchem Zeitgenossen galt er deshalb fast schon als lebendes Fossil. Zu den bedeutendsten Zeugnis-sen der Fugenkunst zählen zweifellos die beiden Bände des „Wohltem-perierten Claviers“, die Bach im Abstand von 20 Jahren (1722 und 1742) zusammenstellte. In jede Sammlung nahm er Stücke in sämtlichen 24 Dur- und Molltonarten auf. Diese Idee allerdings war durchaus modern, denn die Voraussetzungen für ein solches Projekt bestanden zu Bachs Zeit noch gar nicht so lange: In der früher üblichen „mitteltönigen“ Stimmung klangen Tonarten umso „schräger“, je weiter sie sich vom zentralen C-Dur entfernten. Erst Andreas Werkmeisters „wohltemperierte“ Stimmungen (von denen es mehrere Varianten gab) machten das Spiel in allen Ton-arten auf einem Tasteninstrument möglich. Bemerkenswert am „Wohl-temperierten Clavier“ ist außerdem, dass jeder Fuge ein Vorspiel voran-geht. Denn Bach beherrschte nicht nur die jahrhundertealten Gesetze des Kontrapunkts, sondern auch den freien, virtuos-improvisatorischen Stil, der sich in der Barockzeit in Präludien, Toccaten und Fantasien nieder-schlug. Ungezügelte Fantasie und strenge Regelhaftigkeit – diese beiden Pole gehörten für ihn untrennbar zusammen.

    Bachs sechs Partiten BWV 825-830 trugen im Erstdruck den folgenden barock-umständlichen Titel: „Clavir-Übung / bestehend in / Praeludien, Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giguen, / Menuetten, und anderen Galanterien; / Denen Liebhabern zur Gemüths Ergoetzung verfertiget [...]“ Einige dieser Begriffe und Informationen sind heute erklärungsbedürf-tig. So umfasste etwa das Wort „Clavier“ im 18. Jahrhundert sämtliche Tasteninstrumente. Die Partiten (ein anderes Wort für „Suiten“) waren für einmanualiges Cembalo bestimmt, die später noch folgenden Teile der „Clavir-Übung“ für ein Cembalo mit zwei Manualen bzw. für Orgel. Etwas irreführend erscheint das Wort „Übung“, ebenso die Zweckbestim-mung „Denen Liebhabern zur Gemüths Ergoetzung“: Sie sollten nicht so verstanden werden, als handele es sich um leichte Etüden für Anfänger. Die Partiten wurden ganz im Gegenteil für ihre große spieltechnische Schwierigkeit und musikalische Vollkommenheit berühmt. „Bestehend in Praeludien, Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giguen, Menuetten und anderen Galanterien“: Aus diesen Teilen setzen sich die Partiten zusam-men, wobei allerdings nur der Eröffnungssatz der ersten Partita tatsäch-lich „Präludium“ heißt. In den übrigen Partiten sind die Eingangssätze als

    „Sinfonia“, „Fantasia“, „Ouvertüre“, „Präambulum“ und „Toccata“ bezeich-net, was auf eine große stilistische Bandbreite hinweist. „Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giguen“ heißen die vier Stammsätze der Suite, und „Galanterien“ nannte man Modetänze wie Rondeau, Gavotte, Passe-pied oder auch die Menuette der ersten Partita. Sie wurden üblicherweise zwischen Sarabande und Gigue eingeschoben.

    Während Bach den ersten Teil seiner „Clavir-Übung“ im Eigenverlag veröf-fentlichte, ließ er den vierten mit den berühmten „Goldberg-Variationen“ in Nürnberg von Balthasar Schmid drucken. Der gleiche Verlag brach-te um 1745 auch Georg Philipp Telemanns Ouvertüre TWV 32:5 heraus, enthalten in den „VI Ouverturen nebst zween Folgesätzen bey jedweder,

  • 29

    Französisch, Polnisch oder sonst tändelnd, und Welsch“. Als „Ouvertüre“ bezeichnete man im 18. Jahrhundert sowohl die instrumentale Eröffnung einer französischen Oper oder Tanzsuite als auch eine komplette Suite (oder Partita), die mit einem solchen Stück beginnt. Derartige Suiten sind meist recht bunt und vielsätzig, doch Telemann weicht von dieser Norm ab, indem er jeder Eröffnung nur zwei „Folgesätze“ hinzufügt, die meist auch keinen tänzerischen Charakter aufweisen. Die eigentliche Ouvertüre entspricht immerhin dem französischen Vorbild: Gravitätische Rahmen-teile im punktierten Rhythmus umschließen einen lebhaften, fugierten Mittelabschnitt. Im zentralen Satz des g-Moll-Werks unterstreicht die Satzbezeichnung „scherzando“ noch einmal die im Titel angekündigte

    „tändelnde“ Manier. Das Finale ist nach „welscher“, also italienischer Art komponiert.

    Johann Sebastian Bachs Chaconne, das Finale der auf 1720 datierten Par-tita d-Moll BWV 1004 , war ursprünglich nicht für Cembalo bestimmt. Sie ist vielmehr sein längster und ehrgeizigster Satz für Violine solo. Die scheinbare Diskrepanz zwischen Bachs hohem Anspruch und seinem Me-dium, der einzelnen Violine, führte dazu, dass viele spätere Komponisten das Stück neu instrumentierten. So fügten etwa Mendelssohn und Schu-mann der Violinstimme Klavierbegleitungen hinzu, Busoni schrieb eine Version für Klavier solo, und andere Bearbeiter versuchten sich an Orche-strierungen. All diese Transkriptionen interpretierten die Chaconne aller-dings aus dem Geist ihrer jeweiligen Zeit. Dagegen lässt die stilsichere Cembalo-Fassung des niederländischen Alte-Musik-Pioniers Gustav Leon-hardt (1928–2012) erahnen, wie vielleicht Bach selbst, der ja ein erfahrener Arrangeur eigener Werke war, die Komposition auf seinem „Clavier“ ge-spielt hätte.

    Der argentinisch-deutsche Komponist Mauricio Kagel hat sich in seinen Instrumentalstücken, aber auch in Bühnenwerken, Hörspielen und Fil-men immer wieder mit der klassischen Musiktradition auseinanderge-setzt – mit großen Komponisten wie Bach („Sankt-Bach-Passion“, 1985), Beethoven („Ludwig van“, 1970) oder Strawinsky („Fürst Igor“, 1982), aber auch mit traditionellen Gattungen oder eingefahrenen Ritualen des Mu-sikbetriebs. Viele Stücke haben einen ausgeprägten szenischen Anteil, so auch die 1972 entstandene „Recitativarie für singende Cembalistin“. Ihr Text ist aus den Versen verschiedener von Bach harmonisierter Choräle collagiert. Dazu Kagel: „Natürlich sind die Wortzusammenhänge im Text von ‚Recitativarie’ andere als in den ursprünglichen Quellen, aber da-durch eröffnen sich gerade für den Hörer, der die Originaltexte kennt – oder zumindest im Sprachduktus erkennt – vielschichtige Erlebnisse. [...] Was die meisten Hörer stutzig macht, ist, dass sie sich amüsieren, auch wenn vieles nicht mit dem notwendigen ‚Respekt’ angesprochen wird. Es geht gar nicht um Sarkasmus, [...] sondern vielmehr um eine linguistisch-semantische Analyse unserer Beziehung zum Glauben, die hauptsächlich mittels Worten stattfindet.“

    Das Satzpaar Präludium und Fuge a-Moll BWV 894 schrieb Johann Seba-stian Bach vermutlich in seiner Weimarer Zeit (1708–1717). Später entwi-ckelte er daraus die beiden Ecksätze seines Tripelkonzerts BWV 1044 für Traversflöte, Violine und Cembalo. Allerdings war schon die Clavier-Fas-sung mir ihrer virtuosen Spieltechnik und den schnellen Toccatenfiguren

  • 30

    derart konzertant angelegt, dass einige Musikforscher vermutet haben, sie beruhe selbst auf einem heute verlorenen Konzert. Wenn das zutrifft, wäre das Tripelkonzert-Arrangement als eine Art „Rückübersetzung“ an-zusehen.

    Bachs Chromatische Fantasie und Fuge BWV 903 ist in ihrer Art einmalig: Sie kennt weder Takt noch Thema und keinerlei motivische Arbeit. Auch lehnt sie sich an keine überlieferte Form an, lässt vielmehr an eine nieder-geschriebene Improvisation denken. Extrem ist der harmonische Verlauf: Er berührt fast systematisch jeden Dur- und Mollakkord des Quintenzir-kels. Daher ist die Fantasie auch ohne Vorzeichnung notiert – sie wäre we-gen der ständig wechselnden Harmonien sinnlos. Die anschließende Fuge basiert zwar auch auf einem chromatischen (aus vielen Halbtonschritten gebauten) Thema, ist aber tonartlich stabiler und folglich in d-Moll mit einem b-Vorzeichen notiert. Als ebenso extrem erweist sich der Affekt-gehalt: Schmerz und Trauer werden in der Fantasie äußerst intensiv dar-gestellt, und ein rezitativartiger Teil versetzt den Hörer geradezu in eine dramatische Opernszene. So ist es kein Wunder, dass das Werk häufig in Verbindung mit einem erschütternden Ereignis in Bachs Leben gebracht wurde – dem Tod seiner ersten Frau Maria Barbara im Jahr 1720.

  • 31

    Montag bis Freitag6.05 – 9.00 Uhr

    auf BR-KL ASSI K

    ALLEGRO

    Für Ihren guten Start in den TagMusik und Neues aus der Klassikszene

    facebook.com/brklassikbr-klassik.de

    BR-Kl_Allegro_120x225_RZ.indd 1 03.07.18 10:14

  • 32

    „Bach und Telemann”

    Bach und Telemann – was für eine Konstellation! Wären es heute zwei Konkurrenten eines Wettbewerbs, würde rasch feststehen, wer der Sie-ger ist: Bach natürlich!?

    Damals sah es schon anders aus: Leipzig wollte 1723 ganz klar Telemann. Bach war sogar nur dritte Wahl als Thomaskantor. Privat kannte man sich – wie gut, wie nahe man sich im künstlerischen Austausch stand, das wüsste man gern näher. Musikalisch waren beide ausgesprochen po-lyglott und versuchten stets sich weiterzuentwickeln. Der langlebigere Telemann stellte sich musikalisch immer wieder in Frage, passte sich den wechselnden Moden stärker an und wurde schließlich zum Repräsen-tanten deutscher Musik schlechthin. Historisch durchsetzen konnte sich gleichwohl Bach.

    Der Vortrag widmet sich Gegensätzen und Überschneidungen im Schaf-fen von Bach und Telemann sowie biographischen Anknüpfungspunkten.

    Di 30|07|19 – 20:00 Uhr Stadttheater Aschaffenburg, Bühne 3

    Dr. Christine Blanken, Bach-Archiv Leipzig

    VORTRAG

  • 33

    Dr. Christine Blanken studierte Historische und Systematische Mu-sikwissenschaften sowie Germanistik an den Universitäten Göttingen und Wien und wurde 1999 über „Franz Schuberts Oratorium ‚Lazarus’ und das Wiener Oratorium zu Beginn des 19. Jahrhunderts“ promoviert. Von 1999 bis 2005 war sie wissenschaft-liche Mitarbeiterin im Bachquellen-Forschungsprojekt „Göttinger Bach-Katalog“ am Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen.

    Seit 2005 ist sie am Bach-Archiv Leip-zig tätig: Nachdem sie zunächst im Forschungsprojekt Bach-Repertorium (Sächsische Akademie der Wissen-schaften zu Leipzig) mitgearbeitet hat, übernahm sie im Oktober 2011 die Leitung des Referats Forschung II „Die Bach-Familie“. In dieser Funktion betreut sie die Ausgaben von Doku-menten und musikalischen Editionen sowie das Datenbank- und Digitalisie-rungs-Portal „Bach Digital“.

    Neben der Musik der Bach-Familie im Allgemeinen sind ihre Forschungs-schwerpunkte die Entwicklung oratorischer Musizierformen von den Anfängen in Deutschland (Reinhard Keiser) bis zur Mitte des 19. Jahrhun-derts, die Überlieferung der Musik für Tas teninstrumente von Johann Sebas tian Bach sowie die Überliefe-rung der Musik der Bach-Familie im alt-österreichischen Kulturraum.

    Nebenamtlich ist sie seit 1990 als Kirchenmusikerin tätig.

  • 34

    Johann Sebastian Bach Suite Nr. 1 G-Dur BWV 1007 (1685–1750) für Violoncello solo

    Prélude Allemande Courante Sarabande Menuet I & II Gigue

    Suite Nr. 2 d-Moll BWV 1008 für Violoncello solo

    Prélude Allemande Courante Sarabande Menuet I & II Gigue

    – Pause –

    Georg Philipp Telemann Fantasie Nr. 11 D-Dur TWV 40:36 (1681–1767) für Viola da gamba

    Allegro Grave Allegro

    Johann Sebastian Bach Suite Nr. 4 Es-Dur BWV 1010 für Violoncello solo

    Prélude Allemande Courante Sarabande Bourrée I & II Gigue

    ISANG ENDERS VIOLONCELLO SOLO I

    Mi 31|07|19 – 20:00 Uhr Festsaal Park Schönbusch

    Isang Enders – Violoncello

  • 35

    Do 01|087|19 – 20:00 Uhr Festsaal Park Schönbusch

    Isang Enders – Violoncello

    VIOLONCELLO SOLO II

    Johann Sebastian Bach Suite Nr. 5 c-Moll BWV 1011 (1685–1750) für Violoncello solo

    Prélude Allemande Courante Sarabande Gavotte I & II Gigue

    Suite Nr. 3 C-Dur BWV 1009 für Violoncello solo

    Prélude Allemande Courante Sarabande Bourrée I & II Gigue

    – Pause –

    Georg Philipp Telemann Fantasie Nr. 3 e-Moll TWV 40:28 (1681–1767) für Viola da gamba

    Largo Presto Vivace

    Johann Sebastian Bach Suite Nr. 6 D-Dur BWV 1012 für Violoncello solo

    Prélude Allemande Courante Sarabande Gavotte I & II Gigue

  • 36

    Rasch hat sich der Cellist Isang Enders als Musiker von neuen Konzepti-onen und einer ständigen Spurensuche ausgezeichnet, was er mit seinem besonders breiten Repertoire immer wieder unter Beweis stellt. Mit sei-ner Veröffentlichung der Cellosuiten von Johann Sebastian Bach auf CD und Schallplatte wird er als „reflektierter und hoch intelligenter junger Mann“ und als „ein wunderbarer Musiker“ wahrgenommen. „Bach hätte seine Freude an ihm“, meint Radio Bremen. Auch Eleonore Büning (FAZ) beschreibt Isang Enders’ „überwältigendes spieltechnisches Können und frühreife Auffassungsgabe“, welche zu einer „Interpretation, die sich mit den besten messen kann“ führte.

    Isang Enders konzertiert mittlerweile um den ganzen Globus und stellt die Breite seines Repertoires dabei in den Vordergrund. So brachte er das Cellokonzert von Unsuk Chin nach Stavanger, zum Orchestre Philharmo-nique de Radio France nach Paris, nach Tokyo in die Opera City Hall und auch nach Sao Paolo in Brasilien. Darüber hinaus gastierte er mit den Bachsuiten beim Bach Festival in Montreal, in Melbourne, der Essener und Kölner Philharmonie und wird seine Interpretation sogar nach Mal-ta bringen. In der vergangenen Saison stechen eine Asientournee mit der Tschechischen Philharmonie und dem Dvorak Cellokonzert, sowie seine Gastspiele in Hongkong, der New Yorker Carnegie Hall, Singapur und im ehrwürdigen Concertgebouw Amsterdam hervor.

    Isang Enders kam oft in den Genuss, mit großen Dirigenten und Kammer-musikpartnern auf den wichtigen Bühnen zu stehen. Er arbeitete mit Zu-bin Mehta, Christoph Eschenbach, Myung-Whun Chung oder Eliahu Inbal und war als Solist im Wiener Musikverein, im Prager Rudolphinum und im Konzerthaus Berlin ebenso wie bei den großen Festivals von Rheingau, Schleswig-Holstein, Paris und Montreal. Dazu ergab sich für Isang Enders die Gelegenheit, die Erstaufführungen der Cellokonzerte von Henri Du-tilleux, Witold Lutoslawski und Bruno Mantovani in Korea zu spielen, wo er ein regelmäßiger Gast beim Seoul Philharmonic ist. Als besonders in-spirierend empfindet er selbst die langjährige Zusammenarbeit mit dem Pianisten Igor Levit, mit dem er bei der Schubertiade in Schwarzenberg zu hören war. Darüber hinaus arbeitet Isang Enders regelmäßig mit Sun-wook Kim, Severin von Eckardstein, Kit Armstrong oder Veronika Eberle, um nur einige zu nennen.

    1988 in Frankfurt am Main geboren, nahm Isang Enders bereits im Alter von zwölf Jahren ein Jungstudium bei Michael Sanderling auf. Starken Einfluss hatten daraufhin Gustav Rivinius, Truls Mørk und im Besonderen die Mentorschaft des amerikanischen Cellisten Lynn Harrell. Im Alter von 20 Jahren wurde Isang Enders für die über eine Dekade unbesetzte Positi-on des „1. Konzertmeisters der Violoncelli“ der Sächsischen Staatskapelle Dresden engagiert und war daraufhin vier Jahre lang unter der Leitung von Fabio Luisi und Christian Thielemann Solocellist des Orchesters. 2012 verließ er Dresden und widmet sich seither dem Weg als Solist.

    Isang Enders spielt auf einem Instrument von Jean Baptiste Vuillaume, Paris 1840 und Tobias Gräter, Heidelberg 2015 und ist Künstler der Labels Berlin Classics und SONY Music Entertainment. Im August 2018 erschien seine Live-Einspielung von Strauss’ „Don Quixote“ mit dem Museumsor-chester Frankfurt bei Oehms Classics.

  • 37

    © w

    orkr

    oom

    k

  • 38

    Programmbetrachtungen

    Johann Sebastian Bach galt manchen Zeitgenossen wegen seiner Vorlie-be für komplexe kontrapunktische Strukturen als hoffnungslos altmo-disch. Auf einigen Feldern leistete er jedoch Pionierarbeit – so etwa mit seinen sechs Suiten für Violoncello solo. Das Repertoire für unbegleite-te Melodieinstrumente ist ja insgesamt recht schmal; es gab in der Ba-rockzeit einiges für Gambe, schon weniger für Violine, doch eine derart anspruchsvolle Werkserie für Solocello hatte vor Bach noch niemand geschrieben. Mit den Suiten verbindet sich eine ganze Reihe von Rätseln. So weiß man zum Beispiel nicht, in welchem Jahr Bach sie komponierte. Einen Bezugspunkt bieten immerhin die Schwesterwerke für Violine solo, die im Autograph auf 1720 datiert sind. Das Titelblatt enthält außerdem den Vermerk „libro primo“ (erstes Buch); einige Musikforscher vermu-ten deshalb, dass die Cello-Suiten als zweites Buch einer geplanten Rei-he nach den Violinwerken entstanden. Dagegen halten andere Autoren aus stilistischen Gründen die Cello-Suiten für die früheren Werke. In je-dem Fall dürfte Bach sie während seiner Zeit als Kapellmeister am Hof in Köthen (1717-1723) komponiert haben. Sein Dienstherr, Fürst Leopold von Anhalt-Köthen, hatte schon als Kind großes musikalisches Talent gezeigt und als junger Mann auf der obligatorischen „Kavalierstour“ in England, Frankreich und Italien die europäischen Musikstile aus erster Hand ken-nen gelernt. Zurück in Köthen, widmete er sich dem Gamben-, Violin- und Cembalospiel und stellte hervorragende Virtuosen ein. Kein Wunder, dass Bach sich in der kleinen Residenzstadt so wohl fühlte, dass er hier „sei-ne Lebzeit auch beschließen zu können vermeinete“. Seine Aufgabe war es, neue Werke für die abendlichen Konzerte und für festliche Anlässe zu schreiben, sie mit den Musikern einzustudieren und die Aufführungen zu leiten. Ungeklärt ist außerdem die Frage, für welchen Musiker die ungewöhn-lich schwierigen Cello-Suiten bestimmt waren. Die meisten Musikwis-senschaftler tippen auf den Gambisten Christian Ferdinand Abel, der auch das Cello beherrschte. Doch in welchem Rahmen mag er die Suiten wohl gespielt haben? Eigneten sie sich als Vortragsstücke für die fürst-liche Kammer oder waren sie für diesen Zweck klanglich zu spröde und intellektuell zu anspruchsvoll? Dann wären sie vielleicht als Studienwerke anzusehen – eine hohe Schule des Cellospiels, die systematische Erschlie-ßung des Instruments. Dafür spricht, dass sich der Schwierigkeitsgrad der Suiten von Nr. 1 bis Nr. 4 kontinuierlich erhöht, während die beiden letzten Sonderfälle behandeln: Skordatur, also „Verstimmung“ einer Saite wird in der fünften Suite verlangt, das Spiel auf einem fünfsaitigen Instru-ment in der sechsten. Dieses Instrument (mit einer zusätzlichen hohen E-Saite über der A-Saite) war möglicherweise die in Armhaltung gespielte „Viola pomposa“, vielleicht aber auch ein fünfsaitiges Cello. Heute können sehr versierte Cellisten die sechste Suite auch auf vier Saiten bewältigen, weil die im 19. Jahrhundert perfektionierte Technik des Daumenaufsatzes das sichere Spiel auch in den höheren Griffbrett-Regionen ermöglicht.

    Eine pädagogische Bestimmung würde wohl auch die merkwürdige Be-setzung der Suiten erklären. Wie außergewöhnlich sie zu Bachs Zeit war, das drückt schon der Titel aus, der explizit „Violoncello solo senza basso“ (ohne Bass) verlangt. Dabei meint „basso“ weniger ein bestimmtes Instru-

  • 39

    ment als ein Prinzip. Die Epoche des Barocks wird in der Musik ja auch als das „Generalbasszeitalter“ bezeichnet, weil sich üblicherweise jeder Me-lodieton auf ein harmonisches Fundament aus Basston und Akkord bezog. Allerdings verzichtet Bach in seinen Solosuiten nicht wirklich auf den Ge-neralbass: Zum einen nutzt er die Möglichkeit von Doppelgriffen, wenn auch in den Cello-Suiten nicht im gleichen Maß wie in den Violin-Sonaten und -Partiten. Zum anderen arbeitet er den Generalbass in die reale Ein-stimmigkeit ein: „Durch besondere Wendungen der Melodie hat Bach die zur Vollständigkeit der Modulation erforderlichen Töne so in einer ein-zigen Stimme vereinigt, dass eine zweite weder nötig noch möglich ist“, schrieb 1802 Bachs erster Biograph Johann Nikolaus Forkel. Moderne Mu-sikforscher bezeichnen diese Technik als „linearen Kontrapunkt“.

    Eine besonderes Problem für jeden Cellisten, der sich mit den Bachschen Suiten befasst, ist ihre Artikulation (also die Art, wie ein Ton vom näch-sten getrennt oder mit ihm verbunden wird, etwa „staccato“ und „lega-to“) und Phrasierung (das Zusammenfassen von Tönen zu musikalischen Einheiten). Diese Gestaltungsmöglichkeiten sind in einstimmiger Musik besonders wichtig, denn je nachdem, wie man verfährt, kann der „lineare Kontrapunkt“ einen ganz unterschiedlichen Sinn erhalten. Und welcher Sinn vom Komponisten beabsichtigt war, ist oft schwer zu erschließen. Im 18. Jahrhundert notierte man Artikulation und Phrasierung ohnehin weit weniger genau, als es im Verlauf des 19. Jahrhunderts üblich wurde. Zu-dem ist kein Manuskript der Suiten in Bachs eigener Handschrift erhalten, und die Abschriften von fremder Hand weichen bezüglich Staccatopunk-ten, Bindebögen, Ornamenten stark voneinander ab. Vier Abschriften gel-ten als „authentisch“: Die erste von 1726 stammt von dem thüringischen Organisten und Kantor Johann Peter Kellner, der persönlich mit Bach be-kannt war, die zweite von Bachs Ehefrau Anna Magdalena (entstanden zwischen 1727 und 1731), zwei weitere von unbekannten Schreibern aus dem späteren 18. Jahrhundert. Wie man mit diesen Quellen verfahren soll, ist umstritten, und so muss jeder verantwortungsbewusste Interpret seine eigene „Edition“ und Deutung erarbeiten. Bachs Cello-Suiten sind also nicht nur eine spieltechnische, sondern in höchstem Maße auch eine geistige Herausforderung.

    Bei so vielen Fragen und Problemen beruhigt es, dass wenigstens die Form der Stücke klar und eindeutig ist. Allen sechs Suiten liegt die glei-che Satzanordnung zugrunde: Auf ein quasi-improvisatorisches Präludi-um folgen die vier traditionellen Kernsätze der Suite, allesamt zweiteilig mit Wiederholungen (nach dem Muster AABB). Den Anfang macht die Allemande, ein mäßig schneller Tanz im Vierertakt, melodisch oft stark ausgeziert. Dann folgt die lebhafte Courante, mit viel Laufwerk (wie schon der Name sagt) und im Dreiermetrum. An dritter Stelle steht die langsame, feierliche Sarabande, im Dreiertakt mit melodischen Schwer-punkten auf der zweiten Zählzeit. Und den Abschluss bildet die Gigue, ein schneller, springender Tanz im 3/8-, 6/8- oder 12/8-Takt. Bach befolgte dieses „Pflichtprogramm“ der Suite genau und erlaubte sich nur bei den sogenannten „Galanteriestücken“, die er zwischen Sarabande und Gigue einschob, gewisse Freiheiten. Für die erste und zweite Suite wählte er Me-nuette, für die dritte und vierte Bourrées und für die fünfte und sechste Gavotten. In jedem Fall handelt es sich um Modetänze, die – anders als die älteren Stammsätze der Suite – nur wenig stilisiert sind, also noch

  • 40

    deutlichen Tanzcharakter zeigen. Die Galanteriestücke treten paarweise auf, wobei jeweils das zweite Stück als Trio-Mittelteil fungiert. Danach folgt noch einmal das erste, jedoch ohne Wiederholungen der Satzteile.

    Diese Merkmale haben alle Cello-Suiten gemeinsam – erstaunlich, dass Bach dennoch sechs Werke von unverwechselbarer Eigenart schreiben konnte. Ganz unterschiedlich sind zum Beispiel die Präludien gestaltet: Das der Suite Nr. 1 G-Dur bringt vor allem Akkordbrechungen in gleichmä-ßigen Sechzehnteln. Dagegen arbeitet das dramatischere Präludium der Suite Nr. 2 d-Moll mit unterschiedlichen Notenwerten: Gleich zu Beginn hört man einen rhythmisch profilierten Themenkopf. Er kehrt auf ver-schiedenen Tonstufen wieder und gliedert so das Stück. Das Präludium endet mit fünf Akkorden, die aber möglicherweise nicht „trocken“, son-dern in frei improvisierten Akkordbrechungen auszuführen sind – doch das muss jeder Interpret für sich entscheiden. Das Präludium der Suite Nr. 3 C-Dur bewegt sich erneut fast durchgehend in gleichmäßigen Sech-zehnteln, beginnt aber mit auf- und abströmenden Tonskalen. Etwa ab der Mitte des Stücks hört man 16 Takte lang wechselnde gebrochene Ak-korde über einem immer gleichen Basston – ein eindrucksvoller „Orgel-punkt“, wie ihn Bach gerne zur Intensivierung des Ausdrucks gebrauchte. Gebrochene Akkorde in gleichmäßiger Achtelbewegung bestimmen die erste Hälfte des Präludiums der Suite Nr. 4 Es-Dur. Erst in der zweiten Hälfte wird diese Bewegung mehrfach durch virtuose Einschübe un-terschiedlicher Art – Sechzehntelläufe, rhythmisch prägnante Figuren, drei- bis vierstimmige Akkorde – gegliedert. Das Präludium der Suite Nr. 5 c-Moll ist aufgebaut wie eine französische Ouvertüre: Auf den pathe-tischen Einleitungsteil in punktiertem Rhythmus folgt ein Mittelabschnitt nach Art einer Fuge. Mit großer Kunstfertigkeit erzielt Bach hier trotz realer Einstimmigkeit eine polyphone Wirkung. Ein besonders ausge-dehntes Präludium besitzt die Suite Nr. 6 D-Dur. Es steht im 12/8-Takt und beginnt mit zwei „Spezialeffekten“: zum einen Echowirkungen und zum anderen die „Bariolage“-Technik, die ansatzweise bereits im G-Dur-Prälu-dium zum Einsatz kam. Der gleiche Ton wird in schnellem Wechsel auf unterschiedlichen Saiten gespielt. Durch die mehrfach wiederkehrenden Bariolage-Passagen erscheint der Satz deutlich unterteilt, obwohl er fast durchgehend in Achteln verläuft.

    So phantasievoll er die Präludien gestaltet, variiert Bach auch die Grund-charaktere der Tänze. Die der Allemanden zum Beispiel: Graziös und rhythmusbetont gibt sich das C-Dur-Stück, gleichmäßig fließend dagegen das in Es-Dur. Ganz ungewöhnlich erscheint die D-Dur-Allemande: ein besinnlicher, introvertierter Satz mit feinen rhythmischen Verästelungen bis zu 1/64- und 1/128-Notenwerten. Es wäre völlig undenkbar, zu dieser Musik zu tanzen. Bei den übrigen Sätze reicht das Spektrum von eher abstrakten Konstruktionen (wie der Es-Dur-Courante mit ihren gigue-artigen Triolen-Einschüben) bis zu ländlichen Dudelsack-Imitationen (C-Dur-Gigue, zweite D-Dur-Gavotte) und Jagdsignalen (D-Dur-Gigue), von dissonanten Reibungen (C-Dur-Sarabande) bis zu wohlklingenden Sext-parallelen (D-Dur-Sarabande), von düsterem Ernst (d-Moll-Sarabande) bis zu überschäumender Freude (C-Dur-Gigue). Mit seinen Solo-Suiten für Violoncello hat Bach einen Zyklus geschaffen, der einzigartige Geschlos-senheit mit farbigster Vielfalt verbindet. Im enggesteckten Rahmen der

  • 41

    althergebrachten Suitenform erschließt sich ein ganzes Universum ex-pressiver, spiel- und satztechnischer Möglichkeiten.

    Georg Philipp Telemanns zwölf Fantasien für Viola da gamba galten lange Zeit als verschollen. Erst im Jahr 2015 spürte der Gambist Thomas Fritzsch das vermutlich einzige erhaltene Exemplar des Originaldrucks von 1735 auf. Er fand es in der sogenannten Ledenburg-Sammlung in Osnabrück, die die Privatbibliothek der adeligen Dichterin Eleonore von Münster enthält. Dass Telemann neben seinen je zwölf Solofantasien für Traversflöte (TWV 40:2-13) und Violine (TWV 40:14-25) sowie den dreimal zwölf Fantasien für Cembalo (TWV 33:1-36) auch eine entsprechende Rei-he für Viola da gamba (TWV 40:26-37) komponiert hatte, wusste man seit langem aus zeitgenössischen Zeitungs-Annoncen und Katalog-Ein-trägen wie etwa dem folgenden von 1735: „Der Telemannsche Verlag wird 12 Fantasien für die Viola di gamba ohne Bass und 6 deutsche moralische Cantaten ohne Instrumente dergestalt ans Licht stellen, dass an einem Donnerstage 2 Fantasien und am andern eine Cantata wechselweise zum Vorschein kommen. [...] Der Anfang damit wird den 4. August gemacht.“ Dieser Zeitplan wurde offenbar eingehalten.

    Telemann widmete seine Gamben-Fantasien dem Hamburger Kaufmann und Bankier Pierre Chaunel. Ob dieser selbst die Gambe spielte, ist unbe-kannt; vielleicht gab ja eher die französische Herkunft des Adressaten und potenziellen Förderers den Ausschlag für die Dedikation: Chaunel war ein Sohn hugenottischer Einwanderer aus Montpellier. Telemann nannte sich selbst einen „großen Liebhaber der französischen Musik“. Und die Gambe war vor allem in Frankreich ein weit verbreitetes Modeinstrument. Aller-dings galt das vor allem für das 17. Jahrhundert und die ersten Jahrzehnte des 18. Im Jahr 1735 bedeutete die Herausgabe von zwölf Gamben-Fanta-sien schon ein verlegerisches Risiko, das Telemann allerdings tragen konn-te. Durch seine zahlreichen Veröffentlichungen im Eigenverlag kannte ihn das internationale Publikum längst als Verfasser höchst attraktiver und dabei nicht zu schwieriger Kammermusikwerke. Tatsächlich boten auch die Gamben-Fantasien wieder viel Abwechslung: Da gibt es langsame Sätze wie die beiden Graves aus den Fantasien Nr. 3 und Nr. 11, deren Zweistimmigkeit teils real durch Doppelgriffe ausgeführt, teils durch Re-gisterwechsel nur vorgetäuscht wird. Und es gibt Sätze wie das Presto aus Nr. 3, in denen sich diese Schreibweise mit raschen Figurationen abwech-selt. Telemann schreibt fugenartige Stücke wie das erste Allegro aus Nr. 11 und tänzerische im Dreiertakt wie das Vivace aus Nr. 3 und das zweite Allegro aus Nr. 11.

  • 42

    Fr 02|08|19 – 20:00 UhrStiftsbasilika Aschaffenburg

    Gabriela Eibenová – SopranMargot Oitzinger – AltGeorg Poplutz – Tenor Marián Krejčík – BassKammerchor Ars Antiqua, AschaffenburgEnsemble Inégal, Prag Stefan Claas – Leitung

    KAMMERCHOR ARS ANTIQUA ENSEMBLE INÉGAL

    Jan Dismas Zelenka Magnificat in D ZWV 108 (1679–1745) für Soli (Sopran, Alt), Chor, zwei Oboen, Streicher und Basso continuo

    In exitu Israel ZWV 83 für Soli (Sopran, Alt, Tenor, Bass), Chor zwei Oboen, Streicher und Basso continuo

    Georg Philipp Telemann Trauerkantate „Du aber Daniel, (1681–1767) gehe hin“ TVWV 4:17 für Soli (Sopran, Bass), Chor, Altblockflöte, Oboe, Fagott, Violine, zwei Gamben (Bratschen) und Basso continuo

    SonataCoro: „Du aber, Daniel, gehe hin“Recitativo (Bass): „Mit Freuden folgt die Seele“Aria (Bass): „Du Aufenthalt der blassen Sorgen“Recitativo (Sopran): „Mit sehnendem Verlangen“Aria (Sopran): „Brecht, ihr müden Augenlider“Recitativo (Bass): „Dir ist, hochselger Mann“Coro: „Schlaft wohl, ihr seligen Gebeine“

  • 43

    Johann Sebastian Bach Kantate „Christ unser Herr zum (1685–1750) Jordan kam“ BWV 7 für Soli (Alt, Tenor, Bass), Chor, zwei Oboen, zwei konzertante Violinen, Streicher und Basso continuo

    Coro: „Christ unser Herr zum Jordan kam“Aria (Bass): „Merkt und hört, ihr Menschenkinder“Recitativo (Tenor): „Dies hat Gott klar mit Worten“Aria (Tenor): „Des Vaters Stimme ließ sich hören“Recitativo (Bass): „Als Jesus dort nach seinen Leiden“Aria (Alt): „Menschen, glaubt doch dieser Gnade“Choral: „Das Aug allein das Wasser sieht“

  • 44

    Die tschechische Sopranistin Gabriela Eibenová absolvierte ihr Gesangsstu-dium am Prager Konservatorium sowie an der Londoner Royal Academy of Music. Obwohl sie auch mit klassischen Orchestern auftritt und zeitgenös-sische Kompositionen aufführt, liegt ihr Schwerpunkt auf der Interpretation Alter Musik. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Adam Viktora gründete sie das in diesem Bereich aktive vokal-instrumentale „Ensemble Inégal“. Festivals wie Musica Antiqua Brügge, Oude Muzik Utrecht, die Tage Alter Musik in Herne und in Regensburg laden Gabriela Eibenová regelmäßig ein.

    Margot Oitzinger, geboren in Graz, stu-dierte Gesang an der Musikuniversität ihrer Heimatstadt und spezialisierte sich auf Alte Musik. Meisterkurse und Seminare besuchte sie dafür bei Emma Kirkby, Peter Kooij und Jill Feldman. Sowohl als Konzertsängerin als auch als Operninterpretin von Renaissance bis Frühklassik ist sie sehr gefragt. Sie singt an den wichtigsten Konzertorten unter namhaften Dirigenten wie Philippe Herre weghe, Jordi Savall, Masaaki Suzuki, John Butt, Andrea Marcon, Michi Gaigg, Lorenzo Ghielmi, Christoph Prégardien, Konrad Junghänel oder Rudolph Lutz.

    Der Tenor Georg Poplutz gehört zu den viel gefragten Interpreten in der Barockmusik, insbesondere auch als „Evangelist“. Seine besondere Vorliebe gilt außerdem dem Liedgesang. Mit dem Pianisten Hilko Dumno veröffentlichte er die CD „Lieder an die Entfernte“ (mit Liedern von Schubert, Schumann und Beethoven), die für den ICMA 2018 nominiert wurde. Nach dem Lehramts-examen absolvierte der im westfälischen Arnsberg aufgewachsene Poplutz ein Gesangsstudium in Frankfurt am Main und Köln bei Berthold Possemeyer, Rainer Hoffmann und Christoph Prégardien; er wurde durch Menuhins „LiveMusicNow“ gefördert.

    © J.

    Kra

    tsch

    mer

  • 45

    Der tschechische Bassbariton Marián Krejčík studierte Jura an der Karlsuniver-sität in Prag und Gesang bei Elisabeth Glauser und Björn Waag an der Musik-Akademie Basel. Er tritt europaweit als Solist mit zahlreichen Orchestern auf und arbeitet eng mit dem Festival Origen in Graubünden sowie mit Collegium 1704 in Prag zusammen. 2008/09 debütierte er in Potsdam als Melisso in Händels „Alcina“. Es folgten Auftritte in „Bata-clan“, „King Arthur“, „Motezuma“, „Acis und Galatea“, „The Fairy Queen“ und „Il Barbiere di Siviglia“. In der Saison 2013/14 wurde er Mitglied des Ensembles am Südthüringischen Staatstheater Meinin-gen, wo er zahlreiche Rollen im Bariton- und Bassbariton-Fach übernahm.

    Stefan Claas studierte katholische Kirchenmusik, Klavier, künstlerische Chorleitung und Gesang an den Musik-hochschulen München und Frankfurt. Er ist Dirigent des mehrfach ausgezeichne-ten Kammerchores Ars Antiqua Aschaf-fenburg. 2012 wurden dem Dirigenten und Ars Antiqua aufgrund ihrer großen Erfolge und vorbildlichen Nachwuchsar-beit der „Kulturpreis der Stadt Aschaffen-burg“ verliehen. Stefan Claas ist Stipendi-at des Deutschen Musikrates. Seit Jahren ist er als Dozent für Chorleitung, Stimm-bildung und als Juror bei namhaften Chorwettbewerben gefragt. Er leitete die Städtische Musikschule Aschaffenburg von 2006 bis 2011 und war von 2003 bis 2009 Bundes-Chormeister des Maintal-Sängerbundes.

  • 46

    Der Kammerchor Ars Antiqua wurde im Jahr 1982 als Jugendchor ge-gründet mit dem Ziel, sich unter professioneller Leitung anspruchsvolle Chorliteratur sämtlicher Epochen zu erarbeiten und aufzuführen. Seit 1999 steht der Chor unter der musikalischen Leitung von Stefan Claas. Mit regelmäßigen Konzerten und Auftritten ist das heute aus ca. 45 Sän-gerinnen und Sängern bestehende Ensemble ein fester Bestandteil des kulturellen Lebens am Bayerischen Untermain. Im Mittelpunkt der Chor-arbeit von Ars Antiqua stehen thematisch ausgearbeitete A-cappella-Kon-zerte. Bereits vier dieser Konzertprogramme wurden als CD produziert, zwei davon in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk.

    Das Ensemble Inégal wurde im Jahr 2000 in Prag von Gabriela Eibenová und Adam Viktora gegründet. Sein Repertoire umfasst Kompositionen von der Renaissance bis zur Gegenwart, doch der Schwerpunkt liegt auf Musik der Barockzeit und insbesondere auf dem Schaffen des tschechi-schen Komponisten Jan Dismas Zelenka. Regelmäßig gibt das Ensemble Inégal Konzerte bei renommierten Festivals wie Prager Frühling, Musica Antiqua Brügge, Oude Muziek Utrecht, Lufthansa Festival London, Riga Bach Festival und vielen anderen. Die CDs des Ensembles wurden mit Preisen wie Diapason d’or, IRR Outstanding, 5 Sterne Goldberg u.a. ausge-zeichnet, seine Auftritte von vielen europäischen TV- und Radiosendern ausgestrahlt.

  • 47

    Programmbetrachtungen

    Der Böhme Jan Dismas Zelenka war wohl lange Zeit der am stärksten un-terschätzte Komponist des Barock. Schon seine Dienstherren, der säch-sische Kurfürst und polnische König August der Starke und dessen Nach-folger Friedrich August II., hielten offenbar nicht allzu viel von seinen kompositorischen Fähigkeiten. 1710 war er als Violonist (Kontrabassist) in die Dresdner Hofkapelle aufgenommen worden; neben dem Orche-sterdienst versah er ab 1721 das Amt des Vizekapellmeisters der Hofkir-chenmusik. Doch die erhoffte Position des Hofkapellmeisters erhielt nach Johann David Heinichens Tod im Jahr 1729 nicht er, sondern, nach jahre-langer Vakanz, der Opernkomponist Hasse, der den Musikgeschmack des Königs besser bedienen konnte. Der verbitterte Zelenka wurde 1735 mit dem nicht zusätzlich honorierten Amt eines „Kirchen-Compositeurs“ abgespeist. So konnte er zwar nur selten mit weltlichen Werken auf sich aufmerksam machen, entwickelte sich allerdings zum bedeutendsten Re-präsentanten des süddeutsch-katholischen Kirchenstils.

    Zelenkas Werke zeichnen sich einerseits durch höchste kontrapunktische Kunst aus – er hatte sich 1715/16, als gestandener Komponist, noch einmal von dem berühmten Wiener Theoretiker Johann Joseph Fux im strengen Palestrina-Stil unterweisen lassen. Andererseits fallen in seiner Musik oft fremdartige, bizarre Wendungen und gelegentlich eine fast mystische Qualität auf. So schreibt der Oboist und Komponist Heinz Holliger, der sich seit langem für eine Wiederentdeckung Zelenkas einsetzt: „Das we-sentliche aber scheint mir, dass Zelenka wohl (ähnlich wie J. S. Bach) das gesamte kompositorische Wissen der vorangehenden Generationen in sich aufgenommen zu haben scheint, dieses nun aber kraft seiner höchst eigenwilligen Persönlichkeit gleichsam einer Zerreißprobe aussetzt und dadurch gegenüber der Tradition ein kritisches Element freisetzt“. Bach, der während seiner Leipziger Zeit regelmäßig nach Dresden reiste, kann-te Zelenka persönlich und schätzte seine Musik sehr; einige Werke des katholischen Hofkomponisten ließ er kopieren, um sie an seiner (luthe-rischen) Thomaskirche aufzuführen.

    Unter Zelenkas Kirchenwerken sind neben mehr als 20 Messen auch weit über 30 Psalm- und Magnificatvertonungen für die Dresdner Ves-pergottesdienste. Das auf den 26. November 1725 datierte Magnificat D-Dur ZWV 108 kann mit oder ohne Trompeten und Pauken authentisch aufgeführt werden, da Zelenka deren Stimmen nachträglich hinzufügte. Er vertonte den Lobgesang Marias aus dem Lukas-Evangelium in drei großen Teilen: Der erste bietet effektvolle Kontraste zwischen schnel-len und langsamen, akkordischen und fugierten Abschnitten sowie zwi-schen Chorsatz und Sopransolo. Den zweiten, ab „Suscepit Israel“, prägt vor allem das von einem Oboenpaar begleitete Altsolo. Und im dritten schreibt Zelenka eine großartige Doppelfuge auf das Wort „Amen“.

    Wie das Magnificat hat Zelenka auch den 113. (bzw. nach der Lutherbibel 114.) Psalm, „In exitu Israel“, zweimal vertont. In der Fassung ZWV 83 wid-met sich der umfangreiche erste Teil dem eigentlichen Psalmtext. Dem Textsinn folgend ist er reich untergliedert in Abschnitte verschiedener Satzarten und Tempi. Ihm folgen jedoch noch zwei weitere Teile, denn wie viele andere Komponisten schloss Zelenka an Psalmvertonungen ger-ne die sogenannte „kleine Doxologie“ an, die Verherrlichung der Dreifal-tigkeit („Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste“). Und an dieses knapp gehaltene, sanfte „Gloria“ schließt sich erneut ein

  • 48

    „Amen“ an, das mit seinen chromatischen Fortschreitungen, Tritonus-sprüngen und Querständen ein schönes Beispiel für die erwähnten Bizar-rerien bietet.

    Entstehungsanlass und -zeit von Georg Philipp Telemanns Trauerkantate „Du aber, Daniel, gehe hin“ sind nicht überliefert, und die Musikforscher haben dazu unterschiedliche Vermutungen geäußert. Teils wird sie Tele-mann jüngeren Jahren zugeordnet – entweder seiner Zeit als Kapellmei-ster am Hof von Sorau in der Niederlausitz (1705/06) oder seiner näch-sten Karrierestation als Konzertmeister in Eisenach (bis Anfang 1712). Die etwas altertümlich anmutende Instrumentalbesetzung, die neben den üblichen Streichern Blockflöte, Oboe und zwei Gamben verlangt, könnte für diese Annahme sprechen. Andere Autoren tippen eher auf Telemanns Hamburger Zeit (ab 1721), und zwar ganz konkret auf das Jahr 1739. Grund dafür bietet der Text. Die Worte des Eingangschors – „Du aber, Daniel, gehe hin, bis das Ende komme und ruhe, dass du aufstehest zu deinem Teil am Ende der Tage“ – sind dem Schluss des Buches Daniel aus dem Al-ten Testament entnommen. Und Daniel wird im letzten, frei gedichteten Rezitativ noch einmal direkt angesprochen: „du gottgeliebter Daniel“. Die Kantate dürfte daher für einen Verstorbenen bestimmt gewesen sein, der diesen Vornamen trug. Außerdem muss er, da im gleichen Rezitativ von einer „Krone“ die Rede ist, ein hohes politisches Amt innegehabt haben. Beides zusammengenommen spricht für den Hamburger Bürgermeister Daniel Stockfleth, der im Jahr 1739 starb. Für seine offizielle Trauerfeier schrieb Telemann die prächtig besetzte, 22 Nummern umfassende Kan-tate „Dränge dich an diese Bahre“. Das bescheidener instrumentierte und dimensionierte Stück „Du aber, Daniel“ erklang vielleicht bei einer pri-vaten Trauerfeier für den als Musikliebhaber bekannten Bürgermeister.

    Nach einer getragenen instrumentalen Eröffnung ist der Eingangschor, dem Text folgend, in zwei kontrastierende Abschnitte gegliedert: Der erste deutet in homophonem Satz und langsamer Bewegung vor allem das Wort „ruhe“ aus, der zweite in lebhaftem, fugiertem Satz die Worte „dass du aufstehest“. Jeweils durch ein Rezitativ eingeleitet, schließen sich eine Bass- und eine Sopranarie in Dacapo-Form an. Dabei ist der Mit-telteil der Bassarie „Du Aufenthalt der blassen Sorgen“ recht ungewöhn-lich gestaltet: Anstelle eines in sich einheitlichen, mit den Rahmenteilen kontrastierenden Abschnitts bietet Telemann eine Folge aus einem Ac-compagnato-Rezitativ (von Streichern begleitet), dem Arioso „Komm sü-ßer Tod“ und einem Secco-Rezitativ (nur vom Basso continuo begleitet). Apart instrumentiert ist die Sopranarie „Brecht, ihr müden Augenlider“, deren regelmäßige Pizzicato-Akkorde vielleicht für das Ticken einer Tote-nuhr oder das Läuten eines Sterbeglöckchens stehen. Streicherpizzicato prägt auch den abschließenden Chor „Schlaft wohl, ihr seligen Gebeine“. Es schafft zusammen mit den sich umrankenden Linien von Flöte und Oboe eine zauberhafte, traumverlorene Atmosphäre.

    Die Kantate BWV 7 „Christ unser Herr zum Jordan kam“ zählt zu Johann Sebastian Bachs Choralkantaten. Stücke dieser Gattung werden im Ide-alfall sehr weitgehend durch Melodie und Text eines Chorals bestimmt. Die Anfangsstrophe erscheint im Wortlaut und bildet die Grundlage ei-ner umfangreichen, komplexen Choralfantasie. Die folgenden Strophen dichtet der Librettist so um, dass sie als Rezitativ- oder Arientexte nutz-bar sind. Und die Schlussstrophe übernimmt er wieder wörtlich; sie wird vom Komponisten jedoch in einen schlichten, vierstimmig-homophonen Satz gekleidet, dessen Oberstimme die Gemeinde