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Aufgewacht – an der deutschen Grenze „Lasst sie unsere Präsenz spüren! Posted on September 29, 2015 by raistu Vor Jahren habe ich theoretisch gelernt, dass dieser Satz die Maxime für die israelische Armee in den besetzten palästinensischen Gebieten ist. Vor einigen Wochen habe ich es praktisch erfahren. Ich war zu einer palästinensischen muslimischen Hochzeit in Bethlehem eingeladen. Vieles war dem Europäer dabei fremd. Ein Fest ohne Alkohol. Dreihundert Frauen und Mädchen zusammen mit der Braut in einem geschlossenen Saal. Dreihundert Männer und Jungen zusammen mit dem Bräutigam an Tischen und Stühlen im Freien drum herum. Ich saß bei den Christen, von denen ich einige kannte. Nicht weit von uns war die Ecke der Fatach- Leute, mit denen aber niemand sprechen mochte. Sie gehören zum ungeliebten Establishments Palästinas. Manche Bräuche konnte ich in meinen europäischen Kontext übersetzen. Das Junggesellen-Fest am Abend vorher zum Beispiel. Oder die Einholung der Braut zum Auftakt des Festes. Sie ist ein besonderer Höhepunkt. Im Korso von ca. 20 Autos mit überlauter Musik und Dauerhupen ging es vom Flüchtlingslager in Bethlehem (in der A-Zone, unter der Hoheit der palästinensischen Autonomie-Behörde) in eines der Dörfer einige Kilometer entfernt (in der C-Zone unter der Hoheit der israelischen Armee). Ich wurde in einem der Autos platziert zusammen mit drei jungen Palästinensern, einem der Brüder des Bräutigams und zwei seiner Freunde. Nur ich hatte mich vorschriftsmäßig angeschnallt. Was ich nicht bereuen sollte. Die dem Fest entsprechende Hochstimmung steigerte sich während der wilden Fahrt zum Dorf der Braut zu riskanter Ausgelassenheit. Aber das Lachen in unserem Auto nahm mitten auf der Strecke ein jähes Ende. Zwei israelische Soldatinnen pickten unseren Wagen aus dem Korso heraus und forderten den Fahrer auf, am gegenüber liegenden Straßenrand neben einem Militär Jeep anzuhalten. Das Bild der Demütigung vergesse ich nicht. Die (vielleicht achtzehnjährigen) Mädchen mit vorgehaltenem Maschinengewehr vor diesen drei baumlangen arabischen jungen Männern. „Ausweise!“ Ein sogenannter „Mobiler Checkpoint“. Hunderte gibt es davon in der Westbank.

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Page 1: 4 „Lasst Sie Unsere Präsenz Spüren!

←   Aufgewacht – an der deutschen   Grenze „Lasst sie unsere Präsenz   spüren! “ Posted on September 29, 2015 by raistuVor Jahren habe ich theoretisch gelernt, dass dieser Satz die Maxime für die israelische Armee in den besetzten palästinensischen Gebieten ist. Vor einigen Wochen habe ich es praktisch erfahren.Ich war zu einer palästinensischen muslimischen Hochzeit in Bethlehem eingeladen. Vieles war dem Europäer dabei fremd. Ein Fest ohne Alkohol. Dreihundert Frauen und Mädchen zusammen mit der Braut in einem geschlossenen Saal. Dreihundert Männer und Jungen  zusammen mit dem Bräutigam an Tischen und Stühlen im Freien drum herum. Ich saß bei den Christen, von denen ich einige kannte. Nicht weit von uns war die Ecke der Fatach-Leute, mit denen aber niemand sprechen mochte. Sie gehören zum ungeliebten Establishments Palästinas. Manche Bräuche konnte ich in meinen europäischen Kontext übersetzen. Das Junggesellen-Fest am Abend vorher zum Beispiel. Oder die Einholung der Braut zum Auftakt des Festes. Sie ist ein besonderer Höhepunkt.Im Korso von ca. 20 Autos mit überlauter Musik und Dauerhupen ging es vom Flüchtlingslager in Bethlehem (in der A-Zone, unter der Hoheit der palästinensischen Autonomie-Behörde) in eines der Dörfer einige Kilometer entfernt (in der C-Zone unter der Hoheit der israelischen Armee). Ich wurde in einem der Autos platziert zusammen mit drei jungen Palästinensern, einem der Brüder des Bräutigams und zwei seiner Freunde. Nur ich hatte mich vorschriftsmäßig angeschnallt. Was ich nicht bereuen sollte. Die dem Fest entsprechende Hochstimmung steigerte sich während der wilden Fahrt zum Dorf der Braut zu riskanter Ausgelassenheit. Aber das Lachen in unserem Auto nahm mitten auf der Strecke ein jähes Ende. Zwei israelische Soldatinnen pickten unseren Wagen aus dem Korso heraus und forderten den Fahrer auf, am gegenüber liegenden Straßenrand neben einem Militär Jeep anzuhalten. Das Bild der Demütigung vergesse ich nicht. Die (vielleicht achtzehnjährigen) Mädchen mit vorgehaltenem Maschinengewehr vor diesen drei baumlangen arabischen jungen Männern.  „Ausweise!“ Ein sogenannter „Mobiler Checkpoint“. Hunderte gibt es davon in der Westbank. Die Kopie meines Reisepasses und Visums reichte, ihr Interesse an mir zu verlieren. Die Ausweise der drei Palästinenser kassierten sie. Zwei. Einer hatte seinen Ausweis nicht dabei. Aber das war kein Problem. Dass sie nicht angeschnallt waren, auch das interessierte sie nicht. Auch nicht die schnelle riskante Fahrweise oder der Lärm. Nein. Es gab nur einen Grund, das Auto anzuhalten: „Lasst sie unsere Präsenz spüren!“ So macht man das also.Die beiden Ausweise verschwanden im Jeep. Nach einer Weile stieg ich aus. Das ließ auch den Commander, Anfang dreißig, aus dem Jeep austeigen. Woher ich käme, fragte er betont freundlich. Es war kaum zu übersehen, dass ihm meine Zeugenschaft dieses Vorgangs peinlich war. „Wir sind Gäste einer Hochzeit auf dem Weg, die Braut heimzuholen. Hier

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ist einer der Brüder des Bräutigams. Darum sind wir in Eile.“ „Es ist nur eine Verkehrskontrolle“, entschuldigte er sich kleinlaut. Die Hoffnung, dass meine Anwesenheit den Vorgang verkürzen könnte, erwies sich als falsch. Nicht nur die Soldaten auch die drei Palästinenser schienen in solchen Ereignissen geübt. Sie boten dem Soldaten Zigaretten und einen Softdrink an, den sie schnell am Kiosk gekauft hatten. Sie wussten, man muss die Soldaten bei Laune halten. Sonst droht Schlimmeres. Herablassend rauchte der Commander eine Zigarette mit ihnen. Ich inspizierte derweil den offen stehenden Jeep. Der im Auto fest montierte Laptop war geschlossen. Das Telefon lag auf dem Sitz. Hinter dem Steuer langweilte sich ein achtzehnjähriger Knabe. Dass hier irgendetwas gecheckt wurde, war jedenfalls nicht sichtbar. Zwanzig Minuten dauerte es, bis eine Soldatin die beiden Ausweise zurückgab.Wir waren keine hundert Meter gefahren, da kam uns der Autokorso mit dem Brautwagen an der Spitze entgegen. „Sch…!“, rief ich spontan und ungeniert. Die Anwesenden verstanden ja kein Deutsch. Die drei jungen Männer aber blieben erstaunlich gelassen. Das war allerdings nur die Oberfläche. Die Fahrweise verriet den Adrenalinstoß. Sie wendeten und versuchten dann immer wieder in die Pole Position hinter dem Brautwagen zu kommen. Nie im Leben war ich so riskanten Verkehrsmanövern ausgesetzt wie auf dieser Fahrt.Es heißt, das System der Mobilen Checkpoints diene der Sicherheit Israels und verhindere den Terrorismus. Wie vernagelt in die eigene Ideologie und wie gebannt von der Angst vor den anderen muss man eigentlich sein, um nicht zu sehen, dass solche Demütigungen aggressiv machen und solche Aktionen den Terrorismus geradezu produzieren. Ich jedenfalls bin mir nicht sicher, ob solche ständigen Erfahrungen mich nicht dazu bringen würden, meiner Wut und meinem Zorn auch anders Luft zu machen als durch riskante Fahrweise.