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64 HMD 290 Albert Fleischmann, Werner Schmidt, Christian Stary, Martina Augl Agiles Prozessmanagement mittels Subjektorientierung Ein einheitliches Prozessmodell als Dreh- und An- gelpunkt sämtlicher Business-Process-Manage- ment-(BPM-)Aktivitäten und die intensive Einbe- ziehung relevanter Stakeholder in den organisa- tionalen Entwicklungsprozess werden vermehrt als positive Faktoren für Agilität diskutiert. Dieser Beitrag zeigt auf, wie der Ansatz des subjektorien- tierten Prozessmanagements (S-BPM) diese bei- den Aspekte adressiert und welche Potenziale daraus für Agilitätssteigerungen in Organisatio- nen erwachsen. Inhaltsübersicht 1 Agilität als Herausforderung im Prozessmanagement 2 Beiträge der Subjektorientierung zur Agilitätssteigerung 2.1 Subjektorientiertes Prozessmanagement 2.2 Modellzentriertheit und Stakeholder- Einbindung als Agilitätsfaktoren 2.3 Nicht lineare Organisationsentwicklung als Agilitätsfaktor 3 Fallbeispiel aus dem Gesundheitswesen 4 Entwicklungspotenziale 5 Literatur 1 Agilität als Herausforderung im Prozessmanagement Vor allem in Branchen mit dynamischen Märk- ten und hoher Wettbewerbsintensität müssen Unternehmen proaktiv handeln und ihre Ge- schäftsprozesse in Echtzeit an wechselnde Um- weltbedingungen anpassen, um Wettbewerbs- vorteile aufbauen und nachhaltig sichern zu können. Die dazu nötige Agilität hängt maßgeblich von der Fähigkeit der Organisation ab, sich nicht nur auf der strategischen, sondern auch auf der operativen Ebene im Rahmen der sich ändern- den Umwelt weiterzuentwickeln. Im Mittel- punkt stehen dabei die Agilität der Geschäfts- prozesse als Mittel der Strategieimplementie- rung und die Agilität der die Prozesse unterstützenden IT [Reichert & Weber 2012]. Erstere umfasst die flexible, zeitnahe Neu- und Umgestaltung der Prozesse durch das Hinzufü- gen oder Ändern von fachlichen Funktionen [Raschke 2007]. Letztere stellt u.a. darauf ab, diese veränderten fachlichen Anforderungen sehr schnell in IT-Lösungen umzusetzen [Nissen et al. 2012]. Agilität vereint folglich in beiden Domänen Flexibilität und Veränderungsge- schwindigkeit. Die angestrebte Agilität im Geschäftspro- zessmanagement erstreckt sich auf sieben Bün- del von Aktivitäten, die sich als Träger prozess- geleiteter Organisationsentwicklung heraus- kristallisiert haben (vgl. Abb. 1): In der Analyse werden Charakteristika eines Prozesses erho- ben, die in dessen Spezifikation im Rahmen der Modellierung einfließen. Die Validierung über- prüft die Effektivität des erstellten Modells, d.h., ob mit ihm das gewünschte Prozessergebnis er- zielt wird. Bei der Optimierung geht es um die Effizienz, also um den z.B. per Simulation ermit- telten optimalen Ressourceneinsatz zur Zieler- reichung. Schließlich ist das Modell in die vor- handene Organisation und deren IT-Infrastruk- tur einzubetten. Dies bedeutet, den Aktivitäten im Ablaufmodell konkrete Aufgabenträger aus der Aufbauorganisation zuzuordnen, das Mo- dell in einen computergestützten Workflow umzusetzen und benötigte Applikationen zu in- tegrieren. Im laufenden Betrieb wird die Prozess- ausführung im Rahmen des Monitorings über- wacht, um Soll-Ist-Abweichungen bei definier-

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Albert Fleischmann, Werner Schmidt, Christian Stary, Martina Augl

Agiles Prozessmanagement mittels Subjektorientierung

Ein einheitliches Prozessmodell als Dreh- und An-gelpunkt sämtlicher Business-Process-Manage-ment-(BPM-)Aktivitäten und die intensive Einbe-ziehung relevanter Stakeholder in den organisa-tionalen Entwicklungsprozess werden vermehrtals positive Faktoren für Agilität diskutiert. DieserBeitrag zeigt auf, wie der Ansatz des subjektorien-tierten Prozessmanagements (S-BPM) diese bei-den Aspekte adressiert und welche Potenzialedaraus für Agilitätssteigerungen in Organisatio-nen erwachsen.

Inhaltsübersicht1 Agilität als Herausforderung im

Prozessmanagement2 Beiträge der Subjektorientierung zur

Agilitätssteigerung2.1 Subjektorientiertes

Prozessmanagement2.2 Modellzentriertheit und Stakeholder-

Einbindung als Agilitätsfaktoren2.3 Nicht lineare Organisationsentwicklung

als Agilitätsfaktor3 Fallbeispiel aus dem Gesundheitswesen4 Entwicklungspotenziale5 Literatur

1 Agilität als Herausforderung im Prozessmanagement

Vor allem in Branchen mit dynamischen Märk-ten und hoher Wettbewerbsintensität müssenUnternehmen proaktiv handeln und ihre Ge-schäftsprozesse in Echtzeit an wechselnde Um-weltbedingungen anpassen, um Wettbewerbs-vorteile aufbauen und nachhaltig sichern zukönnen.

Die dazu nötige Agilität hängt maßgeblichvon der Fähigkeit der Organisation ab, sich nicht

nur auf der strategischen, sondern auch auf deroperativen Ebene im Rahmen der sich ändern-den Umwelt weiterzuentwickeln. Im Mittel-punkt stehen dabei die Agilität der Geschäfts-prozesse als Mittel der Strategieimplementie-rung und die Agilität der die Prozesseunterstützenden IT [Reichert & Weber 2012].Erstere umfasst die flexible, zeitnahe Neu- undUmgestaltung der Prozesse durch das Hinzufü-gen oder Ändern von fachlichen Funktionen[Raschke 2007]. Letztere stellt u.a. darauf ab,diese veränderten fachlichen Anforderungensehr schnell in IT-Lösungen umzusetzen [Nissenet al. 2012]. Agilität vereint folglich in beidenDomänen Flexibilität und Veränderungsge-schwindigkeit.

Die angestrebte Agilität im Geschäftspro-zessmanagement erstreckt sich auf sieben Bün-del von Aktivitäten, die sich als Träger prozess-geleiteter Organisationsentwicklung heraus-kristallisiert haben (vgl. Abb. 1): In der Analysewerden Charakteristika eines Prozesses erho-ben, die in dessen Spezifikation im Rahmen derModellierung einfließen. Die Validierung über-prüft die Effektivität des erstellten Modells, d.h.,ob mit ihm das gewünschte Prozessergebnis er-zielt wird. Bei der Optimierung geht es um dieEffizienz, also um den z.B. per Simulation ermit-telten optimalen Ressourceneinsatz zur Zieler-reichung. Schließlich ist das Modell in die vor-handene Organisation und deren IT-Infrastruk-tur einzubetten. Dies bedeutet, den Aktivitätenim Ablaufmodell konkrete Aufgabenträger ausder Aufbauorganisation zuzuordnen, das Mo-dell in einen computergestützten Workflowumzusetzen und benötigte Applikationen zu in-tegrieren. Im laufenden Betrieb wird die Prozess-ausführung im Rahmen des Monitorings über-wacht, um Soll-Ist-Abweichungen bei definier-

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ten Kennzahlen zu erkennen und einer Analysezuzuführen.

Die genannten Aktivitätsbündel sind tradi-tionell zumeist in Phasenmodellen oder Lebens-zyklen angeordnet (vgl. z.B. [Schmelzer &Sesselmann 2010]). Diese sehen im Regelfalllineares Fortschreiten, wie beispielsweise Analyse

Modellierung Validierung Implemen-tierung, ohne Rückkopplung vor, das nur einenWeg zur Erstellung und Umsetzung von Ge-schäftsprozessen erkennen lässt. Ein Übergangauf die nächsthöhere Stufe der Organisations-entwicklung wird erst möglich, wenn eine kom-plette Phase abgeschlossen ist. Markiert wird erin der Regel vom Aktivitätsbündel Betrieb undMonitoring, in dem die Prozessabwicklung inder vorher modellierten und implementiertenUmgebung im Echtbetrieb beobachtet wird.Die Analyse der mit der Veränderung bewirktenEffekte bildet dann den Einstieg in den nächs-ten BPM-Zyklus. Die fett formatierten Pfeile imlinken Teil von Abbildung 1 zeigen diesen rein li-nearen Verlauf der Organisationsentwicklung.

Rückkopplungen von jeder Aktivität zu eineroder mehreren vorangestellten Aktivitäten da-gegen erlauben es, in kleinen oder großen

Schleifen zurückzusteigen und während desOrganisationsentwicklungsprozesses gewon-nene Erkenntnisse möglichst direkt umzuset-zen. Solche nicht linearen Pfade können sukzes-sive zu Reifegradzuwächsen führen, ohne je-weils den Prozesslebenszyklus komplettdurchlaufen zu müssen. Dies wird durch die fettformatierten Pfeile im rechten Teil von Abbil-dung 1 verdeutlicht. Sie müssen nicht wie linksauf einer Linie verlaufen, die praktisch Ende (Be-trieb und Monitoring) und Anfang (Analyse)aufeinanderfolgender Zyklen verbindet. Viel-mehr können sie auch von einem Aktivitätsbün-del einer Stufe, das vor Betrieb und Monitoringliegt, direkt zu einer anderen als der Analyseak-tivität auf einer höheren Ebene führen. Hierzeigt sich die Agilität bereits in der nicht linea-ren Abfolge der Bündel [Mugridge et al. 2011].Wird beispielsweise eine beteiligte Stelle beider Analyse nicht berücksichtigt, die aber beider Modellierung erforderlich ist, dann erlaubtdas Zurücksteigen in die Analyse eine entspre-chende Vervollständigung. Idealerweise ent-steht größtmögliche Flexibilität im Umgangmit Aktivitätsbündeln, wenn diese in einem sol-chen offenen, organisationsgerecht verzahnten

Analyse

Validierung

ModellierungBetrieb und Monitoring

Einbettung

Analyse

Validierung

ModellierungBetrieb und Monitoring

Einbettung

Analyse

Validierung

Optimierung

Modellierung Betrieb und Monitoring

Einbettung

Analyse

Optimierung

ModellierungBetrieb und Monitoring

Einbettung

Analyse

Validierung

Optimierung

Betrieb und Monitoring

Analyse

Validierung

Optimierung

Modellierung

Einbettung

Optimierung

Validierung

Modellierung

Betrieb und Monitoring

Optimierung Einbettung

Abb. 1: Lineare und nicht lineare Organisationsentwicklung

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Entwicklungsprozess situativ in wahlfreier Ab-folge ausgeführt werden können.

Einen weiteren Aspekt von Agilität betref-fen die Inhalte, die entlang der Entwicklungs-schritte entstehen, also Modelle, validierteModelle, IT-Implementierungen etc. Diese Pers-pektive kann nicht unabhängig von den Aktivi-tätsbündeln betrachtet werden und wird vonmehreren Faktoren im Sinne organisationalerEntwicklung beeinflusst, insbesondere von derRolle des Modells und von der Einbindung derStakeholder [Petti & Klein 2010]. Wie dies kon-kret in Organisationen umzusetzen ist, ist nochunklar [Macaset et al. 2011]. Zur Diskussion ge-stellt wurden bislang Anknüpfungspunkte, dienicht unmittelbar zu BPM zu zählen sind, etwadie Kennzahlensystementwicklung, sowieRichtlinien, die beispielsweise die Beteiligungvon Betroffenen an der Modellierung erleich-tern.

Methodisch herrscht bei der Berücksichti-gung dieser Faktoren noch keine Übereinstim-mung [Macaset et al. 2011]. Neuere Ansätze su-chen nach bestimmenden Kontextfaktorenbzw. Richtlinien des Vorgehens [Witschel et al.2010]. Neben der Klärung von Rollen ist die Posi-tionierung von Modellen im Sinne von vollstän-digen Ankerpunkten von Bedeutung. Gelingt es,IT-spezifische Merkmale, wie etwa den erfor-derlichen Kontrollfluss zwischen Akteuren, imModell mitzuführen, kann der Agilität im Sinneder größtmöglichen Flexibilisierung in EchtzeitRechnung getragen werden. Dies erfordert al-lerdings den engen Bezug von BPM zu Stakehol-dern bzw. Rollen von Nutzern [Gong & Janssen2012]. Sind diese (auch als Nicht-BPM-Experten)in der Lage, bestimmte Aktivitäten direkt aus-zuführen bzw. zu unterstützen, erfordert dieskeine Mittler mehr (z.B. Organisationsentwick-ler als Modellierer), die entsprechende Überset-zungsleistungen erbringen und damit Aufwandverursachen würden.

Gelingt es folglich, zum einen die Modellbil-dung als zentrale Aktivität des BPM, und damit

ein Prozessmodell als Referenzpunkt für dieAnalyse über die Validierung, Umsetzung undOptimierung, zu etablieren und zum anderendie Stakeholder umfassend in den Organisations-entwicklungsprozess einzubeziehen, dann istdie Unmittelbarkeit von Veränderungen derProzesse nach mehreren Seiten und damit hoheAgilität gegeben:

! Stakeholder können sich direkt an der Ent-wicklung beteiligen und erfahren direktesFeedback.

! IT-Experten können nicht nur die Analyse undUmsetzung, sondern auch die Optimierungverstehen lernen.

! Organisationsentwickler sehen bei automati-scher Umsetzung der Modelle in Workflowsdirekt die Wirkung auf die Organisation, be-vor diese tatsächlich implementiert werden.

! Simulationen basieren auf reflektierten Mo-dellen, da diese in den jeweiligen Phasen derEntwicklung (Analyse, Validierung etc.) ziel-gerichtet bearbeitet werden.

Ziel dieses Beitrags ist es, die zentralen Beiträgedes subjektorientierten Ansatzes des Ge-schäftsprozessmanagements (S-BPM) zur Errei-chung von Prozessflexibilität in Echtzeit, undzwar durch Modellzentriertheit und Stakeholder-Einbindung als Agilitätsfaktoren, vorzustel-len. Im weiteren Verlauf folgt dazu nach einerkurzen Charakterisierung von S-BPM (vgl. Ab-schnitt 2.1) die Erläuterung, welche Rolle dieModellbildung und die Beteiligung der Stake-holder bei diesem Konzept spielen und welchePotenziale sich daraus für die Agilität in den ein-zelnen Aktivitätsbündeln des Prozessmanage-ments (vgl. Abschnitt 2.2) und in der Organisa-tionsentwicklung als Ganzem (vgl. Abschnitt 2.3)ergeben. Ein Fallbeispiel in Abschnitt 3 illustriertdas subjektorientierte Veränderungsmanage-ment in Ausschnitten, ehe Entwicklungspoten-ziale den Beitrag abschließen.

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2 Beiträge der Subjektorientierung zur Agilitätssteigerung

2.1 Subjektorientiertes Prozessmanagement

GrundgedankeMit der Fokussierung auf die Akteure in Prozes-sen (Subjekte) und deren aufgabenbezogeneKommunikation wechselt das subjektorientierteProzessmanagement die Perspektive von einerrein funktionsgetriebenen Sicht hin zur Perspek-tive der Stakeholder. Prozesshandelnde beschrei-ben ihre Interaktionen und ihr Verhalten bei derProzessabwicklung, können beides mithilfe einesausführbaren Modells unmittelbar auf Richtig-keit überprüfen und gegebenenfalls sofort imModell verbessern [Fleischmann et al. 2011]. AlleProzessbeteiligten können somit direkt an derOrganisationsentwicklung partizipieren.

NotationMöglich ist dies, da die S-BPM-Notation einer-seits auf der natürlichen Sprache mit komplet-ten Sätzen aus Subjekt, Prädikat und Objekt(Standardsatzsemantik) basiert. Sie kommt inihrer grafischen Ausprägung mit vergleichswei-se wenigen Symbolen aus (vgl. Abb. 2 und 3)und kann von Menschen intuitiv und ohnegroßen kognitiven Übersetzungsaufwand ver-standen werden. Zugrunde liegt andererseitseine Prozessalgebra mit eindeutiger formaler

Semantik, sodass eine geeignete Software einS-BPM-Modell mit den darin spezifizierten In-teraktionen (Nachrichtenaustausch) und Ver-halten (Aktionen) der Subjekte sofort ausführenkann. Der S-BPM-Ansatz hebt die klassischeTrennung von fachlichem und IT-Modell auf. Esexistiert nur ein gemeinsames Modell für alleStakeholder, das von Details der Einbettung desProzesses in die IT und in die (Aufbau-)Organi-sation abstrahiert und diese in die Implemen-tierung verlagert. Wesentliche Modellbestand-teile sind das Subjektinteraktionsdiagrammund das Subjektverhaltensdiagramm. Ein einfa-ches Beispiel dient der Illustration: In einem Un-ternehmen können Mitarbeiter Anträge zuDienstreisen (DR) stellen, über die die vorge-setzte Stelle entscheidet. Diese informiert denAntragsteller über die Entscheidung und leitetden Antrag bei Genehmigung der Reisestellezur weiteren Bearbeitung zu. Abbildung 2 zeigtdas Interaktionsdiagramm mit den beteiligtenSubjekten und den zwischen ihnen ausge-tauschten Nachrichten.

Für jedes Subjekt ist sein Verhalten mithilfedreier Zustände und Übergänge zwischen die-sen zu spezifizieren: Senden (Sendezustand),Empfangen (Empfangszustand) und Tun (Funk-tionszustand). In Abbildung 3 ist das Verhaltenvon Antragsteller (links) und Vorgesetztem(rechts) zu sehen, das Subjekt Reisestelle ist ent-sprechend modelliert.

Legende: Subjekt Nachricht

Abb. 2: Subjektinteraktionsdiagramm für Dienstreiseantragsprozess

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RollendifferenzierungMit Blick auf die Einbeziehung der Stakeholderdefiniert S-BPM vier Rollen, die die partizipativeOrganisationsentwicklung tragen und dazudienen, den Metaprozess des Prozessmanage-ments selbst subjektorientiert zu gestalten.Governors (Verantwortliche) schaffen die Rah-menbedingungen für die BPM-Aktivitäten (u.a.Compliance). Sie konzentrieren sich auf Ein-flussfaktoren, die für Veränderungsprozesse re-levant sind, wie die Wettbewerbskräfte oderstrukturelle Besonderheiten der Organisation.Governors können auf allen Hierarchieebenen

existieren, ihr Wirkungskreis erstreckt sich vonder strategischen bis hin zur operativen Ebene.Governors adressieren alle BPM-Stakeholder inAngelegenheiten der Organisationsentwick-lung. Beispiele sind Vertreter der Geschäftsfüh-rung, des mittleren Managements oder Pro-zesseigner. Actors (Arbeitshandelnde) führenProzesse aus. Dabei manipulieren sie Ge-schäftsobjekte und interagieren, um Leistun-gen und Services zu erbringen. Sie können Or-ganisationsentwicklungsschritte nicht nur an-stoßen, sondern diese mit Unterstützung vonExperts und Facilitators auch selbst gehen. Ex-

Legende: Funktionszustand Sende-zustand

Empfangs-zustand

Zustandsübergang

Abb. 3: Subjektverhaltensdiagramme für Antragsteller und Vorgesetzten

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perts (Fachspezialisten) sind Domänenspezia-listen wie Prozessberater oder IT-Architekten.Sie werden von den anderen Rollen einbezogen,wenn Bedarf an ihrer Expertise besteht. Facilita-tors (organisationale Entwicklungsbegleiter)begleiten den Veränderungsprozess als Mode-ratoren und falls nötig als Mediatoren. Als Kata-lysatoren der organisationalen Entwicklungfungieren sie im Sinne einer Wissensdrehschei-be, binden die situativ richtigen Rollen ein undfördern die Kommunikation unter den Stake-holdern. Typische Facilitators in der Praxis sinderfahrene Projektleiter und Coaches.

2.2 Modellzentriertheit und Stakeholder-Einbindung als Agilitätsfaktoren

In Abschnitt 1 wurden die Einbindung der Stake-holder und die zentrale Rolle des Modells als Re-ferenzpunkt für die anderen BPM-Aktivitätenals Agilitätsfaktoren identifiziert. S-BPM trägtdiesem Gedanken in vielerlei Hinsicht Rech-nung. Dies wird im Folgenden bezogen auf dieAktivitätsbündel ausgeführt. Abbildung 4 visu-

alisiert die zentrale Stellung des Modells, diegleichzeitig die Notwendigkeit der Rollendiffe-renzierung nach den in Abschnitt 2.1 genanntenStakeholder-Kategorien erfordert.

Analyse, Modellierung, Validierung und OptimierungDie in Abschnitt 2.1 vorgestellte einfache Notationlselbst und aus ihrer Sicht mit ihrem Prozess- undDomänenwissen zu analysieren und zu model-lieren. Bei dieser Beschreibung ihres Verhaltensexternalisieren die Beteiligten ihr Prozesswissenalso selbst. Dabei dürfte aufgrund der unmittel-baren Mitgestaltung die Wahrscheinlichkeit,dass fehler- und lückenhaft modelliert wird, we-sentlich geringer sein als bei herkömmlichenVorgehensweisen, wo Methodenexperten Pro-zessinformationen von den Beteiligten erfragen,dann in Modelle umsetzen und diese anschlie-ßend wieder mit den Befragten mittels konven-tionellen Durchgehens auf Papier oder am Bild-schirm auf ihre Richtigkeit überprüfen.

Analyse

Modellierung Validierung

Optimierung

Einbettung(Organisation, IT)

Betrieb und Monitoring

S-BPM-Modell

Abb. 4: Modell und Stakeholder-Einbindung als Drehscheibe der Organisationsentwicklung in S-BPM

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Das erarbeitete S-BPM-Modell können die Ak-teure außerdem wegen seiner Ausführbarkeitsofort und ohne Einschaltung von IT-Expertenin einer automatisch generierten Laufzeitum-gebung verteilt und interaktiv validieren[Schmidt et al. 2009]. Sie überprüfen dabei inihren operativen Rollen die Effektivität des be-schriebenen Ablaufs, insbesondere, ob alle er-forderlichen Beteiligten (Subjekte) berücksich-tigt sind und ob die ausgetauschten Nachrich-ten, deren Inhalte (vgl. Abb. 2) sowie dieArbeitsschritte der Subjekte (Verhalten) (vgl.Abb. 3) vollständig und ausreichend genau imSinne von Handlungsanleitungen beschriebensind. Etwaige Unzulänglichkeiten können so-fort im Modell korrigiert und die Änderungenerneut validiert werden.

Die aktive Beteiligung der Stakeholderführt, im Vergleich zu einer eher passiven Rolleals befragte Informationsquelle bei Interviews,zu einer Steigerung der Motivation, Akzeptanzund Verantwortlichkeit. Sie erlaubt den Aufbaueiner Beteiligungskultur, die aus Sicht der Mitar-beiter die Zufriedenheit steigern kann, weil dieseihre eigene Arbeit maßgeblich mitgestalten undsich stärker als üblich einbringen können. Füreine Organisation kann sie sich in höherer Verän-derungsbereitschaft (geringere »resistance tochange«, weniger »not invented here«) ebensoniederschlagen wie in der Chance, wertvolleOptimierungsimpulse und Ideen für die Prozess-gestaltung quasi als User Generated Content vonden Mitarbeitern zu bekommen [Kurz 2012].

Die zentrale Bedeutung des Modells setztsich bei der Optimierung fort. Wie bereits ge-zeigt, sind Modelle der wesentliche Bearbei-tungsgegenstand in den verschiedenen Ent-wicklungsphasen und werden dort aus vielenPerspektiven betrachtet. Das Ergebnis sind ein-gehend und vielfältig reflektierte Modelle, dieeine solide Grundlage für Simulationen bilden.Dies kann die Zeit verkürzen bis zur simulations-gestützten Identifikation effizienzsteigernderVerbesserungen des Prozessdesigns und damitdie Agilität steigern.

Die Einbindung der Stakeholder und dieKonzentration auf das Modell fördern die Ver-änderungsgeschwindigkeit vom Auslösen desVeränderungsprozesses bis zum validiertenbzw. optimierten Modell. Beteiligte erkennenVerbesserungsbedarfe und -potenziale frühzei-tig im Vergleich zu periodischen Assessmentsund können schnell und selbstständig entspre-chende Änderungen am Modell vornehmen.Mögliche Fehler können die Stakeholder schnellund frühzeitig erkennen und beheben, weil siedie Konsequenzen der Modifikationen umge-hend in einer realistischen Laufzeitumgebungausprobieren können, anstatt sie nur bei einer»Trockenübung« auf Papier oder an einer »Pro-zesstapete« an der Wand nachzuvollziehen. Beieiner konventionellen Vorgehensweise oft erstzu einem späteren Zeitpunkt, z. B. bei der IT-Implementierung, entdeckte Fehler und Lückenerfordern dagegen aufwendige Rückkopplun-gen sowie Nacharbeit und verlangsamen denVeränderungsprozess.

Einbettung in die ITDas gemeinsame Modell für alle Stakeholderbildet die Grundlage für ein einheitliches Pro-zessverständnis von Fachabteilung und IT underspart zeit- und kostenintensive Abstimmrun-den zwischen diesen. Es verhindert die in derPraxis häufig auftretenden Inkonsistenzen, dieentstehen, wenn Änderungen am IT-Modellnicht oder nur zeitverzögert im Fachmodellnachgehalten werden und umgekehrt. Der beiS-BPM geringere bzw. wegfallende Aufwand fürdie Abstimmung und Konsistenzsicherung derModelle steigert die Agilität auf dem Weg vomfachlichen Modell zum Workflow (verkürzteTime-to-Execution).

Mit der bereits angesprochenen Ausführ-barkeit bildet das gemeinsame S-BPM-Modellden zentralen Ausgangspunkt auch für die IT-Implementierung des darin beschriebenen Pro-zesses. In seiner validierten Version stellt es ei-nen Zwischenstand dar, dessen Effektivität be-züglich des gewünschten Prozessergebnisses

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bereits nachgewiesen ist. Aus ihm kann geeig-nete Software automatisiert einen Workflowerzeugen, der die Abarbeitung von Instanzendurch die Process Engine im Echtbetrieb steu-ert. Zusätzliche Programmierung beschränktsich auf die Integration von Applikationen, diezur Instanzbearbeitung nötig sind, also etwadie Schaffung von Schnittstellen zu einemEnterprise-Resource-Planning-(ERP-)System.Bereits bei der Validierung lässt sich beispiels-weise überprüfen, ob alle zur Versorgung sol-cher Schnittstellen nötigen Daten im jeweiligenBearbeitungsschritt vorhanden sind, sodasseine rasche Implementierung möglich ist. Tem-plates können Realisierungsaufwand und -zeitebenso relativieren wie das Einbinden eines En-terprise Service Bus, der im Regelfall Adapter zueiner Vielzahl marktgängiger Anwendungssys-teme vorhält. Prozessänderungen, die sich aufdie Beteiligten, ihre Kommunikation und ihrVerhalten beziehen (z.B. Involvierung eines wei-teren Subjekts, Hinzufügen oder Entfernen vonNachrichten oder Arbeitsschritten), bedürfenlediglich einer entsprechenden Modifikation imModell. Diese kann wieder ohne Programmie-rung validiert und in einen Workflow umge-setzt werden.

Mit der Codegenerierung aus der Prozess-spezifikation ermöglicht S-BPM einen effizien-ten Übergang vom Modell zur prozessunter-stützenden Workflow-Software. Dies trägt mitdem gemeinsamen Verständnis von Fach- undIT-Experten zu einer weiteren Verkürzung derDauer von Veränderungen bis zu deren Aus-führbarkeit im operativen Betrieb bei.

Einbettung in die OrganisationEbenso wie die IT-Implementierung entkoppeltS-BPM organisatorische Implementierungsspe-zifika vom Modell. Eine Abbildung der abstrak-ten Subjekte des Modells auf konkrete Subjekt-träger in der vorhandenen Aufbauorganisationerfolgt erst durch die organisatorische Einbet-tung des Prozesses. Bei der Zuordnung Subjekte‡ Rollen ‡ Gruppen ‡ Personen kann man Ver-

zeichnisdienste wie LDAP (Lightweight DirectoryAccess Protocol) nutzen. Die im Modell enthal-tene Abstraktion von konkreten Aufgabenträ-gern bewirkt hohe Flexibilität bei aufbauorga-nisatorischen Änderungen. Im Idealfall mussder Organisator nur die Subjektzuordnung än-dern. Analog gilt dies für die Einbettung einesProzesses in mehrere voneinander abweichendaufgebauten Organisationsstrukturen, etwa inverschiedenen Niederlassungen.

Betrieb und MonitoringDas ausführbare S-BPM-Modell als Ausgangs-punkt für den Workflow spielt auch hinsichtlichder Agilität bei der Ausführung eine bedeuten-de Rolle. Die subjektorientierte Sprache bieteteine Reihe von Möglichkeiten, ein Modell so zugestalten, dass die Akteure (Menschen, Syste-me) später bei der Ausführung sehr agil mitdem zur Laufzeit konkret vorliegenden Instanz-bzw. Fallkontext umgehen können [Fleisch-mann et al. 2011].

Eine Möglichkeit ist, das Verhalten einesSubjekts (vgl. Abb. 3) als »Blackbox« zu model-lieren und lediglich seine Kommunikation, alsoden Input und Output, durch Nachrichtenaus-tausch zu spezifizieren. Wie das Subjekt mithil-fe des Inputs den gewünschten Output erzeugt,bleibt dem Akteur überlassen, der das Subjektzu Laufzeit repräsentiert.

Neben dieser Möglichkeit, außer dem Nach-richtenaustausch gar kein Verhalten vorzudefi-nieren, erlaubt die S-BPM-Notation, »weiches«Verhalten von Subjekten zu modellieren. Dasdafür vorgesehene Sprachkonstrukt der Wahl-freiheit basiert auf Alternativklauseln [Fleisch-mann et al. 2011, S. 145 ff.]. Der Modellierer kannes einsetzen, wenn er keine strikte Reihenfolgevon Aktivitäten vorgeben, sondern vielmehrdem Arbeitshandelnden/Ausführenden zurLaufzeit Handlungs- und Entscheidungsspiel-raum einräumen möchte, um Situationsbezügeeffektiv abzubilden.

Mit dem Konzept der Ausnahmebehandlungschließlich kann der Modellierer Prozessfolgen

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gestalten, die beim Eintreffen einer entspre-chenden Nachricht (z.B. Storno einer Bestel-lung) zu irgendeinem Zeitpunkt während derBearbeitung einer Instanz durchlaufen werden[Fleischmann et al. 2011, S. 147 ff.]. Dieses Kon-strukt eignet sich zur dynamischen Verände-rung von Subjektverhalten zur Laufzeit und un-terstützt das Event Processing, das als Konzeptund Technologie zur Steigerung der Agilität vonOrganisationen gesehen wird. Event-Processing-Lösungen helfen, aus der Vielzahl der perma-nent von den IT-Applikationen im laufenden Be-trieb erzeugten einzelnen und für sich gesehenunbedeutenden Fakten wertvolle Informationzur Entscheidungsunterstützung zu generieren.Hierzu filtern, aggregieren und kombinierenEvent-Prozessoren situationsrelevante Datenund leiten daraus regelbasiert Aktionen ab, wieden Start weiterer Prozessinstanzen, die Modifi-kation laufender Instanzen oder die Anzeigevon Statusmeldungen auf einem Dashboard.Die Verknüpfung dieser Verarbeitung von Ereig-nissen quasi in Echtzeit mit der Ausführung vonProzessinstanzen durch Workflow-Engines wirdals Event-driven BPM (EdBPM) bezeichnet (vgl.z.B. [von Ammon et al. 2010]). S-BPM bietet mitder Synchronisation der Subjekte über Nach-richten eine sehr gute Basis für EdBPM-Lösun-gen. Mit dem Konzept der Ausnahmebehand-lung unterstützt es insbesondere auch den Um-gang mit nicht deterministischen Ereignissen,also Events, von denen unklar ist, ob sie eintre-ten und – wenn ja – in welchem Stadium einerInstanzbearbeitung sie eintreten (z.B. Storno ei-ner Bestellung) [Fleischmann et al. 2013]. Event-Prozessoren können als Subjekte in das Modellintegriert, von anderen Subjekten mit Parame-tern (z.B. Filterkriterien) versorgt werden undErgebnisse an andere Akteure melden und die-se damit zu Handlungen veranlassen. Mit die-sen Eigenschaften erlaubt S-BPM den modell-getriebenen Aufbau einer Prozessausführungs-umgebung, die flexibel auf Ereignisse zurLaufzeit reagieren kann.

Mit den geschilderten Möglichkeiten kannder Modellierer den Subjektrepräsentanten be-wusst Freiheitsgrade bei der Aufgabenerledi-gung einräumen, die zu einer Steigerung derFlexibilität im Rahmen der Ausführung beigleichzeitigem Erhalt der Konformität mit demModell führen. Dies ist auch deshalb bedeut-sam, weil in der Praxis oft Ausführungsdetails(z.B. Aktivitätsfolgen) zum Zeitpunkt der Mo-dellierung noch gar nicht bekannt sind. Wegenseiner Kommunikationsorientierung und denMöglichkeiten zur »weichen« Modellierung istder S-BPM-Ansatz nicht nur für Workflows zurAbbildung stark strukturierter, standardisierterProzesse, sondern auch für wenig strukturierte,kommunikationsintensive Prozesse im Sinnedes Adaptive Case Management geeignet, beidem Knowledge Worker mit ihrer Expertise si-tuativ Entscheidungen treffen und beispiels-weise zusätzliche Akteure einbeziehen.

2.3 Nicht lineare Organisationsentwicklung als Agilitätsfaktor

Die Subjektorientierung mit ihren in Abschnitt2.2 angesprochenen Beiträgen zur Agilitätsstei-gerung wirkt nicht nur positiv auf die Teilaktivi-täten des BPM-Lebenszyklus, sondern auch aufdie Organisationsentwicklung in ihrer Gesamt-heit, den BPM-Metaprozess. Sie erlaubt es denProzessbeteiligten, Verantwortung für organi-satorische Entwicklung zu übernehmen unddiese dynamisch voranzutreiben. Die rund umdas ausführbare Prozessmodell organisierte in-tensive Einbindung der Stakeholder erlaubt fle-xible und schnelle Übergänge zwischen ver-schiedenen Aktivitätsbündeln, wobei gewon-nene Erkenntnisse das Wissen der Organi-sationsmitglieder und der Organisation alsGanzes stetig und dynamisch anreichern. S-BPMgeht damit über die statische Ansammlung vonWissen im traditionellen BPM hinaus. Wesent-lich für Agilität ist dabei nicht so sehr die Be-ständigkeit eines Prozesses, sondern die Mög-lichkeit der jederzeitigen Änderbarkeit durchdie Arbeitshandelnden in einer Form, sodass er-

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forderliche Änderungen, wie etwa die Anpas-sung einer Planungslogik, gegebenenfalls ohneZeitverlust in den operativen Betrieb überführtwerden können (siehe auch Fallbeispiel in Ab-schnitt 3).

Für die geschilderte Art des Lernens der Or-ganisation ist es nicht mehr nötig, einen kom-pletten Veränderungszyklus linear zu durchlau-fen. Vielmehr können die Beteiligten situations-und wissensabhängig die geeigneten Aktivitä-ten ausführen. Diese Möglichkeit der nicht line-aren Abfolge von Entwicklungsschritten (vgl.Abschnitt 1) fördert die Agilität. Sie ist geeignet,die gesamte Time-to-Execution einer Prozess-veränderung zu verkürzen, ohne dabei die Erfül-lung der fachlichen Anforderungen zu vernach-lässigen. Das Zusammenspiel der vier in S-BPMvorgesehenen Rollen im Kontext geeigneter Go-vernance-Regeln stellt sicher, dass die Entwick-lungsschritte im Einklang mit den übergeord-neten Zielen des Prozesses, der Geschäftsein-heit bzw. des Unternehmens stehen.

3 Fallbeispiel aus dem Gesundheitswesen

Zur Illustration der Wirkweise von S-BPM bei derOrganisationsentwicklung dient ein Beispielaus dem Gesundheitsbereich. Konkret geht esum die Gestaltung des Prozesses zur Einsatzpla-nung von Ärzten in einem Krankenhaus, wobeiein erforderlicher Unterprozess die halbjährli-che Lehreinteilung betrifft [Augl 2012]. DerProzess war ursprünglich gekennzeichnet durcheinen unzureichenden Planungshorizont, derzu mehrfachen Kommunikationsschleifen führ-te. Darüber hinaus erschwerte ein Mangel anTransparenz seitens einzelner Akteure die Pla-nung und Optimierung der Ressourcennutzungaller.

S-BPM wurde zunächst verwendet, um einegemeinsame Kommunikationsbasis für die Ab-stimmung unter den Prozessbeteiligten mitverschiedensten beruflichen Hintergründen(Ärzte, Pflegepersonal, Verwaltung) zu legen.

Ein Subjektinteraktionsdiagramm visualisiertedie Kommunikationsstruktur der beteiligtenSubjekte wie Klinikdirektor, Direktionssekretariat,Geschäftsführender Oberarzt, Ärzte etc. (vgl.Abb. 5). Verhaltensdiagramme für alle Subjektezeigten deren Aktivitäten zur Erledigung ihrerAufgaben.

Auf dieser Basis diskutierten und veränder-ten die Beteiligten gemeinsam mit Methoden-experten und Organisationsentwicklern (Ex-perts und Facilitators) den Prozess direkt amModell bzw. in den Diagrammen und spieltenden modifizierten Ablauf sofort in der Validie-rungsumgebung durch. Nach wenigen Iteratio-nen hatten die Stakeholder in dem gemeinsa-men Lernprozess ein von allen akzeptiertes Mo-dell für die Reorganisation des Prozessesgeschaffen, das unmittelbar zur weiteren Opti-mierung herangezogen werden kann.

Selbst wenn davon auszugehen ist, dassder betrachtete Prozess eher selten anzupas-sen ist, lassen die positiven Erfahrungen mitS-BPM bei seiner grundlegenden Reorganisationvermuten, dass der Ansatz sein Potenzial zurAgilitätssteigerung gerade auch bei häufigererforderlichen Veränderungen im Sinne eineskontinuierlichen Verbesserungsprozesses ent-falten kann. Ein Indiz dafür waren rasch um-gesetzte kleinere Veränderungen in der Kom-munikationsstruktur und im Verhalten einzel-ner Subjekte aufgrund von Lerneffekten beim»Leben« des reorganisierten Beispielprozessesin der täglichen Praxis.

4 EntwicklungspotenzialeWie gezeigt, involviert die Subjektorientierungdie Beteiligten in alle Aktivitätsbündel des Pro-zessmanagements und fördert damit agile par-tizipative Organisationsentwicklung mit Pro-zessmodellen als zentralem »TransformationEnabler«. Seine prinzipielle Praxistauglichkeithat der Ansatz bereits in einer Reihe von Organi-sationen etwa der Automobil-, Elektronik-, Ge-sundheits- oder Finanzdienstleistungsbranche

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nachgewiesen. Startpunkte, Ausgangssituatio-nen und Herangehensweise waren dabei situa-tiv verschieden.

Hier liegt einer der Ansatzpunkte für weite-re wissenschaftliche Betrachtungen und prakti-sche Erprobungen. Eine systematische Evalua-tion der Erfahrungen und Ergebnisse beimPraxiseinsatz soll Verbesserungs- und Erwei-terungspotenziale aufzeigen. OffensichtlicheHandlungsbedarfe liegen etwa bei der Entwick-lung der in Abschnitt 2.3 angesprochenen trag-fähigen Governance-Konzepte für die dezentralund bottom-up vorgenommenen Prozessände-rungen im Rahmen der von S-BPM ermöglich-ten Selbstorganisation. Falls beispielsweise einProzessbeteiligter sein Verhalten in einemModell ändert, gilt es sicherzustellen, dass sichim Rahmen der Validierung alle davon Betroffe-

nen (Stakeholder) abstimmen und die Modifi-kation akzeptieren und verabschieden.

Ebenfalls erkennbar ist die Notwendigkeitvon Transformationshilfen, da die Einführungvon S-BPM eine nicht unerhebliche gedanklicheRichtungsänderung im Prozessmanagementerfordert. Beispielsweise braucht es für die akti-ve Einbeziehung der Beteiligten in die Analyseund Gestaltung von Prozessen neben der vorge-stellten einfachen Syntax auch alternative Mo-dellierungshilfsmittel. Ansätze dafür, an denenbereits gearbeitet wird, sind ein interaktiverStrukturlegetisch mit Bauklötzen oder ein Kar-tenset, die die gemeinschaftliche spielerischeModellierung auch durch methodische Laien er-lauben und gleichzeitig die Verwertung im Hin-blick auf die Umsetzung in Workflows ermögli-chen [Oppl 2011]. Dabei werden Modellierungs-

Abb. 5: Subjektinteraktionsdiagramm für die Kurseinplanung der Ärzte

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ergebnisse von einer Kamera aufgezeichnetund digitalisiert und stehen so unmittelbar fürdie weitere rechnergestützte Bearbeitung zurVerfügung.

Eine Reihe weiterer Entwicklungspotenziale,auch mit Bezug zur Agilität, betreffen Aspekteder Methodik (z. B. End-to-End-Betrachtung,Einführungsstrategien), der Werkzeuglandschaftund -funktionalität oder der Ausbildung. Ent-sprechende Aktivitäten werden unter anderembereits mit der Open-S-BPM-Initiative vorange-trieben. Sie stellt allen Wissenschaftlern undPraktikern eine offene Plattform zur Partizipa-tion mit eigenen Beiträgen zur Verfügung[Fleischmann et al. 2013].

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Dr.-Ing. Albert FleischmannMetasonic AGMünchner Str. 2985276 [email protected]

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Prof. Dr. Christian StaryJohannes Kepler Universität LinzWirtschaftsinformatik, Communications EngineeringFreistädter Str. 315A-4040 [email protected]

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