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aktuell Juni 2010 5. Jahrgang Inhalt Editorial: Mehr Europa wagen 1 _______________________________________________________________________ Bericht aus den Institutionen: Gerät Spanien ins Rutschen?/ Europäische Schuldenbremse/ Kontrolle der Hedgefonds und Bankenabgabe/ Spannungen zwischen Brüssel und Berlin/ Estland bekommt den Euro/ Löhne in Europa -Frankreich als Vorbild/ Europas Wirtschaft wächst zaghaft/ EU präsentiert digitale Agenda/ Arbeitsschutz: Elektromagnetische Felder 2-8 _______________________________________________________________________ dbb in Europa: Ondracek fordert Finanztransaktionssteuer/ Tarifrecht: Altersdiskriminierung im BAT/ Erste Reaktion auf Grünbuch „Europäischer Rahmen für Renten“/ dbb Hessen diskutiert EU-Arbeitsschutz 9-11 _______________________________________________________________________ Neues von der CESI: Neugebauer für EU-Bürgerinitiative/ Solidarität mit den öffentlich Bediensteten/ Dauderstädt fordert andere Lohnpolitik/ Schlechtere Sicherheitslage durch die Krise? 12-14 _______________________________________________________________________ Bürger und Verbraucher: Kein „Kill Top“ 15 _______________________________________________________________________ Ausblick: Soziale Sicherheit in der EU – neue Regeln Termine 16/17 _______________________________________________________________________ Einblick: Interview mit Erika Mezger, Eurofound, über die Arbeitsmärkte der Zukunft Impressum 18-21 Editorial Mehr Europa wagen Die EU steht an einem Scheideweg. Gelingt es den Mitgliedern der Eurozone, ihre gemeinsame Währung zu stabilisieren, das Vertrauen an den Finanzmärkten wiederherzustellen? Oder zerbricht die Währungsuni- on und mit ihr womöglich die Europäische Union? Den Europäern bleibt nur, mehr Souveränität an Brüssel abzugeben, wenn aus der WWU nicht nur dem Na- men nach eine Wirtschafts- und Währungsunion wer- den soll. Von einer europäischen Wirtschaftsregierung ist die Rede. Sie wäre ein Zeichen der Stärke, das auch von den neu zu regulierenden Finanzmärkten ver- standen würde. Ein Rückzug aus dem Euro dürfte angesichts der globa- lisierten Märkte keine realistische Perspektive sein. Das gilt insbesondere für Deutschland, das nach wie vor eine Handelsmacht von Weltrang ist. Soll der Euro gerettet werden, müssen die Staats- und Regierungs- chefs mehr Europa wagen. Die Wirtschaftsunion muss endlich mit Leben erfüllt werden. Und gegen eine Kontrolle der nationalen Haushalte, nicht in Bezug auf die einzelnen Etatposten, wohl aber hinsichtlich der Nettoneuverschuldung, spricht wenig. Das Haushalts- recht der nationalen Parlamente wäre keineswegs beschnitten. Ein solches Kontrollrecht müsste integra- ler Bestandteil eines gestärkten Stabilitätspakts sein. Das Europäische Parlament und die nationalen Parla- mente müssen allerdings eine bedeutende Rolle spie- len bei der Kontrolle einer engeren europäischen Koordinierung innerhalb der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion. Unter anderem dies hat der Vorsitzende des Sozialausschusses der unabhängigen europäi- schen Gewerkschaften (CESI) Klaus Dauderstädt, Mit- glied der dbb Bundesleitung und Vorsitzender der Gewerkschaft der Sozialversicherung, angesichts der sich weiter drehenden Krisenspirale gefordert. Mehr Europa wagen, das gilt auch für die Regulierung der Finanzmärkte. Der Chef der Deutschen Steuergewerk- schaft Dieter Ondracek empfiehlt die Finanztransakti- onssteuer in spürbarer Höhe. Und auch im sozialen Dialog braucht es mehr Europa. Die Sozialpartner müssen auf europäischer wie auf nationaler Ebene stärker in die Suche nach Auswegen aus der Krise einbezogen werden. Nur so kann der soziale Zusam- menhalt in der EU gewahrt werden. Das sagt CESI- Generalsekretär Helmut Müllers. All dies und mehr findet sich wie gewohnt auf den folgenden Seiten. Die Redaktion wünscht viel Freude beim Lesen.

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aktuell Juni 2010

5. Jahrgang

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Inhalt

Editorial:

Mehr Europa wagen 1 _______________________________________________________________________

Bericht aus den Institutionen:

Gerät Spanien ins Rutschen?/ Europäische Schuldenbremse/ Kontrolle der Hedgefonds und Bankenabgabe/ Spannungen zwischen Brüssel und Berlin/ Estland bekommt den Euro/ Löhne in Europa -Frankreich als Vorbild/ Europas Wirtschaft wächst zaghaft/ EU präsentiert digitale Agenda/ Arbeitsschutz: Elektromagnetische Felder 2-8 _______________________________________________________________________

dbb in Europa:

Ondracek fordert Finanztransaktionssteuer/ Tarifrecht: Altersdiskriminierung im BAT/ Erste Reaktion auf Grünbuch „Europäischer Rahmen für Renten“/ dbb Hessen diskutiert EU-Arbeitsschutz 9-11 _______________________________________________________________________

Neues von der CESI:

Neugebauer für EU-Bürgerinitiative/ Solidarität mit den öffentlich Bediensteten/ Dauderstädt fordert andere Lohnpolitik/ Schlechtere Sicherheitslage durch die Krise? 12-14 _______________________________________________________________________

Bürger und Verbraucher:

Kein „Kill Top“ 15 _______________________________________________________________________

Ausblick:

Soziale Sicherheit in der EU – neue Regeln

Termine 16/17 _______________________________________________________________________

Einblick:

Interview mit Erika Mezger, Eurofound, über die Arbeitsmärkte der Zukunft

Impressum 18-21

Editorial

Mehr Europa wagen

Die EU steht an einem Scheideweg. Gelingt es den Mitgliedern der Eurozone, ihre gemeinsame Währung zu stabilisieren, das Vertrauen an den Finanzmärkten wiederherzustellen? Oder zerbricht die Währungsuni-on und mit ihr womöglich die Europäische Union? Den Europäern bleibt nur, mehr Souveränität an Brüssel abzugeben, wenn aus der WWU nicht nur dem Na-men nach eine Wirtschafts- und Währungsunion wer-den soll. Von einer europäischen Wirtschaftsregierung ist die Rede. Sie wäre ein Zeichen der Stärke, das auch von den neu zu regulierenden Finanzmärkten ver-standen würde.

Ein Rückzug aus dem Euro dürfte angesichts der globa-lisierten Märkte keine realistische Perspektive sein. Das gilt insbesondere für Deutschland, das nach wie vor eine Handelsmacht von Weltrang ist. Soll der Euro gerettet werden, müssen die Staats- und Regierungs-chefs mehr Europa wagen. Die Wirtschaftsunion muss endlich mit Leben erfüllt werden. Und gegen eine Kontrolle der nationalen Haushalte, nicht in Bezug auf die einzelnen Etatposten, wohl aber hinsichtlich der Nettoneuverschuldung, spricht wenig. Das Haushalts-recht der nationalen Parlamente wäre keineswegs beschnitten. Ein solches Kontrollrecht müsste integra-ler Bestandteil eines gestärkten Stabilitätspakts sein.

Das Europäische Parlament und die nationalen Parla-mente müssen allerdings eine bedeutende Rolle spie-len bei der Kontrolle einer engeren europäischen Koordinierung innerhalb der Wirtschafts- und Wäh-rungsunion. Unter anderem dies hat der Vorsitzende des Sozialausschusses der unabhängigen europäi-schen Gewerkschaften (CESI) Klaus Dauderstädt, Mit-glied der dbb Bundesleitung und Vorsitzender der Gewerkschaft der Sozialversicherung, angesichts der sich weiter drehenden Krisenspirale gefordert. Mehr Europa wagen, das gilt auch für die Regulierung der Finanzmärkte. Der Chef der Deutschen Steuergewerk-schaft Dieter Ondracek empfiehlt die Finanztransakti-onssteuer in spürbarer Höhe. Und auch im sozialen Dialog braucht es mehr Europa. Die Sozialpartner müssen auf europäischer wie auf nationaler Ebene stärker in die Suche nach Auswegen aus der Krise einbezogen werden. Nur so kann der soziale Zusam-menhalt in der EU gewahrt werden. Das sagt CESI-Generalsekretär Helmut Müllers.

All dies und mehr findet sich wie gewohnt auf den folgenden Seiten.

Die Redaktion wünscht viel Freude beim Lesen.

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5. Jahrgang

Gerät Spanien ins Rutschen?

Ende Mai herrschte mal wieder kurzfristig Panik auf den Finanzmärkten. Eine spanische Spar-kasse musste am Pfingstwochenende vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Brüssel und Frankfurt am Main, der Sitz der Europäischen Zentralbank, und alle europäischen Regierun-gen blicken sorgenvoll auf die iberische Halbin-sel. Wirtschaftsexperten warnen aber vor Über-treibungen. Die spanischen Fundamentaldaten unterscheiden sich demnach ganz erheblich von den griechischen. Die Eurozone, ganz Europa arbeitet inzwischen intensiv daran, das Ver-trauen der Finanzmärkte wiederzugewinnen. London, Madrid und Rom haben Sparpläne verkündet. Berlin will sich Anfang Juni mit ei-nem deutschen Plan melden.

Das Pfingstwochenende brachte schlechte Nachrichten für den Euro. Die Angst vor dem Dominoeffekt, der Ausbreitung der griechi-schen Krise auf andere südeuropäische Staaten, flammte erneut auf. Spanien, dessen Banken unter dem Platzen einer Immobilienblase lei-den, musste eine weitere Sparkasse vor dem Zusammenbruch retten. Am 25. Mai gingen die Kurse an den europäischen Börsen auf Talfahrt. Der Euro verlor wie in den Wochen zuvor weiter an Außenwert. Dabei ist das gegenwärtige Wechselkursverhältnis eher gut für den Euro und die Eurozone. Die Frage, die sich insbeson-dere die EZB-Banker stellen, ist nur, wann der Wertverfall stoppt. Die Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen schnellten in die Höhe. Die Meldung von der spanischen Ret-tungsaktion sorgte für Zeitungsüberschriften wie „Sorge um spanische Banken nimmt zu“. Madrid hatte im Sommer 2009 einen 99 Milli-arden schweren Fonds für seine Banken aufge-legt. Aus diesem mussten nun, wie schon zuvor für eine andere Sparkasse, Liquiditätshilfen an die Caja Sur in Cordoba überwiesen werden.

Tatsächlich hat Spanien große wirtschaftliche und sozialpolitische Probleme. Die Krise ist hier teilweise hausgemacht. Denn der Boom der vergangenen Jahre war vor allem auf den über-schießenden Bausektor gegründet. Die Banken sitzen nun auf faulen Immobilienkrediten. Schwierig ist die Lage am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote ist auf 20 Prozent gestiegen, vor allem die Jugend ist überproportional be-troffen. Gleichzeitig unterscheidet Spanien sich aber in vielerlei Hinsicht von Griechenland. Der Staatshaushalt war – anders als in Griechen-

land - vor der Finanzkrise in gutem Zustand, die Neuverschuldung war auch relativ zum Brutto-inlandsprodukt gering, sogar niedriger als in Deutschland. Auch der private Bankensektor und die größeren Sparkassen des Landes, so europäische Finanzfachleute, müssten die Fol-gen der spanischen Immobilienkrise verkraften. Von den Verwerfungen in Folge von Lehman Brothers und Co. waren die spanischen Banken weit weniger betroffen als etwa die deutschen. In Spanien ist es die Verschuldung der Privat-haushalte, die Anlass zur Sorge gibt. Ähnlich wie Deutschland ist Spanien zudem besonders stark vom demographischen Wandel betroffen. Auch hier altert die Gesellschaft, schrumpft die Bevölkerungszahl. Für die Annahme einer Zah-lungsunfähigkeit des Landes wie im Falle Grie-chenlands gibt es aber, so sagen Wirtschaftsex-perten, keine seriöse Grundlage.

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Spanien ist nicht Griechenland

Hier werden keine Prinzessinnen von Stieren am Strand entführt

© Clarence Alford - Fotolia.com

Auch die Regierung in Madrid stemmt sich ge-gen einen weiteren Vertrauensverlust in spani-sche Staatsanleihen. Das spanische Parlament, die Cortes Generales, hat am 27. Mai ein zu-nächst auf 50 Milliarden Euro Einsparvolumen festgelegtes Sparpaket noch einmal um 15 Mil-liarden Euro erhöht. Das Sparpaket war bereits im Januar von der sozialistischen Minderheits-regierung angekündigt worden. Nun ist es auf-grund der Enthaltung kleinerer Oppositionspar-teien verabschiedet worden. Spanien steht nun eine Streikwelle im stark von den Einsparungen betroffenen öffentlichen Dienst bevor.

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Schäuble will eine europäische Schuldenbremse

Die meisten Mitglieder von EU und Währungs-union sind hochverschuldet. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, Mitte der neunziger Jahre in Vorbereitung der Euroeinführung auf deutschen Druck durchgesetzt, hat sich als unzureichend erwiesen. Nicht zuletzt Deutschland selbst hatte die Kriterien lange vor der Weltfinanzkrise wie-derholt nicht eingehalten. Nun wird bereits über eine Vertragsrevision nachgedacht, um den Pakt zu schärfen.

In Berlin und in Brüssel ist in Analogie zu einer noch von der großen Koalition durchgesetzten Grundgesetzänderung von einer europäischen „Schuldenbremse“ die Rede. Bundesfinanzminis-ter Wolfgang Schäuble und Währungskommis-sar Olli Rehn fordern unisono wirksame Sanktio-nen für künftige Defizitsünder, solche Staaten also, die die so genannten Maastrichtkriterien nicht einhalten. Die Sanktionsmöglichkeiten sollen bis hin zum Ausschluss der Schuldensün-der aus dem Euro reichen. Dafür wäre allerdings eine Vertragsrevision erforderlich, die Kommissi-onspräsident Barroso bisher ablehnt. Eine solche wäre in der Tat ein schwieriger und womöglich langwieriger Prozess. Die letzte Vertragsreform hat knapp zehn Jahre in Anspruch genommen.

Wolfgang Schäuble am 21. Mai in Brüssel,

hier mit dem neuen britischen Schatzkanzler George Osborne und den österreichischen und maltesischen Finanzministern

Josef Pröll und Tonio Fenech (von links nach rechts) © Consilium 2010

Nach Griechenland haben auch Euroländer wie Spanien, Portugal und Italien harte Spargesetze verabschiedet. Die italienische Regierung, die binnen zwei Jahren 24 Milliarden Euro einsparen will, sprach von notwendigen, schweren Opfern. Auch das hochverschuldete Großbritannien, dessen Pfund Sterling unter Druck steht, und das haushaltspolitisch solide Dänemark haben erste

Sparmaßnahmen eingeleitet und weitere ange-kündigt. Die Staatsausgaben sollen überall zu-rückgefahren werden. Vor allem in den Sozial-versicherungssystemen, hier besonders bei den Renten, und an den öffentlichen Diensten wird in den EU-Staaten gespart. Währungskommissar Olli Rehn sprach am 25. Mai von einer Welle, die durch Europa gehe.

Die Folgen dieser Sparpolitik für die sich erho-lende Wirtschaft könnten jedoch problematisch sein. Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass die konjunkturelle Erholung sich in Europa zu-mindest stark verlangsamen wird. Denn die Binnennachfrage dürfte kurz- bis mittelfristig als Konjunkturmotor entfallen. Kritik gibt es auch an der deutschen Schuldenbremse, die nun auf Europa übertragen werden soll. Die Einengung der haushalterischen Spielräume werde zu Las-ten der Investitionen in die öffentliche Infra-struktur gehen. Besonders betroffen seien die Verkehrsnetze, aber auch die Bildung und die innere und äußere Sicherheit. Einschnitte im konsumtiven Bereich minimierten die Wieder-wahlchancen und würden somit von den Regie-rungen gemieden, befürchten Kritiker der Schul-denbremse.

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Kontrolle der Hedgefonds und Bankenabgabe

Die EU Finanzminister haben sich über den Kopf ihres neuen britischen Kollegen hinweg auf erste Maßnahmen zur Reform der europäischen Fi-nanzmarktregulierung verständigt. So sollen die europäischen Hedgefonds, die größtenteils in der Londoner City angesiedelt sind, einer streng-eren Kontrolle unterzogen werden. In vager Form hat sich der Rat auch für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ausgesprochen. Auch die EU-Kommission arbeitet an Konzepten, und das Europäische Parlament fordert schnelles und entschlossenes Handeln.

Die europäischen Finanzminister einigten sich am 18. Mai auf eine Richtlinie zur Regulierung der Hedgefonds. Das Thema hatte bereits mona-telang auf der Tagesordnung gestanden. Die spanische Ratspräsidentschaft hatte es aber nicht weiter verfolgt, aus Rücksicht auf den briti-schen Wahlkampf. Insbesondere die nun mit den Liberaldemokraten regierende konservative Tory-Partei ist strikt gegen eine strengere Aufsicht über die mächtigen Hedgefonds.

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London fürchtet, die City könnte als Europas wichtigster Finanzplatz an Attraktivität verlieren. Der neue Schatzkanzler George Osborne wurde aber von seinen Kolleginnen und Kollegen im Rat überstimmt. Immerhin waren die Finanzminister sich im Grundsatz einig, dass Leerverkäufe ein-gedämmt werden sollen. Nun ist das Europäi-sche Parlament am Zug, das die neuen Regulie-rungsschritte Anfang Juli in nur einer Lesung verabschieden will.

Aus dem Parlament heraus wird fraktionsüber-greifend beklagt, dass die Regierungen nicht energisch genug gegen die Spekulation auf den Finanzmärkten vorgehen. Der deutsche EU-Abgeordnete Udo Bullmann, wirtschafts- und währungspolitischer Sprecher der sozialdemokra-tischen Fraktion, sagte: „Es wird höchste Zeit, dass wir mit der Regulierung hochspekulativer Fonds ernst machen.“ Europa dürfe nicht tatenlos zuse-hen, „wenn Finanzhasardeure ganze Staaten oder Industriezweige an die Wand drücken“.

Bullmann: „Für die Heuschrecken brechen neue Zeiten an“

© European Parliament, 2010

Die EU-Kommission arbeitet derweil am Vor-schlag einer Richtlinie für eine Finanzstabilitäts-abgabe. Dies teilte Binnenmarktkommissar Mi-chel Barnier am 26. Mai in Brüssel mit. Die Ban-ken sollen europaweit einheitlich Geld in natio-nale Fonds einzahlen, aus denen heraus strau-chelnde Kreditinstitute dann fortan gerettet werden können. Die Höhe der Abgabe soll sich nach den Einsätzen richten, mit denen die jewei-lige Bank auf dem Finanzmarkt spekuliert. Damit soll für die Zukunft vermieden werden, dass die Steuerzahler für die Risikofreude der Banken haften. Die Kommission will auch die Eigenkapi-talvorschriften für die europäischen Geldhäuser verschärfen. Der Franzose Barnier will den Richt-linienentwurf bis Anfang 2011 ins Gesetzge-bungsverfahren bringen.

Ob die Kommission, die laut Barnier bereit ist, eine solche Abgabe auch im europäischen Al-leingang einzuführen, sich gegen die mächtige Finanzwelt wird durchsetzen können, wird von Beobachtern bezweifelt. Sogar die Europäische Zentralbank scheint skeptisch. In Frankfurt am Main wurde die Sorge geäußert, die vorgeschla-gene Abgabe könne Kredite aber auch Geldanla-gen verteuern.

Spannungen zwischen Brüssel und Berlin

In ungewöhnlicher Form hat Kommissionspräsi-dent José Manuel Barroso Ende Mai in einem Interview Kritik an der Bundesregierung geübt. Die Ursachen für die Verstimmungen zwischen Berlin und Brüssel liegen tief. Die Nerven liegen offensichtlich blank. Auslöser war gut informier-ten Brüsseler Quellen zufolge ein regulatorischer Alleingang der Bundesregierung. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Thomas Silberhorn schoss nach dem Barroso-Interview scharfe Sal-ven in Richtung Brüssel ab. Auch Bundeswirt-schaftsminister Rainer Brüderle kritisierte die EU in Person des ständigen Ratspräsidenten Her-man Van Rompuy für dessen Vorschläge zur Lösung der Eurokrise.

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In einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemei-nen Zeitung, das am 25. Mai veröffentlicht wur-de, sagte Barroso, Deutschland sei bisher ein großer Gewinner des Euro gewesen. Barroso wörtlich: „Sagen die deutschen Politiker der Öf-fentlichkeit, dass die deutschen Exporte in ande-re EU-Länder ständig gestiegen sind? Ich finde, dass mehr Politiker in Deutschland das sagen sollten.“ Es wäre besser gewesen, so Barroso, wenn die Bundesregierung in der Griechenland-krise schneller reagiert hätte. In Deutschland gebe es „in keiner der wichtigen Parteien“ kraft-volle Stimmen für den Euro. In Zusammenhang mit dem griechischen Budgetbetrug warf Barro-so Berlin vor, gemeinsam mit anderen EU-Staaten eine Stärkung des europäischen Statis-tikamts Eurostat verhindert zu haben. Im Übri-gen habe auch Deutschland sich „nicht immer so verhalten, wie es dem Geist des Stabilitätspakts entspricht“. Barroso sagte abschließend: „Ich wünsche mir von der deutschen Führung, ob in Regierung oder Opposition, ob im Bund oder in den Ländern, dass sie für Europa eintritt. Sonst haben wir ein Problem.“

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Der europapolitische Sprecher der CSU-Landes-gruppe, Thomas Silberhorn, griff Brüssel in Reak-tion auf das Interview an. Auch die Kommission selbst müsse ihren Beitrag zur finanziellen Kon-solidierung Europas leisten. „Es ist daher ein völlig falsches Signal, wenn die EU-Kommission in ihrem Haushaltsentwurf für das Jahr 2011 Mehrausgaben in Milliardenhöhe im Vergleich zum Vorjahr vorsieht. Dieser Ausgabenexplosion müssen die EU-Finanzminister einen Riegel vor-schieben. Wer gegenüber den Mitgliedstaaten Wasser predigt, darf nicht selbst Wein trinken“, so der bayerische Politiker. Rainer Brüderle wie-derum kritisierte den ständigen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy in einer gleichfalls am 25. Mai veröffentlichten Presse-mitteilung. Van Rompuy hatte sich für eine ge-meinsame Euroanleihe ausgesprochen. Brüderle sagte dazu, eine solche Anleihe setze falsche Anreize. „Sie belohnt die Mitgliedstaaten mit unsolider Haushaltsführung und bestraft eine verantwortungsvolle Konsolidierung“.

Kritiker und Kritisierte -

José Manuel Barroso und Herman Van Rompuy © European Union, 2010

In Brüssel wie in vielen europäischen Hauptstäd-ten war der deutsche Alleingang vom 19. Mai, so genannte Leerverkäufe an deutschen Börsen zu verbieten, auf Verwunderung gestoßen. Dabei ging es weniger um die Maßnahme als solche, deren Notwendigkeit inzwischen viele EU-Regierungen einsehen. Vielmehr fühlten sich Diplomatenkreisen zufolge viele Partner – und auch die Kommission – von den Deutschen dü-piert. Der Wirtschaftsausschuss des Europäi-schen Parlaments immerhin fordert auch ein Verbot von rein spekulativen Kurswetten mit geliehenen Aktien, also Leerverkäufen. Allerdings zielt auch das Parlament auf eine europäisch koordinierte und konzertierte Lösung ab.

Die Krone geht, der Euro kommt – Kommission genehmigt Währungsumstellung in Estland

Der Euro nahm in den vergangenen Wochen immer einen Spitzenplatz in den täglichen Schlagzeilen ein. Beherrschend war die Sorge um die Gemeinschaftswährung, die in Folge der Wirtschaftskrise unter den Druck von Spekulan-ten geraten war und deutlich gegenüber dem Dollar abwertete. In vielen Ländern wurden so-gar die Stimmen lauter, man müsse über eine Rückkehr zu den nationalen Währungen nach-denken. Mitten hinein in diese Währungs- und Sinnkrise fiel der Entschluss der Europäischen Union, dass Estland am 1. Januar 2011 als 17. Land den Euro einführen könne.

Der endgültige Entschluss über den Beitritt Est-lands fällt im Juli im Rat der europäischen Fi-nanzminister. Doch bereits jetzt ist klar, dass Estland die genannten Kriterien erfüllt: die Infla-tionsrate darf maximal 1,5 Prozent über der der drei preisstabilsten Mitgliedsländer liegen (Est-land: ein Prozent); das Haushaltsdefizit darf nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen (Estland: 1,7 Prozent); die Staatsver-schuldung darf nicht größer sein als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Estland: 7,1 Prozent).

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Euphorie gibt es in Estland nicht. „Der Euro ist unsere Pflicht. Er ist Teil eines Abkommens“, sagte etwa der estnische Wirtschaftsminister Juhan Parts. Die Verträge lassen den Esten auch kaum eine andere Chance als die Einführung des Euro. Alte Mitgliedsländer wie Großbritannien, das an seinem Pfund festhält, haben sich recht-zeitig eine Ausnahme von der Pflicht zur Euro-Einführung geholt oder ignorieren diese einfach, so wie Schweden. Im Gegensatz dazu war es in den meisten Mitgliedsländern im Osten bislang unstrittig, dass man dem Euro beitreten werde, sobald die einschlägigen Kriterien erfüllt sind.

Estland befindet sich verglichen mit den anderen europäischen Ländern wirtschaftlich sogar in einer vergleichsweise hoffnungsvollen Situation. Die Staatsverschuldung liegt prozentual sehr niedrig und auch die Neuverschuldung im letz-ten Jahr lag mit unter zwei Prozent deutlich im Referenzrahmen. Nur die hohe Arbeitslosigkeit und der enorme Rückgang des Bruttoinlands-produkts um fast 15 Prozent im Jahr 2009 wer-fen Schatten auf die estnische Bilanz. Die Inflati-on, die vor einigen Jahren noch den Euro im Land verhinderte, hat die Regierung aber mittlerweile in den Griff bekommen.

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Ganz anders sieht die Situation hingegen in Polen aus. Ursprünglich war die Einführung des Euro bis zum 1. Januar 2011 vorgesehen. Dies wurde später um ein Jahr verschoben und im letzten Jahr beschloss die Regierung einen Auf-schub um weitere zwei Jahre bis 2014. Der Vize-Chef der polnischen Staatsbank Witold Kozinski sagte nun, dass die Euro-Einführung „nicht mehr höchste Priorität“ habe. Unter dem Druck der Wirtschaftskrise hatte die polnische Wäh-rung in den vergangenen Monaten um neun Prozent nachgelassen. Ob und wann die Ge-meinschaftswährung in Polen eingeführt wird, ist somit wieder Teil der innenpolitischen Dis-kussion, nicht zuletzt im aktuellen Präsident-schaftswahlkampf.

Als der Euro noch allen Spaß machte – vor der Euro-Bargeldeinführung 2001

© European Union, 2010

Doch Polen steht mit seiner neu aufflammen-den Euro-Skepsis nicht alleine da. Viele Länder überdenken ihre Beitrittspläne im Lichte der aktuellen Griechenlandkrise. Tschechien hat seinen baldigen Beitritt ebenso auf unbestimm-te Zeit verschoben wie Litauen und Lettland. Länder wie Rumänien und Bulgarien, deren strukturelle Daten deutlich schlechter sind als die ihrer westlichen Nachbarn könnten vermut-lich auch bei großer Anstrengung und politi-schem Willen in den nächsten Jahren nicht beitreten. Die enormen Garantiesummen, die die Euro-Mitgliedsländer aufbringen müssen, haben viele Anwärter verschreckt und einen baldigen Beitritt auch aus politischen Erwägun-gen heraus deutlich kompliziert.

Löhne in Europa - Frankreich als Vorbild

Peter Bofinger ist einer der fünf „Weisen“, die dem Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angehö-ren. Der 55jährige Professor für Volkswirtschafts-lehre kritisiert in einem am 17. Mai in der Süd-deutschen Zeitung erschienenen Gastbeitrag die deutsche „Knauserei“. Zugleich lobt er Frankreich für dessen Wirtschaftspolitik. Bofinger sieht die Eurokrise als „außergewöhnliche Notlage“, die den Einsatz hoher Mittel zur Systemstabilisierung rechtfertige.

Aus der Sicht des deutschen Stammtischs seien die Schuldigen an der Eurokrise schnell ausge-macht, so Bofinger. Zum einen seien das die „bös-artigen Spekulanten“, zum anderen die Südeuro-päer mit schlampiger Haushaltsführung. Deutsch-land sehe sich bei alledem als das „unschuldige Opfer“. Was aber, so fragt Bofinger, wäre, wenn die anderen 15 Euroländer so „tugendhaft“ wür-den wie Deutschland? Bofinger sagt: „Eine Wäh-rungsunion mit 16 Deutschländern wäre ein Alp-traum.“ Bofinger begründet dies damit, dass Deutschland in den vergangenen Jahren darauf „fixiert“ gewesen sei, die Lohnkosten möglichst gering zu halten. „Dies führte dazu, dass die Ar-beitnehmer nicht mehr am Anstieg des Wohl-standes teilhaben konnten“, so der Wirtschafts-weise. Die „Kombination aus Exportweltmeister-tum und Knauserei“ bei den Löhnen habe zu ei-nem kollektiven Gürtel-enger-Schnallen geführt. Der Euroraum würde in die Knie gehen, versuch-ten die anderen Europäer, Deutschland nachzu-ahmen. „Gingen alle Mitgliedsländer dazu über, ihre Löhne nicht mehr zu erhöhen oder sie sogar zu senken, um so wettbewerbsfähig wie wir zu werden, würde der Euroraum geradewegs in die Deflation steuern“, so Bofinger.

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Sein Plädoyer gegen eingefrorene und gekürzte Löhne will der Wirtschaftsprofessor nicht als Plä-doyer für haushalterischen Schlendrian missver-standen wissen: „Das heißt allerdings nicht, dass sich alle Länder nun an den Beispielen Griechen-lands, Irlands und Spaniens orientieren sollen.“ Der Euroraum werde nur dann ins Gleichgewicht kommen, wenn seine Mitgliedsländer mittelfristig nur das ausgeben, was sie auch einnehmen. Bo-finger lobt Frankreich als Musterbeispiel, da es seit Jahren eine steigende Binnennachfrage auf-weise, ohne dabei in eine Schieflage zu geraten. „Eine Währungsunion mit 16 Frankreichs wäre aus makroökonomischer Sicht keine schlechte Vorstellung“, findet Bofinger.

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Die Währungsunion werde nur Zukunft haben, wenn die deutsche Wirtschaftspolitik erkenne, „dass wir selbst ein Teil des Problems wie auch der Lösung sind“. Die deutsche Binnennachfrage müsse endlich in Schwung kommen, erklärt Bo-finger. Der Staat solle deshalb ein umfangreiches öffentliches Investitionsprogramm auflegen. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes erlaube dies, da sie in einer „außergewöhnlichen Notlage“ zeitweise außer Kraft gesetzt werden könne. Bo-finger fragt: „Wenn die Eurokrise keine `außerge-wöhnliche Notlage´ ist, was dann?“

Hat Peter Bofinger recht, ist es fünf vor Zwölf für den Euro?

Die jüngsten Sparbeschlüsse in Europas Hauptstädten deuten an, dass 16 Deutschländer im Entstehen sind

© mdi - Fotolia.com

Europas Wirtschaft wächst zaghaft

Im vergangenen Jahr brach die Wirtschaft in fast allen europäischen Ländern massiv ein. Am schlimmsten traf es die baltischen Staaten, die einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts zwischen 15 und 20 Prozent zu verzeichnen hatten. Nach dem Absturz erfolgt nun eine langsame Rückkehr zum Wirtschaftswachstum. Dennoch geschieht dies deutlich langsamer als nach vergleichbaren Krisen in der Vergangen-heit. Europa wird noch Jahre brauchen, um auf demselben wirtschaftlichen Stand zu sein, wie vor der Krise 2008. Die Kommission veröffent-lichte nun ihre alljährliche Frühjahrsprognose mit den aktuellen Wirtschaftsdaten der Europä-ischen Union.

Die Rezession war aus wirtschaftswissenschaft-licher Sicht spätestens im dritten Quartal 2009 beendet. Verantwortlich waren aber laut Euro-päischer Kommission eher zeitlich begrenzte staatliche Anreize und nicht eine grundsätzliche

wirtschaftliche Erholung. In ihrer neuesten Prognose geht die Kommission außerdem von einem Wirtschaftswachstum von nur einem Prozent in 2010 aus. Im nächsten Jahr sollen es 1,75 Prozent sein. Ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit ist erfahrungsgemäß bei einem Wachstum unter zwei Prozent aber nicht zu erwarten. Vielmehr ist mit einer Stagnation der europäischen Quote bei zehn Prozent zu rech-nen.

Allerdings muss deutlich zwischen den einzel-nen Ländern unterschieden werden. Einige Län-der, wie zum Beispiel Griechenland und Spani-en, scheinen weiter in der Krise zu versinken. Andere hingegen erholen sich besser als ihre europäischen Partner. Deutschland beispiels-weise steht verhältnismäßig gut da, auch wenn die Krise hier ebenfalls für starke Einbußen verantwortlich ist. Dennoch stieg die Arbeitslo-sigkeit bei weitem nicht so stark an, wie ur-sprünglich befürchtet. Arbeitsmarktpolitische Mittel wie das Kurzarbeitergeld konnten hier schlimmere Entwicklungen verhindern.

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Schwer getroffen von der Krise sind europaweit die öffentlichen Haushalte. Das durchschnittli-che Defizit wird 2010 voraussichtlich bei 7,5 Prozent liegen und damit deutlich über der eigentlich zulässigen Höchstmarke von drei Prozent. Die Inflationsrate liegt mit geschätzten 1,5 Prozent etwas höher als letztes Jahr, die Entwicklung von Löhnen und Preisen wird aber vermutlich durch die Konjunkturflaute ge-schwächt.

EU präsentiert digitale Agenda

Anfang Mai stellte die Europäische Kommission eine neue digitale Agenda für Wachstum und Wohlstand in der Europäischen Union vor. Kommunikationstechnologien sollen zum Kernbestandteil der europäischen Strategie zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums wer-den. Sie können dabei helfen, andere große europäische Herausforderungen wie Klimaver-änderung und den demographischen Wandel besser zu bewältigen.

Die Agenda sieht sieben vorrangige Aktionsbe-reiche vor: Schaffung eines digitalen Binnen-markts, größere Interoperabilität, Steigerung von Vertrauen und Sicherheit im Internet, viel schnellere Internetverbindungen, mehr Investi-tionen in die Forschung und Entwicklung, Ver-

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aktuell Juni 2010

5. Jahrgang

besserung der digitalen Kompetenzen und In-tegration sowie Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen wie Kli-mawandel und Bevölkerungsalterung.

Der Fünfjahresplan der Kommission soll dazu beitragen, das digitale Potenzial der Europäi-schen Union freizusetzen. Nach wie vor seien zu wenige Europäer mit dem Internet vertraut. Etwa 30 Prozent seien noch nie in ihrem Leben online gewesen und nur ein Prozent der Euro-päer verfüge über einen schnellen Glasfaserin-ternetanschluss, gegenüber 12 Prozent in Japan und sogar 15 Prozent in Südkorea.

Neben technischen Hindernissen, die die EU verstärkt durch Infrastrukturprojekte beseitigen will, gibt es aber auch andere Gründe für Ver-braucher, das Internet nicht zu nutzen. So müs-se zum Beispiel noch viel für den Schutz der Privatsphäre im Netz getan werden, um dem legitimen Sicherheitsbedürfnis der Menschen nachzukommen. Persönliche Daten sollen bes-ser vor dem unbefugten Zugriff Dritter ge-schützt werden.

Insgesamt sollen die Neuerungen dazu beitra-gen, dass die Menschen die Vorzüge des Inter-nets voll nutzen können. Ein schneller Daten-transport und uneingeschränkter Zugang zu öffentlich zugänglichen Informationen können ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sein. Ein immer größerer Teil von Handel und Dienstleistungen wird ins Netz verlagert, hier aber noch nicht ausreichend genutzt. Dies soll im Rahmen der digitalen Agenda geändert werden.

Arbeitsschutz: Elektromagnetische Felder

Die Europäische Kommission hat am 20. Mai die Konsultation der Europäischen Sozialpartner zu Arbeitsschutzmaßnahmen gegen elektromag-netische Felder angestoßen. Ziel ist es, den Schutz von Arbeitnehmern gegen elektromag-netische Felder am Arbeitsplatz zu verbessern. Die bestehende Richtlinie über Mindestvor-schriften zum Schutz vor physikalischen Einwir-kungen (elektromagnetischen Feldern) soll reformiert werden.

Die Absicht der Kommission ist es, die Last auf Arbeitnehmer zu mindern, indem Definitionen deutlicher gefasst, die Möglichkeiten zur Risiko-einschätzung verbessert, Messungen und Ein-

schätzungen vorgenommen und best practices zum Beispiel im Rahmen von Fortbildungen zur Verfügung gestellt werden.

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Gefährlich oder nicht? © marog-pixcells

Die bisherige Richtlinie weist einige strittige und vor allem unklare Punkte auf, die nun durch den Konsultationsprozess geklärt werden sollen. Die Kommission ist vertraglich zur Kon-sultation der Sozialpartner verpflichtet, da Sicherheits- und Gesundheitsaspekte betroffen sind. Basierend auf den Antworten und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird die Kommission einen Richtlinienvorschlag erarbei-ten, der die möglichen sozialen und wirtschaft-lichen Auswirkungen berücksichtigen soll.

EU Fortbildung für Berufstätige

Die CIFE ist eine europäische Fortbildungsein-richtung. Sie bietet einen zweijährigen Master im Fach Europäische Studien an. Es handelt sich um ein Fernstudium mit Präsenzseminaren an Wochenenden in Rom, Brüssel, Berlin und Bu-dapest. Somit soll eine Fortbildung parallel zur beruflichen Tätigkeit ermöglicht werden. Die Fachreferenten sind Entscheidungsträger oder Berater europäischer Regierungen. Der Master ist interdisziplinär, vermittelt im ersten Jahr zunächst vertiefte und aktuelle Grundkenntnis-se und setzt im zweiten Jahr Schwerpunkte in den Bereichen Politik, Wirtschaft sowie Europä-isches Recht. Die Arbeitssprache ist Englisch. Anmeldeschluss ist der 5. September 2010. Weitere Informationen zum Studiengang und zu Stipendien stehen im Internet zur Verfü-gung: www.eu-online-academy.org.

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5. Jahrgang

Finanztransaktionssteuer: Ondracek fordert min-destens 0,5 Prozent

Die Spekulation soll gebremst, die Banken sollen an den Folgekosten des Beinahe-Crashs der Wäh-rungsunion beteiligt werden. Auf europäischer Ebene scheint bereits weitgehend Einigkeit über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu bestehen. Abgesehen von ihrem britischen Kolle-gen, der sich um den Finanzplatz London sorgt, wollen die Finanzminister eine solche Besteue-rung von Börsenbewegungen in der EU einführen. Auch die Regierungskoalition in Berlin hat sich am 18. Mai auf eine Finanzmarktsteuer geeinigt. Unklar bleibt aber, ob die Bundesregierung eine Finanztransaktionssteuer oder eine Finanzaktivi-tätssteuer will. Letztere zielt nicht auf Spekulan-ten, sondern auf Bankengewinne und Banker-Boni. In Reaktion auf die Brüsseler Verhandlun-gen sprach sich Dieter Ondracek, Chef der Deut-schen Steuergewerkschaft (DSTG), unzweideutig für eine Finanztransaktionssteuer aus. Ondracek nannte eine Zahl, die aus seiner Sicht erforderlich ist, wenn die Maßnahme Wirkung zeigen soll.

„Wir müssen den Spekulanten endlich das Hand-werk legen“, sagt Ondracek. Die Finanzmärkte seien zunehmend entkoppelt von wirtschaftlichen Realitäten. Dies führe zu Übertreibungen und Verzerrungen. „Angriffe auf Währungen, die in Bezug auf die grundlegenden Wirtschaftsdaten stabil sind, dürfen wir nicht hinnehmen“. Der Finanzexperte verweist auf die Schuldenstände Japans und der USA. Die ökonomischen Basisda-ten der Eurozone rechtfertigten trotz der deutlich zu hohen Schuldenstände in einigen Mitgliedstaa-ten nicht, den Euro in Frage zu stellen.

„Wir brauchen eine Besteuerung der Finanztrans-aktionen in Höhe von mindestens 0,5 Prozent“, erklärte Dieter Ondracek am 18. Mai anlässlich der Meldungen über den Brüsseler Verhandlungs-stand der EU-Finanzminister. Forderungen nach weit darunter liegenden Sätzen betrachtet Ond-racek als „scheinheilig“. „Das sind bloße Ablen-kungsmanöver.“ Ondracek verweist auf die Fak-ten: Der Börsenumsatz in Deutschland betrug laut Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank im Jahr 2009 3,4 Billionen Euro. Ein halbes Prozent auf alle Umsätze aus Finanztransaktionen ergebe allein in Deutschland rund 17 Milliarden Euro. „Ein Betrag, der die Branche nicht ruiniert, die Speku-lanten aber in gerechter Weise an der Risikovor-sorge beteiligt und all die Steuerzahler, die mit Spekulationen nichts am Hut haben, entlastet“, so der DSTG-Chef.

Ein Vorangehen in Deutschland und Europa wer-de politischen Druck auch in anderen Ländern erzeugen, das Gleiche zu tun, schätzt Ondracek. Denn die normalen Steuerzahler würden nir-gendwo einsehen, dass sie für Risikogeschäfte der Finanzbranche haften und eintreten müssen. „Wer mit dem Feuer spielt, muss selbst für die Brandbekämpfung sorgen“, sagt der DSTG-Chef. Er sei sicher, dass auch Japan und die USA mitzie-hen. Schließlich müsse das Thema auf die Ebene der G20 gehoben werden. Auch China könne nicht an finanzpolitischen Zusammenbrüchen in Euro-pa oder den USA gelegen sein. Dafür seien die wirtschaftliche Verflechtung, die gegenseitige Abhängigkeit international viel zu groß.

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Dieter Ondracek will die Finanzmärkte bändigen © dbb, 2010

Im Übrigen warnt Dieter Ondracek vor zu drasti-schen Sparmaßnahmen in der Eurozone. „Wenn wir jetzt in einer Phase der allmählichen wirt-schaftlichen Erholung in die Krise hineinsparen, dann droht ein Rückfall in die Rezession“, so Ond-racek. Der DSTG-Bundesvorsitzende teilt die An-sicht des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, Deutschland dürfe nicht seine Infrastruktur schwächen. Vielmehr sei die Binnenkonjunktur zu stärken, um wirtschaftliche Ungleichgewichte in der Eurozone abzubauen.

Dieter Ondracek ist Bundesvorsitzender der Deut-schen Steuergewerkschaft (DSTG). Ondracek ge-nießt weithin einen exzellenten Ruf als Finanz- und Steuerfachmann. Sein Rat und seine Expertise sind seit Jahr und Tag parteiübergreifend in Regie-rungskreisen gefragt.

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5. Jahrgang

Altersdiskriminierung im BAT

Nachdem mehrere Landesarbeitsgerichte die Einstufung in die Vergütungstabellen des Bun-des-Angestelltentarifvertrag (BAT) nur nach dem Alter der Beschäftigten als rechtswidrige Altersdiskriminierung eingestuft haben, hat am 20. Mai das Bundesarbeitsgericht hierzu eine Entscheidung getroffen. Dieses legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Letztentscheidung vor. „Der EuGH muss nun eine endgültige Entscheidung herbeiführen, damit die Beschäftigten Rechtsklarheit erlan-gen und eventuell noch bestehende Ansprüche ausgezahlt werden können“, erläuterte Frank Stöhr, Chef der dbb tarifunion.

„Da das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auf einer Richtlinie der EU beruht, war die Vor-lage durch das Bundesarbeitsgericht an den EuGH notwendig“, so Stöhr weiter: „Diese Rechtsproblematik trifft jedoch auf den TVöD und den TV-L nicht zu. Die Tarifvertragsparteien haben dort das alte Modell der Einstufung nach Lebensalter in ein Erfahrungsstufen-Modell umgewandelt. Beschäftigte werden nun nach ihren Vorkenntnissen bezahlt.“ Hierdurch wur-de die in den alten Regelungen angelegte Al-tersdiskriminierung beendet.

Chef der dbb tarifunion Frank Stöhr

© Marco Urban 2010

Hintergrund des nunmehr dem EuGH vorgeleg-ten Rechtsstreits war unter anderem die Klage einer Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes. Diese hatte geltend gemacht, dass ihr Ver-

gleichsentgelt bei der Überleitung vom BAT in den TVöD nicht aus der richtigen Entgelt-Stufe des BAT berechnet worden sei. Die Einstufung der Beschäftigten im BAT nur nach dem Alter sei altersdiskriminierend und mit dem All-gemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht ver-einbar. Das Landgericht hatte der Klägerin recht gegeben. Daraufhin hatte der beklagte Arbeit-geber das Verfahren vor das Bundesarbeitsge-richt gebracht. Dieses hat nun wegen des euro-parechtlichen Bezugs den EuGH eingeschaltet.

(Arne Goodson)

Erste Reaktion auf Grünbuch der Kommission „Europäischer Rahmen für Renten“

Lange hat die Europäische Kommission ihr neu-es Grünbuch vorbereitet. Vor der Sommerpause soll es nun vorgelegt werden. Die Financial Times Deutschland berichtete am 28. Mai schon vorab aus dem Entwurf. Demnach schlägt die Kommission vor, dass Renteneintrittsalter an die höhere Lebensarbeitszeit zu koppeln. Deutschland hat diesen Schritt mit der stufen-weisen Erhöhung auf 67 bereits vollzogen, an-dere europäische Länder haben aber nach wie vor ein deutlich niedrigeres Renteneintrittsal-ter. d

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Der demographische Wandel sorgt für einen großen Druck auf die sozialen Sicherungssys-teme. Europäer bekommen zu wenig Nach-wuchs und gleichzeitig steigt die durchschnitt-liche Lebenserwartung mehr und mehr an. Das führt dazu, dass der Druck auf das umlagefi-nanzierte Rentensystem immer weiter anstei-gen wird. Bis 2060 wird die Lebenserwartung laut Aussage der Kommission um sieben Jahre angestiegen sein. Auf die europäische Dimensi-on des demographischen Wandels hat der dbb Bundesvorsitzende Peter Heesen in der Vergan-genheit wiederholt hingewiesen. „Nach Lösun-gen müssen wir – auch mit dem Blick auf das zusammenwachsende Europa und die damit verbundene Arbeitsmarktentwicklung – über Ländergrenzen hinweg suchen. Europa kann sich dieser Herausforderung nur gemeinsam stellen,“ so Heesen. Allerdings hat der Bundes-vorsitzende auch immer betont, dass die Ge-staltung der sozialen Sicherungssysteme Auf-gabe der einzelnen Mitgliedstaaten bleiben muss.

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5. Jahrgang

Derzeit ist es im Idealfall so, dass ein europäi-scher Erwachsener ein Drittel seines Lebens ab dem 18. Geburtstag in der Rente verbringt. Bei steigender Lebenserwartung würde sich dieses Verhältnis deutlich zu Gunsten der Rente ver-schieben. Die dadurch entstehenden finanziel-len Belastungen für die aktiven Arbeitnehmer sind aber aus Sicht der Europäischen Kommissi-on nicht tragbar. Deshalb wird nach Informati-onen der Financial Times vorgeschlagen, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenser-wartung zu koppeln. Für Deutschland könnte das im Extremfall bedeuten, dass die 2012 be-ginnende Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis zum Jahr 2030 auf 67 Jahre danach im sel-ben Rhythmus auf 70 Jahre fortgeschrieben werden müsste.

Demographischer Wandel

© falkjohann - Fotolia.com

Statistisch ist festzuhalten, dass das europäi-sche Renteneintrittsalter mit knapp über 60 Jahren um etwa drei Jahre niedriger liegt als in den übrigen Industriestaaten. Allerdings liegt Deutschland mit einem durchschnittlichen Eintrittsalter von deutlich über 63 Jahren weit über dem europäischen Durchschnitt. Im Ver-gleich dazu hat Frankreich mit 58,7 Jahren das niedrigste Rentenalter in Europa. Hier besteht großer Handlungsbedarf, der aber auch in Tei-len bereits von der französischen Regierung erkannt wurde. Die nötigen Reformen sollen in den nächsten Jahren umgesetzt werden.

Die Zuständigkeit der Europäischen Union für Rentenfragen ist schon seit langem strittig. Die Kommission argumentiert, dass die Europa 2020 Strategie, die bereits ein europäisches Renteneintrittsalter von 65 Jahren vorsieht, Reformen in diesem Bereich zwingend gebietet. Selbst wenn es zu keinerlei europäischer Ge-setzgebung kommen sollte, hat die Kommission

aber eine seit Jahren laufende Diskussion in den einzelnen Staaten wieder angeheizt.

Das Problem einer längeren Lebensarbeitszeit ist aber auch, dass auf dem Arbeitsmarkt die entsprechenden Möglichkeiten und Arbeits-plätze für ältere Arbeitnehmer häufig ebenso nicht vorhanden sind wie die gesundheitliche Fähigkeit noch länger zu arbeiten. Die Gesell-schaft als Ganzes, also auch die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, muss sich auf die verän-derten Bedingungen durch die Alterung der Bevölkerung einstellen. Der stellvertretende dbb-Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt sag-te zu dieser Problematik: „Es müssen Wege gefunden werden, im Rahmen von Konzepten lebenslangen Lernens einerseits und betriebli-cher Umstrukturierung andererseits altersge-rechte Arbeitsplätze zu schaffen.“ Dabei muss besonderes Augenmerk auf die betriebliche Gesundheitspolitik sowie die Möglichkeit eines gleitenden Übergangs aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand gelegt werden.

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dbb Hessen diskutiert europäischen Arbeitsschutz

Anfang Mai diskutierten 20 Gewerkschafterin-nen in Frankfurt/Main bei der Landeshauptver-sammlung der Frauenvertretung des Landes-bundes Hessen das Thema „Der europäische Arbeitsschutz – Europa, Deutschland und der öffentliche Dienst“. Referentin der Veranstal-tung war Miriam Fleischhacker. Sie stellte so-wohl die wichtige europäische Rahmenrichtli-nie zum Arbeitsschutz, als auch die detaillierte-ren Einzelrichtlinien vor. Besonders wichtig war den Gewerkschafterinnen die Frage des Ar-beitsschutzes im öffentlichen Dienst und wie sich dieser auf europäischer Ebene weiterent-wickelt.

Ute Wiegand-Fleischhacker, die Vorsitzende der dbb Frauen in Hessen, wies in der Diskussion darauf hin, dass es offensichtlich noch hohen Informationsbedarf im Bereich des Arbeits-schutzes gebe. Dies treffe sowohl auf die Ar-beitgeber als auch auf die Beschäftigten zu. Da die Einhaltung des Arbeitsschutzes wesentlich zum Erfolg des öffentlichen Dienstes und der privatisierten Bereiche beitrage, müsse hier mehr getan werden.

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Neugebauer für Bürgerinitiative

Mehr direkte Demokratie und bessere Mitbes-timmungsmöglichkeiten – das verspricht die Europäische Bürgerinitiative. Im Vertrag von Lissabon hatten sich die Staats- und Regierungs-chefs darauf geeinigt, den europäischen Bürge-rinnen und Bürgern mehr Mitsprache auf euro-päischer Ebene zu ermöglichen. Durch eine er-folgreiche Europäische Bürgerinitiative kann die Kommission zukünftig aufgefordert werden, einen Gesetzesvorschlag zu prüfen. Doch noch stehen die genauen Regeln nicht fest. Frühestens 2011 können die ersten Bürgerinitiativen gestar-tet werden. Fritz Neugebauer, CESI-Präsident und zweiter Nationalratspräsident in Österreich, fordert deshalb eine schnelle und bürgernahe Umsetzung.

Zusammen mit den Grünen brachten die Regie-rungsfraktionen der SPÖ und ÖVP unter der Fe-derführung von Fritz Neugebauer am 19. Mai einen Entschließungsantrag in den Nationalrat ein. „Im Sinne der Bürgerfreundlichkeit und der Möglichkeit, eine Europäische Bürgerinitiative zu starten, sprechen wir uns im Entschließungsan-trag für eine Herabsetzung der erforderlichen Mindestanzahl der beteiligten Mitgliedstaaten für Bürgerinitiativen auf sechs Länder aus“, so Neugebauer, der auch Vorsitzender des EU-Unterausschusses des österreichischen Parla-ments ist. Die bisherigen Vorschläge sehen hö-here Hürden für Bürgerinitiativen vor, meist ein Drittel der Mitgliedstaaten, also neun Länder.

Fritz Neugebauer präsidiert gemeinsam mit

dbb Chef Peter Heesen die CESI © CESI, 2010

Der Entschließungsantrag sieht ein Verfahren vor, demzufolge die Initiatoren von Bürgerinitia-tiven ihre Chancen bereits zu einem frühen Zeit-punkt einschätzen können. „Zudem fordern wir

verbindliche Bestimmungen für die EU-Kommission im Umgang mit erfolgreich durch-geführten EU-Bürgerinitiativen sowie eine we-sentlich frühere Entscheidung der Kommission über die Zulässigkeit von Bürgerinitiativen als erst nach Vorliegen von 300.000 Unterschriften“ sagte Neugebauer bei der Vorstellung des An-trags.

Dem zweiten Nationalratsvorsitzenden und CESI-Präsidenten ging es bei diesem Antrag vor allem um die erfolgreiche Umsetzung der Initia-tive für die Bürgerinnen und Bürger. „Bürgernä-he und Mitbestimmungsrechte entsprechen ganz dem Geist des Vertrags von Lissabon und sollen nun auch von der EU-Kommission ernst genommen und mit Leben gefüllt werden“ be-gründete Neugebauer den Antrag, der große Zustimmung fand, abschließend.

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Dauderstädt kritisiert Lohnentwicklung in Deutschland

„Es ist an der Zeit, die Wirtschaftspolitik in Europa besser zu koordinieren“, sagte Klaus Dauderstädt, Vorsitzender des Fachausschusses für Beschäftigung und Soziales (SOC) der unab-hängigen europäischen Gewerkschaften (CESI) am 26. Mai in einem Gespräch mit dem europä-ischen Nachrichtenportal EurActiv.de. Deren Ausgestaltung bedürfe jedoch demokratischer Kontrolle und Legitimation durch das Europäi-sche Parlament und die nationalen Parlamente. „Das darf kein Kreis für Kaminpolitik im Rat werden.“ Dass aber eine Wirtschaftsunion un-abdingbar ist, wenn der Euro nicht scheitern soll, liege, so Dauderstädt, der stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Beamten-bunds und Chef der Gewerkschaft der Sozial-versicherung (GdS) ist, auf der Hand. „Dem Namen nach haben wir zwar eine Wirtschafts- und Währungsunion. Faktisch haben wir in Europa aber nur eine partielle Währungsunion. Makroökonomische Ungleichgewichte wie die sehr unterschiedliche Lohnentwicklung in der Eurozone müssen abgemildert und perspekti-visch beseitigt werden. Sonst fährt die EU vor die Wand“, so Dauderstädt.

Der von Klaus Dauderstädt geführte Brüsseler Gewerkschaftsausschuss hat sich wiederholt mit der Lohnentwicklung in der EU befasst. Gerade in der Einkommensstruktur sieht Dau-derstädt eines der Kernprobleme der gegenwär-

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5. Jahrgang

tigen Eurokrise. Deutschland sei das einzige Euroland, in dem die Reallöhne in den vergan-genen 15 Jahren zurückgegangen sind. „Die negative Lohndrift in Deutschland muss been-det werden“, so Dauderstädt. Um aus der Schuldenkrise, die im Kern eine Vertrauenskrise sei, herauszukommen, könne nicht undifferen-ziert überall gespart werden. Sonst drohe eini-gen Staaten wirtschaftliche Stagnation, ande-ren ein Rückfall in die Rezession und den am stärksten von der Krise betroffenen gar eine Depression. Auf Deutschland bezogen mahnt Dauderstädt: „Es reicht nicht aus, dass wir uns auf unseren Export verlassen. Die hohen Ex-portüberschüsse sind den deutschen Arbeit-nehmern seit Mitte der neunziger Jahre nicht ausreichend zugutegekommen“. Weder seien die Löhne übertariflich gestiegen, was in der EU die Normalität sei. Noch habe es in entspre-chendem Maße Investitionen in qualitativ hochwertige deutsche Arbeitsplätze gegeben.

Klaus Dauderstädt warnt vor Lohnkürzungen,

fordert ein Ende der Lohnzurückhaltung © Jan Brenner, dbb 2010

„Die deutsche Lohnzurückhaltung, die so oft gelobt worden ist, beeinträchtigt nicht nur die Binnennachfrage. Sie schwächt auch die Wett-bewerbsfähigkeit unserer Partner in Europa und zwingt sie im Endeffekt, auf den deutschen Kurs des Reallohnrückgangs einzuschwenken. Wir haben einen Binnenmarkt mit 500 Millio-nen Bürgern. Das sind auch Konsumenten. Wir können uns nicht nur darauf verlassen, dass unsere Konjunktur von China, Indien und Brasi-lien angekurbelt wird“, so der SOC-Ausschussvorsitzende. Die Krise verunsichere die Menschen, erhöhe die Sparquoten. Ange-sichts der hohen öffentlichen Schuldenstände und der Demographie sei kurz- bis mittelfristig nicht mit Steuersenkungen oder geringeren Sozialabgaben zu rechnen, so Dauderstädt.

Allein eine strengere Bankenkontrolle und eine wirksamere Finanzmarktregulierung, bei denen die EU im Übrigen noch nicht sonderlich weit gekommen sei, reichten nicht aus. „Ohne Wirt-schaftswachstum wird es keinen Ausweg aus der Schuldenkrise geben. Also führt kein Weg an höheren Löhnen in Deutschland vorbei.“ Das sei aber kein rein nationales Problem. Vielmehr gelte für ganz Europa, dass Lohnkürzungen eine wirtschaftliche Abwärtsspirale massiv verstär-ken können.

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Die CESI sorgt sich um die konjunkturelle Erholung der euro-päischen Wirtschaft, wenn zu massiv gespart wird. Argumen-tative Unterstützung erhält sie von Amerikas Finanzminister Timothy Geithner. Dieser war am 27. Mai zu Gast bei Wolf-gang Schäuble in Berlin. Geithner warnte Europa vor einem

zu drastischen und undifferenzierten Sparkurs. Die selbst hochverschuldeten USA befürchten negative Auswirkungen

der europäischen Sparpolitik auf ihre eigene Wirtschaft. Denn in einer globalisierten Welt hängt alles mit allem zusammen.

© mipan - Fotolia.com

Solidarität mit den öffentlichen Bediensteten Die katastrophale Haushaltslage in vielen euro-päischen Ländern hat die Diskussion über Ein-sparmöglichkeiten des Staates angeheizt. Neben Steuererhöhungen werden auch Kürzungen der staatlichen Ausgaben beschlossen. Helmut Mül-lers, Generalsekretär der CESI, spricht sich vor diesem Hintergrund für Solidarität mit den An-gestellten des öffentlichen Diensts aus. „Es kann nicht sein, dass die Bediensteten alleine die Kon-sequenzen von jahrzehntelanger schlechter Poli-tik tragen müssen“ so Müllers in Brüssel.

Helmut Müllers bekräftigte die Unterstützung der CESI für die Sanierung der Staatshaushalte in Europa. Dies sei nötig, um das europäische Sozi-almodell zu retten. Gleichzeitig stellte er aber auch klar, dass die Reformen und Sparmaßnah-men nicht ohne die Beteiligung der Sozialpartner

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durchgeführt werden können. „Ohne einen an-gemessenen sozialen Dialog gibt es nicht den für Reformen nötigen Rückhalt in der Gesellschaft. Wenn wir unser Wirtschafts- und Sozialmodell retten wollen, müssen wir möglichst alle mit einbeziehen.“

Helmut Müllers, Sorge um die öffentlichen Dienste

© CESI 2010

Helmut Müllers rief zur Solidarität mit dem öf-fentlichen Dienst in Europa auf. „Der öffentliche Dienst ist ein stabilisierender Faktor in Europa. Wir können es uns nicht leisten, diesen Grund-pfeiler unserer Gesellschaft mitten in der Krise zu schwächen.“ Außerdem sei es nicht richtig, ausschließlich den öffentlich Bediensteten die Konsequenzen für jahrzehntelange falsche Poli-tik aufzubürden. „Das ist vor allem eine Frage von Gerechtigkeit“, so Müllers.

Schlechtere Sicherheitslage durch Krise?

Die Wirtschaft in Europa befindet sich derzeit in einem schlechten Zustand, umso besser geht es aber den Kriminellen. Wirtschaftskrisen haben erfahrungsgemäß immer dazu geführt, dass die Kriminalitätsrate, vor allem im Bereich der orga-nisierten Verbrechen, anstieg. Gerade jetzt wäre es also ein fatales Zeichen, wenn der Staat im Bereich der Sicherheit und der öffentlichen Ord-nung Einsparungen vornähme. Darin waren sich die Mitglieder des Berufsrats Justiz der CESI, der Anfang Mai tagte, einig. Außerdem wurde das Zukunftsthema e-Justiz diskutiert.

Der Vorsitzende des Berufsrats, Brian Caton, be-tonte, die Arbeit eines Polizisten werde angesichts zunehmender Gewalt in der Gesellschaft immer gefährlicher. Ein großes Problem sei zusätzlich, dass in vielen europäischen Ländern die Bezah-lung im Polizeidienst zu niedrig sei und so nur wenige Auszubildende angeworben werden könnten. Insgesamt sei es nicht möglich, sich angemessen auf die neuen Herausforderungen wie zum Beispiel Terrorismus, veränderte Profile von Straftätern und moderne Technik einzustel-len. In der Wirtschaftskrise müsse sich die Polizei in England, aber auch in vielen anderen Ländern der Europäischen Union, mehr und mehr gegen Sparvorhaben in ihrem Bereich wehren. Sei es jetzt schon sehr schwer, die öffentliche Sicherheit in jedem Fall aufrecht zu erhalten, so könnten weitere Sparmaßnahmen dies komplett unmög-lich machen.

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Wehrt sich gegen Sparen an Sicherheit, Brian Caton © CESI 2010

Ein weiteres wichtiges Thema, das vor allem die Beschäftigten in den Justizverwaltungen mehr und mehr beschäftigen wird, ist die e- Justiz, also der elektronische Austausch von Dokumenten. Viele Verwaltungsvorgänge, die bislang in Papier-form erledigt werden mussten, könnten zukünftig ausschließlich über das Internet abgewickelt wer-den. Der Service könne bedeutend gesteigert werden, dennoch gebe es auch Gefahren. Brian Caton wies darauf hin, dass ständige Erreichbar-keit zu erheblicher Belastung bei den Mitarbeitern führen kann. Die neue Technik dürfe nicht dazu führen, dass die Bediensteten überlastet würden. Ziel müsse eine Entlastung aller Beteiligten sein.

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Kein zusätzliches Geld für Erinnerungen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat ent-schieden, dass der im Montrealer Abkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr festgelegte Höchstbetrag von etwa 1100 Euro für beschädigtes oder verlorenes Gepäck eine abschließende Obergrenze darstellt. Immateriel-le Schäden können nicht extra mit einem zusätz-lichen Betrag verrechnet werden. Geklagt hatte ein Spanier, der sowohl den Höchstbetrag für seinen verlorenen Koffer inklusive Inhalt und nochmal einen zusätzlichen Betrag für Erinne-rungsstücke von seiner Fluggesellschaft zurück-verlangen wollte.

EU gewinnt in Cannes

Die Europäische Union selber hatte zwar keine Filme in den Wettbewerb in Cannes geschickt, aber zwanzig der Kunstwerke auf dem Festival wurden durch die europäische Filmförderung MEDIA unterstützt, sechs liefen in den Wettbe-werben, drei gewannen Preise: den großen Preis der Jury für Des hommes et des dieux, den Preis für die beste Regie für Mathieu Amalrics Tournée und den Preis für die beste Darstellerin für Juliet-te Binoche in Copie conforme.

Internet auf allen Frequenzen?

Das drahtlose Internet erobert mehr und mehr die europäischen Städte, Cafés, Hotels und viele andere Orte mehr. Damit zukünftig ein noch besserer Zugang zum schnurlosen Surfen mög-lich ist, hat die EU die Länder dazu aufgefordert, Frequenzen im 800-Mhz-Band für elektronische Kommunikationsdienste freizugeben. Verfügbar werden diese Bandbreiten, weil es zu einer groß-flächigen Umstellung von analogem zu digita-lem Fernsehen kommt. Dies verläuft nach ein-heitlichen technischen Regeln hin zu einem an-deren Frequenzbereich.

Wirtschaftskrise gut fürs Klima

Die Kosten für die Durchsetzung der europäi-schen Klimaziele sind seit 2008 um ein Drittel gesunken. Durch den Produktionsrückgang in der Wirtschaftskrise hat sich offensichtlich der CO2-Ausstoß derart verringert, dass die jährli-chen Kosten für das 20-Prozent-Reduktionsziel bis 2020 von 70 Milliarden Euro auf 48 Milliarden gesunken sind. Die Entscheidung über noch ehr-geizigere Ziele überlässt die Kommission aber den einzelnen Regierungen.

Autoreparaturen werden günstiger

In einer neuen Verordnung regelt die Europäi-sche Kommission den Markt für Kfz-Reparaturen neu. Zukünftig soll es für Verbraucher einfacher werden, ihren Markenwagen auch bei freien Werkstätten in Ordnung bringen zu lassen. Auch Neuwagen sollen günstiger werden, da be-stimmte, von der Kommission als überflüssig eingestufte, technische Hürden fallen sollen.

Mehr Schutz für Ölplattformen

Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko nimmt nie zuvor dagewesene Ausmaße an. Nachdem tech-nische Standards missachtet worden waren, kam es auf einer Plattform von BP am 20. April zu einer Explosion. Seitdem strömte das Öl wochen-lang ungehindert ins Meer. Damit so etwas in Europa nicht passiert, hat der europäische Ener-giekommissar Günther Oettinger Gespräche mit hiesigen Plattformbetreibern aufgenommen. Gemeinsam soll festgestellt werden, welche technischen Normen und Vorschriften notwen-dig sind, um eine ähnliche Katastrophe wie in den USA zu verhindern.

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Der Energiekommissar will kein „Kill Top“ in der Nordsee

© European Union, 2010

Ruhe nach dem Sturm

Hatte der isländische Vulkan mit dem schönen Namen Eyafjallajökull den europäischen Flugver-kehr im April und im Mai heftig durcheinander-gewirbelt, scheint er sich pünktlich zur Sommer-feriensaison zu beruhigen. Wer dennoch auf Nummer sicher gehen will und den Vulkanasche-flug mit verfolgen möchte, kann dies auf der Seite der europäischen Vulkanascheüberwa-chungsagentur in London machen. Hier werden regelmäßig neue Radarbilder eingestellt.

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Soziale Sicherheit in der EU – neue Regeln

von Eberhard Eichenhofer

Am 1. Mai 2010 trat die europäische Verordnung 883/2004 sowie die ihre Durchführung normie-rende Verordnung 987/2009 in Kraft. Die neuen Regeln lösen die bisherige Wanderarbeitnehmer-verordnung ab. Damit ist ein über Jahrzehnte hinweg debattiertes Projekt zur Modernisierung des Europäischen koordinierenden Sozialrechts abgeschlossen worden. Das mit großem Abstand bedeutendste sozialpolitische Regelungswerk Europas der zwischenstaatlichen Koordinierung sozialer Sicherheit hat damit eine neue und zeit-gemäße Form gefunden.

In der Sache haben sich manche Normen verän-dert. So ist der persönliche Geltungsbereich der Verordnung auf der Basis der bereits 2003 erfolg-ten Erweiterung des persönlichen Anwendungs-bereichs des koordinierenden Sozialrechts auch auf Drittstaater auch weiterhin gültig. Allerdings - und das ist ein Schönheitsfehler - gelten ab In-krafttreten des neuen Rechts für die Koordination von Ansprüchen der Drittstaater die alten Nor-men weiter. Trotz der jetzt in Kraft getretenen Neuregelung des Europäischen koordinierenden Sozialrechts wird es also künftig zwei Systeme der zwischenstaatlichen Sozialrechtskoordination geben, je nachdem, ob EU-Bürger oder Dritt-staatsangehörige betroffen sind.

Eine weitere große Veränderung ist die Einfüh-rung einer allgemeinen Tatbestandsgleichstellung (Artikel 5 der Verordnung). Dieses hoch abstrakte Regelungsprinzip soll helfen, die in anderen Mit-gliedstaaten zurückgelegten sozialrechtlichen Tatbeständen umfassend als gleichwertig zu be-rücksichtigen und anzuerkennen. Auf diese Weise wird zum einen die Mobilität innerhalb der EU befördert und damit zugleich sichergestellt, dass der Gebrauch von Mobilität nicht zu sozialrechtli-chen Nachteilen führt.

Auch bezüglich des generellen Gebots zum Export von Geldleistungen sieht das neue Recht eine weitreichende generelle Exportpflicht vor. Ledig-lich für Geldleistungen im Rahmen der Arbeits-förderung gelten noch Einschränkungen. Im Zu-sammenhang mit den Regeln über das anwend-bare Recht gibt es Änderungen im Hinblick auf die Entsendung. Diese ist nun künftig für einen Ge-samtzeitraum von 24 Monaten statt wie bisher zwölf Monaten mit einmaliger Verlängerungs-möglichkeit um weitere zwölf Monate vorgese-

hen. Dies bedeutet: Das bisherige Sozialrecht bleibt bestehen, wenn ein Beschäftigter bis zu 24 Monate vorübergehend in einem anderen Mit-gliedstaat arbeitet.

Bei der Regelung der Mehrfachbeschäftigung gilt nicht mehr der strikte Vorrang des Wohnstaates, sondern es gilt nun der Grundsatz, dass für einen in mehreren Staaten gleichzeitig Beschäftigten der Beschäftigungsstaat zuständig ist, in welchem die Erwerbstätigkeit ihren ökonomischen Schwer-punkt hat, wo also das höchste Einkommen erzielt wird.

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Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer ist Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und Inhaber des Lehrstuhls

für Sozialrecht und Bürgerliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena

© Universität Jena 2010

Wenige Veränderungen gab es im Hinblick auf die Koordinierung der Leistungen bei Krankheit. Al-lerdings sind die zugunsten des ein Kleinkind betreuenden Vaters geltenden Bestimmungen als Leistungen bei Vaterschaft in die Koordinierung einbezogen worden. Sie werden entsprechend den Regeln für die Mutterschaftsversicherung behandelt. Bei Grenzgängern und deren Familien-angehörigen besteht nun endlich die volle Wahl-freiheit zwischen Leistungen des Beschäftigungs- und Wohnstaats in der Kranken- und Pflegeversi-cherung.

Wie bisher gilt auch in der Krankenversicherung der Rentner die Primärzuständigkeit des Wohn-staats; allerdings besteht auch die Möglichkeit eines Anspruchs im Staat des vorübergehenden Aufenthalts. Konkurrieren bei Pflegeleistungen Geld- und Sachleistungsansprüche, so verdrängt der Sachleistungs- den Geldanspruch.

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Allerdings hat die seit mehr als einem Jahrzehnt virulente Problematik der Leistungsinanspruch-nahme außerhalb des zuständigen Staates keine Beachtung gefunden. Es ist also nach wie vor nicht klar, unter welchen Voraussetzungen Versi-cherte Krankenbehandlungen in anderen Mit-gliedstaaten auf Kosten der eigenen Krankenkas-se beanspruchen dürfen. Hier hat nach wie vor die Rechtsprechung das letzte Wort!

Egal wo es in der EU hingeht, …

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Im Recht der Koordination der Leistungen für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten ist das bis-herige Recht fortgeführt worden. Lediglich die bisher bestehende Möglichkeit der anteiligen Leistung von Entschädigung wegen einzelner Berufskrankheiten (Lungenerkrankung) ist voll-ständig aufgehoben worden. Bezüglich der Leis-tungen der Invaliditäts- und Alterssicherung ist künftig danach zu unterscheiden, ob eine umfas-sende Integration in das System eines Staates vorgesehen ist oder nicht. Im ersteren Falle ist der Wohnstaat zuständig, im anderen Fall bleibt es bei der bisher üblichen zeitanteiligen Gewährung von Renten.

Für Leistungen bei Arbeitslosigkeit können die Mitgliedstaaten neuerdings die Bezugszeit für Arbeitslosengeld bei Arbeitsuche in einem ande-ren Mitgliedstaat von gegenwärtig drei auf sechs Monate erweitern. Bei der Regelung der Arbeitslo-sensicherung für Personen, die außerhalb des zuständigen Staates wohnen, bleibt es zwar bei der Zuständigkeit des Wohnstaates bei Eintritt der Vollarbeitslosigkeit. Allerdings beteiligt sich der Beschäftigungsstaat in höherem Umfang als bis-her an den Leistungen des Wohnstaats, nämlich für drei oder fünf Monate.

Im Recht der Familienleistungen ist vorgesehen, dass der Beschäftigungsstaat eines Elternteils künftig Vorrang vor der Leistungspflicht des

Wohnstaats hat. Der Wohnstaat hat jedoch dann Vorrang, wenn dort ein Elternteil auch beschäftigt ist. Die beitragsunabhängigen Geldleistungen wie zum Beispiel Arbeitslosengeld II sind von dem Exportgebot ausgenommen. Gleichzeitig ist gesi-chert, dass allen EU-Bürgern bei Aufenthalt in einem beitragsunabhängigen Geldleistungen schuldenden Staat der gleiche Zugang zur Leis-tung gewährt wird. Terminologische und sachli-che Verbesserungen im internationalen Verwal-tungsverfahren sollen künftig sicherstellen, dass jeder Sozialleistungsträger grenzüberschreitend Beiträge und Rückforderungen geltend machen kann.

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… die Sozialversicherung gilt

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Die Reform des Europäischen koordinierenden Sozialrechts hat das hergebrachte Recht daher bedeutsam und weitreichend fortentwickelt. Es bleiben aber noch zahlreiche Möglichkeiten für weitere Reformen offen. Namentlich ist das Prob-lem der grenzüberschreitenden Sachleistungser-bringung in der Krankenversicherung, aber auch in anderen Zweigen des Sozialversicherungsrechts noch besser als bisher zu regeln.

Langfassung erschienen in „Die Sozialgerichtsbarkeit – Zeitschrift für das aktuelle Sozialrecht“, 57. Jahrgang, April 2010

Termine

3.-4.6.2010 Europäischer Rat Justiz und Inneres in Brüssel

7.-.8.6.2010 Europäischer Rat Beschäftigung, Sozialpo-litik, Gesundheit und Verbraucher

9.6.2010 13. Europäischer Abend im dbb forum Berlin zu europäischer Arbeitsmarktpolitik

16.-18.6.2010 Fachtagung der CESI in Riga

17.-18.6.2010 Europäischer Rat in Brüssel

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Interview mit Erika Mezger, stellvertretende Direktorin der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound)

Die promovierte Verwaltungswissen-schaftlerin Erika Mezger begann ihre wis-senschaftliche Karriere 1987 bei der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Hier forschte sie vor allem auf dem Gebiet der Geschlechterforschung und zur Sozialpo-litik. In den vergangenen Jahren beschäf-tigte sie sich hauptsächlich mit Fragen des Wohlfahrtsstaats, modernen Regie-rungsformen und aktiver Arbeitsmarktpo-litik. Zusätzlich zu ihrer Erfahrung in Deutschland kann sie auch Studienauf-enthalte in Washington D.C., New York und Harvard vorweisen. Bevor Erika Mez-ger die Stelle als stellvertretende Direkto-rin bei Eurofound übernahm, war sie Lei-terin der Abteilung für Forschungsförde-rung der Hans-Böckler-Stiftung. Bei der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, kurz Eurofound, ist sie neben dem Direktor der Stiftung, Jorma Karppinen, das öffentli-che Gesicht der Stiftung und hat ihren persönlichen Schwerpunkt auf die For-schungsförderung gelegt. Ei

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© Eurofound, 2010

Europathemen: Was ist und was macht Euro-found?

Mezger: Die Europäische Stiftung zur Verbesse-rung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, kurz Eurofound, wurde 1975 gegründet und war damit die erste Agentur der Europäischen Uni-on. Grundlage ist eine tripartistische Struktur, das heißt also, dass Arbeitgeberverbände, Ge-werkschaftsverbände und auf staatlicher Seite nationale Regierungen und die Europäische Kommission an Eurofound beteiligt sind. Durch die besondere europäische Struktur sind es faktisch also sogar vier beteiligte Partner. Auf-trag der Stiftung ist es, komparative Analysen, Studien und Gutachten zu erstellen, und vor allem mit unseren Befragungen umfangreiche und seriöse Daten zu den Arbeits- und Lebens-bedingungen und zur Situation der Unterneh-men auf europäischer Ebene zur Verfügung zu stellen. Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbe-dingungen in Europa. So betreiben wir einer-

seits selbst Forschung, haben uns aber anderer-seits auch die Forschungsförderung in ganz Europa zum Ziel gesetzt.

Europathemen: Was ist Ihre Rolle in dieser EU-Agentur?

Mezger: Ich bin als stellvertretende Direktorin von Eurofound zusammen mit dem Direktor für die Steuerung und Repräsentation der Agentur nach innen und außen zuständig. Mein Schwerpunkt ist die Forschung und die For-schungsförderung. Außerdem bin ich zuständig für die Entwicklung von übergreifenden Frage-stellungen. Es muss immer wieder neu geklärt werden, welche aktuellen Fragen wir in unserer konkreten Forschungsarbeit berücksichtigen müssen.

Europathemen: Was ist das für ein Monstrum, diese Krise, die von einer globalen Banken- zu einer europäischen Existenzkrise geworden ist?

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Mezger: Die Finanzkrise hat harte, unüberseh-bare Auswirkungen auf die Arbeits- und Le-bensbedingungen der Menschen. Wie es so weit kam, zeigen nicht nur die Forschungser-gebnisse, sondern auch die tagespolitischen Beobachtungen. Über Jahre hinweg sind offen-sichtlich durch Übersteuerung, Überhitzung und Spekulation - Stichwort Finanzblase – die Finanzmärkte in die Krise getrieben worden. Das wird zum Beispiel in Irland, wo Eurofound seinen Sitz hat, deutlich. Jahrelang wurden Schulden gemacht, die Investitionen waren durch keine Werte gedeckt. So hat eine Über-steuerung des Wirtschafts- und Finanzzyklus stattgefunden, begünstigt durch einen Mangel an Regulierung und proaktiver Steuerung.

Allerdings bin ich mir bei dem Wort Monstrum nicht ganz sicher. Aus der ökonomischen Ge-schichtsforschung wissen wir, dass es in den letzten Jahrhunderten immer wieder diese ökonomischen Krisen gab. In der heutigen Zeit sind die Menschen durch die Prozesse der Glo-balisierung auf einmal weltweit betroffen und merken somit zum ersten Mal schmerzhaft, wie weit die Vernetzung bereits vorangeschritten ist. Dass die Auswirkungen einer Krise auf dem Wohnungsmarkt der USA ihr Leben hier in Eu-ropa direkt betrifft, wird dann tatsächlich als Monstrum wahrgenommen. Das führt zu einer ziemlichen Überforderung. Eurofound konzen-triert sich vor allem auf die Auswirkungen, die diese Krise auf die konkreten Arbeits- und Le-bensbedingungen hat.

Europathemen: Was macht die Krise heute mit den Beschäftigten in Europa? Was bedeutet sie für die Arbeitslosen und für die vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen?

Mezger: Es gibt in Europa eine große Verunsi-cherung. In unserer großangelegten Studie zu den Lebensbedingungen in Europa haben wir festgestellt, dass es eine Art Zukunftsangst gibt, dass eine gewisse Desorientierung vorherrscht. Die Menschen sind plötzlich damit konfrontiert, dass so etwas wie lebenslange Beschäftigung in einem einzigen Betrieb, wie es zum Beispiel bislang in Deutschland häufig die Regel war, nicht mehr garantiert ist, auch wenn die Mehr-heit der Menschen noch so lebt. Die Menschen sind mit der Dynamisierung des Arbeitsmarkts konfrontiert. Der beste Weg damit umzugehen, sozusagen die beste Therapie, sind Qualifizie-rung und Weiterbildung, also lebenslanges Lernen. Der einzelne muss in sich selbst inves-

tieren. Wir müssen bereits im Kindergarten damit anfangen, gezielt Einbindungskonzepte zu entwickeln, gerade auch für Menschen die sozial ausgeschlossen sind. Es muss etwas ge-gen die Verunsicherung der Menschen getan werden, speziell auch bei den Nicht-Qualifizierten. Ihr Potential muss entwickelt werden. Wir sprechen von aktivem capacity building, also gezielten Weiterbildungsmaß-nahmen, die auf die speziellen Bedürfnisse die-ser Menschen abgestimmt sind.

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Zukunft © lassedesignen - Fotolia.com

Europathemen: Gibt es also eine deutliche Zu-nahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse, also von Teilzeitarbeit unter halbtags, befristeten Verträgen, Leih- und Zeitarbeit?

Mezger: Auf jeden Fall! Genau das stellen wir fest. In allen Bereichen kommt es vermehrt dazu, dass es lebenslange, feste Arbeitsverträge nicht mehr gibt und atypische oder untypische Arbeitsverträge wie Zeitarbeit oder Leiharbeit deutlich zunehmen. Das ist ein Trend, den wir europaweit beobachten können.

Europathemen: Was bedeutet das langfristig für den sozialen Zusammenhalt in Europa?

Mezger: Ich denke, dass wir vor allem mit Blick auf die aktuell diskutierte Strategie Europa 2020 der Europäischen Kommission so etwas wie Übergangsarbeitsmärkte und integrierte Arbeitsmärkte auch länderübergreifend entwi-ckeln müssen. Nationale Strategien sind nicht mehr die hinreichende Lösung. Sie greifen zu kurz. Es müssen umfassende proaktive Maß-nahmen ergriffen werden. Letztlich sind neben den Regierungen und der EU natürlich auch die Sozialpartner gefordert. Sie müssen in ihren Bereichen Konzepte entwickeln, um die soziale Inklusion wieder herzustellen.

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Vor allem für junge Nicht-Qualifizierte müssen Konzepte entwickelt werden, um sie doch noch zu qualifizieren und um sie in den Arbeitsmarkt einzubeziehen. Diese Einbindungskonzepte dürfen aber nicht nur entwickelt, sie müssen auch wirklich umgesetzt werden.

Europathemen: Haben Sie den Eindruck, dass Arbeitgeber in Europa Konzepte wie Flexicurity vor allem deshalb befürworten, weil die Risiken hauptsächlich auf die öffentliche Hand zurück-fallen? Ist Flexicurity ein fairer Deal?

Mezger: Es geht hier tatsächlich um ein Tauschgeschäft. Gute Arbeitgeber - und dafür gibt es in den europäischen Ländern auch hin-reichend Beispiele - verstehen unter Flexicurity nicht ein Konzept zur einseitigen Arbeitskos-tenentlastung. Sondern es gibt durchaus Ar-beitgeber und Verantwortliche, die Flexicurity als tripartistische Angelegenheit interpretieren, also als ein Konzept bei dem die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und der Staat alle ihren fairen Beitrag leisten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kurzarbeiterregelung in Deutschland. Schlechte Arbeitgeber - und auch dafür gibt es in den europäischen Ländern hinreichend Beispiele -sind aus meiner Sicht solche, die ein noch fle-xibleres Arbeitsrecht einfordern und keinen Eigenbeitrag zur Lösung der Krise beziehungs-weise zur Einbindung von sozial Schwachen leisten. Das ist der falsche Weg. Ich sehe Flexi-curity als eine faire Arbeitsteilung der verant-wortlichen Akteure.

Europathemen: Wie beurteilen Sie die Lissabon Nachfolgestrategie beschäftigungspolitisch? Sind die 2020-Ziele eher erreichbar als die der Lissa-bon-Dekade?

Mezger: Es ist zu kritisieren, dass es keine an-gemessene Evaluierung des Scheiterns der Lis-sabon-Agenda 2010 gegeben hat. Ein wichtiger Punkt ist die Nichterreichbarkeit der angestreb-ten Beschäftigungsquote. Dieser Fehler wird in der neuen Strategie „Lissabon 2020“ einfach wiederholt, in dem festgelegt wird, dass 2020 75 Prozent aller Menschen in einem Alter zwi-schen 20 und 64 Jahren beschäftigt sein sollen. Das Ziel ist zwar einerseits sinnvoll, aber ande-rerseits ist schon heute klar, dass das in den nächsten zehn Jahren nur in einzelnen Ländern erreichbar sein wird. Ich glaube im Prinzip, dass es gut ist, solche globalen europäischen Ziele zu formulieren, aber ich glaube auch, dass es hilf-reicher wäre, länderspezifische Differenzierun-

gen für die Beschäftigungspolitik festzulegen. 75 Prozent bei älteren Beschäftigten, bei einer derzeitigen Quote von 30 oder 40 Prozent in einigen Ländern, sind aber weit weg von jeder Realität. Viele Akteure sagen deshalb zu Recht, dass die Beschlüsse der Europäischen Kommis-sion, im Rat und im Parlament für sie keine Relevanz haben. Das ist schade. Es sollte etwas mehr Realismus einkehren, so wie es teilweise in der Diskussion im Europäischen Parlament schon der Fall ist. Aber im Prinzip zielt die Stra-tegie in die richtige Richtung.

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Krise bedeutet Veränderung © Nerlich Images - Fotolia.com

Europathemen: Wohin wird sich die EU politisch und institutionell entwickeln müssen, um die Krisenfolgen bewältigen zu können?

Mezger: Ich glaube, dass wir mehr Partizipation brauchen. So hätte zum Beispiel die 2020-Strategie deutlich länger und mit mehr Akteu-ren diskutiert werden müssen. Wie Sie wissen, will das Parlament die neue Strategie noch vor der Sommerpause beschließen. Ich war kürzlich in Deutschland und habe gemerkt, dass nie-mand diese Strategie kennt. Das zeigt, dass die Kommunikation während der Entwicklung der Ziele nicht hinreichend war. Es muss mehr zivil-gesellschaftliche Aktivität und mehr Einbindung von ehrenamtlichen Akteuren in eine derartige politisch-konzeptionelle Debatte geben. Aus der Erfahrung von Eurofound scheint es mir auch wichtig, dass die Zusammenarbeit zwischen Kommission, Rat und Parlament transparenter wird. Alle Akteure müssen wissen, wer für was zuständig ist.

Europathemen: Spielen die öffentlichen Dienste in diesen schwierigen Zeiten eine stabilisierende Rolle?

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Mezger: Im Prinzip ja. Der öffentliche Sektor in Krisenzeiten ist in vielen Ländern immer noch ein Hort der Stabilität und der Sicherheit. Öf-fentliche Dienstleistungen dienen vor allem dazu, die Institutionen zu organisieren, die be-sonders in der Krise sehr wichtig sind. Also die, die soziale Dienstleistungen anbieten. Dass der öffentliche Dienst wie zum Beispiel in Irland von Kürzungen betroffen ist, hat natürlich auch auf diese Funktion Einfluss. Doch ist es nach wie vor so, dass der öffentliche Sektor beispielswei-se durch Öffentlich-Private Partnerschaften andere Bereiche stabilisieren und unterstützen kann.

Europathemen: Wie wird sich die Herausforde-rung des demographischen Wandels angesichts der alles überlagernden Finanzkrise auswirken? Hat der demographische Wandel nicht auch Folgen für die Finanzmarktstabilität?

Mezger: Der demographische Wandel sorgt für brutale Rückwirkungen auf die sozialen Siche-rungssysteme. Die Ansprüche sinken und mehr Leistungen werden eingefordert. Der Druck auf die Systeme der sozialen Sicherung nimmt stark zu. Auch kapitalgedeckte Anlageformen sind in Zeiten sinkender Zinsen nicht mehr so sicher, wie sie noch vor kurzem schienen. Bis 2020 wird das Potential der Ansprüche deutlich sinken. Das ist ein großes Problem, was bislang noch kaum erkannt und konzeptionell bearbeitet wurde.

Europathemen: Was bedeutet die Krise inhaltlich für die Arbeit von Eurofound?

Mezger: Es bedeutet, dass in unseren Jahres-programmen das Thema „Wirkung der Wirt-schafts- und Finanzkrise auf die Arbeits- und Lebensbedingungen“ eine Grundorientierung für alle unsere Projekte geworden ist. Wir ha-ben in unserem fünften europäischen “Working Conditions Survey“, einer detaillierten Untersu-chung der Arbeitsbedingungen in Europa deren Ergebnisse Ende des Jahres vorliegen werden, ganz konkret danach gefragt, was die Finanzkri-se für die Beschäftigten bedeutet. Wir wollen wissen, welche Wirkungen es auf die Arbeits-plätze gibt. Kommt es vermehrt zu atypischen Beschäftigungsverhältnissen? Verändern sich die Gehaltsstrukturen? Wie gut sind Privat- und Berufsleben vereinbar? Gibt es einen Zusam-menhang zwischen gesundheitlicher Entwick-lung und Arbeitsintensität? Diese Fragestellun-

gen haben einen starken Einfluss auf unsere Forschung und die Datenerhebung.

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Die Stiftung in Dublin

© Eurofound, 2010

Europathemen: Wie werden die Arbeitsmärkte der Zukunft aussehen? Wie wird Europa im Jahr 2020 aussehen?

Mezger: Hochdynamisch! Im besten Falle gäbe es zwar einerseits hohe Anforderungen an den Einzelnen – mögliche Wechsel der Arbeitsstelle, Erwerb unterschiedlicher Qualifikationen, mehr Flexibilität - aber andererseits hätte auch jeder die Garantie, im Falle von Arbeitslosigkeit für einen schnellen Wiedereinstieg in den Arbeits-markt entsprechende Umschulungs- und Quali-fizierungsmöglichkeiten auch kurzfristiger Na-tur in Anspruch nehmen zu können. Langzeitar-beitslosigkeit sollte es im besten Falle nicht mehr geben. Dafür müssen noch mehr realisti-sche Rückkehrmöglichkeiten in das Berufsleben geschaffen werden. Gesicherte Beschäftigungs-verhältnisse sollten weiter stabilisiert und an-gestrebt werden.

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