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Algorithmische Mathematik 1 Ein Skriptum zur Vorlesung im WS 2004/05 Franz Pauer 4.Auflage c 2005 FRANZ PAUER I NNSBRUCK, ¨ OSTERREICH

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Algorithmische Mathematik 1

Ein Skriptum zur Vorlesung im WS2004/05

Franz Pauer

4.Auflage

c© 2005 FRANZ PAUER INNSBRUCK, OSTERREICH

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Vorwort

Das vorliegende Skriptum soll den Horerinnen und Horern der Vorle-sung

”Algorithmische Mathematik 1“ im Wintersemester 2004/05 das Mit-

schreiben und Mitdenken in der Vorlesung erleichtern. Das Skriptum enthaltalle Algorithmen, Definitionen und Satze der Vorlesung, aber fast keine Bei-spiele dazu. In der Vorlesung werden die Algorithmen, Definitionen undSatze motiviert, der Zusammenhang mit fruheren Ergebnissen erlautert undBeispiele dazu besprochen.

Die Hauptziele dieser Vorlesung sind:

• Zahlenbereiche, in denen exakt (also ohne zu runden) gerechnet wer-den kann, aufzubauen (Kapitel 1 und 5).Dazu werden Moglichkeiten zur Darstellung von ganzen, rationalenund algebraischen Zahlen sowie Verfahren zum Rechnen mit diesenZahlen vorgestellt. Grundlegend dafur sind die Division mit Rest,der Euklidische Algorithmus und der erweiterte Euklidische Algo-rithmus.

• Systeme linearer Gleichungen zu losen (Kapitel 2).Die Fragen, wann es eine Losung gibt, ob sie eindeutig ist und wieLosungen berechnet werden konnen, werden vollstandig beantwor-tet. Weiters wird gezeigt, wie die Menge aller Losungen durch end-lich viele Daten beschrieben werden kann. Dazu muss die Matrizen-rechnung eingefuhrt und auf die Theorie der Vektorraume eingegan-gen werden. Das zentrale Rechenverfahren zur Losung von Systemenlinearer Gleichungen ist der Gauss-Algorithmus.

• Eigenwertprobleme zu losen(Kapitel 6).Dazu benotigte Hilfsmittel sind Determinanten und polynomiale Ab-bildungen.

Fur diese drei Themen ist das Rechnen mit Abbildungen (Kapitel 3) undmit Polynomen (Kapitel 4) von großer Bedeutung.Im Kapitel 0 werden einige Grundbegriffe der Mathematik eingefuhrt.

Dieses Skriptum hat viel mit den Skripten Lineare Algebra (Dur, A.und Pauer, F., Institut fur Mathematik, Universitat Innsbruck, 2004, 4. Auf-lage) und Algebra (Pauer, F., Institut fur Mathematik, Universitat Innsbruck,2000, 2. Auflage) gemeinsam.

Von den ersten drei Auflagen (September 2001, 2002 und 2003) unter-scheidet sich diese vierte Auflage nur durch einige Korrekturen und kleinereVeranderungen.

ii

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iii VORWORT

Franz Pauer Innsbruck, September 2004

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ii

Kapitel 0. Mengen und Abbildungen 11. Mengen 12. Durchschnitt, Vereinigung und Komplement 23. Abbildungen 34. Familien, Tupel, Folgen und kartesisches Produkt 55. Zusammengesetzte Aussagen 86. Der Induktionsbeweis 8

Kapitel 1. Rechnen mit ganzen und rationalen Zahlen 101. Rechenregeln fur ganze Zahlen 102. Division mit Rest 113. Zifferndarstellung von Zahlen 124. Rationale Zahlen 155. Zifferndarstellung von rationalen Zahlen 186. Der Euklidische Algorithmus 197. Primzahlen 228. Gruppen 249. Ringe und Korper 2710. Restklassen 30

Kapitel 2. Systeme linearer Gleichungen 341. Matrizen 342. Elementare Umformungen 393. Systeme linearer Gleichungen 414. Vektorraume 435. Erzeugendensysteme, lineare Unabhangigkeit und Basen 456. Der Gauss-Algorithmus 49

Kapitel 3. Rechnen mit Abbildungen 561. Permutationen 562. Polynomiale Abbildungen 603. Lineare Abbildungen 634. Die Matrix einer linearen Abbildung 655. Basiswechsel 69

Kapitel 4. Polynome 731. Der Polynomring 73

iv

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v INHALTSVERZEICHNIS

2. Nullstellen von Polynomen 753. Interpolation 774. Der Euklidische Algorithmus fur Polynome 785. Irreduzible Polynome 806. Die Anzahl der Nullstellen eines Polynoms 827. Polynome in mehreren Variablen 84

Kapitel 5. Erweiterungen des Zahlenbereichs 871. Algebraische Elemente und Minimalpolynome 872. Existenz von Nullstellen 893. Endliche Korper 92

Kapitel 6. Eigenwertprobleme 931. Eigenwerte und Eigenvektoren 932. Determinanten 943. Berechnung von Eigenwerten 99

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KAPITEL 0

Mengen und Abbildungen

1. Mengen

Definitionen setzen Vorwissen voraus. Zum Beispiel setzt die Definition

”Ein Quadrat ist ein gleichseitiges Rechteck“

voraus, dass bekannt ist, was”gleichseitig“ und

”Rechteck“ bedeuten. Die

Definition

”Eine gerade Zahl ist eine ganze Zahl, die von 2 geteilt wird“

setzt voraus, dass bekannt ist, was”ganze Zahl“ und

”teilen“ bedeuten. Fur

Definitionen wird haufig die folgende Kurzschreibweise verwendet:

zu definierender Begriff := definierende (schon bekannte) Begriffe .

Zum Beispiel:

Quadrat := gleichseitiges Rechteck

(in Worten: ein Quadrat ist ein gleichseitiges Rechteck)und

gerade Zahl := ganze Zahl, die von 2 geteilt wird

(in Worten: eine gerade Zahl ist eine ganze Zahl, die von 2 geteilt wird).Der Begriff

”Menge“ ist jedoch ein Grundbaustein der Mathematik, der

nicht definiert, sondern nur umschrieben wird: Eine Menge ist eine Zusam-menfassung unterscheidbarer Objekte. Diese heißen Elemente der Menge.

Eine Menge kann auf zwei Arten angegeben werden:

(1) durch Anschreiben der Elemente zwischen geschweiften Klammern,zum Beispiel {7,3,5,8,1} , {Meier, Muller} ;oder

(2) durch ihre Eigenschaften, zum Beispiel{n | n ganze Zahl, n ist großer als 0 und kleiner als 7}(Sprechweise:

”die Menge aller n, fur die gilt: n ist eine ganze Zahl,

die großer als 0 und kleiner als 7 ist“ oder”die Menge aller ganzen

Zahlen, die großer als 0 und kleiner als 7 sind“).

Bezeichnungen:/0 := {} leere Menge

(Menge ohne Elemente)N := {0,1,2,3, . . .} Menge der naturlichen ZahlenZ := {0,1,−1,2,−2, . . .} Menge der ganzen Zahlen

Ist M eine Menge, so wird

1

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2 0. MENGEN UND ABBILDUNGEN

e ∈ M

fur”e ist ein Element von M“ geschrieben, und analog

e /∈ M

fur”e ist kein Element von M“.

Auf logische Probleme, die bei der Einfuhrung des Begriffes”Menge“

auftreten, gehen wir hier nicht ein. Das”Russell’sche Paradoxon“ zeigt,

dass man nicht zu sorglos sein darf:

Gilt fur M := {A | A Menge, A /∈ A} die Beziehung M ∈ M ?

Beispiel 1 : 1 ∈ N , −1 6∈ N , 1 6∈ /0.

Definition 1 : M und N seien Mengen. M heißt Teilmenge von N, in Zei-chen

M ⊂ N oder M ⊆ N ,

wenn jedes Element von M auch Element von N ist.

M 6⊂ N

bedeutet, dass M nicht Teilmenge von N ist. Die Mengen M und N sindgleich, in Zeichen

M = N ,

wenn M ⊂ N und N ⊂ M ist. Falls M und N nicht gleich sind, schreibt man

M 6= N .

Schließlich bedeutetM $ N ,

dass M ⊂ N und M 6= N ist, und man nennt M eine echte Teilmenge vonN.

Beispiel 2 : Fur alle Mengen N ist N ⊆ N und /0 ⊆ N. Es ist {a,b,c} ={b,a,c} = {c,a,b}, beim Anschreiben der Elemente einer Menge kann dieReihenfolge also beliebig gewahlt werden.

2. Durchschnitt, Vereinigung und Komplement

Definition 2 : M und N seien Mengen. Der Durchschnitt von M und N istdie Menge

M∩N := {a | a ∈ M und a ∈ N} .

Die Mengen M und N sind disjunkt, wenn ihr Durchschnitt leer ist.Die Vereinigung von M und N ist die Menge

M∪N := {a | a ∈ M oder a ∈ N} ,

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3 0. MENGEN UND ABBILDUNGEN

wobei mit”oder“ das einschließende Oder (

”und-oder“) und nicht das aus-

schließende Oder (”entweder-oder“) gemeint ist. Das Komplement von N in

M bzw. die Mengendifferenz von M und N ist

M \N := {a | a ∈ M und a 6∈ N} .

Beispiel 3 :{1,2,3}∩{4,3,5}= {3} ,

{1,2,3}∪{4,3,5}= {1,2,3,4,5} ,

{1,2,3}\{4,3,5}= {1,2} .

Definition 3 : Sind M, N und P Mengen, so bedeutet

M∩ (N ∪P) ,

dass zuerst die Vereinigung von N und P gebildet wird und danach derDurchschnitt von M mit N ∪P. Analog wird fur andere Verknupfungen dieReihenfolge durch Klammerung festgelegt.

3. Abbildungen

M und N seien Mengen. Eine Abbildung oder Funktion von M nach N isteine Vorschrift, die jedem Element von M genau ein Element von N zuord-net. M heißt dann der Definitionsbereich der Abbildung, N der Bildbereich.Die Schreibweisen

f : M → N , m 7→ f (m) ,

oderf : M −→ N

m 7→ f (m)

bedeuten, dass f eine Abbildung von M nach N ist, die dem Element m ∈M das Element f (m) ∈ N zuordnet. Das Element f (m) heißt Bild von m(bezuglich f ). Ein Element m ∈ M mit f (m) = n ∈ N heißt ein Urbild vonn (bezuglich f ).

Beispiel 4 : Die Abbildung

f : N → Z , z 7→ 2z−3 ,

ordnet jeder naturlichen Zahl z die ganze Zahl 2z− 3 zu. Das Bild von 0bzw. 1 bzw. 2 bezuglich f ist −3 bzw. −1 bzw. 1.

Definition 4 : Seien f : M → N und g : P → Q Abbildungen. Dann sind fund g gleich, in Zeichen

f = g ,

wenn gilt: M = P, N = Q und fur alle m ∈ M ist f (m) = g(m).

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4 0. MENGEN UND ABBILDUNGEN

Definition 5 : Sei M eine beliebige Menge. Dann heißt die Abbildung

IdM : M → M , m 7→ m ,

die identische Abbildung oder Identitat auf M.

Definition 6 : Seien f : M → N eine Abbildung, A ⊂ M und B ⊂ N. Dannheißt

f (A) := { f (a) | a ∈ A} ⊂ N

das Bild von A (bezuglich f ),

Bild( f ) := f (M)

heißt das Bild von f , und

f−1(B) := {m ∈ M | f (m) ∈ B}heißt das Urbild von B (bezuglich f ). Die Abbildung

f |A : A → N, a 7→ f (a),

heißt die Einschrankung von f auf A. Man sagt”

f bildet A auf B ab“, wennf (A) = B ist.

Definition 7 : Seien f : M → N und g : P → Q Abbildungen mit

Bild( f ) ⊂ P .

Dann heißt die Abbildung

g◦ f : M → Q, m 7→ g( f (m)),

die Hintereinanderausfuhrung oder Zusammensetzung von f und g (sprich

”g nach f“). Oft wird statt g◦ f nur g f geschrieben.

Beispiel 5 : Die Hintereinanderausfuhrung von

f : N → Z , z 7→ 2z+1 ,

undg : Z → Z , z 7→ 3z−7 ,

istg f : N → Z , z 7→ 6z−4 .

Satz 1 : Seien f : M → N, g : P → Q und h : R → S Abbildungen mitBild( f ) ⊂ P und Bild(g)⊂ R. Dann gilt

h◦ (g◦ f ) = (h◦g)◦ f =: h◦g◦ f ,

d.h. bei mehrfacher Hintereinanderausfuhrung von Abbildungen kommt esnicht auf die Reihenfolge an (die Hintereinanderausfuhrung von Abbildun-gen ist assoziativ, auf das Setzen von Klammern kann verzichtet werden).

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5 0. MENGEN UND ABBILDUNGEN

Beweis: Sowohl h ◦ (g ◦ f ) als auch (h ◦ g) ◦ f sind Abbildungen von Mnach S. Fur jedes m ∈ M ist

(h◦ (g◦ f ))(m) = h((g◦ f )(m)) = h(g( f (m))) = (h◦g)( f (m))

= ((h◦g)◦ f )(m).

Definition 8 : Eine Abbildung f : M → N heißt injektiv bzw. surjektiv,wenn jedes Element von N hochstens bzw. mindestens ein Urbild hat. EineAbbildung f : M → N heißt bijektiv, wenn jedes Element von N genau einUrbild hat.Wenn f : M → N bijektiv ist, dann heißt die (ebenfalls bijektive) Abbildung

f−1 : N → M, n 7→ Urbild von n bezuglich f ,

die zu f inverse Abbildung oder die Umkehrabbildung von f .

Eine Abbildung ist also genau dann bijektiv, wenn sie sowohl injektivals auch surjektiv ist. Eine Abbildung ist genau dann surjektiv, wenn ihr Bildund ihr Bildbereich gleich sind. Eine Abbildung ist genau dann injektiv,wenn die Bilder von je zwei verschiedenen Elementen wieder verschiedensind.

Definition 9 : Eine Menge M heißt endlich, wenn sie leer ist oder es einn ∈ N und eine bijektive Abbildung f : {1, . . . ,n} → M gibt. Man nenntdann

#(M) := n

die Anzahl der Elemente von M. Die leere Menge hat 0 Elemente.M heißt unendlich, wenn M nicht endlich ist.

4. Familien, Tupel, Folgen und kartesisches Produkt

Eine Abbildung f : I → M wird manchmal in der Form

( f (i))i∈I oder ( fi)i∈I

geschrieben und als Familie von Elementen in M, indiziert durch I, bezeich-net. I heißt dann die Indexmenge der Familie ( fi)i∈I. Die Familie ( fi)i∈Iheißt endlich, wenn I endlich ist.Wichtige Spezialfalle sind:

(1) Eine Abbildung x : {1,2, . . .,n}→ M , i 7→ x(i) , wird in der Form

(x1, . . . ,xn) = (xi)1≤i≤n = (xi)i∈{1,...,n}

geschrieben und heißt ein n-Tupel von Elementen in M. Das Elementxi heißt dann i-te Komponente von (x1, . . . ,xn). In den Spezialfallen

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6 0. MENGEN UND ABBILDUNGEN

n = 2,3 nennt man (x1, . . . ,xn) ein Paar bzw. Tripel. Die Menge allern-Tupel von Elementen in M wird mit

Mn

bezeichnet (sprich”M hoch n“). Fur x,y ∈ Mn gilt

x = y

genau dann, wenn xi = yi fur i = 1, . . . ,n ist.Ein Paar (a,b) enthalt

”mehr Information“ als die Menge

{a,b}. Es ist {a,b} = {b,a}, aber (a,b) = (b,a) nur dann, wenna = b ist.

(2) Seien m ∈ N und I := {i ∈ N | i ≥ m}. Eine Abbildungx : I → M , i 7→ x(i) , wird in der Form

(xi)i≥m

geschrieben und heißt eine Folge in M.Man beachte, dass (xi)i≥m 6= {xi | i ≥ m} ist.

Definition 10 : M und N seien Mengen. Dann heißt

M×N := {(x,y) | x ∈ M und y ∈ N} ⊆ (M∪N)2

das kartesische Produkt von M und N. Die Abbildungen

pr1 : M×N → M , (x,y) 7→ x , und pr2 : M×N → N , (x,y) 7→ y ,

heißen Projektionen auf den ersten bzw. zweiten Faktor.

Definition 11 : Sei f : M → N eine Abbildung. Dann heißt die Menge

Graph( f ) := {(m, f (m)) | m ∈ M} ⊆ M×N

der Graph von f .

Satz 2 : Zwei Abbildungen von M nach N sind genau dann gleich, wennihre Graphen gleich sind.

Beweis: Es ist zu zeigen:

1. Wenn zwei Abbildungen von M nach N gleich sind, dann sind auchihre Graphen gleich.

2. Wenn die Graphen zweier Abbildungen von M nach N gleich sind,dann sind diese zwei Abbildungen gleich.

Seien f und g Abbildungen von M nach N.Zu 1): Wenn f = g ist, dann ist f (m) = g(m) fur alle m ∈ M. Daher ist

Graph( f ) = {(m, f (m)) | m ∈ M} =

= {(m,g(m)) | m ∈ M} = Graph(g) .

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7 0. MENGEN UND ABBILDUNGEN

Zu 2): Wenn Graph( f ) = Graph(g) ist, dann ist fur alle m ∈ M das Paar(m, f (m)) ein Element von Graph(g). In Graph(g) gibt es genau ein Ele-ment, dessen erste Komponente m ist, namlich (m,g(m)). Also ist f (m) =g(m) fur alle m ∈ M, somit ist f = g.

Definition 12 : Sei (Mi)i∈I eine Familie von Mengen. Dann heißt

∏i∈I

Mi := {(xi)i∈I | fur alle i ∈ I ist xi ∈ Mi}

das kartesische Produkt der Mengen Mi, i ∈ I. Fur j ∈ I heißt

pr j : ∏i∈I

Mi → M j , (xi)i∈I 7→ x j ,

die Projektion auf den j-ten Faktor.Im Spezialfall I = {1, . . . ,n} wird fur ∏i∈I Mi auch

n

∏i=1

Mi oder M1 × . . .×Mn

geschrieben.

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8 0. MENGEN UND ABBILDUNGEN

5. Zusammengesetzte Aussagen

Wir betrachten Aussagen A,B,C, . . . , die nach Vereinbarung entwederwahr oder falsch sind. Mit Hilfe der Worte

”und“ (Zeichen: ∧) ,

”oder“ (Zeichen: ∨) ,

”nicht“ (Zeichen: ¬) ,

”wenn, dann“ (Zeichen: ⇒) ,

”genau dann, wenn“ (Zeichen: ⇔)

bilden wir zusammengesetzte Aussagen, deren”Wahrheitswert“ wir durch

die folgende Tabelle definieren. Dabei steht w fur”wahr“ und

f fur”falsch“.

A B A∧B A∨B ¬A A ⇒ B A ⇔ Bw w w w f w ww f f w f f ff w f w w w ff f f f w w w

Fur A ⇒ B verwendet man statt”wenn A, dann B“ auch die Sprechwei-

sen”aus A folgt B“ oder

”A impliziert B“.

Man beachte:A ist genau dann wahr, wenn ¬A falsch ist. Das wird fur indirekte Beweiseverwendet: anstatt zu zeigen, dass eine Aussage A wahr ist, wird gezeigt,dass ihr

”Gegenteil“ ¬A falsch ist.

In der Mathematik bedeutet das Wort”oder“ immer das nicht ausschließen-

de”und-oder“ und nicht das ausschließende

”entweder-oder“.

Ist A falsch, dann ist die Aussage A ⇒ B immer wahr (”ex falso quodlibet“).

6. Der Induktionsbeweis

Sei m eine naturliche Zahl (meistens 0 oder 1) und sei(Am,Am+1,Am+2, . . .) eine Folge von Aussagen.

Satz 3 : Wenn

(1) Am wahr ist und(2) fur alle n > m aus An−1 auch An folgt,

dann sind alle Aussagen An , n ≥ m , wahr.

Damit erhalt man eine Methode, die Gultigkeit der Aussagen An, n ≥ m,zu zeigen (

”Beweis durch vollstandige Induktion“): Es genugt zu zeigen,

dass (1) (”

Induktionsanfang“) und (2) (”

Induktionsschluss“) richtig sind.Um zu zeigen, dass (2) richtig ist, nimmt man an, dass An−1 wahr ist (

”In-

duktionsannahme“) und versucht damit zu zeigen, dass auch An wahr ist.Man konnte im Satz die Annahme (2) auch durch

(2’) fur alle n > m aus Am,Am+1, . . . ,An−1 auch An folgt,

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9 0. MENGEN UND ABBILDUNGEN

ersetzen.

Beweis: Wir benutzen die folgende Eigenschaft der naturlichen Zahlen: je-de Teilmenge von N hat ein kleinstes Element. Wir fuhren den Beweis indi-rekt und nehmen an, dass nicht alle Aussagen An , n ≥ m , wahr sind. Dannist die Menge

M := {n ∈ N | n ≥ m und An ist falsch}nicht leer. Daher gibt es eine kleinste Zahl k so, dass k ≥ m und Ak falschist. Wegen (1) gilt k ≥ m+1 , also k−1 ≥ m. Weiters muss Ak−1 wahr sein,weil k die kleinste Zahl in M ist. Aus (2) folgt nun, dass auch Ak wahr ist,was einen Widerspruch bedeutet. Somit muss unsere Annahme am Anfangdes Beweises falsch sein, d.h. alle Aussagen An , n ≥ m , sind wahr.

Satz 4 : Sei n eine naturliche Zahl. Die Summe der Quadrate aller naturli-chen Zahlen von 1 bis n ist S(n) := 1

6(2n3 +3n2 +n).

Beweis: Induktionsanfang: S(1) = 16(2+3+1) = 1 = 12, also ist die Aus-

sage fur n = 1 wahr.Induktionsschluss: Wir nehmen an, dass die Summe der Quadrate aller naturli-chen Zahlen von 1 bis n− 1 gleich S(n− 1) ist. Die Summe der Quadratealler naturlichen Zahlen von 1 bis n ist dann

S(n−1)+n2 .

Wegen

S(n−1)+n2 =16(2(n−1)3 +3(n−1)2 +n−1)+n2 = S(n)

ist die Behauptung richtig.

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KAPITEL 1

Rechnen mit ganzen und rationalen Zahlen

1. Rechenregeln fur ganze Zahlen

Wir setzen die Menge Z := {. . . ,−2,−1,0,1,2, . . .} der ganzen Zahlenmit der Addition Z × Z −→ Z , (a,b) 7−→ a + b, und der Multiplikati-on Z × Z −→ Z , (a,b) 7−→ a · b, als bekannt voraus. Dabei gelten diefolgenden Rechenregeln: Sind a,b,c ganze Zahlen, dann ist

• (a+b)+c = a+(b+c) =: a+b+c (”Die Addition von ganzen Zah-

len ist assoziativ“, das heißt: auf Klammern kann verzichtet werden).• 0+a = a+0 = a• a+(−a) = (−a)+a = 0 (dabei ist −a := (−1) ·a)• a+b = b+a (

”Die Addition ist kommutativ“).

• (a ·b) · c = a · (b · c) =: a ·b · c (”Die Multiplikation ist assoziativ“).

• 1 ·a = a ·1 = a• a ·b = b ·a (

”Die Multiplikation ist kommutativ“).

• (a+b) · c = (a · c)+(b · c) =: a · c+b · c (”Distributivgesetz“)

Sind m,n ∈ Z , m ≤ n und am,am+1, . . . ,an ∈ Z , dann schreiben wirn

∑i=m

ai

fur am +am+1 + . . .+an undn

∏i=m

ai

fur am ·am+1 · . . . ·an. (Sprechweise:”Die Summe bzw. das Produkt aller ai

mit i von m bis n“).Man pruft leicht nach:

Seien p,q ∈ Z , p ≤ q und bp, . . . ,bq ∈ Z . Dann gilt(

n

∑i=m

ai

)

·(

q

∑j=p

b j

)

=n

∑i=m

(q

∑j=p

aib j

)

=q

∑j=p

(n

∑i=m

aib j

)

.

Fur a,b,c∈ Z mit c 6= 0 folgt aus a ·c = b ·c, dass a = b ist. (”In Z kann

gekurzt werden“). Insbesondere folgt aus a · b = 0, dass a = 0 oder b = 0ist.Die Subtraktion ist durch Z × Z −→ Z , (a,b) 7−→ a− b := a +(−b),gegeben.Es sei ≤ die durch

a ≤ b :⇔ b−a ∈ N

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11 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

definierte naturliche Ordnung der ganzen Zahlen, wir schreiben a < b fur:a ≤ b und a 6= b.Fur a,b,c ∈ Z gilt:

a ≤ a ,aus a ≤ b und b ≤ a folgt a = b ,aus a ≤ b und b ≤ c folgt a ≤ c ,a ≤ b oder b ≤ a ,a ≤ b genau dann, wenn a+ c ≤ b+ c istundwenn c > 0 ist, dann ist a ≤ b genau dann, wenn a · c ≤ b · c ist.

Die ersten vier Eigenschaften bedeuten, dass ≤ eine totale Ordnung auf Zist, die letzten zwei, dass diese mit Addition und Multiplikation vertraglichist.Das Vorzeichen vz(a) einer ganzen Zahl a ist 1, wenn a ∈ N , und −1, wenna 6∈ N . Der Betrag |a| einer ganzen Zahl a ist vz(a) ·a. Fur Zahlen a,b ∈ Zist |a ·b|= |a| · |b| und |a+b| ≤ |a|+ |b|.Eine ganze Zahl ist positiv bzw. negativ, wenn sie großer bzw. kleiner als 0ist.

2. Division mit Rest

Wenn Sie einen Sack mit a Euromunzen haben, die Sie an b Personenverteilen sollen (jede soll gleich viel bekommen), dann werden Sie wahr-scheinlich zuerst jeder Person einen Euro geben und diesen Vorgang so-lange wiederholen, bis im Sack weniger als b Euromunzen sind. Sie habendann a mit Rest durch b dividiert.Der folgende Satz ist grundlegend fur alle Rechenverfahren fur ganze Zah-len. Seine Bedeutung liegt darin, dass die drei

”Strukturen“ +, · und ≤

zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Satz 5 : (Division mit Rest von ganzen Zahlen)Zu je zwei ganzen Zahlen a und b mit b 6= 0 gibt es eindeutig bestimmteganze Zahlen m und r mit den Eigenschaften

a = m ·b+ r und 0 ≤ r < |b| .Die Zahlen m bzw. r heißen ganzzahliger Quotient von a und b bzw. Restvon a nach Division durch b. Die Zahlen m und r konnen mit dem folgendenVerfahren (Divisionsalgorithmus) berechnet werden:

• Falls a und b naturliche Zahlen sind:Setze m := 0 und r := a.Solange r ≥ b ist, ersetze r durch r−b und m durch m+1.

• Falls a < 0 oder b < 0 ist:Berechne wie oben n und s so, dass |a| = n · |b|+ s und0 ≤ s < |b| ist.Wenn a ≥ 0 ist, dann setze m := −n und r := s.

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12 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Wenn a < 0 und s > 0 ist, dann setze m := −vz(b) · (n+1) und r :=|b|− s.Wenn a < 0 und s = 0 ist, dann setze m := −vz(b) ·n und r := 0.

Beweis: Wenn a und b naturliche Zahlen sind, dann erhalten wir bei jedemErsetzen von r durch r− b eine um mindestens 1 kleinere Zahl. Also trittnach hochstens a Schritten der Fall r < b ein. Somit liefert das obige Ver-fahren nach endlich vielen Schritten ein Ergebnis m,r. Mit Induktion uber|a| ist leicht nachzuprufen, dass diese Zahlen die angegebenen Bedingun-gen erfullen.Es seien m1,m2,r1,r2 ganze Zahlen mit a = m1 · b + r1 = m2 · b + r2 , 0 ≤r1,r2 < |b| und o.E.d.A. (

”ohne Einschrankung der Allgemeinheit“) r1 ≤ r2.

Dann ist|b| > r2 − r1 = |m1 −m2| · |b| .

Daraus folgt m1 = m2 und r1 = r2, also sind der ganzzahlige Quotient vona und b und der Rest von a nach Division durch b eindeutig bestimmt.

3. Zifferndarstellung von Zahlen

Nehmen wir an, Sie kommen mit einem Sack voller Euromunzen in eineBank und wollen dieses Geld auf ihr Sparbuch einzahlen. Die Anzahl derEuromunzen im Sack ist eine eindeutig bestimmte naturliche Zahl a. Bevordiese Zahl in Ihr Sparbuch eingetragen werden kann, muss der Bankbeamteihre Zifferndarstellung (zur Basis 10) berechnen. Eine Zahl ist also nichtimmer schon in Zifferndarstellung gegeben, sondern diese ist eine

”Zusatz-

information“ uber die Zahl. Wie wird die Zifferndarstellung zur Basis 10von a ermittelt? Man bildet aus den Euromunzen solange

”Zehnerstapel“,

bis nur noch weniger als zehn Munzen ubrigbleiben, das heißt: a wird mitRest durch 10 dividiert. Die Anzahl der ubriggebliebenen Euromunzen istdann die

”Einerziffer“ von a. Macht man dasselbe nun mit den Zehner-

stapeln statt mit den Munzen, dann erhalt man die”Zehnerziffer“ von a,

usw.

Satz 6 : (Darstellung von Zahlen durch Ziffern)Es seien a und b naturliche Zahlen mit a 6= 0 und b ≥ 2. Dann gibt eseindeutig bestimmte naturliche Zahlen n,z0,z1, . . . ,zn so, dass

zn 6= 0, 0 ≤ z0,z1, . . . ,zn < b

und

a = znbn + zn−1bn−1 + . . .+ z1b1 + z0 =n

∑i=0

zibi

ist.Wenn b fest gewahlt ist, dann ist a durch die Zahlen n,z0,z1, . . . ,zn eindeutig

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13 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

bestimmt. Man wahlt Zeichen fur die Zahlen von 0 bis b− 1 und schreibtdann

znzn−1 . . .z0 stattn

∑i=0

zibi .

Die Zahlen z0,z1, . . . ,zn heißen Ziffern von a zur Basis b (fur b=2 bzw. 10:

”Binarziffern“ bzw.

”Dezimalziffern“).

Die Ziffern zi von a 6= 0 zur Basis b konnen mit dem folgenden Verfahrenberechnet werden:

• Setze i := 0.• Solange a nicht 0 ist: Die i-te Ziffer zi ist der Rest von a nach Division

durch b. Ersetze a durch den ganzzahligen Quotienten von a und b.Ersetze i durch i+1.

Beweis: Induktion uber a:Wenn a = 1 ist, ist n = 0 und z0 = 1.Fur a > 1 seien m bzw. r der ganzzahlige Quotient von a und b bzw. der Restvon a nach Division durch b. Wegen b > 1 ist m < a, also gibt es nach Induk-tionsannahme eindeutig bestimmte Zahlen k,y0,y1, . . . ,yk so, dass yk 6= 0,0 ≤ y0,y1, . . . ,yk < b und

m = ykbk + yk−1bk−1 + . . .+ y1b1 + y0

ist. Dann ist

a = m ·b+ r = ykbk+1 + yk−1bk + . . .+ y1b2 + y0b+ r ,

und yk, . . . ,y0,r sind die Ziffern von a. Aus der Eindeutigkeit von m undr folgt aus der Induktionsannahme die Eindeutigkeit der Ziffern von a zurBasis b.

Wird fur die Zifferndarstellung einer Zahl die Basis b gewahlt, dannkonnen alle Zahlen durch Aneinanderreihen von b verschiedenen Symbolenangeschrieben werden. Eine kleine Basis (zum Beispiel 2) hat den Vorteil,dass man nur wenige Symbole braucht und dass das

”kleine Einmaleins“

sehr einfach ist. Allerdings braucht man dann fur großere Zahlen sehr vieleZiffern.

Definition 13 : Es seien v = (v1, . . . ,vn) und w = (w1, . . . ,wn) zwei ver-schiedene n-Tupel von ganzen Zahlen und j die kleinste Zahl in {1, . . . ,n}mit der Eigenschaft, dass v j 6= w j ist.Dann ist v lexikographisch kleiner als w (Schreibweise: v <lex w), wennv j < w j ist.

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14 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Beispiel 6 : (1,2,3,4) <lex (1,2,4,3) <lex (2,−7,−3,−5)

Satz 7 : (Vergleich von zwei Zahlen, die durch Ziffern dargestellt sind) Esseien b,x,y positive naturliche Zahlen, b ≥ 2 und

xk,xk−1, . . . ,x0 bzw. y`,y`−1, . . . ,y0

die Ziffern von x bzw. y bezuglich b.Dann ist x genau dann kleiner als y, wenn

k < ` oder (k = ` und (xk,xk−1, . . . ,x0) <lex (y`,y`−1, . . . ,y0)) ist.

Beweis: Wenn k < ` ist, dann ist

x =k

∑i=0

xibi ≤

k

∑i=0

(b−1)bi =k+1

∑i=1

bi−k

∑i=0

bi = bk+1 −1 < bk+1 ≤ y .

Es seien k = ` und j die großte Zahl mit der Eigenschaft, dass x j 6= y j ist.Wenn x j < y j ist, dann ist

j

∑i=0

xibi ≤ x jb

j +(b j −1) < (x j +1)b j ≤ y jbj ≤

j

∑i=0

yibi

und

x =k

∑i= j+1

xibi +

j

∑i=0

xibi <

k

∑i= j+1

xibi +

j

∑i=0

yibi = y .

Satz 8 : (Addition von zwei Zahlen, die durch Ziffern dargestellt sind) Esseien b,x,y,k, ` naturliche Zahlen, b ≥ 2 und

xk,xk−1, . . . ,x0 bzw. y`,y`−1, . . . ,y0

die Ziffern von x bzw. y bezuglich b. Fur je zwei Zahlen in {0, . . . ,b−1} seidie Zifferndarstellung ihrer Summe bekannt. (Wenn diese Summe großer alsb− 1 ist, dann hat sie zwei Ziffern, die erste ist 1 und die zweite ist kleinerals b−1 ). O.E.d.A. sei ` ≤ k.Dann konnen die Ziffern von x + y mit dem folgenden Verfahren berechnetwerden:

• Ermittle die Ziffern (x0 + y0)1 und (x0 + y0)0 von x0 + y0. Setze (x +y)0 := (x0 + y0)0, u0 := (x0 + y0)1 und i := 0.

• Solange i < ` ist, setze i := i+1 und ermittle die Ziffern(xi + yi +ui−1)1 und (xi + yi +ui−1)0 von xi + yi +ui−1.Setze (x + y)i := (xi + yi + ui−1)0 und ui := (xi + yi + ui−1)1 (

”i-ter

Ubertrag“).• Solange i < k ist, setze i := i+1 und ermittle die Ziffern

(xi +ui−1)1 und (xi +ui−1)0 von xi +ui−1.Setze (x+ y)i := (xi +ui−1)0 und ui := (xi +ui−1)1.

• Wenn u` 6= 0 ist, setze (x+ y)`+1 := u`.

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15 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Beweis: Ubung.

Verfahren fur die Subtraktion und Multiplikation konnen in ahnlicherWeise angegeben werden. Hier wird nur noch das Verfahren fur die Divisionmit Rest in einem Satz formuliert. In Satz 5 wurde bereits ein Divisionsal-gorithmus angegeben. Wenn eine Zifferndarstellung der gegebenen Zahlenbekannt ist, kann dieses Verfahren mit Hilfe dieser zusatzlichen Informationverbessert werden.

Satz 9 : (Division mit Rest von Zahlen, die durch Ziffern dargestellt sind)Es seien b,x,y,k, ` naturliche Zahlen, b ≥ 2, y > 0 und

xk,xk−1, . . . ,x0 bzw. y`,y`−1, . . . ,y0

die Ziffern von x bzw. y bezuglich b. O.E.d.A. sei x ≥ y.Die Ziffern des ganzzahligen Quotienten m von x und y konnen mit demfolgenden Verfahren berechnet werden:

• Setze j := k−`, wenn ∑`i=0 xi+k−`bi ≥ y ist, und j := k−`−1, sonst.

• Solange j ≥ 0 ist, berechne (wie in Satz 5) den ganzzahligen Quoti-enten m j von ∑i≥0 xi+ jbi und y. Dieser ist die j-te Ziffer von m.Ersetze x durch x−m j · y ·b j und j durch j−1.

Beweis: Ubung.

Wenn zur Darstellung einer Zahl am Computer 32 bits (also 32 Binarzif-fern) zur Verfugung stehen, dann konnen in der Zweierkomplementdarstel-lung die Zahlen in

{−231 = −2147483648, . . .,−1,0,1, . . . , 231 −1 = 2147483647}(also insgesamt 232 Zahlen) dargestellt werden.Ist a eine naturliche Zahl in diesem Zahlenbereich, dann wird a durch

0 a30 a29 . . . a1 a0

dargestellt, wobei a30 a29 . . . a1 a0 die Ziffern von a zur Basis 2 sind.Ist a eine negative Zahl in diesem Zahlenbereich, dann wird a durch

1 a30 a29 . . . a1 a0

dargestellt, wobei a30 a29 . . . a1 a0 die Ziffern von a+231 zur Basis 2 sind.

4. Rationale Zahlen

Es seien a und b ganze Zahlen, wobei b 6= 0 ist. Die Aufgabe”Finde

eine Zahl z so, dass b · z = a ist“ bezeichnen wir als”Gleichung“ b · x = a.

Eine Zahl z mit b · z = a heißt Losung von b · x = a. Wenn |b| 6= 1 ist, dann

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16 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

hat die Aufgabe b · x = 1 in Z keine Losung. Um Losungen zu erhalten,mussen wir

”den Zahlenbereich erweitern“.

Die Aufgabe b · x = a wird durch das Paar (a,b) ∈ Z 2 eindeutig be-schrieben, also liegt es nahe, die

”neuen Zahlen“ durch Paare von ganzen

Zahlen zu beschreiben. Allerdings sollten fur t ∈ Z , t 6= 0, die Gleichungenb · x = a und t ·b · x = t ·a dieselbe Losung haben, daher sollen die Zahlen-paare (a,b) und (t ·a, t ·b) dieselbe

”neue Zahl“ beschreiben.

Definition 14 : Es seien a und b ganze Zahlen, wobei b 6= 0. Dann ist dieMenge

ab

:= {(c,d) | c,d ∈ Z ,ad = bc,d 6= 0}die durch den

”Zahler“ a und den

”Nenner“ b gegebene rationale Zahl oder

Bruchzahl. (Beachte: Eine Bruchzahl ist durch Vorgabe von Zahler undNenner eindeutig bestimmt, aber umgekehrt sind Zahler und Nenner durchdie Bruchzahl nicht eindeutig bestimmt). Wir schreiben Q fur die Mengeder rationalen Zahlen.Fur die Bruchzahl a

1 schreiben wir oft nur a und fassen so Z als Teilmengevon Q auf. (

”Jede ganze Zahl ist eine rationale Zahl“).

Satz 10 : Es seien a′, b′ ganze Zahlen und b′ 6= 0. Dann sind die Bruchzah-len a

b und a′b′ genau dann gleich, wenn a ·b′ = a′ ·b ist.

Beweis: Wenn ab = a′

b′ ist, dann ist insbesondere (a′,b′) ∈ ab , also a · b′ =

a′ ·b.Sei umgekehrt a · b′ = a′ · b und (c,d) ∈ a

b , also b · c = a · d. Dann ist zu

zeigen, dass (c,d) ∈ a′b′ , also b′ · c = a′ ·d ist.

Es ist

a · (b′ · c) = (a ·b′) · c = (a′ ·b) · c = a′ · (b · c) = a′ · (a ·d) = a · (a′ ·d) ,

also auch b′ · c = a′ ·d.

Satz 11 : Fur den Nenner einer Bruchzahl kann immer eine positive Zahlgewahlt werden. Dann wird die totale Ordnung ≤ auf Z durch

ab≤ c

d:⇔ a ·d ≤ b · c

zu einer totalen Ordnung auf Q erweitert.

Beweis: Zuerst ist zu zeigen, dass die Definition von ≤ nicht von der Wahlvon Zahler und positivem Nenner abhangt. Seien a,a′,c,c′ ∈ Z und b,b′,d,d′

positive ganze Zahlen so, dass a ·b′ = a′ ·b, c ·d′ = c′ ·d und a ·d ≤ b ·c ist.

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17 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Dann ist

a′ ·d′ ·b ·d = a ·d′ ·b′ ·d ≤ b ·d′ ·b′ · c = b′ · c′ ·b ·d

und a′ ·d′ ≤ b′ · c′.Seien a,c,e ∈ Z , b,d, f positive ganze Zahlen so, dass a

b ≤ cd und c

d ≤ ef ist.

Es ist noch zu zeigen, dass dann auch ab ≤ e

f ist. Aus a·d · f ≤ b·c· f ≤ b·d ·efolgt a · f ≤ b · e und daher die Behauptung.

Wir werden nun die Rechenoperationen von Z auf Q fortsetzen.

Satz 12 : Die Abbildungen

+ : Q × Q −→ Q , (ab,

cd) 7−→ a

b+

cd

:=ad +bc

bd,

und

· : Q × Q −→ Q , (ab,

cd) 7−→ a

b· c

d:=

acbd

,

sind wohldefiniert. Diese Rechenoperationen in Q erfullen die gleichen Re-chenregeln wie Addition und Multiplikation in Z . Daruberhinaus hat jedesElement a

b ∈ Q \{0} ein inverses Element ( ab)−1 mit der Eigenschaft

(ab)−1 · a

b= 1 ,

und zwar ist

(ab)−1 =

ba

.

Die Einschrankungen von + und · auf Z × Z stimmen mit der Addition undder Multiplikation auf Z uberein.

Beweis: Wir mussen zuerst zeigen, dass die Abbildungen + und · wohlde-finiert sind, das heißt: wenn a

b = a′b′ und c

d = c′d′ ist, dann muss auch

ad +bcbd

=a′d′+b′c′

b′d′ undacbd

=a′c′

b′d′

sein.Aus a′b = ab′ und c′d = cd′ folgt

(ad +bc)b′d′ = a′bdd′+bb′c′d = bd(a′d′ +b′c′)

und

(ac)b′d′ = bd(a′c′) .

Die Rechenregeln konnen leicht nachgepruft werden.

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18 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

5. Zifferndarstellung von rationalen Zahlen

Satz 13 : (Zifferndarstellung von rationalen Zahlen)Es seien b,c,d, p positive ganze Zahlen mit b ≥ 2. Dann gibt es eindeutigbestimmte naturliche Zahlen n,zn, . . . ,z0,z−1, . . . ,z−p so, dass

zn 6= 0 oder n = 0, 0 ≤ zn, . . . ,z0,z−1, . . . ,z−p < b

und

0 ≤ cd− (znbn + zn−1bn−1 + . . .+ z1b1 + z0 + z−1b−1 + . . .+ z−pb−p) < b−p

ist. Ist b fest gewahlt, schreibt man

znzn−1 . . .z0.z−1z−2 . . .z−p stattn

∑i=−p

zibi .

Die Zahlen zn, . . . ,z0,z−1, . . . ,z−p heißen Ziffern von a zur Basis b. DieZiffern zi von c

d zur Basis b konnen wie folgt berechnet werden:

• Berechne (mit Satz 6) die Ziffern y0, . . . ,yk zur Basis b des ganzzah-ligen Quotienten m von c ·bp und d .

• Setze zi := yi+p, −p ≤ i ≤ k− p =: n .

Beweis: Sei r der Rest von c · bp nach Division durch d. Wegen c · bp =m ·d + r ist dann

c ·bp

d ·bp =m ·dd ·bp +

rd ·bp ,

alsocd

=mbp +

rd.b−p und

rd

< 1 .

Rationale Zahlen konnen also”beliebig genau“ durch Zahlen der Form

znzn−1 . . .z0.z−1z−2 . . .z−p angenahert werden, aber es gibt rationale Zahlen,die fur alle p von znzn−1 . . .z0.z−1z−2 . . .z−p verschieden sind.

Eine rationale Zahl

z0.z−1z−2 . . .z−p Ee := z0.z−1z−2 . . .z−p ·be

mit b ≥ 2 und z0 6= 0 ist in Exponentialform zur Basis b dargestellt. DieZahlen e und z0.z−1z−2 . . .z−p heißen Exponent und Mantisse.

Am Computer kann eine Zahl dann durch die Ziffern des Exponentenund der Mantisse zur Basis 2 dargestellt werden. Die Anzahl dieser Ziffernist durch eine vorgegebene Zahl beschrankt. Die so am Computer verfugba-ren Zahlen heißen Maschinenzahlen. Es gibt nur endlich viele Maschinen-zahlen, alle Maschinenzahlen sind rationale Zahlen.

Beim Rechnen mit so dargestellten Zahlen gibt es im allgemeinen kei-ne exakten Ergebnisse, sondern Rundungsfehler. Bei Rechenverfahren mussdaher darauf geachtet werden, dass sich die Fehler nicht akkumulieren. Feh-lerabschatzungen sind erforderlich.

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19 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Beispiel 7 : Die Zahl 0.1 (Dezimaldarstellung) auf der Tastatur wird vomComputer in Binardarstellung 0.0001100110011001100 . . .umgewandelt undzum Beispiel als

1.100110011001100110011001100110011001100 E −4

gespeichert. Also ergibt schon die Eingabe von 0.1 einen Rundungsfehler!

Will man mit rationalen Zahlen am Computer exakt rechnen, kann man ab

als Zahlenpaar (a,b) eingeben. Dann mussen fur Zahlenpaare die Rechen-operationen

(a,b)+(c,d) := (ad +bc,bd) und (a,b) · (c,d) := (ac,bd)

definiert werden.

6. Der Euklidische Algorithmus

Es seien a,b,c ganze Zahlen und b 6= 0, c 6= 0. Dann istab

=a · cb · c ∈ Q .

Der Ubergang von der Darstellung dieser rationalen Zahl durch das Zah-lenpaar (a · c,b · c) zu der durch (a,b) heißt durch c kurzen. Rechnet manmit rationalen Zahlen, dann ist es sehr empfehlenswert, alle auftretendenBruche sofort durch moglichst große Zahlen zu kurzen. Dadurch werdendie weiteren Rechnungen oft wesentlich vereinfacht. In diesem Abschnittwird ein Verfahren zum

”optimalen Kurzen“ angegeben. Daruberhinaus

lernen wir ein Verfahren zur Berechnung einer Losung einer”ganzzahligen

linearen Gleichung“ kennen.

Definition 15 : Es seien a,b ganze Zahlen mit b 6= 0. Dann ist a Teiler vonb (oder: a teilt b), wenn es eine Zahl c ∈ Z gibt mit b = ac. Die Zahl b heißtVielfaches von a, wenn a ein Teiler von b ist.

Definition 16 : Der großte gemeinsame Teiler von zwei von Null verschie-denen ganzen Zahlen ist die großte ganze Zahl, die beide teilt. Das kleinstegemeinsame Vielfache von zwei von Null verschiedenen ganzen Zahlen istdie kleinste positive ganze Zahl, die Vielfaches von beiden ist.Wir schreiben ggT (a,b) bzw. kgV (a,b) fur den großten gemeinsamen Tei-ler bzw. das kleinste gemeinsame Vielfache zweier Zahlen a und b.

Hilfssatz 1 : Es seien a,b,c ∈ Z , a 6= 0, b 6= 0 und a 6= c ·b. Dann ist

ggT (a,b) = ggT (|a|, |b|)und

ggT (a,b) = ggT (a− c ·b,b) .

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20 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Beweis: Ubung.

Satz 14 : (Euklidischer Algorithmus fur ganze Zahlen)Es seien a,b ∈ Z , a 6= 0 und b 6= 0. Mit dem folgenden Verfahren kann dergroßte gemeinsame Teiler von a und b berechnet werden:

• Ersetze a und b durch |a| und |b|.• Solange die zwei Zahlen verschieden sind, ersetze die großere durch

die Differenz der großeren und der kleineren.• Wenn die zwei Zahlen gleich sind, dann ist ggT (a,b) gleich dieser

Zahl.

Ersetzt man mehrfaches Abziehen derselben Zahl durch eine Division mitRest, dann hat dieses Verfahren die folgende Form:

• Ersetze a und b durch |a| und |b|.• Solange keine der zwei Zahlen ein Teiler der anderen ist, ersetze die

großere der zwei Zahlen durch ihren Rest nach Division durch diekleinere.

• Wenn eine der zwei Zahlen ein Teiler der anderen ist, dann ist sie derggT (a,b).

Beweis: Es ist ggT (a,b) = ggT (|a|, |b|). Also konnen wir annehmen, dassa und b positive ganze Zahlen sind. Wenn sie verschieden sind, wird diegroßere der zwei Zahlen (wir bezeichnen sie mit max(a,b)) im nachstenSchritt durch eine kleinere positive ganze Zahl ersetzt. Also sind die zweiZahlen nach hochstens max(a,b)−1 Schritten gleich. In jedem Schritt wirdein Zahlenpaar durch ein anderes ersetzt, nach Lemma 1 aber so, dass diegroßten gemeinsamen Teiler der zwei Zahlenpaare gleich sind. Sobald manden großten gemeinsamen Teiler eines Zahlenpaares kennt (das ist spate-stens dann der Fall, wenn die zwei Zahlen gleich sind), hat man ggT (a,b)ermittelt.

Im Euklidischen Algorithmus wird die folgende Strategie zur Losungvon Problemen verwendet: Wenn man eine Aufgabe nicht sofort losenkann, ersetzt man diese Aufgabe durch eine einfachere, die aber dieselbeLosungsmenge hat. Das wiederholt man solange, bis man bei einer Aufga-be landet, deren Losungen man kennt. Diese Losungen sind dann auch dieLosungen der ursprunglichen Aufgabe.

Satz 15 : (Erweiterter Euklidischer Algorithmus)Es seien a,b ∈ Z , a 6= 0 und b 6= 0. Es gibt ganze Zahlen u,v so, dass u ·a+v · b = ggT (a,b) ist. Diese konnen mit dem folgenden Verfahren berechnetwerden:

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21 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

• Setze A := (A1,A2,A3) := (|a|,1,0)∈ Z 3 undB := (B1,B2,B3) := (|b|,0,1)∈ Z 3 .

• Solange B1 die Zahl A1 nicht teilt, berechne den ganzzahligen Quo-tienten m von A1 und B1 und setze C := B, B :=A−m ·C := (A1 −m ·C1,A2−m ·C2,A3 −m ·C3) und A := C.

• Wenn B1 die Zahl A1 teilt, dann ist u := vz(a) ·B2 und v := vz(b) ·B3.

Beweis: Wenn zwei Zahlentripel S und T die Eigenschaft

S1 = |a| ·S2 + |b| ·S3 bzw. T1 = |a| ·T2 + |b| ·T3

haben, dann auch alle Tripel S−m ·T mit m ∈ Z . Die ersten zwei Tripelim Algorithmus haben diese Eigenschaft, daher auch alle anderen auftre-tenden Tripel. Fur die ersten Komponenten der Tripel wird der euklidischeAlgorithmus durchgefuhrt, fur das letzte Tripel B gilt daher ggT (a,b) =|a| ·B2 + |b| ·B3 = vz(a) ·a ·B2 +b · vz(b) ·B3 .

Satz 16 : (Berechnung von kgV (a,b))Es seien a,b ∈ Z , a 6= 0 und b 6= 0. Dann ist

kgV (a,b) =|a|

ggT (a,b)· |b|= |b|

ggT (a,b)· |a| .

Beweis: Es ist klar, dass |a|ggT (a,b) · |b| =

|b|ggT (a,b) · |a| ein Vielfaches von a

und von b ist. Sei z eine positive ganze Zahl, die Vielfaches von a und vonb ist. Dann gibt es ganze Zahlen c,d mit z = c · a und z = d · b. Nach Satz15 gibt es Zahlen u,v so, dass u ·a+ v ·b = ggT (a,b) ist. Dann ist

z =u ·a+ v ·bggT (a,b)

· z =u ·a

ggT (a,b)· z+

v ·bggT (a,b)

· z =

=u ·a ·d ·bggT (a,b)

+v ·b · c ·aggT (a,b)

=a ·b

ggT (a,b)· (u ·d + v · c) =

=|a| · |b|

ggT (a,b)· vz(a ·b) · (u ·d + v · c)

ein Vielfaches von |a|ggT (a,b) · |b|.

Satz 17 : (”

Losen einer ganzzahligen linearen Gleichung“). Es seien a1, . . . ,an ∈Z \{0} und b ∈ Z . Die großte ganze Zahl, die a1, . . . ,an teilt, heißt großtergemeinsamer Teiler von a1, . . . ,an und wird mit ggT (a1, . . . ,an) bezeichnet.Es ist

ggT (a1, . . . ,an) = ggT (a1,ggT (a2,ggT (a3,ggT (. . . ,an) . . .)) ,

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22 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

also kann der großte gemeinsame Teiler von mehreren Zahlen durch suk-zessives Berechnen des großten gemeinsamen Teilers von je zwei Zahlenberechnet werden.Es gibt genau dann ein n-Tupel (x1, . . . ,xn) ∈ Z n mit

a1 · x1 + . . .+an · xn = b ,

wenn b ein Vielfaches von g := ggT (a1, . . . ,an) ist. In diesem Fall kann einsolches n-Tupel wie folgt berechnet werden:

• Berechne mit Satz 15 Zahlen u1, . . . ,un so, dassa1 ·u1 + . . .+an ·un = g ist.

• Setze xi := ui · bg , 1 ≤ i ≤ n.

Beweis: Fur jedes n-Tupel (x1, . . . ,xn) ∈ Z n wird a1 · x1 + . . .+ an · xn vong geteilt. Also ist die Bedingung, dass b ein Vielfaches von g ist, notwendigfur die Existenz einer Losung. Wenn diese Bedingung erfullt ist, ist leichtnachzuprufen, dass (u1 · b

g , . . . ,un · bg) eine Losung ist.

7. Primzahlen

Definition 17 : Eine ganze Zahl p ∈ Z heißt Primzahl, wennp 6= 0, p 6= 1, p 6= −1 und {1,−1, p,−p} die Menge der Teiler von p ist.

Hilfssatz 2 : Es seien p eine Primzahl und a,b ∈ Z .Wenn p die Zahl a ·b teilt, dann teilt p auch a oder b.

Beweis: Sei c eine ganze Zahl so, dass c · p = a · b ist. Wenn p die Zahl anicht teilt, dann ist ggT (a, p) = 1. Daher gibt es ganze Zahlen u und v so,dass 1 = u ·a+ v · p ist. Dann ist

b = b ·u ·a+b · v · p = u · c · p+b · v · p = (u · c+b · v) · p ,

somit ist p ein Teiler von b.

Satz 18 : (Zerlegung in Primfaktoren)Jede ganze Zahl, die großer als 1 ist, kann als Produkt von positiven Prim-zahlen geschrieben werden. Diese Primzahlen heißen Primfaktoren der Zahlund sind bis auf die Reihenfolge eindeutig bestimmt.

Beweis: Es sei a eine ganze Zahl, die großer als 1 ist. Wir beweisen dieerste Aussage durch Induktion uber a.Wenn a = 2 ist, dann ist a eine Primzahl.Wenn a > 2 ist, dann ist a entweder eine Primzahl oder es gibt ganze Zahlen

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23 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

b,c mit 1 < b,c < a so, dass a = b · c ist. Nach Induktionsannahme sind bund c Produkte von positiven Primzahlen, also auch a.Wir beweisen noch die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung. Es seiena = p1 · p2 · . . . · pk und a = q1 ·q2 · . . . ·q` zwei Zerlegungen von a in Prim-faktoren. Wir beweisen durch Induktion uber die großere der zwei Zahlenk, `, dass die Primfaktoren der zwei Zerlegungen bis auf die Reihenfolgegleich sind. Weil p1 das Produkt q1 ·q2 · . . . ·q` teilt, gibt es nach Lemma 2eine Zahl j ∈ {1, . . . , `} so, dass p1 = q j ist. Daher ist

p2 · . . . · pk = ∏1≤i≤`,i6= j

qi ,

und die Behauptung folgt aus der Induktionsannahme.

Die Berechnung der Primfaktoren einer Zahl ist sehr aufwendig. Re-chenverfahren, in denen Zahlen in Primfaktoren zerlegt werden mussen,sollten nach Moglichkeit vermieden werden.

Satz 19 : Es gibt unendlich viele positive Primzahlen.

Beweis: Wenn es nur endlich viele positive Primzahlen gabe, dann wareihr Produkt q eine ganze Zahl und q + 1 ware großer als jede Primzahl.Insbesondere ware q+1 keine Primzahl. Nach Satz 18 gibt es eine Primzahlp, die q+1 teilt. Da p auch q teilt, wurde p dann auch 1 teilen, Widerspruch.

Satz 20 : (Berechnung von ggT und kgV zweier Zahlen, deren Primfakto-ren bekannt sind).Es seien p1, . . . , pn paarweise verschiedene positive Primzahlen und e1, . . . ,en, f1, . . . , fnnaturliche Zahlen. Mit min(ei, fi) bzw. max(ei, fi) bezeichnen wir die klei-nere bzw. großere der zwei Zahlen ei und fi. Dann ist

ggT (n

∏i=1

peii ,

n

∏i=1

p fii ) =

n

∏i=1

pmin(ei, fi)i

und

kgV (n

∏i=1

peii ,

n

∏i=1

p fii ) =

n

∏i=1

pmax(ei, fi)i .

Beweis: Es sei g := ∏ni=1 pmin(ei, fi)

i . Es ist klar, dass g die Zahlen a :=

∏ni=1 pei

i und b := ∏ni=1 p fi

i teilt. Da nach Satz 18 die Zerlegung dieser zweiZahlen in Primfaktoren eindeutig ist, kann ihr großter gemeinsamer Teilerkeine anderen Primfaktoren als p1, . . . , pn enthalten. Aus demselben Grunddarf pi in ggT (a,b) nur min(ei, fi)-mal auftreten. Daher ist g = ggT (a,b).Die Behauptung fur kgV (a,b) folgt nun aus Satz 16.

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24 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

8. Gruppen

Definition 18 : Seien G eine Menge und ∗ : G×G→G eine Abbildung. FurElemente a,b∈G schreiben wir statt ∗(a,b) kurz a∗b. Das Paar (G,∗) heißteine Gruppe, wenn die folgenden drei Bedingungen (

”Gruppen-Axiome“)

erfullt sind:

(1) Fur alle Elemente a,b,c ∈ G ista∗ (b∗ c) = (a∗b)∗ c =: a∗b∗ c (Assoziativgesetz).

(2) Es gibt ein Element e ∈ G so, dass fur alle a ∈ G gilt :a∗ e = e∗a = a (e heißt dann neutrales Element in G).

(3) Fur alle Elemente a ∈ G gibt es ein b ∈ G so, dassa∗b = b∗a = e ist (b heißt dann zu a inverses Element und wird mita−1 bezeichnet).

Eine Gruppe (G,∗) heißt kommutativ oder abelsch, wenn zusatzlich gilt:

(4) Fur alle a,b ∈ G ist a∗b = b∗a (Kommutativgesetz).

Ist (G,∗) eine Gruppe, dann wird die Abbildung ∗ als Gruppenverknupfung,Multiplikation oder, wenn (G,∗) abelsch ist, als Addition bezeichnet. Wennaus dem Zusammenhang ersichtlich ist, welche Verknupfung auf G betrach-tet wird, schreibt man statt (G,∗) kurzer G.

Beispiel 8 : (Z ,+), ({1,−1}, ·), (Q ,+) und (Q \{0}, ·) sind kommutati-ve Gruppen.

Satz 21 : Seien (G,∗) eine Gruppe und a,b,c ∈ G. Dann gilt:

(1) Es gibt genau ein neutrales Element in G.(2) Zu jedem Element in G gibt es genau ein inverses Element in G.(3) Es ist (a∗b)−1 = b−1 ∗a−1 .(4) Aus a ∗ b = a ∗ c oder b ∗ a = c ∗ a folgt b = c (

”In einer Gruppe

kann gekurzt werden“).

Beweis: (1) Seien e und e′ neutrale Elemente in G. Dann ist e′ = e∗ e′ unde = e∗ e′, also e = e′.(2) Seien b und b′ zu a inverse Elemente. Dann istb = e∗b = (b′ ∗a)∗b = b′ ∗ (a∗b) = b′ ∗ e = b′.(3) Es ist (a∗b)∗ (b−1 ∗a−1) = a∗ (b∗ (b−1 ∗a−1)) == a∗ ((b∗b−1)∗a−1) = a∗ (e∗a−1) = a∗a−1 = e und(b−1 ∗a−1)∗ (a∗b) = b−1 ∗ (a−1 ∗ (a∗b)) = b−1 ∗ ((a−1 ∗a)∗b) =b−1 ∗ (e∗b) = b−1 ∗b = e.(4) Aus a∗b = a∗ c folgt b = a−1 ∗a∗b = a−1 ∗a∗ c = c.

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25 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Definition 19 : Seien (G,∗) eine Gruppe, m,n ∈ Z undam,am+1, . . . ,an ∈ G. Dann ist fur n > m

n

∏i=m

ai := am ∗am+1 ∗ . . .∗an := (. . .((am ∗am+1)∗am+2)∗ . . .∗an−1)∗an .

Sprechweise: Das Produkt aller ai mit i von m bis n. Die Elemente am,am+1, . . . ,anheißen Faktoren von ∏n

i=m ai.Fur n = m setzt man

m

∏i=m

ai := am ,

und fur n < m vereinbart mann

∏i=m

ai := e

(”leeres Produkt“), wobei e das neutrale Element von G ist.

Wenn (G,∗) kommutativ ist, wird oft + statt ∗, −a statt a−1 und

n

∑i=m

ai stattn

∏i=m

ai

geschrieben. Sprechweise: Die Summe aller ai mit i von m bis n. Die Ele-mente am,am+1, . . . ,an heißen dann Summanden von ∑n

i=m ai.

Hilfssatz 3 : Seien (G,∗) eine Gruppe, m,k,n∈ Z , m < k < n und am,am+1, . . . ,an ∈G. Dann gilt

(am ∗ . . .∗ak)∗ (ak+1 ∗ . . .∗an) = am ∗am+1 ∗ . . .∗an.

Beweis: Wir beweisen die Behauptung durch Induktion nach n−k, der An-zahl der Faktoren von ak+1 ∗ . . . ∗ an. Fur n− k = 1 ist sich die Behaup-tung (am ∗ . . .∗an−1)∗an = am ∗ . . .∗an, was nach Definition des Produktesam ∗ . . .∗an−1 ∗an richtig ist.Sei nun n− k > 1. Aus dem Assoziativgesetz und der Induktionsannahme

(am ∗ . . .∗ak)∗ (ak+1 ∗ . . .∗an−1) = am ∗am+1 ∗ . . .∗an−1

folgt(am ∗ . . .∗ak)∗ (ak+1 ∗ . . .∗an) = (am ∗ . . .∗ak)∗ ([ak+1 ∗ . . .∗an−1]∗an) =([am ∗ . . .∗ak]∗ [ak+1 ∗ . . .∗an−1])∗an = (am ∗am+1 ∗ . . .∗an−1)∗an =am ∗am+1 ∗ . . .∗an.

Satz 22 : (Allgemeines Assoziativgesetz)Seien (G,∗) eine Gruppe, s eine positive ganze Zahl, m,k1, . . . ,ks,n ganze

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26 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Zahlen mit m < k1 < k2 < .. .ks < n und am,am+1, . . . ,an ∈ G. Dann gilt

(am ∗ . . .∗ak1)∗ (ak1+1 ∗ . . .∗ak2)∗ . . .∗ (aks+1 ∗ . . .∗an) =

= am ∗ . . .∗an,

d.h. auf die Reihenfolge des Ausfuhrens der Gruppenverknupfung bei derBerechnung von ∏n

i=m ai kommt es nicht an, die Klammern konnen alsoweggelassen werden.

Beweis: Wir beweisen die Behauptung durch Induktion nach s.Fur s = 1 folgt die Behauptung aus Lemma 3.Sei s > 1. Nach Induktionsannahme und Lemma 3 ist dann

(am ∗ . . .∗ak1)∗ (ak1+1 ∗ . . .∗ak2)∗ . . .∗ (aks+1 ∗ . . .∗an) =

[(am∗. . .∗ak1)∗(ak1+1∗. . .∗ak2)∗. . .∗(aks−1+1∗. . .∗aks)]∗(aks+1∗. . .∗an) =

= (am ∗ . . .∗aks)∗ (aks+1 ∗ . . .∗an) = am ∗ . . .∗an .

Satz 23 : (Allgemeines Kommutativgesetz)Seien (G,+) eine kommutative Gruppe, m,n ∈ Z mit n > m,am,am+1, . . . ,an ∈ G und f eine bijektive Abbildung von{m,m+1, . . . ,n} nach {m,m+1, . . . ,n}. Dann gilt

n

∑i=m

ai =n

∑i=m

a f (i) ,

d.h. auf die Reihenfolge der Summanden kommt es bei der Berechnung von∑n

i=m ai nicht an, sie konnen beliebig umgeordnet werden.

Beweis: Wir beweisen die Behauptung durch Induktion nach n −m. Furn−m = 1 ist die Behauptung richtig, weil die Gruppe kommutativ ist. Seinun n−m > 0. Wenn f (n) = n ist, dann folgt

n

∑i=m

a f (i) = (n−1

∑i=m

a f (i))+an

und nach Induktionsannahme die Behauptung, weil die Einschrankung vonf auf {m,m+1, . . . ,n−1} eine bijektive Abbildung nach{m,m+1, . . . ,n−1} ergibt.Im anderen Fall ist f (n) < n. Sei k ∈ {m,m+1, . . . ,n} so, dass

f (k) = n

ist. Weil G kommutativ ist, ist

n

∑i=m

a f (i) =k−1

∑i=m

a f (i) +an +n

∑i=k+1

a f (i) =

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27 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

=k−1

∑i=m

a f (i) +n

∑i=k+1

a f (i) +an =n−1

∑i=m

ag(i) +an ,

wobei g die durch

g(i) := f (i), falls m ≤ i < k, und g(i) := f (i+1), falls k ≤ i < n,

definierte bijektive Abbildung von {m,m+1, . . . ,n−1} nach{m,m+1, . . . ,n−1} ist. Nach Induktionsannahme ist

n−1

∑i=m

ag(i) =n−1

∑i=m

ai ,

also istn

∑i=m

a f (i) =n−1

∑i=m

ag(i) +an =n

∑i=m

ai .

Definition 20 : Seien I eine endliche Menge, (G,+) eine kommutative Grup-pe und (ai)i∈I eine Familie von Elementen in G. Dann ist

∑i∈I

ai :=n

∑i=1

a f (i) ∈ G ,

wobei f eine bijektive Abbildung von {1,2, . . . ,n := #(I)} nach I ist.Nach Satz 23 hangt ∑i∈I ai nicht von der Wahl der bijektiven Abbildung fab.

Beispiel 9 : Sei I := {(0,2),(1,1),(2,0)}, (G,+) := (Z ,+) unda(0,2) := 3,a(1,1) := 4,a(2,0) := 1. Sei f die bijektive Abbildung von {1,2,3}nach I mit f (1) = (1,1), f (2) = (0,2), f (3) = (2,0). Dann ist

∑i∈I

ai = a(1,1) +a(0,2) +a(2,0) = 4+3+1 = 8 .

9. Ringe und Korper

Definition 21 : Seien R eine Menge und + : R×R → R sowie· : R×R → R Abbildungen. Wir schreiben statt +(a,b) kurz

”a + b“ und

statt ·(a,b) kurz”a ·b“ oder

”ab“. Das Tripel (R,+, ·) heißt ein Ring, wenn

die folgenden Bedingungen (”Ring-Axiome“) erfullt sind:

(1) (R,+) ist eine abelsche Gruppe.(2) Fur alle a,b,c ∈ R ist (ab)c = a(bc) (Assoziativgesetz).(3) Es gibt ein Element e ∈ R so, dass fur alle a ∈ R gilt :

ea = ae = a (e heißt dann Einselement und wird mit 1R bezeichnet).(4) Fur alle a,b,c ∈ R ist a(b+ c) = (ab)+(ac) und

(a+b)c = (ac)+(bc) (Distributivgesetz).

Ein Ring (R,+, ·) heißt kommutativ, wenn zusatzlich gilt:

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28 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

(5) fur alle a,b ∈ R ist ab = ba (Kommutativgesetz).

Ist (R,+, ·) ein Ring, dann heißt + die Addition und · die Multiplikationdes Ringes. Das neutrale Element von (R,+) heißt Nullelement und wird0R geschrieben. Das zu a ∈ R bezuglich + inverse Element wird mit −abezeichnet. Die Subtraktion ist dann definiert durch

a−b := a+(−b).

Um Klammern einzusparen, wird verabredet, dass die Multiplikation immervor der Addition ausgefuhrt wird, ausgenommen bei gegenteiliger Klamme-rung. Zum Beispiel wird (ab)+ c abgekurzt als ab+ c.

Wenn aus dem Zusammenhang ersichtlich ist, welche Addition undMultiplikation auf der Menge R betrachtet werden, so schreibt man statt(R,+, ·) kurz R.

Beispiel 10 : (Z ,+, ·) und (Q ,+, ·) sind kommutative Ringe.

Definition 22 : Ein Element a eines Ringes R mit Einselement 1R ist inver-tierbar, wenn es ein Element b ∈ R mit

ab = 1R = ba

gibt. Das Element b heißt dann zu a (bezuglich ·) inverses Element und wirdmit a−1 bezeichnet.

Satz 24 : Die Menge aller invertierbaren Elemente eines Ringes R ist mitder Multiplikation von R eine Gruppe. Das Einselement von R ist das neu-trale Element dieser Gruppe. Fur invertierbare Elemente a,b ∈ R ist

(ab)−1 = b−1a−1 und (a−1)−1 = a .

Beweis: Es ist

(ab)(b−1a−1) = a(bb−1)a−1 = 1 = b−1(a−1a)b = (b−1a−1)(ab) .

Definition 23 : Sei (R,+, ·) ein kommutativer Ring mit mindestens zweiElementen. R heißt ein Korper, wenn jedes Element von R\{0} invertierbarist. Die Division in R ist dann durch

a/b := ab−1

definiert.

Beispiel 11 : (Q ,+, ·) ist ein Korper. Der Ring (Z ,+, ·) der ganzen Zahlenist kein Korper.

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29 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Als Merkregel fur diese Definitionen gilt: In einem Ring kann addiert, sub-trahiert und multipliziert werden. In einem Korper kann zusatzlich nochdurch Elemente ungleich null dividiert werden. Die Ring-Axiome sind denRechenregeln fur ganze Zahlen nachgebildet.

Satz 25 : Seien (R,+, ·) ein Ring und a,b,c ∈ R. Dann gilt:

(1) Aus a+b = a+ c folgt b = c.(2) 0R ·a = a ·0R = 0R(3) (−a) ·b = a · (−b) = −(a ·b)(4) (−a) · (−b) = a ·b.

Wenn R ein Korper und a 6= 0 ist, dann gilt:

(5) Aus a ·b = a · c folgt b = c.

Beweis: (1) folgt nach Satz 21 durch Kurzen in der Gruppe (R,+).(2) Aus 0R + 0R · a = 0R · a = (0R + 0R) · a = 0R · a + 0R · a folgt nach (1),dass 0R = 0R ·a ist. Analog beweist man die zweite Behauptung.(3) Aus (−a) ·b+a ·b = (−a+a) ·b = 0R ·b = 0R folgt (−a) ·b =−(a ·b).Analog beweist man die zweite Behauptung.(4) Nach (3) ist (−a) · (−b) = −(a · (−b)) = −(−(a ·b)) = a ·b .(5) Aus a · b = a · c erhalt man durch Multiplikation mit a−1 auf beidenSeiten a−1 ·a ·b = a−1 ·a · c und schließlich b = c.

Hilfssatz 4 : Seien R ein Ring, k eine positive ganze Zahl undc,d1, . . . ,dk ∈ R. Dann gilt

c ·(

k

∑i=1

di

)

=k

∑i=1

c ·di und

(k

∑i=1

di

)

· c =k

∑i=1

di · c .

Beweis: Wir zeigen die erste Behauptung durch Induktion nach k. Fur k = 1ist nichts zu zeigen. Sei nun k > 1 und die Behauptung gelte fur k−1. Dannfolgt mit Hilfe des Distributivgesetzes

c ·(

k

∑i=1

di

)

= c ·(

k−1

∑i=1

di +dk

)

= c ·(

k−1

∑i=1

di

)

+ c ·dk =

=

(k−1

∑i=1

c ·di

)

+ c ·dk =k

∑i=1

c ·di .

Die zweite Behauptung wird analog bewiesen.

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30 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Satz 26 : (Allgemeines Distributivgesetz)Seien R ein Ring, m,n ∈ N und a1, . . . ,am,b1, . . . ,bn ∈ R. Dann gilt

(m

∑i=1

ai

)

·(

n

∑j=1

b j

)

=m

∑i=1

(n

∑j=1

ai ·b j

)

=n

∑j=1

(m

∑i=1

ai ·b j

)

.

Beweis: Sei a := ∑mi=1 ai ∈ R. Nach Hilfssatz 4 ist

a ·(

n

∑j=1

b j

)

=n

∑j=1

a ·b j =n

∑j=1

(m

∑i=1

ai

)

·b j =n

∑j=1

(m

∑i=1

ai ·b j

)

.

Seien I und J endliche Mengen, R ein Ring und (ai)i∈I, (b j) j∈J Familienin R. Mit der Schreibweise von Definition 20 erhalt man aus Satz 26:

(

∑i∈I

ai

)

·(

∑j∈J

b j

)

= ∑i∈I

(

∑j∈J

ai ·b j

)

= ∑j∈J

(

∑i∈I

ai ·b j

)

=

= ∑(i, j)∈I×J

ai ·b j =: ∑i∈I, j∈J

ai ·b j .

10. Restklassen

Sei n eine positive ganze Zahl.

Definition 24 : Fur a ∈ Z heißt die Menge

a := {a+ z ·n | z ∈ Z}Restklasse von a modulo n. Die Menge

{ a | a ∈ Z} = {0, 1, . . . ,n−1}wird mit

Z n

(Sprechweise: Z modulo n) bezeichnet. Zwei ganze Zahlen a und b sindzueinander kongruent modulo n (Schreibweise: a ≡ b mod (n) ), wenn siein derselben Restklasse modulo n liegen.

Satz 27 : Fur a,b ∈ Z n ist

a =b oder a ∩b = /0 .

Beweis: Sei a ∩b 6= /0. Dann gibt es Zahlen x,y ∈ Z so, dass a+xn = b+ynist. Dann ist fur alle z ∈ Z

a+ zn = b+(y− x+ z)n ∈ b (also a ⊆b)

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31 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

undb+ zn = a+(x− y+ z)n ∈ a (alsob ⊆ a).

Satz 28 : Seien a,b ganze Zahlen und a,b die Restklassen von a,b modulon.Dann ist a =b genau dann, wenn die Reste von a und b nach Division durchn gleich sind.

Beweis: Sei r bzw. s der Rest von a bzw. b nach Division durch n. Es istr ∈ a und s ∈b.Wenn r = s ist, folgt aus Satz 27, dass a =b ist.Wenn a =b ist, gibt es eine ganze Zahl z mit b = a+ zn. Also ist r = s.

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32 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

Satz 29 : Die Abbildungen

+ : Z n × Z n −→ Z n , ( a,b) 7−→ a +b := a+b

und· : Z n × Z n −→ Z n , ( a,b) 7−→ a ·b := ab

sind wohldefiniert. Mit diesen Rechenoperationen ist Z n ein kommutativerRing. Das Nullelement bzw. Einselement von Z n ist0 = {z ·n | z ∈ Z} bzw. 1 = {1+ z ·n | z ∈ Z}.

Beweis: Wir zeigen zuerst, dass + und · wohldefiniert sind. Es seien a,c,b,d ∈Z so, dass a = c undb = d. Dann sind a−c und b−d Vielfache von n. We-gen

(a+b)− (c+d) = (a− c)+(b−d)

ist auch (a+b)− (c+d) ein Vielfaches von n, also a+b = c+d. Wegen

ab− cd = a(b−d)+(a− c)d

ist ab = cd. Nun kann leicht nachgepruft werden, dass + und · die Rechen-regeln eines kommutativen Ringes erfullen.

Beispiel 12 : Am Computer konnen die Elemente von Z n durch die Zahlen

0,1, . . . ,n−1

dargestellt werden. Dann wird fur 0 ≤ a,b < n die Summe a +b bzw. dasProdukt a ·b durch den Rest von a + b bzw. a · b nach Division durch ndargestellt.Eine andere Moglichkeit zur Darstellung der Restklassen modulo n ist diedurch die Zahlen

−[n2],−[

n2]+1, . . . , [

n−12

] ,

wobei [n2 ] die großte ganze Zahl bezeichnet, die kleiner oder gleich n

2 ist.In der Programmiersprache C bedeutet das Rechnen im Datentyp unsi-

gned int das Rechnen im Restklassenring Z n mit n = 232. Als Summe von232 −1 und 1 wird daher 0 ausgegeben.

Satz 30 : Es seien a 6= 0 und n ≥ 2 ganze Zahlen.

(1) Die Restklasse a ∈ Zn ist genau dann invertierbar, wennggT (a,n) = 1 ist. In diesem Fall wird a−1 wie folgt berechnet:

– Berechne mit dem erweiterten Euklidischen Algorithmus Zah-len u,v ∈ Z so, dass u ·a+ v ·n = 1 ist.

– Dann ist a−1 = u.(2) Z n ist genau dann ein Korper, wenn n eine Primzahl ist.

Beweis:

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33 1. RECHNEN MIT GANZEN UND RATIONALEN ZAHLEN

(1) Wenn ggT (a,n) = 1 und u ·a+ v ·n = 1 ist, dann ist

1 = u · a+ v · n = u · a .

Wenn a invertierbar ist, dann gibt es eine ganze Zahl b so, dassa ·b = 1 ist. Nach Satz 28 ist daher der Rest von ab nach Divisi-

on durch n gleich 1, insbesondere ist n ein Teiler von ab− 1. Daherteilt ggT (a,n) sowohl a als auch 1−a ·b, also muss ggT (a,n) gleich1 sein.

(2) Seien n eine Primzahl und a ∈ Z . Dann ist a entweder ein Vielfachesvon n oder ggT (a,n) = 1. Daher folgt die Behauptung aus (1).

Beispiel 13 : Der Ring Z 2 ist ein Korper mit zwei Elementen.

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KAPITEL 2

Systeme linearer Gleichungen

In diesem Kapitel werden mit m,n, p,q immer positive ganze Zahlen,mit K ein Korper (z.B. Q oder Z p, p prim) und mit R ein kommutativerRing (z.B. Z , Q oder Z n) bezeichnet.

1. Matrizen

Definition 25 : Eine m×n-Matrix mit Koeffizienten in R (oder eine m×n-Matrix uber R) ist eine Abbildung

A : {1,2, . . . ,m}×{1,2, . . .,n}→ R , (i, j) 7→ A(i, j) .

Eine Matrix wird ublicherweise als Familie

A = (Ai j)1≤i≤m1≤ j≤n

=

A11 A12 . . . A1nA21 A22 . . . A2n

......

...Am1 Am2 . . . Amn

geschrieben, wobei Ai j eine Abkurzung fur A(i, j) ist und der i j-te Koeffizi-ent von A (oder Koeffizient in der i-ten Zeile und j-ten Spalte von A) genanntwird. Als Kurzschreibweise wird

A = (Ai j)i, j

verwendet. Anstelle von”Matrix-Koeffizienten“ spricht man auch von

”Matrix-

Eintragen“. Eine m×1-Matrix heißt eine m-Spalte,eine 1×n-Matrix eine n-Zeile. Die n-Zeile

Ai− := (Ai1,Ai2, . . . ,Ain)

heißt i-te Zeile von A, die m-Spalte

A− j :=

A1 jA2 j

...Am j

j-te Spalte von A. Die Menge aller m× n-Matrizen mit Koeffizienten in Rwird mit

Rm×n

bezeichnet. Matrizen mit Koeffizienten in Z oder Q werden kurz ganzzah-lige oder rationale Matrizen genannt. 1× 1-Matrizen mit Koeffizienten in

34

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35 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

R werden ublicherweise mit den entsprechenden Elementen von R identifi-ziert, d.h.

R1×1 = R , (Ai j)1≤i≤11≤ j≤1

= A11 .

Definition 26 : Seien A,B ∈ Rm×n und r ∈ R. Dann heißt

A+B := (Ai j +Bi j)1≤i≤m1≤ j≤n

=

A11 +B11 . . . A1n +B1n...

...Am1 +Bm1 . . . Amn +Bmn

∈ Rm×n

die Summe von A und B, und

r ·A := (rAi j)1≤i≤m1≤ j≤n

=

rA11 . . . rA1n...

...rAm1 . . . rAmn

∈ Rm×n

heißt das r-fache skalare Vielfache von A. Wir schreiben im Folgenden statt

”r ·A“ kurz

”rA“. Weiters vereinbaren wir, dass skalare Vielfache vor der

Summe berechnet werden, zum Beispiel ist rA+B zu lesen als (r ·A)+B.

Satz 31 :

(1) (Rm×n,+) ist eine kommutative Gruppe, wobei das neutrale Elementdie m×n-Nullmatrix

0 =

0R . . . 0R...

...0R . . . 0R

∈ Rm×n

und das zu A ∈ Rm×n inverse Element

−A = (−Ai j)1≤i≤m1≤ j≤n

∈ Rm×n

ist.(2) Fur r,s ∈ R und A,B ∈ Rm×n ist

(r + s)A = rA+ sA

undr(A+B) = rA+ rB.

(3) Fur r,s ∈ R und ARm×n ist

(rs)A = r(sA) und 1RA = A .

Beweis: (1) Wir zeigen nur die Assoziativitat, die anderen Eigenschafteneiner Gruppe werden analog bewiesen. Fur A,B,C ∈ Rm×n ist(A+B)+C = (Ai j +Bi j)i, j +(Ci, j)i, j = ((Ai j +Bi j)+Ci j)i, j == (Ai j +(Bi j +Ci j))i, j = (Ai j)i, j +(Bi j +Ci j)i, j = A+(B+C)

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36 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

aufgrund des Assoziativgesetzes fur die Addition in R.(2), (3) Ubung.

Definition 27 : Fur A ∈ Rm×n und B ∈ Rn×p heißt

A ·B := (n

∑k=1

AikBk j)1≤i≤m1≤ j≤p

∈ Rm×p

das Produkt von A und B (sprich”A mal B“). Oft wird statt A ·B nur AB

geschrieben. Zur Berechnung des Koeffizienten

(AB)i j =n

∑k=1

AikBk j

werden die Koeffizienten in der i-ten Zeile von A der Reihe nach mit denentsprechenden Koeffizienten in der j-ten Spalte von B multipliziert undanschließend alle diese Produkte addiert.

Im Spezialfall m = 1 und p = 1, d.h. A ist eine n-Zeile und B eine n-Spalte, ergibt sich

AB = (A1, . . . ,An)

B1...

Bn

= A1B1 + · · ·+AnBn =n

∑i=1

AiBi.

Beispiel 14 : Ein Korb voller Waren werde durch die Zeile

S := (S1, . . . ,Sn) ∈ Q 1×n

beschrieben, wobei Si die Stuckzahl der Ware i im Korb angibt. Sei

P :=

P1...

Pn

∈ Q n×1,

wobei Pi den Preis der Ware i in Euro angibt. Dann ist

SP =n

∑i=1

SiPi ∈ Q

der Wert des ganzen Korbs.

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37 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Beispiel 15 : Die Waren 1, . . . ,m werden aus Rohstoffen 1, . . . ,n herge-stellt, die von Lieferanten 1, . . . , p bezogen werden. Fur die Erzeugung derWare i werden Qi j Einheiten des Rohstoffes j benotigt. Der Preis des Roh-stoffes j beim Lieferanten k betragt Pjk. Setzt manQ := (Qi j)i, j ∈ Qm×n und P := (Pjk) j,k ∈ Q n×p , dann ist

(QP)ik =n

∑j=1

Qi jPjk

der Gesamtpreis der Rohstoffe fur Ware i beim Lieferanten k. Sollen jeweilsSi Stuck der Ware i produziert werden und setzt manS = (S1, . . . ,Sm)∈ Q 1×n , dann ist (SQ)1 j die Anzahl der insgesamt benotig-ten Einheiten von Rohstoff j und

((SQ)P)1k

ist der Preis bei Lieferant k fur alle benotigten Rohstoffe.

Satz 32 : Die Matrizenmultiplikation ist assoziativ, d.h. fur Matrizen A ∈Rm×n, B ∈ Rn×p und C ∈ Rp×q gilt

(AB)C = A(BC).

Beweis: Da AB eine m× p-Matrix und BC eine n× q-Matrix ist, sind so-wohl (AB)C als auch A(BC) m× q-Matrizen. Fur 1 ≤ i ≤ m und 1 ≤ j ≤ qist

((AB)C)i j =p

∑k=1

(AB)ikCk j =p

∑k=1

(n

∑=1

Ai`B`k

)

Ck j

=p

∑k=1

n

∑=1

Ai`B`kCk j =n

∑=1

p

∑k=1

Ai`B`kCk j

=n

∑=1

Ai`

(p

∑k=1

B`kCk j

)

=n

∑=1

Ai`(BC)` j

= (A(BC))i j .

Definition 28 : Fur Elemente i, j einer beliebigen Indexmenge ist das Kronecker-Delta in R

δi j :=

{

1R falls i = j,

0R falls i 6= j.

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38 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Die Matrix

In := (δi j)1≤i≤n1≤ j≤n

=

1 0 . . . 00 1 . . . 0...

.... . .

...0 0 . . . 1

∈ Rn×n

heißt n×n-Einheitsmatrix.

Satz 33 : Fur eine beliebige Matrix A ∈ Rm×n ist

ImA = A und AIn = A .

Beweis: Fur 1 ≤ i ≤ m und 1 ≤ j ≤ n ist(ImA)i j = ∑m

k=1 δikAk j = Ai j,also ImA = A. Analog beweist man AIn = A.

Satz 34 : Fur A,B ∈ Rm×n und C ∈ Rn×p gilt

(A+B)C = AC +BC.

Fur A ∈ Rm×n und B,C ∈ Rn×p gilt

A(B+C) = AB+AC.

Fur A ∈ Rm×n, B ∈ Rn×p und r ∈ R gilt

r(AB) = (rA)B = A(rB).

Fur A ∈ Rm×n und r,s ∈ R gilt

(rs)A = r(sA).

Beweis: Ubung.

Satz 35 : (Rn×n,+, ·) ist ein Ring mit Einselement In. Wegen(

1 00 0

)(0 10 0

)

=

(0 10 0

)

aber(

0 10 0

)(1 00 0

)

=

(0 00 0

)

ist Rn×n im Allgemeinen nicht kommutativ.

Beweis: Die Behauptung folgt aus Satz 32, Satz 33 und Satz 34.

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39 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Definition 29 : Eine Matrix A ∈ Rn×n heißt invertierbar, wenn es eine Ma-trix B ∈ Rn×n gibt mit

AB = In und BA = In .

In diesem Fall nennt man B die zu A inverse Matrix und schreibt

B = A−1.

SeiGLn(R) := {A ∈ Rn×n | A invertierbar}.

Nach Satz 24 ist (GLn(R), ·) eine Gruppe, sie heißt allgemeine lineare Grup-pe (auf Englisch

”general linear group“).

Definition 30 : Sei A = (Ai j)1≤i≤m1≤ j≤n

∈ Rm×n. Dann heißt

AT := (A ji)1≤i≤m1≤ j≤n

∈ Rn×m

die transponierte Matrix von A.

Satz 36 : Fur r ∈ R, A,B ∈ Rm×n und C ∈ GLn(R) gilt:

(1) (AT )T = A(2) (A+B)T = AT +BT

(3) (rA)T = rAT

(4) (AB)T = BT AT (die Reihenfolge kehrt sich um !)(5) (C−1)T = (CT )−1.

Beweis: Ubung.

2. Elementare Umformungen

Definition 31 : Seien 1 ≤ k ≤ m und 1 ≤ ` ≤ n. Dann heißt die MatrixEk` ∈ Rm×n mit Koeffizienten

(Ek`)i j := δikδ j` =

{

1R falls i = k und j = `,

0R falls i 6= k oder j 6= `,

eine Standard-Matrix von Rm×n. Zum Beispiel sind die Standard-Matrizenvon Q 2×2

E11 =

(1 00 0

)

, E12 =

(0 10 0

)

, E21 =

(0 01 0

)

und E22 =

(0 00 1

)

.

Im Spezialfall m = 1 (oder n = 1) schreibt man statt E1` (bzw. Ek1) kurze` (bzw. ek). Zum Beispiel sind die Standard-Zeilen von Q 1×3

e1 = (1,0,0) , e2 = (0,1,0) und e3 = (0,0,1)

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40 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

und die Standard-Spalten von Q 2×1 sind

e1 =

(10

)

und e2 =

(01

)

.

Definition 32 : Die folgenden Matrizen heißen Elementarmatrizen in Rn×n:Typ 1: In + rEk` , wobei r ∈ R und k 6= ` ist,Typ 2: In −Ekk −E`` +Ek` +E`k , wobei k 6= ` ist,Typ 3: In +(t −1)Ekk , wobei t ∈ R invertierbar ist.

Zum Beispiel sind(

1 20 1

)

,

(0 11 0

)

,

(1 00 3

)

∈ Q n×n

Elementarmatrizen vom Typ 1, Typ 2 bzw. Typ 3.

Hilfssatz 5 : Fur Ek` ∈ Rm×m, A ∈ Rm×n und 1 ≤ i ≤ m ist

(Ek`A)i− =

{

A`− falls i = k,

0 falls i 6= k.

Beweis: Sei 1≤ j ≤ n. Wenn i 6= k ist, dann ist (Ek`A)i j = 0, weil außerhalbder k-ten Zeile von Ek` nur Nullen stehen. Wenn i = k ist, dann ist (Ek`A)i j =A` j, weil bei der Produktbildung die 1 in Ek` auf A` j trifft.

Satz 37 : Sei A ∈ Rm×n und seien P ∈ Rm×m sowie Q ∈ Rn×n Elementarma-trizen. Dann erhalt man PA aus A, indem man

Typ 1: zur k-ten Zeile von A das r-fache der `-ten Zeile addiert,Typ 2: die k-te und `-te Zeile von A vertauscht,Typ 3: die k-te Zeile von A mit t multipliziert.

Diese Umformungen der Matrix A heißen elementare Zeilenumformungen.Analog erhalt man AQ aus A, indem man

Typ 1: zur `-ten Spalte von A das r-fache der k-ten Spalte addiert,Typ 2: die k-te und `-te Spalte von A vertauscht,Typ 3: die k-te Spalte von A mit t multipliziert.

Diese Umformungen der Matrix A heißen elementare Spaltenumformun-gen.

Beweis: Fur P = In + rEk` , wobei r ∈ R und k 6= `, istPA = (In + rEk`)A = A+ rEk`A. Nach Hilfssatz 5 ist

(rEk`A)i− =

{

rA`− falls i = k,

0 falls i 6= k.

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41 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Die anderen Falle beweist man analog.

Satz 38 : Elementarmatrizen sind invertierbar, genauer gilt:

Typ 1: (In + rEk`)−1 = In − rEk`

Typ 2: (In−Ekk −E`` +Ek` +E`k)−1 = In −Ekk −E`` +Ek` +E`k

Typ 3: (In +(t −1)Ekk)−1 = In +(t−1−1)Ekk .

Somit konnen alle elementaren Zeilen- oder Spaltenumformungen einer be-liebigen Matrix durch elementare Zeilen- oder Spaltenumformungen wiederruckgangig gemacht werden.

Beweis: Die Matrix

(In − rEk`)(In + rEk`) = (In − rEk`)[(In + rEk`)In]

erhalt man aus Im, indem man zuerst zur k-ten Zeile das r-fache der `-tenZeile addiert und anschließend das r-fache der `-ten Zeile subtrahiert. Daherist

(In − rEk`)(In + rEk`) = In.

Die anderen Falle beweist man analog. Ist P eine Elementarmatrix, so be-kommt man A aus B := PA wieder zuruck, indem man B von links mit P−1

multipliziert.

3. Systeme linearer Gleichungen

Definition 33 : Ein System linearer Gleichungen mit Koeffizienten in K(oder ein lineares Gleichungssystem uber K) ist durch eine Matrix A∈Km×n

und eine Spalte b ∈ Km×1 gegeben. Die Losungsmenge dieses Systems ist

L(A,b) := {x | x ∈ Kn×1 mit Ax = b}.Das System losen heißt, die Menge L(A,b) zu berechnen. Das System heißthomogen, wenn b die Nullspalte ist, ansonsten inhomogen.

Ohne Matrizen kann man das so formulieren: Gegeben sind ElementeAi j ∈ K und bi ∈ K fur 1 ≤ i ≤ m und 1 ≤ j ≤ n. Gesucht sind alle n-Tupel(x1, . . . ,xn) mit Komponenten in K, sodass

A11x1 +A12x2 + · · ·+A1nxn = b1A21x1 +A22x2 + · · ·+A2nxn = b2

......

...Am1x1 +Am2x2 + · · ·+Amnxn = bm

ist.Das durch A ∈ Km×n und b∈ Km×1 gegebene System linearer Gleichun-

gen wird kurz mit”(A,b)“ oder

”Ax = b“ bezeichnet. Die Zahl m heißt die

Anzahl der Gleichungen, die Zahl n die Anzahl der Unbekannten.

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42 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Aus der Definition sieht man, dass ein homogenes System linearer Glei-chungen immer eine Losung hat, und zwar die Nullspalte. Hingegen gibt esinhomogene Systeme ohne Losung, zum Beispiel das System

x1 + x2 = 02x1 +2x2 = 1

.

Beispiel 16 : Es soll eine Legierung aus bi Gramm der Metalle Mi, 1 ≤ i ≤m, hergestellt werden. Zur Verfugung stehen beliebige Mengen von Legie-rungen L1, . . . ,Ln der Metalle M1, . . . ,Mm, wobei 1 Gramm der Legierung L jjeweils Ai j Gramm des Metalls Mi enthalt. Wieviele Gramm von L1, . . . ,Lnmussen fur die gewunschte Legierung verschmolzen werden ?

Das Zusammenschmelzen von x1, . . . ,xn Gramm der Legierungen L1, . . . ,Lngibt eine Legierung mit jeweils

n

∑j=1

Ai jx j

Gramm des Metalls Mi. Gesucht ist somit L(A,b).

Satz 39 : Seien (A,b) ein System linearer Gleichungen uber K und z ∈L(A,b). Dann ist

L(A,b) = {z+ v | v ∈ L(A,0)}.

Beweis: Sei v ∈ L(A,0). Dann ist A(z + v) = Az + Av = b + 0 = b, alsoz+ v ∈ L(A,b).

Sei x ∈ L(A,b). Dann ist A(x− z) = Ax−Az = b− b = 0, also x− z ∈L(A,0) und x = z+(x− z) ∈ {z+ v | v ∈ L(A,0)}.

Um die Losungsmenge eines inhomogenen linearen Gleichungssystems(A,b) zu bestimmen, genugt es somit, nur eine Losung zu finden und dieLosungsmenge des homogenen linearen Gleichungssystems(A,0) zu bestimmen.

Satz 40 : Seien A ∈ Km×n, r,s ∈ K und v,w ∈ L(A,0). Dann ist auch rv +sw ∈ L(A,0) .

Beweis: A(rv+ sw) = r(Av)+ s(Aw) = 0+0 = 0.

Fur die Losungsmenge L eines Systems linearer Gleichungen gilt genaueine der folgenden drei Aussagen:

(1) L ist leer (”es gibt keine Losung“).

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43 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

(2) L enthalt genau ein Element (”eine Losung existiert und ist eindeutig

bestimmt“).(3) L enthalt mindestens zwei Elemente.Wenn K unendlich ist (z.B. K = Q ), dann enthalt L im Fall (3) nach

Satz 39 und Satz 40 unendlich viele Elemente. Wie konnen wir L danndurch endlich viele Daten beschreiben? Um diese Frage zu beantworten,fuhren wir im nachsten Abschnitt die Begriffe

”Vektorraum“ und

”Basis“

ein.

4. Vektorraume

Beim Rechnen mit m× n-Matrizen mit Koeffizienten in einem KorperK haben wir zwei Rechenoperationen kennengelernt:

(1) Die Addition von zwei m×n-Matrizen,(2) Die Multiplikation eines Elementes von K (eines

”Skalars“) mit einer

m×n-Matrix.

Im Satz 31 wurden die dafur geltenden Rechenregeln angegeben.

Definition 34 : Sei V eine Menge und seien + : V ×V → V sowie · : K ×V → V Abbildungen. Wir schreiben statt

”+(v,w)“ kurz

”v + w“ und statt

”·(r,v)“ kurz

”r ·v oder nur

”rv“. Das Tripel (V,+, ·) ist ein Vektorraum uber

K, wenn die folgenden drei Bedingungen erfullt sind:

(1) (V,+) ist eine abelsche Gruppe.(2) Fur alle r,s ∈ K und fur alle v,w ∈V ist

r(v+w) = (rv)+(rw) und (r + s)v = (rv)+(sv) .(3) Fur alle r,s ∈ K und fur alle v ∈V ist (rs)v = r(sv) und 1Kv = v .

Ist (V,+, ·) ein Vektorraum, dann heißen die Elemente von V”Vektoren“,

+”Addition“ und ·

”Skalarmultiplikation“. Statt (V,+, ·) wird oft nur V

geschrieben. Das neutrale Element von (V,+) wird mit 0V bezeichnet undheißt der Nullvektor.

Man beachte, dass der Begriff”Vektor“ erst nach dem Begriff

”Vektor-

raum“ eingefuhrt werden kann, so wie der Begriff”Tiroler“ erst nach dem

Begriff”Tirol“ eingefuhrt werden kann.

Die Eigenschaften von Vektoren konnen kurz so beschrieben werden:Vektoren konnen miteinander addiert und mit Skalaren multipliziert wer-den. Dabei gelten die

”ublichen“ Rechenregeln.

Ein Beispiel aus der Physik: alle Krafte, die in einem vorgegebenenPunkt angreifen, bilden einen Vektorraum, weil sie addiert und mit Zahlenmultipiziert werden konnen und dabei obige Rechenregeln gelten. Dahersind solche Krafte Vektoren.

Die Addition und die Skalarmultiplikation von m×n-Matrizen mit Ko-effizienten in einem Korper erfullen die Rechenregeln eines Vektorraums.Daher:

”Matrizen sind Vektoren“.

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44 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Satz 41 :Kn = {(a1, . . . ,an) | a1, . . . ,an ∈ K}

mit der komponentenweisen Addition

(a1, . . . ,an)+(b1, . . . ,bn) := (a1 +b1, . . . ,an +bn)

und der komponentenweisen Skalarmultiplikation

r(a1, . . . ,an) := (ra1, . . . ,ran)

ist ein Vektorraum uber K und heißt Standard-Vektorraum uber K der Di-mension n. In diesem Vektorraum ist 0V = (0, . . . ,0) und−(a1, . . . ,an) = (−a1, . . . ,−an).

Beweis: Ubung.

Beispiel 17 : Ein Kaufhaus bietet n Waren an. Sei Ui j die Anzahl der amTag i verkauften Einheiten der Ware j. Dann gibt

Ui− = (Ui1, . . . ,Uin)

den Umsatz am Tag i an,

U1− + · · ·+Uk− =

(k

∑i=1

Ui1, . . . ,k

∑i=1

Uin

)

ist der Umsatz vom ersten bis zum k-ten Tag, und

1k

(U1−+ · · ·+Uk−) ∈ Kn

ist der durchschnittliche Tagesumsatz.

Satz 42 : Seien V ein Vektorraum uber K, r ∈ K und v ∈V. Dann gilt:

(1) Es ist rv = 0 genau dann, wenn r = 0 oder v = 0 ist.(2) (−r)v = r(−v) = −(rv) .

Beweis: (1) Aus

0V +0Kv = 0Kv = (0K +0K)v = 0Kv+0Kv

folgt durch Kurzen 0Kv = 0V . Ebenso folgt aus

0V + r0V = r0V = r(0V +0V ) = r0V + r0V

durch Kurzen r0V = 0V . Wenn umgekehrt rv = 0 aber r 6= 0 ist, dann ist rinvertierbar, weil K ein Korper ist, und

v = 1Kv = (r−1r)v = r−1(rv) = r−10V = 0V .

(2) Wegen (rv)+(−r)v = [r+(−r)]v = 0Kv = 0V ist−(rv) = (−r)v. Wegen(rv)+(r(−v)) = r[v+(−v)] = r0V = 0V ist −(rv) = r(−v).

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45 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Definition 35 : Sei V ein Vektorraum uber K. Eine Teilmenge U von Vheißt Untervektorraum oder linearer Unterraum von V , wenn die folgendendrei Bedingungen erfullt sind:

(1) 0V ∈U(2) Sind zwei Vektoren u,v Elemente von U , dann auch ihre Summe

u+ v.(3) Ist ein Vektor v Element von U , dann auch alle skalaren Vielfachen

rv, r ∈ K.

Man schreibt dann

U ≤K V oder U ≤V.

Hilfssatz 6 : Seien (V,+, ·) ein Vektorraum uber K und W ein Untervektor-raum von V . Dann ist (W,+|W×W , ·|K×W ) selbst ein Vektorraum uber K.

Beweis: Ubung.

Satz 43 : Die Losungsmenge eines homogenen Systems linearer Gleichun-gen mit der komponentenweisen Addition und Skalarmultiplikation ist einVektorraum.

Beweis: Folgt aus Satz 40 und Hilfssatz 6.

5. Erzeugendensysteme, lineare Unabhangigkeit und Basen

Definition 36 : Seien V ein Vektorraum uber K und (vi)i∈I eine Familie vonVektoren in V , wobei I eine beliebige Indexmenge (oft{1,2, . . . ,n}) ist.Eine Familie (ci)i∈I von Elementen in K heißt Koeffizientenfamilie, wennci 6= 0 fur nur endlich viele i ∈ I ist.Ein Vektor w ∈ V heißt eine Linearkombination von (vi)i∈I, wenn es eineKoeffizientenfamilie (ci)i∈I gibt, sodass

w = ∑i∈I

civi

ist. Dabei ist im Fall einer unendlichen Indexmenge I obige Summe als dieendliche Summe uber alle Indizes i ∈ I mit ci 6= 0 zu verstehen.

Die Menge aller Linearkombinationen von (vi)i∈I ist der kleinste Unter-vektorraum von V , der alle Vektoren vi, i ∈ I, enthalt. Er heißt der von vi,i ∈ I, erzeugte Untervektorraum von V und wird mit

K〈vi | i ∈ I〉 oder ∑i∈I

Kvi

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46 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

bezeichnet. Wenn I = {1, . . . ,n} ist, dann ist

K〈vi | i ∈ I〉 = {n

∑i=1

civi | c1, . . . ,cn ∈ K} .

Definition 37 : Sei V ein Vektorraum uber K. Eine Familie (vi)i∈I von Vek-toren in V heißt ein Erzeugendensystem von V , wenn

K〈vi | i ∈ I〉 = V

ist.

Definition 38 : Seien V ein Vektorraum uber K und (vi)i∈I eine Familievon Vektoren in V . Dann heißt (vi)i∈I linear unabhangig, wenn fur jedeKoeffizientenfamilie (ci)i∈I aus

∑i∈I

civi = 0

auchci = 0 fur alle i ∈ I

folgt. Andernfalls heißt (vi)i∈I linear abhangig.

Beispiel 18 : Sei V ein Vektorraum uber K. Ein einzelner Vektor v ∈ V istlinear unabhangig genau dann, wenn v 6= 0 ist, weil aus rv = 0 nach Satz 42r = 0 oder v = 0 folgt.

Satz 44 : Sei A ∈ Km×n.

(1) L(A,0) ist genau dann der Nullraum, wenn die Spalten(A−1, . . . ,A−n) linear unabhangig sind.

(2) Fur b ∈ Km×1 ist das lineare Gleichungssystem Ax = b genau dannlosbar, wenn b eine Linearkombination der Spalten von A ist.

Beweis: Fur y ∈ Kn×1 ist

Ay = y1A−1 + . . .ynA−n .

Definition 39 : Sei V ein Vektorraum uber K. Eine Basis von V ist ein linearunabhangiges Erzeugendensystem von V .

Satz 45 : Die Familie

(Ek`)1≤k≤m1≤`≤n

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47 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

der Standard-Matrizen (siehe Definition 31) ist eine Basis vonKm×n und heißt die Standardbasis von Km×n.

Insbesondere ist die Familie

(ei)1≤i≤n

der Standard-Zeilen (siehe Definition 31) eine Basis von Kn und heißt dieStandardbasis von Kn.

Beweis: Da fur eine beliebige Matrix A ∈ Km×n

A = ∑1≤k≤m1≤`≤n

Ak`Ek`

ist, ist die Familie (Ek`)1≤k≤m1≤`≤n

ein Erzeugendensystem von Km×n. Um die

lineare Unabhangigkeit dieser Familie zu zeigen, nehmen wir an, dass furgewisse ck` ∈ K

∑1≤k≤m1≤`≤n

ck`Ek` = 0

ist. Dann folgt fur alle 1 ≤ i ≤ m und 1 ≤ j ≤ n

0 = ∑1≤k≤m1≤`≤n

ck`(Ek`)i j = ci j ,

was zu zeigen war.

Satz 46 : Sei V ein Vektorraum uber K. Eine Familie (vi)i∈I von Vektorenin V ist genau dann eine Basis von V , wenn sich jeder Vektor in V in ein-deutiger Weise als Linearkombination von (vi)i∈I schreiben lasst, d.h. furalle w ∈V gibt es genau eine Koeffizientenfamilie (ci)i∈I, sodass

w = ∑i∈I

civi

ist. Diese Familie (ci)i∈I heißt dann die Koordinatenfamilie des Vektors wbezuglich der Basis (vi)i∈I, und ci ∈ K heißt die Koordinate von w beimBasisvektor vi.

Beweis: Wenn sich jeder Vektor aus V in eindeutiger Weise als Linearkom-bination von (vi)i∈I schreiben lasst, dann ist (vi)i∈I einerseits ein Erzeugen-densystem von V und andererseits linear unabhangig, weil aus

∑i∈I

civi = 0V = ∑i∈I

0Kvi

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48 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

auf Grund der Eindeutigkeit ci = 0K fur alle i ∈ I folgt.Seien umgekehrt (vi)i∈I eine Basis von V und w ∈ V . Da (vi)i∈I ein Erzeu-gendensystem von V ist, gibt es eine Koeffizientenfamilie (ci)i∈I mit

w = ∑i∈I

civi .

Falls (di)i∈I eine weitere Koeffizientenfamilie in K mit

w = ∑i∈I

divi

ist, erhalt man durch Subtrahieren

0V = ∑i∈I

(ci −di)vi .

Da (vi)i∈I linear unabhangig ist, folgt ci−di = 0K fur alle i ∈ I, also ci = difur alle i ∈ I.

Beispiel 19 : Fur A ∈ Km×n ist

A = ∑1≤k≤m1≤`≤n

Ak`Ek` ,

also ist A die Koordinatenfamilie von A bezuglich der Standardbasis (Ek`)1≤k≤m1≤`≤n

(und Ak` die Koordinate von A bei Ek`).

Beispiel 20 : Seien V ein Vektorraum uber K, (v1, . . . ,vn) ∈ V n eine Basisvon V , w1, . . . ,w` ∈ V und u = ∑n

i=1 civi ∈ V eine Linearkombination von(v1, . . . ,vn). Die Aufgabe

”Uberprufe, ob u eine Linearkombination von (w1, . . . ,w`) ist und- wenn ja - berechne ein `-Tupel (d1, . . . ,d`) mit u = ∑`

j=1 d jw j .“

kann als System linearer Gleichungen formuliert werden:Sei T die n× `-Matrix mit

w j :=n

∑i=1

Ti jvi , 1 ≤ j ≤ ` .

Gesucht ist eine `-Spalte d ∈ K`×1 so, dass

n

∑i=1

civi = u =`

∑j=1

d jw j =n

∑i=1

(`

∑j=1

Ti jd j)vi

ist. Daher ist eine solche Spalte d eine Losung des Systems linearer Glei-chungen T x = c, wobei c die n-Spalte mit Eintragen c1, . . . ,cn ist.

Satz 47 : Jeder Vektorraum V uber K besitzt eine Basis. Wenn V eine end-liche Basis hat, dann enthalten je zwei Basen von V gleich viele Vektoren.

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49 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Beweis: wird weggelassen.

Definition 40 : Die Zahl

dimK(V ) := Anzahl der Elemente einer Basis von V

heißt die Dimension von V . Wenn dimK(V ) = n ist, dann nennt man V n-dimensional. (Jeder Vektor in V kann durch n Zahlen eindeutig beschriebenwerden).Ein Vektorraum V heißt endlich-dimensional, wenn er eine endliche Basishat, sonst heißt er unendlich-dimensional.

Beispiel 21 : Nach Satz 45 ist dimK(Km×n) = m ·n unddimK(Kn) = n .

Nach Einfuhrung des Begriffs”Basis“ kann die Aufgabenstellung

”Be-

rechne die Losungsmenge des linearen Gleichungssystems (A,b)“ prazisiertwerden:

”Berechne irgendeine Losung von (A,b) und eine Basis des Losungsraums

von (A,0)“.

Man beachte, dass damit nur endlich viele Daten zu berechnen sind, die-se bestimmen aber vollstandig die (moglicherweise unendliche) Losungs-menge L(A,b).

6. Der Gauss-Algorithmus

Wir werden nun eine Methode zum Losen eines linearen Gleichungs-systems (A,b) kennenlernen. Zunachst betrachten wir einen Spezialfall, indem die Matrix A eine besonders einfache Gestalt hat. In diesem Fall konnenwir die Losungsmenge direkt anschreiben (Satz 48). Danach werden wirden allgemeinen Fall auf den einfachen Fall zuruckfuhren, indem wir dieDaten (A,b) schrittweise so verandern, dass die geanderten Daten (A′,b′)schließlich die einfache Gestalt haben und

L(A,b) = L(A′,b′)

ist (Satz 50 und Satz 52). Den Ubergang von den Daten (A,b) zu (A′,b′)nennt man

”die Gleichungen umformen“. Gilt dabei

L(A,b) = L(A′,b′), dann sind die Umformungen”zulassig“.

Definition 41 : Eine Matrix A ∈ Km×n hat Stufenform, wenn die folgendenvier Bedingungen erfullt sind:

(1) Ist Ai− = 0, dann sind auch A(i+1)− = · · · = Am− = 0.(2) Der (von links gelesen) erste Koeffizient 6= 0 in jeder Zeile heißt

Pivot und ist 1.

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50 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

(3) Der Pivot von Zeile i+1 steht rechts vom Pivot von Zeile i.(4) Der Pivot jeder Zeile ist der einzige Koeffizient 6= 0 in seiner Spalte.

Dann hat A die Gestalt

0 . . . 0 1 ∗ . . . ∗ 0 ∗ . . . ∗ 0 ∗ . . .0 . . . . . . . . . . . . . . . . 0 1 ∗ . . . ∗ 0 ∗ . . .0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0 1 ∗ . . ....

,

wobei die Sterne fur beliebige Elemente von K stehen.

Satz 48 : Sei (A,b) ein System linearer Gleichungen uber K mitA ∈ Km×n in Stufenform. Seien r die Anzahl der Pivots,d1 < d2 < · · · < dr die Spaltenindizes der Pivots und

e1 =

10...0

, . . . , en =

0...01

die Standardspalten von Kn×1. Dann gilt:

(1) L(A,b) ist genau dann nicht leer, wenn fur alle i > r gilt: bi = 0.In diesem Fall ist

z :=r

∑i=1

biedi =

0...0b10...0br0...0

∈ L(A,b),

wobei b1, . . . ,br in den Zeilen d1, . . . ,dr stehen.

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51 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

(2) Sei J := {1, . . . ,n}\{d1, . . . ,dr} und, fur alle j ∈ J,

w j := e j −r

∑i=1

Ai jedi =

0...0

−A1 j0...010...

−Ar j0...0

,

wobei −A1 j, . . . ,−Ar j in den Zeilen d1, . . . ,dr sowie 1 in der Zeile jstehen. Dann ist (w j) j∈J eine K-Basis von L(A,0).

Beweis: (1) Wenn L(A,b) nicht leer ist, dann gibt es ein x mit Ax = b, undes folgt bi = Ai−x = 0 fur i > r. Sei umgekehrt bi = 0 fur i > r. Dann ist

Az = A(r

∑i=1

biedi) =r

∑i=1

biAedi =r

∑i=1

biA−di =r

∑i=1

biei = b,

also z ∈ L(A,b).(2) Fur alle j ∈ J ist

Aw j = A(e j −r

∑i=1

Ai jedi) = Ae j −r

∑i=1

Ai jAedi = A− j −r

∑i=1

Ai jei = 0,

also w j ∈ L(A,0).Sei (t j) j∈J eine Familie in K. Dann ist

∑j∈J

t jw j = ∑j∈J

t je j −r

∑i=1

(∑j∈J

t jAi j)edi ,

daher ist t j die Koordinate von ∑ j∈J t jw j beim Standardbasisvektor e j, furalle j ∈ J. Aus ∑ j∈J t jw j = 0 folgt somit t j = 0, j ∈ J. Daher ist (w j) j∈Jlinear unabhangig.Es bleibt noch zu zeigen, dass jedes v ∈ L(A,0) eine Darstellung

v = ∑j∈J

s jw j

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52 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

mit gewissen s j ∈ K besitzt. Aus Av = 0 folgt fur alle i ≤ r:

0 = Ai−v =n

∑j=1

Ai jv j = vdi + ∑j∈J

Ai jv j .

Somit gilt fur 1 ≤ i ≤ rvdi = −∑

j∈JAi jv j

und wir erhalten

v = ∑j∈J

v je j +r

∑i=1

vdiedi = ∑j∈J

v je j −r

∑i=1

(

∑j∈J

Ai jv j

)

edi

= ∑j∈J

v je j − ∑j∈J

v j

(r

∑i=1

Ai jedi

)

= ∑j∈J

v j

(

e j −r

∑i=1

Ai jedi

)

= ∑j∈J

v jw j ,

was zu zeigen war.

Unser nachstes Ziel ist es, beliebige lineare Gleichungssysteme zu lo-sen. Ein erster Schritt dazu ist der folgende Satz.

Satz 49 : Sei (A,b) ein lineares Gleichungssystem mit A ∈ Km×n. Dann giltfur beliebiges P ∈ GLm(K)

L(PA,Pb) = L(A,b).

Beweis: Ist y ∈ L(A,b), dann ist Ay = b, also auch PAy = Pb und y ∈L(PA,Pb). Daher ist L(A,b) eine Teilmenge von L(PA,Pb).Ist y ∈ L(PA,Pb), dann ist PAy = Pb, also auch Ay = P−1PAy = P−1Pb = bund y ∈ L(A,b). Daher ist L(PA,Pb) eine Teilmenge von L(A,b).

Satz 49 legt nahe, zu einem gegebenen linearen Gleichungssystem (A,b)eine invertierbare Matrix P zu suchen, sodass das Gleichungssystem (PA,Pb)Stufenform hat. Dann kann die Losungsmenge mit Satz 48 bestimmt wer-den.

Satz 50 : Jede Matrix A ∈ Km×n kann durch elementare Zeilenumformun-gen auf Stufenform gebracht werden, genauer gesagt gibt es ein P∈GLm(K),das Produkt von hochstens mn Elementarmatrizen ist, sodass PA Stufenformhat. Diese Matrix PA kann mit dem folgenden Algorithmus berechnet wer-den (Gauss-Elimination):

(1) Setze C := A, i := 1 und j := 1.

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53 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

(2) Falls Ci j 6= 0 ist, gehe zu Schritt 4.Ansonsten suche ein k ∈ {i+1, . . . ,m} mit Ck j 6= 0.

(3) Falls es kein k ∈ {i + 1, . . . ,m} mit Ck j 6= 0 gibt, erhohe j um 1 undwiederhole Schritt 2.Ansonsten vertausche die i-te und k-te Zeile von C und nenne dieneue Matrix wieder C. (Dann ist Ci j 6= 0).

(4) Multipliziere die i-te Zeile von C mit C−1i j und nenne die neue Matrix

wieder C. (Dann ist Ci j = 1).(5) Fur ` ∈ {1, . . . ,m} \ {i} mit C` j 6= 0 subtrahiere das C` j-fache der

i-ten Zeile von der `-ten Zeile und nenne die neue Matrix wieder C.(Dann ist C− j = ei).

(6) Erhohe i und j um 1 und gehe zu Schritt 2.

Der Algorithmus wird abgebrochen, sobald i > m oder j > n ist. Dann hatdie Matrix C Stufenform.

Beweis: Der Algorithmus bricht nach hochstens n Durchlaufen ab, weil injedem Durchlauf j um 1 erhoht wird. Seien P1, . . . ,Ps die Elementarma-trizen zu den im Algorithmus der Reihe nach durchgefuhrten elementarenZeilenumformungen. Da pro Durchlauf hochstens m elementare Zeilenum-formungen durchgefuhrt werden, ist s ≤ nm. Nach Satz 37 erhalt man amEnde des Algorithmus die Matrix

(Ps . . .(P2(P1A)) . . .) = (Ps . . .P2P1)A,

und nach Satz 38 ist

P := Ps . . .P2P1 ∈ GLm(K).

Schließlich hat die Matrix PA Stufenform, weil in jedem Durchlauf die er-sten j−1 Spalten nicht mehr verandert werden und in der j-ten Spalte ent-sprechend umgeformt wird.

Der Beweis zeigt, dass man die Transformationsmatrix P erhalt, indemman die elementaren Zeilenumformungen nicht nur auf A, sondern auch aufdie Einheitsmatrix Im anwendet:

(A|Im) → (P1A|P1Im) → ··· → (Ps . . .P1A|Ps . . .P1Im) = (PA|P).

Satz 51 : Sei A ∈ Km×m. Auf die folgende Weise kann uberpruft werden,ob A invertierbar ist und, wenn ja, die zu A inverse Matrix A−1 berechnetwerden:

Bringe A durch Gauss-Elimination auf Stufenform, wobei die elementa-ren Zeilenoperationen auch auf die Einheitsmatrix angewendet werden:

(A|Im) → (PA|P).

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54 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Dann ist A invertierbar genau dann, wenn PA = Im gilt. In diesem Fall istA−1 = P .

Beweis: Wenn A invertierbar ist, dann sind A,P ∈ GLm(K) und somit auchB := PA ∈ GLm(K). Da B Stufenform hat, ist B = Im oder Bm− = 0. AusBm− = 0 wurde aber

0 = Bm−(B−1)−m = (BB−1)mm = 1,

folgen, also muss B = Im sein. Umgekehrt folgt aus PA = Im auchAP = P−1(PA)P = Im und somit P = A−1.

Satz 52 : Ein lineares Gleichungssystem Ax = b uber dem Korper K kanngelost werden, indem man die Matrix A durch Gauss-Elimination auf Stu-fenform bringt und b mittransformiert. Praktisch fuhrt man die elementa-ren Zeilenumformungen auf der

”erweiterten Matrix“ (A|b) aus und erhalt

(PA|Pb). Dann istL(A,b) = L(PA,Pb),

und L(A,b) kann nach Satz 48 berechnet werden.Insbesondere gibt es genau dann genau eine Losung, wenn

PA =

(In0

)

und Pb =

(c0

)

mit c ∈ Kn×1 ist. Die eindeutige Losung ist dann

c1...

cn

.

Wenn A sogar invertierbar ist, dann hat (A,b) die eindeutige Losung

A−1b.

Beweis: Die Behauptung folgt aus Satz 49 und Satz 48.

Satz 53 : Ein homogenes lineares Gleichungssystem Ax = 0 uber dem KorperK hat immer die triviale Losung 0. Wenn A ∈ Km×n mit m < n ist, d.h. essind weniger Gleichungen als Unbekannte vorhanden, dann gibt es aucheine Losung, die nicht trivial ist.

Beweis: Wenn m < n ist, dann kann PA ∈ Km×n nicht die Form(

In0

)

haben, und nach Satz 52 gibt es mehr als eine Losung.

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55 2. SYSTEME LINEARER GLEICHUNGEN

Definition 42 : Sei A ∈ Km×n. Der von den Spalten von A erzeugte Unter-vektorraum von Km×1 heißt der Spaltenraum von A. Der Rang von A ist dieDimension des Spaltenraums von A. Schreibweise: rg(A).

Satz 54 : Seien A ∈ Km×n und P ∈ GLm(K) so, dass PA Stufenform hat. Seir die Anzahl der Pivots in PA. Dann ist r = rg(A) und die Dimension vonL(A,0) ist n− rg(A).

Beweis: Nach Satz 48 ist n− r die Dimension von L(PA,0). Da PA Stu-fenform hat, ist leicht nachzuprufen, dass rg(PA) = r ist. Wenn die SpaltenS1, . . . ,Sr eine Basis des Spaltenraums von PA bilden, dann ist (P−1S1, . . . ,P−1Sr)eine Basis des Spaltenraums von P−1PA = A. Also ist rg(A) = rg(PA) undwegen L(PA,0) = L(A,0) ist n− rg(A) die Dimension von L(A,0).

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KAPITEL 3

Rechnen mit Abbildungen

1. Permutationen

Satz 55 : Sei f : M → N eine Abbildung.

(1) Ist f bijektiv, dann gilt f ◦ f−1 = IdN und f−1 ◦ f = IdM.(2) Ist g : N → M eine Abbildung mit f ◦g = IdN und g◦ f = IdM , dann

ist f bijektiv und g = f−1 .

Beweis: Ubung.

Satz 56 : Seien f : M → N und g : N → P bijektive Abbildungen. Dann istauch g◦ f bijektiv und es gilt

(g◦ f )−1 = f−1 ◦g−1 .

Beweis: Wegen

(g◦ f )◦ ( f−1 ◦g−1) = g◦ ( f ◦ f−1)◦g−1 = g◦ IdN ◦g−1 = IdP

und

( f−1 ◦g−1)◦ (g◦ f ) = f−1 ◦ (g−1 ◦g)◦ f = f−1 ◦ IdN ◦ f = IdM

folgt die Behauptung aus Satz 55, (2).

Satz 57 : Sei M eine Menge. Dann ist

S(M) := {s | s : M → M bijektiv}mit der Hintereinanderausfuhrung von Abbildungen eine Gruppe mit neu-tralem Element IdM und heißt die symmetrische Gruppe von M.

Beweis: Folgt aus Satz 1 und Satz 56.

Definition 43 : Sei n ∈ N und [n] := {1,2, . . . ,n}. Dann nennt man bijekti-ve Abbildungen von [n] nach [n] auch Permutationen der Zahlen 1,2, . . . ,n,und

Sn := S([n])

56

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57 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

heißt die Permutationsgruppe vom Grad n. Eine Permutation

σ : {1,2, . . .,n}→ {1,2, . . .,n}schreibt man oft in der Tabellenform

(1 2 . . . n

σ(1) σ(2) . . . σ(n)

)

.

Sn hat genau n! = n(n− 1) · · ·2 · 1 Elemente. Graphisch kann man einePermutation darstellen, indem man die Zahlen 1,2, . . . ,n anschreibt und fur1 ≤ i ≤ n einen Pfeil von i nach σ(i) zeichnet. Zum Beispiel hat

σ =

(1 2 3 4 5 6 75 4 6 7 3 1 2

)

die folgende Darstellung:

1 - 5

63�6

?2 - 4

AA

AAAK

7�

��

���

Da σ : {1,2, . . . ,n} → {1,2, . . . ,n} bijektiv ist, ist jede Zahl Anfangs- undEndpunkt von genau einem Pfeil.

Definition 44 : Sei ` ∈ N , ` ≥ 2, und seien j1, . . . , j` paarweise verschie-dene Elemente von {1, . . . ,n}. Dann heißt die Abbildung

τ : {1,2, . . . ,n}→ {1,2, . . . ,n} , i 7→

i falls i 6∈ { j1, . . . , j`},

jk+1 falls i = jk mit k < `,

j1 falls i = j`,

ein Zykel der Lange ` und wird mit

( j1, j2, . . . , j`)

bezeichnet. Ein Zykel der Lange 2 heißt eine Transposition oder Vertau-schung von j1 und j2. Zwei Zykel (i1, . . . , ik) und ( j1, . . . , j`) heißen dis-junkt, wenn

{i1, . . . , ik}∩{ j1, . . . , j`} = /0ist.

Satz 58 : Es seien (i1, . . . , ik) und ( j1, . . . , j`) zwei disjunkte Zykel.Es gilt:

(i1, . . . , ik)( j1, . . . , j`) = ( j1, . . . , j`)(i1, . . . , ik)

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58 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

und( j1, j2, . . . , j`)

−1 = ( j`, j`−1, . . . , j1) ,

insbesondere ist( j1, j2)

−1 = ( j2, j1) = ( j1, j2) .

Beweis: Der Zykel (i1, . . . , ik) vertauscht nur Elemente in {i1, . . . , ik}, derZykel ( j1, . . . , j`) nur Elemente in { j1, . . . , j`}. Daher spielt die Reihenfolgekeine Rolle. Man pruft leicht nach, dass ( j`, j`−1, . . . , j1) die Umkehrabbil-dung von ( j1, j2, . . . , j`) ist.

Definition 45 : Seien M eine Menge und f : M −→ M eine Abbildung. EinElement x ∈ M heißt ein Fixpunkt von f , wenn f (x) = x ist.

Satz 59 : Jede Permutation σ ∈ Sn ist Produkt paarweise disjunkter Zyklenρ1, . . . ,ρm, die eindeutig bis auf die Reihenfolge sind. Die Darstellung

σ = ρ1 . . .ρm

heißt die Zyklenzerlegung von σ . Jene Elemente i ∈ {1,2, . . . ,n}, die nichtin den Zyklen vorkommen, sind die Fixpunkte von σ .

Beweis: Man startet mit J := {1, . . . ,n} und wiederholt die folgende Pro-zedur, bis J leer ist: Wahle ein j ∈ J und berechne

j,σ( j),σ 2( j),σ 3( j), . . .

solange, bis wieder j kommt. Dann ist entweder j ein Fixpunkt oder ( j,σ( j), . . .)ein Zykel von σ . Streiche diese Elemente aus der Menge J.

Definition 46 : Sei σ ∈ Sn eine Permutation mit p Fixpunkten und m Zy-klen. Dann heißt die Zahl

sign(σ) := (−1)n−p−m

das Vorzeichen oder Signum von σ .Da Idn keine Zyklen und n Fixpunkte hat, ist

sign(Idn) = 1 .

Satz 60 : Jede Permutation σ ∈ Sn ist Produkt von Transpositionen τ1, . . . ,τr ∈Sn, die im Allgemeinen nicht eindeutig bestimmt sind. Es gilt aber

sign(σ) = (−1)r =

{

1 falls r gerade ist,

−1 falls r ungerade ist.

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59 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

Eine Permutation σ heißt gerade bzw. ungerade, wenn sign(σ) = 1 bzw. −1ist. Zum Beispiel ist die Identitat gerade und jede Transposition ungerade.

Beweis: Sei σ = ρ1 . . .ρm die Zyklenzerlegung von σ . Wegen

(i1, . . . , ik) = (i1, i2)(i2, i3) . . .(ik−1, ik)

kann man jeden Zykel ρi als Produkt von Transpositionen schreiben unddaher auch σ . Das Beispiel

(1 2 32 3 1

)

= (12)(23) = (13)(12)

zeigt, dass diese Darstellung im Allgemeinen nicht eindeutig ist.Die Aussage sign(σ) = (−1)r beweisen wir durch Induktion nach r. Fur

r = 0 ist σ die Identitat und sign(σ) = 1. Fur r = 1 ist σ eine Transposition,hat also nur einen Zykel und n−2 Fixpunkte, also ist

sign(σ) = (−1)n−(n−2)−1 = −1 .

Sei nun r ≥ 2, τ1 = (i, j) und ρ := τ2 . . .τr. Dann ist zu zeigen, dass

sign((i, j)ρ) = −sign(ρ)

ist. Dazu untersuchen wir, wie sich die Transposition (i, j) auf die Zyklen-zerlegung von ρ auswirkt, und unterscheiden 2 Falle:(1) Die Elemente i und j liegen im gleichen Zykel ( j1, . . . , j`) von ρ , wobeiwir dann j1 = i und jk = j mit 2 ≤ k ≤ ` annehmen konnen, d.h.

( j1, . . . , j`) = (i = j1, . . . , jk−1, j = jk, . . . , j`) .

Fur k = 2 ist dann i ein Fixpunkt von (i, j)ρ , undfur k ≥ 3 ist (i, j2, . . . , jk−1) ein Zykel von (i, j)ρ .Fur k < ` ist ( j, jk+1, . . . , j`) ein Zykel von (i, j)ρ , undfur k = ` ist j ein Fixpunkt von (i, j)ρ .Ansonsten bleibt bei der Zyklenzerlegung von ρ alles gleich, sodass dieSumme aus der Zahl der Fixpunkte und der Zahl der Zykel insgesamt um 1steigt und sich damit das Vorzeichen andert.(2) Im anderen Fall ist i oder j Fixpunkt von ρ oder i, j liegen in verschie-denen Zyklen (i1, i2, . . . , ik) bzw. ( j1, j2, . . . , j`) von ρ , wobei wir i1 = i bzw.j1 = j annehmen konnen. Dann ist

(i = i1, . . . , ik, j = j1, . . . , j`)

ein Zykel von (i, j)ρ , sodass insgesamt die Summe aus der Zahl der Fix-punkte und der Zahl der Zykel um 1 fallt und wiederum sich das Vorzeichenandert.

Satz 61 : Fur Permutationen σ ,τ ∈ Sn gilt

sign(στ) = sign(σ) · sign(τ) .

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60 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

Beweis: Nach Satz 60 gibt es Transpositionen σ1, . . . ,σr und τ1, . . . ,τs mitσ = σ1 . . .σr bzw. τ = τ1 . . .τs . Dann ist στ = σ1 . . .σrτ1 . . .τs, also sign(στ) =(−1)r+s = (−1)r(−1)s = sign(σ)sign(τ).

2. Polynomiale Abbildungen

In diesem Abschnitt sei K ein Korper.

Definition 47 : Seien n ∈ N und a0,a1, . . . ,an ∈ K. Dann heißt die Abbil-dung

f : K → K , z 7→ a0 +a1z+a2z2 + · · ·+anzn =n

∑i=0

aizi ,

eine polynomiale Abbildung von K nach K. Die Elemente a0, . . . ,an heißenKoeffizienten von f .

Mit polynomialen Abbildungen sind mehrere grundlegende Aufgabenverbunden:

• Auswerten einer polynomialen Abbildung f mit Koeffizienten a0, . . . ,anin einem Element c von K: Berechne das Bild

f (c) =n

∑i=0

aici

von c unter der polynomialen Abbildung f . Es ist klar, dass diesesElement von K immer durch Ausfuhren von Additionen und Multi-plikationen in K berechnet werden kann. Darin liegt die

”rechneri-

sche Bedeutung“ der polynomialen Abbildungen.• Interpolation durch eine polynomiale Abbildung: Gegeben sind eine

endliche Teilmenge E von K und eine Abbildungg : E −→ K. Gesucht ist eine polynomiale Abbildung von K nach K,deren Einschrankung auf E gleich g ist.

• Uberprufe die Gleichheit von zwei polynomialen Abbildungen: Zweipolynomiale Abbildungen seien durch ihre Koeffizienten gegeben.Wie kann man feststellen, ob diese zwei Abbildungen gleich sind?Die Antwort ist nicht so leicht: zum Beispiel sind die polynomialenAbbildungen

f : Z2 −→ Z 2 , z 7−→ z ,und g : Z 2 −→ Z 2 , z 7−→ z2 ,

gleich.• Berechnen der Nullstellen einer polynomialen Abbildung f : Finde

alle Elemente c ∈ K mit der Eigenschaft, dass f (c) = 0 ist. Einfacherzu beantwortende Fragen sind: Gibt es solche Elemente? Wenn ja,wieviele?

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61 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

Satz 62 : Es seien c ∈ K und f eine polynomiale Abbildung mit Koeffizien-ten a0, . . . ,an ∈ K. Mit dem folgenden Verfahren kann f (c) mit hochstens nAdditionen und hochstens n Multiplikationen in K berechnet werden:

• Setze i := n und w := an.• Solange i 6= 0 ist, ersetze i durch i−1 und dann w durch w · c+ai.• Wenn i = 0 ist, dann ist f (c) = w.

Beweis:n

∑i=0

aici = (. . .((anc+an−1)c+an−2)c+ . . .+a1)c+a0 .

Definition 48 : Es sei A ein Ring und ein K-Vektorraum. Dann ist A eineK-Algebra, wenn fur alle t ∈ K und alle a,b ∈ A

t · (ab) = a(t ·b) = (t ·a)b

ist. Eine Algebra ist kommutativ, wenn sie als Ring kommutativ ist.

Beispiel 22 : Die Menge Kn×n aller n×n-Matrizen mit Koeffizienten in Kist mit Addition, Skalarmultiplikation und Multiplikation von Matrizen eineK-Algebra. Sie ist nur dann kommutativ, wenn n = 1 ist.

Satz 63 : Es seien M eine Menge und A := Abb(M,K) die Menge allerAbbildungen von M in den Korper K. Fur f ,g ∈ A und c ∈ K und x ∈ M sei

( f g)(x) := f (x)g(x) , ( f +g)(x) := f (x)+g(x)

und(c · f )(x) := c( f (x)) .

Mit den Rechenoperationen

A×A −→ A , ( f ,g) 7−→ f +g ,

A×A −→ A , ( f ,g) 7−→ f g ,

K ×A −→ A , (c,g) 7−→ c ·g ,

(punktweise Addition, Multiplikation, Skalarmultiplikation) ist A eine kom-mutative K-Algebra.

Beweis: Ubung.

Definition 49 : Es sei R ein Ring und S eine nichtleere Teilmenge von R.Dann ist S eine Unterring von R, wenn 1 ∈ S und fur alle a,b ∈ S auch dieElemente

a+b , −a und ab

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62 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

in S enthalten sind.Es sei A eine K-Algebra und B eine nichtleere Teilmenge von A. Dann ist Beine Unteralgebra von A, wenn B ein Unterring und ein Untervektorraumvon A ist.

Ein Unterring bzw. eine Unteralgebra ist mit den auf diese Teilmengeeingeschrankten Rechenoperationen selbst ein Ring bzw. eine Algebra.

Satz 64 : Die Menge der polynomialen Abbildungen von K nach K ist eineK-Unteralgebra der Algebra Abb(K,K) aller Abbildungen von K nach K.

Beweis: Seien f und g polynomiale Abbildungen und a0, . . . ,an bzw. b0, . . . ,bmihre Koeffizienten. Fur alle z ∈ K ist dann f (z) = ∑n

i=0 aizi und g(z) =

∑mj=1 b jz j . Daher ist fur alle z ∈ K

( f ·g)(z) = f (z)g(z) =

(n

∑i=0

aizi

)(m

∑j=0

b jzj

)

=n

∑i=0

m

∑j=0

aib jzi+ j =

n+m

∑k=0

(k

∑i=0

aibk−i

)

zk ,

also f · g eine polynomiale Abbildung. Die anderen Eigenschaften einerUnteralgebra sind leicht nachzuprufen.

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63 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

3. Lineare Abbildungen

In diesem Abschnitt seien V und W Vektorraume uber einem Korper K.

Definition 50 : Eine Abbildung f : V → W heißt K-linear, wenn die fol-genden zwei Bedingungen erfullt sind:

(1) Fur alle v,w ∈V ist f (v+w) = f (v)+ f (w) .(2) Fur alle c ∈ K und fur alle v ∈V ist f (cv) = c f (v) .

Beispiel 23 : Die Nullabbildung

0 : V →W , v 7→ 0W ,

und die IdentitatIdV : V →V , v 7→ v ,

sind K-linear.

Beispiel 24 : Fur jede Matrix A ∈ Km×n ist die Abbildung

Kn×1 → Km×1 , x 7→ Ax ,

K-linear. Spater werden wir sehen, dass jede lineare Abbildung vom Vek-torraum aller m-Spalten in den Vektorraum aller n-Spalten durch Multipli-kation mit einer Matrix gegeben ist.

Satz 65 : Seien f : V →W eine lineare Abbildung, (vi)i∈I eine Familie vonVektoren in V und (ci)i∈I eine Koeffizientenfamilie. Dann gilt

f (∑i∈I

civi) = ∑i∈I

ci f (vi) ,

d.h. man kann eine lineare Abbildung durch die Linearkombination”

durch-ziehen“. Speziell ist

f (0V ) = 0W

und, fur alle v ∈V,f (−v) = − f (v) .

Beweis: Sei J := {i ∈ I | ci 6= 0}. Dann kann die Behauptung umgeschrie-ben werden in

f (∑j∈J

c jv j) = ∑j∈J

c j f (v j) ,

wobei jetzt alle Summen endlich sind. Wir beweisen diese Aussage durchInduktion nach

` := #(J) .

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64 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

Fur ` = 1 ist f (c1v1) = c1 f (v1) nach Definition.Sei nun ` > 1. Wir wahlen ein Element k ∈ J und erhalten auf Grund derLinearitat und der Induktionsannahme

f (∑j∈J

c jv j) = f (ckvk + ∑j 6=k

c jv j) = f (ckvk)+ f (∑j 6=k

c jv j)

= ck f (vk)+ ∑j 6=k

c j f (v j) = ∑j∈J

c j f (v j) ,

was den Induktionsbeweis beendet. Schließlich ist

f (−v) = f ((−1K)v) = (−1K) f (v) = − f (v) .

Satz 66 : Seien U ein Vektorraum uber K und f : U →V sowieg : V →W lineare Abbildungen. Dann gilt:

(1) Die Zusammensetzung g◦ f : U →W , u 7→ g( f (u)) , ist K-linear.(2) Wenn f bijektiv ist, dann ist die Umkehrabbildung

f−1 : V →U auch K-linear.

(”

Die Zusammensetzung von linearen Abbildungen ist linear. Die Umkehr-abbildung einer bijektiven linearen Abbildung ist linear.“)

Beweis: Fur v,w ∈U und c ∈ K ist(1) (g◦ f )(v+w) = g( f (v+w)) = g( f (v)+ f (w)) =g( f (v))+g( f (w)) = (g◦ f )(v)+(g◦ f )(w),(g◦ f )(cv) = g( f (cv)) = g(c f (v)) = cg( f (v)) = c(g◦ f )(v),(2) f ( f−1(v)+ f−1(w)) = ( f ◦ f−1)(v)+( f ◦ f−1)(w) = v+w,also f−1(v+w) = f−1(v)+ f−1(w), undf (c f−1(v)) = c( f ◦ f−1)(v) = cv, also f−1(cv) = c f−1(v).

Definition 51 : Eine lineare und bijektive Abbildung von V nach W heißtIsomorphismus von Vektorraumen. V und W heißen isomorph, wenn eseinen Isomorphismus von V nach W (oder von W nach V ) gibt. Schreib-weise: V ∼= W .

Satz 67 :

(1) Jeder Vektorraum V uber K der Dimension n ist zum Standard-VektorraumKn isomorph.Nach Wahl einer Basis v := (v1, . . . ,vn) erhalt man einen Isomorphis-mus durch die Koordinaten-Abbildung

V −→ Kn , x 7→ Koordinatentupel von x bezuglich v .

(2) Zwei endlich-dimensionale Vektorraume uber K sind genau dann iso-morph, wenn ihre Dimensionen gleich sind.

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65 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

Beweis: (1) Nach Satz 46 ist die Abbildung

Kn →V , (c1, . . . ,cn) 7→n

∑i=1

civi ,

bijektiv. Man pruft leicht nach, dass sie auch linear ist. Nach Satz 66 istdann die Koordinaten-Abbildung als Umkehrabbildung linear und bijektiv,also ein Isomorphismus.(2) Seien V , W endlich-dimensionale Vektorraume uber K. Wenn V und Wisomorph sind, dann gibt es eine bijektive lineare Abbildungf : V → W . Sei (v1, . . . ,vn) eine Basis von V . Man pruft leicht nach, dassdann ( f (v1), . . . , f (vn)) eine Basis von W ist, also ist dimK(V ) = n = dimK(W ).

Sei umgekehrt dimK(V ) = dimK(W) =: n. Dann gibt es nach (1) Iso-morphismen f : V → Kn und g : W → Kn. Nach Satz 66 ist dann auchg−1 ◦ f : V →W ein Isomorphismus.

4. Die Matrix einer linearen Abbildung

In diesem Abschnitt seien V ein Vektorraum uber K mit Dimensionn ∈ N , v := (v1, . . . ,vn) eine Basis von V , W ein Vektorraum uber K mitDimension m ∈ N und w := (w1, . . . ,wm) eine Basis von W .

Satz 68 : Seien u1, . . . ,un ∈W. Dann gibt es genau eine lineare Abbildungf : V →W mit

f (vi) = ui ,1 ≤ i ≤ n .

Somit kann eine lineare Abbildung zwischen Vektorraumen durch (beliebi-ge) Vorgabe der Bilder einer Basis eindeutig definiert werden.

Beweis: Wenn eine derartige Abbildung f existiert, dann ist fur einen Vek-tor x = ∑n

i=1 civi ∈V

f (x) = f (n

∑i=1

civi) =n

∑i=1

ci f (vi) =n

∑i=1

ciui ,

was die Eindeutigkeit der Abbildung beweist.Um die Existenz einer solchen Abbildung zu zeigen, definieren wir eineAbbildung f : V →W durch

f (x) :=n

∑i=1

ciui ,

wobei c1, . . . ,cn ∈ K die Koordinaten von x ∈V bezuglich der Basis v sind.Dann ist f K-linear, weil fur x = ∑n

i=1 civi, y = ∑ni=1 divi und t ∈ K wegen

x+ y = ∑ni=1(ci +di)vi und tx = ∑n

i=1(tci)vi

f (x+ y) =n

∑i=1

(ci +di)ui =n

∑i=1

ciui +n

∑i=1

diui = f (x)+ f (y)

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66 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

sowie

f (tx) =n

∑i=1

tciui = t

(n

∑i=1

ciui

)

= t f (x)

ist. Schließlich gilt wegen v j = ∑ni=1 δi jvi fur alle 1 ≤ j ≤ n:

f (v j) =n

∑i=1

δi jui = u j .

Definition 52 : Seien y ∈ V und c1, . . . ,cn ∈ K die Koordinaten von y beiv1, . . . ,vn, also

y =n

∑i=1

civi .

Dann heißt die Spalte

c :=

c1...

cn

∈ Kn×1

die Koordinatenspalte von y bezuglich v.

Definition 53 : Seien f : V →W eine K-lineare Abbildung undA1 j, . . . ,Am j die Koordinaten von f (v j) bezuglich w , d.h.

f (v j) =m

∑i=1

Ai jwi ,1 ≤ j ≤ n .

Dann heißtM( f ,v,w) := (Ai j)1≤i≤m

1≤ j≤n∈ Km×n

die Matrix von f bezuglich der Basen v und w.Die j-te Spalte von M( f ,v,w) ist also die Koordinatenspalte von f (v j)bezuglich w.

Im Spezialfall V = W und v = w schreibt man statt M( f ,v,v) kurzM( f ,v).

Beispiel 25 : Fur 1 ≤ j ≤ n ist

IdV (v j) = v j =n

∑i=1

δi jvi

und somitM(IdV ,v) = In .

Beispiel 26 : Sei A ∈ Km×n. Dann ist die Matrix der linearen Abbildung

Kn×1 → Km×1 , x 7→ Ax ,

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67 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

bezuglich der Standardbasen e = (e1, . . . ,en) von Kn×1 unde′ = (e′1, . . . ,e

′m) von Km×1 gleich A, weil fur 1 ≤ j ≤ n

Ae j = A− j =m

∑i=1

Ai je′i

ist. Daher ist jede lineare Abbildung von Kn×1 nach Km×1 durch Multi-plikation mit einer eindeutig bestimmten Matrix A ∈ Km×n gegeben. Oftidentifiziert man eine m×n-Matrix mit dieser linearen Abbildung.

Satz 69 : Seien U ein Vektorraum uber K der Dimensionen ` mit Basis uund f : V →W sowie g : W →U K-lineare Abbildungen. Dann ist

M(g◦ f ,v,u) = M(g,w,u) ·M( f ,v,w) ,

d.h. der Zusammensetzung von linearen Abbildungen entspricht dieMultiplikation der zugehorigen Matrizen.

Beweis: Seien A := M( f ,v,w) ∈ Km×n und B := M(g,w,u) ∈ K`×m. Dannist fur 1 ≤ j ≤ n

(g◦ f )(v j) = g( f (v j)) = g(m

∑i=1

Ai jwi) =m

∑i=1

Ai jg(wi)

=m

∑i=1

Ai j

`

∑k=1

Bkiuk =`

∑k=1

(m

∑i=1

BkiAi j

)

uk

=`

∑k=1

(BA)k juk ,

also BA = M(g◦ f ,v,u).

Satz 70 : Die lineare Abbildung f : V →W ist genau dann ein Isomorphis-mus, wenn die Matrix M( f ,v,w) invertierbar ist. In diesem Fall ist

M( f−1,w,v) = M( f ,v,w)−1 .

Beweis: Wenn f ein Isomorphismus ist, dann ist nach Satz 66 die Umkehr-abbildung f−1 linear und nach Satz 67 ist n = m. Aus f−1 ◦ f = IdV undf ◦ f−1 = IdW folgt nach Satz 69

M( f−1,w,v) ·M( f ,v,w) = M( f−1 ◦ f ,v,v) = M(IdV ,v,v) = In

und

M( f ,v,w) ·M( f−1,w,v) = M( f ◦ f−1,w,w) = M(IdW ,w,w) = Im .

Wenn umgekehrt A := M( f ,v,w) ∈ Km×n invertierbar ist, dann ist m = nund es existiert B := A−1 ∈ Kn×n. Definiert man nach Satz 68 eine lineare

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68 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

Abbildung g : W →V durch

g(w j) :=n

∑i=1

Bi jvi

fur 1 ≤ j ≤ n, so folgt nach Satz 69

M(g◦ f ,v,v) = M(g,w,v) ·M( f ,v,w) = BA = In = M(IdV ,v,v)

und

M( f ◦g,w,w) = M( f ,v,w) ·M(g,w,v) = AB = In = M(IdW ,w,w) .

Daher ist g◦ f = IdV und f ◦g = IdW nach Satz 68, also f ein Isomorphis-mus und g = f−1.

Nach Wahl von Basen im Definitionsbereich und im Bildbereich einerlinearen Abbildung ist diese eindeutig durch ihre Matrix bestimmt. Anstattmit linearen Abbildungen kann mit den entsprechenden Matrizen gerechnetwerden. Der Zusammensetzung von linearen Abbildungen entspricht dieMatrizenmultiplikation, dem Berechnen der Umkehrabbildung entsprichtdas Invertieren von Matrizen.

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69 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

5. Basiswechsel

In diesem Abschnitt seien V ein Vektorraum uber K mit Dimensionn ∈ N , v := (v1, . . . ,vn) eine Basis von V , W ein Vektorraum uber K mitDimension m ∈ N und w := (w1, . . . ,wm) eine Basis von W .

Definition 54 : Seien p und q positive ganze Zahlen und

u := (u1, . . . ,up) ∈V p

ein p-Tupel von Vektoren in V . Fur T ∈ K p×q sei

uT :=((uT )1, . . . ,(uT )q

):=

(p

∑i=1

Ti1ui, . . . ,p

∑i=1

Tipui

)

∈V q.

Die Bezeichnung uT ist eine Merkhilfe, weil man analog zur Matrizenrech-nung uber K den Vektor (uT ) j nach der Regel

”Zeile u mal Spalte T− j“

berechnet.

Beispiel 27 : Sei c ∈ Kn×1. Dann ist vc ∈V und c ist die Koordinatenspaltevon vc bezuglich v.

Satz 71 : Seien p,q,r positive ganze Zahlen undu := (u1, . . . ,up) ∈V p. Dann gilt:

(1) uIp = u(2) Fur T ∈ K p×q und U ∈ Kq×r ist u(TU) = (uT )U .(3) Fur T ∈ GLp(K) und u′ := uT gilt u = u′T−1 .

Beweis: (1) gilt nach Definition, (2) rechnet man nach und (3) folgt ausu = uIm = u(TT−1) = (uT )T−1 = u′T−1.

Satz 72 : Sei u := (u1, . . . ,uq) ∈V q. Dann gilt:

(1) Es gibt genau eine Matrix T ∈ Kn×q mit

u = vT .

Diese Matrix T heißt die Transformationsmatrix von v zu u, und dieSpalten von T sind die Koordinatenspalten vonu1, . . . ,uq bezuglich v.

(2) Die Familie u ist genau dann eine Basis von V , wenn T invertierbarist.

Beweis: Ubung.

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70 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

Beispiel 28 : Seien f : V →W eine K-lineare Abbildung und

A := M( f ,v,w) ∈ Km×n

die Matrix von f bezuglich v und w. Dann ist A die Transformationsmatrixvon w zu f (v) := ( f (v1), . . . , f (vn)), also

f (v) = wA .

Satz 73 : Seien u eine Basis von V und T ∈ GLn(K) die Transformations-matrix von v zu u. Ist c die Koordinatenspalte von y ∈ V bezuglich v, dannist

T−1c

die Koordinatenspalte von y bezuglich w , d.h. bei Basiswechsel mit derMatrix T

”transformieren sich die Koordinaten“ mit der Matrix T−1.

Beweis: Es ist y = vc = (uT−1)c = u(T−1c).

Satz 74 : Seien f : V →W eine K-lineare Abbildung,

A := M( f ,v,w) ∈ Km×n

die Matrix von f bezuglich v und w und c ∈ Kn×1 die Koordinatenspalte desVektors y ∈V bezuglich der Basis v , d.h.

y = vc .

Dann ist Ac ∈ Km×1 die Koordinatenspalte von f (u) bezuglich der Basis w,d.h.

f (y) = w(Ac) .

Beweis: Es ist

f (y) = f (n

∑j=1

c jv j) =n

∑j=1

c j f (v j) =n

∑j=1

c j

m

∑i=1

Ai jwi

=m

∑i=1

(n

∑j=1

Ai jc j

)

wi =m

∑i=1

(Ac)iwi = w(Ac) .

Satz 75 : Sei f : V →W eine K-lineare Abbildung mit Matrix

A := M( f ,v,w) ∈ Km×n .

Seien v′ eine weitere Basis von V , w′ eine weitere Basis von W , T ∈ GLn(K)die Transformationsmatrix von v zu v′ und S ∈ GLm(K) die Transformati-onsmatrix von w zu w′. Dann ist

M( f ,v′,w′) = S−1AT .

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71 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

Im Spezialfall V = W, v = w und v′ = w′ ist S = T und

M( f ,v′) = T−1AT .

Beweis: Nach Satz 74 ist fur 1 ≤ j ≤ nf (v′j) = f (vT− j) = wAT− j = (wS)(S−1AT− j) = w′(S−1AT )− j .

Definition 55 : Zwei Matrizen A,B ∈ Kn×n heißen ahnlich, wenn es eineMatrix T ∈ GLn(K) gibt mit

B = T−1AT .

Zum Beispiel sind nach Satz 75 die Matrizen M( f ,v) und M( f ,v′) einerlinearen Abbildung f : V →V ahnlich.

Satz 76 : Sei f : V →V eine K-lineare Abbildung mit Matrix

A := M( f ,v) ∈ Kn×n .

Wenn B ahnlich zu A ist, dann gibt es eine Basis v′ von V mit

M( f ,v′) = B .

Beweis: Sei T ∈GLn(K) so, dass B = T−1AT ist. Setze v′ := vT . Nach Satz75 ist dann M( f ,v′) = T−1AT = B.

Ahnliche Matrizen beschreiben (bezuglich verschiedener Basen) diesel-be lineare Abbildung. Wird ein physikalisches Phanomen durch eine Abbil-dung von einem endlichdimensionalen Vektorraum V nach V beschriebenund diese (nach Wahl einer Basis von V ) durch eine Matrix, dann habennur jene Eigenschaften dieser Matrix

”physikalische Bedeutung“, die sich

beim Ubergang zu einer ahnlichen Matrix nicht andern. Ein Beispiel fureine solche Eigenschaft von Matrizen ist die

”Spur“.

Definition 56 : Sei A ∈ Kn×n. Dann heißt

spur(A) :=n

∑i=1

Aii

die Spur von A.

Satz 77 :

(1) Die Abbildung spur : Kn×n −→ K ist linear.(2) Fur A,B ∈ Kn×n gilt: spur(AB) = spur(BA) .

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72 3. RECHNEN MIT ABBILDUNGEN

(3) Fur A ∈ Kn×n und T ∈ GLn(K) gilt:spur(T−1AT ) = spur(A).

(4) Seien V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber K mit Basis vund f :V →V eine lineare Abbildung mit Matrix A bezuglich v. Dannist

spur( f ) := spur(A)

unabhangig von der Wahl der Basis v und heißt Spur von f .

Beweis: (1) und (2) nachrechnen, (3) folgt aus (2), (4) aus (3).

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KAPITEL 4

Polynome

In diesem Kapitel wird mit K immer ein Korper bezeichnet.

1. Der Polynomring

Definition 57 : Eine Folge (ci)i∈N in K ist eine endliche Folge, wenn esnur endlich viele Indizes i mit ci 6= 0 gibt.

Durch jede endliche Folge wird eine polynomiale Abbildung definiert.Im Computer wird man daher diese Abbildungen durch endliche Folgendarstellen. Allerdings konnen verschiedene endliche Folgen dieselbe po-lynomiale Abbildung definieren. Um den daraus entstehenden Problemenzu entgehen, betrachten wir zunachst statt der Abbildungen die endlichenFolgen. Wir definieren fur sie Rechenoperationen, die den punktweisen Re-chenoperationen fur polynomiale Abbildungen entsprechen.

Satz 78 : Die Menge P aller endlichen Folgen in K mit den Abbildungen

+ : P×P −→ P ,

((ci)i∈N ,(di)i∈N ) 7−→ (ci)i∈N +(di)i∈N := (ci +di)i∈N ,

· : P×P −→ P ,

((ci)i∈N ,(di)i∈N ) 7−→ (ci)i∈N · (di)i∈N := (i

∑j=0

c jdi− j)i∈N ,

und

· : K ×P −→ P , (c,(di)i∈N ) 7−→ c · (di)i∈N := (cdi)i∈N ,

ist eine kommutative K-Algebra. Sie heißt Polynomring uber K oder Alge-bra der Polynome mit Koeffizienten in K. Ihre Elemente heißen Polynomemit Koeffizienten in K. Das Nullelement des Polynomringes ist die Folge0 := (0,0,0, . . .), das Einselement ist die Folge 1 := (1,0,0, . . .).

Beweis: Ubung.

Definition 58 : Es sei f = (c0,c1,c2, . . .) 6= 0 ein Polynom mit Koeffizien-ten in K. Der Grad von f ist der großte Index i mit ci 6= 0 und wird mit

73

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74 4. POLYNOME

gr( f ) bezeichnet. Das Element ci heißt i-ter Koeffizient von f . Der Koeffi-zient cgr( f ) heißt Leitkoeffizient von f und wird mit lk( f ) bezeichnet. DasPolynom f heißt normiert, wenn lk( f ) = 1.Die folgende Schreibweise ist zweckmaßig: Wir wahlen irgendein Symbol,zum Beispiel x, und schreiben

c0 + c1x+ c2x2 + . . .+ cgr( f )xgr( f ) =

gr( f )

∑i=0

cixi statt (c0,c1,c2, . . .) .

Wir sprechen dann von einem Polynom in der Variablen x mit Koeffizientenin K. Fur den Polynomring uber K schreiben wir dann K[x]. Wir identifizie-ren Polynome vom Grad 0 mit ihrem nullten Koeffizienten und fassen K soals Teilmenge von K[x] auf.Statt

”Polynom mit Koeffizienten in K“ schreiben wir im weiteren nur

”Po-

lynom“.

Satz 79 : Es seien f 6= 0, g 6= 0 Polynome.

(1) f g 6= 0(2) gr( f g) = gr( f )+gr(g) und lk( f g) = lk( f ) · lk(g)(3) Wenn f +g 6= 0, dann ist gr( f +g) ≤ max(gr( f ),gr(g)) .(4) Das Polynom f ist genau dann invertierbar, wenn gr( f ) = 0 ist.

Beweis: Ubung .

Satz 80 : (Division mit Rest von Polynomen)Es seien f und g Polynome und g 6= 0. Dann gibt es eindeutig bestimmtePolynome m und r mit den Eigenschaften

f = m ·g+ r und (r = 0 oder gr(r) < gr(g)) .

Die Polynome m bzw. r heißen polynomialer Quotient von f und g bzw.Rest von f nach Division durch g. Die Polynome m und r konnen mit demfolgenden Verfahren (Divisionsalgorithmus) berechnet werden:

• Setze m := 0 und r := f .• Solange gr(r) ≥ gr(g) ist, ersetze m durch

m+ lk(r) · lk(g)−1xgr(r)−gr(g)

und r durch

r− lk(r) · lk(g)−1xgr(r)−gr(g)g .

Beweis: Ubung (analog dem Beweis des Satzes uber die Division mit Restvon ganzen Zahlen).

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75 4. POLYNOME

Aus diesem Satz folgt, dass Polynomringe uber Korpern und der Ring derganzen Zahlen

”algebraisch betrachtet“ einander sehr ahnlich sind.

Satz 81 : Es seien ( fi)i∈N eine Familie von Polynomen so, dass fur allei ∈ N

gr( fi) = i

ist. Dann ist ( fi)i∈N eine K-Basis des Polynomrings uber K.

Beweis: Sei (ci)i∈N 6= 0 eine Koeffizientenfamilie in K. Sei k die großteZahl so, dass ck 6= 0 ist. Wegen gr( fk) = k ist

ck · lk( fk) = lk( ∑i∈N

ci fi) 6= 0 ,

also auch ∑i∈N ci fi 6= 0. Daher ist ( fi)i∈N linear unabhangig.Es sei h 6= 0 ein Polynom. Wir zeigen durch Induktion uber gr(h), dass heine K-Linearkombination von ( fi)i∈N ist.Wenn gr(h) = 0 ist, dann ist h = lk(h) · lk( f0)

−1 · f0.Sei j := gr(h) > 0. Division mit Rest von h durch f j ergibt h = m · f j + rmit r = 0 oder gr(r) < gr(h). Dann ist

j = gr(h) = gr(m · f j) = gr(m)+ j ,

also gr(m) = 0 und m∈K. Nach Induktionsannahme ist r eine K-Linearkombinationvon ( fi)i∈N , daher auch h.

Beispiel 29 : Die Familie (xi)i∈N ist eine K-Basis von K[x] .Fur jedes Element a∈ K ist ((x−a)i)i∈N eine K-Basis von K[x] . Daher gibtes fur jedes Polynom h∈ K[x] mit n := gr(h) eindeutig bestimmte Elementec0, . . . ,cn ∈ K so, dass

h =n

∑i=0

ci(x−a)i

ist.

2. Nullstellen von Polynomen

Definition 59 : Seien f = ∑ni=0 cixi ∈ K[x] , A eine K-Algebra und a ∈ A.

Dann ist

f (a) :=n

∑i=0

ciai ∈ A .

Sprechweise: f (a) ∈ A erhalt man durch Einsetzen von a in f . Das Ele-ment a ist genau dann eine Nullstelle von f in A, wenn f (a) = 0 ist. Die

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76 4. POLYNOME

polynomiale Abbildung

K −→ K , a 7−→ f (a) =n

∑i=0

ciai ,

heißt die durch f definierte (polynomiale) Abbildung und wird oft wiedermit f bezeichnet.

Definition 60 : Es seien f,g Polynome mit g 6= 0. Dann ist f Teiler vong (oder: f teilt g), wenn es ein Polynom h ∈ K[x] gibt mit g = f h. DasPolynom g heißt Vielfaches von f , wenn f ein Teiler von g ist.

Satz 82 :

(1) Ein Element a∈K ist genau dann Nullstelle eine Polynoms f ∈ K[x] ,wenn das Polynom x−a ein Teiler von f ist.

(2) Jedes von Null verschiedene Polynom f ∈ K[x] hat in Khochstens gr( f ) Nullstellen.

(3) Es seien f und g Polynome mit f 6= g. Dann haben die Graphen(in K ×K) der durch f und g definierten polynomialen Abbildungenhochstens max(gr( f ),gr(g)) gemeinsame Elemente.

(4) Wenn K unendlich viele Elemente enthalt, dann sind die Koeffizien-ten einer polynomialen Abbildung von K nach K eindeutig bestimmt.Insbesondere mussen in diesem Fall Polynome und polynomiale Ab-bildungen nicht unterschieden werden.

Beweis:

(1) Division mit Rest von f durch x−a ergibt f = m · (x−a)+ r, wobeir = 0 oder gr(r) = 0, also r ∈ K ist. Daher ist

f (a) = m(a) ·0+ r = r ,

somit ist f (a) = 0 genau dann, wenn r = 0 ist.(2) Wir beweisen die Aussage durch Induktion uber n := gr( f ).

Wenn n = 0 ist, dann hat f wegen f 6= 0 keine Nullstellen.Sei n > 0 und sei a ∈ K eine Nullstelle von f . Nach (1) gibt es einPolynom h ∈ K[x] mit f = (x− a) · h. Dann ist gr(h) = n− 1, nachInduktionsvoraussetzung hat h daher hochstens n−1 Nullstellen. Je-de Nullstelle von (x− a) · h ist eine Nullstelle von h oder gleich a.Daraus folgt die Behauptung.

(3) Die Menge der gemeinsamen Elemente der Graphen der durch f undg definierten Abbildungen ist

{(a, f (a))| f (a) = g(a)} ,

ihre Anzahl ist daher die Anzahl der Nullstellen von f −g. Nach (2)ist diese hochstens max(gr( f ),gr(g)).

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77 4. POLYNOME

(4) Es seien f ,g zwei Polynome so, dass fur alle a ∈ K gilt: f (a) = g(a).Da K unendlich ist, hat dann f − g beliebig viele Nullstellen. Nach(2) ist daher f = g.

3. Interpolation

In diesem Abschnitt seien t0, . . . , tn paarweise verschiedene Elementevon K und y0, . . . ,yn Elemente von K. Wir suchen ein Polynom f ∈ K[x]mit der Eigenschaft

f (ti) = yi , 0 ≤ i ≤ n .

Ein solches Polynom heißt interpolierendes Polynom. Die Elemente t0, . . . , tnheißen Stutzstellen und y0, . . . ,yn Werte der Interpolationsaufgabe.

Satz 83 : (Lagrange-Interpolation) Es gibt genau ein interpolierendes Po-lynom vom Grad ≤ n und zwar

n

∑i=0

yi · fi ,

wobei

fi := ∏j 6=i

1ti− t j

· (x− t j) ∈ K[x]

ist, 0 ≤ i ≤ n .

Beweis: Fur 0 ≤ i,k ≤ n ist fi(tk) = δik. Daher ist fur 0 ≤ k ≤ n

(n

∑i=0

yi · fi)(tk) =n

∑i=0

yiδik = yk .

Der Grad von fi ist n, also ist der Grad von ∑ni=0 yi · fi kleiner oder gleich n.

Wenn f und g interpolierende Polynome vom Grad ≤ n sind, dann sinddie Elemente t0, . . . , tn Nullstellen von f −g. Aus Satz 82 folgt daher f = g.

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78 4. POLYNOME

Satz 84 : (Newton-Interpolation) Das interpolierende Polynom kann wiefolgt berechnet werden:

• Setze k := 0 und h0 := y0.• Solange k < n ist, ersetze k durch k +1, und setze

ck :=yk −hk−1(tk)

∏k−1i=0 (tk − ti)

und

hk := hk−1 + ck

k−1

∏i=0

(x− ti) .

• Das interpolierende Polynom ist dann hn.

Beweis: Ubung.

4. Der Euklidische Algorithmus fur Polynome

Definition 61 : Es seien f1, . . . , fn von Null verschiedene Polynome. Dasnormierte Polynom großten Grades, das f1, . . . , fn teilt, heißtgroßter gemeinsamer Teiler von f1, . . . , fn und wird mitggT ( f1, . . . , fn) bezeichnet. Das normierte Polynom kleinsten Grades, dasvon f1, . . . , fn geteilt wird, heißt kleinstes gemeinsames Vielfaches von f1, . . . , fnund wird mit kgV ( f1, . . . , fn) bezeichnet.

Hilfssatz 7 : Es seien f ,g,h Polynome, f 6= 0, g 6= 0 und f 6= h ·g. Dann ist

ggT ( f ,g) = ggT ( f −h ·g,g) .

Beweis: Wenn t ein Teiler von f und g ist, dann gibt es Polynome u,v so,dass f = t ·u und g = t ·v ist. Daher ist f −h ·g = t ·u−h · t ·v = t ·(u−h ·v),also t auch ein Teiler von f −h ·g.

Satz 85 : (Euklidischer Algorithmus fur Polynome)Es seien f ,g Polynome, f 6= 0 und g 6= 0. Mit dem folgenden Verfahren kannder großte gemeinsame Teiler von f und g berechnet werden:

• Solange keines der zwei Polynome ein Teiler der anderen ist, erset-ze das Polynom großeren (oder gleichen) Grades durch seinen Restnach Division durch das andere.

• Wenn h, eines der zwei Polynome, ein Teiler des anderen ist, dann istggT ( f ,g) = lk(h)−1h.

Beweis: Es seien a und b die Grade von f und g. Sei a ≥ b. Wenn f und gverschieden sind, wird f im nachsten Schritt durch ein Polynom kleineren

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79 4. POLYNOME

Grades ersetzt. Also liefert das Verfahren nach hochstens max(a,b) Schrit-ten ein Ergebnis. In jedem Schritt wird ein Paar von Polynomen durch einanderes ersetzt, nach Hilfssatz 7 aber so, dass die großten gemeinsamenTeiler der zwei Polynompaare gleich sind. Sobald eines der zwei Polynomedas andere teilt, ist dieses c ·ggT ( f ,g), fur ein 0 6= c ∈ K.

Satz 86 : (Erweiterter Euklidischer Algorithmus)Es seien f ,g Polynome, f 6= 0 und g 6= 0. Es gibt Polynome u,v so, dass u f +vg = ggT ( f ,g) ist. Diese konnen mit dem folgenden Verfahren berechnetwerden:

• Setze A := (A1,A2,A3) := ( f ,1,0) ∈ K[x] 3 undB := (B1,B2,B3) := (g,0,1) ∈ K[x] 3 .

• Solange B1 das Polynom A1 nicht teilt, berechne den polynomialenQuotienten m von A1 und B1 und setze C := B, B := A−mC := (A1−mC1,A2 −mC2,A3−mC3) und A := C.

• Wenn B1 das Polynom A1 teilt, dann ist u := lk(B1)−1 ·B2 und v :=

lk(B1)−1 ·B3.

Beweis: Wenn zwei Tripel von Polynomen S und T die Eigenschaft

S1 = f ·S2 +g ·S3 bzw. T1 = f ·T2 +g ·T3

haben, dann auch alle Tripel S−hT mit h ∈ K[x] . Die ersten zwei Tripel imAlgorithmus haben diese Eigenschaft, daher auch alle anderen auftretendenTripel. Fur die ersten Komponenten der Tripel wird der euklidische Algo-rithmus durchgefuhrt, fur das letzte Tripel B gilt daher lk(B1) ·ggT( f ,g) =f ·B2 +g ·B3.

Satz 87 : (Berechnung von kgV ( f ,g))Es seien f ,g Polynome, f 6= 0 und g 6= 0. Sei z := lk( f )−1lk(g)−1 ∈K. Dannist

kgV ( f ,g) =z · f

ggT ( f ,g)·g =

z ·gggT ( f ,g)

· f .

Beweis: Es ist klar, dass z· fggT ( f ,g) ·g = z·g

ggT ( f ,g) · f ein Vielfaches von f undvon g ist. Sei h ein Polynom, das Vielfaches von f und von g ist. Dann gibtes Polynome c,d mit h = c · f und h = d ·g. Nach Satz 86 gibt es Polynomeu,v so, dass u · f + v ·g = ggT ( f ,g) ist. Dann ist

h =u · f + v ·gggT ( f ,g)

·h =u · f

ggT ( f ,g)·h+

v ·gggT ( f ,g)

·h =

=u · f ·d ·gggT ( f ,g)

+v ·g · c · fggT ( f ,g)

=f ·g

ggT ( f ,g)· (u ·d + v · c) =

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80 4. POLYNOME

=z · f ·g

ggT ( f ,g)· z−1 · (u ·d + v · c)

ein Vielfaches vonz · f ·g

ggT ( f ,g).

Satz 88 : (”

Losen einer linearen Gleichung, deren Koeffizienten Polynomesind“) Es seien f1, . . . , fn von Null verschiedene Polynome, g := ggT ( f1, . . . , fn)und h ein Polynom. Es ist

ggT ( f1, . . . , fn) = ggT ( f1,ggT ( f2,ggT ( f3,ggT (. . . , fn) . . .)) ,

also kann der großte gemeinsame Teiler mehrerer Polynome durch sukzes-sives Berechnen des großten gemeinsamen Teilers von je zwei Polynomenberechnet werden.Es gibt genau dann ein n-Tupel (x1, . . . ,xn) von Polynomen mit

f1 · x1 + . . .+ fn · xn = h ,

wenn h ein Vielfaches von g ist. In diesem Fall kann ein solches n-Tupel wiefolgt berechnet werden:

• Berechne mit Satz 86 Polynome u1, . . . ,un so, dassf1 ·u1 + . . .+ fn ·un = g ist.

• Setze xi := ui · hg , 1 ≤ i ≤ n.

Beweis: Fur jedes n-Tupel (x1, . . . ,xn) von Polynomen wird f1 · x1 + . . .+fn · xn von g geteilt. Also ist die Bedingung, dass h ein Vielfaches von g ist,notwendig fur die Existenz einer Losung. Wenn diese Bedingung erfullt ist,ist leicht nachzuprufen, dass (u1 · h

g , . . . ,un · hg) eine Losung ist.

5. Irreduzible Polynome

Definition 62 : Ein Polynom f ∈ K[x] ist genau dann irreduzibel, wennf 6∈ K ist und wenn f in K[x] keine Teiler hat, deren Grad großer als 0 undkleiner als gr( f ) ist.

Beispiel 30 : Alle Polynome mit Grad 1 sind irreduzibel.

Hilfssatz 8 : Es sei f ∈ K[x] ein irreduzibles Polynom mit Koeffizientenin einem Korper K. Wenn f das Produkt zweier Polynome teilt, dann aucheines dieser zwei Polynome.

Beweis: Es seien g,h ∈ K[x] so, dass f das Polynom gh teilt. Wir neh-men an, dass f das Polynom g nicht teilt. Weil f irreduzibel ist, ist dann

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81 4. POLYNOME

ggT ( f ,g) = 1. Nach Satz 86 gibt es Polynome u,v mitu f + vg = 1. Weil f ein Teiler von u f h und vgh ist, teilt es auch h = 1 ·h =u f h+ vgh.

Satz 89 : Zu jedem Polynom f ∈ K[x] mit positivem Grad gibt es bis auf dieReihenfolge eindeutig bestimmte normierte irreduzible Polynome f1, . . . , fnso, dass

f = lk( f )n

∏i=1

fi

ist.

Beweis: Es sei 0 6= f ∈ K[x] ein Polynom mit positivem Grad. Wir zeigendie Existenz einer Zerlegung in irreduzible Faktoren durch Induktion ubergr( f ).Wenn gr( f ) = 1 ist, dann ist f irreduzibel.Wenn gr( f ) > 1 ist, dann ist f entweder irreduzibel oder es gibt Polynomeg,h mit positivem Grad so, dass f = gh ist. Dann sind die Grade von g und haber kleiner als der von f . Nach Induktionsannahme sind g und h Produktevon irreduziblen Elementen, also auch f .Wenn f = p1 p2 . . . pn und f = q1q2 . . .qm zwei Zerlegungen von f in irre-duzible Elemente sind, dann gibt es nach Hilfssatz 8 einen Index j so, dassq j das irreduzible Polynom pn teilt. Es gibt also ein invertierbares Elementu in K[x] so, dass pn = uq j ist. Daher ist

g := up1 p2 . . . pn−1 = ∏1≤i≤m, i6= j

qi .

Der Grad von g ist kleiner als der von f , daher folgt aus der Induktionsan-nahme die Eindeutigkeit der irreduziblen Faktoren von g bis auf die Rei-henfolge und Assoziiertheit. Wegen pn = uq j folgt daraus die Behauptung.

Satz 90 : In jedem Polynomring uber einem Korper gibt es unendlich vielenormierte irreduzible Polynome.Wenn K ein Korper mit endlich vielen Elementen ist, gibt es zu jeder naturli-chen Zahl n unendlich viele normierte irreduzible Polynome in K[x] , derenGrad großer als n ist.

Beweis: Wenn es nur endlich viele normierte irreduzible Polynome gabe,dann ware ihr Produkt q ein Polynom und der Grad von q + 1 ware großer(oder gleich, wenn es nur ein normiertes irreduzibles Polynom gibt) als derjedes irreduziblen Polynoms. Insbesondere ware q + 1 kein normiertes ir-reduzibles Polynom. Nach Satz 89 gibt es ein normiertes irreduzibles Po-lynom p, das q + 1 teilt. Da p auch q teilt, wurde p dann auch 1 teilen,

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82 4. POLYNOME

Widerspruch.Wenn K ein endlicher Korper und n eine naturliche Zahl ist, gibt es nurendlich viele Polynome, deren Grad kleiner oder gleich n ist. Daraus folgtdie zweite Behauptung.

6. Die Anzahl der Nullstellen eines Polynoms

Im Satz 82 wurde eine obere Schranke fur die Anzahl der Nullstelleneines Polynoms angegeben, diese kann aber viel zu groß sein. Zum Beispielhat das Polynom xn fur jedes n ∈ N in K nur eine Nullstelle.

Definition 63 : Es seien f 6= 0 ein Polynom mit Koeffizienten in K und aeine Nullstelle von f in K. Die Vielfachheit der Nullstelle a von f ist diegroßte ganze Zahl n mit der Eigenschaft, dass (x− a)n ein Teiler von f ist.Eine Nullstelle ist einfach, wenn ihre Vielfachheit 1 ist, und mehrfach, wennihre Vielfachheit großer als 1 ist.

Satz 91 : Die Abbildung

D : K[x] −→ K[x] ,n

∑i=0

cixi 7−→

n

∑i=1

icixi−1

heißt Differentiation oder Ableitung. Sie ist K-linear und erfullt die Pro-duktregel

fur alle Polynome f ,g ist D( f ·g) = f ·D(g)+D( f ) ·g .

Insbesondere ist fur alle positiven ganzen Zahlen k und alle Polynome f ∈K[x]

D( f k) = k · f k−1 ·D( f ) .

Beweis: Ubung.

Definition 64 : Fur c ∈ K und a ∈ Z sei

a · c := vz(a)c+ . . .+ vz(a)c︸ ︷︷ ︸

|a| Summanden

.

Wenn fur alle positiven ganzen Zahlen n gilt: n ·1 6= 0, dann ist K ein Korperder Charakteristik 0. Schreibweise: char(K) = 0.Wenn es eine positive ganze Zahl n mit n · 1 = 0 gibt und p die kleinstepositive ganze Zahl mit dieser Eigenschaft ist, dann ist K ein Korper derCharakteristik p. Schreibweise: char(K) = p. Es ist leicht zu sehen, dass pin diesem Fall eine Primzahl sein muss.

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83 4. POLYNOME

Beispiel 31 : Q hat Charakteristik 0, Z p hat Charakteristik p.

Satz 92 : Es sei f 6= 0 ein Polynom.

(1) Ein Element a ∈ K ist genau dann eine mehrfache Nullstelle von f ,wenn

f (a) = 0 und D( f )(a) = 0 ist.

(2) Wenn char(K) = 0 ist, dann hat das Polynom

fggT ( f ,D( f ))

nur einfache Nullstellen und zwar genau die Nullstellen von f .(3) Wenn char(K) = 0 ist, dann hat das Polynom f hochstens

gr( f )−gr(ggT ( f ,D( f )))

Nullstellen in K.

Beweis:

(1) Wenn a eine mehrfache Nullstelle von f ist, dann gibt es ein Polynomh ∈ K[x] so, dass f = (x−a)2 ·h. Dann ist

D( f ) = 2(x−a) ·h+(x−a)2 ·D(h) =

= (x−a) · (2h+(x−a) ·D(h)) ,

also a eine Nullstelle von D( f ).Sei nun umgekehrt a eine Nullstelle von f und von D( f ). Wir divi-dieren f mit Rest durch (x−a)2:

f = m · (x−a)2 + r , gr(r) < 2 .

Dann ist

D( f ) = D(m) · (x−a)2 +2m · (x−a)+D(r) .

Aus f (a) = 0 folgt 0 = r(a), also ist r = 0 oderr = lk(r) · (x− a). Aus D( f )(a) = 0 folgt D(r) = 0. Daher ist r = 0und (x−a)2 ein Teiler von f .

(2) Sei a eine Nullstelle von f und n ihre Vielfachheit. Dann gibt es einPolynom h mit f = (x−a)n ·h und h(a) 6= 0. Wegen

D( f ) = n · (x−a)n−1 ·h+(x−a)n ·D(h) =

= (x−a)n−1 · (n ·h+(x−a) ·D(h))

wird ggT ( f ,D( f )) von (x− a)n−1 geteilt. Wegen h(a) 6= 0 und weilchar(K) = 0 ist, wird n · h +(x− a) ·D(h) nicht von (x− a) geteilt.Somit werden D( f ) und ggT ( f ,D( f )) nicht von (x−a)n geteilt. Da-her ist a eine einfache Nullstelle von f

ggT ( f ,D( f )) .(3) folgt aus (2).

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84 4. POLYNOME

7. Polynome in mehreren Variablen

Es sei n eine positive ganze Zahl.Zur Erinnerung: Eine Familie (ci)i∈Nn in K ist eine Koeffizienten-Familie

mit Indexmenge N n, wenn es nur endlich viele Indizes i ∈ N n mit ci 6= 0gibt.

Auf N n betrachten wir die komponentenweise Addition:fur i, j ∈ N n ist

i+ j := (i1, . . . , in)+( j1, . . . , jn) := (i1 + j1, . . . , in + jn) .

Fur jedes k ∈ N n gibt es nur endliche viele Paare (i, j) ∈ N n × N n mit derEigenschaft i+ j = k.

Satz 93 : Die Menge Pn aller Koeffizienten-Familien in K mit IndexmengeNn zusammen mit den Abbildungen

+ : Pn ×Pn −→ Pn ,

((ci)i∈Nn,(di)i∈Nn) 7−→ (ci)i∈Nn +(di)i∈Nn := (ci +di)i∈Nn ,

· : Pn ×Pn −→ Pn ,

((ci)i∈Nn,(di)i∈Nn) 7−→ (ci)i∈Nn · (di)i∈Nn := ( ∑i, j∈Nn,i+ j=k

cid j)k∈N ,

und

· : K ×Pn −→ Pn , (c,(di)i∈Nn) 7−→ c · (di)i∈Nn := (cdi)i∈Nn ,

ist eine kommutative K-Algebra. Sie heißt Polynomring (in n Variablen)uber K oder Algebra der Polynome (in n Variablen) mit Koeffizienten in K.Ihre Elemente heißen Polynome in n Variablen mit Koeffizienten in K. DasNullelement des Polynomringes in n Variablen ist die Familie 0 := (0)i∈Nn ,das Einselement ist die Familie 1 := (δi0)i∈Nn .

Beweis: Ubung.

Definition 65 : Der Betrag eines Elementesi ∈ N n ist die Zahl

|i| := |(i1, . . . , in)| := i1 + i2 + . . .+ in .

Es sei f = (ci)i∈Nn 6= 0 ein Polynom mit Koeffizienten in K. Der Grad vonf oder Totalgrad von f ist die großte Zahl in

{|i| | i ∈ N n, ci 6= 0}und wird mit gr( f ) bezeichnet. Das Polynom f heißt homogen vom Gradd ∈ N , wenn fur alle i ∈ N n mit ci 6= 0 gilt: |i| = d.

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85 4. POLYNOME

Die folgende Schreibweise ist zweckmaßig: Wir wahlen n Symbole, zumBeispiel x1, . . . ,xn, und schreiben

∑i∈Nn

cixi oder ∑

i1,...,in

ci1...inxi11 xi2

2 . . .xinn statt (ci)i∈Nn .

Wir sprechen dann von einem Polynom in den Variablen x1, . . . ,xn mit Koef-fizienten in K. Fur den Polynomring uber K schreiben wir dann K[x1, . . . ,xn]oder, wenn n fest gewahlt ist, K[x]. Wir identifizieren Polynome vom Grad 0mit ihren nullten Koeffizienten und fassen K so als Teilmenge von K[x1, . . . ,xn]auf. Die Polynome

x j := (δi j)i∈Nn , j ∈ N n ,

heißen Potenzprodukte in n Variablen.

Satz 94 : Die Familie der Potenzprodukte (xi)i∈Nn ist eine K-Basis vonK[x1, . . . ,xn].

Beweis: Ubung.

Definition 66 : Es seien

f := ∑i1,...,in

ci1...inxi11 xi2

2 . . .xinn ∈ K[x1,x2, . . . ,xn]

ein Polynom und a := (a1, . . . ,an) ein n-Tupel von Elementen einer K-Algebra A. Dann ist

f (a) := ∑i1,...,in

ci1...inai11 ai2

2 . . .ainn

ein Element von A. Das n-Tupel a ist eine Nullstelle von f in An, wenn

f (a) = 0

ist.Die Abbildung

Kn −→ K , z 7−→ f (z) ,

heißt die durch f definierte polynomiale Abbildung und wird meistens wie-der mit f bezeichnet.

Definition 67 : Ein System von polynomialen Gleichungen uber K ist gege-ben durch eine Teilmenge M ⊆ K[x1,x2, . . . ,xn]. Gesucht ist die Menge

NKn(M) := {z ∈ Kn | fur alle f ∈ M ist f (z) = 0}aller gemeinsamen Nullstellen der Polynome in M. Diese heißt Nullstellen-menge von M. Eine Teilmenge N von Kn ist eine algebraische Menge, wennsie die Nullstellenmenge einer Teilmenge von K[x1,x2, . . . ,xn] ist.

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86 4. POLYNOME

Satz 95 : Beliebige Durchschnitte und endliche Vereinigungen von alge-braischen Mengen sind wieder algebraisch.Genauer formuliert: Wenn N1,N2, . . .⊆Kn die Nullstellenmengen von M1,M2, . . .⊆K[x1, . . . ,xn] sind, dann ist

i∈N

Ni = NKn(⋃

i∈N

Mi)

undk⋃

i=1

Ni = NKn({ f1 · f2 · . . . · fk | fi ∈ Mi, 1 ≤ i ≤ k}) .

Beweis: Ubung.

Beispiel 32 : Die Nullstellenmenge von x21 − x2

2 in K2 ist die Vereinigungder zwei Geraden NK2(x1 + x2) und NK2(x1 − x2). Die Nullstellenmengevon {x1 + x2,x1 − x2} ist der Punkt {(0,0)}, der Durchschnitt dieser zweiGeraden.

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KAPITEL 5

Erweiterungen des Zahlenbereichs

In diesem Kapitel wird mit K immer ein Korper bezeichnet.

1. Algebraische Elemente und Minimalpolynome

In diesem Abschnitt sei A eine K-Algebra.

Definition 68 : Ein Element a ∈ A ist algebraisch uber K, wenn es Null-stelle eines Polynoms f 6= 0 in K[x] ist.

Beispiel 33 : Die Matrix(

0 −11 0

)

∈ Q 2×2

ist eine Nullstelle des Polynoms x2 +1 ∈ Q [x], also algebraisch uber Q .

Definition 69 : Es seien a ein uber K algebraisches Element von A. Dasnormierte Polynom kleinsten Grades in K[x], das a als Nullstelle hat, heißtMinimalpolynom von a uber K.

Satz 96 : Es seien a ein uber K algebraisches Element in A, dessen Mini-malpolynom f ∈ K[x] irreduzibel ist.

(1) Wenn g ∈ K[x] ein irreduzibles normiertes Polynom mitg(a) = 0 ist, dann ist f = g.

(2) Es sei n der Grad von f . Dann ist

(1,a,a2, . . . ,an−1)

eine K-Basis von K[a] := {h(a) | h ∈ K[x]}.Wenn r = ∑n−1

i=0 cixi der Rest von h ∈ K[x] nach Division durch fist, dann ist (c0, . . . ,cn−1) das n-Tupel der Koordinaten von h(a)bezuglich der Basis (1,a,a2, . . . ,an−1).

(3) Die kommutative Unteralgebra K[a] von A ist ein Korper. Es seienh ∈ K[x] und h(a) 6= 0. Die Koordinaten vonh(a)−1 ∈ K[a] bezuglich der Basis (1,a, . . .,an−1) konnen wie folgtberechnet werden:

87

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88 5. ERWEITERUNGEN DES ZAHLENBEREICHS

– Berechne mit dem erweiterten Euklidischen Algorithmus Poly-nome u,v ∈ K[x] so, dass u f + vh = 1 ist.

– Berechne den Rest ∑n−1i=0 dixi von v nach Division durch f .

– Dann ist (d0, . . . ,dn−1) das gesuchte n-Tupel der Koordinatenvon h(a)−1.

Beweis:

(1) Es sei r der Rest von g nach Division durch f . Dann ist a auch eineNullstelle von r. Wegen r = 0 oder gr(r) < gr( f ) folgt aus der Defini-tion des Minimalpolynoms, dass r = 0 ist. Also wird das irreduziblePolynom g von f geteilt, aus lk(g) = 1 = lk( f ) folgt daher f = g.

(2) Es seien h ∈ K[x] und m bzw. r der polynomiale Quotient bzw. Restvon h nach Division durch f . Dann ist

h(a) = m(a) · f (a)+ r(a) = r(a) ,

also ist h(a) eine K-Linearkombination von (1,a, . . . ,an−1). Ware(1,a, . . .,an−1) nicht linear unabhangig, dann gabe es ein n-Tupel0 6= (d0, . . . ,dn−1) in Kn mit ∑n−1

i=0 diai = 0. Dann ware aber a dieNullstelle des Polynoms 0 6= ∑n−1

i=0 dixi, dessen Grad kleiner als dervon f ist. Widerspruch.

(3) Es seien h ∈ K[x] und h(a) 6= 0. Nach (2) konnen wir annehmen,dass der Grad von h kleiner als n ist (falls nicht, ersetzen wir h durchseinen Rest nach Division durch f ). Dann wird h nicht von f geteilt.Weil f irreduzibel ist, ist daher ggT ( f ,h) = 1. Mit dem erweitertenEuklidischen Algorithmus konnen daher Polynome u,v ∈ K[x] soberechnet werden, dass u f + vh = 1 ist. Dann ist v(a) ∈ K[a] und

1 = u(a) · f (a)+ v(a) ·h(a) = 0+ v(a) ·h(a) ,

also h(a) invertierbar und h(a)−1 = v(a).

Wenn das Minimalpolynom eines algebraischen Elementes a bekanntist, dann kann am Computer in K[a] exakt gerechnet werden (wobei vor-ausgesetzt werden muss, dass man in K exakt rechnen kann). Die Elementevon K[a] werden durch n-Tupel in Kn dargestellt, und die Rechenoperatio-nen werden mit Hilfe der Aussagen (2) und (3) von Satz 96 ausgefuhrt.

Die erste Aussage von Satz 96 kann verwendet werden, um das Mini-malpolynom zu finden: es muss zunachst irgendein normiertes Polynom f ,dessen Nullstelle a ist, gegeben sein. Dann wird uberpruft, ob f irreduzi-bel ist. Wenn es irreduzibel ist, dann ist f das Minimalpolynom von a .Wenn nicht, mussen wir einen Faktor g kleineren Grades mit g(a) = 0 fin-den und mit diesem von Neuem beginnen. Es gibt Verfahren zur effizientenFaktorisierung von Polynomen, diese ubersteigen aber den Rahmen dieserVorlesung.

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89 5. ERWEITERUNGEN DES ZAHLENBEREICHS

Beispiel 34 : Es sei 3√

2 die positive reelle Zahl, die Nullstelle von x3 − 2ist. Wenn das Polynom x3 −2 nicht irreduzibel uber Q ware, dann hatte eseinen Faktor vom Grad 1. Dieses Polynom hat aber keine Nullstelle in Q(Ubung), also auch keinen Faktor vom Grad 1. Daher ist x3 − 2 das Mini-malpolynom von 3

√2 uber Q und (1, 3

√2, 3√

4) ist eine Q -Basis von Q [ 3√

2].Um die Koordinaten von (1+2 3

√2+3 3

√4)−1 bezuglich dieser Basis zu be-

rechnen, verwenden wir Satz 96. Es ist

(−3x−50)(x3 −2)+(x2 +16x−11)(3x2 +2x+1) = 89 ,

also

(1+2 3√

2+3 3√

4)−1 =−1189

+1689

3√

2+1

893√

4 .

Schreibt man dieses Ergebnis in der Form

1

(1+2 3√

2+3 3√

4)=

−11+16 3√

2+ 3√

489

an, so wird diese Berechnung oft als”Rationalmachen des Nenners“ be-

zeichnet.

2. Existenz von Nullstellen

In diesem Abschnitt sei f ∈ K[x] ein irreduzibles normiertes Polynom.

Definition 70 : Eine Korper L, der K als Unterring enthalt, heißt Korperer-weiterung von K. Eine Korpererweiterung K ⊆ L ist endlich, wenn L alsK-Vektorraum endlichdimensional ist. Die Dimension dieses Vektorraumsheißt Grad der Korpererweiterung.

Ein irreduzibles Polynom f ∈ K[x] hat in K keine Nullstellen, dahersucht man eine endliche Korpererweiterung K ⊆ L von moglichst kleinemGrad, sodass das Polynom in L eine Nullstelle hat. Dazu gibt es zwei Moglich-keiten:

(1) Man sucht in einer bereits bekannten K-Algebra A nach einer Null-stelle a von f . Wenn man sie findet, dann ist K ⊆ K[a] die gesuchteKorpererweiterung.

(2) Man konstruiert eine endliche Korpererweiterung, in der f eine Null-stelle haben muss.

Beispiel 35 : Wenn K = Q und f = x2 +1 ist, dann hat f in der Q -AlgebraQ 2×2 die Nullstelle

i :=

(0 −11 0

)

.

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90 5. ERWEITERUNGEN DES ZAHLENBEREICHS

Also ist Q ⊆ Q [i] := {aI2 +bi =

(a −bb a

)

| a,b ∈ Q} eine Korpererwei-

terung vom Grad 2.

Eine allgemeine Methode zur Konstruktion einer endlichen Korperer-weiterung von kleinstmoglichem Grad, in der f eine Nullstelle hat, liefertder folgende

Satz 97 : Es seien f ∈ K[x] irreduzibel, n := gr( f ) und V der von 1,x,x2, . . . ,xn−1

erzeugte Untervektorraum von K[x]. Mit der Multiplikation

· : V ×V −→V , (g,h) 7−→ Rest von gh nach Division durch f ,

wird V zu einer K-Algebra, die sogar eine Korpererweiterung von K (vomGrad n) ist. Das Element x ∈V ist eine Nullstelle von f in V .Das zu h ∈V inverse Element kann wie folgt berechnet werden:

• Berechne mit dem erweiterten Euklidischen AlgorithmusPolynome u,v ∈ K[x] so, dass u f + vh = 1 ist.

• Der Rest von v nach Division durch f ist das zu h inverse Element.

Beweis: Ubung.

Beispiel 36 : Seien K = Q , f = x2 +1 und V := Q 〈1,x〉. Wir betrachten Vwie in Satz 97 als zweidimensionale Korpererweiterung von Q . Dann hatf in V die Nullstelle i := x.

Definition 71 : Ein Korper K ist algebraisch abgeschlossen, wenn jedesPolynom in K[x] mit positivem Grad eine Nullstelle in K hat. Eine Korperer-weiterung K ⊆ L von K heißt algebraischer Abschluss von K, wenn L al-gebraisch abgeschlossen ist und jedes Element von L algebraisch uber Kist.

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91 5. ERWEITERUNGEN DES ZAHLENBEREICHS

Satz 98 : Jeder Korper hat einen algebraischen Abschluss. Ein algebrai-scher Abschluss von Q heißt Korper der algebraischen Zahlen.

Beweis: wird weggelassen.

Manche Eigenschaften von Polynomen sind besonders einfach zu be-schreiben, wenn der Koeffizientenkorper algebraisch abgeschlossen ist:

Satz 99 : Ein Polynom mit Koeffizienten in einem algebraisch abgeschlos-senen Korper K ist genau dann in K[x] irreduzibel, wenn sein Grad 1 ist.Insbesondere gilt: Wenn f ∈ K[x] positiven Grad hat und z1, . . . ,zn die Null-stellen von f in K sind, dann gibt es eindeutig bestimmte positive ganzeZahlen e1, . . . ,en so, dass

f = lk( f )n

∏i=1

(x− zi)ei

ist.

Beweis: Wenn K algebraisch abgeschlossen ist, hat jedes Polynom in K[x]mit positivem Grad in K eine Nullstelle. Wenn z eine Nullstelle eines irre-duziblen Polynoms f ist, dann wird f von x− z geteilt. Daher muss f =lk( f )(x− z) sein.Die zweite Aussage folgt nun aus Satz 89.

Satz 100 : Es sei K ein algebraisch abgeschlossener Korper der Charakte-ristik 0. Dann hat ein Polynom 0 6= f ∈ K[x] genau

gr( f )−gr(ggT ( f ,D( f ))

(paarweise verschiedene) Nullstellen.

Beweis: Folgt aus Satz 92 und Satz 99.

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92 5. ERWEITERUNGEN DES ZAHLENBEREICHS

3. Endliche Korper

In diesem Abschnitt seien p eine positive Primzahl und L ein endlicherKorper der Charakteristik p. Wir identifizieren n ∈ Zp und n · 1L ∈ L undfassen Z p so als Unterkorper von L auf.Wir bezeichnen mit m die Dimension von L als Vektorraum uber Z p. Dannkann jedes Element von L eindeutig durch ein m-Tupel von Elementen inZ p dargestellt werden. Insbesondere ist pm die Anzahl der Elemente von L.

Beispiel 37 : Das Polynom x2 +x+1 ist uber Z 2 irreduzibel, also ist Z 2〈1,x〉mit der in Satz 97 definierten Multiplikation ein Korper der Charakteristik 2mit 4 Elementen. Seine Elemente sind 0,1,x und x+1. Es ist x ·(1+x) = 1,x2 = x+1 und (x+1)2 = x.

Satz 101 :(1) Fur alle positiven ganzen Zahlen m gibt es einen Korper L mit q :=

pm Elementen. Er wird haufig als Galoiskorper GF(q) bezeichnet.(2) Jedes Element von L ist Nullstelle von xq − x.(3) Das Polynom xpm − x hat irreduzible Faktoren vom Grad m.(4) Sei f ein irreduzibler Faktor vom Grad m von xpm − x. Dann kann

GF(q) wie in Satz 97 als Korpererweiterung von Z p, die eine Null-stelle von f enthalt, konstruiert werden.

Beweis: wird weggelassen.

Beispiel 38 : Ein linearer (n,k)-Code ist ein k-dimensionaler Untervektor-raum eines n-dimensionalen Vektorraums uber einem endlichen Korper L.Seine Elemente heißen Worte des Codes. Wenn q = pm die Anzahl derElemente von L ist, dann enthalt ein linearer (n,k)−Code uber L genauqk = pm·k Worte.

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KAPITEL 6

Eigenwertprobleme

In diesem Kapitel sei K ein Korper.

1. Eigenwerte und Eigenvektoren

Beispiel 39 : Zwei Gewichte mit Masse m hangen hintereinander an zweiFedern mit Federkonstante k.

��������������������

��HH��HH��HH��

��XX��XX��XX�� ?

x1

?

x2

��������������������

��@@��@@��@@��

��HH��HH��HH��

Nach den Gesetzen der Mechanik gilt fur die Auslenkungen aus der Ruhe-lage x1 bzw. x2 des ersten bzw. zweiten Gewichts

mx′′1 + kx1 − k(x2 − x1) = 0mx′′2 + k(x2 − x1) = 0 ,

wobei ′′ die zweite Ableitung nach der Zeit bezeichnet. In Matrizenformumgeschrieben erhalt man

m

(x′′1x′′2

)

+

(2k −k−k k

)(x1x2

)

= 0 .

Wir untersuchen nun die Frage, ob es eine Schwingung der Form

x1(t) = a1 sin(ωt)

x2(t) = a2 sin(ωt)

93

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94 6. EIGENWERTPROBLEME

gibt, wobei a1,a2 die Amplituden sind und ω die Frequenz ist. In diesemFall ware

−mω2 sin(ωt)

(a1a2

)

+ sin(ωt)

(2k −k−k k

)(a1a2

)

= 0

fur alle reellen Zahlen t, also(

2k −k−k k

)(a1a2

)

= mω2(

a1a2

)

.

Daher suchen wir Spalten, die durch Multiplikation mit einer vorgegebenenMatrix in ein skalares Vielfaches ubergehen (Fortsetzung in Beispiel 43).

Definition 72 : Seien V ein Vektorraum uber K und f : V →V eine lineareAbbildung.

(1) Ein Vektor u ∈ V heißt Eigenvektor von f , wenn u 6= 0 ist und eineZahl λ ∈ K existiert mit

f (u) = λu .

Dann heißt λ der Eigenwert von f zum Eigenvektor u.(2) Fur einen Eigenwert λ von f ist

E( f ,λ ) := {x ∈V | f (x) = λx}ein Untervektorraum von V , heißt der Eigenraum von f zum Eigen-wert λ , und besteht aus dem Nullvektor sowie allen Eigenvektorenvon f zum Eigenwert λ .

Definition 73 : Sei A ∈ Kn×n. Dann heißt u ∈ Kn×1 Eigenvektor der MatrixA und λ ∈ K Eigenwert von A, wenn u Eigenvektor bzw. λ Eigenwert derAbbildung

Kn×1 → Kn×1 , x 7→ Ax ,

ist.

2. Determinanten

Definition 74 : Fur A ∈ Kn×n heißt

det(A) := ∑σ∈Sn

sign(σ)Aσ(1)1Aσ(2)2 . . .Aσ(n)n

die Determinante von A.

Beispiel 40 : Im Fall n = 1 ist Sn = {Id1} und det(A) = A11.Im Fall n = 2 ist Sn = {Id2,(1,2)} und

det

(A11 A12A21 A22

)

= A11A22 −A12A21.

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95 6. EIGENWERTPROBLEME

Im Fall n = 3 ist Sn = {Id3,(1,2,3),(1,3,2),(1,3),(2,3),(1,2)} und

det

A11 A12 A13A21 A22 A23A31 A32 A33

= A11A22A33 +A21A32A13 +A31A12A23

−A31A22A13 −A11A32A23 −A21A12A33.

Fur n ≥ 4 hat Sn mindestens 4! = 24 Elemente und die Definition derDeterminante ist fur das praktische Rechnen nicht mehr geeignet.

Satz 102 : Fur A ∈ Kn×n ist

det(AT ) = det(A) ,

d.h. Transponieren andert die Determinante nicht.

Beweis: Nach Definition ist

det(AT ) = ∑σ∈Sn

sign(σ)n

∏j=1

(AT )σ( j) j = ∑σ∈Sn

sign(σ)n

∏j=1

A jσ( j)

= ∑σ∈Sn

sign(σ)n

∏i=1

Aσ−1(i)i,

wobei im Produkt i := σ( j) gesetzt und umgeordnet wurde. Da die Abbil-dung Sn → Sn , σ 7→ σ−1 , bijektiv ist, kann man τ := σ−1 setzen und erhaltdurch Umordnen der Summe

det(AT ) = ∑τ∈Sn

sign(τ)n

∏i=1

Aτ(i)i = det(A) .

Definition 75 : Sei A ∈ Kn×n.

(1) A hat obere Dreiecksform, wenn Ai j = 0 fur alle Indizes i, j mit i > jist. Dann hat A unterhalb der Hauptdiagonalen{(1,1),(2,2), . . .,(n,n)} nur Nulleintrage, d.h. A hat die Gestalt

∗ ∗ . . . ∗0 ∗ ∗...

. . . . . ....

0 . . . 0 ∗

,

wobei ∗ fur beliebige Korperelemente steht.(2) A hat untere Dreiecksform, wenn Ai j = 0 fur alle Indizes i, j mit i < j

ist. Dann hat A oberhalb der Hauptdiagonalen nur Nulleintrage, d.h.

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96 6. EIGENWERTPROBLEME

A hat die Gestalt

∗ 0 . . . 0

∗ ∗ . . ....

.... . . 0

∗ ∗ . . . ∗

.

(3) A ist eine Dreiecksmatrix, wenn A obere oder untere Dreiecksformhat.

(4) A hat Diagonalform, wenn Ai j = 0 fur alle Indizes i, j mit i 6= j ist.Dann hat A ausserhalb der Hauptdiagonalen nur Nulleintrage, d.h. Ahat die Gestalt

∗ 0 . . . 0

0 ∗ . . ....

.... . . . . . 0

0 . . . 0 ∗

.

Beispiel 41 : Jede quadratische Matrix in Stufenform hat obere Dreiecks-form. Daher kann jede quadratische Matrix durch elementare Umformun-gen in obere Dreiecksform ubergefuhrt werden.

Satz 103 : Die Determinante einer Dreiecksmatrix A ∈ Kn×n ist das Pro-dukt ihrer Diagonalelemente, also

det(A) = A11A22 . . .Ann .

Insbesondere ist

det(In) = 1 .

Beweis: Ubung.

Da man Determinanten von Dreiecksmatrizen leicht ausrechnen kann,liegt die Frage nahe, wie sich die Determinante bei elementaren Zeilenum-formungen der Matrix andert.

Satz 104 : Sei A ∈ Kn×n.

(1) Sei B die Matrix, die man erhalt, indem man eine Zeile von A miteinem Element c ∈ K multipliziert.Dann ist det(B) = c ·det(A).

(2) Sei B die Matrix, die man erhalt, indem man zwei Zeilen von A ver-tauscht. Dann ist det(B) = −det(A).

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97 6. EIGENWERTPROBLEME

(3) Sei B die Matrix, die man erhalt, indem man ein skalares Vielfacheseiner Zeile von A zu einer anderen Zeile von A addiert. Dann istdet(B) = det(A).

(4) Die Aussagen (1) - (3) gelten analog fur Spalten statt Zeilen.(5) Die Determinante von A kann wie folgt berechnet werden: Forme A

durch elementare Zeilenumformungen (oder Spaltenumformungen)vom Typ 1 (Addition eines Vielfachen einer Zeile zu einer anderen)und vom Typ 2 (Vertauschung zweier Zeilen) in eine Matrix B in Drei-ecksform um. Sei k die Zahl der ausgefuhrten Zeilenvertauschungen.Dann ist

det(A) = (−1)kB11B22 . . .Bnn .

Beweis: (1) - (3) nachprufen, (4) folgt aus Satz 102 und (5) folgt aus(1) - (3).

Satz 105 : Seien A,B ∈ Kn×n und c ∈ K.

(1) det(A ·B) = det(A) ·det(B) = det(B ·A) .(2) Fur alle T ∈ GLn(K) ist det(T−1 ·A ·T) = det(A) .(3) A ist genau dann invertierbar, wenn det(A) 6= 0 ist.(4) Wenn A invertierbar ist, dann ist det(A−1) = 1

det(A) .

(5) det(cA) = cn det(A) .

Beweis:(1) wird weggelassen.(2) det(T−1 ·A ·T ) = det(T · (T−1 ·A)) = det(A) .(3) und (4) folgen aus (1).(5) folgt aus Satz 104 .

Satz 106 : Seien V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber K mit Basisv und f : V →V eine lineare Abbildung mit Matrix A bezuglich v . Dann ist

det( f ) := det(A)

unabhangig von der Wahl der Basis v und heißt die Determinante von f . Esist f genau dann bijektiv, wenn det( f ) 6= 0 ist.

Beweis: Folgt aus Aussagen (2) und (3) in Satz 105 .

Definition 76 : Sei A ∈ Kn×n. Fur 1 ≤ i, j ≤ n heißt die Matrix

A(i, j) ∈ K(n−1)×(n−1),

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98 6. EIGENWERTPROBLEME

die man aus A durch Weglassen der i-ten Zeile und j-ten Spalte erhalt, diei- j-te Streichungsmatrix.

Satz 107 : Sei A ∈ Kn×n. Dann gilt:

(1) Fur 1 ≤ j ≤ n ist

det(A) =n

∑i=1

(−1)i+ jAi j det(A(i, j))

(Entwicklung der Determinante nach der j-ten Spalte).(2) Fur 1 ≤ i ≤ n ist

det(A) =n

∑j=1

(−1)i+ jAi j det(A(i, j))

(Entwicklung der Determinante nach der i-ten Zeile).

Beweis: wird weggelassen.

Wenn eine Matrix eine Spalte oder Zeile mit vielen Nullen besitzt, dannist zur Berechnung der Determinante die Entwicklung nach dieser Spalteoder Zeile zu empfehlen.

Satz 108 : Sei A ∈ Kn×n. Dann heißt die Matrix Ad(A) ∈ Kn×n , definiertdurch

Ad(A)i j := (−1)i+ j det(A( j,i))

fur 1 ≤ i, j ≤ n, die zu A adjungierte Matrix, und es gilt

A ·Ad(A) = Ad(A) ·A = det(A) · In .

Wenn A invertierbar ist, dann ist

A−1 = det(A)−1 Ad(A) .

Beweis: wird weggelassen.

Beispiel 42 : Sei

A =

(a bc d

)

∈ K2×2 .

Dann ist det(A) = ad −bc und, falls det(A) 6= 0 ist,

A−1 = det(A)−1(

d −b−c a

)

.

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99 6. EIGENWERTPROBLEME

3. Berechnung von Eigenwerten

Satz 109 : Seien V ein endlich-dimensionaler Vektorraum uber K und f :V →V eine lineare Abbildung. Dann ist λ ∈ K genau dann Eigenwert vonf , wenn

det(λ IdV − f ) = 0

ist. Die Abbildung

χ f : K → K , z 7→ det(z IdV − f ) ,

ist eine polynomiale Abbildung und heißt das charakteristische Polynomvon f . (

”Die Eigenwerte von f sind die Nullstellen des charakteristischen

Polynoms.“)Insbesondere: Die Abbildung f hat hochstens dimK(V ) Eigenwerte.Wenn K algebraisch abgeschlossen und V 6= {0} ist, hat f mindestens einenEigenvektor.

Beweis: Es ist λ genau dann ein Eigenwert von f , wenn ein Vektor u ∈ Vmit u 6= 0 existiert, sodass f (u) = λu ist. Dies ist aquivalent dazu, dass dielineare Abbildung

λ IdV − f : V →V , v 7→ λv− f (v) ,

nicht injektiv ist. Da die Abbildung IdV − f linear ist und die Dimensio-nen ihres Definitions- und Bildbereiches ubereinstimmen, ist die Abbildungλ IdV − f genau dann injektiv, wenn sie bijektiv ist (Ubung). Nach Satz 106ist λ IdV − f genau dann nicht bijektiv, wenn det(λ IdV − f ) = 0 ist.

Satz 109 legt folgendes Verfahren nahe, die Eigenwerte und Eigenvek-toren einer linearen Abbildung f : V → V zu berechnen, falls V endlich-dimensional ist:

(1) Wahle eine Basis v = (v1, . . . ,vn) von V und bestimme die Matrix Avon f bezuglich v . Die Matrix von λ IdV − f bezuglich v ist dannλ In −A .

(2) Finde alle λ ∈ K mit det(λ In−A) = 0, das heißt: berechne alle Null-stellen des charakteristischen Polynoms von f .

(3) Bestimme fur jeden Eigenwert λ den Eigenraum E( f ,λ ) durch Losendes homogenen Systems linearer Gleichungen(λ In−A)x = 0.

Beispiel 43 : Wir losen nun das Eigenwertproblem aus Beispiel 39. Hier ist

A =

(2k −k−k k

)

.

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100 6. EIGENWERTPROBLEME

Wegen

det(λ I2−A) = det

(λ −2k k

k λ − k

)

= λ 2 −3kλ + k2

sind die Eigenwerte von A

λ1 =3+

√5

2k und λ2 =

3−√

52

k .

Die zugehorigen Eigenraume sind

E(A,λ1) = R(

11−

√5

2

)

bzw. E(A,λ2) = R(

11+

√5

2

)

,

wobei R der Korper der reellen Zahlen ist.

Beispiel 44 : Sei A ∈ Kn×n eine Dreiecksmatrix. Dann ist auch die Matrixλ In −A eine Dreiecksmatrix, und nach Satz 103 ist

χA(z) = (z−A11) . . .(z−Ann) .

Daher sind die Diagonalelemente einer Matrix in Dreiecksform ihre Eigen-werte.Zum Beispiel ist 1 der einzige Eigenwert der Einheitsmatrix In.