alpensignale 2 - alpenkonvention konkret - ziele und umsetzung

66
Alpenkonvention konkret Ziele und Umsetzung Alpensignale 2

Upload: permanent-secretariat-of-the-alpine-convention

Post on 30-Mar-2016

227 views

Category:

Documents


3 download

DESCRIPTION

Alpensignale 2 Alpenkonvention konkret - Ziele und Umsetzung Erscheinungsjahr: 2004 Herausgeber: Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention

TRANSCRIPT

Alpenkonvention konkretZiele und Umsetzung

Alpensignale 2

www.alpconv.org

Impressum

Publikationsreihe Alpensignale

Medieninhaber/Herausgeber:

Ständiges Sekretariat der AlpenkonventionHerzog-Friedrich-Straße 15

A-6020 Innsbruck, Österreich

Verantwortlich:

Dr. Igor Roblek, Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention

Graphische Gestaltung:

Werbeagentur Ingenhaeff-Beerenkamp, Absam (A)

© Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention, Innsbruck, 2004; sofern nichts Anderes angegeben

Für diesen Band:

Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitReferat Öffentlichkeitsarbeit · 11055 Berlin

Redaktion: Silvia Reppe (BMU), Monika Ulrich (BMU), Irene Brendt (StMUGV)

Quellen: – Alpenbüro Netz GmbH, Birgit Grübler, Jöri Schwärzel, Schweiz– Amt für Tiefbau Kanton Uri, Altdorf, Schweiz– Amt für Wald, Natur und Landschaft, Liechtenstein– Bayerisches Geologisches Landesamt, Deutschland– Bayer. Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Deutschland– Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, Schweiz– Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Österreich– Deutscher Alpenverein– Gäste-Information Schliersee, Deutschland– Gemeinde Mäder, Österreich– Gemeinde Oberstaufen, Deutschland– H. Diem– Dr. Georg Hauger, Technische Universität Wien, Österreich– Dr. Jürg Meyer Schweizer Alpenclub SAC– Landesamt für Wasserwirtschaft Bayern, Deutschland– Ländliches Fortbildungsinstitut Tirol, Österreich– Prof. Dr. Martin Seger, Universität Klagenfurt, Österreich– Ministrstvo za okolje, prostor in energijo, Agencija za ucinkovito rabo energije, Slowenien– Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, GeoRisikoForschung– Dr. Nathalie Morelle, Verein Grande Traversées des Alpes– Réseau des espaces protégés alpins, Frankreich– Österreichischer Alpenverein, Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz– Ortsvorstehung Ginzling, Österreich– P. Tasser– Stadt Bad Reichenhall, Deutschland– Thomas Kollegger, Verein Wasserweg Albulatal, Schweiz– Turisticno drustvo Ratece-Planica, Slowenien– U. Visciani, APT Trentino

Stand: November 2004

Layout: Feldes & Vogt, Bonn

Druck: 20.000

Diese Broschüre wurde im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Bundesregierung finanziert. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Der Druck erfolgt auf Recyclingpapier aus 100% Altpapier.

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

[email protected]

Referat Öffentlichkeitsarbeit

D – 11055 Berlin

Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention

[email protected]

Sitz in InnsbruckHerzog-Friedrich-Straße 15

A-6020 Innsbruck, Österreich

Außenstelle BozenDrususallee 1

I-39100 BozenItalien

Kontakt:

1

MINISTERVORWORT

Nach zwei Jahren deutscher Vorsitz der Alpenkonferenzist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Was haben wir erreichen kön-nen? Was bleibt zu tun?

Nach dem In-Kraft-Treten aller Protokolle der Alpenkon-vention in Liechtenstein, Österreich, Deutschland undSlowenien ist die Umsetzung der Alpenkonvention undihrer Protokolle in den Vordergrund getreten. Die Ratifi-zierung der Protokolle, insbesondere des Verkehrsproto-kolls, durch alle Vertragsparteien bleibt jedoch vorrangi-ges Ziel.

Auf der Grundlage des Zehn-Punkte-Programms des deutschen Vorsitzes haben wir in den vergangenen zweiJahren gemeinsam mit den Vertragsstaaten, Beobach-tern und Netzwerken in den Alpen die Voraussetzungenfür einen kontinuierlichen Umsetzungsprozess geschaf-fen. Das Ständige Sekretariat der Alpenkonvention, mitseinem Sitz in Innsbruck und seiner Außenstelle in Bozen,leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.

Die größte Bedrohung für das Bergökosystem Alpen sindder zunehmende Verkehr und der Klimawandel. Natur-katastrophen und der rasante Abbau der Gletscherführen uns die dramatischen Folgen des globalen Klima-wandels in den Alpen vor Augen. Von den untersuchten76 Alpengletschern haben in den letzten Jahrzehnten 68 Gletscher 30 Prozent ihrer Fläche und über 50 Prozentihres Volumens verloren. Verkehr und Naturgefahren alsFolge des Klimawandels waren deshalb Schwerpunkteunserer Initiativen. Der Handlungsbedarf ist hier beson-ders dringend und für die Alpenbevölkerung unmittelbarspürbar.

Mit dem Aktionsplan Brenner 2005, einer gemeinsamenInitiative von Österreich, Italien und Deutschland, wirdeine klare Zielvorgabe zur Verlagerung des grenzüber-schreitenden Verkehrs von der Straße auf die Schiene gesetzt. Um 50 % soll der kombinierte Verkehr bis 2005gegenüber 2001 gesteigert werden. Nach bisherigen Er-

gebnissen bin ich optimistisch, dass das Ziel erreichtwird. Gemeinsam haben die Vertragsstaaten intensiv daran gearbeitet, dieses intelligente Modell für andereVerkehrskorridore durch die Alpen nutzbar zu machen.Für sechs weitere Verkehrskorridore sollen analoge Maßnahmen entwickelt werden. In einer gemeinsamenErklärung wird die VIII. Alpenkonferenz eine aktivegrenzüberschreitende Zusammenarbeit im Verkehrsbe-reich vereinbaren, um die Probleme des alpinen und inneralpinen Verkehrs gemeinsam zu lösen.

Mit dem Klimawandel müssen wir uns auf eine größereHäufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen im Alpenraum einstellen. Ich begrüße es daher besonders,dass wir sowohl vorbeugende als auch reaktive Maßnah-men identifizieren und unterstützen konnten und unmittelbar vor der Einrichtung eines grenzüberschrei-tenden Netzwerkes der Entscheidungsträger und Fach-stellen, der sogenannten „Plattform Naturgefahren“ stehen.

In Deutschland sind wir mit dem Entwurf eines Hoch-wasserschutzgesetzes auf gutem Weg, die Auswirkungeneiner Naturgefahr besser eindämmen zu können. Mitdem Thema Wasser werden wir uns auch im Rahmen derAlpenkonvention stärker beschäftigen müssen. Vor demHintergrund der EG-Wasserrahmenrichtlinie geht es besonders darum, die dort nicht abgedeckten alpen-spezifischen Themen - Gletscherschutz, Wasserkraft, Beschneiung - sowie den Hochwasserschutz voranzu-bringen. Die Behandlung des Themas Wasser wird daherim mehrjährigen Arbeitsplan der Alpenkonferenz verankert werden.

Für einen effektiven Schutz der Biodiversität im Alpen-raum muss die Zusammenarbeit von Schutzgebietengrenzüberschreitend vertieft werden. Ich setze michdafür ein, die Ausweisung von grenzüberschreitendenSchutzgebieten zu stärken und Schutzgebiete über dieGrenzen hinweg zumindest durch Korridore zu verbin-

2

MINISTERVORWORT

den. Dies ist ein konkreter Beitrag zur Umsetzung des Artikels 12 des Naturschutzprotokolls, der die Einrich-tung eines ökologischen Verbundes vorsieht. Auf deut-sche Initiative und durch fast alle Vertragsstaaten gemeinsam finanziert, hat das Netzwerk Alpiner Schutz-gebiete die vorbereitenden Arbeiten für eine grenz-überschreitende Optimierung der Schutzgebiete in denAlpen aufgenommen.

In enger Zusammenarbeit der Vertragsstaaten wurde einalpenweites Indikatorensystem entwickelt. Dies ist einewesentliche Grundlage für den Alpenzustandbericht, derbis zur nächsten Alpenkonferenz 2006 erstmalig erstelltwerden soll und der eine wichtige Basis für künftige Entscheidungen der Politik im Alpenraum bilden wird.

Für die nachhaltige Entwicklung des Alpenraumes habenBevölkerung und Kultur eine hohe Bedeutung. Zu diesemThema wird bis zur IX. Alpenkonferenz in Zusammenar-beit mit den lokalen und regionalen Gebietskörperschaf-ten, den Netzwerken und Beobachtern eine politische Deklaration erarbeitet werden, deren Umsetzung in denAlpenstaaten der Überprüfung unterliegt.

Die Beobachter der Alpenkonvention, allen voran die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA, leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Umsetzung der Alpenkonvention und ihrer Protokolle. Mit ihnen haben

wir einen ständigen Austausch geführt, der für beide Seiten sehr fruchtbar war.

Die Ziele der Alpenkonvention und die Erfolge bei ihrerUmsetzung bekannt zu machen, ist eine Voraussetzungdafür, die Menschen im Alpenraum für diesen Prozess zu gewinnen. In der Publikationsreihe „Alpensignale“ werden Grundlagen, Ergebnisse, Informationen künftigveröffentlicht. Mein Anliegen ist es, in dieser Ausgabe „Alpenkonvention konkret“ zu zeigen, dass die Umset-zung der Alpenkonvention und ihrer Protokolle in allenAlpenstaaten tatsächlich begonnen hat. Die großen undkleinen Aktivitäten und Projekte, die hier zusammenge-tragen sind, sollen anregen, aktiv in diesem Prozess mitzuwirken.

Jürgen Trittin

Vorsitzender der AlpenkonferenzBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

3

INHALTSVERZEICHNIS

Ministervorwort 1

Die Umsetzung der Alpenkonvention aus Sicht 5des Völkerrechts und des Europarechts

Die Umsetzung der Alpenkonvention in Bayern 10

Die Umsetzung der Protokolle der Alpenkonvention in Österreich 14

Die Rolle der Netzwerke 16Gemeinde-Netzwerk „Allianz in den Alpen“. Die Alpenkonvention – kein utopischer 16Wunsch, sondern machbare Realität

Das Netzwerk Alpiner Schutzgebiete – Umsetzung des 21Naturschutzprotokolls seit der ersten Stunde

Verkehr 25Verkehr im Rahmen der Alpenkonvention 25

„Aktionsplan Brenner 2005“ (Österreich, Italien, Deutschland) 30

Alps Mobility (Italien, Österreich, Deutschland) 32

New Mobility, Alpen Retour (Schweiz) 33

Naturgefahren 35Naturkatastrophen und Klimaänderungen im Alpenraum: 35Trends und Vorsorgemöglichkeiten

Plattform Naturgefahren 38

Erlebnispfad Klosters (Schweiz) 38

Sicherheit vor Naturgefahren – auf dem Weg zur Risikokultur (Schweiz) 39

Sicherheit vor Naturgefahren und Ausweisung als Waldreservat – ein Gegensatz? 41(Liechtenstein)

Informationsdienst Alpine Naturgefahren IAN (Bayern) 42

DIS-ALP (Österreich, Italien, Schweiz, Slowenien, Deutschland) 42

EGAR (Österreich, Italien, Deutschland) 43

CatchRisk (Italien, Schweiz, Österreich, Deutschland) 43

4

INHALTSVERZEICHNIS

Tourismus 45Nachhaltiger Tourismus mit der Alpenkonvention – „Wohin geht die Reise?“ 45

Die Via Alpina – ein Weg für die Umsetzung der Alpenkonvention 49

Schweiz pur/Klein & Fein/Allianz im Albulatal (Schweiz) 52

Auditing in Skigebieten 53

Nachhaltige Entwicklung in der Gemeinde Kranjska Gora (Slowenien) 55

Bevölkerung und Kultur 57Bevölkerung und Kulturen in den Alpen 57

Partizipative Ortsplanung (Schweiz) 60

Ausbildung grenzüberschreitender Natur- und Kulturlandschaftsführer 60in der Euregio (Bayern und Tirol)

Biomassefernwärmeversorgung in der Gemeinde Preddvor (Slowenien) 61

5

I. Entstehung der Alpenkonvention

Die Forderungen nach Errichtung eines Übereinkom-mens zum Schutz der Alpen reichen zurück in die fünf-ziger Jahre und mündeten schließlich 1988 in eine Ent-schließung des Europäischen Parlaments, mit der dieEuropäische Kommission aufgefordert wurde, den Ent-wurf einer Konvention zum Schutz eines der wichtigstenÖkosysteme Europas vorzulegen. 1989 kam es in Berchtes-gaden zur 1. Alpenkonferenz der Umweltminister der Alpenstaaten, die mit einer Grundsatzresolution ab-schloss. Bereits am 7. November 1991 wurde eine völker-rechtlich verbindliche Rahmenkonvention durch sechsAlpenstaaten (Österreich, Schweiz, Deutschland, Frank-reich, Liechtenstein, Italien) und die EG in Salzburg un-terzeichnet. Weitere Vertragspartner sind mittlerweileSlowenien und Monaco. Nach der Ratifikation durch dreiVertragsstaaten (Österreich, Liechtenstein und Deutsch-land) trat die Alpenkonvention im Jahr 1995 in Kraft. DieEG, Slowenien, Frankreich, Monaco, Schweiz und Italienfolgten bis 1999.

Die Alpenkonvention ist keine politische Absichtserklä-rung, sondern ein verbindlicher völkerrechtlicher Ver-trag. Sie enthält allgemeine Verpflichtungen der Ver-tragsparteien mit dem Ziel, Lösungen für Probleme beider Erhaltung und dem Schutz der Alpen zu erarbeiten.Die praktische Durchführung der in der Rahmenkonven-tion niedergelegten Grundsätze wird gemäß Art. 2 Abs. 3Alpenkonvention durch verschiedene Protokolle gewähr-leistet, welche eigenständige völkerrechtliche Verträgedarstellen. Bislang wurden Protokolle zu den BereichenRaumplanung, Berglandwirtschaft, Naturschutz undLandschaftspflege, Bergwald, Tourismus, Bodenschutz,Energie, Verkehr sowie ein Zusatzprotokoll über die Streit-beilegung ausgearbeitet und von den meisten Vertrags-staaten auch unterzeichnet bzw. innerstaatlich ratifiziert.

II. Inhalt und Aufbau der Alpenkonvention

1. Anwendungsbereich

Art. 1 Abs. 1 der Alpenkonvention erklärt das Gebiet derAlpen, wie es in der Anlage zur Konvention umrissen ist,zum Gegenstand der Konvention. Dieser erfasst einen Bereich, der sich etwa im Westen von Avignon bis vor Wien im Osten und von Monaco im Süden bis zur HöheMünchens im Norden erstreckt. Daraus ergibt sich eineFläche von rund 190.000 km2 mit ca. 13 Millionen Ein-wohnern in 5.934 in einer Liste genannten Gemeindenim Geltungsbereich der Alpenkonvention. Damit ist das Gebiet der Alpen zum ersten Mal rechtsverbindlich fest-gelegt. Die Abgrenzung orientiert sich im Wesentlichenan geologischen Kriterien, an einer erforderlichen Höhenlage über 700 Meter und an den vorhandenen Vegetationszonen, teilweise aber auch an Verwaltungs-grenzen. Art. 1 Abs. 2 Alpenkonvention sieht vor, dass je-de Vertragspartei jederzeit durch eine an den Depositär-staat Österreich gerichtete Erklärung die Anwendung derKonvention auf weitere Teile seines Hoheitsgebietes er-strecken kann.

2. Zielsetzung

Als Ziel nennt die Alpenkonvention in Art. 2 Abs. 1 eineVerpflichtung der Vertragsparteien zu „eine(r) ganzheit-liche(n) Politik zur Erhaltung und zum Schutz der Alpenunter ausgewogener Berücksichtigung der Interessen aller Alpenstaaten, ihrer alpinen Regionen sowie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unter umsichti-ger und nachhaltiger Nutzung der Ressourcen“. In Art. 2Abs. 2 Alpenkonvention werden zwölf Sachbereiche ge-nannt, in denen die Vertragsparteien zur Erreichung desZiels „geeignete Maßnahmen“ ergreifen. Diese Gebietesind: Bevölkerung und Kultur (lit. a), Raumplanung (lit. b),

>> Monaco ist der Ausgangspunkt der Wanderung entlang der Via Alpina. Quelle: N. Morelle

DIE UMSETZUNG DER ALPENKONVENTION AUS SICHT DES VÖLKERRECHTS UND DES EUROPARECHTS

6

Luftreinhaltung (lit. c), Bodenschutz (lit. d), Wasserhaus-halt (lit. e), Naturschutz und Landschaftspflege (lit. f),Berglandwirtschaft (lit. g), Bergwald (lit. h), Tourismusund Freizeit (lit. i), Verkehr (lit. j), Energie (lit. k) und Abfallwirtschaft (lit. l).

Es ist eine wichtige Erkenntnis des modernen Umwelt-völkerrechts, dass jede raumwirksame Tätigkeit Umwelt-belange betrifft und deshalb nur ein ganzheitlicher An-satz erfolgversprechend ist. Dementsprechend verfolgtdie Alpenkonvention nicht sektorale Umweltziele im ei-gentlichen Sinn, wie die Reinhaltung von Luft, Boden undWasser, sondern will umfassend die nachhaltige Bewirt-schaftung eines von 13 Millionen Menschen bewohntenÖkosystems regeln. Auf diese Weise erfasst sie auch quer-schnittartig verschiedene wirtschaftliche, politische undsoziale Wechselwirkungen, die Beiprodukte nicht um-weltbezogener Regelungen sind (wie z.B. Verkehr, Tou-rismus oder Bevölkerungsfragen). Aus der ursprünglichangestrebten Alpen„schutz“konvention ist deshalb ein In-strument integrativer Politik geworden, das den Lebens-raum Alpen langfristig bewahren will.

Eine besondere Rolle spielt dabei das Konzept der Nach-haltigkeit, welches das moderne Umweltvölkerrecht, ins-besondere seit der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung von 1992, prägt. Eine Konsequenz der Rio-Konferenz ist die Agenda 21, die ein politisches Aktions-programm darstellt und Handlungsempfehlungen an al-le im Umweltbereich tätigen Akteure ausspricht, um denGrundsatz der nachhaltigen Entwicklung umzusetzen.Die Alpenkonvention ist Bestandteil dieses globalen Pro-zesses und unter dem Aspekt „Bewirtschaftung empfind-licher Ökosysteme: nachhaltige Bewirtschaftung vonBerggebieten“ mit der Agenda 21 vernetzt. Eine Konkre-tisierung des Nachhaltigkeitsprinzips findet sich in der Alpenkonvention insbesondere in dem Protokoll Raum-planung und nachhaltige Entwicklung, welches diesesZiel spezifiziert und in Art. 5 zum Querschnittziel erhebt.

III. Institutionelles Recht der Alpenkonvention

Gemessen an dem, was im Umweltvölkerrecht üblich ist,stellt sich die Alpenkonvention in organisationsrecht-licher Hinsicht durchaus als fortschrittliches Modell dar.

1. Alpenkonferenz

Die Alpenkonvention schafft kein spezielles Organ, wel-ches mit der Aufgabe der Rechtsetzung betraut ist – wieetwa die EU mit einem Rat und einem Parlament. Jedochbesitzt sie mit der aus den zuständigen Ressortministerngebildeten Alpenkonferenz ein beschlussfassendes Or-gan, in dem die Vertragsstaaten zusammentreffen, umdie Verträge weiterzuentwickeln. Die wesentlichen in Art. 6 Alpenkonvention aufgelisteten Aufgaben der Alpenkonferenz sind Änderungen der Alpenkonvention,

die von den Mitgliedstaaten zu ratifizieren sind, Beschlussder Protokolle sowie die notwendigen finanziellen Ent-scheidungen. Die Alpenkonferenz tritt nur alle zwei Jah-re zu ordentlichen Tagungen bei der Vertragspartei, dieden Vorsitz führt, zusammen. Bisher fanden sieben Al-penkonferenzen der Umweltminister statt. Die nächsteSitzung wird im November 2004 in Garmisch-Partenkir-chen stattfinden.

Internationale Organisationen, jeder andere europäischeStaat sowie Zusammenschlüsse alpiner Gebietskörper-schaften, wie z.B. die ARGE Alp und die ARGE Alpen-Adria, können an den Tagungen der Alpenkonferenz alsBeobachter teilnehmen. Dasselbe gilt für internationale,nichtstaatliche Organisationen (Non-Governmental Or-ganisations, NGOs), wie z.B. die CIPRA. Diese Kooperati-on mit den NGOs kann bis hin zur Mitarbeit in Arbeits-gruppen auf Gemeindeebene reichen. Voraussetzung isteine Akkreditierung durch die Alpenkonferenz.

2. Ständiger Ausschuss

Als ausführendes Organ der Alpenkonferenz wird derStändige Ausschuss eingerichtet, der sich aus den Dele-gierten der Vertragsparteien auf Beamtenebene zusam-mensetzt (Art. 8 Alpenkonvention). Seine Aufgaben um-fassen im Wesentlichen die Sichtung und Bewertung allerrelevanten Informationen in Bezug auf die Durchführungder Alpenkonvention und der Protokolle, die Vorberei-tung der Alpenkonferenz sowie die Einsetzung von Ar-beitsgruppen für die Erarbeitung der Protokolle. Der Vor-sitz innerhalb des Ständigen Ausschusses wird von jenerVertragspartei wahrgenommen, die gleichzeitig den Vor-sitz der Alpenkonferenz innehat. Der Ständige Ausschussbeschließt ferner über die Teilnahme von Vertretern vonRegierungs- und Nichtregierungs-Organisationen an sei-nen Sitzungen.

3. Sekretariat

Als drittes Organ ist schließlich in Art. 9 Alpenkonventi-on ein Ständiges Sekretariat vorgesehen, das als Stabs-stelle der Alpenkonferenz, des Ständigen Ausschusses unddes Vorsitzes fungieren soll. Die VII. Alpenkonferenz inMeran hat am 19./20.11.2002 die Errichtung des Ständi-gen Sekretariats in Innsbruck mit einer operativenAußenstelle in Bozen beschlossen. Die Aufgabenbereichesind zwischen den beiden Sitzen aufgeteilt. Das Inns-brucker Büro ist zuständig für die politischen und ad-ministrativen Aufgabenbereiche des Sekretariats, die Vertretung des Sekretariats nach außen, die Öffentlich-keitsarbeit sowie für die politische und technische Unterstützung des Vorsitzes. Bozen ist für die technisch-operativen Aufgabenbereiche zuständig, d.h. für das Alpenbeobachtungs- und Informationssystem (ABIS), dieKoordination der Alpenforschungsaktivitäten und dieÜbersetzungen und Dolmetscherarbeiten. Leiter des Stän-digen Sekretariats ist der Generalsekretär. Mit dem

7

Ständigen Sekretariat wird eine Einrichtung geschaffen,die Hilfestellung bei der Durchsetzung der Alpenkon-vention leisten kann.

4. Streitbeilegungssystem

Wichtiges Element des institutionellen Umweltvölker-rechts ist ein Streitbeilegungsverfahren. In der bisherigenVertragspraxis dominiert die außergerichtliche Streitbei-legung in Form von Verhandlungen und Vergleichsver-fahren zwischen den Vertragsparteien. Interessanterwei-se bildet die Alpenkonvention insoweit eine Ausnahme,da sie ein Streitbeilegungsverfahren zwischen den Ver-tragsparteien durch ein Schiedsgericht vorsieht. Das Pro-tokoll Streitbeilegung ist am 18.Dezember 2002 in Kraftgetreten. Nachdem in den ersten Entwürfen zur Alpen-konvention noch ein rudimentäres Verhandlungssystemvorgesehen war, ist das verabschiedete Streitbeilegungs-protokoll ein echter Fortschritt im Umweltvölkerrecht,insbesondere da das Schiedsverfahren obligatorisch, d.h.eine zusätzliche Unterwerfungserklärung der Parteienentbehrlich ist, und das Schiedsgericht mit der Mehrheitseiner Mitglieder entscheidet. Die Entscheidungen desSchiedsgerichts sind bindend, endgültig und von den Par-teien unverzüglich umzusetzen.

5. Überprüfungsmechanismus

Das Protokoll Streitbeilegung löst nur zum Teil das für dasVölkerrecht typische Problem der Rechtsdurchsetzung,welches sich daraus ergibt, dass die notwendigenZwangsmittel fehlen. Vollzugsdefizite im Umweltvölker-recht werden deshalb zunehmend nicht nur mit derAndrohung von Sanktionen, sondern mit differenziertenMaßnahmen bekämpft. Auf der VII. Alpenkonferenz inMeran am 19./20.11.2002 wurden Mechanismen zurÜberprüfung der Einhaltung der Alpenkonvention und

ihrer Durchführungsprotokolle beschlossen. Die Alpen-konferenz hat einen Überprüfungsausschuss eingerichtet,der sich mit (1) regelmäßigen Berichten der Vertragspar-teien sowie (2) Ersuchen der Überprüfung einer vermu-teten Nichteinhaltung der Alpenkonvention bzw. der Pro-tokolle von dritter Seite befasst. Es ist ein wesentlicherVorteil dieses Systems gegenüber dem Streitbeilegungs-verfahren, dass sich nicht nur Vertragsparteien, sondernauch interessierte NGOs an den Überprüfungsausschusswenden können. Das Überprüfungsverfahren endet imFall eines Verstoßes nicht mit einer Sanktion, sondern miteinem Bericht, einem Beschluss und einer Empfehlung,die veröffentlicht werden und eine gewisse Prangerwir-kung entfalten können.

IV. Position der EG zur Alpenkonvention

Vertragspartei der Alpenkonvention ist auch die Euro-päische Gemeinschaft (EG). Diese hat bislang die Rah-menkonvention unterzeichnet und ratifiziert sowie dreiProtokolle (Naturschutz und Landschaftspflege, Berg-landwirtschaft, und Raumplanung und nachhaltige Ent-wicklung) unterzeichnet, jedoch nicht ratifiziert. DieKommission hat außerdem 2001 einen Vorschlag zur Un-terzeichnung des Verkehrsprotokolls vorgelegt, der nachwie vor vom Rat geprüft wird. Weil angeblich die finan-ziellen oder personellen Mittel fehlten, nahmen außer-dem lange Zeit keine Vertreter der Kommission an denSitzungen der Alpenkonventionsgremien teil. Tatsächlichdürften die Gründe für diesen Stillstand jedoch in derrechtlichen Wirkung zu suchen sein, welche die ratifi-zierten Alpenkonventions-Protokolle in der Rechtsord-nung der EG entfalten würden. Völkerrechtliche Verträ-ge der EG sind nach Art. 300 Abs. 7 EG-Vertrag mit ihremInkrafttreten für Parlament, Rat und Kommission ver-bindlich. Sie stehen in der europäischen Normenhierar-chie über Verordnungen und Richtlinien.

>> Mont Blanc Massiv vom Col du Brévent (2.368 m). Quelle: H. Diem

8

Würde die EG die Alpenkonvention und die Protokolle ratifizieren und dadurch ins Gemeinschaftsrecht inte-grieren, würden ihre Bemühungen, Regelungen für dieeuropäischen Bergregionen auszuarbeiten, entwertet, je-denfalls sofern ihre „interne“ Lösung für das Alpengebietnicht mit der Alpenkonvention vereinbar wäre. Bislangdient die Alpenkonvention deshalb lediglich als Ausle-gungshilfe im EG-Recht. In einem bis vor den Europä-ischen Gerichtshof (EuGH) geführten Rechtsstreit überdie Haftung der Republik Österreich wegen der Blockadeder Brennerautobahn durch das Transitforum e.V. hatteder Generalanwalt am EuGH im Jahr 2003 festgestellt,dass die Konvention und ihre Protokolle im Rahmen ei-ner Abwägung von Umweltschutzerwägungen mit Argu-menten des freien Warenverkehrs berücksichtigt werdenkönnen. Dieser Gedanke wurde vom EuGH zwar nichtausdrücklich aufgegriffen. Er wird jedoch mittlerweileverstärkt in seinen Entscheidungen berücksichtigt, z.B. inseiner einstweiligen Anordnung aus dem Jahre 2003 imStreit zwischen Österreich und der EG über ein Fahrver-bot für bestimmte Lkw auf einem Teilstück der Inntalau-tobahn (A 12).

V. Protokolle zur Alpenkonvention

Die Alpenkonvention selbst ist als Rahmenvertrag konzi-piert und enthält lediglich grundlegende institutionelleAspekte und allgemeine Ziele. Sie überlässt die Festle-gung konkreter völkerrechtlicher Rechte und Pflichtenden Protokollen, die praktisch das Herzstück der Alpen-konvention darstellen. Bisher kam es zur Ausarbeitungfolgender Protokolle: (1) Protokoll zur Raumplanung undnachhaltigen Entwicklung, (2) Protokoll Berglandwirt-schaft, (3) Protokoll Naturschutz und Landschaftspflege,(4) Protokoll Bergwald, (5) Protokoll Tourismus, (6) Proto-koll Bodenschutz, (7) Protokoll Energie, (8) Protokoll Ver-kehr und (9) Protokoll Streitbeilegung.

1. Bedeutung der Protokolle

Diese Protokolle sind zwar mit der Rahmenkonventionverknüpft, können aber ein unterschiedliches rechtlichesSchicksal entfalten, denn es gibt keine Verpflichtung derVertragsparteien zur Unterzeichnung und Ratifizierungder von der Alpenkonferenz ausgearbeiteten Protokolle.Gleichwohl sind sämtliche Protokolle seit 18.12.2002 in Kraft, weil nach Art. 11 Alpenkonvention eine Ratifi-kation durch drei Vertragsparteien ausreicht. Sie entfal-ten auch in Deutschland, Österreich, Liechtenstein undSlowenien rechtliche Wirkung, weil sie von diesen Staa-ten ratifiziert wurden. Monaco und Frankreich haben im-merhin einige der Protokolle ratifiziert. In der Schweizsteht die Ratifikation einiger Protokolle unmittelbar be-vor. Italien und die EG haben die Protokolle lediglich unterzeichnet, aber bislang noch nicht ratifiziert.

Die Protokolle verdienen besondere Aufmerksamkeit,denn sie enthalten weitaus konkretere und inhaltlichweitreichendere Regelungen, als man bei der Unter-zeichnung der Rahmenkonvention im Jahre 1991 ahnenkonnte. Indessen ist die Regelungsdichte der Protokolleunterschiedlich. Nach Art. 3 des Protokolls über Raum-planung von 1994 trifft die Parteien nur eine Pflicht zur„Berücksichtigung“ von Umweltschutzkriterien im Rah-men ihrer nationalen Politik. Wie und mit welchem Er-gebnis sie das tun müssen, bleibt offen. Ähnlich ist dasProtokoll über Naturschutz und Landschaftspflege von1994 formuliert, wo etwa in Art. 10 davon die Rede ist,dass sich die Vertragsparteien „bemühen“, Belastungenund Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zuverringern. Jedoch sind andere Bestimmungen des Pro-tokolls klarer formuliert, z.B. Art. 11 über die Ausweisungvon Schutzgebieten: „Die Vertragsparteien verpflichtensich, bestehende Schutzgebiete im Sinne ihres Schutz-zwecks zu erhalten.“ Vergleichbares gilt beim ProtokollBodenschutz von 1998, das nach Art. 14 Abs. 1 den Ver-tragsparteien das Recht zur Erteilung einer Genehmi-

Kauner Grat der Öztaler Alpen. Quelle: Prof. Dr. Martin Seger, Universität Klagenfurt

9

gung von Skipisten in Wäldern mit Schutzfunktionen nurin Ausnahmefällen gewährt.

2. Auswirkungen auf das nationale Recht

Kombiniert mit dem ganzheitlichen Ansatz der Alpen-konvention, ergeben sich aus dieser Eindeutigkeit Pro-bleme für die Vertragsstaaten, welche ihr nationalesRecht mit diesen Regelungen in Einklang zu bringen haben. Da eine Vielzahl nationaler Gesetze im Umwelt-,Naturschutz-, Bau- und Planungsrecht von der Alpenkon-vention betroffen sein werden, stellt sich für den Gesetz-geber die Frage nach der Anpassung der nationalenRechtsvorschriften an die Konvention.

Darüber hinaus werden auch die nationalen Behördenund Gerichte die Konvention und die Protokolle anzu-wenden haben, die schließlich durch Ratifikation Be-standteil der jeweiligen Rechtsordnungen der Vertrags-staaten geworden sind. Eine Anwendung einzelnerBestimmungen der Alpenkonvention bzw. der Protokolledurch nationale Behörden und Gerichte kommt grund-sätzlich in Betracht, soweit diese nach Inhalt, Zweck undFormulierung hinreichend genau sind und keiner weite-ren Ausführungsbestimmung bedürfen. Während nundie Bestimmungen der Alpenkonvention selbst den Ver-tragsparteien einen weiten Beurteilungsspielraum ver-leihen und innerstaatlich allenfalls nur zu Auslegungs-zwecken herangezogen werden können, werden vieleProtokollbestimmungen unmittelbar durch nationaleBehörden und Gerichte als gesetzliche Vorschriften an-gewendet werden können. Ob dies der Fall ist, bleibt imEinzelfall zu prüfen.

Kommt es dann zur Kollision einer unmittelbar anwend-baren Protokollbestimmung mit bestehenden nationalenGesetzen, wird das Protokoll meist schon als speziellereNorm vorrangig heranzuziehen sein. Andernfalls besit-zen die Protokolle, ebenso wie die Alpenkonventionselbst, immerhin eine Maßstabsfunktion. Das bedeutet:Die Behörden und Gerichte müssen sie nach dem Grund-satz der völkerrechtskonformen Interpretation bei derAuslegung des innerstaatlichen Rechts so weit wie mög-lich berücksichtigen. Dabei ist der Alpenkonvention Vor-rang einzuräumen, weil davon auszugehen ist, dass dieVertragsstaaten im Zweifel ihre internationalen Ver-pflichtungen einhalten wollen.

Diese Wirkung der Alpenkonvention und ihrer Protokol-le soll an einem aktuellen Beispiel kurz illustriert werden.Bei der Planung eines neuen Skigebiets im Raum Inns-bruck wurde eine Umweltverträglichkeitsprüfung durch-geführt, ohne dass Art. 14 Abs. 1 des Protokolls Boden-schutz berücksichtigt wurde. Nach dieser Vorschrift sindGenehmigungen für den Bau von Skipisten in Wäldernmit Schutzfunktionen nur in „Ausnahmefällen“ zu ertei-len, in „labilen Gebieten“ dürfen sie überhaupt nicht er-

teilt werden. Dass diese Vorschrift durch eine nationaleBehörde als gesetzliches Verbot direkt angewendet wer-den kann, liegt auf der Hand. So hat auch das zuständi-ge Gericht entschieden und die unter Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 des Protokolls Bodenschutz von der TirolerLandesregierung bereits erteilte Genehmigung für denSkipistenbau aufgehoben.

Andere Bestimmungen in den verschiedenen Protokollenzur Alpenkonvention sind jedoch allgemeiner und unbe-stimmter formuliert. Hier greift die Verpflichtung derBehörden und Gerichte zur völkerrechtskonformen Aus-legung. Das Ziel der jeweiligen Protokollbestimmungmuss in die Anwendung und Abwägung des nationalenUmweltrechts einfließen. Ansatzpunkte hierfür sind diein nationalen Gesetzen enthaltenen unbestimmtenRechtsbegriffe. So sind etwa die im Rahmen einer Um-weltverträglichkeitsprüfung diskutierten Umweltbelangeoder die in einem naturschutzrechtlichen Genehmi-gungsverfahren erörterten Interessen des Naturschutzesim Lichte der Protokolle der Alpenkonvention zu inter-pretieren, mit dem Ergebnis, dass ggf. bestimmte Projek-te nicht zu genehmigen sind.

VI. Bewertung

Die vielschichtige Konvention ist eine große Wundertü-te. Von Kritikern wird befürchtet, die Protokolle seien soumfangreich, zugleich aber so unklar, dass gegenüber je-der staatlichen Maßnahme mit mehr oder weniger sub-tilen Begründungen behauptet werden könnte, eine Ver-pflichtung aus der Alpenkonvention werde verletzt.Umgekehrt könnte aber dieser Umstand genauso gut be-wirken, dass sich eine Überforderung der nationalen In-stanzen im Umgang mit der Alpenkonvention breitmacht, die im Ergebnis zu deren Missachtung führt. Umdies zu verhindern, sollten sich alle zuständigen Stellenin den Mitgliedstaaten mit den Inhalten der Konventionauseinandersetzen.

Prof. Dr. Werner Schroeder, Leopold Franzens Universität Innsbruck

10

Am 19.12.2002 traten die wesentlichen Bestimmungender Alpenkonvention – acht Fachprotokolle sowie ein Pro-tokoll zur Streitbeilegung – durch die RatifizierungenDeutschlands, Österreichs und Liechtensteins völker-rechtlich in Kraft. Ihr Inhalt ist somit Bestandteil des inDeutschland geltenden Rechts.

Rechtliche Umsetzung

Durch ihren sogenannten „self-executing“–Charaktersind die Verpflichtungen in den Protokollen im deut-schen Recht unmittelbar vom Gesetzgeber und den na-tionalen Behörden anzuwenden und müssen beispiels-weise im Rahmen von Genehmigungsverfahren oderUmweltverträglichkeitsprüfungen berücksichtigt wer-den.

Eine Zielrecherche in Verbindung mit dem Ratifizie-rungsverfahren hat ergeben, dass in der deutschen/bayerischen Rechtsetzung nur wenige Lücken im Ver-gleich zu den Zielen der Protokolle bestehen. Neben demLandesentwicklungsprogramm sind die Inhalte der Al-penkonvention und ihrer Protokolle in Bayern vor allem

in den Regionalplänen und mehreren Gesetzen (z.B. Bay.Naturschutzgesetz, Bay. Bodenschutzgesetz, Bay. Wald-gesetz), Verwaltungsvorschriften (Landschaftspflege-richtlinien) und Förderprogrammen (Kulturlandschafts-programm) bereits enthalten.

Zum Teil erreichen die Vorgaben aus den Protokollen lei-der (noch) nicht die gesetzlichen Vorschriften in Bayern.So sind im Gegensatz zu den in der Alpenkonvention fest-gehaltenen Vereinbarungen z.B. Zusatzstoffe zur Verbes-serung der Beschneiung in Bayern nicht zulässig.

Geltungsbereich der Alpenkonvention inDeutschland

Als einziges Bundesland Deutschlands mit Alpenanteilentfallen auf den bayerischen Alpenraum 5,84 % der Ge-samtfläche des Anwendungsgebietes der Alpenkonventi-on1). Obwohl die bayerischen Alpen in Bayern nur einesehr kleine Fläche einnehmen, bilden sie einen wesentli-chen Anteil der bayerischen Identität, und Berge, Volks-musik, Trachten sind wichtiger Teil der bayerischen Tra-dition.

1) Dieser umfasst gemäß Alpenkonvention das Gebiet der Landkreise

Bad Tölz-Wolfratshausen, Berchtesgadener Land, Garmisch-Partenkir-

chen, Miesbach, Rosenheim, Traunstein, Weilheim-Schongau, Ober-

allgäu, Ostallgäu und Lindau (Bodensee) sowie die kreisfreien Städte

Rosenheim, Kaufbeuren und Kempten. Von insgesamt 5.934 Gemein-

den im gesamten Geltungsgebiet entfallen 284 Gemeinden auf

Deutschland/Bayern.

>> Großer Aletschgletscher von Märjela Richtung Konkordiaplatz. Quelle: H. Diem

DIE UMSETZUNG DER ALPENKONVENTION IN BAYERN

11

Nachfolgend werden wesentliche Festlegungen im Vor-feld sowie aktuelle Umsetzungsaktivitäten im bayerischenAlpenraum in Kurzform und zur Anregung weiterer Ak-tivitäten in Bayern beschrieben.

Alpenplan

Schon früh hat man in Bayern erkannt, dass die zuneh-mende Landschaftszerstörung das ökologische Potenzialals wesentliche Grundlage eines attraktiven Lebens- undWirtschaftsraumes gefährdet. Bereits 1972 wurde daherder sogenannte Alpenplan als vorgezogener Teilabschnittdes Landesentwicklungsprogramms Bayern (LEP) erlassenund bei Inkrafttreten des LEP 1976 als Abschnitt Erho-lungslandschaft Alpen in dieses übernommen. Der Alpenplan wurde als vorbeugendes Konzept zur Verhin-derung von Übererschließung, zur Sicherung des Natur-raumes, zur Verminderung des Gefahrenpotenzials durchLawinen und Erosion und zur Sicherung des Gebietes fürdie Erholung aufgestellt. Zur Verwirklichung dieser Zieleist der bayerische Alpenraum in drei Zonen eingeteilt, dieje nach Art unterschiedliche Infrastrukturmaßnahmenerlauben oder untersagen.

In der striktesten Schutzkategorie, der Zone C, sind bei-spielsweise neue Verkehrserschließungen unzulässig, mitAusnahme notwendiger landeskultureller Maßnahmen(z.B. Alm- und Forstwege). Im Zusammenhang mit den Erfahrungen des Lawinenwinters 1998/99 wurde die Zo-ne C bei der Fortschreibung des LEP 2003 auf 43 % desbayerischen Alpenraums erweitert. Auch wenn der Al-penplan in vielen Bereichen positive Wirkung zeigte, sinddurch die verschiedensten Entwicklungen in Europa heu-te die bayerischen Alpen einer Fülle von Problemen aus-gesetzt, die nicht mehr national lösbar sind. Um diese Probleme lösen zu können, braucht es ein alpenweit trag-fähiges Konzept und eine gemeinsame Strategie. Die Alpenkonvention ist dafür der passende Rahmen. Sie ver-stärkt die Zusammenarbeit und Kommunikation zwi-schen den Staaten und Regionen der Alpen und gibt ein-heitliche alpenweite Umweltstandards vor.

Naturgefahren

Im Bereich der alpinen Naturgefahren hat die interna-tionale Zusammenarbeit in Bayern eine lange Tradition.Neben längerfristigen Kooperationen in internationalenOrganisationen werden viele gemeinsame Projekte mitausländischen Partnern durchgeführt (vgl. z.B. EGAR, DIS-ALP, CatchRisk).

Bei der Umsetzung des Zehn-Punkte-Arbeitsprogrammsdes Vorsitzes tritt Bayern insbesondere für die Einrich-tung einer alpenweiten „Plattform Naturgefahren“ zur Alpenkonferenz im November 2004 ein. Die Plattform sollein strategisches Netzwerk aller Alpenstaaten bilden mit dem Ziel, grenzüberschreitende Maßnahmen der Gefahren-Früherkennung und -abwehr schneller undwirksamer umzusetzen (siehe auch „Plattform Naturge-fahren“, S. 38).

Tourismus und Verkehr

Die bayerischen Alpen sind im alpenweiten Vergleich re-lativ dicht besiedelt, da sie sehr hohe Attraktivität alsWohn- und Erholungsraum besitzen. Sie sind touristischgroßflächig dezentral organisiert, wobei der Naherho-lung der Bevölkerung aus den Räumen München, Augs-burg oder Stuttgart neben dem allgemeinen Alpintouris-mus eine große Bedeutung zukommt.

Neben strukturellen Problemen und rückläufigen Über-nachtungszahlen spielen vor allem der zunehmende Naherholungsverkehr an den Wochenenden und derTransitverkehr Richtung Österreich und Italien eine wesentliche Rolle.

Um den Problemen entgegenzuwirken, werden in denbayerischen Alpen seit Jahren Projekte für nachhaltigen Tourismus und Verkehr gefördert und durchgeführt.

Erfolgreiche Beispiele dafür sind das „Öko-Modell Hinde-lang“, „Ökomodell Achental“, Ländliche Regionalent-wicklung „Auerbergland“ (LEADER-Projekt) oder die „Interessengemeinschaft für Autofreie Kur- und Fremden-verkehrsorte in Bayern“ und der Bergsteigerbus des Deut-schen Alpenvereins (DAV) ins Karwendel.

Skibergsteigen umweltfreundlich. Quelle: Deutscher Alpenverein

Beispiele für naturverträgliche Erholung sind die vomBayerischen Umweltministerium geförderten Projekte„Canyoning-Konzept Alpenraum“, „Freizeit und Erholungim Karwendel – naturverträglich“ (beide in Zusammen-arbeit mit Tiroler Landesregierung und DAV) oder „Ski-bergsteigen umweltfreundlich“ (mit DAV).

Im Rahmen der EuRegios im Grenzraum Bayern-Öster-reich gibt es ebenfalls zahlreiche Aktivitäten, wie die„Bergschau“ (Bayern/Vorarlberg, www.bergschau.com)oder zahlreiche grenzüberschreitende Radwege, wie dieneu eröffnete „Via Bavarica Tyrolensis“ (Bayern/Tirol).

Zudem ist Bayern aktiver Partner der Via Alpina (InterregIII B-Projekt), dem Weitwanderweg durch die acht Alpenstaaten.

Umsetzung auf lokaler Ebene

Gemeindenetzwerk

Ein gutes Beispiel für die alpenweite Umsetzung auf lokaler Ebene ist das Gemeindenetzwerk „Allianz in denAlpen“, ein Zusammenschluss von ca. 180 Gemeinden imgesamten Alpenraum von Frankreich bis Slowenien. DasGemeindenetzwerk wurde 1996 von der InternationalenAlpenschutzkommission CIPRA und dem Alpenfor-schungsinstitut Garmisch-Partenkirchen als konkretesUmsetzungsprojekt ins Leben gerufen. Zu den 27 Pilot-gemeinden gehörten auch die bayerischen GemeindenBad Reichenhall, Großweil, Mittenwald, Oberammergau,Oberstaufen und Schliersee.

Seit Beginn unterstützt das Bayerische Umweltministeri-um die daran beteiligten Gemeinden und fortgesetztauch die bayerischen Gemeinden im Rahmen des lau-fenden Projekts DYNALP (Interreg III B), die zum Teil auchMitglied im Gemeindenetzwerk sind. Ziel ist es u. a., mitden vom Bayerischen Umweltministerium eingebrachtenMitteln die Vernetzung und die Gewinnung neuer Mit-glieder im Gemeindenetzwerk zu unterstützen. Wurdenin der Vergangenheit verstärkt modellhafte Umsetzungs-wege für die Alpenkonvention - beispielsweise zu Land-schaftspflege, Ökotourismus oder Energie - gewonnen, sobesitzt heute der Best Practise-Transfer einen vergleichbarhohen Stellenwert.

Partner des Projekts sind u.a. das Achental, Reit im Winkl,Chiemsee, Oy-Mittelberg, Oberstaufen und Bad Reichen-hall. Oberstaufen schloss sich zudem Ende 2002 im Rah-men des EU-Programms LEADER+ mit 12 Nachbarge-meinden zur Region „Impuls Westallgäu 10+“ zusammen,die sich unter dem Motto „Wir handeln über Grenzen“für die Verbesserung der Lebensqualität im ländlichenRaum einsetzen wollen. Die Projekte beschäftigen sichz.B. mit der Inwertsetzung des regionalen Rohstoffs„Weißtannenholz“ oder mit der Verbesserung des ÖPNV-Angebots in den Gemeinden sowie der regionalen An-

bindung. Weiters wurde eine Internetplattform „Genera-tionenring“ installiert, die das gesamte Angebot kultu-reller und sozialer Einrichtungen des Westallgäus inte-grieren soll.

Alpenstadt des Jahres

Ein weiteres Netzwerk ist die Interessengemeinschaft „Al-penstadt des Jahres“. Unter diesem Titel wird eine Al-penstadt für ihr besonderes Engagement bei der Umset-zung der Alpenkonvention ausgezeichnet. Im Jahre 2001war Bad Reichenhall „Alpenstadt des Jahres“. Im Zugedessen wurde von insgesamt 15 Anliegergemeinden desgrenzüberschreitenden Flusses Saalach aus Österreichund Bayern die sog. „Saalachresolution“ unterzeichnet.Unter anderem wurde ein „Saalacherlebnisweg“ mit Info-tafeln zu Fauna und Flora, Geschichte und Kultur etc. vonder Quelle bis zur Mündung begonnen, der noch heuerim Rahmen der EuRegio Salzburg-Berchtesgadener Land-Traunstein fertiggestellt werden soll.

Als Alpenstadt 2005 wurde Sonthofen im Allgäu ausge-wählt. Die bisherigen und geplanten Aktivitäten der Stadtfür eine nachhaltige Entwicklung (Beisp. Leitbild „Zu-kunft Sonthofen“) sollen damit verstärkt unter dem Blick-winkel des aktiven Auseinandersetzens mit der Alpen-konvention und ihrer Protokolle und der alpinen undstädtischen Identität stehen.

Regionale Umsetzung von Umweltqualitätszielen

Initiativen wie EuRegios oder Lokale Aktionsgruppen(LAG) im Rahmen von LEADER+ sind gut geeignet, die Zie-le der Alpenkonvention auf regionaler Ebene zu konkre-tisieren und umzusetzen.

Dies zeigte sich u.a. im Rahmen des Projekts „RegionaleUmsetzung von Umweltqualitätszielen im Alpenraum“.Im Landkreis Berchtesgadener Land wurde im Auftragdes Umweltbundesamtes in Kooperation mit den bereitsbestehenden Arbeitskreisen des Agenda 21-Prozesses und

12

Bad Reichenhall – Mitglied im Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“ der 1. Stunde und Alpenstadt des Jahres 2001. Quelle: Stadt Bad Reichenhall

anderen aktiven Interessengruppen der Bevölkerung un-tersucht, wie die auf nationaler Ebene formulierten Zie-le der Alpenkonvention auf lokaler Ebene mit Leben er-füllt werden können. Dabei wurde die Durchgängigkeitder Ziele der Alpenkonvention innerhalb der regionalenPläne und Programme sowie die Übereinstimmung derZiele des landesweiten Agenda 21-Prozesses mit den Zie-len der Alpenkonvention geprüft. Beispielsweise findenim Nationalparkplan von Bayerns einzigem Alpen-Natio-nalpark Berchtesgaden die Alpenkonvention und ihreProtokolle als Rechtsgrundlage Berücksichtigung. Der Na-tionalpark ist zudem aktives Mitglied des Netzwerks alpi-ner Schutzgebiete.

Öffentlichkeitsarbeit

Im Rahmen des Projekts wurde die große Bedeutung ei-ner gezielten Öffentlichkeitsarbeit über Ziele und Nutzender Alpenkonvention deutlich, da die Alpenkonvention,ihre Protokolle und die darin enthaltenen Ziele bei der

breiten Bevölkerung, engagierten Organisationen undselbst bei den Behörden und Gemeinden noch weitge-hend unbekannt sind.

Erfolgreiche Aktivitäten, wie die vom DAV in Zusam-menarbeit mit Bundesumweltministerium und Bayeri-schem Umweltministerium durchgeführte Veranstaltung„Bergforum 2004“ oder auch die nun vorliegende Um-setzungsbroschüre, bilden erste Ansätze einer erfolgrei-chen Öffentlichkeitsarbeit, die auch künftig einenSchwerpunkt bei der angestrebten Umsetzung einneh-men muss.

Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Deutschland

13

Nationalpark Berchtesgaden, Bayerns einziger Alpen-Nationalpark ist Mitglied im Netzwerk alpiner Schutzgebiete. Quelle: Bayer. Staatsministerium für Umwelt,Gesundheit und Verbraucherschutz

14

Österreich ist Vertragspartei des Übereinkommens zumSchutz der Alpen (Alpenkonvention), BGBl. 1995/477 i. d.F. BGBl. III 1999/18 und seit der VI. Tagung der Alpen-konferenz, 30./31. Oktober 2000 in Luzern nicht nur Sig-natar, sondern seit 18. Dezember 2002 mittlerweile auchVertragspartei aller bislang im Rahmen der Alpenkon-vention ausgearbeiteten Protokolle.

Im Zuge der innerösterreichischen parlamentarischenBehandlung wurde festgelegt, dass die Protokolle der Al-

penkonvention gesetzändernden bzw. gesetzergänzen-den Charakter haben. Da die Durchführungsprotokollezur Alpenkonvention Angelegenheiten regeln, die auchden selbstständigen Wirkungsbereich der Länder betref-fen, war überdies die Zustimmung der Länderkammer(Bundesrat) erforderlich. Sowohl der Beschluss im Natio-nalrat als auch der Beschluss im Bundesrat wurde übri-gens einstimmig gefasst.

Im Zuge des parlamentarischen Verfahrens wurde be-züglich der Protokolle – im Gegensatz zur Mutterkon-vention – beschlossen, dass alle der unmittelbaren An-wendung im innerstaatlichen Rechtsbereich ab dem

Zeitpunkt des Inkrafttretens zugänglich sind, sodass eineErlassung von Gesetzen nicht erforderlich ist.

Das Fehlen eines solchen gesetzlichen Erfüllungsvorbe-haltes hat nun zur Folge, dass die Protokolle zur Alpen-konvention innerstaatlich unmittelbare Wirksamkeit er-langt haben und demgemäß sowohl vom Gesetzgeber alsauch von der Vollziehung entsprechend zu berücksichti-gen sind, sofern sie dazu geeignet („self executing“) sind.

Ob eine Bestimmung unmittelbar anwendbar ist, hängtalso davon ab, ob sie hinreichend bestimmt im Sinne desin der Verfassung verankerten Legalitätsprinzips ist, wasnur im Einzelnen beurteilt werden kann.

Ist es offenkundig, dass eine Norm nicht „self executing“ist, so ist diese Bestimmung auch nicht anwendbar. Ist die Eignung zur unmittelbaren Anwendbarkeit („bloß“) zweifelhaft, so wird die unmittelbare Anwendbarkeit an-genommen. Mittlerweile geht der österreichische Verfas-sungsgerichtshof ebenso von der unmittelbaren An-wendbarkeit des Art. 14 des Bodenschutzprotokolls aus.

Brandberg im hinteren Zillertal gehört dem Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“ an. Die Inhalte des Durchführungsprotokolls „Berglandwirtschaft“ werden hiervollinhaltlich umgesetzt. Quelle: P. Tasser

DIE UMSETZUNG DER PROTOKOLLE DER ALPENKONVENTION IN ÖSTERREICH

15

Im Lichte dieser Ausführungen wurde in Österreich folgendeGrobeinteilung der Protokollbestimmungen getroffen:

1. Bestimmungen, die unmittelbar anwendbar (also „selfexecuting“) sind, d.h. solche, die von rechtsanwendendenVollzugsorganen und Behörden ohne weitere Transfor-mation oder Modifikation zur Anwendung gebracht wer-den

Jedenfalls innerstaatlich umzusetzen sind die zahlreichenBerichts- und Untersuchungspflichten der einzelnen Pro-tokolle, speziell des Protokolls Naturschutz und Land-schaftspflege. Bei anderen unmittelbar anzuwendendenBestimmungen der Protokolle ist zur Vermeidung all-fälliger Kompetenzkonflikte weiters zu untersuchen, obihr Inhalt bereits dem Rechtsbestand von Bundes-und/oder Landesgesetzen angehört. Fehlen solche, sinddie Protokollbestimmungen unmittelbar anzuwenden;bei widersprüchlichem Inhalt zu bestehenden Vorschrif-ten sind die üblichen Auslegungsregeln heranzuziehen.

Beispiele: Art. 12 (2) Tourismusprotokoll; Art. 11 (1) Natur-schutzprotokoll

2. Aufträge, die darauf abzielen, legistische Anpassungenin Gesetzen bzw. Verordnungen durchzuführen bzw. alsneue Bestimmungen hinzuzutreten

Ein möglicher Umsetzungsbedarf ist lediglich in wenigeneinzelnen Bereichen, etwa bei verschiedenen Planungs-vorgaben, gegeben; einzelne Bestimmungen könnenauch zu Umstrukturierungen und Neupositionierungenallenfalls im Förderbereich führen.

Beispiele: Art. 2 Bergwaldprotokoll (a. - Verordnung gegenforstschädliche Luftverunreinigungen); Art. 8 Protokoll Raum-planung und Nachhaltige Entwicklung; Art. 10 ProtokollRaumplanung und Nachhaltige Entwicklung

3. Bestimmungen, die eher deklaratorischen Charakterhaben, aber dennoch als Argumentations-, Auslegungs-und Begründungshilfen durch die Behörden zu berück-sichtigen wären

Der Großteil der Bestimmungen hat deklaratorischenCharakter und ist allenfalls zur Interpretation, politischenZielbestimmung und als Maßstab für allfällige Interes-sensabwägungen heranzuziehen.

Beispiele: Art. 6 (3) Tourismusprotokoll; Art. 3 Verkehrsproto-koll

In Österreich sind wir in der durchaus beneidenswertenLage, dass es ein eigenes Meinungsbildungs- und Akkor-dierungsgremium in Form des Österreichischen Natio-nalen Komitees gibt, eine seit 14 Jahren bestehende in-nerstaatliche Koordinationsplattform, beschickt mitVertretern aus den Bundesländern, den betroffenen Mi-nisterien, nationalen NGOs und den Sozialpartnern. Die-se beiratsähnliche Einrichtung ermöglicht es – wie in derVergangenheit schon erfolgreich bei der Abfassung derösterreichischen Stellungnahmen zu den Protokollent-würfen praktiziert –, den Implementierungsbedarf aufbreiter nationaler Basis festzulegen.

Ein in diesem Kreis ausgearbeiteter Umsetzungskatalogwurde mittlerweile verabschiedet und allen im Alpen-raum gelegenen erstinstanzlichen Behörden weitergelei-tet. Diese Unterlage stellt eine erste Einschätzung undrechtliche Bewertung dar und enthält eine grobe Zu-sammenschau der in Umsetzung der Durchführungspro-tokolle notwendigen Schritte. Damit soll der anstehendenImplementierung ein weiterer Impuls gegeben werden,sodass ein dynamischer Prozess ausgelöst wird, der ein-hergehend mit einer permanenten Weiterentwicklungund Neugewichtung der in dieser Unterlage vorgeschla-genen Umsetzungsschritte schließlich in einer öster-reichweiten, konsistenten Entscheidungs- und Spruch-praxis mündet.

Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Österreich

16

DIE ROLLE DER NETZWERKE

Gemeinde-Netzwerk „Allianz in den Apen“.Die Alpenkonvention – kein utopischerWunsch, sondern machbare Realität – amBeispiel der Gemeinde Mäder

1. Ein Netzwerk entsteht

Die Idee: Um die Alpenkonvention zum Leben zu erwecken, soll ein Netzwerk geschaffen werden. CIPRA International und das Alpenforschungsinstitut (AFI) haben darum mit Unterstützung der Europäischen Union mit 27 Pilotgemeinden aus dem gesamten Alpen-bogen ein ÖKO-Audit-Verfahren für Alpengemeindenentwickelt.

Die Gemeinden arbeiteten im Sinne von Lokalen Agen-den in den Bereichen Energie, Raumplanung, Verkehr,Tourismus, Wasser, Berglandwirtschaft, Wald und Ab-fallwirtschaft. Für diese Bereiche wurden Checklisten zurBestimmung des Ist-Zustandes entwickelt.

Um gleich von Beginn an mit denselben Maßstäben zu ar-beiten, wurden internationale Treffen veranstaltet. Beim3. Erfahrungsaustausch in Bovec (SLO) gründeten die 27Pilotgemeinden den Verein „Gemeinde-Netzwerk Allianzin den Alpen“.

Mit Jahresanfang 2003 ist die Zahl der Mitgliedsgemein-den auf 140 mit einer Fläche von über 6.000 km2 ange-wachsen. Eine große Herausforderung stellt dabei dieSprachenvielfalt dar. Sämtliche offizielle Dokumente wer-den in den vier Hauptsprachen Französisch, Italienisch,Slowenisch und Deutsch herausgegeben.

Für den Informationsaustausch steht neben dem „Netz-werk-Info“, der Mitgliederzeitung, auch das Internet zurVerfügung. Auf der Homepage www.alpenallianz.org gibtes neben dem Zugang zu allen Mitgliedsgemeinden aucheine Beispielsammlung von über 200 „das Überleben imAlpenraum sichernden Projekten“.

Die Mitglieder wollen aber nicht nur selbst beispielhaftwirken. Sie wollen auch eine gemeinsame starke Stimmefür ein nachhaltiges Bewohnen der Alpen erheben. Denersten Erfolg erzielten sie mit einer Resolution zum Ver-kehrsprotokoll. In dieser Resolution wurden die Umwelt-ministerInnen aufgefordert, bei der Konferenz in Luzern(CH) im Herbst 2000 das Verkehrsprotokoll in der vorlie-genden Form zu unterfertigen. Die Resolution wurde aufder Ministerkonferenz behandelt. Das Ergebnis der Minis-terkonferenz entspricht voll umfänglich der Resolution.

2. Umsetzung auf Gemeindeebene

Mäder liegt im Vorarlberger Rheintal direkt am Rhein auf414 m Seehöhe. Der Rhein, der größte Wildbach Europas,hat über Jahrhunderte hinweg das Schicksal der Ge-meinde bestimmt und war auch für die bis in die fünfzi-ger Jahre dieses Jahrhunderts fast sprichwörtliche Armutverantwortlich.

Daher hat sich in der Gemeinde Mäder in den letzten 40Jahren mehr verändert als ein paar Jahrhunderte vorherzusammengenommen. Bei der Volkszählung 1951 hatteMäder 786 EinwohnerInnen, 1991 waren es 2.724, undheute sind es rund 3.240. Die Zahl der Häuser ist in die-sem Zeitraum von 180 auf rund 900 angewachsen. Da-

>> Zwischen Anorga und Lago di Cancano: Blick Richtung Osten nach Valdidentro. Quelle: H. Diem

mals waren einige Einmann-Betriebe im Dorf, heute werden in 40 Betrieben über 800 Arbeitsplätze angebo-ten.

Um zu verstehen, was heute geschieht, muss man die Ver-gangenheit ein wenig kennen. Im 17. und 18. Jahrhunderthat der Rhein durch die zunehmende Besiedlung imOberlauf und das Abholzen der Wälder vermehrt Hoch-wässer mit katastrophalen Auswirkungen im wahrstenSinn des Wortes durch die Gemeinde Mäder geführt. Mäder stand vor der Aufgabe. Die Verantwortlichen da-mals konnten erreichen, dass der Wildbach Rhein in einschmales Bett zurückgedrängt wurde.

Dadurch war es möglich, die vorher vorhandenen Auenabzuholzen und der Landwirtschaft zugänglich zu ma-chen. Diese Auwälder haben jedoch nicht nur Wasserzurückgehalten, sie waren auch Windschutz. Das Dorfwar ohne diese Auwälder dem Wind preisgegeben, undFöhnstürme trugen regelmäßig Dächer von den Häusern.

Protokoll „Landschaftspflege“

1973 wurde vom Land Vorarlberg ein Landschaftsschutz-gesetz erlassen. Die neue Landesstelle für Natur- undLandschaftsschutz fragte bei den Vorarlberger Gemein-den an, ob sie Landschaftsschäden namhaft machenkönnten, die es zu sanieren gelte. Die Gemeinde Mädermeldete die Abholzung der ehemaligen Rheinauen imAusmaß von ca. 20 ha als Landschaftsschaden an. DasLand ging auf das Mäderer Begehren ein, verlangte aberein Gesamtkonzept über das Gemeindegebiet.

Flurgehölzbepflanzungsplan

Mit Mario Broggi als Planer wurde ein Flurgehölz-bepflanzungsplan erarbeitet. Der Richtplan sah vor,

ca. 80.000 Bäume und Sträucher auf rund 15 km Längezu pflanzen. Der Raumbedarf wurde mit ca. 2 % der Ge-meindefläche ermittelt. Der Flurgehölzbepflanzungsplanwurde zu über 90 % in die Tat umgesetzt. Insgesamt wurden über 70.000 Bäume und Sträucher gepflanzt. ImFlurgehölzrahmenplan wurden viele andere landschafts-planerische Anliegen ebenfalls aufgegriffen, so etwa dieRekultivierung einer gemeindeeigenen Kiesgrube undderen Umwandlung in ein Erholungsgebiet, welches daserste Landschaftsschutzgebiet Vorarlbergs wurde.

Zum 10-jährigen Bestehen des Flurgehölzbepflanzungs-planes wurde dann ein Grünordnungsplan für den Sied-lungsraum erstellt. Bereits im Flurgehölzrahmenplanwurde die Idee entwickelt, im Siedlungsgebiet einegrößere Natur- und Erholungsanlage zu platzieren. Damitwurde auch aufgezeigt, dass die Natur am Siedlungsrandnicht aufhört. Der Grünordnungsplan hat drei Aufgaben:

1. die Gestaltung des Ortsbildes im Zusammenwirkenmit dem Flächenwidmungs- und Verkehrsplan

2. die Sicherung der Benutzbarkeit der Freiräume

3. die Stärkung des Naturhaushaltes im Siedlungs-gebiet.

Er beinhaltet damit die Voraussetzungen für die lang-fristige Erhaltung einer angemessenen Qualität der Um-welt.

Gemeindeentwicklungsplanung

1992 wurde im Zuge der Gemeindeentwicklungsplanungmit dem Büro stadtland das Ziel „Mäder soll Umweltmu-stergemeinde werden“ festgelegt. „Gemeindeentwick-lungsplanung“ wird dabei als ein einer Lokalen Agenda21 gleichlaufender Prozess definiert. Die Gemeindever-

17

Umsetzung der Alpenkonvention in der Gemeinde Mäder, Österreich. Quelle: Gemeinde Mäder

18

antwortlichen erarbeiten gemeinsam mit der Bevölke-rung Ziele und Aktionen.

Darin wurden unter anderem folgende Ziele fest-gelegt:

1. Schutz von Kleinbiotopen

2. Naturnahe Gartengestaltung

3. Gestalterische Aufwertung des ortnahen Grünraumes

4. Schutz wertvoller Obstwiesen

Protokoll „Energie“

Sanierung Vereinsheim

In den Rahmen dieses Protokolls fallen die Sanierung ge-meindeeigener Gebäude. Besonders deutlich zeigt sichdieses genutzte Einsparungspotenzial beim Vereinsheim,der ehemaligen Volksschule. Das Gebäude verbrauchtevor der Sanierung jährlich 16.000 l Öl und emittierte da-mit rund 45 Tonnen CO2. Nach der Sanierung betrug derEnergieverbrauch in den letzten sechs Heizperiodendurchschnittlich 32.000 kWh, wobei diese durch eineBiomassenahwärmeversorgung abgedeckt werden undsomit der CO2-Ausstoß auf 0 gesenkt werden konnte. DieEnergiekennzahl wurde von 240 kWh/m2 auf 48 kWh/m2

gesenkt. Dies war wirtschaftlich nur möglich, weil die Gemeinde die externen Kosten mit in Wirtschaftlich-keitsberechnungen einbezieht.

Die öffentliche Hand darf keinen volkswirtschaftlichenSchaden anrichten!

Biomassenahwärmeversorgung

Das Schul- und Kulturzentrum wird seit 1994 durch eineBiomassenahwärmeversorgung mit Wärme versorgt. Die-se Anlage wiederum wird zu rund 60 % aus Durchfors-tungsmaterial aus den vor über 20 Jahren gepflanztenFlurgehölzen beliefert. Dadurch ergeben sich minimaleTransportwege, und der CO2-Kreislauf wird im unmittel-baren Nahbereich geschlossen.

Öko-Hauptschule

Die Verantwortlichen in der Gemeinde Mäder vertretendie Auffassung, dass eine nachhaltige Veränderung desLebensstils der Bevölkerung nur über die heranwachsen-de Jugend erfolgen kann. Aus diesem Gedanken herauswurde der Entschluss gefasst, die neue Hauptschule alsÖko-Hauptschule zu führen und als ökologisches Mus-tergebäude zu planen und zu errichten.

Im Januar 1997 wurde mit dem Bau begonnen, und imSeptember 1998 war das Gebäude bezugsfertig. Mit derersten Öko-Hauptschule des Landes wurde gleich aufmehreren Ebenen Neuland betreten: Einmal ist es derökologische Unterrichtsschwerpunkt, zum anderen han-delt es sich bei der Schule um ein Niedrigst-Energie-Ge-bäude, das mit weniger als 20 kWh/m2 Nutzfläche aus-kommt. Diese Werte werden durch die Würfelform desHauptgebäudes mit geringstmöglichem Außenhautan-teil und die teilweise Versenkung der Turnhalle, aberauch durch hochwertige Wärmedämmung und Isolier-gläser in Verbindung mit Wärmerückgewinnung undErdkollektoren erreicht. Die restliche Heizenergie wirdüber die Biomasseheizung CO2-neutral gewonnen. Eineeigene Studie über „Die Optimierung des ökologischenMaterialeinsatzes“ garantierte eine optimale Baustoff-auswahl.

Auf dem Dach der Turnhalle ist eine 105 m2 große Foto-voltaikanlage errichtet worden. Diese Anlage wird stän-dig erweitert. Im Jahr 2000 konnte ein 8 m2 großes Son-nenrad in Betrieb genommen werden. Die Anlage hateine Spitzenleistung von 12,3 kWh und liefert einenJahresstromertrag von ca. 11.000 kWh. Die Erwärmungdes Nutzwassers erfolgt mittels einer Solaranlage. Dazuwurden auf dem Dach der Hauptschule 28 m2 Kollekto-ren verlegt. In der Technikzentrale sind zwei hochge-dämmte Nutzwasserspeicher mit insgesamt 3.000 LiterInhalt.

Das Regenwasser, welches auf die verbaute Fläche fällt,wird nicht in die Kanalisation, sondern in einen Teich imSchulhof eingeleitet, wo es verdunsten oder versickernkann.

Straßenbeleuchtung

Über Vorschlag des e5-Teams (e5 ist ein Programm fürenergieeffiziente Gemeinden, das durch das Energie-institut Vorarlberg nach dem Muster „EnergiestadtSchweiz“ initiiert wurde; mittlerweile beteiligen sich Ge-meinden aus Vorarlberg, Tirol und Salzburg an diesemfreundschaftlichen Wettbewerb.) wurde beschlossen, dieStraßenbeleuchtung auf den modernsten Stand zu brin-gen. Dabei wurden alle Quecksilberdampflampen (weißesLicht) durch Natriumdampflampen (gelbes Licht) ersetzt.Gleichzeitig können die Lampen jetzt einzeln geregeltwerden.

In der Gemeinde Mäder gibt es rund 340 Lichtpunkte.109 über 20 Jahre alte Lampenköpfe wurden durch neue Leuchten ersetzt. Der Rest wurde umgerüstet. Dasbringt vor allem eine höhere Gleichmäßigkeit der Aus-leuchtung, wodurch die Sicherheit und der Komfortebenfalls erhöht werden. Gleichzeitig wurden die acht Schaltschränke auf den neuesten technischen Standgebracht. Die gesamten Umrüstungskosten beliefen sich auf 0 88.000,–.

19

Stand der Mitgliedsgemeinden

Energiecontracting Solaranlage Fußballclub

1999 erhielt das Clubheim des FC Mäder eine neue Hei-zung und Warmwasserbereitung. Die Gemeinde finan-zierte die Anlage als Contractor vor und der FC Mäderführt 15 Jahre lang 90 % der gesparten Energiekosten alsTilgung an die Gemeinde ab. Der dadurch nicht gedeck-te Betrag ist eine Direktförderung durch die Gemeinde.

Für die Warmwasserbereitung wurde ein Sonnenkollek-tor mit 32 m2 an die Südostfassade des Clubheimes mon-tiert. Zusammen mit der neuen Heizung können damitrund 35 % Energie gespart werden.

Energiekonzept

Energiesparen und die Verwendung erneuerbarer Ener-gien wird immer mehr zum Thema. Um in diesem Be-reich den Überblick zu bewahren, hat die Gemeinde Mä-der ein Energiekonzept erarbeitet.

In diesem Energiekonzept werden einerseits alle von derGemeinde Mäder eingegangenen Verpflichtungen, dieauf den Energieverbrauch Auswirkungen haben, aufgelis-tet. Hier geht es beispielsweise darum, dass sich die Ge-meinde durch den Beitritt zum Klimabündnis verpflich-tet hat, die CO2-Emission aus dem Jahr 1998 bis zum Jahr2010 um 50 % zu senken. Oder: Mit dem Beitritt zum Ge-meinde-Netzwerk „Allianz in den Alpen“ hat sich die Gemeinde verpflichtet, dass der Verbrauch erneuerbarerRessourcen nicht schneller erfolgen darf, als sie durch

dauerhafte erneuerbare Ressourcen ersetzt werden kön-nen. Selbstverständlich sind wir auch mit dem e5-Pro-gramm eine Verpflichtung eingegangen: die Umsetzungeiner kontinuierlichen energiepolitischen Arbeit in derGemeinde.

Darauf aufbauend werden die Ergebnisse des Räumli-chen Entwicklungskonzeptes und des Flächenwidmungs-planes nochmals dargestellt. Die von der Gemeinde alsVerwaltungseinheit verursachten Energieverbräuchewerden anhand der Gebäude und der sonstigen Einrich-tungen wie Straßenbeleuchtung, Wasserversorgung undKanalisation einzeln dargestellt. Verbesserungspotenzia-le werden formuliert und als verbindliche Ziele für dieVerwaltung festgeschrieben.

Im Anschluss werden die Bereiche Verkehr, Öffentlich-keitsarbeit und Förderung untersucht. Insbesondere beider Förderung geht es darum, klare Ziele zu haben, da-mit nicht nach dem „Gießkannenprinzip“, sondern mög-lichst effektiv das Energiesparen und die erneuerbarenEnergien gefördert werden.

In einem gesonderten Kapitel wird untersucht, inwieweitauf den Energieverbrauch der privaten Haushalte, der Ge-werbe- und Industriebetriebe eingewirkt werden kann.Hier soll in den nächsten drei Jahren eine Energiekarteerarbeitet werden, auf welcher ersichtlich ist, durch wel-che Maßnahmen die höchsten Einsparungen erzielt wer-den können, wo die Nutzung von Abwärme möglich istund wo sonst sinnvolle energierelevante Maßnahmen ge-setzt werden können.

Protokoll „Raumplanung und nachhaltige Entwicklung“

Bereits 1965 hat die Mäderer Gemeindevertretung be-schlossen, einen Flächenwidmungsplan ausarbeiten zulassen. Beauftragt wurde Univ.Prof. Dr. Rudolf Wurzervon der Technischen Hochschule Wien.

Prof. Wurzer vertrat in der damaligen Zeit, die von star-kem Bevölkerungswachstum und -zuzug dominiert war,die Auffassung, das Vorarlberger Rheintal entwickle sichim Laufe der Jahre zu einem geschlossenen Stadtgebietund die einzelnen Gemeinden würden zu Stadtteilen. Dadann das gesamte Rheintal überbaut wäre, würde jederdieser einzelnen Stadtteile einen eigenen Erholungsparkbenötigen – ähnlich dem Central Park in Manhattan.

Räumliches Entwicklungskonzept

In den Jahren 2000 und 2001 wurde in einem offenen Pla-nungsprozess ein Räumliches Entwicklungskonzept erar-beitet. Dabei wurde festgelegt, die Durchgrünung des Or-tes zu stärken und das Bauland zu reduzieren.

Flächenwidmungsplanung

Bei der Umsetzung des Räumlichen Entwicklungskon-zeptes in einen Flächenwidmungsplan wurden rund150.000 m2 aus der Bauwohnfläche herausgenommen.Das sind 11,9 % des vormaligen Bauwohngebietes. DieFreifläche Landwirtschaft wurde bis auf die Flächen umdie bestehenden Höfe in Freifläche Freihaltegebiet um-gewandelt. Damit ist jede Bebauung verboten.

Unternehmen.V

Mit „Unternehmen.V“ wurde in Vorarlberg durch dasBüro für Zukunftsfragen, den Umweltgemeindeverband

und den Vlbg. Verkehrsverbund eine Plattform ins Lebengerufen, die sämtliche AkteurInnen, die sich auf Ge-meindeebene für eine nachhaltige Entwicklung einset-zen, zusammenbringen soll.

In der Pilotphase von „Unternehmen.V“ wurden in vierGemeinden, darunter auch in Mäder, Arbeitsgruppengebildet, die die Kompetenzen in den Bereichen Wirt-schaft, Umwelt, Soziales/Kultur und globale Verantwor-tung an einen Tisch bringen sollen. Diese Teams hattendie Aufgabe, anhand einer Checkliste den Entwicklungs-prozess ihrer Gemeinde selbst zu evaluieren.

In einem nächsten Schritt sammelten die Gruppen an-hand der vorhandenen Leitbilder beispielhafte Maßnah-men ihrer Gemeinde und bewerteten diese mit Hilfe desUnternehmen.V-Nachhaltigkeitsrasters. Wie dem Nach-haltigkeitsraster der Gemeinde Mäder leicht entnommenwerden kann, ist vor allem im Bereich Wirtschaft noch ei-niges aufzuholen.

Daher wird in einem ersten Schritt versucht, in einer in-ternen Arbeitsgruppe, die sich aus Gemeindevertreter-Innen und Mitgliedern des Ausschusses für Wirtschaftund Verkehr zusammensetzt, einen Zielkatalog zu erar-beiten.

Protokoll „Bodenschutz“

Zwei von der Gemeinde Mäder installierte Förderungenhaben den Bodenschutz als integrales Ziel.

Landwirtschaftsförderung

Zum einen gewährt die Gemeinde eine 25 %ige Er-höhung der ÖPUL-Förderung (eine Bundesförderung zurÖkologisierung der Landwirtschaft). Hier wird jährlichein Betrag von etwa 0 7.000,-- ausgeschüttet.

20

Gemeinde Schliersee – ein weiteres Mitglied im Gemeindenetzwerk . Quelle: Gäste-Information Schliersee, www.schliersee.de

21

Biogasförderung

Zum anderen wird die Nutzung von Biogas gefördert. Dasbringt einerseits eine Klimaentlastung, auf der anderenSeite wird eine Verbesserung des Bodenlebens erzielt,wobei gleichzeitig der zugekaufte Handelsdünger ersetztwerden kann. Die im Sommer 2002 im Betrieb genom-mene Anlage erzeugt jährlich über 200.000 kWh Stromund spart etwa 270 Tonnen CO2/Jahr. Der Baukosten-zuschuss durch die Gemeinde betrug rund 0 36.000,–.

Protokoll„Verkehr“

Micronetzwerk

Gemeinsam mit den Netzwerkgemeinden Frastanz (A),Grabs (CH), Mauren (FL) und Schaan (FL) wird in einemInterreg IIIA-geförderten Projekt versucht, die eigenenVerkehrsprobleme zu lösen. Ziel ist die Stärkung der innerörtlichen Rad- und Fußwege. Wir versuchen immerwieder, für FußgängerInnen und RadfahrerInnen Abkür-zungen gegenüber den motorisierten Verkehrsteilneh-merInnen zu erreichen.

Das Projektziel in Mäder ist: Kein Kind wird mit demAuto zur Schule gebracht.

Nach dem hoffentlich erfolgreichen Abschluss des Pro-jekts wollen wir aus den darin gewonnenen Erkenntnis-sen Forderungen an die regionale und überregionale Ver-kehrspolitik ableiten und selbstverständlich nach außentransportieren.

Protokoll „Bevölkerung und Kultur“

Sozialprofil

Am 22. April 2002 beschloss die Gemeindevertretung ein-stimmig das Sozialprofil „Mäder – Ein Leben lang“. Über120 MädererInnen arbeiteten daran mit.

In einem rund 100 Fragen starken Fragebogen wurdender Ist-Zustand und die Meinungen der Bevölkerung überdas soziale Leben in Mäder erhoben. Anschließend wur-den in Arbeitsgruppen zu den fünf Themenbereichen„Unsere Kinder – Unsere Jugendlichen – Unsere Famili-en“, „Wir leben miteinander – Wir brauchen einander“,„Lebensqualität, die sich lohnt“, „Älter werden in Mäder“und „Senioren- und Sozialzentrum“ Leitsätze sowie Maß-nahmen zu deren Umsetzung erarbeitet. Diese Umset-zung ist derzeit voll im Gange. Die drei Einstiegsprojekte„Kreativraum“, „Erzählcafé“ und „Kulturen begegnensich“ sind bereits Bestandteil des Mäderer Dorflebens ge-worden, weitere werden folgen.

Miteinander

Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus 10 österreichischenund 10 türkischen Frauen, stellte sich im Rahmen der Ar-beit am Sozialprofil die Aufgabe:

■ Die beiden Kulturen nebeneinander stellen, zeigen, dasssie miteinander leben können, ohne dass eine die ande-re „verschluckt“ (Integration ist nicht gleich Assimilation).

■ Verständnis für die jeweiligen Wurzeln wecken, um ei-ne Verständigung ohne Angst zu ermöglichen.

■ Das Zusammengehörigkeitsgefühl im sozialen Netz derGemeinde Mäder stärken.

■ Verständigung lernen, um konfliktfreier miteinander le-ben zu können.

■ Vorurteile und Missverständnisse abbauen.

■ Die Schaffung von Möglichkeiten zu regelmäßigen Be-gegnungen fördern und unterstützen.

Auftakt war die dreitägige Veranstaltung „Ihr und mir –Miteinander – Siz ve Biz“ mit einer Ausstellung, Schauko-chen, einer orientalischen Ecke, einem Festabend mitLiedern, Tänzen und Darstellung von Bräuchen, einemPodiumsgespräch über Unterschiede und Gemeinsam-keiten der Islamischen und der Katholischen Kirche undÄhnlichem. Rund 500 sowohl türkische, als auch öster-reichische BesucherInnen zeigten großes Interesse amThema.

Jetzt geht es weiter mit Kochabenden, Alltagsdeutsch-kursen, Tanznachmittagen, regelmäßigen Treffen, ... dieKulturen, die sich begegnen, beschränken sich natürlichnicht mehr nur auf türkisch-österreichisch.

Rainer Siegele, Gemeinde-Netzwerk „Allianz in den Alpen“

Das Netzwerk Alpiner Schutzgebiete. Umsetzung des Naturschutzprotokolls seit der ersten Stunde

Schon 1994 wird von französischer Seite der Aufbau einesNetzwerks der Alpinen Schutzgebiete zur Verbesserungder internationalen Zusammenarbeit im alpinen Natur-schutz vorgeschlagen. Die konkrete Umsetzung des Artikels 12 des Naturschutzprotokolls war hierfür derStartpunkt: „Die Vertragsparteien treffen geeignete Maß-nahmen, um einen nationalen und grenzüberschreiten-den Verbund ausgewiesener Schutzgebiete, Biotope undanderer geschützter oder schützenswerter Objekte zu

22

schaffen. Sie verpflichten sich, die Ziele und Maßnahmenfür grenzüberschreitende Schutzgebiete aufeinander ab-zustimmen.“

Während der ersten internationalen Konferenz der Alpi-nen Schutzgebiete 1995 in Gap beschließen die aus allenAlpenländern vertretenen Schutzgebietsverwalter, ab so-fort enger in allen Fragen des Gebietsmanagements zu-sammenzuarbeiten und die Erfahrungen ihrer Kollegenzu nutzen sowie gemeinsame Projekte der Schutzgebietezu erarbeiten und zu fördern. Nach einigen Vorberei-tungsarbeiten wird hierfür ab Januar 1997 die Geschäfts-stelle des Alpinen Netzwerks eingerichtet. Es entstehenbis zum Jahr 2002 insgesamt 15 technische Arbeitsgrup-pen, die sich mit verschiedenen Fragen des Schutzge-bietsmanagements, des Arten-, Ressourcen- und Habitat-schutzes befassen (Große Greifvögel und Huftiere, Beutegreifer und Alpine Flora, nachhaltiges Wasser- undWaldmanagement, Management der Besucherströme,wirtschaftliche Wertschöpfung in Schutzgebieten, NA-TURA 2000, Bergland- und Almwirtschaft, Öffentlich-keitsarbeit…). Bei all diesen Arbeitsgruppen und derenVeranstaltungen wird der Bezug zur Alpenkonventionund ihrer Protokolle deutlich und verdeutlicht. Die be-handelten Thematiken werden auch einem Fachpubli-kum und der Öffentlichkeit durch geeignete Publikatio-nen zugänglich gemacht (Fachpublikationen undLeitfäden, „Best-Practice“ – Erhebungen, öffentlichkeits-wirksame Ausstellungen, wie die zu den Mythischen Bergen, Bücher und Filme, immer in den vier offiziellenSprachen der Konvention).

Das Alpine Netzwerk unterstützt die Mitglieder bei der Er-arbeitung und Durchführung von gemeinsamen Projek-ten, wie etwa im Rahmen europäischer Programme (z.B.INTERREG III B – Habitalp), fördert gemeinsame Monito-ringbestrebungen zu Fauna und Flora, erarbeitet mit sei-nen Partnern in den Schutzgebieten und anderen Ein-richtungen des Naturschutzes gemeinsame Konzepte undProdukte zur Öffentlichkeitsarbeit und organisiert Fach-tagungen, Studienreisen sowie einen regen Personalaus-tausch zu anwendungsorientierten Fragestellungen.

All dies hat zu einer stärkeren Zusammenarbeit der alpi-nen Schutzgebiete durch einen regelmäßigen Metho-denaustausch und direkte fachliche und persönliche Kon-takte geführt, die auch die zentralen Inhalte derAlpenkonvention mit Leben erfüllt. Es ist ein fachlicherVerbund zwischen den Schutzgebieten und deren Ver-walter entstanden, der die Grundlage für die Umsetzungdes anfangs erwähnten Artikels 12 des Naturschutzpro-tokolls darstellt (Abstimmung von Zielen und Maßnah-men, fachlicher Austausch). Da jedoch nur großflächigeund ökologisch kohärente geschützte Gebiete dauerhaftund nachhaltig einen Schutz des Naturgutes der Alpen

sicherstellen und natürliche Prozessabläufe gewährlei-sten können, hat der deutsche Vorsitz der Alpenkonfe-renz das Alpine Netzwerk aufgefordert, eine konkreteStudie zur Frage der grenzübergreifenden Schutzgebieteund ökologischen Korridore vorzuschlagen.

Die Durchführung dieser Studie wurde vom StändigenAusschuss der Alpenkonferenz genehmigt und wird vonden Vertragsstaaten unterstützt. Sie ist der erste und sehrkonkrete Schritt zum Aufbau der räumlichen Dimensiondes Netzwerks, wie es in der Alpenkonvention festgelegtist. Die Arbeit soll das vorhandene Potenzial an Schutz-gebieten und grenzübergreifenden Verbindungen dar-

Nationalpark Hohe Tauern – Blick auf die Krimmler Wasserfälle. Quelle: Netz-werk Alpiner Schutzgebiete

Steinbock im Nationalpark Gran Paradiso. Quelle: Netzwerk AlpinerSchutzgebiete

23

Quel

le: N

etzw

erk

alpi

ner

Schu

tzge

biet

e

Netz

wer

k Al

pine

r Sc

hutz

gebi

ete

stellen einschließlich der vorhandenen Maßnahmen zurArtenmigration und ihrer zweckmäßigen Ergänzungen.Der Aspekt der grenzüberschreitenden Schutzgebiete, dieAbstimmung ihrer Ziele und Maßnahmen und die Schaf-fung von Verbindungen zwischen den alpinen Schutzge-bieten werden zu einer neuen Qualität des Naturschutzesin den Alpen führen. Es ist die sinnvolle Koordinierungder bestehenden Mittel (Vertragsnaturschutz, Abspra-chen mit den lokalen Akteuren, Harmonisierung vonMaßnahmen zwischen Gebietskörperschaften), die hiervon Konventionsseite hauptsächlich angestrebt wird.

Das Netzwerk Alpiner Schutzgebiete stellt den größtenund umfassendsten fachlichen Verbund des räumlichenNaturschutzes innerhalb der Alpenkonvention dar. Eswurde als Beitrag einer konkreten Umsetzung der Alpen-konvention gegründet und behandelt neben Inhalten des Naturschutzprotokolls auch Themen anderer Proto-kolle (Berglandwirtschaft, Tourismus, Raumplanung undnachhaltige Entwicklung…). Die alpinen Schutzgebietesind Räume besonderen Interesses für Besucher und Be-völkerung. Sie schützen ein jahrhundertealtes Natur- undKulturgut und können Modellfunktion im modernen Na-turschutz übernehmen. Sie sind auch Kommunikations-räume, insbesondere durch ihre Besucherzentren, ihre

Informationspolitik und durch den Empfang und die Be-treuung von Touristen und Wanderern. Die Alpenkon-vention ist hier präsent, und die Schutzgebiete sind einesihrer Sprachrohre.

Das Beispiel des Netzwerks Alpiner Schutzgebiete wurdeauch im Rahmen der Karpatenkonvention aufgegriffen.Ein vergleichbares im Aufbau befindliches Netzwerk orientierte sich am Alpinen Netzwerk und wurde im Rah-men der von der Alpenkonvention geförderten Berg-partnerschaften unterstützt. Das Alpine Netzwerk be-teiligte sich ebenfalls am Aufbau des Netzwerks derSchutzgebiete der Pyrenäen.

Die Alpenkonvention hat Impulse gegeben, die Phase ihrer konkreten Umsetzung hat begonnen und Ergebnis-se sind sichtbar. Das Netzwerk der Alpinen Schutzgebieteist die älteste Initiative, fast 10 Jahre nach seiner Grün-dung und langjähriger fachlicher Arbeit ist nun eine Pha-se der räumlichen Vernetzung im Sinne des Artikels 12des Naturschutzprotokolls eingeleitet.

Ministerium für Ökologie und nachhaltige Entwicklung, FrankreichNetzwerk Alpiner Schutzgebiete, Gap

24

Netzwerk Alpiner Schutzgebiete

■ Administrativ an den Nationalpark Les Ecrins (F) angegliedert,Geschäftsstelle mit 5 permanenten Personen und projekt-bezogenem Personal

■ Unterstützt vom französischen Staat und den alpinen RegionenProvence-Alpes-Côte-d’Azur und Rhône Alpes sowie projekt-orientiert von anderen Vertragsstaaten der Alpenkonvention

■ 350 großflächige Schutzgebiete aller Kategorien, davon 14 National- und 65 Natur- oder Regionalparke

■ Etwa 2.000 Schutzgebietsverwalter und Betreuer

■ Etwa 20 % der alpinen Fläche sowie fast alle alpinen Pflanzen, Tiere und Habitate

■ 15 technische und fachliche Arbeitsgruppen

■ Mehr als 150 Veranstaltungen und zahlreiche Veröffentlichungen und Ausstellungen seit 1999

Sitz des Alpinen Netzwerks :Réseau Alpin des Espaces ProtégésMicropolis IsatisF – 05000 Gap

Tel. : +33 (0)4 92 40 20 00 Mail : [email protected] : +33 (0)4 92 40 20 01 Web : www.alparc.org

25

VERKEHR

Verkehr im Rahmen der Alpenkonvention

Die spezifische Problemlage

Warum Alpenkonvention und Verkehrsprotokoll? Wa-rum nicht Apenninenkonvention oder Rheintalkonventi-on? Warum nicht Bildungs- oder Medizinprotokoll? Wasalso macht den Alpenverkehr zum Objekt der Rampen-lichtbegierde und zum Ziel der Regelungswut? Versu-chen wir die Gemengelage und ihre spezifischen Schich-ten vorsichtig zu sondieren:

■ Da haben wir zunächst ein Objekt (den Alpenraum), andas seit der Entdeckung seiner Vermarktbarkeit vor etwa150 Jahren enorme und miteinander konkurrierendeNutzungsansprüche mit immer steigender Intensität ge-stellt werden. Zudem sind die Interessenlagen der Nutzersehr heterogen, und zwar nicht nur zwischen verschie-denen Individuen und Lobbys, sondern auch innerhalbderselben (also schizophrenen) Personen, die etwazwecks Berufsausübung oder Freizeitgestaltung (Skifah-ren!) gern rasch am gewünschten alpinen Zielort seinmöchten, aber natürlich nachts nach getaner Arbeit odererschöpfender Freizeitaktivität ihre ungestörte und wohl-verdiente Schlafruhe reklamieren.

■ Dieses Objekt Alpenraum erweist sich infolge seiner spe-ziellen Beschaffenheit (nämlich der hohen Reliefenergie,also stark wechselnder, verschiedene Klimazonen durch-laufender Höhenlagen mit entsprechend variierender Ve-getation und darauf feinabgestimmter Fauna) als außer-ordentlich sensibel und verletzlich gegenüber Eingriffendurch die Vermarktung.

■ Als zusätzliche Problemschicht der besonderen Artkommt hinzu, dass dieses kapriziöse, sensible und at-traktive Objekt Alpenraum auch noch durch staatlicheGrenzen zerstückelt ist. Das hat mehrere, vor allem zweiproblemverschärfende Konsequenzen: Erstens kommenfür Nutz und Schutz des Objektes verschiedene Rechts-ordnungen bzw. Anspruchs- und Betroffenheitsmenta-litäten zur Geltung. Und zweitens kann man damit (auchim Zeitalter der Globalisierung) angenehm nationaleFeindbilder aufbauen (das dominante Wort „Transit“, derja immer an allem Schuld ist, macht das deutlich).

Transit, du geliebtes Scheusal!

Wagen wir zunächst eine saubere Definition. Transitver-kehr, bitte, was ist das? Transitverkehr – oder in der be-liebten Kurzform „Transit“ – durch ein Land (bzw. durchein definiertes Gebiet) ist Verkehr, der sowohl irgendwoüber die Grenze eines Landes (bzw. eines definierten Ge-bietes) in ein Land (bzw. in ein definiertes Gebiet) einfährtals auch in Verfolgung seines Fahrzieles das Territoriumdes betreffenden Landes (bzw. des definierten Gebietes)ohne Aufenthalt wieder irgendwo verlässt. Transit ist da-mit durch die Zufälligkeit von vereinbarten Landes- oderGebietsgrenzziehungen definiert und dementsprechenddavon abhängig.

Man könnte angesichts einer so harmlosen Definitiondas Thema Transit sofort wieder verlassen, wenn nicht inder breiten Öffentlichkeit unter medialem Flankenschutzeine ganz andere Definition vom Transitverkehr vorherr-schen würde. Und diese Volksmund-Definition kann manin etwa folgende Worte kleiden: „Transitverkehr ist jenerVerkehr, der am meisten unsere Umwelt belastet, am

>> Entlang des glasklaren Königsees am Fuße des Watzmann führt die Via Alpina in Bayern. Quelle: N. Morelle

meisten unsere Verkehrswege zerstört und am unfall-trächtigsten ist.“ In Annäherung an diese Volksmund-Definition wird Transitverkehr überdies nahezu aus-nahmslos stillschweigend mit einer bestimmten, meist re-lativ kleinen Teilmenge davon, nämlich mit dem Straßen-gütertransitverkehr ausländischer Lkw, gleichgesetzt.

Folgen wir der Abstufung unserer Wahrnehmungsinten-sität, so stellen wir fest, dass wir eine stramme Feindbild-Rangordnung in uns fix verdrahtet haben, die sich an un-seren Ängsten um die Einschränkung unserer Ansprücheorientiert: Bilderbuch-Feindbild Nr. 1 ist der ausländischeLkw, den man mit dem Verdikt „Transit“ versehen durchdie Transithölle donnern lässt. Feindbild Nr. 2 ist der in-ländische Lkw. (Dass er nichts anderes tut, als all das zutransportieren, was wir entweder konsumieren oder aberan Abfall hinterlassen, verdrängen wir dabei.) Ein schonrelativ zahnloses Feindbild ist der fremde Pkw; immerhinlässt er ja mit seinen Touristen die Kassen fühlbar klin-geln. (Am liebsten wäre uns allerdings der Tourist, dernur noch sein Geld überweist und selber gar nicht mehrkommt.) Als goldenes Kalb schließlich fungiert der eige-ne Pkw. Und zur Gewissensbeschwichtigung empfiehltman allen seinen Freunden und Bekannten gern dieBahn.

Das Fazit aus diesen stark vereinfachten Darlegungenkann in folgender These zusammengefasst werden: Jede gesellschaftliche Gruppierung, jede Interessenge-meinschaft, jedes menschliche Kollektiv braucht zur Ablenkung von gruppeninternen Problemen und zurAufrechterhaltung der eigenen heilen Welt ein gemein-schaftliches Feindbild, einen Sündenbock. Der Transit-verkehr (genauer: der Straßengütertransitverkehr mit aus-ländischen Lkw) entspricht einem solchen Feindbild inhervorragender Weise. Im Transitverkehr manifestiertsich zu einem erheblichen Teil unser aller unterschwelli-ge Abneigung gegen das Fremde. Gemildert wird dieseunsere Abneigung nur dann, wenn es sich um geldbrin-gende Fremde handelt. Wie jämmerlich wäre unsere Be-findlichkeit ohne das geliebte Scheusal Transit! Wir müs-sten dann nämlich mit Entsetzen feststellen, dass wirdoch tatsächlich uns selber ändern müssten, anstatt die-se Änderung wie gewohnt mit erhobenem Zeigefingervon den Fremden einfordern zu können. Fürwahr, wennes den Transit nicht gäbe, so müsste man ihn glattweg er-finden, so unentbehrlich ist er als Feindbild geworden.

Begriffssystematik

Die Diskussion um die vielschichtige, interessengeleiteteVerwendung des Transit-Begriffes hat gezeigt, dass manohne klare Begriffe nicht auskommt und dass eine stren-ge systematische Analytik nicht durch emotionale Ap-pelle ersetzt werden kann. Deshalb sei nun der Versucheiner Begriffssystematisierung unternommen.

Ein erster Versuch sei dabei auf eine offizielle Rechts-norm, nämlich auf das Verkehrsprotokoll der Alpenkon-

vention (in Österreich BGBL III, Nr. 234/2002), gegründet.Dort setzt sich Alpenverkehr aus (a) alpenquerendem Ver-kehr und (b) inneralpinem Verkehr zusammen. Das Stau-nen ist nun nicht unbeträchtlich, wenn man die zu-gehörigen rechtsverbindlichen Definitionen liest:

„alpenquerender Verkehr“ = Verkehr mit Ziel und Quelle außerhalb des Alpenraumes

„inneralpiner Verkehr“ = Verkehr mit Ziel und Quelle im Alpenraum (Binnenverkehr) inklusive Verkehr mit Ziel oder Quelle im Alpenraum

Diese Definitionen setzen eine genaue Gebietsdefinitiondes Alpenraumes voraus.

Dieser ist – ebenfalls rechtsverbindlich – durch die Al-penkonvention normiert. (Den Begriff „Transit“ kennt dasVerkehrsprotokoll hingegen nicht.) Warum nun aber dasStaunen? Weil mit diesen drei Definitionen (alpen-querender Verkehr, inneralpiner Verkehr, Alpenraum)höchst Verblüffendes zutage tritt: Eine Fahrt von Mün-chen nach Bozen ist nämlich kein alpenquerender, son-dern ein inneralpiner Verkehr, hingegen ist eine Fahrtvon München nach Wien ebenso alpenquerender Ver-kehr wie etwa von New York nach Boston.

Demgegenüber darf festgehalten werden, dass dieSchweiz, die das Verkehrsprotokoll ja (noch) nicht ratifi-ziert hat, in ihren Statistiken und verkehrspolitischen Stellungnahmen „alpenquerenden Verkehr“ durchaus an-ders, und zwar in Übereinstimmung mit dem Sprachge-brauch definiert als Verkehr, der einen Alpengebirgszugquert, und dabei sehr sorgfältig unterscheidet zwischenalpenquerendem Binnenverkehr (etwa von Zürich nachLugano), alpenquerendem Ziel- und Quellverkehr (etwavon Zürich nach Mailand und retour) und alpenqueren-dem Transitverkehr (etwa von Karlsruhe nach Mailand).

Bedeutung des Verkehrs

Das Protokoll „Verkehr“ der Alpenkonvention gehtzunächst grundsätzlich vom Schutzbedürfnis des Alpen-raums aus und bezieht sich damit implizit auf die nega-tiven Auswirkungen des Verkehrs auf Umwelt undMensch. Damit aber steht das Verkehrsprotokoll fastzwangsläufig in Konflikt mit anderen Zielen von natio-nalen, aber auch supranationalen Interessen, die zumTeil ebenfalls rechtlich normiert sind. Die Forderung desfreien Warenverkehrs der EU ist dabei nur ein Aspekt,wenngleich ein gern zitierter, da er ebenso wie das Tran-sitgespenst Feindbilder bemüht. Konsequente (durchausauch ökologisch motivierte) verkehrspolitische Regulati-ve (wie sie das Verkehrsprotokoll u.a. vorsieht), die etwaauch den heimischen Verkehrsteilnehmer betreffen, wer-den im Zweifelsfall von diesen durchaus mit nichtökolo-gischen Rechtfertigungen auszuhebeln versucht.

26

27

Es sind aber auch die in der Präambel zum Protokoll „Ver-kehr“ angeführten Bewusstseins- und Überzeugungsla-gen untereinander nicht unbedingt friktionsfrei, wenn esetwa heißt, dass „… die ansässige Bevölkerung in der La-ge sein muss, ihre Vorstellungen von der […] wirtschaft-lichen Entwicklung selbst zu definieren …“. Dies kann,insbesondere wenn man an Betriebsansiedlungen oderErweiterungen von touristischen Anlagen denkt, durch-aus im Konflikt zu anderen Zielen des Verkehrsprotokolls(siehe Kap. I, Artikel 1) stehen.

Abgesehen von den negativen Auswirkungen des Ver-kehrs (siehe weiter unten), existieren nämlich auch ganzkonkrete positive Wirkungen des Verkehrs im Alpen-raum. Neben den offenkundigen Funktionen, wie Belie-ferung der Wohnbevölkerung und der Gäste des Alpen-raums mit Gütern und Dienstleistungen des täglichenBedarfes, also der Aufrechterhaltung der lokalen Wirt-schaftskraft und des Tourismus schlechthin, bewirkt dieExistenz von leistungsfähigen und funktionstüchtigenVerkehrsanlagen eine besitzfestigende Wirkung undkann so etwa Entvölkerungstendenzen ganzer Talschaf-ten (Stichwort: Bergbauernsterben) zumindest abschwä-chen, allerdings auch zu verstärktem Pendlerverkehrführen.

Ökologische Aspekte des Verkehrs auf Umwelt und Mensch

Unbestritten ist aber, dass es aufgrund der fehlenden Kos-tenwahrheit im Verkehr (allerdings auch im ÖffentlichenVerkehr!) zu teilweise massiven negativen Beeinträchti-gungen der Umwelt kommt. Wenn man allerdings vonnegativen ökologischen Auswirkungen des Verkehrsspricht, meint man fast ausschließlich negative Umwelt-wirkungen, die direkt (etwa Lärm) oder indirekt zunächst„nur“ auf den Menschen einwirken. Im Wesentlichensind dies Luftschadstoffe (Atemwegserkrankungen), andere Schadstoffe, die über die Nahrungskette zumMenschen gelangen, sowie soziale Trennwirkung undAspekte des Landschaftsbildes. Die weiteren negativenWirkungen des motorisierten Verkehrs (aber auch vonnicht motorisierten Fortbewegungsarten wie Skifahren,Mountainbiken, Paragleiten etc.) auf die vom Menschennicht genutzte Tier- und Pflanzenwelt (wie ökologischeTrennwirkung, Zerstörung oder Beeinträchtigungen vonTeillebensräumen etc.) lassen sich für einzelne Arten oderPopulationen ökologisch nachweisen, spielen allerdingsinteressanterweise in den aktuellen Diskussionen – wennüberhaupt – nur eine vorgeschobene Rolle.

Etliche verkehrsbedingte Umweltprobleme wiegen inmanchen sensiblen Räumen (wie es die Alpentäler sind)tatsächlich besonders schwer, weil auf vergleichsweise en-gem Raum (a) sich die unterschiedlichen Nutzungen stär-ker konkurrenzieren, (b) es zu einer im Vergleich zuaußeralpinen Regionen anderen Emissionscharakteristikkommt und (c) zum Teil auch andere Ausbreitungs-mechanismen zu einer anderen Immissionsbelastungführen. Bei der Bewertung von verkehrsbedingten Emis-

sionen im Gebirgsraum ist nämlich zu berücksichtigen,dass, bedingt durch die vergleichsweise häufigeren Stei-gungs- und Gefällestrecken, erhöhte Schadstoffemissio-nen gegenüber ebenen Strecken auftreten sowie eine un-terschiedliche Zusammensetzung der Emissionen zubeobachten ist. (So verschieben sich beispielsweise dieEmissionen im Bereich von Steigungsstrecken und beihöheren Geschwindigkeiten von den Kohlenmonoxidenund den Kohlenwasserstoffen stärker zu den Stickoxiden.)Eine weitere Besonderheit des Alpenraumes ist aufgrundvon topografischen und meteorologischen Besonderhei-ten der Weg von der Emission zur Immission. Häufig auf-tretende Inversionswetterlagen im Alpenraum behindernden Austausch der bodennahen Luftmassen insbesonde-re während der Nachtstunden und in den Wintermona-ten. Emissionen während dieser Zeit können so durchKonzentration zu einer bedeutend höheren Immissions-belastung führen.

Neben der räumlichen Konzentration der Verkehrs-nachfrage (auf wenige Orte und Täler) existieren im Alpenraum zudem noch ausgeprägte zeitliche (saisonale)Schwankungen der Belastungen. Beide Phänomene (räumliche und zeitliche Dichte) zusammen führen ge-meinsam mit einer unter Umständen (durch anderemenschliche Nutzungen) bereits vorbelasteten Umwelt zugravierenden Beeinträchtigungen des alpinen Lebens-raumes. Insbesondere die zeitlichen Schwankungen derBelastungen (Spitzenbelastungen oft nur an wenigen Ta-gen des Jahres) in Kombination mit zum Teil extrem dis-persen Siedlungsformen stellen die Baulastträger vor dasfast unlösbare Problem, mit aufwändigen Schutzmaß-nahmen, die im Vergleich zum Nutzen des Verkehrs we-nige, aber stark Betroffene vor Lärmschäden wirksam zuschützen.

Dies führt unmittelbar zur Frage des sozialen bzw. wirtschaftlichen Umfeldes im Alpenraum. Dieses ist ge-kennzeichnet durch eine massive Verlagerung vom Pri-mären Sektor (Berglandwirtschaft) zum Tertiären Sektor,was zu einer wachsenden Verstädterung im Bereich deralpinen Agglomerationen bei deutlich abnehmender Be-völkerung in strukturschwachen Alpenregionen führt.Das Halten der Bevölkerung im kleinstrukturierten dörf-lichen Siedlungsbiet ist teilweise nur mit Tourismus mög-lich (Gefahr des „brain drain“), der sich wiederum an wenigen Orten konzentriert. Freizeit- und Tourismusnut-zungen verlangen allerdings ihrerseits nach weitgehendintakter Natur.

Die Erreichbarkeit (peripherer Orte in Bezug auf die al-pinen Agglomerationen) ist allerdings in vielen Fällennur mit dem motorisierten Individualverkehr in zumut-baren Zeiten möglich, womit der Verkehrsträger Straßegleichsam zum Produktionsfaktor für den Tourismuswird. Autofreie Orte wie Zermatt (CH) oder Werfenweng(A) beweisen eindrucksvoll, dass Besucher zwar autofrei-en Tourismus am Zielort schätzen, gleichwohl aber gernmit dem eigenen Auto anreisen. Eine räumliche Pro-blemverlagerung ist die Folge.

28

Das Verkehrsprotokoll fordert zwar nachhaltigen Verkehrund Mobilität, bleibt aber sowohl in der Definitorik alsauch auf der Maßnahmenebene erstaunlich vage undverliert sich bisweilen in konsensualen Gemeinplätzen.Bis auf wenige Ausnahmen (Artikel 11 Abs.1: „Die Ver-tragsparteien verzichten auf den Bau neuer hochrangigerStraßen für den alpenquerenden Verkehr.“) hat das Verkehrsprotokoll eher appellativen Charakter und ist als eine Rechtsnorm einzustufen, die jedenfalls nicht „self-executing“ ist. Es fehlen Zeithorizonte ebenso wie kon-krete Sanktionen bei Zuwiderhandlung.

Maßnahmen im Alpenverkehr

Nicht zuletzt aufgrund der mit Ende des Jahres 2003 ab-gelaufenen Ökopunkteregelung in Österreich und derenAblöse durch eine zahnlose Nachfolgeregelung stellt sichdie Frage, welche Maßnahmen im Zuge einer umwelt-orientierten Verkehrspolitik geeignet sind, den alpen-querenden Verkehr so abzuwickeln, dass der Lebensraumder Bevölkerung und das alpine Ökosystem funktions-fähig erhalten werden. Der Verkehrspolitik stehen hierzuverschiedene (vielerorts auch schon angewandte) Lösungsansätze zur Verfügung, die jedoch meist nur ei-ne begrenzte Wirkung im Hinblick auf eine Reduzierungder Belastungen und zusätzlich unerwünschte Neben-wirkungen haben, so dass sie nicht unumstritten sind.

Tabelle 1 liefert, ohne einen Anspruch auf Vollständig-keit zu erheben, eine Strukturierung der möglichen Maß-nahmen und fasst diese nach Maßnahmenbereichen zu-sammen. Nach der Tabelle werden einzelne ausgewählteMaßnahmen eingehender behandelt.

Emissionskontingentierung: Eine Kontingentierungvon Schadstoffemissionen wurde bereits seit dem1.1.1993 im Rahmen des Transitabkommens bzw. des spä-teren österreichischen EU-Beitrittsvertrages (Protokoll Nr. 9) mit der Einführung des so genannten Ökopunkte-modells für Transitfahrten von Lkw der Vertragsparteien

(EU-Länder und einige andere) über 7,5 t zulässigem Ge-samtgewicht durch Österreich angewendet. Ziel war es,die Stickoxidemissionen im Straßengütertransitverkehrbis zum Ende des Jahres 2003 auf 40 % des Ausgangs-wertes des Jahres 1991 zu reduzieren. Um das Ziel zu er-reichen, wurden die Ökopunkte-Kontingente schrittweisevon Jahr zu Jahr verringert. Die Erfahrungen der letztenJahre haben gezeigt, dass tatsächlich verstärkt emissions-ärmere Fahrzeuge im Transitverkehr durch Österreicheingesetzt wurden und damit das Ziel einer Emissions-minderung von NOx erfüllt werden konnte. Aus diesemBlickwinkel betrachtet, erwies sich das Ökopunktemodelldurchaus als möglicher Ansatz für eine umweltschonen-dere Verkehrsabwicklung. Dennoch sind auch Kritik-punkte zu beachten:

■ Die Regelung galt nur für Transitfahrten durch Öster-reich, nur für Lkw über 7,5 t zulässigem Gesamtgewichtund nur für Fahrzeuge aus EU-Ländern und nur wenigenanderen Staaten.

■ Die Emissionswerte des Lkw wurden auf der Basis desmotorleistungsbezogenen COP-Wertes ermittelt. Motorenmit größerer Leistung durften auch entsprechend mehremittieren.

■ Die Emissionen waren nur an das Stickoxid als „Leit-schadstoff“ gekoppelt, andere Umweltwirkungen, wie etwa die Lärmemissionen, blieben jedoch unberücksich-tigt.

■ Die Länge der Transit-Fahrtstrecke wurde nicht berück-sichtigt.

Fahrtenkontingentierung: Das Konzept einer Kontin-gentierung von Fahrten widerspricht dem Grundsatzzielder Europäischen Union für einen freizügigen Verkehrvon Personen, Waren und Dienstleistungen. Nicht zuletztdeshalb sind die früher im internationalen Straßengüter-verkehr üblichen Kontingente für Fahrten ausländischerLkw im Inland inzwischen zumindest innerhalb der Eu-ropäischen Union aufgehoben worden. Auch die im Zu-ge der Einführung der leistungsabhängigen Schwerver-kehrsabgabe (LSVA) (gemäß LandverkehrsabkommenSchweiz – EU (1999)) eingeführte Beschränkung der jähr-lichen Fahrtenanzahl für 40-Tonnen-Lkw aus der EU in dieSchweiz oder durch die Schweiz („40-Tonnen-Kontin-gent“) ist lediglich als eine zeitlich begrenzte Über-gangsregelung anzusehen, da ab dem Jahr 2005 40-Ton-nen-Lkw generell in der Schweiz erlaubt sein werden.

Emissionsgrenzwerte für Fahrzeuge: Die Emissions-Grenzwerte EURO 0, I, II, III und IV werden beispielswei-se bei der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe inder Schweiz für die Berechnung der Tarife herangezogen.

Maßnahmen zur Einhaltung von Sozialvorschriften(Lenk- und Ruhezeiten): Durch unzureichende Überwa-chung der Vorschriften ergeben sich beim Straßen-gütertransport Zeit- und Kostenersparnisse, die die Wett-

Parkplatz in Täsch (CH). Hier parken alle jene, die mit dem Auto anreisen, umsich im autofreien Zermatt „umweltfreundlich“ zu erholen. Quelle: Hauger2004

29

bewerbssituation zu Lasten der Schiene beeinträchtigenund außerdem die Unfallkosten der Straße erhöhen.

Implementierung der externen Kosten in Mautge-bührensätze: Die derzeitige Wegekostenrichtlinie derEU (Richtlinie 1999/62/EG) verbietet die Anlastung vonexternen Kosten bei der Festsetzung von Straßenbenut-zungsgebühren sowie die Verwendung der eingenom-men Geldmittel für andere Zwecke (wie zum Beispiel für

Investitionen im Bereich der Schiene) als zur Abdeckungder Infrastrukturkosten der Straße. Es ist jedoch anzu-nehmen, dass bei der anstehenden Überarbeitung derWegekostenrichtlinie die Anlastung auch der externenKosten zugelassen werden könnte. (Dies wird u.a. imWeißbuch über die europäische Verkehrspolitik bis 2010gefordert.)

Anmerkungen zu den unterstrichenen Maßnahmen siehe Text nach der Tabelle (eigene Zusammenstellung durch die Autoren aus diversen Quellen)

Maßnahmenbereiche Maßnahmen

Tab.1: Maßnahmenbereiche mit möglichen Maßnahmen zu einer umweltschonenden Abwicklung des(Alpen-)Verkehrs

Ordnungspolitische Instrumente

Marktpolitische Instrumente

Infrastrukturpolitische Maßnahmen

Preispolitische Maßnahmen

Logistische Maßnahmen

■ Emissionskontingentierung

■ Fahrtenkontingentierung

■ Regelung zur Einhaltung bestimmter Umweltstandards (z. B. Emissionsgrenzwerte für Fahrzeuge [EURO I, II, III, IV; COP-Werte])

■ Förderung von ressourcenschonenderen Techniken

■ Erleichterung für den Einsatz neu entwickelter Techniken

■ Veränderung des Ordnungsrahmens

■ Beschränkung der Gewichte und Abmessungen von Lkw (z. B. ehm. 28t-Limit in der Schweiz)

■ zeitliche, sektorale und/oder lokale Fahrverbote (z. B. Nacht-fahrverbote, Verbote für bestimmte Transporte, Fußgängerzonen)

■ Immissionsbedingte Fahrverbote bei Grenzüberschreitung

■ Maßnahmen zur Einhaltung von Sozialvorschriften (Lenk-und Ruhezeiten)

■ Bevorzugte Investitionen im Infrastrukturausbau von umweltschonen-deren Verkehrsträgern (Schiene)

■ Vermeidung von (weiteren) (höherrangigen) Neu-und Ausbaumaßnahmen im Straßenbau

■ Abbau und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Verkehrsträgern (z. B. Wegekostenanlastung)

■ Implementierung der externen Kosten in Mautgebührensätze

■ Implementierung der externen Kosten auch in Infrastrukturbenutzungs-entgelte und Tarife im ÖPNV und Schienengüterverkehr

■ Internationale Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen für Transporte (z. B. einheitliche Besteuerung der Lkw innerhalb Europas)

■ Ausweisung des Angebotes auf der Schiene

■ Maßnahmen im Bereich der Schienenlogistik, um Nachteile gegenüber dem Lkw abzubauen (Verwendung moderner Techniken des unbegleiteten kombinierten Verkehrs)

■ Maßnahmen zur besseren Auslastung der Fahrzeuge (Transportbörsen, Einbeziehung des Werkverkehrs)

30

Schlussfolgerungen

Die Situation des Alpenverkehrs ist zu vielschichtig, alsdass es Patentrezepte für eine aus der Sicht der Umweltverbesserte Bewältigung der Güter- und Personenver-kehrsströme gäbe. Mit der Möglichkeit, zukünftig Um-weltkosten in die Kalkulation von Straßenbenutzungs-gebühren mit einfließen zu lassen, könnten aufgrundder darauf abgestimmten Mauttarife zusätzlich Anreizegeschaffen werden, für Gütertransporte die Schiene zuwählen. Mit einer Ausdehnung des Road-Pricing auch aufden Pkw-Verkehr könnte langfristig die Schiene auch imPersonenverkehr wieder an relativer Attraktivität gewin-nen.

Von den Alpenländern hat die Schweiz sicherlich amkonsequentesten die Weichen so gestellt, dass bei denGütertransporten der alpenquerende Verkehr von derStraße auf die Schiene gelenkt wird, auch was die Bereit-stellung der Infrastrukturkapazitäten anbelangt, die mitdem Bau der neuen Alpentransversalen (NEAT) an Lötsch-berg und Gotthard ihren wohl kapitalintensivsten Nie-derschlag finden. Unterstützt wurde diese Strategie durchdie Einführung der leistungsabhängigen Schwerver-kehrsabgabe, den in der Verfassung verankerten Alpen-schutzartikel und nicht zuletzt durch den breiten Rück-halt aus der Bevölkerung, die sich in mehrerenAbstimmungen für diesen Weg entschieden hat. Aller-dings werden die Maßnahmen erst in fünf bzw. zehn Jahren wirklich greifen können, wenn die neuen Trans-versalen in Betrieb genommen werden können. Zu derenvollen Wirksamkeit ist es allerdings auch erforderlich,dass nördlich und südlich der Alpen entsprechende Ka-pazitäten an Trassen und Umschlagterminals vorhandensind.

Prof. Dr. Peter Cerwenka, Dr. Georg Hauger und Dr. Bardo Hörl,Technische Universität Wien

Aktionsplan Brenner 2005

Am 5. Juli 2002 hatten die Verkehrsminister Deutsch-lands, Österreichs und Italiens, Kurt Bodewig, MathiasReichhold und Pietro Lunardi sowie der griechischeStaatssekretär Ioannis Konstantinidis in Berlin die Einset-zung dreier Arbeitsgruppen beschlossen, die Lösungenfür die aktuellen Probleme im alpenquerenden Güter-verkehr erarbeiten sollten. Unter Vorsitz des deutschenBundesverkehrsministers wurden in einer Arbeitsgruppedie Möglichkeiten für kurz- und mittelfristige Maßnah-men zur Steigerung des alpenquerenden Schienengüter-verkehrs untersucht. Vorrangig wurden insbesondereMaßnahmen für den Kombinierten Verkehr (KV) im Kor-ridor Deutschland-Österreich-Italien auf der Brennerach-se mit allen relevanten Beteiligten aus Verkehrswirtschaftund Verwaltung in mehreren Workshops erörtert und ab-gestimmt. Als Grundlage diente eine im Vorfeld erarbei-tete Problemanalyse.

Die Ergebnisse wurden in einem Aktionsplan „Brenner2005“ zusammengefasst. Dieser enthält die erforder-lichen Maßnahmen zur Gestaltung und Sicherung deskurz- bis mittelfristigen Ausbaus des Angebotes im Kom-binierten Verkehr auf der Brennerachse. Der Aktionsplanist aus Sicht aller Beteiligten (Ministerien, Eisenbahnver-kehrsunternehmen, Eisenbahnnetzbetreiber, Kombiver-kehrsgesellschaften, Terminalbetreiber, Spediteure) diemaßgebliche Voraussetzung, um das Ziel zu erreichen,das Aufkommen des Kombinierten Verkehrs auf der Bren-nerachse bis zum Jahr 2005 um mindestens 50 % gegen-über 2001 zu steigern. Da im Jahr 2001 der KombinierteVerkehr auf der Brennerroute 11,10 Mio. Tonnen betrug(Quelle: Verkehrsbericht Tirol 2001), bedeutet dies eineSteigerung um 5,55 Mio. Tonnen auf 16,65 Mio. Tonnenim Jahr 2005. Dies würde es ermöglichen, die erwartetenZuwächse des Straßengüterverkehrs weitgehend zu verlagern. Der Aktionsplan greift dabei auch schon be-gonnene bzw. geplante Maßnahmen und Projekte zurVerbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Schienen-güterverkehrs auf der Brennerachse auf. Er bündelt undvertieft diese Ansätze, erweitert sie um zusätzliche Akti-onen und hinterlegt sie in einem auf das Verlagerungs-ziel orientierten Umsetzungsplan.

Mit der Verabschiedung dieses Aktionsplanes sind alle Be-teiligten konkrete Verpflichtungen für ein koordiniertesVorgehen zum Ausbau der Kapazitäten und zur Verbes-serung der Wettbewerbsfähigkeit des alpenquerendenSchienengüterverkehrs eingegangen.

Die Verkehrsminister vereinbarten, im Rahmen eines Mo-nitorings die Umsetzung der hierzu erforderlichen in denMaßnahmepaketen I, II und III zusammengefassten Maß-nahmen zu beobachten, zu begleiten und zu unterstüt-zen. In einem Folgetreffen der Minister sollen die bislangerzielten Fortschritte und ggf. weiterer Maßnahmen erör-tert werden.

Der Aktionsplan „Brenner 2005“ umfasst drei Maßnahmepakete:

Maßnahmepaket I enthält Maßnahmen mit höchsterPriorität, mit deren Umsetzung sofort begonnen wird;

Maßnahmepaket II betrifft Maßnahmen, mit deren Um-setzung kurzfristig begonnen wird und die die Wettbe-werbsfähigkeit verbessern, um damit die Grundlage derErschließung neuerer Transportmärkte zu schaffen;

Maßnahmepaket III zielt schließlich auf mittelfristig rea-lisierbare Maßnahmen, die Grundlage für ein langfristigangelegtes Wachstum des Kombinierten Verkehrs bilden.

Die Maßnahmen sind im Wesentlichen wie folgt umge-setzt worden:

31

1. Zum Maßnahmepaket I:

Bestehende Traktionsengpässe sind weitestgehend besei-tigt worden. Dadurch konnte die Rate der pünktlich ver-kehrenden Güterzüge in Richtung Norden von 45 % aufrd. 70 % erhöht werden. Ursächlich hierfür ist u. a. dieebenfalls im Aktionsplan geforderte direkte Anbindungdes Terminals Verona Quadrante Europa (Q. E.) seit dem15. Dezember 2002. Hierdurch konnte der betrieblicheHalt bei der Überquerung der Linie Verona – Mailand ent-fallen.

Des Weiteren wurde ein System der Pönalisierung ent-wickelt, das ab 1. Januar 2004 dazu beiträgt, die für denBrennerverkehr notwendigen Ressourcen, d.h. Lokomoti-ven und Lokführer, sicherzustellen. Es sind zudem die geforderten Schritte unternommen worden, um adminis-trative Vorgänge zu vereinfachen und zu vereinheitlichensowie betriebstechnische Hindernisse an den Grenzüber-gängen durch Vereinheitlichung der Vorschriften der Infrastrukturbetreiber und Verkehrsunternehmen zu be-seitigen. So konnten beispielsweise innerhalb der Bren-ner-Servicestelle Prozessoptimierungen erzielt werden,die zu einer Reduzierung des Arbeitsaufwandes und da-mit zur Verkürzung der Aufenthaltsdauer der Güterzügeam Brenner geführt haben. Einen weiteren wichtigenPunkt stellt die Verbesserung der Kommunikation unddes Datenaustausches dar. Dabei geht es um die Opti-mierung der Schnittstellen zwischen den Beteiligten undum die Verbesserung der Ressourcensteuerung und der Kundeninformation. Hier sind erste Verbesserungenim Datentransfer zwischen den beteiligten Bahnunter-nehmen erzielt worden. Durch die im Jahr 2003 abge-schlossene Installation von so genannten TRIS-E-Mailer(separaten PC) bei den Betriebsleitzentralen der drei be-teiligten Infrastrukturbetreiber werden durch manuelleEingabe Informationen u. a. zu Zugausfällen und Zug-laufprognosen ausgetauscht. Auch die Beseitigung vonEngpässen in der betrieblichen Abwicklung im KV-Ter-minal Verona Q. E. wurde erfolgreich vorangebracht.Hierzu wurde ein neues Programm für die Terminalnut-zung erstellt, welches mit den Fahrplananträgen sowiemit dem Rangierbetrieb im Sinne einer Slot-Zuteilung ab-gestimmt ist.

Besondere Erwähnung verdient schließlich auch die Entwicklung der in Deutschland und in Italien in denBrennerverkehr einbezogenen KV-Terminals mit sog.Spitzenüberspannung. Hierbei handelt es sich um dieÜberspannung der in die Ladegleise einmündendenGleisabschnitte im Terminal mit elektrischer Oberleitung(Fahrdraht). Auf diese Weise ist es möglich, dass ein miteiner E-Lok bespannter Containerzug zum Zwecke desUmschlags in den Terminal fahren kann, der selbst ohneFahrdraht ausgerüstet ist, weil dieser das Umschlagenmittels Kran verhindern würde. Hierzu schiebt die E-Lokden Zug entweder hinein oder zieht ihn mit Schwung auf das Ladegleis. Es entfällt somit die Notwendigkeit, dieE-Lok im sog. Vorbahnhof abzukuppeln und dem Con-tainerzug eine Diesellokomotive vorzusetzen, welche den

Zug auf das Ladegleis zieht. Auf diese Weise wird ein Ran-gieraufwand vermieden. Dies wiederum spart Kosten undZeit, weil die aufwändige Zugbildung entfällt. Zugleichwird die Attraktivität des Kombinierten Verkehrs für dieverladende Wirtschaft erhöht, weil bessere Ladeschluss-zeiten möglich sind. Eine derartige Spitzenüberspannungist im Terminal München-Riem bereits vorhanden. Eben-so wurden die Anschlüsse an den KV-Terminal Verona Q.E. im November 2002 und April 2003 mit Spitzenüber-spannung ausgerüstet.

2. Zum Maßnahmepaket II:

Es erfolgt die Entwicklung und Umsetzung eines durch-gehenden achsenbezogenen Traktionskonzeptes im Sinne einer Interoperabilität. Hierzu verfolgen die Eisen-bahnverkehrsunternehmen verstärkt den Einsatz vonMehrsystemlokomotiven. Zudem werden die Verfahrenzur wechselseitigen Zulassung der Lokomotiven E 412und EU 43 (Italien), E 189 (Deutschland) sowie E 1822(Österreich) für den Verkehr auf der Strecke Verona –München entwickelt. Die Beteiligten haben auch ent-scheidende Schritte bei den Fahrplanverbesserungenzwecks Verkürzung der Beförderungszeit in bestehendenRelationen unternommen. Praktisch alle Züge des Kom-binierten Verkehrs über den Brenner weisen eine gleich-bleibende Pünktlichkeit von 80 bis 90 % auf. Dies hat zueiner erhöhten Kundenzufriedenheit und zu einemWachstum des Volumens geführt. Mit dem Fahrplan-wechsel zum 15. Dezember 2003 wurden alle KV-Zügeüber den Brenner in einer Weise neu trassiert, dass siekünftig im Takt fahren. Damit werden für einige Relati-onen die Fahrzeiten signifikant verkürzt.

Was die Bewertung der Perspektiven des Angebotes imbegleiteten Kombinierten Verkehr (Rollende Landstraße[RoLa]) anbelangt, so haben Kundenbefragungen zurAnalyse der Marktchancen ergeben, dass keine gestei-gerte Nachfrage für RoLa-Strecken über eine Länge von300 km besteht. Hinzuweisen ist des Weiteren darauf,dass die Firma Bertani das RoLa-Angebot erweitert hat. Sohat sie zusätzlich zur Strecke Trient – Wörgl ab Novem-

Alltag Inntal! Die Transitlawine trägt durch Lärm und Schadstoffe zu einerenormen Beeinträchtigung der Lebensqualität bei. Quelle: OeAV, FachabteilungRaumplanung-Naturschutz

ber 2002 die RoLa Bozen – München/Wörgl (28 Fahrtenpro Woche) in Betrieb genommen, auf welcher ab Janu-ar 2004 eine weitere Steigerung vorgesehen war. Den-noch verbleiben – auf italienischer Seite – nach wie vorfreie Trassen, die eine Verlagerung der bis Brennerseeführenden Verkehre nach Süden hin (auch bis nach Tri-ent – Verona) ermöglichen würden.

Ein weiteres RoLa-Terminal im oberbayerischen Raumzur Entlastung von Manching ist in Vorplanung.

3. Zum Maßnahmepaket III:

Hinsichtlich der Herstellung der Trassenverfügbarkeit fürden Güterverkehr haben die Eisenbahninfrastruktur-unternehmen einen Trassenkatalog ausgearbeitet, derverfügbare Infrastrukturkapazitäten aufzeigt. Zum der-zeitigen Zeitpunkt stehen in der Regel 16 Zugtrassen-paare zwischen München und Verona an Werktagen zurfreien Disposition, wobei diese Zahl, bedingt durch lau-fende Be- und Abbestellungen im Ausmaß von +/- 30 %variiert. Aus Sicht der Netze sind zumindest 50 % der Tras-sen zeitlich marktfähig, darüber hinaus erweisen sichauch Trassen außerhalb der im KV üblichen Zeitsegmen-te als durchaus vermarktbar.

Des Weiteren erfolgte eine gemeinsame Analyse und Be-wertung von Engpässen in der Infrastruktur mit Blick aufdie erwartete Steigerung des KV-Aufkommens. So wurdez.B. festgestellt, dass bei Überschneidungen mit denHauptverkehrszeiten des Personennahverkehrs morgensund abends Kapazitätsmangel auf den Strecken in den fürden Kunden des Kombinierten Verkehrs relevanten Zeit-fenstern besteht. Dies ist besonders beim Streckenab-schnitt München – Rosenheim der Fall.

Auf italienischer Seite werden derzeit Maßnahmendurchgeführt, um auf der Strecke Verona – Brenner zu-sätzliche Tageskapazitäten zu erreichen. Dies geschiehtdurch eine automatische Steuerung des Zugabstandesund die ferngesteuerte Regelung des Verkehrs.

Bezüglich der Entwicklung der für die Brennerverkehrenotwendigen Infrastruktur ist zum einen darauf hinzu-weisen, dass derzeit im KV-Terminal München-Riem diePlanungen zur Realisierung eines dritten Umschlagmo-duls laufen. Hierdurch kann die heutige Umschlagkapa-zität von 250.000 Ladeeinheiten pro Jahr auf 370.000 Ladeeinheiten gesteigert werden. Zudem kommen diePlanungen zum Bau eines Schienenstranges zwecks Her-stellung der direkten Anbindung des Terminals Mün-chen-Riem, der sog. Truderinger Kurve, voran. Das Pro-jekt befindet sich in der technischen und baurechtlichenPlanungsphase und gehört mit zu den laufenden und festdisponierten Vorhaben des „Vordringlichen BedarfsSchiene“ im Bundesverkehrswegeplan 2003.

Zum anderen wird derzeit auch im KV-Terminal VeronaQ. E. ein weiteres Umschlagmodul gebaut, wodurch mitBeginn des Jahres 2005 die Umschlagkapazität von250.000 auf ca. 330.000 Ladeeinheiten gesteigert werdenkann.

Fazit: Der „Aktionsplan Brenner 2005“ stellt ein mit allenBeteiligten im Einzelnen abgestimmtes und von den Ver-kehrsministern Deutschlands, Italiens und Österreichseinvernehmlich gebilligtes Lösungskonzept dar. Er zeich-net sich dadurch aus, dass er

■ eine klare Zielvorgabe enthält, nämlich die Steigerungdes Aufkommens des Kombinierten Verkehrs auf derBrennerachse bis zum Jahr 2005 um 50 % gegenüber2001, und

■ ein Bündel von konkreten Maßnahmen festlegt sowiedie Verantwortlichkeiten für deren Umsetzung eindeutigregelt.

Schon jetzt lässt sich sagen, dass der Aktionsplan in beispielgebender Weise die Aktivitäten aller am Bren-nerverkehr beteiligten Akteure (Ministerien, Eisenbahn-verkehrsunternehmen, Eisenbahnnetzbetreiber, Kombi-verkehrsgesellschaften, Terminalbetreiber, Spediteure)bündelt und koordiniert.

Insgesamt betrachtet, lassen die bisherigen Ergebnissedie Erreichung des Zieles einer Steigerung des Kombi-nierten Verkehrs auf der Brennerachse um 50 % erwar-ten.

Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Deutschland

Alps Mobility

Im Frühjahr 1998 schlossen sich neun Projektpartner ausDeutschland, Italien und Österreich zusammen, um imRahmen des Gemeinsamen EU-AktionsprogrammsRaumordnung im Alpenraum (Art. 10 EFRE) ein „Pilot-projekt für umweltfreundliche Reiselogistik, verknüpftmit elektronischen Buchungs- und Informationssys-temen, in alpinen Tourismusregionen – Alps Mobility“durchzuführen. Das Projekt endete im Jahr 2001.

Der Schwerpunkt des Pilotprojekts bestand in der Ent-wicklung und Umsetzung von Lösungen, den touristi-schen Verkehr in die Alpen und in den Urlaubsorten öko-logisch verträglich abzuwickeln. Die Ergebnisse reichtenvon neuen Erkenntnissen in der Nachfrage im touristi-schen Verkehr, attraktiven sanft-mobilen Tourismuspack-ages über die Schaffung von regionalen Mobilitätszen-tralen mit neuen innovativen Dienstleistungen, neuenAuskunftssystemen für Touristen und Ausflugsgäste bis zu

32

33

optimierten und innovativen Angeboten im ÖffentlichenVerkehr.

„Alps Mobility II – Alpine Pearls“:

Dieses Projekt wurde, aufbauend auf dieser erfolgreichenKooperation, im Dezember 2002 von den Partnern desProjekts unter Einbeziehung zusätzlicher Partner aus derSchweiz und aus Frankreich beim EU-Programm InterregIII B, Alpenraum, eingereicht und im April 2003 von derEU genehmigt. Lead Partner ist das österreichische Bun-desministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umweltund Wasserwirtschaft.

Zentraler Schwerpunkt des Projekts ist die Schaffunginnovativer ökotouristischer Angebote „Perlen der Al-pen“, die die touristischen Attraktionen mit den Vortei-len von sanfter Mobilität mit umweltfreundlichen Ver-kehrsmitteln verknüpfen. Ziel ist die Verwirklichungeines Reisepackages durch die Alpen ausschließlich mitumweltverträglichen Verkehrsmitteln, wie Bahnen, Bus-sen, Fahrrädern, Nullemissionsfahrzeugen, Pferden oderzu Fuß. Jede teilnehmende Partnerregion wird selbst eine „Perle“, d.h. sie muss bestimmte Mobilitäts- und Tourismus-Standards im Sinne der Nachhaltigkeit nach einem vorgegebenen Kriterienkatalog erfüllen. Die sanft-mobil Reisen sollen über die landschaftlich schönstenRouten führen, interessante Mobilitätserlebnisse bietenund über perfekte Informationstechnologie (z.B. mit GPS-gestützten Handhelds für die Reisenden) verfügen sowiegleichzeitig hohen Komfort z.B. durch Gepäcktransportanbieten.

Im Zentrum des Projekts steht die Planung und Umset-zung dieses ökotouristischen Angebotes in alpinen Touris-musregionen. Die Arbeit setzt sich zusammen aus

■ einer Implementierungsstudie, die die Kriterien und Indikatoren für das touristische Produkt „Perlen der Alpen“ konkretisieren und die Details für die transalpi-ne Umsetzung festlegen soll,

■ der Planung und teilweisen Umsetzung der umweltver-träglichen Reisekette in die Alpen und zwischen den Re-gionen zu ihren Partnerregionen (die „Perlenkette“),

■ der Umsetzung in transalpinen Pilotaktionen,

■ der Entwicklung und Umsetzung eines gemeinsamenPR- und Marketing-Konzeptes.

Projektdauer: Mai 2002 bis Dezember 2005

Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Österreich

Ansprechpartner:DI Robert Thaler und Dr. Veronika HolzerBundesministerium für Land- und Forstwirtschaft,Umwelt und Wasserwirtschaft, Abt. V/5Stubenbastei 5, 1010 Wien; Tel.: 0043/1/51522/1210E-mail: [email protected]

New Mobility

In der Schweiz reisten 2002 rund 20 % der Über-nachtungsgäste mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Bahnund Bus) an2). In den anderen Alpenländern ist dieser Prozentsatz sogar um einiges tiefer. Dies ist kein Zufall, sondern hat System. Denn die Mobilitätsangebote für diejenigen Gäste, die gerne ohne Auto anreisen würden,sind oft so sehr Mangelware, dass „Urlaub vom Auto“ zumDauerstress würde.

Fazit

1) Potenzielle Umsteiger auf den öffentlichen Verkehr rei-sen weiterhin per Auto an.

2) Potenzielle neue Gäste, die kein Auto zur Verfügunghaben, kommen gar nicht. So fliegen Gäste aus städti-schen autolosen Haushalten lieber mit dem Flugzeug aufeine Südseeinsel. Denn dort fährt kein Tourist mit dem ei-genen Auto.

New Mobility schafft sanft-mobile Angebote

New Mobility ist ein maßgeschneidertes Projekt fürTourismusorte und -destinationen, die ihren Gästen voll-en Komfort und freie Mobilität anbieten wollen, wenndiese ohne ihr Auto anreisen. New Mobility baut das not-wendige Angebot für „Urlaub vom Auto“ auf und hilftden Tourismusdestinationen, dieses erfolgreich zu ver-markten. Mit einer attraktiven An- und Abreise sowie ei-ner flexiblen Mobilität vor Ort sollen die ohne Auto ein-

Alternatives Verkehrsmittel – Pferdekutsche. Quelle: Bundesministerium fürLand- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

2) BFS, GastroSuisse, ST, SHV, STV: Schweizer Tourismus in Zahlen 2002, Bern, Juli 2002.

getroffenen Gäste willkommen geheißen werden. Dazusind unter anderem folgende konkrete „sanft-mobile“ An-gebote möglich: Optimierung der Anreise durch bessereAnschlüsse und erleichterten Gepäcktransport, Förde-rung der Mobilität vor Ort durch Ausbau des öffentlichenVerkehrs, Car-Sharing und Elektrofahrzeuge. Die Ange-bote von New Mobility werden mit anderen touristischenAngeboten zu einem Paket gebündelt und vermarktet.

Hinter New Mobility steht mobiltour.ch – Netzwerk undProjektstelle für sanfte Mobilität im Tourismus, betreutdurch die Alpenbüro Netz GmbH. Die Alpenbüro NetzGmbH arbeitet vor Ort mit Gemeindebehörden und Tou-rismusorganisationen zusammen. Weitere Partner sinddie ortsansässigen Touristiker sowie lokale, nationale undinternationale Transportunternehmungen. Die SBB spie-len dabei in der Dienstleistungskette vom Wohnort desGastes bis zum Feriendomizil eine zentrale Rolle.

Alpen retour

Eine 1998 bei den Sektionen des Schweizer Alpen-Clubs(SAC) durchgeführte Mobilitätsumfrage zeigte auf, dassderen An- und Rückreise zu einer Bergtour viel Verkehr – ca. 10 Mio. Personenkilometer im Auto pro Jahr – ver-ursacht und viel Energie verbraucht. Die Anreise zu einerBerghütte benötigt durchschnittlich 30- bis 35-mal mehr Energie als der gesamte Hüttenbetrieb für eine Über-nachtung. Der SAC und seine 111 Sektionen zeigten sichaufgrund dieser Tatsache betroffen. 2001 wurde die Mo-bilitätskampagne Alpen retour ins Leben gerufen, um dieBergsportler zu sensibilisieren und zur Benützung von al-penfreundlichen Verkehrsmitteln zu animieren. In dendrei Kampagnejahren hat der SAC verschiedene Produk-te und Maßnahmen kreiert und eine große Anzahl anBergsportlern erreicht. Alpen retour wurde im Juni 2004offiziell beendet, doch die alpenfreundliche Mobilitätwird auch weiterhin Thema im SAC bleiben.

Wichtig war dem SAC – notabene, dem größten Schwei-zer Sport- und Freizeitverein – dabei, die Bergsportlernicht mit Verboten, sondern mittels Angeboten von einer

alpenfreundlichen Mobilität zu überzeugen. Unter demDach von Alpen retour wurden verschiedene Produkteund Maßnahmen entwickelt, angeboten und getestet:Nebst intensiver Öffentlichkeitsarbeit und interner Kom-munikation waren es unterschiedliche materielle undimmaterielle Anreize sowie Serviceanreize, die zur Sensi-bilisierung und Animierung der Bergsportler kreiert wur-den (www.sac-cas.ch). Nennenswert ist unter anderem die

Mobilitätsberatung, die sich an Schlüsselpersonen in denSAC-Sektionen richtete, um Informationen sowie Mög-lichkeiten von alpenfreundlichen Sektionstouren aufzu-zeigen.

Eines der herausragendsten Produkte jedoch, das binnendieser Zeit kreiert wurde, ist der Alpen-Fahrplan im In-ternet unter www.alpenonline.ch. Per Mausklick könnensämtliche für die Tourenplanung benötigten Informati-onen zur ÖV-Anreise und anderem abgerufen werden.

Erfolgreich abgeschlossen

Im Juni 2004 wurde Alpen retour erfolgreich abge-schlossen. Es beteiligten sich über 50 % der SAC-Sektionenfreiwillig und aktiv an Alpen retour. 71 % der SAC-Mit-glieder konnte Alpen retour erreichen. 77 % von ihnenhielten die Kampagne für sinnvoll. Beeindruckend ist vorallem, dass im Referenzjahr 2002 70 % aller Personenki-lometer der Sektionstouren mit den öffentlichen Ver-kehrsmitteln zurückgelegt wurden – im Vergleich dazu1998: 42 %. Eine Steigerung von 66 %!

Alpenbüro Netz GmbH

Kontakte:Schweizer Alpen-Club, Ressort UmweltPostfach, CH-3000 Bern 23

oder: mobiltour.ch, Alpenbüro Netz GmbH Jöri Schwärzel, Dorfstrasse 150, CH-7220 Schiers, Tel.: ++41 (0) 81 420 22 55, [email protected]

34

Bergsteiger sind von der Klimaerwärmung stark betroffen und daher auch beider Verkehrmittelwahl positiv zu beeinflussen. Quelle: J. Meyer

New Mobility; Die Anreise in den Urlaub mit dem Zug ist nicht nur komfortabel,sondern auch spektakulär: Bahn und Piz Bernina. Quelle: Jöri Schwärzel, Alpen-büro Netz GmbH

35

NATURGEFAHREN

Tab. 1: Große Naturkatastrophen 1950 – 2003

MRN NatCatSERVICESchäden in Mrd. US$ (in Werten von 2003) © Münchener Rück, GeoRisikoForschung, Januar 2004

Naturkatastrophen und Klimaänderung imAlpenraum: Trends und Vorsorgemöglich-keiten

Katastrophentrends

Die Schadenbelastungen aus Naturkatastrophen haben inden letzten Jahrzehnten drastische Ausmaße angenom-men. Die inflationsbereinigte Zunahme gegenüber den60er Jahren liegt für die letzten 10 Jahre beim Siebenfa-chen für die volkswirtschaftlichen und beim Vierzehnfa-chen für die versicherten Schäden. Dabei hat sich nichtnur der durchschnittliche Anteil der versicherten Schädenauf 16 % verdoppelt, sondern auch die mittlere Anzahlgroßer Naturkatastrophen auf sechs pro Jahr (s. Tab. 1).

Diese Katastrophenzunahme wird größtenteils von stei-genden Werten bzw. versicherten Haftungen, insbeson-dere auch in stark exponierten Regionen, wie z.B. im Küs-ten- und Alpenraum, verursacht. Außerdem zeigt sichimmer wieder bei Naturkatastrophen, dass die Schaden-anfälligkeiten von Bauwerken und Infrastrukturen trotzaller Bauvorschriften und technischen Weiterentwick-lungen eher größer als kleiner geworden sind (s. Tab. 2).

Klimaänderung

Gleichzeitig sprechen viele Indizien dafür, dass die sichabzeichnende Klimaänderung zunehmend Einfluss auf

die Häufigkeit und Intensität von Wetterextremen ge-winnt, die weltweit heute schon für fünf von sechsNaturkatastrophen verantwortlich sind. Da sind einer-seits die großen Sturmkatastrophen der letzten Zeit, diefast jedes Jahr für neue Schadenrekorde sorgten, und andererseits die zahllosen Überschwemmungs-, Unwet-ter-, Hitze- und Waldbrandkatastrophen, die häufiger alsjemals zuvor aufzutreten scheinen (s. Tab. 3).

Tatsächlich belegen die Analysen von Beobachtungsrei-hen ebenso wie die Klima-Modellrechnungen, dass sichdie Eintrittswahrscheinlichkeiten für extreme Wetterer-eignisse bereits deutlich geändert haben oder noch än-dern werden.

Naturkatastrophen im Alpenraum

Katastrophenschäden stammen im Alpenraum zu einemstark überwiegenden Teil von extremen Wetterereignis-sen. Hier stehen die Stürme bei der Zahl der Schadener-eignisse und bei den versicherten Schäden mit Abstandan erster Stelle, gefolgt von den Überschwemmungen(die allerdings bei den volkswirtschaftlichen Schäden dengrößten Anteil ausmachen), den sonstigen Naturkata-strophen (u.a. Winterschäden, Waldbrand, Erdrutsch)und schließlich den hier nur selten schadenträchtigenErdbeben (s. Abb.1).

Das Bild ändert sich deutlich, wenn man die Schadens-potenziale extremer Naturkatastrophen betrachtet. Hier

Dekaden-vergleiche

rücken dann Ereignisse in den Vordergrund, die zwar nureine sehr kleine Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen,wie z. B. starke Erdbeben, große Bergstürze oder extremeSturzfluten, aber bei einem „Volltreffer“ in einer dicht-besiedelten Region außerordentlich hohe Schadenbelas-tungen auslösen können. Davon gibt die Liste bedeuten-der Naturkatastrophen im Alpenraum seit 1980 einenVorgeschmack (s. Tab. 4).

Mit der Temperaturzunahme, die im vergangenen Jahrhundert im Alpenraum mehr als doppelt so schnell ablief wie im globalen Mittel, erhöht sich hier die Kata-strophengefahr zusätzlich: Der Anstieg der Permafrost-grenze, das Abschmelzen der Gletscher, die intensiverenNiederschläge, die häufigeren Stürme und die längerenTrockenheitsperioden führen mittel- und langfristig zumehr Felsstürzen und Erdrutschen, Sturzfluten und Muren, Schmelzwasserausbrüchen und Überschwem-mungen, Unwettern und Hagelschlägen, Dürren undWaldbränden, ganz abgesehen von den substanziellenVeränderungen in Flora und Fauna, die damit einherge-hen werden.

Vorsorgemöglichkeiten

Wegen der Langlebigkeit einiger wesentlicher Treib-hausgase wird sich die anthropogene Klimaänderungnur langfristig abmildern lassen, selbst wenn schon baldrigide Klimaschutzmaßnahmen auf globaler Ebene er-griffen würden – was aber überhaupt nicht zu erwartenist. Es müssen alle denkbaren Vermeidungsstrategien ein-

gesetzt werden, um eine Verringerung der klimawirksa-men Emissionen zu erreichen (s. Tab. 5).

Gleichzeitig werden geeignete Anpassungsmaßnahmenan die nicht mehr vermeidbaren Klima- und Umweltver-änderungen immer dringender. So müssen die in dennächsten Jahrzehnten zu erwartenden höheren Extrem-werte von z. B. Temperaturen, Niederschlägen und Wind-geschwindigkeiten heute schon in Bauvorschriften undbei der Zonierung von Hochrisikogebieten berücksichtigtwerden, wenn der Schutz von Bevölkerung und Sachwer-ten mit der steigenden Gefährdung Schritt halten soll.Hierher gehört auch der verbesserte Schutz vor den finan-ziellen Auswirkungen einer steigenden Zahl von Natur-katastrophen.

Versicherung als wichtiger Bestandteil der privaten, be-trieblichen und öffentlichen Risikovorsorge hat vor allemzum Ziel, das finanzielle Ruinrisiko des Versicherungs-nehmers zu minimieren. Dies gilt auch für die Naturge-fahren, die in einem Großteil der heute angebotenen Ver-sicherungsprodukte mit gedeckt werden. Aus der Sichtdes Rückversicherers, aber auch aus gesamtwirtschaft-licher und politischer Sicht, gefährden Naturkatastro-phen die nachhaltige Entwicklung in vielen Regionen.Auch in Mitteleuropa liegen die möglichen Schadens-summen in Größenordnungen, die eine umfassende Ri-siko-Partnerschaft zwischen Versicherungsnehmer, Erst-und Rückversicherung und Staat erforderlich machen.

Dr. Gerhard Berz, Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, München

36

Tab. 2

Der anthropogene Treibhauseffekt erhöht die Katastrophengefahr

Naturkatastrophen nehmen weltweit dramatischan Häufigkeit und Schadensmaß zu

Die Gründe:

■ Bevölkerungszunahme

■ Steigender Lebensstandard

■ Konzentration von Bevölkerung und Werten in Großstadträumen

■ Besiedlung und Industrialisierung stark exponierter Regionen

■ Anfälligkeit moderner Gesellschaften und Technologien

■ Steigende Versicherungsdichte

■ Änderung der Umweltbedingungen

¬

■ Stürme/Sturmfluten

■ Gewitter/Hagelschläge

■ Starkregen/Überschwemmungen

■ Dürren

■ El Niño?

■ Schäden Biosphäre¬

Zunahme von:

■ Gaskonzentration

■ Temperatur Luft/Meer

■ Feuchtigkeit

■ Meeresspiegelhöhe

■ atmosph. Zirkulation

■ Ozonloch

©Münchener Rück, GeoRisikoForschung, 2/1999

Tab. 3

37

Abb. 1: Naturkatastrophen im Alpenraum 1980–2003

Tab. 4: Bedeutende Naturkatastrophen im Alpenraum 1980–2003

Tab. 5: Klimaschutz - Strategien

Anpassung

z.B.: ■ Bauvorschriften (Auslegungswerte, Landnutzungs-beschränkungen)

■ Katastrophenschutz (ISDR, Warnsysteme, Schutzbauten)

■ Agrartechnik (Bewässerung, Biotechnologie)

■ Naturschutz (Schutzgebiete)

■ Versicherung, Solidargemeinschaften

Vermeidung

z.B.: ■ Verringerung der Emisionen (Energiesparen, Effizienz-steigerung, Ausbau erneuerbare Energien, Filterung)

■ Co2-Speicherung (Aufforstung, Holzbau)

■ Internat. Verträge (Rio, Kyoto), lokale Aktivitäten (Agenda 21), Selbstverpflichtungen, Handel mit Co2-Emissionsrechten

© 2001 GeoRisikoForschung, Münchener Rück

Schadensereignisse750

Versicherte Schäden10 Mrd. E*

Volkswirt. Schäden54 Mrd. E*

Erdbeben

Sturm

Überschwemmung

Sonstige

3%

35%

18%

44%30%

64%

6% 6%

66%

28%

*Originalwerte

Datum Region Ereignis Tote Schäden (Mio E)**

volkswirt. versichert

12.7.1984 Süddeutschland Hagelsturm – 950 480

18. – 28.7.1987 Norditalien Erdrutsche, Sturmfluten 44 675 0

Juli – Aug. 1987 Schweiz (Brig) Überschwemmungen 8 800 175

25.2. – 1.3.1990 Gesamte Alpen Stürme Vivian, Wiebke 7* 700* 460*

Sept. – Okt. 1993 Schweiz (Brig) Überschwemmungen 2 620 320

4. – 6.11.1994 Norditalien (Veltin) Überschwemmungen 64 9.300 65

Jan. – März 1999 Gesamte Alpen Lawinen, Winterschäden 108 850 150

1.5.1999 Deutschland/Schweiz Überschwemmungen 8 670 290

3. – 7.7.2000 Österreich Hagelstürme 2 125 70

14. – 21.10.2000 Norditalien/Schweiz Überschwemmungen 38 8.500 ca. 420

6. – 7.7.2001 Süddtschl., Bayern, Baden-Württemberg Unwetter 6 300 200

7. – 8.7.2001 Norditalien Unwetter, Tornado 175 30

3.8.2001 Süddtschl., Bayern Unwetter, Hagelsturm – 300 200

Aug. 2002 Süddtschl., Österreich, Italien Überschwemmungen, Unwetter, Hagel 30 10.000 1.000

2./3.1.2003 Dtschl., Schweiz, Frankreich Wintersturm Calvann, Überschwemmungen 6 305 100

August 2003 Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich Unwetter, Erdrutsche 5 500 5

*nur in Österreich und Schweiz ** Originalwerte

Plattform Naturgefahren

Außergewöhnliche Katastrophenereignisse im Alpen-raum haben in den letzten 10 Jahren zugenommen, Beispiele dafür sind der Lawinenwinter 1999, Katastro-phenhochwässer von Pfingsten 1999 und August 2002,Bergstürze z.B. am Matterhorn im Sommer 2003 oder dasTrockenjahr 2004. Im Laufe des heißen Sommers im letz-ten Jahr haben die Alpengletscher 5 –10 % ihrer Masseverloren. Schätzungen zufolge sind im Jahr 2050 dreiViertel der Gletscher verschwunden.

Bekannte statistische Trends, wie extremere und häufi-gere Starkregenereignisse, Anstieg der Schneefallgrenzeim Winter, Ansteigen der Permafrostgrenze, Rückgangder Gletscher und extremere Temperaturschwankungenin den Alpen, deuten darauf hin, dass die Vorboten eineskommenden Klimawandels bereits deutlich merkbarsind.

Bedingt durch die Begrenztheit des Siedlungsraums imAlpenraum und das zunehmend höhere Gefahrenpoten-zial nehmen dadurch die Konflikte zwischen Siedlung,Verkehr, Naturschutz, Land- und Forstwirtschaft und Frei-zeitnutzung zu.

Vor dem Hintergrund der immer deutlicher werdendenZusammenhänge zwischen den Auswirkungen des Klimawandels und der Häufigkeit und Intensität von Na-turkatastrophen hat der Schutz der Bevölkerung undSachwerte, aber auch des ökologischen Systems vor Na-turgefahren eine besondere gesellschaftliche Bedeutung.

Bereits nach den katastrophalen Überschwemmungenvon 1999 und 2000, die fast den gesamten europäischenAlpenraum betrafen, hat eine internationale Arbeits-gruppe im Auftrag der Alpenkonferenz die Ereignisseanalysiert und in ihrem Bericht Empfehlungen für Maß-nahmen zu einem noch wirkungsvolleren Schutz vor Naturgefahren gegeben. Auf nationaler Ebene ergreifendie Vertragsstaaten bereits umfangreiche Aktivitäten zurVorsorge und zum Schutz vor Naturgefahren. Unabhän-gig von der Risikosituation und dem Sicherheitsniveau,können die Alpenländer aber noch mehr vom gegensei-tigen Erfahrungsaustausch hinsichtlich der Präventionzum Schutz vor Naturgefahren profitieren.

Im Rahmen des Zehn-Punkte-Programms des deutschenVorsitzes wurde deshalb eine politische Beschlussfassungzum Thema Naturgefahren für die VIII. Alpenkonferenz2004 vorgesehen, die Prävention und Reaktion sowie diekonkrete Zusammenarbeit der Vertragsparteien weiterintensivieren soll.

Dazu soll bei der Alpenkonferenz der Minister im No-vember 2004 in Garmisch-Partenkirchen eine alpenweite„Plattform Naturgefahren“ eingesetzt werden, in der po-litische und wissenschaftliche Fragen direkt erörtert wer-den.

Zusammensetzung und Aufgaben der Plattform

Die Plattform besteht auf der strategischen Ebene aus denverantwortlichen Vertretern für das primäre Manage-ment der alpinen Naturgefahren in den Vertragsstaaten.Sie steht im Dialog mit den beteiligten Gruppen und In-stitutionen aus Tourismus, Verkehr, Land- und Forstwirt-schaft, Naturschutz sowie Katastrophenschutz und Me-teorologie.

Im Alpenraum existieren einige fest etablierte Experten-kreise, deren Netzwerke bereits heute dem Erfahrungs-austausch dienen. Die flächendeckend im ganzen Alpen-raum einzurichtende Plattform Naturgefahren wird aufdiese vorhandenen internationalen Fachgremien (wiez.B. Interprävent oder IUFRO [International Union of Forest Research Organization ]) sowie auf einschlägige na-tionale Institutionen zurückgreifen.

Die Plattform soll der Politikberatung der Alpenkonven-tion dienen. Dabei ist sowohl ein fachlicher Input an diePolitik als auch eine Beratung und Begutachtung für impolitischen Umfeld auftauchende Fragen notwendig.

Ziel ist es, sowohl die politischen Entscheidungsträger alsauch die Bevölkerung für das Thema Naturgefahren zusensibilisieren und ein Grundverständnis für den Um-gang mit Naturgefahren aufzubauen.

Je nach Anlass sollen Expertengruppen zu einem be-stimmten Thema mit einem befristeten Auftrag betrautwerden und Ergebnisse für die Alpenkonferenz erarbei-ten. Mögliche Themen im länderübergreifenden Dialogsind Frühwarnsysteme, Schutzwald, technische Schutz-maßnahmen, Maßnahmen zur Bewältigung von Ereig-nissen und zur Wiederinstandsetzung oder die gezielteErmittlung von Musterbeispielen („Best Practice“).

Ziel der Plattform ist es letztlich, durch eine bessere – in-stitutionalisierte – Zusammenarbeit unter dem Dach derAlpenkonvention schneller und effizienter grenzüber-schreitende Maßnahmen der Gefahren-Früherkennungund -abwehr umzusetzen und dadurch einen besserenSchutz der Bevölkerung im Alpenraum vor Naturgefah-ren zu gewährleisten.

Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Deutschland

Erlebnispfad Klosters

Oft ist den Gästen, aber auch den Einheimischen nichtmehr bewusst, welche Kräfte die Natur in den Bergen freimachen kann. Verschüttete Schneesportler wegen fahr-lässigem Umgang im Tiefschnee, aber auch verschütteteHäuser wegen fahrlässiger Ortsplanung bezüglich derRüfen und des Hochwassers, zeigen ein verschüttetes Wis-sen über die Naturgefahren. Der Erlebnispfad Klosters,

38

39

der im Sommer 2004 eröffnet wurde, versucht auf spie-lerische Art das Thema den Menschen wieder näherzu-bringen. Der Erlebnispfad schaut aber noch darüber hin-aus und weit zurück: Welche landschaftsgestaltendenKräfte waren und sind in der schönen Landschaft umKlosters noch am Werke? Wie nutzen wir Menschen die-se natürlich entstandene Landschaft und ihre Elemente?

Die schön geschwungenen Hügel, die steilen Felshänge,die mal zahm, mal wild sprudelnden Bergbäche, die far-bigen Wiesen und Wälder rund um Klosters erfreuen dieGäste. Um dem Publikum die aktuellen natürlichen Pro-zesse in dieser Landschaft sowie die Nutzung der Land-schaftselemente aufzuzeigen, hat das Alpenbüro in Zu-sammenarbeit mit der Gemeinde Klosters, der RätiaEnergie, Pro Natura und etlichen anderen einen Erleb-nispfad erstellt, bei dem - neben einer modernen Wis-sensvermittlung - Spiel und Spaß in der freien Natur imMittelpunkt stehen. Zusätzlich steht dem Interessierteneine Broschüre zur Vertiefung der Themen zur Verfü-gung.

Aktuelle natürliche Prozesse in der Landschaft

Obwohl die Landschaft auf den ersten Blick unveränder-lich erscheint, ist sie ständig in Bewegung. Eis, Wasser,Schnee, Wind und endogene Kräfte haben unsere Ge-gend geformt und verändern sie auch noch heute. DieKraft des Wassers gestaltet den Verlauf der Bäche immerwieder neu, Lawinenniedergänge verändern die Land-schaft und Murgänge oder Erdrutsche beeinflussen dasRelief der Berghänge. Wie diese Prozesse im Einzelnenablaufen und wie wir Menschen mit den aktuellen Na-turgefahren umgehen, wird auf verständliche Art anhandverschiedener Tafeln und Installationen entlang des Weg-es erklärt.

Alpenbüro Netz GmbH

Kontakte: Klosters Tourismus, Alte Bahnhofstrasse 6,CH-7250 Klosters, T ++41 (0)81 410 20 20,[email protected]

oder: Alpenbüro Netz GmbH, Eva Lunz, Dorfstrasse 150,CH-7220 Schiers, T ++41 (0) 81 420 22 55, [email protected]

Sicherheit vor Naturgefahren – auf demWeg zur Risikokultur

Wie die zahlreichen Erfahrungen der letzten Jahre in der Schweiz zeigen, konnte die Zahl der Todesopfer infolge Naturkatastrophen zwar reduziert werden, dieSachschäden und insbesondere die indirekten Schädennahmen jedoch zu. Die bisherige Politik im Umgang mitNaturgefahren, welche primär die Gefahrenabwehr zumZiel hatte, darf rückblickend als positiv bezeichnet wer-

den. Die Zunahme der Besiedlungsdichte und die enor-me Wertsteigerung sowie die vielfältigen Bedürfnisse inBeruf und Freizeit vergrößern jedoch das Risiko durch Naturgefahren laufend. Umwelteinflüsse, wie ein Klima-wandel, können zukünftig die Bedrohung durch einzel-ne Naturgefahren verschärfen. Das resultierende Risikoauf ein erträgliches Maß zu vermindern, stellt eine an-spruchsvolle Aufgabe unserer Gesellschaft dar. Mit einerbewusst gelebten Risikokultur soll in der Gesellschaft einganzheitliches Verständnis für den Umgang mit Sicher-heitsfragen erreicht werden.

Die Nationale Plattform Naturgefahren PLANAT

Um die Vorbeugung gegen Naturgefahren in der Schweizweiter zu verbessern, hat der Bundesrat 1997 die Natio-nale Plattform Naturgefahren PLANAT, bestehend auszwanzig Fachleuten aus allen Landesteilen der Schweiz,eingesetzt. Ihr Hauptziel ist der bewusstere Umgang mitbestehenden und künftigen Naturrisiken im Sinne einerpräventiven Risikokultur.

Der Erlebnispfad Klosters informiert auf spielerische Weise über die Land-schaftsgeschichte und Naturgefahren . Quelle: Birgit Grübler, Alpenbüro NetzGmbH

Durch Steinschlag beschädigte Schutzgalerie in der Nähe von Gurtnellen,Kanton Uri (April 2003). Quelle: Amt für Tiefbau Kanton Uri, Altdorf

Die Schweizer Bevölkerung, ihre Lebensgrundlage sowieerhebliche Sachwerte möglichst optimal vor den ver-schiedenen Naturgefahren zu schützen, stellt eine ge-meinsame Aufgabe von Bund, Kantonen, Gemeinden,der Wirtschaft und jedes einzelnen Individuums dar.Hauptaufgabe der öffentlichen Hand ist es, die Risikenaufzuzeigen und zu mindern; Aufgabe jedes Einzelnen istes, Verantwortung zu übernehmen und durch Schutz-vorkehrungen im Rahmen seiner Möglichkeit Schäden zuverhindern oder zu reduzieren.

Eine neue Strategie im Umgang mit Naturgefahren

Die PLANAT-Strategie „Sicherheit vor Naturgefahren“strebt für die Schweiz eine Risikokultur im Umgang mitNaturgefahren an. Darin werden gesellschaftlich, ökono-misch und ökologisch vertretbare Schutzziele definiert, d. h. Grenzen für die Sicherheitsanstrengungen beimSchutz von Leib und Leben sowie von Hab und Gut. DieSchutzziele sollen mit einem integralen Risikomanage-ment erreicht werden. Dabei werden mögliche Maßnah-men der Prävention, Intervention und Wiederinstand-stellung gleichwertig und über sämtliche Naturgefahrenhinweg aufeinander abgestimmt. Trotz bester Vorbeu-gung muss aber auch in Zukunft mit Katastrophen ge-rechnet werden. Für die Minderung des Restrisikos ist es

deshalb wichtig, auch über eine umfassende Notfallpla-nung zu verfügen.

PLANAT c/o Bundesamt für Wasser und Geologie, Schweiz

Bibliografie und Adresse

■ Sicherheit vor Naturgefahren. Risikokultur – von der Vision zur Strategie. Tätigkeitsbericht 2001 – 2003 der Na-tionalen Plattform Naturgefahren (PLANAT), PLANAT-Reihe7/2004 (d); 8/2004 (f); 9/2004 (i)

■ Vision und Strategie – Sicherheit vor Naturgefahren,PLANAT-Reihe 1/2004 (d); 2/2004 (f ); 3/2004 (i)

Die Publikationen sind auch im PDF-Format auf der PLANAT-Website www.planat.ch als Download verfügbar.

Sekretariat PLANATc/o Bundesamt für Wasser und Geologie (BWG)Postfach, 2501 BielTelefon: ++41 (0) 32/ 328 87 40Fax: ++41 (0) 32/ 328 87 12E-Mail: [email protected]: www.planat.ch

40

Integrales Risikomanagement (¬PLANAT)

Unter integralem Risikomanagement wird das ganz-heitliche Vorgehen in einem Kreislauf von Prävention,Intervention und Wiederinstandstellung verstanden.

Nach Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS

41

Sicherheit vor Naturgefahren und Auswei-sung als Waldreservat – ein Gegensatz?

Die Bewirtschaftungsgrundsätze der LiechtensteinerWaldwirtschaft fördern die Erfüllung der Natur- undLandschaftsschutzfunktion des Waldes auf dessen gesam-ter Fläche. So entspricht die im Rahmen der Erbringungder Holzproduktions-, der Schutz- und der Erholungs-funktion praktizierte naturnahe Waldbewirtschaftung einem vorrangigen Naturschutzziel. Mit der möglichstlangen Erhaltung und der Vernetzung von Alt- und Tot-holzinseln oder mit dem Schutz und der Pflege ökolo-gisch wertvoller Waldränder werden gezielte Schutz-maßnahmen umgesetzt. Darüber hinaus bleibenWaldflächen mit vorrangiger Natur- und Landschafts-schutzfunktion als Naturwaldreservate gemäß Art. 10 des Bergwaldprotokolls zur Alpenkonvention ausgewie-sen und damit langfristig verbindlich der natürlichenWalddynamik überlassen.

Erosion und Hangrutschungen, Wildbäche, Steinschlagund Lawinen beeinflussen und begrenzen im Gebirgs-land Liechtenstein die Landnutzungsmöglichkeiten. Des-halb beschränkt das Erfordernis zur Sicherstellung derSchutzwirkungen des Bergwaldes gemäß Art. 6 des Berg-waldwaldprotokolls zur Alpenkonvention den waldpoli-tischen Handlungsspielraum auf großen Flächen. So stehtder Ausweisung eines aus Naturschutzsicht schützens-werten Waldes als der freien Dynamik überlassenes Na-turwaldreservat nicht selten das Erfordernis dessen Pfle-ge und Bewirtschaftung als Schutzwald zur Optimierungder Schutzwirkungen gegenüber.

Das mit einem Naturwaldreservat angestrebte Natur-schutzziel „Sicherung der natürlichen Dynamik“ lässt sichsomit ehrlicherweise in Wäldern, in denen im Hinblickauf die Optimierung der Schutzwaldwirkungen Eingriffenotwendig sind, nicht verwirklichen. Sehr wohl lassensich dagegen anderweitige vorrangige Natur- und Land-schaftsschutzziele bei gleichzeitiger Vornahme von sanf-ten Maßnahmen der naturnahen Schutzwaldpflege erreichen: Diese Wälder, in denen ein spezifisches vor-rangiges Naturschutzziel gezielte Maßnahmen der Na-turschutzpflege erfordert, sind dann ebenso als Sonder-waldfläche ausgeschieden wie jene Waldgebiete, indenen die Erreichung wichtiger Naturschutzziele durchdie Ausführung naturnaher Pflegemaßnahmen im Hin-blick auf ein wichtiges Schutzwaldentwicklungsziel nichtbeeinträchtigt wird.

Insgesamt sind im Liechtensteiner Wald 30 Waldreserva-te und Sonderwaldflächen mit einer Gesamtfläche von1.879,2 ha oder 27,4 % der bestockten Waldfläche ausge-schieden; von diesen entfallen 7 auf Waldreservate, 3 aufzusammenhängende Waldreservate/Sonderwaldflächenund 20 auf Sonderwaldflächen. Die Waldreservate um-fassen eine Fläche von 1.322,1 ha oder 70,4 %, die Son-derwaldflächen 557,1 ha oder 29,6 %. Die kleinste Flächebeträgt 2,4 ha, die größte 924,8 ha.

Über 50 unterschiedliche Waldgesellschaften sind in denNaturwaldreservaten und Sonderwaldflächen vertreten.Das Naturschutzziel, die Waldökosystem- und Artenviel-falt sowie die Genressourcen zu erhalten, wird mit denausgeschiedenen Waldreservaten und Sonderwald-flächen somit ebenso erreicht wie die in einigen Sonder-waldflächen zusätzlich nachgefragte Schutzwirkung vorNaturgefahren.

Aufgrund der floristischen oder faunistischen Zusam-mensetzung oder des besonderen Entwicklungspoten-zials hinsichtlich der natürlichen Walddynamik ist für je-des Waldreservat und jede Sonderwaldfläche ein Schutz-und Waldentwicklungsziel verbindlich bestimmt. Zu-sätzlich ist festgelegt, welche Pflege-, Bewirtschaftungs-und Unterhaltsmaßnahmen zur Erreichung des Schutz-und Waldentwicklungsziels notwendig und zulässig sind.Außerdem sind diejenigen Maßnahmen bestimmt, wel-che einerseits notwendig sind, um möglicherweise schäd-liche Einwirkungen auf das Waldreservat oder die Son-derwaldfläche selbst zu begrenzen, oder welcheandererseits notwendig sind, um Schäden auf benach-barte Gebiete infolge der Unterschutzstellung auszu-schließen.

Sowohl der Verzicht auf die bisherige tatsächliche oderdie zukünftig optionale Nutzung als auch die Vornahme

Chornohirskii-Urwald. Quelle: Amt für Wald, Natur und Landschaft

von spezifischen Maßnahmen verursachen für den Waldeigentümer Kosten: Es entsteht ein Entschädi-gungsanspruch für den Nutzungsverzicht und ein Abgeltungsanspruch für die erbrachten spezifischenDurchführungsmaßnahmen. Der Entschädigungsan-spruch für den Nutzungsverzicht für die 30 Waldreser-vate und Sonderwaldflächen beläuft sich auf durch-schnittlich CHF 26,7/ha/Jahr. Die Höhe der Abgeltungenfür funktionenorientiert erbrachte Leistungen ist be-stimmt durch den Umfang der Pflege-, Bewirtschaftungs-und Unterhaltsmaßnahmen und die personelle, organi-satorische und finanzielle Betriebsplanung.

Ein Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Vor-rangfunktionen ist dabei gesichert: Wo in einem groß-flächigen Waldreservat Erfordernisse zur Leistung derSchutzfunktion eine minimale Pflege auf einer Teilflächevoraussetzen, sind die entsprechenden Teilflächen alsSonderwaldflächen ausgewiesen.

Amt für Wald, Natur und Landschaft, Liechtenstein

Informationsdienst Alpine Naturgefahren (IAN)

Lawinen, Hochwasser, Muren, Rutschungen und Fels-stürze sind Naturphänomene, die den Lebensraum Alpenseit jeher prägen. Mit der Besiedlung der Alpen wurdensie zu Naturgefahren.

Um diese Gefahren zu beurteilen, betrachten Fachleuteeine Vielzahl von Faktoren, u. a. die Vegetation und Geo-logie im Einzugsgebiet eines Wildbachs. Der Informa-tionsdienst Alpine Naturgefahren (IAN) bündelt Infor-mationen verschiedener Fachbehörden in thematischenKarten. So ermöglicht er einen Überblick über die Ge-fahrensituation in einem Gebiet. Auch abgelaufene Scha-densereignisse werden dokumentiert.

Für wen sind die Informationen wichtig?

In erster Linie sind die Gemeinden und Planungsbürosangesprochen. Aber auch jeder Bürger hat die Möglich-keit, sich über die Situation an seinem Wohnort zu in-formieren. Das genaue Beurteilen der Gefahrensituationbleibt allerdings Sache der Fachleute. (Bei Fragen dazugibt Ihnen Ihr zuständiges Wasserwirtschaftsamt gerneAuskunft.)

Wie finde ich den IAN? Den IAN finden Sie unter www.wasser.bayern.deStichwort Naturgefahren

und ebenso unter www.lfw.bayern.deStichworte Service —> Warn- und Informationsdienste

Landesamt für Wasserwirtschaft Bayern, Deutschland

DIS-ALP - Disaster Information System ofAlpine Regions

Naturgefahren Informationssystem in Alpinen Regionen(INTERREG IIIB Projekt)

Hintergrund und Ziele des Projekts

Naturkatastrophen sind im gesamten alpinen Bereich ei-ne wichtige Komponente des täglichen Lebens und Para-meter menschlicher Aktivitäten sowie Entwicklungen.

DIS-ALP ist bezüglich der Art von Naturkatastrophen einQuerschnittsprojekt und konzentriert sich auf die Lösungdes Informationsproblems (Dokumentation von Kata-strophenereignissen).

Die jüngsten Katastrophenereignisse haben gezeigt, dassInformationen über bereits aufgetretene Naturkatastro-

42

Heftige Regenfälle brachten Teile eines Hangs in Vordergern (Gem. Berchtes-gaden) ins Rutschen. Quelle: Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft

Hochwasser, Lawinen, Rutschungen – Naturgefahren im alpinem Lebensraum

43

phen von größter Bedeutung sind. Sie dienen als Basis fürinterdisziplinäre Forschung, zur Erklärung und Vorher-sage von Katastrophen sowie als Entscheidungsbasis fürMaßnahmen zur Risikominimierung.

Die für den räumlichen Entscheidungsprozess grundle-gende Informationsbasis wird durch das Projekt DIS-ALPvereinheitlicht und leichter zugänglich.

Die Resultate und Effekte des DIS-ALP-Projekts (mit drei-jähriger Laufzeit, 2003–2006) werden unter anderemsein:

Kurzfristig: Ein intensiver überregionaler Informations-austausch von Experten des Wassermanagements, desWildbach- und Lawinenschutzes mit Raumplanern, Forst-experten und Informationstechnikern.

Mittelfristig: Eine Informationsplattform über Naturkata-strophen für die Öffentlichkeit, die auch der „Überset-zung“ komplexer Zusammenhänge und Ereignisse zwi-schen Experten, Planungsinstitutionen und Betroffenendient.

Langfristig: Eine Vereinheitlichung und Homogenisierungder Naturkatastrophen-Dokumentation im gesamten Al-penraum mit dem positiven Effekt des einfacheren Infor-mationsaustausches bei regionsüberschreitenden Kata-strophen.

Das Projektteam zeichnet sich in seiner Zusammenset-zung durch die räumliche Abdeckung eines breiten Be-reiches des Alpenraumes sowie durch die interdiszi-plinäre Erarbeitung von Lösungen aus.

www.dis-alp.org

Landesamt für Wasserwirtschaft Bayern, Deutschland

Einzugsgebiete Alpiner Regionen - EGAR

Ausgangslage:

Alpine Regionen und Wildbachgebiete unterliegendurch natürliche Phänomene wie Lawinen, Steinschlag,Rutschungen, Muren und Hochwasser einerseits unddurch anthropogene Einflüsse und Nutzungen anderseitseiner ständigen Dynamik. Das Risiko zu solchen Natur-gefahren und deren Ausmaß ist durch die Wechselwir-kung natürlicher abiotischer (Klima, Geologie) und bioti-scher (Boden, Wasser, Vegetation) Faktoren sehrunterschiedlich. Die Naturgefahren stehen vielfach in en-gem Zusammenhang mit der Art und Intensität spezifi-scher Nutzungen. Dementsprechend ergeben sich häufigKonfliktsituationen aufgrund des Nutzungspotenzials

(Wald, Landwirtschaft, Siedlung, Tourismus, Naturschutzetc.) und des vorhandenen Naturgefahrenpotenzials.

Ziele

Ziel des Projekts war es, anhand zweier alpiner Täler – Zillertal/Tirol, Oberammergau/Bayern – die Nutzungs-ansprüche und Naturgefahren darzustellen und zu ver-gleichen. Die Überschneidungsbereiche, die sich darausergeben, zeigen deutlich aktuelle und potenzielle Kon-flikte auf und bilden eine wichtige Grundlage für regio-nale Planungen.

Das Naturgefahrenpotenzial wurde in sog. Gefahrenhin-weiskarten dargestellt und bewertet und dient als Ent-scheidungsgrundlage zur Konfliktregelung (Wo kannman eine Nutzung tolerieren, intensivieren, wo erhöhtsich das Naturgefahrenpotenzial, welche zusätzlichenSchutzmaßnahmen sind nötig etc.?). Zudem sind Aussa-gen zur Dringlichkeit von lokalen Detailuntersuchungenund -planungen für notwendige Schutzmaßnahmenmöglich.

Die Methodik zur Umsetzung von EGAR wurde in einemEU-Projekt mit Bayern, dem Land Tirol und der Autono-men Provinz Bozen-Südtirol entwickelt. Die Ergebnissesind in den bayerischen „Informationsdienst Alpine Naturgefahren – IAN“ bzw. das Tiroler Rauminformati-onssystem (TIRIS) eingebunden und stellen eine weitereHilfe im Umgang mit Naturgefahren im Bergland dar.

Landesamt für Wasserwirtschaft Bayern, Deutschland

CATCHRISK - Mitigation of hydro-geological risk in Alpine catchments

(Verminderung von hydrogeologischen Risiken in alpinen Einzugsgebieten)

In den letzten Jahren ist die Alpenregion immer häufigervon Katastrophen hydrologischen und geologischen Ursprungs (Hochwasser, Muren, Steinschlag, Felsstürze,

Durch Naturgefahren gefährdete Gebäude. Quelle: Landesamt für Wasser-wirtschaft Bayern

Rutschungen) heimgesucht worden. Diese Ereignisse, dieschwere Schäden im gesamten Alpenraum verursacht ha-ben, sind vermutlich auf eine Erhöhung der Intensität derNiederschläge und auf die räumliche Konzentration derNiederschläge zurückzuführen.

Einige Niederschlagsereignisse waren so heftig, dass siezu Jahrhunderthochwässern führten oder diese gar über-troffen wurden.

In unterschiedlichen Regionen der Alpenanrainerstaa-ten sind bereits Methoden zur Risikoabschätzung beiÜberschwemmungen, Rutschungen und Felsstürzen ent-wickelt worden.

Ein Hauptziel des Interreg III B-Projekts „Mitigation ofhydro-geological risk in Alpine catchments“ ist es, ge-meinsam Grundlagen, Methoden und Überwachungs-strategien zu erarbeiten und auszutauschen, um Risiko-Szenarien in alpinen Einzugsgebieten definieren zukönnen. Das Ziel ist, die negativen Auswirkungen von hy-drologisch-geologischen Naturkatastrophen zu verhin-dern oder zumindest abzumindern.

Im Zuge des Projekts werden ein gemeinsamer Ansatz zurBeschreibung von Risikoszenarien in Alpentälern, im Spe-ziellen auf Schwemm- und Murfächern, ausgearbeitet so-wie gemeinsame Richtlinien und Terminologien im Sin-ne einer nachhaltigen Landnutzungsstrategie entwickelt.Unter den 10 Partnern (aus Italien, Schweiz, Deutschland,Österreich) sollen dabei Methoden, GIS-Datensysteme

und -tools sowie Erfahrungen und Ergebnisse in den je-weiligen Testgebieten ausgetauscht werden.

Das Projekt gliedert sich in fünf Arbeitspakete:

■ WP1 - Hydrogeologische Prozesse im Bereich des Ein-zuggebietes

■ WP2 - Gefahrenabschätzung bei Hangbewegungen

■ WP3 - Überschwemmungen auf den Schwemm- undMurfächern

■ WP4 – Überschwemmungen im Flusstal

■ WP5 – Veröffentlichung der Projektergebnisse

Im Rahmen des Arbeitspaketes 2 „Gefahrenabschätzungbei Hangbewegungen” werden beispielsweise Gefahren-hinweiskarten im Maßstab 1:25.000 für Felssturz- undSteinschlagereignisse entwickelt. Mit Hilfe einer GIS-ge-stützten Methode erfolgt die flächenhafte Ermittlung vonpotenziellen Gefährdungsbereichen durch Felsstürze(maximale Reichweiten) im regionalen Maßstab sowiederen Einstufung nach Entrittswahrscheinlichkeit und In-tensität.

www.catchrisk.org

Bayerisches Geologisches Landesamt, Deutschland

44

Die roten und orangen Flächen sind potenzielle Anbruchbereiche für Fels-stürze, die im digitalen Geländemodell dreidimensional dargestellt werden.

In Kenntnis der potenziellen Anbruchbereiche für Felsstürze kann deren maxi-male Reichweite mit Hilfe von computergestützten Modellierungen näherungs-weise bestimmt werden (Pauschalwinkelmethode).

45

TOURISMUS

Nachhaltiger Tourismus mit der Alpen-konvention – „Wohin geht die Reise?“

„The Alps – the playground of Europe“ nannten die Rei-senden des 19. Jahrhunderts eines ihrer begehrtesten Reiseziele. Sie bezogen sich dabei auf den Titel derberühmten Monografie des englischen Alpinisten LeslieStephen. Mehr als ein Jahrhundert später haben sich dieeuropäischen Alpen von der Geburtsstätte des modernenReisens zur intensiven Fremdenverkehrsregion entwi-ckelt. Mit über 100 Millionen Besuchern im Jahr liegt die touristische Wertschöpfung bei jährlich rund 50 Mil-liarden E. Doch trotz solch immenser touristischer Kenn-zahlen darf nicht übersehen werden, dass nur jede zehn-te der 6000 Gemeinden in den Alpen eine intensiveNutzung für den Fremdenverkehr kennt. Der weitausgrößte Teil der Alpenregionen besitzt einen wenig inten-siven bis gar keinen Tourismus.

Die Alpen bilden einen der landschaftlich attraktivstenGroßräume in Europa. Die Schönheiten reichen von denvergletscherten Viertausendern der Westalpen bis zu denbeschaulichen vor- und randalpinen Seen in Bayern undin der Schweiz; von den letzten unverbauten Fluss-landschaften der Ostalpen bis zu den alten Ackerterras-sen und historischen Bewässerungssystemen in Südtirol,Piemont und Wallis, von den hochgelegenen Streusied-lungen der Walser in den Zentralalpen bis zu den histo-rischen Alpenstädten in Norditalien. Solche und anderePerlen gilt es zu behüten wie einen Schatz, denn sie bil-den heute und in Zukunft die wichtigste Ressource für ei-nen ökonomisch erfolgreichen Alpentourismus.

Übernutzung und Unternutzung

In ihrer punktuellen touristischen Übernutzung sind dieAlpen zum Negativbeispiel für eine umweltzerstörerischeund nicht nachhaltige Entwicklung geworden. Rund fünfMillionen Gästebetten mit ansehnlichen Anteilen in derParahotellerie, über 10.000 Luftseilbahnen, Sessellifteund Skilifte, Tausende Kilometer Autobahnen, Schnell-straßen sowie Flugplätze, Schneekanonen, Golfplätze,Funparks und vieles andere mehr sind Ausdruck diesernegativen Entwicklung. Und trotz stagnierender Nach-frage im Skitourismus ist weiterhin der Aus- und Neubaueiner großen Zahl von Skigebieten geplant, so zum Bei-spiel mit dem Zusammenschluss der Skigebiete von Meiringen-Hasliberg im Berner Oberland und Engelberg-Titlis in der Zentralschweiz.

Diese Dimensionen können nicht darüber hinwegtäu-schen, dass der Alpentourismus, regional unterschiedlichstark, mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Sosind die Touristiker heute mit einer markanten Verände-rung bei den Nachfragetrends und beim Gästeverhaltenkonfrontiert. Der Skifahrermarkt stagniert, nicht zuletztaufgrund des steigenden Durchschnittsalters der Bevöl-kerung in den touristischen Quellgebieten. Die klassischealpine Sommerfrische gehört längst der Vergangenheitan, und statt wandernd in Berggasthäusern zu logieren,frönen die Gäste heute zum Beispiel dem Antiaging-Ur-laub in der Wellness-Oase. So plant im Schweizer Traditi-onskurort Arosa ein ausländischer Unternehmer inschönster Panoramalage mitten im Wandergebiet einüberdimensioniertes Wellness-Ressort.

>> Sanfte Wiesen und steil aufragende Felswände prägen die Landschaft im Rosengarten in Südtirol. Quelle: U. Visciani/APT Trentino

Jüngere Zielgruppen halten demgegenüber nach trendi-gen Sportangeboten Ausschau und zappen zwischenSport-Klassikern, wie Snowboarden oder Mountainbikenund Nischenangeboten, wie Eisfallklettern, Downhill, Riverrafting oder Canyoning. Vermehrt breiten sich auchlärmintensive Motorsportarten aus, vom geländegängi-gen Quad bis zur touristischen Gebirgsfliegerei. Viele die-ser neuen Angebote sind nicht alpenspezifisch und wer-den auch von vielen anderen Tourismusdestinationenangeboten. So buchen Konsumentinnen und Konsumen-ten heute das Ökotourismusangebot in Kenia oder in

Brasilien mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wiefrüher die Hohen Tauern oder die Seealpen für den Na-tionalparkurlaub ausgewählt wurden.

Die wachsende Konkurrenz im internationalen Touris-mus macht vielen Anbietern zunehmend zu schaffen. Be-sonders in ländlichen Urlaubsorten und abgelegenen Talschaften sorgt man sich über die sinkende Bettenaus-lastung, während die Zuwachsraten fast nur noch in denstark frequentierten touristischen Hochburgen anfallen.Die Folge sind oftmals Betriebsschließungen, verbundenmit einem Verlust an lokalen Arbeitsmöglichkeiten, wo-durch die Zahl der Pendler zunimmt und sich der Trendzur Abwanderung weiter verstärkt.

Trends und Gegentrends

Jeder Trend besitzt einen Gegentrend. In den Alpenkommt dies in der steigenden Nachfrage nach Angebo-ten des naturnahen Tourismus zum Ausdruck. Naturna-he und landschaftsorientierte Sport- und Freizeitaktivitä-ten, wie Wandern, Trekking, Winterwandern, Radfahren,Mountainbiken, Bergsteigen, Skitouren und Klettern, tra-

gen vielerorts sichtbar zum Aufschwung des lokalen Tou-rismus bei. Gemäß neueren Studien besitzt der naturna-he Tourismus in einigen Alpenländern ein Potenzial vonbis zu einem Drittel der Gäste. Obwohl der naturnaheTourismus überwiegend Individualgäste anspricht, ent-stehen in jüngster Zeit in allen Alpenländern zahlreicheneue Firmen, welche sich auf Outdoor-Angebote speziali-sieren.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in den urbani-sierten Zentrumsregionen der Alpen. Daraus resultiert ei-

ne wachsende Bedeutung der Nah- und Nächsterholungals eine spezifische und immer wichtiger werdende Formdes alpinen Fremdenverkehrs. In vielen Regionen, die inder Nähe großer inner- und außeralpiner Städte, wie Wien, München, Zürich, Grenoble, Turin und Mailand,liegen, gewinnt der Tagestourismus zunehmend größereAnteile, und die Zahl der Übernachtungsgäste geht kon-tinuierlich zurück. Wo diese Entwicklung nicht durch ver-besserte ÖPNV-Angebote aufgefangen wird, erhöht sichdie Belastung aus dem motorisierten Individualverkehrund bedroht die Qualität der alpinen Lebensräume.

Klimaerwärmung und Tourismus

Extreme Topographie, Klimagegensätze und sensibleÖkosysteme prägen den Charakter der alpinen Land-schaft. Diese Besonderheiten sind der Grund dafür, dassdie Folgen des Klimawandels in den Alpen rascher unddirekter sichtbar werden als anderswo. Für den Alpen-tourismus resultiert aus der Klimaerwärmung eine neuar-tige Problemlage. Skigebiete in tiefen Lagen spüren be-reits heute die Auswirkungen der saisonal starkschwankenden Schneegrenze. Wenn die Wintertempe-

46

Der Langlauf stellt eine Form des sanften Tourismus dar. Quelle: Deutscher Alpenverein

47

raturen während eines längeren Zeitraums zu hoch lie-gen, helfen auch die in den vergangenen Jahrzehnten in großer Zahl erstellten künstlichen Beschneiungsanla-gen nicht mehr weiter. Auf der Suche nach Auswegenprüfen derzeit eine Reihe Bergbahnunternehmen die Er-schließung von neuen, heute noch schneesicheren Berg-gipfeln und Geländekammern für den Skisport.

Einen Vorgeschmack dessen, was der Alpentourismus inZukunft möglicherweise erwartet, illustriert das Beispieldes Hitzesommers im Jahr 2003. Wenn diese Phänomenezum alpinen Normalfall werden, schmelzen die Gletschernoch stärker zurück als bisher und verlieren ihre touris-tische Attraktivität. Die Permafrostböden tauen auf underhöhen das Risiko von Naturkatastrophen, tückischeneue Gefahren in Fels und Eis erhöhen das Risiko beimBergwandern und Bergsteigen. Gemäß neueren For-schungsresultaten wird die weitere Klimaerwärmung da-zu führen, dass die Bewohner und Gäste der Alpenzukünftig noch mehr als bisher mit extremen Naturer-eignissen wie Starkniederschlägen, Lawinen, Murgängenund Windstürmen zu kämpfen haben werden.

Nachhaltiger Tourismus mit der Alpenkonvention

Mit der Alpenkonvention beabsichtigen die Alpenstaa-ten, gemeinsame Leitbilder für eine nachhaltige Touris-musentwicklung im Alpenraum zu konkretisieren undgemeinsam umzusetzen. Der Club Arc Alpin (CAA), deralpenweite Dachverband der Alpinistenvereine, hat hier-zu einen konkreten Vorschlag entwickelt: Die Alpenlän-der sollen gemeinsam die Grenzen des Skigebietsausbausfestlegen. Eine jährliche Vergabe von Pistenflächenkon-tingenten und die internationale Angleichung von Umweltverträglichkeitsprüfungen könnten dem unheil-vollen Trend des internationalen Wettrüstens entgegen-wirken. Damit wäre der Neubau von Pisten an einzelnenOrten nicht untersagt, müsste jedoch durch einen Rück-bau an anderen Orten kompensiert werden.

Einen für die Zukunft der Alpen existenziellen Zielbe-reich stellt die Raumordnung dar. Damit können demMassentourismus in seinen überbordenden Formen sinn-volle Grenzen aufgezeigt werden, etwa mit der Festle-gung naturräumlicher Entwicklungsgrenzen im Skisportoder durch die Festsetzung der Größe und Qualität vonSiedlungsflächen. In gleichem Sinne zielt die Alpenkon-vention auf die Einführung von Ruhezonen ab, um nebenden touristischen Schwerpunktgebieten ausreichendeKompensationsräume für Menschen, Tiere und Ökosyste-me zu erhalten. Solche raumordnerischen Strategien sol-len aus Sicht der Alpenkonvention begleitet werdendurch verbesserte Ausbildungen für Tourismusverant-wortliche und vermehrte Sensibilisierung und Umwelt-bildung bei den Gästen. Bestehende und gut funktionie-rende Beispiele sind die jährliche Sommerakademie derInternationalen Alpenschutzkommission CIPRA und die„Schule des Sanften Reisens“, getragen durch das WienerInstitut RESPECT und die Naturfreunde Internationale.

In touristischer Hinsicht verfolgt die Alpenkonventionzweierlei grundsätzliche Zielrichtungen: Einerseits sollder Intensivtourismus, der die Existenzgrundlage vielerAlpenregionen darstellt, umwelt- und sozialverträglichergestaltet werden. Andererseits zielt die Alpenkonventionauf die Förderung des naturnahen, ländlichen Touris-mus. Diese beiden grundsätzlichen Zielrichtungenschließen sich zwar nicht aus, bedürfen jedoch je spezi-fischer Strategien und Maßnahmen. So verzichten beispielsweise ländliche Tourismusgebiete wie der Bio-sphärenpark Großes Walsertal auf den Bau neuer Skige-biete und setzen auf innovative Kooperationen mit Gewerbe, Land- und Forstwirtschaft. In intensiven Touris-musorten geht es daneben auch um ein effizientes undökologisches Ressourcen-Management. So ist die WalliserSkistation Saas Fee daran, im Zuge einer qualitativen Be-reinigung seiner skitouristischen Infrastrukturen die An-zahl der Skilifte zu reduzieren und die Skigäste auf be-sonders geeigneten Flächen zu konzentrieren. Paralleldazu fördert der Ort den autofreien Tourismus und denEinsatz von erneuerbaren Energien.

„UNESCO-Biosphäre“ und „Sanft Mobiler Schlüssel“

Wie das Tourismusprotokoll der Alpenkonvention in ei-ner ländlichen Region umgesetzt werden kann, zeigt dasEntlebuch in der Schweiz. In dieser voralpinen Randre-gion haben sich Verantwortliche und Bevölkerung dafürentschieden, mit dem Aufbau eines UNESCO-Biosphären-reservats zu beginnen. Wichtigstes Naturkapital der„UNESCO-Biosphäre Entlebuch“ bilden die ausgedehntenMoorlandschaften, auf deren Basis ein wertschöpfungs-starker, naturnaher Tourismus aufgebaut werden soll.Dank einer Vielzahl von Kooperationen zwischen Touris-mus, Berglandwirtschaft, Forstwirtschaft, Gewerbe undanderen Partnern sollen nicht nur die bisherigen Touris-musorte, sondern alle Gemeinden der Region von derneuen Strategie profitieren können. Das Entlebuch ver-mag sich so als eine Modellregion zu profilieren, welchedie eigene Zukunft selber in die Hand nimmt und aktivmitgestaltet.

Die Gemeinde Werfenweng im österreichischen Pongaubeweist mit ihren Bemühungen zur Besänftigung desTourismusverkehrs, dass auch ein einzelner Tourismusorteinen relevanten Beitrag zur Vermeidung der Klimaer-wärmung leisten kann. Im Mittelpunkt steht der „Sanft-Mobile-Schlüssel“ der Werfenwenger Hotelkooperation.Jene Gäste, die den Autoschlüssel für die Dauer des Ur-laubsaufenthaltes im Tresor des Tourismusverbandeseinschließen lassen, erhalten kostenlos den „Sanft-Mobi-len Schlüssel“ mit einer Fülle von zusätzlichen, den auto-losen Gästen vorbehaltenen Leistungen: kostenloser Ab-holservice vom nächsten Bahnhof mit dem eigenseingerichteten „Werfenweng Shuttle“; ein Mobiltelefonfür die Dauer des Urlaubs, um den Privatchauffeur mitseinem Elektroauto für Fahrten innerhalb des Ortes rufenzu können; freie Nutzung der Elektro-Fahrzeuge (Elektro-Scooter, Elektro-Fahrräder) in Werfenweng; Fahrradver-

leih sowie freien Badeintritt und ein großes Angebot angeführten Wanderungen und Radtouren. Die Werfen-wenger Strategie ist ökonomisch erfolgreich, konnte dochder Ort seine Nächtigungszahlen in jüngster Zeit markant

steigern. Werfenweng und weitere Destinationen, diesich für eine nachhaltige Tourismusmobilität einsetzen,werden jetzt zusätzlich belohnt. Namhafte holländischeReiseanbieter haben ein Angebotspaket mit sanft-mobi-len Urlaubsorten in den Alpen lanciert.

„Via Spluga“, „Maison de Pays“ und „Allianz in den Alpen“

Die Alpenkonvention strebt nicht eine isolierte Ökologi-sierung des Tourismus an. Genauso wichtig wie derSchutz der Umwelt sind Lösungsansätze für die sozioöko-nomischen Probleme im Alpenraum. Ein unverzichtbaresElement einer zukunftsfähigen Tourismusentwicklung imAlpenraum stellt daher die Partizipation der lokalen Ak-teurinnen und Akteure dar.

Ein anschauliches Umsetzungsbeispiel liefert hierfür die„Via Spluga“, welche die Schweiz mit Italien verbindet.Bei diesem Kultur- und Weitwanderweg handelt es sich um die ehemalige Säumerroute des Splügenpasseszwischen Graubünden und dem Veltlin, welche auf derhistorischen Trasse in mehreren Tagen in beiden Rich-tungen erwandert werden kann. Ein breit abgestütztesRegionalmanagement versucht, die branchenübergrei-fende und grenzüberschreitende Zusammenarbeit inGang zu bringen. Neben den lokalen, regionalen und na-tionalen Behörden beider Länder werden die Akteur-gruppen aus verschiedenen Branchen, wie Hotellerie, Gastronomie, Verkehr, Gewerbe und Landwirtschaft, ein-bezogen. Daneben gilt es, Medien, Schulen, Forschungund überregionale touristische Leistungsträger für dasProjekt zu gewinnen. Auf diesem breiten Fundamentwird es möglich, mit der „Via Spluga“ eine funktionie-rende touristische Angebotskette zu entwickeln, welchevor Ort mitgetragen wird und auf dem Markt einen ste-tig wachsenden Erfolg aufweist.

Im „Mayson de Pays“ in Josiers in der Ubaye in den fran-zösischen Alpen kooperieren das Kleingewerbe und die

Landwirtschaft in einer Tourismusregion. In den Ausla-gen des „Schaufensters der Ubaye“, wie sich das Haus sel-ber bezeichnet, liegen Milch-, Fleisch- und Wurstspeziali-täten, Honig, Spirituosen, Seifen, Töpferwaren, Möbel,Kunsthandwerk und andere regionale Produkte zum Ver-kauf bereit. Die Kundschaft besteht zum überwiegendenTeil aus Gästen der umliegenden Tourismusstationen,aber auch Einheimische decken sich im Laden mit loka-len Erzeugnissen ein. Unter Umgehung des Zwischen-handels liefern Hersteller, Landwirte und Gewerbetrei-bende aus der Region ihre Produkte direkt insVerkaufsgeschäft.

Das Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“ doku-mentiert, in welche Richtung die alpenweite Zusam-menarbeit im nachhaltigen Tourismus zukünftig gehenkann. In diesem alpenweiten Netzwerk sind über 160 Gemeinden aus allen Alpenländern zusammengeschlos-sen und bearbeiten neben dem Tourismus auch weiteredamit verwandte Handlungsfelder, wie Berglandwirt-schaft, Naturschutz und Landschaftspflege, Raumpla-nung und Verkehr. Das Gemeindenetzwerk ist keine tou-ristische Marketingorganisation, sondern ein Verbundvon Gemeinden mit intensivem, extensivem und zum Teilauch ohne Tourismus. Im Rahmen der Alpen-Allianz tau-schen die Gemeindeverantwortlichen ihre Erfahrungenaus, zum Beispiel ganz praktische Überlebensstrategienvon Alpengemeinden im Rahmen des globalen Struktur-wandels. Mit dem aktuellen Projekt „DYNALP“ entwickelndie beteiligten Netzwerkgemeinden auf Basis der kultur-landschaftlichen Werte neue, nachhaltige Tourismusan-gebote.

Wohin geht die Reise?

Gegenwärtig sind Bestrebungen im Gang, große und ren-table Bergbahnunternehmen in verschiedenen Alpen-ländern unter dem Dach eines internationalen Konzernszusammenzufassen. Was für einige Branchenleader imSkitourismus vielleicht ein gangbarer Weg sein kann, bie-tet kein taugliches Rezept für eine zukunftsfähige Tou-rismusbranche in den Alpen. Die Besonderheit der alpi-nen Fremdenverkehrswirtschaft besteht gerade in ihremkleinstrukturierten Mosaik von Hotels, Gasthäusern, Berg-bahnen und Kleinanbietern. In dieser kleinförmigen be-trieblichen Struktur liegt einerseits eine Stärke des Al-pentourismus, weil dadurch nicht einfach gegen,sondern mit der ansässigen Bevölkerung geplant und ge-arbeitet werden muss. Andererseits bilden solche Struk-turen aber auch seine größte Schwäche mit den typi-schen Problemen des Kleingewerbes. Hierzu gehörenbeispielsweise fehlende Investitionsmöglichkeiten fürdringend nötige Erneuerungen, geringe Innovations-fähigkeit zur Entwicklung neuer Angebote, mangelndeDienstleistungsqualität und unzureichendes Marketing.Dies alles sind Schwächen, die im Rahmen der Förderungeiner nachhaltigen Regionalentwicklung angegangenwerden müssen, wozu die Alpenkonvention eine Hilfe-stellung bieten kann.

48

Die Gemeinde Werfenweng (Salzburg) setzt im Tourismus auf sanfte Mobilität.Quelle: Bundesministerium für Land- und Fortswirtschaft, Umwelt undWasserwirtschaft, Österreich

49

Wird die Alpenkonvention in Zukunft in diesem Sinnevon den touristischen Keyplayern in den Alpen als Chan-ce verstanden, können daraus tatsächlich neue Werk-zeuge entstehen, welche mithelfen, die gegenwärtigenSchwächen des Tourismus abzubauen und gleichzeitigdessen Stärken weiterzuentwickeln. Hierzu braucht esaber das Bewusstsein aller am Tourismus Beteiligten, dasseine intakte und attraktive Alpenlandschaft auch in Zu-kunft die wichtigste Ressource des alpinen Fremdenver-kehrs darstellt.

Dr. Dominik Siegrist, Hochschule für Technik, RapperswilPräsident CIPRA International

Die Via Alpina – ein Weg für die Umsetzungder Alpenkonvention

Sanfter Tourismus, und insbesondere Wandertourismus,wird schon seit etwa 40 Jahren als eine wichtige Kompo-nente der nachhaltigen Entwicklung der Bergregionenanerkannt. Die Via Alpina ist die erste gemeinsame Ini-tiative der acht Alpenstaaten, ihre Aktivitäten in diesemBereich zu koordinieren und zusammen zu kommuni-zieren. Ein Netzwerk von fünf grenzüberschreitendenWanderwegen bildet die Grundlage dieser Zusammen-arbeit. Es wurde ausschließlich aus bestehenden, leichtenBergwanderwegen zusammengestellt, schwerpunkt-mäßig in Grenzgebieten und in strukturschwachen Re-gionen, die am meisten von der touristischen Entwick-lung profitieren können. Die Via Alpina bildet damit einePlattform für den technischen Austausch der Akteur-Innen und ein konkretes, sehr medienwirksames Werk-zeug für die Lokalentwicklung. Darüber hinaus ist sie,durch ihre Präsenz entlang 5.000 km in fast allen Berg-gebieten und Regionen der Alpen und durch ihre vielfach

publizierte Übersichtskarte, eine besonders gut sehbareDarstellung des Alpenraums. Damit stärkt die Via Alpinanach innen sowie nach außen das Bewusstsein der ge-meinsamen alpinen Identität.

Die Initiative wurde von der französischen OrganisationGrande Traversée des Alpes ins Leben gerufen und wirdseit 2000 von einem Internationalen Steuerungsaus-schuss geführt. Darin sind für jeden der acht Alpenstaa-ten drei Kompetenzbereiche vertreten: die Staaten undregionalen Gebietskörperschaften mit Raumentwick-lungszuständigkeit; die Alpen- und Wandervereine, dieüber fachliche Kompetenz in der Wegenetzverwaltungund über unmittelbare Kenntnis der Erwartungen des Pu-blikums verfügen; die regionalen Tourismusorganisatio-nen, die ihre Erfahrung in das Marketing und ihre Kom-munikationsressourcen im Projekt einbringen. Seit ihrenAnfängen hat sich die Via Alpina als ein Beitrag zur Um-setzung der Alpenkonvention verstanden. Dies wurde imJahre 2002 von der VII. Alpenkonferenz gewürdigt. EinePartnerschaftsvereinbarung zwischen dem Internationa-len Steuerungsausschuss und dem Ständigen Sekretariatwird auf der VIII. Alpenkonferenz im November 2004 un-terschrieben, welche die optimale Nutzung der mögli-chen Synergien sichern wird.

In der ersten Umsetzungsphase des Via Alpina-Projektswurden allerlei Daten über die Wege, die Infrastrukturund das Natur- und Kulturerbe gesammelt und veröf-fentlicht. Diese Arbeiten wurden durch die Partnerorga-nisationen und die Europäische Union (EuropäischerFonds für Regionalentwicklung) im Rahmen der Ge-meinschaftsinitiative Interreg IIIB Alpenraum mit 2,4 Millionen E finanziert. Für den Zeitraum 2005 bis2007 wurde ein neuer Finanzierungsantrag eingereicht.Die Arbeit wird sich auf die Entwicklung von spezifischentouristischen Angeboten entlang der Via Alpina fokus-

Canyoning – eine Trendsportart. Quelle: Deutscher Alpenverein

sieren. Das beinhaltet die praktische Umsetzung der bis-herigen gemeinsamen Arbeit im Bereich der Qualitäts-förderung auf allen Ebenen der touristischen Kette, ins-besondere über eine Einbeziehung und Weiterbildungder lokalen Dienstleistungsanbieter. Natur und Kultur bil-den die Grundlage für den Wandertourismus. Daherkommt der Via Alpina auch eine wichtige Rolle als Ins-trument für Umweltbildung zu. Über die Aufwertung desNatur- und Kulturerbes in der allgemeinen Öffentlich-keitsarbeit hinaus werden in Zusammenarbeit mit denSchutzgebietsverwaltungen und anderen Spezialisten be-stimmte Methoden und Aktivitäten entwickelt, um dieVia Alpina als Umweltbildungsinstrument zu nutzen, ins-besondere für die Jugend.

Somit entwickelt sich die Via Alpina immer mehr von ei-nem linearen Werkzeug zu einem flächendeckendenNetzwerk. Die Arbeiten werden von einem Evaluierungs-prozess begleitet, der die Weichen für die meistverspre-chenden Bereiche der langfristigen Fortführung der in-ternationalen Kooperation stellen wird. Eine passende,feste Organisationsstruktur wird identifiziert und die ent-sprechenden Mittel werden sichergestellt werden müs-sen. Fest steht, dass die Via Alpina zwar alle räumlichenEbenen einbeziehen muss, dass sie aber hauptsächlichdurch die lokalen Akteure, die den Kontakt zu den Tou-risten pflegen, und von denjenigen, denen die Initiativezugute kommen soll, leben wird. Viele Gebiete haben sichbereits die Idee angeeignet und lokale Arbeitsgruppengegründet, die Via Alpina als Katalysator für die Aufstel-lung integrierter Entwicklungsstrategien zu nutzen: zumBeispiel im Schweizer Graubünden, grenzüberschreitendin den französischen und italienischen Seealpen oder imDreiländereck Rätikon in Liechtenstein, der Schweiz undÖsterreich.

Das Projekt Via Alpina ist daher nicht nur ein Anreiz füreine Bewegung fördernde Freizeit- und Urlaubsaktivität,sondern besitzt auch eine regional- und tourismuspoli-tische Strategie. Sie gilt insbesondere der Aufmerksam-keit und Stärkung des entwicklungsschwachen länd-lichen Berggebietes, sie soll auch der Bedeutung des

naturnahen Tourismus für diese Gebiete gerecht werden.Das völkerrechtlich verbindliche Instrument der Alpen-konvention betont in einigen Protokollen das besondereVerhältnis zum ländlichen Raum. Im Artikel 6 des Tou-rismusprotokolls wird konkret die Einleitung einer nach-haltigen Politik postuliert, „welche die Wettbewerbs-fähigkeit des naturnahen Tourismus im Alpenraum stärktund damit einen wichtigen Beitrag zur sozioökono-mischen Entwicklung des Alpenraums leistet“. Ebensoachten die Vertragsparteien darauf, dass in den Gebietenmit starker touristischer Nutzung ein ausgewogenes Ver-hältnis zwischen intensiven und extensiven Tourismus-formen angestrebt wird. In der Tat gibt es im Alpenraumtrotz intensiver touristischer Erschließung zahlreiche Ge-meinden und Ortschaften im Schatten einer zukunfts-fähigen Entwicklung. Vor allem zählen viele kleine Ge-meinden dazu; nach W. Bätzing (1993) fallen von denrund 5.800 Alpengemeinden 22,3 % in die Kategorie un-ter 300 Einwohner bzw. 54,4 % unter 1.000 Einwohner.Vielfach bestehen große Entwicklungsunterschiede aufengstem Raum.

Der Oesterreichische Alpenverein (OeAV) hat bei der Rou-tenfestlegung der Via Alpina im österreichischen Alpenanteil besonderen Wert darauf gelegt, kleine, ent-wicklungsschwache und mit dem Charakter eines Berg-steigerdorfes ausgezeichnete Talorte mit einzubeziehen.Zwei Beispiele sollen hier stellvertretend näher vorge-stellt werden: Ginzling (Zillertaler Alpen) und Vent (Ötztaler Alpen).

Ginzling liegt am „Roten Weg“ im Abschnitt vom TirolerInntal, durch die Tuxer Voralpen und Zillertaler Alpen nach Südtirol/Italien. Die Zillertaler Ortschaft mit rund 370 Einwohnern liegt auf einer Seehöhe von985 m und gehört kurioserweise zu zwei Gemeinden (Finkenberg, Mayrhofen). Ginzling war und ist Ziel undHeimat großer Bergsteiger; Arbeitsgebiete großer deutscher Alpenvereinssektionen wie Berlin, Kassel,Würzburg, usw. liegen in den Zillertaler Alpen. Die Ber-liner Hütte als bedeutender Alpinstützpunkt und lang-jähriges Eldorado der Gletscherforschung feierte im Juli

50

>> Das Bergsteigerdorf Ginzling/Tirol im hintersten Zillertal ist Ausgangspunkt für eine Vielzahl an hochalpinen Bergtouren in den Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler Alpen. Quelle: Ortsvorstehung Ginzling

51

2004 das 125-jährige Bestandsjubiläum. Im Jahre 1991wurde der Zillertaler Hauptkamm mit den Einstiegstälernin die Gletscherwelt von der Tiroler Landesregierung un-ter Schutz gestellt und 2001 zum Hochgebirgs-NaturparkZillertaler Alpen erklärt. Trotzdem sind die Übernach-tungszahlen von Ginzling kontinuierlich rückläufig (Som-mer 2003: 18.000 Übernachtungen). Im Februar 2004gab deshalb die für Raumordnung und Naturschutz zu-ständige Tiroler Landesrätin Anna Hosp die Zusage fürein vom OeAV in Zusammenarbeit mit der Naturparkbe-treuung vorgelegtes Investitionsprogramm zur Profilie-rung von Ginzling als Bergsteigerdorf entlang der Via Al-pina.

Die Ortschaft Vent (1.893 m Seehöhe) des Tourismuszen-trums Sölden liegt inmitten der Ötztaler Alpen am „Gel-ben Weg“ der Via Alpina. Vent zählt insgesamt 190 Ein-wohner und ist seit jeher der Inbegriff des kleinen, feinenBergsteigerdorfes. Dieser wurde im Jahre 1980 mit einerAussendung bekräftigt, das Bergsteigerdorf Tirols sehrzur Freude der naturliebenden Bergfreunde bleiben zuwollen. Von Vent aus betrieb der damalige Pfarrer FranzSenn die Gründung des Deutschen Alpenvereins. Er ver-folgte eisern sein Tourismuskonzept zu Gunsten der in bitterer Armut lebenden Bergbevölkerung. Heute ist Vent einer der immer seltener gewordenen, hochgelege-nen Alpenorte, die nicht im großtechnischen Massen-tourismus aufgegangen sind. Obschon die Übernachtun-gen – vor allem auch im Sommerhalbjahr (Sommer 2003:43.000 Übernachtungen) – stabil geblieben sind, gibt esimmer wieder Bestrebungen, durch großtechnische Er-schließungen den Winter- und Gletscherschitourismusauszubauen. Dem steht aber ein im Jahre 1981 einge-richtetes Ruhegebiet „Ötztaler Alpen“ auf der Basis des Ti-roler Naturschutzgesetzes entgegen. Zudem wurde diesesSchutzgebiet 1995 als Natura 2000-Gebiet mit der aus-drücklichen Betonung des Schutzgutes „Gletscher“ no-miniert. Deshalb gelten alle Anstrengungen, den derzei-tigen Entwicklungsstand zu halten. Hier zählen vor allemauch neben den heimischen Initiativen die neu aktivier-ten Bemühungen des Deutschen Alpenvereins: Gründungeiner Wegegemeinschaft Inneres Ötztal zur vorbildlichen

Instandsetzung des weiten Bergwegenetzes, Wieder-eröffnung aller Schutzhütten auch im Winter, Reaktivie-rung der traditionellen „Ötztaler Runde“ (Skihoch-tourenrunde) mit Winterverdienstmöglichkeiten für dieVenter Bergführerfamilien. DAV, OeAV und Ortsvertretervon Vent arbeiten in der Gruppe „Pro Vent“ zusammen.

Viele kleine Schritte sind nötig, um dem umfassenden in-ternationalen Anspruch eines Bergsteigerdorfes bzw. ViaAlpina-Etappenortes gerecht werden zu können. Die Um-setzung der Alpenkonvention trägt in Tirol zum Errei-chen dieses Zieles wesentlich bei. Der nächste Schritt besteht darin, ein alpenweites Netzwerk der alpinen Berg-steigerdörfer unter dem Dach der Alpenkonvention zubilden.

Dr. Nathalie Morelle, Projektkoordinatorin Via Alpina-International,Verein Grande Traversée des Alpes

Mag. Peter Haßlacher, Leiter der Fachabteilung Raumplanung/Naturschutz, Österreichischer Alpenverein

www.via-alpina.orgwww.alpenverein.or.at/naturschutzwww.naturpark-zillertal.atwww.ginzling.netwww.vent.at

>> Eingebettet in die Ötztaler Alpen liegt auf 1.900 m Seehöhe das Bergsteigerdorf Vent/Tirol. Quelle: OeAV, Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz

Schweiz pur

In der Kampagne Berge© hat Schweiz Tourismus ST, dietouristische Marketingorganisation für die Schweiz, erst-mals und bewusst die naturnahe Landschaft ins Zentrumder Werbung genommen. Mit der Kampagne Schweizpur ging ST noch einen Schritt weiter: Der naturnahe Tou-rismus soll besonders gefördert werden.

Das Ziel der Kampagne ist eine höhere Wertschöp-fung aus natur- und landschaftsorientiertem Touris-mus:

■ Stärkung des Natur- und Kulturerlebnisses Schweiz

■ Aufwertung und Stärkung der „Marke Schweiz“: DieSchweiz wird stärker mit dem Erlebnis von intakter Na-tur, Kultur und Landschaft verbunden

■ Bessere Auslastung im Sommer, besonders in Bergre-gionen und wirtschaftlichen Randgebieten

■ Förderung der Sensibilität beim Gast bezüglich Wertund Gefährdung der Landschaft sowie der Notwendig-keit von Schutz-, Unterhalts- und Erneuerungsarbeiten

■ Vermehrte Kooperation zwischen regionalen Touris-musveranstaltern und Vertretern des Naturschutzes

■ Nachhaltige Gestaltung des Schweizer Tourismus

Eine Jury aus je fünf Naturschutz- und Tourismusfachleu-ten hat anfangs Sommer 2004 die beispielhaftesten na-turnahen Tourismusangebote ausgewählt. Im August2004 wurden sie anlässlich einer Prämierung der Pressevorgestellt und anschließend auf www.myswitzerland.com,der Homepage von Schweiz Tourismus, aufgeschaltet: Na-turwunder Aletsch, Wandern und Kneippen im Bios-phärenreservat Entlebuch, Wasserwelten Göscheneralp,Griesalp-Kiental - Einklang mit der Natur, Rund um dieKastanie im Malcantone, Nationalpark-Wander-Tour, Sel-tene Botanik im Parc Jurassien Vaudois, Kulturlandschaftim Seeland, Heublumen-Whirlpool in St. Antönien, Open-air-Museum im Valle di Muggio, Bergwelt pur im Valléedu Trient, Via Spluga.

Kontakte: Schweiz Tourismus, Michael Keller Tödistrasse 7, CH-8027 Zürich Tel.: ++41 (0)1 288 12 64 [email protected]

oder: Alpenbüro Netz GmbH, Jöri Schwärzel Dorfstrasse 150, CH-7220 Schiers Tel.: ++41 (0) 81 420 22 55 [email protected]

Klein & Fein

Graubünden Ferien ist der Dachverband der BündnerTouristiker. Seine Aufgabe ist es, den FerienkantonGraubünden in der Schweiz und im Ausland bekannt zumachen. Nebst den großen und bekannten Tourismus-orten wie Davos, Arosa, St. Moritz gibt es aber auch ganzkleine Tourismusorte ohne topmoderne und ausgebauteInfrastruktur: kleine und feine Orte für große Ferien.Graubünden Ferien hat das Potenzial entdeckt, das in ih-nen liegt. Sie sind nicht einfach nur Randerscheinungeneiner Tourismusregion. Sie haben ihren eigenen Wert –auch einen ökonomischen. Hierher können sich die ge-stressten Städter zurückziehen und Natur, Authentizitätund Erholung pur erleben. Bis jetzt liegt eine wunder-schöne Broschüre von Klein & Fein vor (bestellbar unter:[email protected]). Doch das ist nur die äußere Hül-le. Hinter den Kulissen werden die verantwortlichen Tou-risten mit auf die Reise zu einer nachhaltigen Entwick-lung im Tourismus genommen.

Kontakte: Graubünden Ferien, Urs Wohler Alexanderstrasse 24, CH-7001 Chur Tel ++41 (0)81 254 24 24 [email protected]

oder: Alpenbüro Netz GmbH, Stefan Forster Dorfstrasse 150, CH-7220 Schiers Tel.: ++41 (0) 81 420 22 55 [email protected]

Allianz im Albulatal

Die Mitglieder des Gemeindenetzwerks Allianz in den Al-pen streben ein zukunftsbeständiges Wirtschaften und ei-ne nachhaltige Nutzung der Umwelt gemäß Alpenkonvention an. Der Weg dazu ist eine intensive Zu-sammenarbeit, sowohl innerhalb der Gemeinde (Bürger-beteiligung) als auch zwischen den Mitgliedsgemeinden.Im Juli 2004 sind 183 Gemeinden Mitglied bei Allianz inden Alpen (www.alpenallianz.org). Der Kanton Graubün-den allein beherbergt 24 Mitgliedsgemeinden, darunterauch diejenigen der Region Albula. Die Region Albulaliegt auf der Bahnstrecke Chur - St. Moritz an der berühm-ten Albulalinie der Rhätischen Bahn. Die Region ist länd-lich, touristisch geprägt. Die Abwanderung bedroht die

52

Bei „Klein & Fein“ trifft der Gast auch auf die Landwirtschaft, wie hier im ValLumnezia (Tal des Lichts). Quelle: Alpenbüro Netz GmbH

53

>> Die Via Alpina führt in Slowenien am Nationalpark Triglav vorbei. Quelle: N. Morelle

Existenz der Region. Der jugendliche und umtriebige Ge-meindepräsident von Alvaneu, Thomas Kollegger verei-nigte das Tal im Verein Allianz im Albulatal, führte dieRegion ins Gemeindenetzwerk Allianz in den Alpen undgab dem Schicksal kräftig Gegensteuer.

Mit Hilfe der vom Bundesamt für Raumentwicklung unterstützten Projektleitung wurde dann das Projekt An-saina gestartet. Das Projekt Ansaina – der Name heißt aufrätoromanisch Zeichen – ist eine Initiative, um regionalePotenziale für einen Aufschwung zu nutzen. Die Projekt-träger wollen das Albulatal als naturnahe, landschafts-orientierte Tourismusregion positionieren. Im Zentrumsteht das Wasser (Wasserweg und Bäderkultur) wie auchder Bahntourismus (Erlebnispfad, Museum). Ansaina istjedoch auch eine Marke, unter der zum Beispiel die in-novativen, einheimischen Landwirte erfolgreich ihre Pro-dukte herstellen und verkaufen. Ansaina ist für die Be-

völkerung ein Hoffnungszeichen gegen die Abwande-rung.

Alpenbüro Netz GmbH

Kontakte: Verein Wasserweg Albulatal Thomas Kollegger CH-7492 Alvaneu Dorf Tel.: ++41 (0) 81 410 15 10 [email protected]

oder: Allianz in den Alpen Schweiz Alpenbüro Netz GmbH, Karin Walder CH-7220 Schiers Tel.: ++41 (0) 81 420 22 57 [email protected]

Auditing von Skigebieten

Ein Beitrag zur Umsetzung des Tourismusprotokolls derAlpenschutzkonvention.

Die Alpen gehören mit rund 50 Millionen Urlaubern zuden am intensivsten besuchten touristischen Zielgebietenweltweit. Der Tourismus gehört damit zu den bedeu-tendsten Wirtschaftszweigen im Alpenraum. Mit demTourismus sind aber auch eine Vielzahl von Belastungenverbunden, die sich aus den notwendigen Infrastruk-turmaßnahmen, dem Verkehr etc. ergeben. Die Auswir-kungen dieser Belastungen sind in den Alpen an vielenStellen zu sehen. Ein Beispiel ist das durch den Klima-wandel, an dem der Tourismus durch die insbesonderemit dem Flugverkehr zusammenhängenden Treibhaus-gasemissionen in erheblichem Maße beteiligt ist, verur-sachte Abschmelzen der Gletscher. Von den untersuchten76 Alpengletschern haben in den letzten Jahrzehnten be-

Im Albulatal ist die Natur- und Kulturlandschaft das Zukunftspotenzial. Quelle: Thomas Kollegger

reits 68 Gletscher 30 % ihrer Fläche und über 50 % ihresVolumens verloren. Hiermit ist eine Erhöhung der vor al-lem für den Wintersporttourismus wichtigen Schneefall-grenze auf über 1.500 m verbunden, mit der Folge, dassviele niedriger gelegene Wintersportorte ihre Infrastruk-tur kaum noch auslasten können und neue touristischeInfrastrukturmaßnahmen in immer höher gelegenen,bisher kaum belasteten Gebieten erschlossen werden. Vordiesem Hintergrund gewinnt in vielen Zielgebieten derSommertourismus an Bedeutung und damit die Erhal-tung einer intakten Natur und Landschaft.

Die Liechtensteiner Stiftung „pro natura - pro ski“ hat inden vergangenen Jahren die Entwicklung eines Auditingsin Skigebieten gefördert mit dem Ziel, eine ökologischeAufwertung der touristisch intensiv genutzten Landschaftund damit eine dauerhafte Sicherung der touristischenGrundlagen zu erreichen. Im Kern geht es um die Erhal-tung und Entwicklung eines ästhetischen Landschafts-bilds im besiedelten wie im unbesiedelten Raum, um dieFörderung naturnaher Kulturlandschaften und eine res-sourcenschonende Tourismusentwicklung.

Der vorliegende Leitfaden zur ökologischen Aufwertungund zur Durchführung eines Auditverfahrens in Skige-bieten stellt ein landschaftsbezogenes, freiwilliges Um-weltmanagementsystem dar. Das Skigebietsaudit basiertauf der Erfassung aller relevanten sport- und nutzungs-bezogenen Daten, wie z.B. Nutzungsintensität der Pisten,Beförderungskapazitäten der Liftanlagen, Beschneiungs-anlagen, Nutzung des Skigebiets in der Nacht, für Eventsetc., Nutzung im Sommer z.B. durch Mountainbiking,landwirtschaftliche Nutzung, usw. sowie der Erhebungder relevanten Umweltdaten zu den Faktoren Boden,Wasser, Klima/Luft, Vegetation, Fauna und Landschaft.Auf der Grundlage der erfassten Daten werden Ziele undMaßnahmen zur ökologischen Aufwertung des Skigebietsvor allem in den Bereichen Boden, Landschaft und Na-turschutz identifiziert und festgelegt. Die Vorgehenswei-se ist hierbei dem Prozess nach EMAS (EG-Öko-Audit-Ver-ordnung, 1993/2001) vergleichbar. Das Skigebietsauditsoll dabei als freiwilliges Instrument über einen „goodpractice award“ durch die Stiftung „pro natura pro ski“gefördert werden.

Mit der Annahme des Tourismusprotokolls im Rahmender Alpenkonvention haben sich die Vertragsstaaten ver-pflichtet, auf eine nachhaltige touristische Entwicklungzu achten und die Entwicklung von Leitbildern, Entwick-lungsprogrammen und Plänen zu unterstützen, die die-sem Ziel dienen sowie landschafts- und umweltschonen-de Projekte zu fördern. Die flächendeckende Anwendungdes Skigebietsaudits wäre ein solcher Beitrag zur Umset-zung der im Rahmen der Alpenkonvention eingegange-nen Verpflichtungen. Es wurde bisher in jeweils einemSkigebiet in Österreich, der Schweiz und Liechtenstein er-probt. Im Rahmen der Alpenkonvention wird angestrebt,weitere Pilotanwendungen zu initiieren und die Erfah-rungen auszuwerten. Ziel ist die breite, freiwillige An-wendung im gesamten Alpenraum. Hierbei ist klar, dass

sich das Instrument dann durchsetzen wird, wenn derhiermit verbundene Nutzen für die Skigebietsbetreibererkennbar ist.

Die Nutzenpotenziale für die Betreiber werden vor allemin den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit, Kostenredu-zierung, Risikominderung und Verbesserung der Orga-nisation gesehen. Die Sensibilität der Reisenden für eineintakte Natur und Landschaft hat in den vergangenenJahren deutlich zugenommen, wie Umfragen belegen.Ebenso wird bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltun-gen die Berücksichtigung von Umwelt- und Naturschutz-fragen hinterfragt. Das Internationale Olympische Komitee hat Umweltschutz sogar zur dritten Säule derOlympischen Idee erklärt. Und auch der InternationaleSkiverband wendet sich zunehmend diesen Fragen zu.Das Auditverfahren in Skigebieten birgt darüber hinausauch die Chance, die Kosten in Genehmigungsverfahrenzu senken, weil auf eine Reihe von Daten aus dem Audit-verfahren zurückgegriffen werden kann. Ebenso könnenkostenintensive Sanierungsmaßnahmen bei flächenwirk-samen Schäden vermieden werden. Schließlich hat sichbei der Anwendung von Umweltmanagementverfahrenimmer wieder gezeigt, dass die Motivation und Identifi-kation der Mitarbeiter mit ihrer Tätigkeit gesteigert wird.

Amt für Wald, Natur und Landschaft, Fürstentum Liechtenstein Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit – Deutschland

Bezugsadresse für den Leitfaden:pro natura pro skiPostfach 885FL- 9490 VaduzFürstentum Liechtenstein

54

Die Berggebiete sind durch den Massentourismus einem großen Druck ausge-setzt. Die Alpenkonvention setzt mit dem Protokoll „Tourismus“ auf eine aus-gewogene Tourismusentwicklung. Quelle: OeAV, Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz

55

Steuerung der nachhaltigen Entwicklung inder Gemeinde Kranjska Gora unter Berück-sichtigung der Bestimmungen der Alpen-konvention

Im Bewusstsein, dass die Alpen einen spezifischen, man-nigfaltigen und zugleich verwundbaren Lebens- undWirtschaftsraum darstellen, bemüht man sich in der Ge-meinde Kranjska Gora unter Berücksichtigung der Be-stimmungen der Alpenkonvention um die nachhaltigeEntwicklung des gesamten Gebietes, eingebettet in dengrößeren Raum.

Als Best Practice-Beispiele können zwei Großprojekte her-vorgehoben werden, für die es der Gemeinde gelungenist, internationale Mittel zu beschaffen. Es handelt sichdabei um den Bau des Kanalisationsnetzes (Abwasserbe-seitigung) und des Radweges von Kranjska Gora nachGozd Martuljek.

Kanalisationsnetz

Die Gemeinde Kranjska Gora war sich der Dringlichkeitbeim Ausbau eines Kanalisationssystems für die Abwas-serklärung bewusst, deshalb wurde dieses Vorhaben indie Entwicklungspläne aufgenommen und es wurdenmehrere Studien und Vorentwürfe für den Ausbau einesSystems der öffentlichen Kanalisation erstellt.

Um eine Finanzbeteiligung für das Projekt zu erreichen,hat sich die Gemeinde an mehreren Ausschreibungen be-teiligt, dazu konnten Fördermittel seitens des Ministeri-ums für Umwelt und Raum in Höhe von 10 % vom Inves-titionsvolumen für die erste Phase lukriert werden.

Im weiteren Verlauf wurde seitens der Gemeinde das Ver-fahren für die Ausschreibung und Konzessionsvergabedurchgeführt.

Das Projekt wurde aus folgenden Quellen finanziert:

■ Mittel des Konzessionärs, der einen Kredit der Euro-päischen Investitionsbank erworben hat,

■ Mittel der Gemeinde aus Beitragszahlungen für dieAnschlüsse,

■ Fördermittel von EU Phare LSIF.

Der Bau wurde im ersten Halbjahr 2002 abgeschlossen.

Als positive Wirkung der Investition kann angeführt wer-den, dass mit Betriebsbeginn des Kanalisationssystemsdie Abwässer kontrolliert in die zentrale Kläranlage inTabre geleitet werden und dadurch die Verschmutzungdes Grundwassers und der Oberflächengewässer unter-

bunden ist. Durch einen in der ersten Hälfte dieses Jah-res von der Gemeinde in Auftrag gegebenen Test (Zwie-beltest) konnte eine hohe Qualitätsverbesserung derOberflächengewässer nachgewiesen werden.

Sicherlich hat sauberes Wasser auch einen Einfluss aufdie höhere Lebensqualität der Bevölkerung sowie der Gäs-te, die das Tourismusgebiet Kranjska Gora besuchen.

Radweg

Der wichtigste Wirtschaftszweig der Gemeinde ist derTourismus. Deshalb wurde von der Gemeinde KranjskaGora eine Strategie zur Tourismusentwicklung verab-schiedet und dabei wurden Ausgangspunkte für einenachhaltige und naturidentische, ökologisch vertretbareEntwicklung des Tourismus festgelegt, die auf umwelt-freundlichen Produkten, wie dem sanften Tourismus, derfreundlichen Verkehrsregelung, dem Umstieg auf öffent-liche Verkehrsmittel und der Berücksichtigung desGrundsatzes für die Zukunft, der eine ausgewogene Ent-wicklung ermöglicht und vor allem keine Einschränkungfür die Entwicklung der kommenden Generationen aufKosten der jetzigen bedeutet, aufbauen soll.

Touristische Trends verlangen nach Neuheiten und neu-en Produkten, die Entwicklung läuft vor allem in Rich-tung einer aktiveren Freizeitgestaltung. Das Radfahren ist als Erholung immer weiter verbreitet, vor allem dasMountainbiken wird zur Familienerholung (aktive Frei-zeitgestaltung von Familien mit Kindern) und zu einembesonderen Tourismusprodukt. Dadurch entsteht auchdie Nachfrage nach sicheren Radwegen zur Erholung indiesem ausgesprochen stark fremdenverkehrsorientier-ten Gebiet.

Die Gemeinde Kranjska Gora ist eine Grenzgemeinde, diean die Gemeinde Arnoldstein in Österreich und Tarvis inItalien angrenzt. Über das gesamte Gemeindegebiet ver-läuft die Trasse einer nicht mehr in Betrieb stehenden Ei-senbahnstrecke in einer Länge von 28 km, und zwardurch das gesamte Tal der Oberen Save mit einer Wei-terführung nach Italien. Ein Teil der Trasse zwischen

Die berühmte Flugschanze von Planica im Sommer. Quelle: Turisticno drustvoRatece-Planica (Tourismusverein Ratece-Planica)

Kranjska Gora und Ratece hat den Status einer Lokal-straße, die als Zubringerstraße zu landwirtschaftlichenParzellen und Skipisten in Podkoren verwendet wird,während sich in der Sommersaison Radfahrer dieserStrecke bemächtigen und diese zu einem echten Radwegmachen. Auch die ungenutzte Trasse der Eisenbahn-strecke bot sich von selbst für die Nutzung als Radweg an.Die Trasse ist breit genug, die Dämme stabil, die Kreu-zungen sind bereits verkehrssicher gestaltet, so dass dieUmgestaltung keine größeren Investitionen verlangte.

Von der Gemeinde Kranjska Gora wurde im Jahr 1995 mitden Nachbargemeinden Tarvis und Arnoldstein ein Pro-tokoll über die Zusammenarbeit unterzeichnet und in dieengeren Ziele der Zusammenarbeit auch der Ausbau ei-nes internationalen Radweges aufgenommen. Der Rad-weg im Bereich von Kranjska Gora, der über die Grenzenach Italien weitergeführt wird, ist ein charakteristischesProjekt der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Im Rahmen des internationalen Projekts „Radwege drei-er Länder“, das im Jahr 1998 ins Programm der PHARECROSS BORDER COOPERATION (CBC) Slowenien-Öster-reich aufgenommen worden ist, wurde also eine Radver-bindung vom Grenzübergang Ratece, durch Kranjska Go-ra, Gozd Martuljek und Mojstrana bis Hrusica entworfen.

Der Radweg von Ratece nach Gozd Martuljek, der die I. Phase darstellt, ist Teil eines Fernradweges und Radwe-genetzes in einer Länge von 14 km. Aus dem ProgrammPHARE CBC Österreich-Slowenien konnten 400.000 E lu-kriert werden, das sind 75 % der Investitionen, 25 % steu-erten das Verkehrsministerium – Direktion der RepublikSlowenien für Straßen – und die Gemeinde Kranjska Go-ra bei. Die Projektunterlagen für die II. Phase von GozdMartuljek nach Mojstrana sind bereits ausgearbeitet.

Die Projektziele sind die Einrichtung der Wege, die be-reits derzeit für das Radfahren genutzt werden, die Kenn-zeichnung und der Ausbau sicherer Übergänge beiHauptverkehrs- und anderen Straßen, die Fernanbindungans internationale Radwegenetz. Eines der Hauptzieledes Projekts ist vor allem die Einführung des Radfahrensals neues Fremdenverkehrsprodukt, als neue umwelt-freundliche Form der Erholung und als Verbesserung desAngebotes und der Infrastruktur am Radweg selbst undin den Siedlungen, durch die der Radweg verläuft. Ein

anderes bedeutendes Ziel ist die Verringerung der Um-weltverschmutzung und Belastung durch motorisiertenVerkehr sowie die Erschließung von interessanten touris-tischen Destinationen für Fahrradfahrer oder Wandererbei gleichzeitiger Gewährleistung der entsprechendenVerkehrssicherheit. Im Winter wandeln sich die Radwe-ge zu Langlaufloipen, Winterwanderwegen und Wegenfür Pferdegespanne.

Der Radweg verläuft in naturbelassener Umwelt und istdurchgehend asphaltiert, vom restlichen Verkehr ge-trennt und mit Rastplätzen ausgestattet. Für Radwege istcharakteristisch, dass sie auch durch Siedlungen, an in-teressanten touristischen Punkten und Kulturdenkmälernsowie Gastwirtschaften vorbei verlaufen. Durch die Stei-gerung des Radverkehrs kommt es auch zur Entwicklungdes Zusatzangebotes: Fahrradverleih, Reparaturwerkstät-ten, Verkauf von Fahrrädern und Ausrüstung, Anschlussan Omnibus und Bahn (Jesenice – Villach).

Die unmittelbaren Nutzen des Projekts sind:

■ Entlastung der Landstraßen und Gewährleistung derVerkehrssicherheit;

■ Gestaltung von Ortszentren und Anlegen von Über-gängen für Fußgänger und Radfahrer (Kranjska Gora,Ratece);

■ Zugang mit Fahrrädern zu attraktiven touristischenDestinationen;

■ beim Fernradweg in Richtung Tarvis Straßengefällemit Eignung für Familienreisen.

Einfluss der Infrastruktur auf den Fremdenverkehr

Wie bereits mehrmals erwähnt, werden durch die Ent-wicklung des Radfahrens auch spezialisierte Dienstlei-stungen entwickelt, die zugleich einen Ansporn für un-ternehmerische Interessen und ergänzende Aktivitätenim ländlichen Raum darstellen. Ein Radweg verläuftdurch Siedlungen und nicht an ihnen vorbei. Die Folgeist eine Umsatzsteigerung beim Verkauf von Fahrrädernund Ausrüstung in spezialisierten Sportgeschäften. Mankann auch eine neue Gästestruktur erwarten. Von Bedeutung ist auch eine gleichzeitige Anpassung destouristischen Angebotes und die Eroberung von Markt-nischen.

Beide Projekte sind gute Beispiele für die Implementie-rung der Alpenkonvention und ihrer Protokolle, denn siegewährleisten den Grundsatz der Prävention, eine guteLebensqualität der ansässigen Bevölkerung, Wirtschafts-entwicklung, eine sparsame und überlegte Raumnutzungund die Verringerung der Emissionen bei gleichzeitigerEinführung der Grundsätze des nachhaltigen Verkehrs.

Gemeinde Kranjska Gora, Slowenien

56

Jährl. völkerbindendes Treffen am Dreiländereck Österreich-Italien-Slowenien.Quelle: Turisticno drustvo Ratece-Planica (Tourismusverein Ratece-Planica)

57

Bevölkerung und Kulturen in den Alpen

Obschon das Protokoll „Bevölkerung und Kultur“ seit Be-ginn der Alpenkonvention vorgesehen war, dauert seineFertigstellung am längsten. Ist darin der Ausdruck der einem komplexen und sensiblen Thema eigenen Schwie-rigkeiten zu sehen? Oder das Zeichen des zaghaften Bestrebens der Projektträger, sich eines Themas anzu-nehmen, das weniger als etliche andere durch ein Um-weltanliegen gekennzeichnet ist? Es ist jedoch inzwi-schen anerkannt, dass es keine nachhaltige Entwicklungohne soziale und kulturelle Belange gibt. Fest steht außer-dem, dass die Alpenumwelt ihre Qualitäten nicht einzigund allein ihren wild lebenden Komponenten verdankt,sondern auch dem kulturellen Erbe, den alltäglichenPraktiken der Land- und Forstwirte sowie den symboli-schen Bindungen der Bewohner an die sie umgebendeLandschaft und Umwelt. Die Beschäftigung mit den Al-pen der Gegenwart und der Zukunft erfordert eine außer-ordentlich große Aufmerksamkeit für die demographi-sche, soziale und kulturelle, aber letztendlich auchpolitische Situation ihrer einzelnen Gebiete.

Ein demographischer Trendwechsel ohnegleichen

In den vergangenen 150 Jahren war die Besiedelung derAlpen einem tief greifenden Wandel unterworfen, der inseiner Bedeutung alles übertrifft, was nach der Rückkehrdes Menschen in ein spät vom Eis befreites Kettengebir-ge möglich war. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatsich die Bevölkerung in dem von der Alpenkonvention er-fassten Raum mehr als verdoppelt: Sie stieg von 7 Millio-nen auf mehr als 14 Millionen Einwohner an. Dieser niezuvor festgestellte Wachstumsrhythmus ist dem ver-

gleichbar, der im gesamten Gebiet der betroffenen Län-der zu beobachten ist.

Er erweist sich jedoch als sehr gegensätzlich, wenn mandie Alpen einer detaillierten Betrachtung unterzieht:Überall ist die Stadtbevölkerung schneller gewachsen alsdie Landbevölkerung, insbesondere dank eines starkenBeschäftigungsanstiegs: Mehr als zwei Drittel der Ar-beitsplätze im Alpenraum befinden sich heute in städti-schen Gebieten; die Verbesserung der Straßenanbindun-gen im Alpenbogen und ein neues Wohnverhalten habendazu geführt, dass dieses städtische Wachstum weit überdie Städte des 19. Jahrhunderts hinausging. Heute sind esdie in 5, 10, ja sogar 50 km Entfernung von den eigentli-chen Städten gelegenen sogenannten periurbanen Ge-biete, in denen die eindrucksvollsten Wachstumsquotenzu verzeichnen sind. Die zahlreichen Landgemeinden,die insbesondere in Frankreich, im Piemont und im Tessin zwischen 1870 und 1945 einen bisweilen erhebli-chen Anteil ihrer Bevölkerung verloren hatten, erlebteneine spektakuläre demographische Veränderung. Im Gegensatz dazu sind in den ländlichen Gemeinden derLombardei, Venetiens, der Steiermark, Kärntens und Slo-weniens, wo man zunächst der Landflucht gut standge-halten hatte, heute sehr geringe, ja sogar negative Wachs-tumsraten zu verzeichnen, wenn diese ländlichenGemeinden nicht im Umfeld der großen perialpinen Städte angesiedelt sind. Die Alpenregionen blicken dem-nach nicht auf eine einheitliche demographische Ge-schichte zurück: Es wurden bis zu 17 Verhaltenstypen inder Chronologie der demographischen Entwicklungen(Bätzing) festgestellt. Die Mechanismen sind zwar insge-samt im Alpenraum recht ähnlich – die zunehmend stär-kere Rolle der wichtigsten Städte innerhalb der Alpenund der perialpinen Metropolen bei der Siedlungsvertei-

BEVÖLKERUNG UND KULTUR

>> Die Hafenstadt Triest an der Adria ist Endpunkt der Via Alpina. Quelle: N. Morelle

lung, der steigende Einfluss der Fremdenverkehrsres-sourcen auf die Verteilung der Bewohner – , jedoch sindihre Auswirkungen, je nach Situation und Zugänglichkeitder Gemeinden einerseits und dem Typ der dort vorhan-denen Ressourcen und Tätigkeiten anderseits, sehr un-terschiedlich.

Herausforderungen für die soziale und territoriale Gerechtigkeit

Diese sehr starke Differenzierung des demographischenVerhaltens der Alpengemeinden und -regionen führt zueiner ersten Konsequenz für die soziale und territorialeGerechtigkeit.

In den Regionen, die Einwohner verlieren, wie im Pie-mont und in den Ostalpen sowie in den Regionen, in denen die Bevölkerungsdichte infolge einer lang anhal-tenden verlangsamten oder erst seit zu kurzer Zeit ein-gesetzten Trendwende der Bevölkerungsabwanderungsehr gering ist, wie beispielsweise in den provenzalischenAlpen, haben die Städte und Regionen (Länder, Provin-zen, Kantone etc.) Schwierigkeiten bzw. zögern, ein zu-friedenstellendes Angebot öffentlicher Dienstleistungenaufrechtzuerhalten: Überall in diesen entvölkerten Al-penregionen stellte sich jüngst die Frage nach der Beibe-haltung der Postschalter, Schulen und Pflegedienstleis-tungen im Nahbereich; hier und da kämpfen ganze Täleroder kleinere Städte um die Beibehaltung eines öffentli-chen Krankenhauses, wie in La Mure in Frankreich, odereiner Zug- bzw. Busverbindung. Die Unternehmen wie-derum, die eine noch größere Zahl privater Dienstleis-tungen erbringen, zögern im Allgemeinen, sich nieder-zulassen und Regionen auszustatten, in denen dieInvestitionen im Vergleich zu den potenziellen Kundenkostenintensiv erscheinen. So haben sich beispielsweisedie Anbieter für Mobiltelefonie vorrangig in den städti-schen Gebieten und in den wichtigsten Fremdenver-kehrszentren niedergelassen, bevor sie sich, bisweilen un-ter staatlichem Druck, in den ländlichen Gebieten mitgeringerer Bevölkerungsdichte angesiedelt haben. DieserKontrast zwischen den städtischen Gebieten und den Re-gionen mit geringer Bevölkerungsdichte ist umso au-genfälliger, als die Wirtschaft der wichtigsten Alpen-städte und perialpinen Städte, wie Mailand, München,Verona, Grenoble oder Genf, seit dem 2. Weltkrieg einebemerkenswerte Dynamik unter Beweis gestellt haben.

So gesehen, stellt sich die Ressourcenverteilung für die Al-penbevölkerung in Bezug auf den Zugang zu Dienstleis-tungen und Beschäftigung sehr ungleich dar. Die gerin-gere Qualität der Pflegedienste und der Schul- undUniversitätsausbildung, das eingeschränktere Arbeits-platzangebot in den ländlichen Gebieten im Vergleich zuden städtischen Gebieten benachteiligen weiterhin Er-stere und fördern die Anziehungskraft der Städte. Ein Teilder Alpen leidet nach wie vor unter den Auswirkungeneines brain drain sowie – ganz allgemein – ein Teil der

jüngsten und bestausgebildeten Generationen, was diesehinsichtlich der sozialen Vielfalt und der Aussichten aufwirtschaftliche Entwicklung benachteiligt. Denn entge-gen den aus der Revolution der sogenannten neuen In-formationstechnologien erwachsenen Hoffnungen hiel-ten Fernunterricht und Telearbeit nicht alle ihreVersprechen.

Herausforderungen für die soziale Bindung

Die vor einem halben Jahrhundert eingesetzte sehr star-ke Vermischung der traditionellen Alpenbevölkerung mitder neu hinzugekommenen Bevölkerung im Alpenraumhat ebenfalls wesentliche Auswirkungen auf die Organi-sation der lokalen Gesellschaften. Die traditionellen Ge-meinschaften waren über lange Zeit durch eine äußerstsehr intensive soziale Bindung gekennzeichnet, die ins-besondere in der kollektiven Organisation der täglichenArbeit und in der religiösen Praxis ihren Ausdruck fand.Den gegensätzlichen Bewegungen einer Entvölkerungund einer Wiederbevölkerung ausgesetzt, konnten dieseGemeinschaften mehr oder weniger erfolgreich diesenstarken sozialen Zusammenhalt pflegen. Dort, wo dieLandflucht am drastischsten war, konnte man eindrucks-volle Auflösungserscheinungen feststellen; der Zuzugneuer Einwohner, mitunter ohne örtliche Wurzeln undsomit ohne Bindung an die alten Generationen, führte zueinem Nebeneinander, aus dem sich nur mühsam wirk-liche Dorfgemeinschaften bilden. Daraus resultiert einerelativ hohe Zahl alleinstehender, bisweilen suizidge-fährdeter, Menschen unter den ältesten Bewohnern. Diebedeutendsten Touristengemeinden verzeichneten eben-falls den Zuzug neuer Einwohner, manchmal Ausländer,die nicht immer in der Lage bzw. interessiert sind, sich indas Netzwerk der alteingesessenen Familien zu integrie-ren. Das Ergebnis ist beispielsweise ein manchmal starkverbreitetes Suchtverhalten bei den Saisonarbeitern imTourismusgewerbe. Schließlich stellen sich durch den Zu-zug sehr vieler neuer Bewohner in den großen periurba-nen Gebieten vergleichbare Probleme – insbesondere dersozialen Eingliederung – und spezifische Probleme, z. B.im Wesentlichen der stärkere Wettbewerb hinsichtlichder Grundstücksressourcen. Der Anstieg der Grundstücks-und Wohnungspreise erschwert der traditionellen Bevöl-kerung den Zugang zu diesem Markt zunehmend.

Hoffnungen und Grenzen für eine neue Identitätsfindung

Infolgedessen ist die Alpenbevölkerung in der Vielfalt ih-rer gesellschaftlichen und demographischen Situationeneiner doppelten Herausforderung für den Schutz oder dieWiederherstellung örtlicher Gesellschaften ausgesetzt. Ei-nerseits stellt sich die Herausforderung der Dauerhaftig-keit bzw. der Wiederherstellung von Identitätsbindun-gen, andererseits die Herausforderung der Neuschaffungbzw. der Wiedererfindung leistungsfähiger Wirtschafts-systeme.

58

59

Bereits seit langem sind die durch eine sehr große Viel-falt sprachlicher, spezifischer und nationaler Kulturengekennzeichneten Alpen Gegenstand einer von den Eli-ten der europäischen Gesellschaften geschaffenen unddurch die volkstümliche Literatur weit verbreiteten ver-einheitlichenden Darstellung. In dieser Darstellung liegtder Ursprung der touristischen Praktiken und bestimm-ter nachhaltiger, daraus hervorgegangener Migrationen:Neue Arbeitnehmer und Zuzüge in den Tourismusorten,

periurbane Wohnbevölkerung der großen perialpinenMetropolen.

Diese Darstellungsweise wurde den Alpengemeinschaf-ten übergestülpt, die sie mehr oder weniger sofort an-nahmen und gezwungen waren, die Beziehungen zwi-schen dieser exogenen Sichtweise und ihren eigenenEinzigartigkeiten zu überdenken. Diese Spannung zwi-schen den überlieferten Kulturen und der von außenübergestülpten Identität wurde, je nach dem entspre-chenden Kontext, in dem sie stattfand, sehr unterschied-lich erlebt: In den traditionell ältesten Fremdenverkehrs-regionen (Zentralschweiz, Valais, Haute Savoie, Nord- undSüdtirol etc.) haben die örtlichen Gesellschaften oftmalsdie notwendige Zeit und die Kontinuität der Generati-onen genutzt, um Identitäten zu pflegen, bei denen dieCharakteristika des kulturellen Erbes mit den Vorstellun-gen der Touristen verbunden wurde, und oftmals gelanges ihnen sogar, Letztere so in den Griff zu bekommen,dass daraus identitätsbezogene und kulturelle Ressourcenwurden (Museen für die lokale Tourismusgeschichte, Neo-folklore etc.); im Gegensatz dazu war die Kopplung dort,wo die Auflösung der traditionellen Gesellschaften sehrstark vorangetrieben wurde oder wo die Einführung derFremdenverkehrswirtschaft und der städtischen Kulturplötzlich aufkam, schwieriger zu bewerkstelligen, wenn

sie nicht sogar völlig gescheitert ist: So waren das unver-mittelte Hereinbrechen des Fremdenverkehrs in der Re-gion Tarentaise (Frankreich) in den 70er Jahren und dierasche Verstädterung im Umfeld von Genf oder Mailandmomentane oder dauerhafte Quellen für wirtschaftlicheund kulturelle Konflikte.

Man kann heute glauben, dass die offenkundigsten undnachhaltigsten Umbauanstrengungen im sozialen und

kulturellen Bereich sich auf das Vorhandensein leis-tungsfähiger lokaler Wirtschaftssysteme stützen, die inder Lage sind, sich in die zeitgenössische Handelswirt-schaft und in immer noch instabile Umweltgleichge-wichte einzufügen. Bestimmte städtische Zonen, wie Gre-noble oder Annecy in Frankreich, zeugen von derKapazität hochmoderner Produktionssysteme und sehrverstädterter sowie von Sportkultur und ökologischer Kul-tur stark beeinflusster lokaler Gesellschaften, neue Ge-biete in den Alpen mitzuziehen, indem städtische Prakti-ken und die Bewirtschaftung der Bergweltressourcenmiteinander verbunden werden. Ländliche Regionen,wie das Große Walsertal im österreichischen Vorarlberg,erarbeiten neue Entwicklungsmodelle, die eine Verbes-serung der Lebensbedingungen der Einwohner, der agro-touristischen Produktionssysteme und eine überlegte Bewirtschaftung der Umweltressourcen miteinanderkombinieren. Schließlich ist es Landwirten und Vieh-züchtern in zahlreichen Alpenregionen gelungen, dieProduktions- und Vermarktungsbedingungen umzuori-entieren, indem die Qualitäten der Landschaft, der Um-welt und des Know-hows für die Entwicklung originärerProdukte, die zugleich Träger einer kollektiven Identitätund ökologischer Gleichgewichte sind, aufgewertet wur-den. In allen Fällen erscheint die territoriale Ausgewo-genheit, die für neue wirtschaftliche, soziokulturelle und

Traditioneller Wochenmarkt in Oberstaufen (Bayern). Quelle: Gemeinde Oberstaufen

60

umweltrelevante Gleichgewichte aufschlussreich ist, alseine Bedingung und ein Zeichen für erfolgreiche Um-strukturierungen.

Die Bedeutung der lokalen, regionalen und internationalenpolitischen Optionen

Diese Unterschiedlichkeit der bisweilen vielversprechen-den Situationen zeigt die Bedeutung der zugrunde lie-genden politischen Optionen. Das Aufkommen neuer lo-kaler Gesellschaften erfordert die Berücksichtigungmannigfaltiger Faktoren durch die lokalen Akteure – dieexogenen Darstellungen, ebenso wie die lokalen Iden-titäten, die Wanderungsbewegungen und die Vielfalt derindividuellen Wege, die Wettbewerbsfähigkeit der Pro-dukte und wirtschaftlichen Dienstleistungen sowie derSchutz der Umweltqualität – im Rahmen lokaler politi-scher Projekte, die notwendigerweise innovativ sind. ImGegensatz dazu stellen die Versuchungen eines Rückzugsauf die eigene Identität, Nährboden für einen übermäßi-gen Lokalpatriotismus und für Ausgrenzung, denen be-stimmte Regionen unter der Einwirkung populistischerund reaktionärer Bewegungen zu erliegen scheinen, ei-ne Sackgasse gegenüber den Herausforderungen der Mo-derne und der Integration in die europäische Gesellschaftund Wirtschaft dar. Schließlich ist die Mobilisierung derinnovativen lokalen Akteure in politischen Projektengrößeren Ausmaßes für den gesamten Alpenraum imRahmen oder am Rande der Alpenkonvention eine Or-ganisationsebene, die der Förderung dieser Modelle fürEntwicklung und soziale Integration bei den nationalenund gemeinschaftlichen Institutionen zweckdienlich ist.Das ist der Weg, den diese Generation der Gemeindever-netzung, der Stadt- und Regionalverbände, die Vorreitereiner möglichen neuen Alpenidentität sein kann und zu-gleich durch kulturelle Fundamente, wirtschaftliche Leis-tungen und politischen Ehrgeiz gekennzeichnet ist, zu beschreiten scheint.

Prof. Bernard Debarbieux, Universität Genf

Partizipative Ortsplanung

In der Schweiz hat jede Gemeinde die Pflicht, die raum-planerischen Grundlagen zu erstellen, wie der Ort sichentwickeln soll. Dabei hat – gemäß der schweizerischenGepflogenheit der direkten Demokratie – das Volk dasletzte Wort. Die Partizipation oder die Bürgerbeteiligungwill jedoch mehr. Die Gemeindebevölkerung soll aktiv inden Prozess der Planung einbezogen werden. Dieses Pla-nungsmodell will das Raumplanungsamt Graubünden inZukunft immer öfter anwenden. Denn das Ergebnis einerpartizipativen Ortsplanung ist bedürfnisgerecht und wirdvon der Bevölkerung auch besser akzeptiert. Vor allemsoll mit ihr auch eine Entwicklung in Richtung Zukunftausgelöst werden: also eine Verknüpfung der lokalenAgenda 21 einerseits mit den technischen Planungsins-

trumenten andererseits. Die Pilotgemeinden der partizi-pativen Ortsplanung sind die der Castasegna im Bergellund Sur am Julierpass.

Beispiel Sur

Sur ist ein 100-Seelendorf im Oberhalbstein, hier passie-ren die Touristen, die mit dem Auto von Zürich nach St. Moritz fahren. Sur kämpft um seine Zukunft: Die Be-völkerung ist überaltert, die Finanzen fehlen. Doch Surmacht sich Mut, denn auf seinem Gemeindegebiet liegtauch das berühmt Naturidyll Alp Flix. Und es hat jungeFamilien, die für die Zukunft kämpfen. Die partizipativeOrtsplanung begann 2003 mit einer Zukunftskonferenz,die folgende Projektideen generierte:

■ Schaffung eines Informationszentrums für den geplan-ten Naturpark Ela und die Alp Flix

■ Erstellen eines Ferienaltersheimes

■ Bereitstellung von günstigen Parzellen für die Wohn-bauförderung

Die Ortsplanung und die aktuelle Melioration (Güterzu-sammenlegung und Erschließung) können nun für dieBauprojekte den geeigneten Boden bereitstellen. Die Pro-jekte sind kühn, zwar schon ein wenig gereift. Doch derWeg zur Umsetzung vor allem der genialen Idee „Ferien-Altersheim“ ist noch weit. Doch Sur packt die Zukunft an– ganz im Sinne der Alpenkonvention.

Alpenbüro Netz GmbH

Kontakte: Amt für Raumplanung, Cla Semadeni Grabenstrasse 1, CH-7001 Chur Tel.: ++41 (0)81 257 23 241 [email protected]

oder: Alpenbüro Netz GmbH, Karin Walder Dorfstrasse 150, CH-7220 Schiers Tel.: ++41 (0) 81 420 22 57 [email protected]

Ausbildung grenzüberschreitender Natur-und Kulturlandschaftsführer in der Euregio

Die Euregio Zugspitze-Wetterstein-Karwendel ist geprägtvon einer vielfältigen, abwechslungsreichen Landschaftund einer engen kulturhistorischen Beziehung ihrerbayerischen und Tiroler Bewohner. Der ausgeprägteFremdenverkehr bedingt darüber hinaus eine massivetouristische Nutzung vieler Landschaftsteile.

Natur- und LandschaftsführerInnen vermitteln den Men-schen unserer Zeit in ansprechender Weise die Natur-und Kulturlandschaft sowohl in heimatlichen Regionen

61

als auch z. T. grenzübergreifend in Europa. Dadurch för-dern sie die Wertschätzung und gleichzeitig das Ver-ständnis für die Gefährdungen des ländlichen Raumes.Als kompetente Partner von Tourismusverbänden schaf-fen sie mit ihren Natur- und Landschaftsführungen einzusätzliches Angebot an naturschonender und land-schaftspflegender Freizeitgestaltung.

Die Qualifizierungsmaßnahme „Aus- und Fortbildungvon Natur- und LandschaftsführerInnen“ leistet einendeutlichen Beitrag zur Entwicklung und wirtschaftlichenStärkung des Raumes, da sie nicht nur ein attraktives Zu-satzangebot für einen naturschonenden Tourismus dar-stellt, sondern damit auch Einheimischen die Möglichkeitbietet, zusätzliche Einkommensquellen zu schaffen.

Durch die Inwertsetzung der heimischen Natur- und Kul-turlandschaft wird nicht nur das Bewusstsein für den hei-mischen Lebensraum geschärft, sondern auch über alleGrenzen hinweg die gemeinsame kulturelle Identität ei-ner gemeinsamen Region gestärkt.

EuRegio Zugspitze-Wetterstein-Karwendel

Kontakt: Euregio Zugspitze-Wetterstein-Karwendel Geschäftsstelle: Peter Keller, Bahnhofstr. 16, D-82467 Garmisch-PartenkirchenTel.: ++49 (0) 8821 [email protected]

Fernwärme durch Holzbiomasse in Preddvor

Slowenien bemüht sich um die Gestaltung von Energie-bedingungen, die eine nachhaltige Entwicklung im Rah-men der für den Alpenraum verträglichen Belastungenermöglichen. In Slowenien beträgt heute der Anteil derregenerativen Energiequellen am primären Energiever-

brauch 9 %. Das Potenzial für eine höhere Nutzung dererneuerungsfähigen Energiequellen in Slowenien ist be-trächtlich. Vor allem wäre eine wesentlich höhere Nut-zung von Holzbiomasse, Sonne und Wind denkbar. Damithat Slowenien auch reale Möglichkeiten, gemäß Kyoto-Protokoll eine Senkung von Treibhausemissionen um 8 %zu erreichen. Die Entschlossenheit Sloweniens dieses Zielzu erreichen, ist im Nationalen Energieprogramm und inden in Entstehung begriffenen operativen Programmenfür die Nutzung der einzelnen erneuerungsfähigen Ener-giequellen niedergelegt. Für die Durchführung dieserProgramme sind bereits Förderungen aus dem Haushaltund andere Maßnahmen, wie z.B. die Verordnung überdie Preisfixierung für den Ankauf von Strom bei qualifi-zierten Herstellern, vorhanden und in Zukunft wird esweitere Förderungen geben.

Preddvor ist als geschlossene Siedlung von Wäldern um-geben und mit eigener Holzindustrie für Fernheizung mitHolzbiomasse sehr geeignet. Die Fernheizung ersetztüber 200 individuelle Heizstellen, die vorwiegend mitHeizöl gespeist wurden. Als Brennmaterial werden Holz-schnitzel, Sägemehl und Baumrinde mit zugelassener re-lativ hoher Feuchtigkeit verwendet. Der Rohstoff stammtaus dem benachbarten Holzbetrieb und aus der näherenUmgebung.

Die Basis für das Fernheizsystem stellt ein 2,5 MW-Kesselfür Holzbiomasse dar. Als Zusatzkessel für die Abdeckungder Spitzenbelastungen und Reserve wird ein 4-MW-Kes-sel für ELHO (extra leichtes Heizöl) verwendet. Das gesamte System ist durch die Verwendung einer Sonder-programmausrüstung gänzlich visualisiert und PC-ge-lenkt. Für die Versorgung des Ortes mit Wärmeenergiesind 7.000 Trassenmeter vorisolierter Rohrleitungen ver-legt, durch die über kompakte Wärmezentren 212 Ob-jekte im System miteinander verbunden sind. Auch derBetrieb des Gesamtnetzes einschließlich der Wärmesta-tionen ist voll automatisiert und optimiert sowie voll mitdem automatischen Kesselbetrieb kompatibel. DieseKompatibilität ermöglicht als einzige in diesem Teil Eu-ropas eine weitere dynamische Optimierung des gesam-ten Systems für einen optimalen Betrieb mit niedrigstenKosten.

Die Gesamtinvestition hat einen Wert von 3.892.000 E.Den größten Teil der Investition (30 %) stellt der Kessel mitder Gesamtausrüstung dar, 22 % das Fernnetz und 23 %die Investition in Wärmestationen und Fernüberwa-chung. Der richtige Ansatz bei der Durchführung des Pro-jekts und die Berücksichtigung der modernen Umwelt-standards bei der Planung waren auch Bedingungen fürdie Gewährung von Fördermitteln aus dem grenzüber-schreitenden PHARE-Programm und aus dem sloweni-schen Haushalt, ohne die das Projekt nicht realisierbar ge-wesen wäre. Die nichtrückzahlbaren Fördermittel (60 %der gesamten Investition) in der Bauphase des Systems er-möglichen einen niedrigeren Preis der Wärmeenergie imVergleich mit individueller Nutzung von Fossilbrennstof-fen, vor allem aber eine langfristige Stabilität, denn Holz-

Untersuchungen am und im Wasser. Mit Becherlupen/Mikroskopen wird die reicheTierwelt eines Gebirgsbaches nähergebracht. Quelle: Ländliches Fortbildungs-institut Tirol

62

biomasse ist ein einheimischer Brennstoff und den Preis-schwankungen für Erdölderivate auf dem Weltmarktnicht unterworfen. Die Beteiligung von Privatkapital ander Gesellschaft, die auf lokaler Ebene die Energieversor-gung sichern soll, ist eine zusätzliche Garantie für wirk-same und wirtschaftlich gerechtfertigte Lösungen beihochwertiger und verlässlicher Energieversorgung.

Das Fernwärmesystem ersetzt den Bewohnern von Preddvor den Verbrauch von 840.000 l Heizöl, senkt dieEmission von CO2 um 2.130 Tonnen jährlich und dieEmissionen von CO um 37 Tonnen jährlich. Neben der ho-hen Qualität wird dadurch auch eine verlässliche, sorg-lose und preislich interessante Wärmequelle angeboten.Die Durchführung des Projekts trägt zur Importsenkung

von fossilen Energieträgern im Ort Preddvor im Wert vonca. 280.000 E jährlich bei. Soviel beträgt ungefähr derKaufwert von Fossilbrennstoffen, die durch die Verwen-dung von Holzbiomasse ersetzt werden. Schätzungennach ist durch den Betrieb dieses Projekts in Sloweniendas Bruttosozialprodukt jährlich um 700.000 E höher.Das bedeutet, dass die staatliche Subvention volkswirt-

schaftlich gesehen eine äußerst wirksame Investition dar-stellt. Neben einer saubereren Umwelt trägt sie auch zurnachhaltigen Entwicklung und zum zusätzlichen Ein-kommen in der Region bei.

Ministerium für Umwelt, Raum und Energie, Agentur für effizienteEnergienutzung, Slowenien

Schema der Fernheizung

RohrleitungFernnetzVerteilerleitungRücklaufrohr

Zulaufast

Heizung

Warmwasserversorgung

Übertragungsleitung

Kesselraum der Fernheizung

Wärmeverteilung Zulaufrohr

Bereitgestellt durch das Ministerium für Umwelt, Raum und Energie, Agentur für wirksame Energienutzung.

Impressum

Publikationsreihe Alpensignale

Medieninhaber/Herausgeber:

Ständiges Sekretariat der AlpenkonventionHerzog-Friedrich-Straße 15

A-6020 Innsbruck, Österreich

Verantwortlich:

Dr. Igor Roblek, Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention

Graphische Gestaltung:

Werbeagentur Ingenhaeff-Beerenkamp, Absam (A)

© Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention, Innsbruck, 2004; sofern nichts Anderes angegeben

Für diesen Band:

Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitReferat Öffentlichkeitsarbeit · 11055 Berlin

Redaktion: Silvia Reppe (BMU), Monika Ulrich (BMU), Irene Brendt (StMUGV)

Quellen: – Alpenbüro Netz GmbH, Birgit Grübler, Jöri Schwärzel, Schweiz– Amt für Tiefbau Kanton Uri, Altdorf, Schweiz– Amt für Wald, Natur und Landschaft, Liechtenstein– Bayerisches Geologisches Landesamt, Deutschland– Bayer. Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, Deutschland– Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, Schweiz– Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Österreich– Deutscher Alpenverein– Gäste-Information Schliersee, Deutschland– Gemeinde Mäder, Österreich– Gemeinde Oberstaufen, Deutschland– H. Diem– Dr. Georg Hauger, Technische Universität Wien, Österreich– Dr. Jürg Meyer Schweizer Alpenclub SAC– Landesamt für Wasserwirtschaft Bayern, Deutschland– Ländliches Fortbildungsinstitut Tirol, Österreich– Prof. Dr. Martin Seger, Universität Klagenfurt, Österreich– Ministrstvo za okolje, prostor in energijo, Agencija za ucinkovito rabo energije, Slowenien– Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, GeoRisikoForschung– Dr. Nathalie Morelle, Verein Grande Traversées des Alpes– Réseau des espaces protégés alpins, Frankreich– Österreichischer Alpenverein, Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz– Ortsvorstehung Ginzling, Österreich– P. Tasser– Stadt Bad Reichenhall, Deutschland– Thomas Kollegger, Verein Wasserweg Albulatal, Schweiz– Turisticno drustvo Ratece-Planica, Slowenien– U. Visciani, APT Trentino

Stand: November 2004

Layout: Feldes & Vogt, Bonn

Druck: 20.000

Diese Broschüre wurde im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Bundesregierung finanziert. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Der Druck erfolgt auf Recyclingpapier aus 100% Altpapier.

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

[email protected]

Referat Öffentlichkeitsarbeit

D – 11055 Berlin

Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention

[email protected]

Sitz in InnsbruckHerzog-Friedrich-Straße 15

A-6020 Innsbruck, Österreich

Außenstelle BozenDrususallee 1

I-39100 BozenItalien

Kontakt:

Alpenkonvention konkretZiele und Umsetzung

Alpensignale 2

www.alpconv.org