alpers, hans j. ,hahn, ronald m. - raumschiff der kinder - band 1 - raumschiff der kinder (1977)
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Hans J. Alpers / Ronald M. Hahn
Raumschiff
der Kinder
Band 1
aus der Reihe„Raumschiff der Kinder“
ungekürzte Originaleditionder nicht mehr aufgelegten
Einzelausgabe von 1977
© Ensslin & Laiblin Verlag GmbH & Co. KG Reutlingen 1977. SämtlicheRechte, auch die der Verfilmung, des Vortrags, der Rundfunk undFernsehübertragung, der Verbreitung durch Kassetten und Schallplattensowie der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten. Printed in Germany.
ISBN 3770903870
Im Plastikwald
Die Maus kroch schnuppernd aus ihrer Höhle. Harpo Trumpff hielt denAtem an. Seine Finger umklammerten den Griff des Keschers. Vor Aufregungpackte er so fest zu, daß die Haut an den Knöcheln ganz weiß wurde.
Anca zuckte mit einer Schulter, weil dort der Pullover auf der Haut kratzte.Harpo strafte seine Schwester mit einem ärgerlichen Blick. Wie konnte manin diesem Moment an etwas derart Nebensächliches denken!
Zum Glück hatte die Maus die Bewegung nicht bemerkt. Sie schob ihrenmit grellrotem Fell bedeckten kleinen Körper beinahe sorglos vollständig ausdem Unterschlupf, wirbelte mit der witternden Nase etwas Staub auf undverschwand unter dem Blatt einer Plastikpflanze. Nur der Schwanz schautenoch hervor.
Auf diesen Moment hatte Harpo gewartet. Vorsichtig balancierte er den Kescher, bis er genau über der Stelle schwebte, die von dem Mäuseschwanzmarkiert wurde. Er wollte den Kescher mit einer blitzschnellen Bewegungüber das Tier stülpen – aber im gleichen Moment verlor er den Halt unter denFüßen. Mitten im sandigen Boden hatte sich ein Krater gebildet, in den derlockere Sand wie Wasser floß, den zappelnden Harpo mit sich reißend.
Im ersten Moment konnte Anca überhaupt nicht begreifen, was dort vor ihren Augen geschah. Sie hatte erwartet, daß ihr Bruder mit einem Triumphschrei in den Kescher greifen und ihr stolz die gefangene Maus zeigen würde.Statt dessen tat sich der Boden auf und verschlang den Jungen. Die Mausflitzte wie ein geölter Blitz in das Dickicht der Plastikpflanzen. Wie hypnotisiert starrte Anca auf den Kescher, der Harpo aus der Hand geglitten warund nun am Rande des Sandtrichters lag.
„Hilfe! Hilfe!“Harpos Rufe lösten die Erstarrung. Ängstlich beugte sich Anca über den
Trichter und versuchte in die Tiefe zu spähen. Aber man sah nur ein dunklesLoch, das wie ein schräger und ziemlich steiler Tunnel unter das Gebüschführte. Von den Rändern abbrechende Sandbrocken warnten das Mädchengerade noch rechtzeitig davor, einen weiteren Schritt zu tun.
„Harpo!“ rief Anca. „Ist dir etwas passiert? Harpo, antworte doch!“Aber der Junge hörte ihre dünne Stimme vermutlich gar nicht. Er schrie viel
zu laut und ohne Pause. Einzelne Wörter wie: „Nein!“ – „Holt mich raus!“ –„Ich habe Angst!“ konnte man gerade noch verstehen, aber das meiste ging inunartikuliertem Kreischen unter.
„Harpo, beruhige dich doch! Ich hole Hilfe!“Anca war erst zwölf Jahre alt, und ihr Bruder war sechzehn. Seit dem Tod
der Eltern – beide starben bei der Reaktorkatastrophe von São Paulo vorsechs Jahren – waren die Kinder nur aufeinander angewiesen. Meist war Harpo der Beschützer der Schwester. Aber jetzt kam es allein auf sie an, das wußte Anca.
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Sie fühlte sich verzweifelt und hilflos. Tränenblind rannte sie den Pfadentlang, ohne überhaupt zu bemerken, daß ihr die Blätter und Ranken derkünstlichen Pflanzen ins Gesicht peitschten. Während sie lief, formte sich undeutlich ein Bild in ihrem Innern. Sie sah das Tal der Wigwams mit denFreunden vor dem Feuer. Dorthin mußte sie laufen. Die Freunde würden Ratwissen. Aber der Weg war lang. Wenn nur Harpo inzwischen nichts geschah!Ihr einziger Trost war, daß es hier keine gefährlichen Tiere gab. Aber wußtensie das wirklich so genau?
Sie prallte urplötzlich mit etwas zusammen, das eigentlich flauschig undweich war, bei diesem ungestümen Aufprall aber doch einen ziemlich hartenWiderstand bot. Sowohl Anca als auch das Ding hüpften wie Tennisbälle auseinander und fielen ins Dickicht.
Benommen richtete sich das Mädchen auf. Auf der anderen Seite desWeges kroch ein unglaublich dicker grüner Bär zwischen den Blättern hervor,das heißt, im ersten Moment hätte man ihn für einen Bären halten können.
„Hoppla, kleines Fräulein“, brummte das Wesen und half ihr beim Aufstehen. „Du hast es aber eilig.“
Der Bär war kein Bär. Schließlich haben lebendige Bären kein grünes Fell.Wenn man genau hinsah, erkannte man die Nahtstellen der Plüschhülle. Undaus den Bärenaugen blickte weder Sanftmut noch Wildheit, sondern dasgleichmütige Leuchten einer elektronisch gesteuerten Sehzelle. Ein Roboteroder wegen der grünen Verkleidung von den Kindern so genannt – ein Grüner. Normalerweise hätte sich Anca an ihm vorbeigedrückt, denn wie alle imTal der Wigwams war sie mißtrauisch gegen diese elektronischen Aufpasserund Lehrer, die wie Plüschtiere aussahen. Aber schließlich ging es dieses Malum Wichtigeres als um ihr Mißtrauen.
„Schnell“, keuchte sie. „Mein Bruder ist in ein Sandloch gefallen und kannallein nicht wieder heraus.“
„Sandloch?“ wiederholte der Grüne. „Das werden wir gleich haben. Zeigmir die Stelle.“
Aufgeregt lief Anca dem Grünen voraus. Es fiel ihm sichtlich schwer, demMädchen zu folgen. Er war um einen Kopf kleiner als Anca und hatte kürzereBeine.
Als sie den Trichter erreichten, glaubte Anca für einen schrecklichenMoment, daß jemand dem Bruder etwas angetan hatte. Denn alles war ruhig.
„Harpo!“ rief sie, so laut es ging.Erleichtert hörte sie ein leises Wimmern als Antwort.„Es dauert nicht mehr lange“, versprach das Mädchen. „Ein Grüner ist hier
und wird dir helfen.“Die Bezeichnung war ihr so herausgerutscht. Als artiges Mädchen hätte sie
„Lehrer“ sagen müssen. Doch der Roboter zeigte keine Reaktion.„Ein stillgelegter Ventilationsschacht“, erklärte er, nachdem er die Ränder
des Trichters untersucht hatte. „Der Sand muß sich im Laufe der Zeit überdie Pflanzenblätter gelegt und den Eingang verdeckt haben.“
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Unter seinem linken Ohr machte sich ein hellgrünes Glimmen bemerkbar.Aha, dachte Anca, jetzt ruft er über Funk Unterstützung herbei. Die Kinderhatten es im Laufe der Zeit gelernt, so ziemlich alle Verhaltensweisen derGrünen zu deuten.
Einige Minuten später, während sie noch beruhigend in den Trichter hineinsprach, öffnete sich etwa hundert Meter entfernt eine Wand, die bisherfugenlos erschienen war, und spuckte vier weitere Grüne aus. Einer trug eindünnes Drahtseil, ein anderer eine Handwinde. Ohne sich lange aufzuhalten,ließ sich einer der Roboter in den Trichter gleiten. Die anderen warfen dasSeilende hinab, befestigten das Seil an der Winde und zogen wenig späterden Grünen und Harpo unter den Büschen hervor.
Erleichtert umarmte Anca ihren Bruder. Er wirkte etwas erschöpft, sonstaber ganz normal. Nichts erinnerte mehr an den kreischenden, jammerndenJungen in der Tiefe. Anca wußte aber, daß diese panische Angst kein Traumwar. Sie erlebte es nicht zum ersten Mal. Harpo war krank wie so viele Kinderder Erde, die in ihrer Umwelt nicht glücklich sein konnten. Niemand durfteaußerhalb der Städte spielen, und in den Städten war es höllisch eng. ImGrunde lebten sie in einem muffigen Gefängnis. Manche Kinder quältenAlpträume. Auch Harpo. Er litt unter Fallangst und Schwindelgefühlen, aberam schlimmsten wurde es, wenn er sich im Dunkeln alleingelassen fühlte.Deshalb hatte man ihn auf dieses Raumschiff geschickt, und Anca, diegesund war, durfte mit. Einsichtige Ärzte hatten erkannt, daß die Geschwisterzusammenbleiben wollten.
„Findet ihr allein zurück, oder soll ich euch zu eurer Siedlung begleiten?“fragte der Grüne, der als erster am Ort des Unfalls gewesen war.
„Nein, nein, es ist alles in Ordnung“, antwortete Harpo hastig. „Und –vielen Dank.“
Es fiel ihm nicht leicht, dem Grünen zu danken.„Wir werden den Schacht so absichern, daß sich solch ein Malheur nicht
wiederholen kann“, versicherte der Grüne. Wie übergroße Teddybären watschelten die Roboter davon und verschwanden hinter jener verborgenen Türin der Wand.
„Am besten erzählen wir den anderen gar nichts davon“, meinte Harpo,dem seine Angst, wie die Hilfe der Grünen, unangenehm war und der nichtweiter darüber reden wollte.
„Wenn du meinst“, sagte Anca. Eigentlich verstand sie den Bruder nicht.Wie konnte man sich für eine Krankheit schämen?
Harpo wollte ihr gerade den Kescher abnehmen, als sie plötzlich damit eineblitzschnelle Bewegung ausführte.
„Juchhu!“ rief sie und hielt den zappelnden Fang in die Höhe. „Jetzt habenwir am Ende die Maus doch noch gefangen!“
„Klasse!“ Harpo freute sich. Ihm war entgangen, was Anca aus den Augenwinkeln erspäht hatte: daß die Maus neugierig ihr Versteck verlassen hatte.
Furchtlos griff Harpo in den Kescher und zog das strampelnde Tierchenheraus. Er betrachtete es eine Weile und hielt es dann an sein Ohr.
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„Ach“, sagte er ganz enttäuscht. „Alles umsonst. Die Maus summt.“Er reichte Anca das Tier. Tatsächlich: Die Maus summte. Und wenn man
genau hinsah, konnte man auch die winzigen Metallgelenke an den Beinchenerkennen. Achtlos setzte Anca den kleinen RoboterMechanismus auf denBoden. Wie eine echte Maus flitzte das künstliche Wesen in die Höhle zurück;schließlich besaß es ein kleines Computergehirn, das ihm die Verhaltensweisen einer Maus aufprägte.
„Schade“, meinte Harpo. „Jetzt habe ich keine Lust mehr, noch einmal aufJagd zu gehen.“
„Aber Micel hat auf Deck 28 einen richtigen Frosch gesehen“, erinnerte Anca. Ob das nun Trotz war oder der Versuch, ihn zu trösten, wußte Harpo nichtso genau.
„Micel Fopp ist ein Angeber“, gab er deshalb zurück. „Wenn ein Telepathdie Gedanken anderer Kinder liest, dann gibt er deren Erlebnisse immergleich als die eigenen aus. Micel war nie im Leben auf Deck 28. Also kann erdort auch keinen Frosch gesehen haben.“
„Dann eben nicht. Aber einer auf dem Schiff hat einen lebendigen Froschgesehen“, trumpfte Anca auf. „Genügt dir das nicht?“
„Hm“, machte Harpo. Er ärgerte sich, daß seine kleine Schwester rechthatte. „Wir wollen gehen“, lenkte er deshalb ab. „In zwei Stunden wird esdunkel.“
Die Schlange
Harpo ging den Pfad entlang. Anca folgte ihm. Sie mußte laufen, um demBruder folgen zu können.
Das Mädchen glich Harpo äußerlich nicht sehr. Sie hatte schwarzes Haar,das glatt und voll ihr zierlich geschnittenes Gesicht umrahmte und so langwar, daß es fast bis an die Hüften reichte. Obwohl alles an Anca klein undniedlich wirkte, neigte sie doch ein wenig zur Rundlichkeit, was ihr den Spitznamen Pummelchen eingetragen hatte.
„Ich habe Kohldampf“, beschwerte sie sich nach einer Weile.„Es ist nicht mehr weit“, antwortete Harpo. „Sicherlich wartet am Wigwam
auf uns ein großer Topf mit Bohnensuppe und viel Speck.“Wenn man es genau nahm, dann war das mit der Bohnensuppe mehr ein
Wunschdenken. Harpo aß Bohnensuppe leidenschaftlich gern. Aber mit ihrwar heute kaum zu rechnen, denn Karlie Müllerchen, der Riese, hatte Küchendienst. Und der aß für sein Leben gern Kartoffelpuffer. Brrrr ...
Der Pfad schlängelte sich wie eine dünne schwarze Linie durch das farbenfrohe Dickicht der Plastikpflanzen. Störende Blätter und Ranken bog Harpomit dem dünnen Metallstab zur Seite, den er vor einigen Wochen gefundenhatte und seitdem immer bei sich trug.
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So unübersichtlich der Dschungel auch wirkte: Weder Harpo noch Ancamachten sich Sorgen, wie sie von hier in das Tal der Wigwams zurückfindenwürden. Sie kannten sich auf diesem Deck aus wie ein Floh in der Westentasche.
Als sie vor zwei Jahren auf das Schiff gekommen waren, hatten sie nochjede Einzelheit bestaunt: Die violetten Rhabarberblätter, dick und groß wiePolsterkissen und genauso weich und elastisch; das hüfthohe Gras mit dengelben und blauen Halmen, die mit jeweils einer Farbe ein Quadrat formtenund zusammen eine Fläche bildeten, die aus der Ferne wie ein Schachbrettmit gelben und blauen Karos aussah. Es gab Bäume, Schlingpflanzen undviele Blumen, kleine und riesengroße, unterschiedlich in der Form und buntwie durcheinandergeworfene Farbnäpfe eines Malkastens.
In dieser Deckzone hatten die Alten alles so farbenfroh wie nur möglichgestaltet. Selbst die Wände waren mit leuchtenden Farben bemalt. Dortallerdings schimmerte an einigen Stellen rostiges Metall durch. Die Farbe warim Laufe der Zeit brüchig geworden und bröckelte ab. Die Plastikpflanzenwirkten hingegen frisch wie am ersten Tag.
Es gab Bezirke auf diesem Deck, das die Nummer 27 trug, die anders aussahen. Etwa das Tal der Wigwams. Dort sah man nur grünblaues Plastikgrasund einen strahlendgelben „Himmel“ mit einer künstlichen Sonne, die amEnde des Tages erlosch. Manchmal machte es Harpo Spaß, sich zwischendiesen bunten Pflanzen zu bewegen. Aber es gab auch Tage, an denen er sienicht ausstehen konnte und sich in Ecken zurückzog, wo es nichts gab als dicke, graue Felsbrocken.
Alle Kinder waren sich darin einig, daß es ihnen auf dem Schiff besser gefielals zwischen den grauen Betonklötzen der irdischen Städte oder dem kahlenUmland. Unvernünftige Fabrikbesitzer hatten so lange schädliche Gase undgiftige Flüssigkeiten in Luft und Wasser geleitet, bis die Menschen krankwurden und fast alle Tiere und Pflanzen starben.
Riesige Maschinen mußten fortan die Aufgaben übernehmen, die früherden Pflanzen zugefallen waren. Sie wandelten Kohlensäure in den lebensnotwendigen Sauerstoff um und fraßen dabei gewaltige Energiemengen in sichhinein. Doch so sehr sich die Wissenschaftler und Gärtner auch abmühten:Die wenigen Tiere und Pflanzen, die die Umweltverschmutzung überlebthatten, kümmerten in überdachten Schutzgebieten vor sich hin und wolltenan der freien Luft nicht mehr gedeihen.
Die meisten Kinder an Bord des Schiffes hatten noch niemals frischePflanzen und lebendige Tiere gesehen und freuten sich über den Ersatz ausKunststoff, den sie hier vorfanden. Nicht so Thunderclap Genius. Er dachteanders und hatte seine Freunde mit seinen Ideen angesteckt. Der blasseJunge, der sich nur in seinem automatischen Rollstuhl vorwärtsbewegenkonnte, war einmal in einem Erholungsheim gewesen, zu dem ein Zoo mitrichtigen Tieren und Pflanzen gehörte. Seitdem litt er unter einer unstillbarenSehnsucht nach lebendigen Geschöpfen und verachtete den bunten Kunststoff, der nicht altern mußte. Er war vor Aufregung ganz und gar aus dem
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Häuschen geraten, als Micel Fopp, der Junge mit dem sechsten Sinn, vondem richtigen Frosch erzählte, den er gesehen haben wollte. Nur mühsamhatten die anderen Kinder Thunderclap davon abhalten können, mit seinemRollstuhl einen Weg nach Deck 28 zu suchen, wo er nach dem Tierchen forschen wollte.
Seltsam, daß sich auf dem Schiff lebendige Tiere aufhalten sollten. Wiewaren sie dorthin gelangt? Wovon ernährten sie sich?
Diese Gedanken gingen Harpo Trumpff durch den Kopf. Er war damit sostark beschäftigt, daß er Sekunden brauchte, ehe er realisierte, daß seineSchwester Anca aufschrie.
Harpo wirbelte herum und machte ein erschrecktes Gesicht. Aber nurdeshalb, weil ihn Pummelchens piepsende Stimme aus seinen Überlegungengerissen hatte.
„Das ist doch – das ist doch eine Schlange!“ rief Anca und deutete auf eineStelle im Plastikgebüsch. Im ersten Moment konnte Harpo überhaupt nichtserkennen. Aber dann bemerkte er zwischen zwei dicken Blättern ein kleines,hellbraunes Tier, nur halb so lang wie sein Unterarm. Durch Ancas lautesRufen aufgescheucht, ringelte es sich gerade tiefer in das Dickicht hinein.
„Nicht entkommen lassen!“ schrie Harpo. „Es gibt keine Roboterschlangenan Bord. Die ist echt!“
Er stürzte hinterher und brach ungestüm die Plastikblätter auseinander.Anca folgte ihm und durchsuchte ein verfilztes Gestrüpp.
„Sie kann noch nicht weit sein“, versicherte sie eifrig und kroch selbst wieeine Schlange über den Sandboden.
Der gelbe Sand und die bunten Gräser und Blätter erleichterten es derSchlange, ein sicheres Versteck zu suchen. Die Färbung ihres Körpers hobsich kaum zu suchen. Die Färbung ihres Körpers hob sich kaum von der Umgebung ab.
Harpo klopfte mit seinem Metallstab gegen die Büsche und hoffte darauf,daß sich die Schlange weiterschlängeln und dadurch verraten würde. Aberdas Manöver blieb erfolglos. Ärgerlich wollte er sich abwenden, als ihm AncasStimme erneut durch Mark und Bein fuhr.
„Hier ist sie! Hier ist sie! Harpo, komm schnell, ich habe sie. Aaaaauuuu!“„Was ist denn?“ rief Harpo verdutzt und rannte zu Anca hin.„Ich glaube, sie hat mich gebissen“, sagte Anca mit zusammengepreßten
Lippen, um aufkommende Tränen zu unterdrücken. Sie zeigte auf ihren linken Fuß.
„Dort!“ rief sie und zeigte auf ein Gebüsch. „Laß sie nicht entkommen, Harpo. Wir wollen sie doch den anderen zeigen.“
„Ach, das ist jetzt nicht mehr so wichtig“, meinte Harpo und kümmertesich besorgt um das Mädchen. „Wir sind ganz schön leichtsinnig gewesen“,sagte er. „Hätte uns auch früher einfallen können, daß Schlangen keinSpielzeug sind.“
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Auf den ersten Blick konnte er an dem nackten Fuß – wie alle Kinder liefauch Anca stets barfuß – nichts Besonderes erkennen, aber dann entdeckte ereine winzige Bißwunde, aus der zwei Tropfen Blut ausgetreten waren.
Sekundenlang fühlte er sich hilflos. Wäre Thunderclap Genius mit seinerBegeisterung für Tiere und Pflanzen und deren Lebensgewohnheiten nichtgewesen, hätte er auch nach drei Stunden nicht gewußt, was zu tun war. Soentsann er sich jedoch an einen der endlosen Vorträge des Jungen im Rollstuhl.
„Manche Schlangen sind giftig“, hatte Thunderclap gesagt. „Man muß versuchen, das Gift auszusaugen, damit es nicht in den Blutkreislauf gerät. Undman darf, wenn man von einer giftigen Schlange gebissen wurde, nicht wegrennen, weil sich das Gift dann noch schneller im Körper verteilt.“
Thunderclap war sicherlich noch weiter in Einzelheiten vorgedrungen,aber Harpo hatte nur diese Sätze im Gedächtnis behalten. Er mußte etwastun, das war klar. Denn ein zweites Mal würden sie heute kaum das Glückhaben, in einer Notlage auf einen Grünen oder gar einen Alten zu stoßen. Ja,die Alten in ihren weißen Kitteln, mit ihren Spritzen, Tabletten und Abhorchgeräten: Die hätten das Problem in Minutenschnelle aus der Welt geschafft.Doch die saßen in ihrer Zentrale, irgendwo im Schiff, weit weg vermutlich.
„Stillhalten!“ befahl Harpo und beugte sich über das Bein seiner Schwester,die jammernd auf den Pfad zurückgekrochen war. Er preßte seinen Mund aufdie Wunde und begann mit aller Kraft zu saugen. Eine salzige Flüssigkeitsammelte sich schnell in seiner Mundhöhle. Harpo spuckte sie aus. Dort woer gesaugt hatte, war der Fuß ganz rot geworden, außerhalb dieser Zone hingegen weiß, weil hier das Blut fehlte. Noch einmal lutschte er an AncasWunde, bis er nicht mehr konnte. Leider hatte Thunderclap nicht erwähnt,wie lange man saugen mußte.
Harpo versuchte zu verbergen, daß er Angst um Anca hatte. Sie mußten soschnell wie möglich zu den Freunden zurück. Und von dort zu den Grünen.Die würden auf jeden Fall helfen. Aber wie, wenn Anca doch nicht rennendurfte?
Hoffentlich war kein Gift im Blut geblieben, hoffentlich wirkte es nicht tödlich, hoffentlich ... Harpos Gedanken bewegten sich wie in einem rasendenKreisel.
„Kannst du gehen?“ fragte er ängstlich. „Komm, ich stütze dich.“„Laß nur“, antwortete Anca tapfer. Sie blickte Harpo mit großen, leuch
tenden Augen vertrauensvoll an. Als sie zum ersten Mal auftrat, sah ihr Bruder jedoch sofort, wie sich ihr Gesicht schmerzlich verzog.
„Leg deinen Arm um meine Schultern“, ordnete er an. „Wir haben es nichtmehr weit.“
Anca tat, was er verlangte. Humpelnd bewegte sie sich an seiner Seite. Siekamen nur langsam voran.
Harpo dachte nur daran, daß der Schwester nichts geschehen durfte.Flüchtig überlegte er, daß sie ein richtiges Tier an Bord des Raumschiffs gesehen hatten und daß nach diesem Biß überhaupt nicht mehr daran zu
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zweifeln war, daß die Gerüchte auf Tatsachen beruhten. Robottiere würdenniemals beißen. Aber er verscheuchte den Gedanken und konzentrierte sichauf den vor ihnen liegenden Weg. Für alles andere war später noch Zeit.
Das Tal der Wigwams
„Das ist doch ... das sind doch ... ei der Dauz ... wenn das nicht ... ich glaub’,mich trifft der Psychoschlag ...“, quakte jemand, als Harpo und Anca denDschungel verließen und in das Tal der Wigwams traten.
„Lonzo! Gott sei Dank!“ rief Harpo. „Du mußt uns helfen! Anca ist von einerrichtigen Schlange gebissen worden. Kannst du uns helfen? Oder müssen wirzu den Grünen?“
Im letzten Moment verkniff sich Harpo den Zusatz: „zu den anderen Grünen“. Das hörte Lonzo gar nicht gern, da er sich für einen Menschen hieltund sich auch so benahm. Es wäre unfair gewesen. Gewiß, Lonzo war ein Roboter wie die anderen Grünen auch, aber er war auf der Seite der Kinder,während die anderen auf der Seite der Erwachsenen standen. Nachdem siegemerkt hatten, daß ihr Kollege Lonzo die Plüschverkleidung abgelegt hatteund nicht länger ihren Befehlen gehorchte, wollten die Grünen ihn fortbringen. Aber die Kinder hatten ihren Freund versteckt. Niemand hatte dasRecht, ihn fortzunehmen und gegen seinen Willen in einen verkleideten Teddybären zu verwandeln.
„Schlangenbiß?“ fragte Lonzo. „Potz Galaxis!“ Er beugte sich über das Beindes Mädchens. „Nicht verzagen – Lonzo fragen!“
„Kannst du uns helfen?“ wiederholte Harpo seine Frage.„Mir sollen gleich die Ohren abfallen, wenn ich das nicht kann“, knurrte
Lonzo. Zwar besaß er überhaupt keine sichtbaren Ohren an seinem glatten,kugelförmigen Körper, aber er meinte es ernst.
Harpo sah, wie der kleine Roboter im unteren Bereich seines blitzblankenKörpers ein paar Instrumente ausfuhr und sich damit an Ancas Bein zu schaffen machte. Das Mädchen guckte ein bißchen bange, aber sie weinte nicht.
„Wirst du mir auch nicht weh tun?“ fragte sie nur ein wenig besorgt. Siemochte Lonzo gern, aber das war nicht außergewöhnlich. Alle Kinder im Wigwamtal mochten ihn.
„Aber nicht doch, mein kleines, dickes Pummelchen“, krächzte Lonzo beruhigend. „Wie könnte ich das denn, wo ich dich so gern habe wie meineeigene Tochter?“
„Du hast mich schon wieder Pummelchen genannt!“ fuhr Anca wie voneiner Hornisse gestochen zornig auf. „Du weißt doch, daß du mich nichtPummelchen nennen ... Aaaauuuuh!“
„Operation geglückt, Patient gerettet“, krähte Lonzo. „Macht drei Pfennigachtzig. Ich schicke die Rechnung.“
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Seine Tentakelarme wirbelten so schnell durch die Luft, daß man sie einzeln gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Dann hielt er inne. Ancas Bein warbereits verbunden.
„Blutanalyse: kein Gift. Wunde desinfiziert. TetanusInjektion erfolgt. Verband mit Heilkulturen angelegt“, schnarrte er herunter.
Im nächsten Moment schlug Lonzo ein Rad mit seinen Tentakelarmen.„Kein Arzt zur Stelle – ruft Lonzo, gelle?“ blubberte es aus der Mitte des Metallknäuels. Der Roboter verschwand mit glucksenden Geräuschen zwischenden Dschungelpflanzen. Klatschend kam er zur Ruhe, als sein Körper miteinem dicken Plastikbaumstamm kollidierte.
„Zu Hülfe! Zu Hülfe!“ kreischte Lonzo und begann mit feierlichem Timbrein der Stimme „In Lauterbach hab’ i mein’ Strumpf verlor’n“ zu singen.
„Ein verrückter Kerl“, sagte Harpo lachend. Aber er war überzeugt davon,daß man sich auf Lonzo verlassen konnte. Er hatte eigenartige Angewohnheiten entwickelt und zweifellos einen Defekt in seinem positronischen Gehirn.Aber man konnte jederzeit auf ihn setzen, wenn Not am Mann war.
„Hallo, meine Kleinen“, kam eine zaghafte Stimme aus einem Grasbüschel.„Trompo!“ jauchzte Anca, noch bevor sie ihren kleinen Spielgefährten zwi
schen den blauen Halmen entdeckt hatte.Ihre Verletzung hatte sie im gleichen Moment vergessen. Sie kniete nieder
und glättete mit den Händen die Halme am Rande des Weges. Ein seltsameskleines Wesen stolzierte mit hocherhobenem Rüssel auf das Mädchen zu undließ sich bereitwillig auf den Arm nehmen.
Trompo glich bis auf die langen, pelzbedeckten Schlappohren in beinaheallen Einzelheiten einem irdischen Elefanten – aber er war nicht größer alsein Kätzchen und genauso anschmiegsam. Trompo war ihnen allen ein Rätselgeblieben, obwohl er länger im Wigwamtal lebte als die Kinder.
Er war kein Robottierchen und stammte auch nicht von der Erde. Vielleichthatte ihn ein Raumfahrer vor langer Zeit von einem anderen Planeten mitgebracht und hier ausgesetzt oder vergessen. Jedenfalls konnte er sprechen. Dieseltsamen Trompetentöne, die Trompo von sich gab, wenn eines der Kinderein Lied anstimmte, hatten ihm zu seinem Namen verholfen.
Die Kinder kannten aus alten Filmen die riesigen Elefanten, die einst inAfrika und Indien gelebt hatten. Nun waren sie ausgestorben, und zwar, wiesie gelernt hatten, bereits bevor das große Sterben der Pflanzen und anderenTiere auf der Erde eingesetzt hatte. Elfenbeinjäger hatten sie wegen ihrerStoßzähne gnadenlos verfolgt, und Sonntagsjäger, die überall auf der Erdenach einem Nervenkitzel suchten, hatten sie abgeknallt.
Auch Trompo besaß Stoßzähne, die aber so winzig wie alles andere an ihmwaren. Er erzählte niemals, woher er kam und was er bei den Kindern suchte.Aber es schien ihm im Tal der Wigwams zu gefallen, denn er blieb. Er warebenso intelligent wie die menschlichen Talbewohner, doch wie Lonzo hatteer größtenteils nur Unsinn im Kopf.
Anca sah schon lange nicht mehr so blaß aus wie kurz nach demSchlangenbiß. Sie humpelte zwar noch immer, mußte sich aber nicht mehr
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auf Harpo stützen. Mit Trompo auf dem Arm folgte sie dem Bruder, der zuden Zelten schlenderte und dabei seinen leeren Kescher um den Finger wirbelte.
Das Tal bestand eigentlich nur aus einer Mulde mit Sand und blaugrünemGras sowie einer Kunstsonne darüber. In der Mitte der Mulde standen dreiZelte aus künstlichem Leder. Sie waren nach Indianerart erbaut: kegelförmig,mit herausragenden Stangen und einem zum „Himmel“ offenen Rauchfang.Hier lebten Harpo und seine Freunde.
Vor dem größten Wigwam loderte ein Feuer, über dessen Flammen aneinem Eisenhaken eine große Pfanne hing. Es machte eigentlich wenig aus,daß die Kinder inzwischen herausgefunden hatten, wie das Feuer entstand:durch mehrere Düsen im sandigen Boden, aus denen Gas drang. Natürlichhätte ihnen ein Holzfeuer – wie sie es von den Indianergeschichten kannten –mehr Spaß gemacht. Aber Holz gab es nicht auf dem Schiff, selbst auf derErde kaum noch. Trotzdem war es schön, das Feuer zu sehen und sich darandie Hände zu wärmen. Im Tal roch es nach ...
„Kartoffelpuffer!“ rief Harpo mit gespielter Verzweiflung. Er hatte es dochgleich geahnt.
„Was dagegen?“ begrüßte ihn Karlie Müllerchen, der fast zwei Meterzwanzig große, riesenwüchsige Junge mit kieksender Fistelstimme unddünnem Kinnbart. Die lebensfeindliche Umwelt der Erde hatte bei seinenEltern genetische Schäden hervorgerufen. Wenn das jungenhafte Gesichtnicht gewesen wäre, hätte man ihn für einen Erwachsenen halten können.Aber Karlie war gerade erst fünfzehn Jahre alt geworden.
Verzückt leckte er sich jetzt die Lippen, als er die Produkte seiner Bratkunstin der Pfanne betrachtete und dann mit einer gewaltigen Gabel wendete.
Thunderclap Genius saß neben dem Feuer und sah beim Braten zu. Karlieund er waren gleichaltrig, boten aber wohl den denkbar größten Kontrast.Während Karlie wie eine Bohnenstange in die Höhe geschossen war, erkrankte Thunderclap als kleiner Junge an einer der neuen Krankheiten, die soschnell und zahlreich auftauchten, daß die Wissenschaftler machtlosdagegen waren. Karlie wuchs immer noch, und niemand konnte sagen, wiegroß er eines Tages sein würde. Thunderclaps Körper war klein wie der einesSiebenjährigen und bis auf die Arme und den Kopf beinahe bewegungsunfähig.
„Wenn Karlie den Koch macht, gibt es aber auch ewig Kartoffelpuffer“,maulte Harpo.
„Wenn gewisse andere Leute kochen, gibt es dagegen immer diese dünneBrühe, die uns als Bohnensuppe verkauft wird“, zahlte es ihm der Langeheim.
„Ist doch sowieso egal“, meinte Thunderclap, „der Grundstoff ist in jedemFall Synthofood und enthält die gleichen Nährwertstoffe.“
„Aber auch synthetische Kartoffelpuffer schmecken eben wie Kartoffelpuffer“, beharrte Harpo trotzig.
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„Thunderclap!“ platzte nun Anca heraus, die es nicht mehr ertragen konnte, als eigentliche Hauptperson des Tages unbeachtet zu bleiben. Dabei hattesie extra kräftig gehumpelt, als sie in Sichtweite der anderen kam. „Stell dirnur vor: Mich hat eine richtige Schlange gebissen! Wahrscheinlich muß ichsogar sterben!“
Im gleichen Moment versuchte sie ein bißchen zu weinen, was ihr abernicht gelingen wollte, weil sie die Sache gar nicht mehr so ernst nahm, seitdem Lonzo ihr Bein verbunden hatte. Und die Schmerzen hatten auch nachgelassen. Außerdem war es schwierig, im gleichen Satz Triumph undSchmerz unterzubringen. Leider.
Immerhin verfehlten Ancas Worte nicht die nötige Wirkung.„Was!“ schrie Thunderclap Genius und richtete sich kerzengerade in sei
nem Rollstuhl auf. Seine Augen begannen zu glühen.„Das mit der Schlange ist wahr“, schwächte Harpo ab. „Aber davon, daß sie
sterben muß, kann überhaupt nicht die Rede sein.“„Ich fühle mich aber schon ganz matt.“„Unsinn!“ beharrte Harpo. „Lonzo hat sie versorgt. Es ist alles in Ordnung.“
Dennoch sah man ihm an, daß ihn seine Schwester ganz schön erschreckthatte.
„Na ja“, schränkte Anca ein, „vielleicht überlebe ich es wirklich, aber dannnur um Haaresbreite. Ja, ich glaube, jetzt geht es mir tatsächlich schon etwasbesser ...“
„Erzähl von der Schlange“, befahl Thunderclap aufgeregt. „Da seht ihr es:Es gibt doch richtige Tiere an Bord!“
„Für mich ist das nichts Neues“, meinte Micel Fopp, der gerade aus demWigwam getreten war und der Unterhaltung unbewegt zuhörte. Er tat gelangweilt, aber man sah ihm an der Spitze seiner kleinen, krummen Nase an, daßer nur schauspielerte. Immerhin hatte er gegenüber den anderen Kindernden Vorteil, daß er nicht darauf warten mußte, bis Anca ihre Geschichte erzählte. Er konnte nämlich Gedanken lesen. Talente wie seines waren ebenfalls Produkte der irdischen Lebensbedingungen, bedingt wahrscheinlichdurch die radioaktive Strahlung der zu Versuchszwecken gezündeten Atombomben und die zahlreichen Schäden an Atomkraftwerken. Man wußte nichtgenau, ob Gedankenlesen Segen oder Fluch war, aber auf jeden Fall littenTelepathen wie man diese Menschen nennt – besonders unter einer unfreundlichen Umgebung. Deshalb war Micel an Bord des Schiffes. Doch esgab noch einen zweiten Grund, der ebenfalls auf radioaktive Strahlung zurückzuführen war: Seine Arme hingen kraftlos und verkrüppelt an seinemKörper, kaum halb so groß wie bei anderen Kindern.
„Sie hat übrigens recht: Es war eine Schlange“, fügte Micel hinzu, ließ seinebraunen Augen unter dem struppigen schwarzen Haar pfiffig aufblitzen undsetzte sich an das Feuer. Das war ein sicheres Zeichen dafür, daß er die Szenein Ancas Gedächtnis „nachgelesen“ und nun selbst einen Eindruck von derSchlange gewonnen hatte. Sollte er auch von Harpos Abenteuer im Ventilationsschacht erfahren haben, so schwieg er jedenfalls darüber.
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„Ancccca soll erzzzählen“, stotterte Brim Boriam. Er war hinter Micelaus dem Zelt gekommen. Ein vierzehnjähriger Junge wie Micel, aber schwarzhäutig, mit weißen Zähnen und krausen Haaren, die eigentlich gar nicht solang waren, den Kopf aber wie einen Helm umschlossen. Er hatte eine lustige,dicke Nase und ein breites, freundliches Grinsen – wenn man ihn mal zumLachen bringen konnte.
Niemand machte sich über sein Stottern lustig. Sie hatten sich alle darangewöhnt, daß Brim stotterte, wenn er aufgeregt war. Und je weniger dieKinder auf seinen Sprachfehler achteten, desto sicherer wurde Brim. Denneigentlich war es vor allem Angst vor seiner Umgebung, die ihn stottern ließ.Und natürlich – das war die Meinung aller Kinder im Wigwamtal – war es sowieso beknackt, über Stotterer zu lachen. Niemand ist vollkommen – die Lacher am allerwenigsten.
Einer fehlt
Jetzt hatten sich alle Kinder um das Feuer versammelt und lauschten aufgeregt Ancas Erzählung. Sie schmückte sie aus und würzte sie mit ruhmreichen Einzelheiten. Brim Boriam und Karlie Müllerchen, Thunderclap Genius,Fidel Flottbek und Fantasia Einstein, selbst Trompo und Lonzo hörten aufmerksam zu. Nur Lucky Cicero lächelte wie immer glücklich vor sich hin undverstand nicht, worum es ging. Über ihren Gefährten Lucky wußten dieKinder kaum mehr, als daß er ungefähr zehn Jahre alt und ein Mongoloidewar. Das war die Schwierigkeit: Man kam an ihn einfach nicht heran, konntesich kaum mit ihm unterhalten und ihm höchstens ein freundliches Lächelnschenken. Lucky war ein hübscher Junge mit großen, tiefschwarzen Augenund dichten braunen Locken. Er hatte ein glattes, zierlich geschnittenesGesicht, doch was sich hinter seiner Stirn abspielte, konnte selbst Micel nurselten erfahren. Lucky war gehirnkrank. Aber alle liebten ihn, denn er war derfreundlichste und sanftmütigste unter ihnen.
Harpo und Micel sahen sich während Ancas Bericht vielsagend an,schwiegen aber, wenn das Mädchen besonders dick auftrug. Aus der fünfzehn Zentimeter langen Schlange war im Laufe der Erzählung eine sehr dickeund lange Boa constrictor geworden, die von dem Mädchen nach heldenhaftem Kampf in die Flucht geschlagen wurde.
„Oh, Pummelchen“, kommentierte Lonzo knarrend, wackelte mit demstählernen Kopf, der wie ein poliertes Ei aussah, und fuhr zum Spaß amobersten Punkt eine Antenne mehrmals aus und wieder ein. „Du bist ja einweiblicher Tarzan. Ich hätte das niemals in dir vermutet, mein kleinesSchmusekätzchen.“
„Du glaubst mir nicht?“ protestierte Anca zornig. „Und außerdem sollst dumich nicht immer Pummelchen nennen!“
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„Aber natürlich glaube ich dir, Pum... äh, mein Schätzchen“, versicherteLonzo eilig und tat zerknirscht. „Wahrhaftig: Ich will sofort meinen Kopf aufessen, wenn das nicht wahr ist.“
„Nein, nicht Kopf aufessen“, weinte Lucky. Diesen Satz hatte er verstanden.„Er tut es ja gar nicht, Lucky“, versicherte Fantasia. „Außerdem hat Lonzo
ja überhaupt keinen Mund. Er macht doch nur Spaß.“Lucky verstand „Spaß“ und freute sich. „Das ist lustig“, meinte er.Auch Fantasia freute sich. Über das schmale, weiße Gesicht des Mädchens
glitt ein Lächeln. Es war ihr wieder einmal gelungen, Luckys Ängste zu verscheuchen.
„Die Kartoffelpuffer sind jetzt fertig“, meldete Karlie, der nur auf das Stichwort „Essen“ gewartet hatte. Er schlug energisch gegen einen großen Gongneben der Feuerstelle.
„Seltsam“, sagte er dann. „Sonst ist Ollie beim Essen doch stets der erste.“„Ja, wo steckt er denn?“ fragte Fidel. „Ich habe ihn seit Stunden nicht mehr
gesehen.“„Oliver! Oliver! Oliver! Oooollliiieee!“ riefen die Kinder, so laut sie konnten,
aber niemand antwortete ihnen.„Vielleicht hat er ein Gelübde abgelegt, niemals mehr zu essen?“ vermutete
Micel. „Und deshalb versteckt er sich, damit es ihm nicht so schwerfällt.“„Ach wo“, antwortete Karlie. „Solch ein Gelübde würde der niemals ab
legen.“„Bin ich mir nicht so sicher. Denkst du nicht mehr an das Gelübde, zehn
Jahre lang zu schweigen?“„Er hat es nur zehn Minuten ausgehalten“, entgegnete Karlie grinsend auf
diese Bemerkung von Fidel. „Aber wir sollten jetzt wirklich mit dem Essen beginnen. Wir lassen für Ollie eine reichliche Portion übrig.“
„Na?“ zweifelte Harpo, der den guten Appetit des Riesen kannte. KeinWunder, der brauchte eine Menge Kalorien bei seiner Größe.
„Bei meiner Ehre als Küchenchef“, schwor Karlie, teilte die erstenPortionen aus und machte sich dann selbst schmatzend über einen StapelPuffer her.
Selbst Harpo langte tüchtig zu und vergaß seine geschätzte Bohnensuppe.Der lange Marsch durch den Plastikdschungel hatte ihn doch hungrig gemacht. Und wenn man richtigen Hunger hat, schmeckt eigentlich alles. SogarKartoffelpuffer. In der Not frißt der Teufel bekanntlich Fliegen ...
„Wir suchen gleich nach dem Essen weitere Tiere“, schlug Micel Fopp vor,der von Fantasia gefüttert wurde, weil er mit seinen kleinen, kraftlosen Händchen die Gabel nicht halten konnte. Da Fantasia gleichzeitig auch ein Augedarauf hatte, daß Lucky zu seinem Recht kam, mußten die Freunde sie gelegentlich daran erinnern, auch selbst etwas zu essen. An der fehlenden Nahrung lag es allerdings nicht, daß die Rothaarige so dünn war. Und ihreFürsorge ließ sie sich von keinem abnehmen.
„Es wird bereits dunkel“, erinnerte sie.„Dann eben morgen früh.“
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„Aber nur, wenn die Aufgaben gemacht sind“, entgegnete das Mädchen mitden Sommersprossen und den schmalen Lippen noch einmal. „Morgennachmittag kommen die Grünen, das wißt ihr ja. Wenn wir die Aufgaben bisdahin nicht gelöst haben, wird es Ärger geben. Vielleicht reißen sie unsereGruppe sogar auseinander.“
„Hm“, machte Micel mißmutig.Das wäre natürlich schlimm. Fantasia hatte nicht übertrieben. Die Grünen
kamen zweimal in der Woche, holten die Rechenaufgaben und Bastelarbeitenab, unterrichteten die Kinder und stellten ihnen neue Aufgaben. Man vermutete, daß die Grünen mit den Lösungen zu den Alten gingen. Und wenn diesenicht zufrieden waren, konnte die Weisung kommen, daß die Gruppe aufgelöst wurde. Das war anderen Kindergruppen auf anderen Decks bereitspassiert, wie Micel in Erfahrung gebracht hatte.
„Wir machen morgen früh erst einmal die restlichen Aufgaben“, entschiedThunderclap. Alle waren seiner Meinung, denn schließlich liefen ihnen dieTiere ja nicht weg. Daß sie beieinander blieben, war viel wichtiger. Übermorgen war schließlich auch noch ein Tag.
„Anca und Harpo wissen noch gar nicht, was Brim gesehen hat“, stieß Fidelplötzlich hervor. Seine Augen leuchteten begeistert wie selten. Er hatte langeZeit die meisten Schwierigkeiten gehabt, mit anderen Kindern Freundschaftzu schließen, weil er überall Feinde sah, die ihm an den Kragen wollten.
„Ja, Brim soll noch einmal erzählen“, stimmten die anderen zu. Die Kunstsonne war bereits merklich dunkler geworden, und in zehn Minuten würdesich die Nacht über das Tal der Wigwams und die Dschungellandschaft vonDeck 27 senken. Aber das machte nichts. Es machte Spaß, im Schein des Feuers zu hocken und Geschichten zu erzählen.
Brim war nervös geworden, weil sich die Aufmerksamkeit aller nun ihm zuwendete, aber nach den ersten Sätzen wurde er ruhiger.
„Iiich hab’ die Stststation der Grgrügrünen beobachtet“, sagte er. „Ihrwißt schschschon, am Antigravlift. Plötzlich kamen zwei Alte aus dem Liftund ginginggingen zur Station. Sie wirkten ziemlich nervös. Der eineschwitzte so, daß er dauernd mit einem Tuch über das Gesicht fahren mußte.“
„Vergiß nicht den anderen“, unterbrach Fidel.„Das war Doktor Einbein“, fuhr Brim fort. Ja, den kannten alle in der
Runde: den kleinen Arzt mit der Beinprothese, der jedes Kind bei seinem Eintreffen auf dem Schiff untersucht hatte. Im Gegensatz zu den kühlen Blickender anderen Ärzte und Wissenschaftler lag auf seinem Gesicht meistens einLächeln, wenn er mit den Kindern sprach.
„Ja, ja“, sagte Brim weiter. „Die beiden wurden von einem Grünen bis ganzin die Nähe meines Verstecks geführt. Ich sah erst jetzt, ddddaß ddddortein weiterer Grüner im Gras lag. Er bewegte sich nicht. Der schwitzende Alteöffnete seinen Rumpf, probierte eine ganze Zeitlang daran herum und setztemehrere Teile neu ein, bis sich der Grüne endlich wieder bewegte. Eigenartigwar aber der Satz, den der schwitzende Mann zu Doktor Einbein sagte, als die
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beiden gingen: ,Das war erst der Anfang. Wir werden noch unser blauesWunder erleben!’“
„Doll!“ kommentierte Harpo. Das war wirklich eigenartig. Es waren schonfrüher gelegentlich Grüne repariert worden, aber niemals in Sichtweite derKinder. Man brachte die Grünen dann an irgendeinen unbekannten Ort imSchiff, und später kamen sie zurück und waren wieder ganz in Ordnung. Unddann diese Bemerkung ...
Karlie Müllerchen schielte nach den kalten Kartoffelpuffern, die für denkleinen Oliver gedacht waren und leckte sich verstohlen die Lippen.
„Mein Gott“, sagte er plötzlich. „Ollie ist immer noch nicht zurück. Langsam mache ich mir wirklich Sorgen.“
Auch die anderen hatten ein ungutes Gefühl. So lange fortzubleiben, daswar auch für Oliver ein ungewöhnliches Verhalten. Es war ein ungeschriebenes Gesetz in der Gruppe, daß die Nacht im Tal der Wigwams verbracht wurde. Ob sich Ollie verlaufen hatte? Aber selbst, wenn er mit elfJahren einer der Jüngsten war, so kannte er sich doch auf dem Deck aus wiein der eigenen Hosentasche.
„Dem heizen wir aber ein, wenn er wieder auftaucht“, verkündete Karlie.Eigentlich sagte er es nur, um die plötzlich gedrückte Stimmung aufzulockern. Und die restlichen Puffer ließ er auch liegen.
Im Moment konnten sie nichts anderes tun, als schlafen zu gehen. AmMorgen würden sie den kleinen Oliver suchen.
Ein ungewöhnlicher Zwischenfall
An diesem Morgen regte sich im Tal der Wigwams das Leben zeitiger als gewöhnlich. Karlie kletterte als erster schlaftrunken zum Vorratsbunker. Wenigspäter duftete es nach heißem Kakao und knusprigen Brötchen. Synthofoodnatürlich, aber es schmeckte.
Noch bevor die Kunstsonne den vollen morgendlichen Leuchtwert erreichte, saßen sie alle beim Frühstück. Die Kinder verhielten sich ungewöhnlichstill.
Der kleine Oliver blieb verschwunden. Niemand konnte sich erklären, woer steckte.
„Vielleicht ist er ausgerückt, weil er Schlangenbisse für ansteckend hält“,witzelte Micel und spielte damit auf Ollies eingebildete Krankheiten an. Esgab wenig auf der ganzen Welt, gegen das der kleine Oliver nicht allergisch zusein vorgab. Wenn jemand krank wurde oder auch nur Bauchweh hatte,glaubte der winzige Krauskopf in der nach Indianerart fransenverzierten Lederhose im nächsten Moment an sich selbst bereits die gleichen Symptomewahrzunehmen.
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Obwohl Micel ein Gedankenleser war, konnte er der Gruppe nicht helfen.Seine Talente waren noch nicht so weit entwickelt, daß er in der Lage war, gezielt nach den Gedanken eines bestimmten Menschen zu suchen. Es gelangihm zwar meistens, die Gedanken der Leute in seiner Nähe zu empfangen,und manchmal fing er auch Eindrücke auf, die aus der Ferne kamen. Aber daswar alles.
Die Gruppe hatte beschlossen, nach dem verschwundenen Freund zu suchen. Auch wenn die Aufgaben liegenbleiben mußten. Sie würden es denGrünen schon erklären.
Was mochte nur geschehen sein? Unbekannte Gefahren gab es docheigentlich nicht. Zumindest hätte jedes der Kinder noch vor ein paar Tagenso geredet. Jetzt waren sie alle nicht mehr ganz so sicher. Es gab Schlangenund Frösche auf dem Schiff. Auch größere Tiere? Auf der Erde hatte es großeRaubtiere gegeben ...
Wenn dem Jungen nichts zugestoßen war, blieb eigentlich nur noch die Erklärung, daß er von einem plötzlichen Entdeckerdrang befallen in eines deranderen Decks hinab oder hinaufgestiegen war und sich dort verirrt hatte.
Oder gab es noch eine andere Möglichkeit? Wenn es nur nicht so schwieriggewesen wäre, sich mit Lucky Cicero zu unterhalten. Wann immer der NameOliver fiel, horchte er auf und murmelte das Wort „Grüne“. Aber er war nichtin der Lage, sich näher zu erklären.
Thunderclap und Lucky blieben bei den Wigwams zurück. Die anderenKinder streiften in Zweiergruppen durch das Deck. Auch Lonzo ließ es sichnicht nehmen, mit den Freunden zu suchen. Er schloß sich Karlie und Briman, eilte ihnen singend und radschlagend voraus und machte dabei einensolchen Höllenlärm, daß davon tausend Olivers aus tiefstem Schlummer hätten erwachen müssen.
Trompo wollte gerne mit, aber er konnte den anderen nur mühsam mit seinen kurzen Beinchen folgen. Da Lucky unbedingt mit ihm spielen wollte, löste sich das Problem von selbst.
Anca und Harpo zogen gemeinsam los, um nach dem so rätselhaftverschwundenen Jungen zu suchen. Lonzo hatte vorher Ancas Wunde neuverbunden. Die Stelle heilte bereits, und Anca fühlte sich wieder quietschfidel. Sie verfolgte sogar den gackernden Lonzo ein Stückchen, weil er sie inden Po gekniffen hatte. Und da jetzt ein anderes Problem die Aufmerksamkeit der Gemeinschaft in Anspruch nahm, strengte sie sich auch nicht besonders an, durch Humpeln und Stöhnen Eindruck zu schinden. Insgeheim warsie allerdings der Meinung, daß man ihren Schlangenbiß entschieden zuwenig beachtet hatte. Aber was sollte man machen? Wochenlang geschah aufDeck 27 gar nichts, und dann jagte eine Sensation die andere.
Thunderclap hatte von irgendwoher eine Karte ihres Decks hervorgezaubert und jeder Gruppe einen Suchbezirk zugeteilt. Er war der geboreneOrganisator, das mußten alle neidlos zugeben.
Es machte den Geschwistern nichts aus, daß sie eines der langweiligstenGebiete zugewiesen bekamen. Schließlich wollten sie keine Entdeckungsreise
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unternehmen. Noch nicht. Die Expedition in andere Decks stand für dienächsten Tage auf dem Programm, falls man Ollie bis dahin nicht gefundenhatte.
Die Südzone war das Revier der beiden. Hier gab es mehrere Kilometer langnur Sand und Felsbrocken, und ganz am Ende, an der Wand des Schiffes, soetwas wie eine Oase mit Plastikpalmen und einem idyllischen See.
Das Gelände war schwierig. Immer wieder sanken ihre Füße tief in dengelben Sand ein. Die vielen Dünen und großen Felsen erschwerten den Überblick. Sie durchstreiften das Terrain mehrmals, bis sie sicher waren, daß ihrFreund dort bestimmt nicht steckte.
Sie wurden müde, die Füße taten weh. Nicht zum ersten Mal wunderte sichHarpo, daß die Decks so riesig waren. Das Schiff hatte einige hundert dieseDecks. Und gemessen an den gewaltigen Dimensionen des Schiffes lebtennur verschwindend wenige Kinder hier – zumindest wenn man davon ausging daß auf jedem Deck nur eine Gruppe existierte. Ob es stimmte, daß manvon Anfang an beabsichtigt hatte, das Schiff für die Gesundung verhaltensgestörter Kinder einzusetzen?
Harpos und Ancas Großeltern – bei denen sie seit dem Tod ihrer Eltern gelebt hatten – wohnten auf der Erde in einer winzigen Wohnung mitten ineinem Block, in dem es Tausende solcher Wohnungen in endlosen Korridoren aneinandergereiht gab. Wenn sie aus dem Fenster sahen, guckten sie inhundert Meter Entfernung auf einen anderen Block und rechts und links aufweitere. Für sie war es unglaublich, daß zehn Kinder ein ganzes Schiffsdeckfür sich allein hatten.
Aber auch hier sollte es bald anders aussehen. Die Beamten der Psychologischen Abteilung hatten den Großeltern alles erklärt, und einiges davon warin Harpos Gedächtnis haften geblieben: Sie bildeten die Vorhut für vielehunderttausend Kinder, die später einmal in Gruppen auf dem Schiff lebensollten. Dann würde es hier so eng werden wie auf der Erde. Vorausgesetztnatürlich, das Experiment glückte.
„Es hat keinen Zweck“, sagte Harpo schließlich.„Sicher haben die anderen ihn längst gefunden“, stimmte Anca zu.Sie waren hundemüde und hatten keine Lust mehr. Aber sie hätten wei
tergesucht, wenn ihnen nur noch ein Winkel eingefallen wäre, den sievergessen haben konnten. Ermattet traten sie den Rückweg an.
„Sieh mal“, meinte Anca plötzlich, als sie ihr Suchgebiet verließen unddabei erneut in die Nähe einer Metallwand des Raumschiffs kamen.
„Na und?“ fragte Harpo, als er die Stelle in Augenschein genommen hatte,auf die Anca deutete. „Eine Tür, schon ziemlich verrostet. Müßte mal wiedergestrichen werden.“ Es gab so viele solcher Türen auf dem Deck. Ihr Zweckblieb weitgehend unbekannt, und auf jeden Fall waren sie fast alleverschlossen. Moment mal, diese Tür hier ...
„Sie steht vor“, sagte Anca aufgeregt.
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Neugierig näherten sich die beiden. Ja, wirklich, die Tür war nur angelehnt.Harpo vergrößerte den schon bestehenden Spalt und lugte in den Raum, derhinter der Tür lag.
„Ohh!“ entfuhr es ihm. „Das müssen wir uns näher ansehen.“Er nahm Anca bei der Hand und zog sie hinter sich hinein. Die Tür schloß
er wieder bis auf den Spalt, der vorher ihre Aufmerksamkeit erregt hatte undachtete darauf, daß sie nicht unvermutet ins Schloß fiel und ihnen den Rückweg versperrte.
Sie befanden sich in einem kleinen, engen Raum, wohl eher einem Gang.Auf dem Metallboden lag ein Läufer aus Kunstfasern. Von den Wänden herableuchteten mattgelbe Lampen.
„Weiter“, flüsterte Harpo. Was ihn interessierte, lag am Ende des Ganges:ein größerer Raum und dahinter noch ein weiterer. Atemlos traten die Kinderein. Auch hier tauchten Wandlampen das Innere in ein sanftes, angenehmesLicht. Der Boden bestand aus einem weichen, schwammigen Kunststoff, inden man beim Gehen einige Millimeter versank. Eine Wand war von oben bisunten mit dicht gefüllten Bücherregalen bedeckt, eine andere mit schrankähnlichen Fächern und Türen davor. In der Mitte des Raumes lagen einigeSitzpolster, auf denen man es sich gemütlich machen konnte. Über der Eingangstür stand in einer Konsole ein Bildschirm. Im Nachbarraum sah manverschiedene Küchengeräte.
„Laß uns lieber schnell verschwinden“, flüsterte Anca. „Diese Räumewerden bestimmt von den Alten benutzt.“
Die Schwester hatte recht. Und die Alten würden ihre Neugier bestrafen,wenn sie die Anwesenheit der Kinder entdeckten.
„Einen Moment noch“, bat Harpo.Er spähte in den nächsten Raum, in der Hoffnung, dort vielleicht den
kleinen Oliver zu finden. Doch er sah nur schmutziges Eßgeschirr. Oberhauptwirkte er unaufgeräumt.
„Sieh doch“, rief Anca leise, „ein Kleid!“Sie hielt ein gelbes Kleid mit weißen Rüschen in der Hand. Der Größe nach
zu urteilen, mußte es einer Alten gehören.„Lag hinter den Polstern“, erklärte das Mädchen. „Und in einem der
Schrankfächer ist Unterwäsche.“Dann hörten sie Schritte und ein Rascheln. Es kam von jenseits der Küche,
wo Harpo eine weitere Tür entdeckt hatte.„Nichts wie weg“, raunte Harpo.Die beiden rannten zur Tür, schlüpften ins Freie, stießen die Tür wieder zu
und hasteten ins nahe Dickicht. Atemlos beobachteten sie die Tür.Eine Weile verging, ohne daß sich etwas rührte. Harpo und Anca wollten
sich schon aus dem Staub machen, als sich die Tür schließlich doch noch bewegte. Für ein oder zwei Sekunden erschien dort ein Gesicht und blicktenach draußen. Dann wurde die Tür ins Schloß gezogen. Viel hatte man nichterkennen können, aber Harpo prägten sich ein paar seltsam erschreckteAugen im Gesicht einer jungen Frau mit blonden Haaren ein.
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Es fiel den Geschwistern schwer, sich einen Reim auf dieses Erlebnis zumachen, so oft sie auf dem Rückweg auch über jede Einzelheit sprachen. Dieanderen Kinder waren ebenfalls ratlos, als sie davon hörten. Aber viel mehrim Vordergrund stand, daß sie den kleinen Oliver nirgends gefunden hatten.
Denn die anderen Gruppen waren bereits früher zurückgekehrt. Alle guckten enttäuscht, als Harpo und Anca allein in das Tal kamen. Ollie blieb wievom Erdboden verschluckt.
Ollie kehrt zurück
Dafür gab es eine andere erregende Neuigkeit! Fantasia und Micel hatteneinen weiteren Grünen gefunden, der sich nicht mehr bewegte. Das helleFunkeln in seinen Sehlinsen war erloschen. Das bedeutete, daß er tot oderaußer Betrieb war, wie immer man das nennen wollte. Seltsam war nur, daßdie anderen Grünen ihren Kollegen nicht abgeholt hatten!
Die große Uhr über dem Vorratsbunker zeigte auf zwei. Thunderclap hatteKarlies Küchendienst übernommen und ein Reisgericht mit viel Rindfleischgekocht. Einige der anderen Kinder hatten bereits gegessen, aber es war nochmehr als genug für die Nachzügler da.
Für die Aufgaben war es jetzt zu spät. Die Grünen würden exakt um vierUhr eintreffen. In den verbleibenden zwei Stunden konnten sie die Arbeitennicht schaffen. Sie beratschlagten, wie man den Grünen das seltsameVerschwinden des kleinen Oliver beibringen sollte.
„Sie hetzen uns die Alten auf den Hals“, prophezeite Fidel.„Na und?“ meinte Fantasia trotzig. „Wenn sie uns helfen können? Willst du
vielleicht, daß Ollie verschwunden bleibt?“Fidel sah stur zu Boden und schwieg. Sie alle wußten, daß er die
Erwachsenen haßte.„Der Streit ist sinnlos“, griff Thunderclap schlichtend ein. „Die Grünen wä
ren nicht die Grünen, wenn sie nicht auf den ersten Blick bemerkten, daß jemand fehlt. Was soll’s also?“
„Grüne?“ sprach Lucky dazwischen. Er nickte und fügte hinzu: „Ollie! Ja.“Ein nachdenklicher Zug lief über das Gesicht von Micel Fopp. Er verharrte
einige Sekunden regungslos, dann schlug er sich mit der flachen Hand gegendie Stirn, daß es nur so klatschte.
„Ohhhh, Mann!“ stöhnte er. „Daß ich nicht gleich auf die Idee gekommenbin. Ich bin doch wirklich ein Schussel.“
„Ich will sofort meinen Kopf aufessen, wenn das nicht wahr ist“, gab Lonzoihm recht.
„Du bist ein elender Klaubruder“, knurrte Micel ihn an. „Diesen Spruchhast du dir gar nicht selbst ausgedacht, sondern bei Charles Dickens aufgepickt.“
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„Heute so und morgen gestern“, philosophierte Lonzo. Aber er machteeinen ertappten Eindruck.
„Wwwwolltest du uns nicht etwwwas Wichtiges mitteilen?“ erinnerteBrim Boriam. Seine großen Augen funkelten neugierig aus dem schwarzenGesicht.
„Ich habe Luckys Gedanken gelesen“, verkündete Micel mit wichtigtuerischer Stimme. „Und wißt ihr, was ich dabei herausgefunden habe?“
„Ja.“ Lucky nickte. Entweder hatte er verstanden oder nur seinen Namengehört. Jedenfalls strahlte er.
„Die Grünen haben Oliver abgeholt“, fuhr Micel lakonisch fort. „Eine Abordnung von vier Grünen war es. Sie sagten, sie müßten ihn zu denErwachsenen bringen, um einige Tests mit ihm durchzuführen.“
„Diese verfluchten Alten!“ schimpfte Fidel.„Ach geh“, meinte Harpo. „Es ist doch nicht alles schlecht, was sie tun.“
Aber insgeheim fürchtete er wie die anderen, daß es nur einen Grund für dasüberraschende Eingreifen der Grünen geben konnte: Ollie sollte aus derGruppe entfernt werden. Wahrscheinlich würden sie ihn niemals wiedersehen.
Trompo raste wie ein Wiesel über Ancas im Sand ausgestreckten Körper.Anca mußte lachen, weil die winzigen Füßchen des Wesens sie kitzelten. Sieblickte zum Vorratsbunker hinüber zu der Uhr.
„Heee!“ entfuhr es ihr. „Seht doch mal. Es ist jetzt zwanzig nach vier. Aberdie Grünen sind immer noch nicht aufgetaucht!“
Alle schauten hin. Tatsächlich! Das war außergewöhnlich, denn die Grünenhatten sich bisher niemals verspätet. Was mochte sie aufgehalten haben? Imgleichen Moment tauchte eine kleine Gestalt am Eingang der Talmulde auf.Ein Grüner? Im ersten Moment konnten sie es nicht erkennen.
„Ollie!“ jubelte Fantasia und eilte dem Jungen mit wehendem Haar entgegen.
Die anderen folgten ihr lärmend. Kein Zweifel: Es war Oliver. Begeistertschlugen sie dem Kleinen auf die Schultern.
„Mann, hab’ ich ‘n Durst!“ krähte der kleine Oliver. „Ich könnt’ ‘n ganzesPferd aufessen, so müde bin ich!“ Er rang nach Luft. „Hoffentlich hab’ ich mirbei dem Marsch nicht wieder jede Menge Krankheiten aufgehalst. Ich fühlemich schon ganz mies.“
Bevor er Gelegenheit hatte, weiter von seinen Beschwerden zu berichten,drückten ihn die einen ins Gras, während die anderen die Reste vonThunderclaps famoser Mahlzeit zusammenkratzten. Es war schon kalt, aberfür ausgehungerte Wanderer wie den kleinen Oliver war das kein Hindernis,mit Appetit zu essen.
„Wo warst du denn, Menschenskind?“ überfielen ihn die Freunde mit ihrenFragen. „Wir haben auf dem ganzen Deck nach dir gesucht!“
„Haben dich die Grünen zu den Alten gebracht?“„Du sollst nicht so schlingen. Das ist ungesund!“„Wie sieht es in der Zentrale aus?“
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„Hast du Mondkälber gesehen?“„Was macht der Chefpüpüschpüschologe?“Ollie genoß die Aufmerksamkeit, die ihm sonst nur selten zuteil wurde. Als
Jüngster in der Gruppe wurde er eigentlich mehr als dankbares Publikum fürdie Angebereien der Älteren angesehen. Er murmelte undeutlich mit vollemMund etwas.
„Waaaas?“ erkundigten sich die Zuhörer.Trompo turnte sich an den glücklich wiedergefundenen Vermißten heran.
Er trug eine große Flasche mit einem Saft aus allerlei Heilkräutern im Rüsselund mußte sich redlich damit abschleppen.
Jedermann wußte, daß Ollie auf diese Medizin als Allheilmittel schwor.Dankbar tätschelte er Trompos Köpfchen, nahm die Flasche und kraulte demkleinen Gefährten die Schlappohren. Nachdem er den letzten Bissen hinuntergewürgt hatte, schraubte er die Flasche auf und roch verzückt daran.
„Nur das kann mich noch retten! Trompo – du bist ein wahrer Kumpel“,seufzte er. „Ich hab’, glaub’ ich, ‘n gefährlichen Hautausschlag.“
Er deutete auf einen einsamen Pickel auf der glatten Haut seines Armes.„Den armseligen Pickel hattest du gestern schon“, bemerkte Karlie trocken.„Nun ist es aber genug“, schimpfte Thunderclap Genius. „Würdest du
vielleicht freundlicherweise erklären, was vorgefallen ist?“„Soll ich es tun?“ grinste Micel, der natürlich schon alles wußte, weil er
Ollies Gedanken gelesen hatte.„Nee!“ protestierte Ollie entschieden. Er fürchtete, aus dem Brennpunkt
des Interesses zu rücken.„Dann mal los“, meinte Fidel Flottbek, der so ungeduldig war wie die
anderen.„Is’ ga’ nich’ viel zu verzählen“, sagte der kleine Oliver. „Die Grünen ham
mich geholt und auf ihre Bas... Bis...“„Basis“, half Thunderclap aus.„... auf ihre Basis gebracht“, vollendete Ollie den Satz. „Und dann war auf
einmal Sense ...“„Was heißt hier Sense?“ regte sich Thunderclap auf. „Kannst du nicht deut
licher werden?“„Na ja, die kippten einfach um, bums!“Ollie verzichtete nicht auf eine kleine kabarettistische Einlage und demons
trierte, wie die Roboter im Teddybärenfell zu Boden gefallen waren.„Und dann?“ fragten die Umstehenden, nachdem sie sich von ihrem Lach
anfall erholt hatten.„Dann hab’ ich Mücke gemacht!“„Mücke?“ fragte Brim Boriam verständnislos. Er hatte diese Redensart noch
nie gehört.„Ich bin abgehau’n“, erklärte Ollie. „Ausgebüxt. Hab’ mich auf die Socken
gemacht. Verstehste?“„Und die Grünen?“ fragte Fidel aufgeregt.„Na, die waren doch kaputt“, sagte Ollie.
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„Du meinst, sie kippten nicht nur um, sondern waren endgültig im Eimer?“forschte Harpo nach.
„Genauuuu!“ antwortete Micel für den kleinen Oliver. „Ich schätze, daß wirhier vorläufig keinen Grünen mehr sehen. Es hat sich ausgegrünt!“
„Dann hab’ ich mich zu euch durchgekämpft“, holte der kleine Oliver zueiner längeren Erlebnisschilderung aus. „Zuerst kam ich ...“
„Später“, unterbrach Micel. „Ist euch eigentlich schon aufgefallen, daß eszwanzig nach vier ist?“
„Na und?“, fragte Harpo verständnislos.„Weil es schon zwanzig nach vier war, als Ollie auftauchte“, antwortete Mi
cel. „Deshalb!“„Dann ist die Uhr stehengeblieben!“ rief Fidel.„Du merkst aber auch alles!“In diesem Moment geschah etwas, das die Kinder zutiefst erschreckte. Der
Boden von Deck 27 begann heftig zu zittern. Ein harter Stoß folgte. DieKinder purzelten durcheinander, und zwei ihrer drei Wigwams stürzten krachend in sich zusammen. Ein lautes, quietschendes Geräusch drang in ihreOhren und wurde so laut, daß es fast weh tat.
Dann folgte ein erneuter Stoß. Und dann war Stille.
Aufbruch zur Basis der Grünen
Der Schreck war ihnen ganz schön in die Glieder gefahren.Zum Glück blieb der Schock größer als der meßbare Schaden. Die Kinder
kamen mit Beulen und blauen Flecken davon.Am ärgsten hatte es noch Thunderclap Genius erwischt. Der Rollstuhl war
umgestürzt und hatte den Jungen unter sich begraben. Nach dem zweitenStoß kümmerten sich alle um den Bedauernswerten und halfen ihm auf. EineChromstange des Rollstuhls hatte sich leicht verbogen, ohne daß dadurch jedoch die Funktion beeinträchtigt wurde.
Mit Jammern hielt sich Thunderclap nicht lange auf. Er strich nur ab undzu mit den Fingerspitzen über seine Stirn, auf der sich ein dickes, rotblauesHorn zu bilden begann. Da solche Beulen die Eigenschaft haben, nach einerWeile in allen Regenbogenfarben zu schillern, erregen sie eher Spott als Mitleid.
Aber rasch merkten die Kinder, daß nun andere Probleme anstanden, alssich über rotblaue Hörner lustig zu machen. Jeder wußte, daß ein Raumschiff, welches in einer festgesetzten Parkbahn die Erde umkreist, nicht voneinem Erdbeben erschüttert werden kann. Erdbeben sind die Folgen vonSpannungen der Erdkruste, die deshalb entstehen, weil die feste Erdoberfläche nur eine verhältnismäßig dünne Schale über dem feurigflüssigen Erdkern ist. Wenn sich im Erdkern mit starken Energieentladungen verbundene
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Prozesse abspielen, dann kommt es zu Eruptionen, die sich mal als Vulkanausbrüche, mal aber auch als Beben äußern. So, als würde ein gefangenerRiese an seinen Fesseln zerren und dabei wild um sich schlagen. Aber imWeltraum?
Auch das Schiff, auf dem sich die Kinder befanden, besaß einen „feurigenKern“, nämlich einen Atomreaktor, der die Energie für den Antrieb und alleLebensprozesse lieferte. Doch soweit sie wußten, war er von dicken Bleiwänden ummantelt. Der Atomreaktor hatte keine Chance gegen sie. Undaußerdem lief er auf kleiner Leistung, weil sich das Schiff auch ohne Antriebim Orbit der Erde stabilisierte. Wenn die Kreisbahn von den Wissenschaftlernauf der Erde richtig berechnet war, hielten sich die Anziehungskraft der Erdeund die Fliehkraft aus der Eigengeschwindigkeit die Waage.
„Etwas ist geschehen!“ sagte Thunderclap nur. Mehr wußte er nicht. Wohersollte er auch?
Ohne daß jemand Kommandos geben mußte, kümmerten sich die Kinderzunächst einmal um die zusammengebrochenen Wigwams. Zwei Stangenwaren geknickt, aber sie schafften es, die Zelte wieder aufzustellen.
Harpo machte sich Sorgen. Die ersten Probleme traten auf. Einige der Grünen waren ausgefallen. Vielleicht sogar alle. Zwei der Wigwamstangen konnten nicht mehr verwendet werden und Ersatz gab es nicht.
Doch das war im Moment nicht weiter schlimm. Aber was sollte werden,wenn die Nahrungsmittel im Vorratsbunker aufgebraucht waren und kein Ersatz eintraf? Wenn sich niemand auf Deck 27 blicken ließ, kein Grüner undkeiner von den Alten?
Zum ersten Mal wurde ihm so richtig bewußt, daß sie in einem gewaltigenRaumschiff lebten, das über der Erde schwebte. Vielleicht stürzte es bereitsdem überbevölkerten Planeten entgegen? Auf sich selbst gestellt waren sie imGrunde doch recht hilflos. Obwohl sie eine ganze Menge Neues dazugelernthatten, seit sie nicht mehr in den Betonkolossen der Erde lebten.
Thunderclap mochte von ähnlichen Gedanken geplagt sein. „Du solltestmal ausprobieren, ob das Feuer noch in Ordnung ist“, bat er Karlie.
Karlie drehte an den Hähnen, die das Gas ausströmen ließen und bei Betätigung gleichzeitig einen Zündfunken freisetzten. Nichts geschah.
„Wir haben kein Feuer mehr!“ rief Karlie enttäuscht. „Kartoffelpuffer ade!“Thunderclap schwieg. Er schien damit gerechnet zu haben.„Wir werden eben ohne Feuer auskommen müssen – für eine Weile“, warf
Harpo ein. Er wirkte ruhig, war es aber nicht. Sie hatten sich ein bißchen zusehr darauf verlassen, daß ihnen die gebratenen Tauben in den Mund flogen.Nein, nicht ganz so. Ein gewisses Maß an Selbständigkeit hatten sie durchauserlangt. Aber immer noch nahmen sie Sachen als gegeben hin, die so selbstverständlich gar nicht waren. Vielleicht mußten sie sich jetzt an ganz neueMaßstäbe gewöhnen.
„Micel“, beschwor Harpo seinen Freund. „Kannst du uns nicht sagen, wasgeschehen ist?“
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Der Gedankenleser senkte den Blick, als sich mehrere Augenpaare auf ihnhefteten.
„Es tut mir leid“, sagte er leise und ließ seine verkümmerten Ärmchen traurig hängen. „Ihr erwartet zuviel von mir. Ich spüre nichts.“
Fidel Flottbek, der sich bisher aus den Gesprächen herausgehalten hatte,meldete sich zu Wort. Er hatte eine Weile nachgedacht. „Gehen wir mal davon aus“, sagte er, „daß die Grünen nicht wiederkommen, daß sie niemalswiederkommen. Wißt ihr, was das heißt?“
Er sah sich fragend im Kreis um, aber niemand hatte Lust, ihm zu antworten.
„Das bedeutet“, gab er sich triumphierend selbst die Antwort, „daß wir unabhängig und frei sind! Niemand erteilt uns Befehle, niemand sagt uns, waswir zu tun und zu lassen haben, niemand zwingt uns, Rechenaufgaben undBastelarbeiten zu erledigen!“ Vor Begeisterung hatte er sich richtig in Ekstasegeredet und war laut geworden wie ein Politiker bei einer Wahlrede.
„Immer langsam“, bremste Harpo. „Die Grünen sind nicht die Herren aufdiesem Schiff, Fidel. Du hast die Alten vergessen!“
„Wenn die Grünen nicht mehr funktionieren“, unterstützte Micel FidelsÜberlegungen, „dann werden die Alten alle Hände voll zu tun haben, um dasSchiff unter Kontrolle zu halten. Um uns werden sie sich dann gar nicht mehrkümmern.“
„Zerbrecht euch nicht die Köpfe“, meinte Anca. „Wir werden noch frühgenug feststellen, wer recht hat.“
„Jawoll“, pflichtete der kleine Oliver bei. „Un’ solang machen wer Feeerien!Juchhuuu!“
Thunderclap wiegte zögernd seinen Kopf. „Ich weiß nicht, ich weiß nicht“,sagte er. „Ich finde, ihr seht die Sache zu rosig. Überlegt doch mal: Was denGrünen oder den Alten gefährlich wird, das kann auch uns in Gefahrbringen.“
„Richtig!“ hakte Harpo sofort ein. Er scharrte unruhig mit den Füßen. „Statthier rumzusitzen, sollten wir lieber eine Expedition zusammenstellen undherauszufinden versuchen, was wirklich los ist! Und dann wäre es noch gut,wenn wir mit den Gruppen auf anderen Decks Kontakt aufnehmen. Wirkönnten uns gegenseitig helfen.“
„Als erstes wollen wir eine Ratsversammlung einberufen, in der jeder Sitzund Stimme hat“, rief Karlie begeistert.
„Eine gute Idee!“„Klasse!“„Mensch, Karlie, du hast ja mächtig einen drauf!“Alle waren mit Feuer und Flamme dabei. Das Tal der Wigwams war ein
eigener Staat geworden, dessen Bewohner demokratisch darüber abstimmten, was weiter geschehen sollte.
„Auch Lonzo und Trompo müssen mitentscheiden“, forderte Ancaenergisch.
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„Klar, Mensch“, stimmten die anderen zu. „Sie haben die gleichen Rechtewie wir alle!“ Niemand hatte etwas gegen diesen Vorschlag einzuwenden.
„Lonzo“, fragte Thunderclap den fast kugelrunden Roboter, der auf seinenelastischen Beinen herantanzte, „du wirst mir nicht böse sein, wenn ich dichdanach frage, nicht wahr? Warum bist du nicht von dem Schicksal deranderen Roboter betroffen?“
Die Kinder erwarteten, daß Lonzo nun wieder steif und fest behauptenwürde, daß er gar kein Roboter sei, sondern ein Mensch. Aber nichts dergleichen kam.
„Vielleicht deshalb, weil ich nicht mehr der Zentralschaltung des GroßenElektronengehirns unterstehe“, gab Lonzo unerwartet ernsthaft zur Antwort.„Ich bin ganz auf mich allein gestellt, weil die Funkverbindung zwischen mirund der Zentralschaltung kaputt ist. Die anderen Roboter bekommen ihreBefehle vom Großen Elektronengehirn.“
Nachdenklich und mit in Falten gelegter Stirn sagte Thunderclap: „Könntees sein, Lonzo, daß es am Großen Elektronengehirn liegt, daß die Grünennicht mehr funktionieren?“
Und Harpo fügte hinzu: „Und der Stoß von vorhin? Könnte er auch dadurch ausgelöst worden sein?“
Lonzo klickte nervös. Zum ersten Mal, seit er sich selbst das Bärenfell überdie Ohren gezogen hatte, benahm er sich nicht wie ein Clown. Dann gab erzur Antwort, dabei fast traurig mit seinen Tentakeln wedelnd: „MeineSpeicherbänke sagen mir, daß es am Großen Elektronengehirn liegen muß.Es hat offenbar einen Defekt. Seine Verbindung zu den Grünen ist unterbrochen.“
Die Kinder schwiegen ratlos. Jedes einzelne von ihnen – außer Lucky Cicero, der so aussah, als würde er gleich anfangen zu weinen – machte sich seineGedanken. Lucky merkte genau, wenn die anderen etwas bedrückte. Undwenn das Elektronengehirn ausgefallen war, bedeutete dies eine großeGefahr für das Schiff und seine Besatzung. Und leider war es nun, nachLonzos Aussage, nicht mehr von der Hand zu weisen, daß der riesigeSchiffscomputer, der nahezu alles steuerte, seinen Geist ausgehaucht hatte.
„Ob das Schiff nun steuerlos ist?“ fragte Harpo in das Schweigen hinein.„Die Alten sind doch noch da“, meinte Anca zaghaft, als erwarte sie von ih
nen die Rettung.„Hast du überhaupt schon mal einen von denen gesehen?“ fragte Fantasia
zweifelnd.Der kleine Oliver war blaß geworden, und sogar Thunderclap Genius, der
Junge, der von ihnen allen am meisten wußte und der besonnenste war, bekam blasse Lippen.
„Wir müssen nachsehen, was genau geschehen ist“, schlug Harpo vor undstand auf. „Zuerst sollten wir zur Basis der Grünen gehen und herausfinden,ob sie wirklich außer Betrieb sind. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm.“ SeinVorschlag fand allgemeine Zustimmung.
„Wollen wir abstimmen?“
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„Hat jemand einen Gegenvorschlag?“Einen Gegenvorschlag hatte niemand. Die Abstimmung ergab, daß Harpos
Vorschlag einstimmig angenommen war. Blieb nur die Frage, wer an der Forschungsreise teilnehmen sollte, da es natürlich keinen gab, der gerne zurückblieb. Aber alle zusammen konnten sie nicht gehen, weil das zuviel Gepäckund noch mehr Umstände erforderte, falls wirklich Gefahren drohten. DieExistenz der Schlange hatte noch keines der Kinder vergessen ...
Thunderclap sagte: „Lonzo soll vorschlagen, wer von uns mit zur Basis derGrünen geht. Er ist der einzige Neutrale unter uns, weil er Gefühle wieAbenteuerlust nicht kennt und deshalb eine unbeeinflußte Auswahl treffenkann.“
Nach diesen Worten gebärdete sich Lonzo wie in alten Tagen. „Ich undkeine Abenteuerlust kennen?“ krächzte er. „Haaah ... soll ich euch erzählen,wie ich mit dem alten Käpt’n Kidd gegen Kunibert Krötenschreck und seinefiesen Piraten kämpfte? Auf allen neun Weltmeeren? Ich könnte euch Dingeerzählen, daß euch die Haare zu Berge stehen ...“
Der quäkende Tonfall, in dem er das sagte, löste die bedrückte Stimmungder Kinder. Lachend hielten sich Harpo und seine Freunde die Bäuche. Derulkige Eisenmann hatte zu jeder Bemerkung eine kleine Geschichte parat.Und er schreckte auch nicht davor zurück, furchtbar aufzuschneiden, wennes galt, seine witzigen Erzählungen an das Publikum zu bringen. Wer hatte jevon neun Weltmeeren gehört – wo es doch nur sieben gab, von denen viernichts anderes waren als stinkende, längst tote Kloaken, in denen keineFische mehr lebten.
Lonzo schritt mit vor der Metallbrust gekreuzten Tentakeln gravitätisch aufund ab. Dann, als sei er Admiral Piratenschreck persönlich, fuhr er fort: „Soeine Expedition ist eine nervenaufreibende Sache, meine Freunde! Darankönnen nur Leute teilnehmen, die das Herz nicht in der Hose aufbewahren.Und gewieft müssen Expeditionsleute sein, furchtlos und allen Eisverkäuferndes Universums gegenüber standhaft bleiben!“
Er drehte sich um und schnarrte: „Wir brauchen zuerst jemand, der jedeGefahr riecht! Und das ist Micel Fopp, der Junge mit dem sechsten Sinn!“
„Au ja!“ sagte Micel freudig.„Und jemanden, der stark ist!“ Lonzos Blick fiel auf Anca, die sich soeben
hinter der Rückenlehne von Thunderclaps Rollstuhl verkriechen wollte, weilsie schon ahnte, was nun kam.
„Anca hat mit einer Riesenschlange gekämpft“, kicherte Lonzo, „und sie indie Flucht geschlagen! Sie soll die zweite sein!“
„Jja“, hauchte das Mädchen. Anca fühlte sich eigentlich jetzt gar nichtmehr so stark wie noch am Tag vorher. Dennoch freute sie sich, an dieser aufregenden Expedition teilnehmen zu dürfen.
„Dazu einen Jungen, der den genauen Weg zur Basis der Grünen kennt!“„Ich! Ich!“ rief der kleine Oliver. „Ich war schon mal da. Ich kenn’ den Weg!“„Richtig“, bestätigte Harpo. Die anderen nickten.
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„Und der vierte im Bunde“, sagte Lonzo. „Welche Fähigkeiten sollte derhaben?“ Er sah fragend in die Runde und wartete auf Vorschläge, wobei seineroten Kunstlichtäuglein flackerten.
„Furchtlos soll er sein!“ trompetete Trompo, der es sich auf ThunderclapsSchoß bequem gemacht hatte und mit den Ohren wedelte. „Und der Furchtloseste von allen ist Harpo Trumpff!“
Harpo glaubte vor Schreck im Boden zu versinken.
Eine geheimnisvolle Botschaft
Die Basis der Grünen lag in nördlicher Richtung hinter dem felsigen Land.Da das Schiff einen eigenen Magnetpol besaß, konnte man die Himmelsrichtungen der Erde beibehalten und sich mit einem Kompaß orientieren. DieKinder durchquerten zunächst ein Wäldchen und gelangten in diegraubraune, felsige Öde, die sich fast einen Kilometer lang hinzog, ehe siewieder in eine allmählich absinkende Grünzone überging.
Als das Grünland sich vor ihnen abzeichnete, deutete Harpo, der dieGruppe anführte, nach unten. Die grünlackierte Schiffswand schnitt dieLandschaft abrupt ab. Sie ragte in zweihundert Meter Entfernung empor.Und in ihr befand sich das große schwarze, runde Loch, das den Eingang zumLift bildete, der zu den anderen Decks führte.
Direkt neben dem schwarzen Loch standen vier kleine, aus künstlichemHolz hergestellte und dennoch echt wirkende Blockhütten. Die Schornsteinerauchten nicht. Alles wirkte verlassen.
Die Basis.Die Türen der Hütten waren geschlossen, und vor dem malerisch aus
sehenden alten Ziehbrunnen, der auf dem Vorplatz der Basis stand, lag derKörper eines Grünen auf dem Rücken, leblos und starr. Das rechte Knie deskünstlichen Wesens war leicht angewinkelt, und ein Arm ragte steil in dieLuft, als sei der Roboter mitten in der Bewegung abgeschaltet worden.
Der kleine Oliver sagte, während sie vorsichtig den Hügel hinabstiegen:„Zwei haben mich abgeholt. Wo is’ denn der andere?“
Sie entdeckten ihn bald. Er lag hinter dem Brunnenrand. Auch er rührtesich nicht. Sein grünes Fell war staubig und verschmutzt. Die Äuglein, diesonst so listig blitzen konnten, waren erloschen.
Harpo kniete neben den Grünen nieder und untersuchte sie, während Micel neben ihm stand und seine Gedankenströme in die Umgebung hinausschickte.
„Liest du was?“ platzte Anca heraus, die beobachtet hatte, daß sich MicelsBlick versonnen nach innen gekehrt hatte.
Micel schüttelte den Kopf. „Es ist alles tot.“
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„Haben die Grünen überhaupt Gedanken?“ fragte Harpo, als sie die ersteHütte betraten. Die Kleincomputer, die hier herumstanden, hatten ihre Tätigkeit eingestellt. Auch sie waren abgeschaltet.
„Richtige Gedanken haben sie nicht“, erklärte Micel stirnrunzelnd, alsmüßte er sich selbst erst über die Antwort klar werden. „Aber ich konnteschon mal was von ihnen hören. Ein Kitzeln in meinem Kopf ...“
„Ein Kitzeln?“ fragte Harpo verblüfft. „Ein Kitzeln im Kopf?“ Das konnte ersich beim besten Willen nicht vorstellen.
Micel zuckte mit den Achseln. „Kein echtes Kitzeln ... Ach, ich kann es dirnicht erklären. Das ist genauso schwierig, als müßtest du einem Blinden eineFarbe erklären. Aber das ist jetzt auch nicht wichtig. Auf jeden Fall spüre ichhier nichts. Die Grünen strahlen kein ,Kitzeln‘ mehr aus.“
„Hab’ ich doch gesagt, daß die im Eimer sind“, meinte Ollie.Neugierig betrachteten die Kinder die seltsamen Instrumente. Mit der In
neneinrichtung der Hütten hatten sich die Alten nicht sonderlich viel Mühegegeben. Die Wände sahen kalt und grau aus. Nur die Maschinen blitzten vorSauberkeit. Sie waren verchromt wie medizinische Instrumente oder ganzteure Autos und besaßen so viele Knöpfe, Schalter und Tasten, daß Harpo fastschwindlig wurde, als er den zaghaften Versuch unternahm, sie zu zählen.Anca deutete auf einen kleinen Bildschirm, auf dessen Sichtfläche sich einwinziger weißer Punkt abzeichnete.
„Seht nur“, sagte Micel aufgeregt und zeigte ebenfalls dorthin.Täuschten sie sich oder wurde der Punkt tatsächlich größer? Das Gerät
summte leise. Die Kinder wußten, daß man es dazu benutzte, mit anderenMenschen zu reden. Ein gewöhnlicher Bildschirm wie beim Fernsehen wardas nicht. In gewisser Hinsicht konnte man dieses Gerät als Weiterentwicklung des Telephons bezeichnen. Der Unterschied war nur, daß man seinenGesprächspartner nicht nur hören, sondern auch sehen konnte. Visiophonwurde das Gerät genannt.
Der weiße Punkt war zuerst nicht größer als eine Erbse, aber er wuchs tatsächlich. Der Bildschirm erwachte zum Leben. Verzerrte Linien huschtenüber die Mattscheibe. Das Gerät summte etwas lauter als vorhin, aber dasGeräusch war immer noch so leise, daß man schon den Atem anhalten mußte, um es überhaupt wahrzunehmen.
„Jemand versucht, hier anzurufen!“ rief Harpo. Er fuchtelte nervös mit derrechten Hand durch die Luft und tastete dann nach den kleinen weißenSchaltknöpfen an der Vorderseite des Visiophons. Aber so recht traute er sichnicht. „Soll ich mal versuchen, das Bild richtig reinzukriegen?“
„Paß bloß auf“, raunte Anca. „Vielleicht machst du es kaputt.“Diese Bemerkung seiner Schwester hätte Harpo unter normalen Um
ständen vielleicht wütend gemacht, aber jetzt störte er sich nicht daran undging so sanft zu Werke wie niemals zuvor.
Für zwei Sekunden blieb das Bild stehen. Erfreut bemerkten die Kinder,daß das Gesicht eines Mannes sichtbar wurde. Er war dunkelhäutig wie Brim
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Boriam, trug jedoch einen buschigen Bart. Und das war etwas, zu dem es beiBrim noch nicht gereicht hatte.
Dann verschwand das Bild wieder. Harpo fluchte wie ein Matrose, der sichauf allen sieben Weltmeeren herumgetrieben hatte. Das Visiophon begann zuknattern. Harpo verstummte. Erneut erschienen die farbigen Linien.
Der bärtige Schwarze war zurück.„Geschafft!“ freute sich Harpo.Das Gesicht des Mannes auf dem Bildschirm zeigte für einen Moment
Freude. Zweifellos hatte er auf seinem Visiophon jetzt die Gruppe der Kinderim Bild. Dann lief jedoch ein Schatten über sein Gesicht. Er bewegte dieLippen, begann hastig zu sprechen und ruderte wild mit den Händen durchdie Luft. Es sah komisch aus, wie er sich abmühte, ihnen etwas mitzuteilen,ohne daß man ihn verstand. Ohne es zu wollen, mußten die Kinder lachen.
„Was will er denn?“ fragte der kleine Oliver schließlich. Er stand breitbeinigvor dem Bildschirm und bohrte in der Nase.
„Uns etwas sagen“, zischte Anca aufgeregt. Sie hatte als erste den Ernst derSituation erfaßt. „Man kann ja nix verstehen, Harpo! Kannst du nicht nocheinmal an den Knöpfen drehen?“
Harpo zögerte. Er kannte sich mit dieser Anlage nicht so gut aus, wie er zuerst gedacht hatte.
Und außerdem hatte er Angst davor, die Verbindung zu dem Unbekanntenzu unterbrechen. Was sollte er nur tun?
Der Retter konnte Micel sein.„Kannst du seine Gedanken lesen?“ wisperte er hastig dem Freund ins Ohr.
„Erfahren, was der Mann will?“Ehe Micel noch antworten konnte, veränderte sich die Szene erneut. Der
Bärtige hatte jetzt wohl bemerkt, daß man ihn nicht hören konnte. Er deutetemit dem rechten Zeigefinger auf seinen Mund. Dann auf seine Ohren.Schließlich zeigte er aus dem Bildschirm heraus auf die Kinder, schütteltefragend den Kopf und hob die Schultern.
„Er will wissen, ob wir ihn hören können“, sagte Micel. „Neeeiiiin!“Auch die anderen fielen in den Ruf ein und schüttelten wild mit den
Köpfen.Die Reaktion des Mannes war erstaunlich. Sein Gesicht spiegelte nun
Verzweiflung. Er stand auf. Für einen Augenblick zeigte die Kamera nur seinen breiten Brustkorb mit den blanken Uniformknöpfen, bis die Automatikdie Linse verstellt hatte. Der Mann bewegte sich im Raum auf und ab wie eingefangener Tiger und raufte sich gelegentlich die Haare. Dann griff er zueinem Raumanzug, der an einem Wandhaken hing, und zog ihn an. Ehe erden Helm aufsetzte, sah er noch einmal in das Aufnahmeobjektiv. Er wirkteunendlich traurig. Drei oder vier Sekunden lang schaute er so. Dann wandteer sich ab und schlug mit der geballten Rechten in den offenen Handschuhder linken Hand. Er machte eine Bewegung mit beiden Armen, die bedeutenmochte, daß etwas explodierte. Mit dem Daumen zeigte er mehrmals nachunten und auf die Kinder. Schließlich setzte er seinen Helm mit einem weh
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mütigen Gesicht auf, winkte noch einmal und verließ den Raum. Eine Metalltür schloß sich hinter ihm.
Mit offenen Mündern hatten die Kinder die Szene verfolgt. Jetzt starrten siesich gegenseitig an.
„Wer war das?“ platzte der kleine Oliver heraus. „Den hab’ ich noch niegesehen. War das vielleicht der SchäffPüschologe?“
„Er hatte eine Uniform an. Das war kein Arzt, nicht, Harpo?“ meinte Anca.In ihrer Stimme schwang deutlich leise Angst mit. Harpo legte einen Arm umdie Schulter seiner Schwester, um sie zu beruhigen.
Micel schien der einzige zu sein, den die Szene nicht aus der Ruhe gebrachthatte. Seine Augen hatten jenen seltsamen abwesenden Ausdruck, den sieimmer annahmen, wenn er sich auf weit entfernte Gedanken zu konzentrieren versuchte.
Ehe ihn Harpo fragen konnte, sagte er schulterzuckend: „Er war zu weitweg, Harpo. Viel zu weit. Ich konnte nichts in ihm lesen. Da war nur so einkomisches Gefühl ...“ Micel schüttelte sich, als liefe ein kalter Schauer überseinen Rücken.
„Was für ein Gefühl? Micel!“ rief Harpo heiser. Er spürte, daß in ihm dieAngst wuchs. Gänsehaut bedeckte seine nackten Arme.
Micel antwortete nicht. Er verließ die Hütte als erster und ging vor demBrunnen nachdenklich auf und ab. Dabei murmelte er etwas, das weder Harpo noch die anderen verstanden.
Was hatte Micel aufgefangen?Doch andere Dinge nahmen nun die Aufmerksamkeit der Kinder in An
spruch. Der kleine Oliver hatte – neugierig wie er war – an der Türklinke derzweiten Hütte gerüttelt. Plötzlich sprang die Tür auf, und ein Knäuel kleinerTiere schoß aus der Hütte ins Freie. Geschickt wichen die Tiere den Kindernaus und rannten ins freie Land hinaus, als ginge es um ihr Leben.
Harpo machte einen Satz und erwischte ein schwarzes Kätzchen, das sichverzweifelt bemühte, seinen Händen zu entwischen.
„Eine Katze! Eine richtige Katze!“ Ollie war außer sich vor Freude. AncasBlicke folgten den anderen Tieren, von denen die meisten schon aus demBlickfeld geraten waren. Sie sah aber noch zwei langhaarige Hunde, einenkleinen tolpatschigen Bären mit schneeweißem Fell, drei Eichhörnchen undeine laut quakende Ente, die auf ihren Plattfüßen von dannen watschelte unddabei die Flügel schwang, als wollte sie sich jeden Moment in die Lufterheben. Dann hatten sich die Tiere hinter Plastiksträuchern, Hecken undSteinen versteckt. Nur die Ente hörte man noch eine Weile aus der Ferne quaken.
Micel sagte: „Das ist keine Katze, Ollie. Das ist eine verkleidete Robotmaschine.“
Harpo, der das leise Summen des Tiers ebenfalls bemerkt hatte, gab es frei.Allmählich glaubte er nun wirklich nicht mehr daran, daß es auf diesemSchiff etwas Echtes gab, etwas, das nicht in einer Fabrik nachempfunden
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worden war. Aber dann fiel ihm wieder die Schlange ein, die Anca gebissenhatte.
In der zweiten Hütte lagen zwei weitere Roboter auf dem Boden undrührten sich nicht mehr. Die Aufgaben, die sie für die Kinder vorbereitethatten, lagen auf dem Boden verstreut, als seien sie ihnen aus den Händengefallen. Harpo bückte sich und hob einen der vorgedruckten Zettel auf.Geometrie. Er schüttelte sich. Das war eines der Fächer, vor denen ihmgraute.
„Wir können hier wohl nichts mehr tun“, hörte er Micel hinter sich sagen.„Wollen wir nicht zurückgehen?“
Anca stimmte ihm zu, während Ollie in den Schubladen herumkramte undstoßweise Papier und Bücher zutage förderte, die er kichernd auf dem Bodenverstreute. „Keine Aufgaben mehr!“ rief er jubelnd. „Das ist der schönste Tagin meinem Leben!“
Zusammen mit Anca legte er anschließend einen Indianertanz aufs Parkett,wobei beide sich redlich bemühten, den anderen im Freudengeheul an Lautstärke zu übertreffen.
Micel, der ebenfalls gerne mitgemacht hätte, aber aufgrund seiner verkürzten Ärmchen nicht so konnte, wie er wohl wollte, stellte fest, daß Harpoein bedrücktes Gesicht machte.
„Was hast du?“ fragte er. „Freust du dich nicht, daß wir jetzt tun und lassenkönnen, was uns gefällt?“
„Doch, doch“, sagte Harpo zögernd. „Aber ... ich habe nicht vergessen, Micel. Der Mann auf dem Bildschirm. Dein komisches Gesicht und deineAndeutungen. Ich weiß, daß du uns etwas verschweigst. Du weißt mehr, alsdu zugeben willst, stimmt’s?“
„Du hast recht, Harpo“, gab Micel nun zu. „Ich weiß jetzt, welches Gefühlder Mann hatte, als er den Raumanzug anzog und ging.“
„Und? Heraus mit der Sprache. Du mußt es uns sagen. Wir sind deineFreunde.“
„Nun ... ich wollte es nicht für mich behalten. Aber ich war meiner Sachenicht sicher.“ Micel druckste ein bißchen herum. Die Freunde hatten recht.Das Geheimnis ging sie alle an, nicht nur ihn allein.
„Das Schiff hat sich aus seiner Erdumlaufbahn losgerissen, Harpo“, erläuterte er und stellte insgeheim erstaunt fest, daß es erleichterte, darüber zusprechen. „Es ist völlig außer Kontrolle. Die Erwachsenen sind anscheinendalle geflüchtet. Und der letzte Mann – der auf dem Bildschirm – hatte Angst ...Angst um uns, weil ihm keine Zeit mehr blieb, uns hier herauszuholen ...“
Anca und der kleine Oliver hörten auf zu tanzen. Micel drückte seinen Kopfan Harpos Brust und begann zu weinen. Auf dem Rückweg ins Wigwamtalsprachen sie kein Wort.
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Vorstoß nach Deck 28
Das Plastikparadies, in dem die Kinder bisher gelebt hatten, erschien ihnennun, nachdem sie genau darüber informiert waren, was geschehen war, garnicht mehr so rosig.
Im Gegenteil: Jede rostige Stelle an den Wänden fiel ihnen plötzlich auf,und auch der Duft, den die zahllosen bunten Blumen, Pflanzen und Gewächse ausströmten, kam ihnen künstlich vor. Die kleinen, putzigen Tierchen, die sich gelegentlich ins Wigwamtal verliefen und aus schützenderEntfernung den Kindern zusahen oder manchmal mit ihnen spielten, erschienen ihnen leblos.
Nur Lucky Cicero, der kleine Mongoloide, der geistig zurückgeblieben war,schien von alledem nichts zu merken. Er konnte sich über fast alles freuen. Ertobte mit Trompo über die künstliche Wiese, lag unter den Strahlen derkünstlichen Sonne oder jagte den Eichhörnchen nach, die sich im Geäst nahegelegener Bäume tummelten.
Nachdem die Kinder drei Tage lang vor sich hingedämmert hatten, sagteThunderclap Genius nachdenklich: „Ich glaube, die Sonne ist nicht mehr sowarm wie früher.“
Erschreckt sahen die Kinder auf. Der gelbe Ball, der tagtäglich die gleicheBahn über die hohe Decke des Himmels zog, erschien den meisten von ihnenunverändert. Oder doch nicht? Zweifel stiegen auf.
Karlie Müllerchen, den nicht einmal mehr – ohnehin kalte – Kartoffelpuffererfreuen konnten, meinte, das könne Einbildung sein. Aber sicher war ernicht. Lonzo hatte sich seit dem letzten Tag nicht mehr sehen lassen, weil erden kuriosen Plan entwickelt und verkündet hatte, einen Piratenschatz zu suchen, den er angeblich vor zweihundert Jahren hier in der Nähe vergrabenhatte. Aber es war ihm nicht gelungen, die Schar der Jungen und Mädchenmit seiner Begeisterung anzustecken. Schließlich zog er ganz allein los.
Anca hatte sich beim Herumtollen einen klassischen Dreiangel in die Jeansgerissen. Thunderclap, der die Vorräte verwaltete, gab ihr neue Jeans und Micel ein anderes Hemd für sein abgenutztes altes. Dabei machte er ein ernstesGesicht. Gewiß, noch gab es genügend Vorräte. Aber sie würden lernenmüssen, mit allem sorgfältig umzugehen. Als erstes mußten sie damit beginnen, die Wäsche selbst zu waschen – jetzt gab es keine Grünen mehr, dieschmutziges Zeug abholten und frische Wäsche brachten.
„Es ist gar nicht so schön, wenn man keine Aufgaben hat“, klagte der kleineOliver und zupfte Fantasia Einstein am Ärmel ihrer bunten Bluse. „Kannst dumir nicht ‘n paar Rechenaufgaben stellen?“
Harpo lächelte. Die erwartete Gemütlichkeit, mit der alle Kinder gerechnethatten, war nicht eingetreten. Im Gegenteil: Man langweilte sich mit der Zeit,weil alles das, was man sonst nicht tun konnte, nicht mehr aufregend war,wenn man es jeden Tag machte. Harpo selbst hatte sich eigentlich vorgenommen, jeden Tag schwimmen zu gehen und die Plastikfische im See in die
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Schwänze zu zwicken, weil sie dann zu quieken anfingen. Aber er war nureinmal hingegangen. Jeden Tag dasselbe Vergnügen macht bald keinen Spaßmehr.
„Ich habe einen Plan“, sagte Thunderclap plötzlich. „Kommt doch mal alleher!“
Seinem leicht geröteten Gesicht sah man an, daß er Feuer und Flammewar. Die Kinder scharten sich um ihn; auch Lucky, der aus der Ferne gesehenhatte, daß eine Versammlung stattfand, kam herbeigelaufen.
„Ihr wißt alle“, begann Thunderclap, während er seinen automatischenRollstuhl in die richtige Position bugsierte, „daß es auf den anderen Decksnoch weitere Gruppen gibt. Warum nehmen wir unseren ursprünglichenPlan nicht wieder auf und stoßen bis zum nächsten Deck vor?“
„Ja!“ unterbrach ihn Brim begeistert. „Vielleicht wwwissen ddie anderenmmmmmmmehr!“ Seine Augen leuchteten.
„Vielleicht“, meinte Fantasia mit leuchtenden Augen, „sind nur die Grünenauf unserem Deck kaputt?“
„Dieses Mal bin ich aber mit dabei!“ rief Karlie. „Ich fange schon mal an,Proviant zusammenzupacken!“
„Kartoffelpuffer!“ schrie der kleine Oliver. „Nimm sie nur alle mit! Ichbleibe hier und esse zusammen mit Thunderclap sechs Tage lang nurSalami!“
Die anderen lachten. Natürlich hatte Karlie nur einen Scherz gemacht.„Thunderclap hat recht“, stimmte auch Harpo zu. Er baute sich im Kreis
der anderen auf und stemmte die Arme in die Hüften. „Es hilft uns nichts,wenn wir hier rumgammeln und darauf warten, daß etwas passiert. Es istwahrscheinlich, daß wir Kinder allein auf dem Schiff sind. Die Erwachsenenhaben uns verraten. Wenn wir uns gegenseitig helfen, können wir vielleichtein paar Grüne finden, die das Gehirn wieder in Ordnung bringen! Vielleichtkönnen wir sogar Hilfe von der Erde herbeifunken.“
„Wenn wir die Zentrale finden“, sagte Fidel Flottbek finster. Ihm schien dasgar nicht zu gefallen. Er war auf die Alten nicht gut zu sprechen. Seine Elternhatten ihn als Baby in ein Kinderheim gesteckt, weil sie ihn nicht haben wollten, und er hatte nie ein richtiges Zuhause gekannt. Das war auch der Grund,daß er auf der Erde oft andere Kinder verprügelt hatte, als sie ihn einenZigeuner nannten und hänselten. Seit Fidel auf dem Schiff war, hatte er sichgebessert, aber die Erwachsenen konnte er immer noch nicht leiden. Für ihnwaren alle gleich, und das bedeutete: gleich schlecht.
Thunderclap sah Fidel an. „Ich habe noch gar nicht alles aufgezählt, wasauf uns zukommen kann, wenn wir weiterhin so in den Tag hineinleben,Fidel. Sicher möchtest auch du nicht, daß hier alle Lichter ausgehen und wirnichts mehr zu essen haben, weil die Maschinen nicht mehr arbeiten. Ich erinnere nur daran, welche Probleme wir allein deshalb haben, weil das Gasnicht mehr strömt. Und das war vielleicht nur ein winziger Vorgeschmack.Stell dir einmal vor, wenn eines Tages die Sonne dort oben ausfällt ...“ Er deutete auf die Plastikbäume. „Und die Pflanzen, die aus Kunststoff sind. Wir
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können sie nicht essen. Was ist, wenn unsere Vorräte erschöpft sind? Wovonsollen wir uns ernähren?“
Harpo nickte. „Wenn das Große Gehirn gestört ist, werden nach und nachalle anderen Mechanismen ausfallen, zumindest erst einmal die komplizierten.“
„Wir kommen schon durch“, beharrte Fidel trotzig, aber seine Stimmeklang unsicher.
„Aber du mmmmmmußt doch einsehen, daß sich nnnnnnicht alle Pppppprobleme so einfach lösen lassen wie der Verlust des Feuers“, warfBrim aufgeregt ein.
„Richtig“, stimmte Anca zu. „Und selbst, was das Feuer betrifft ... Karliemag es ja egal sein, ob seine Kartoffelpuffer warm oder kalt sind ...“
„Iss nich wahr!“ unterbrach Karlie protestierend. „So richtig heiß sind sieam besten!“
„... aber ich sehne mich jedenfalls nach einem richtig schön warmen,dampfenden Kakao“, beendete Anca ihren Satz.
„Nun laßt doch mal die Kartoffelpuffer und den Kakao aus dem Spiel“,schimpfte Thunderclap.
„Na, ihr habt ja irgendwie recht“, brummte Fidel. Natürlich wollte auch ernicht, daß sie eines Tages in totaler Dunkelheit vor Hunger sterben mußten.Und vor allen Dingen wußte er, daß Harpo, der Junge, der am gesündestenund kräftigsten wirkte, ganz schreckliche Angst vor der Finsternis hatte. Vorallem dann, wenn niemand bei ihm war. Und Thunderclap? Wenn es dunkelwurde, konnte er mit seinem Rollstuhl nicht mehr gefahrlos durch dieGegend fahren. Die Kameraden in der Gruppe waren Fidels erste Freunde,sonst hatte er in jedem anderen Menschen immer nur Gegner gesehen. Erwollte nicht, daß sie litten. Widerwillig gestand er sich ein, daß es zumindesteiniges gab, was an den Alten nicht so übel war.
Die Kinder stimmten über Thunderclaps Vorschlag ab. Alle waren für dieExpedition, auch Fidel. Selbst Trompo hob zustimmend seinen kleinen Rüssel.
Sie machten sich sofort daran, eine zweite Expeditionsgruppe auf die Beinezu stellen, die dieses Mal versuchen sollte, an der Basis der Grünen vorbei indas schwarze Loch zu gelangen. Das führte, soweit ihnen bekannt war, zumAntigravlift, in dem man schwerelos wurde und langsam nach oben oder unten schweben konnte, bis zum nächsten Deck.
Es war anzunehmen, daß die zweite Expedition länger unterwegs seinwürde als die erste. Entsprechend viel Proviant mußte eingepackt werden.Fantasia füllte mehrere Flaschen mit kaltem Tee, und Karlie stellte die Verpflegung zusammen. Bei der Durchsuchung des Vorratsbunkers stellte sichheraus, daß die Gruppe nur noch für knapp drei Wochen zu essen hatte. Siewaren also gezwungen, sich schnellstens nach anderen Vorratsquellen umzuschauen.
„Ich habe mal gehört“, sagte Karlie, „daß es auf jedem Zwischendeck einLebensmittellager geben soll. Da muß Essen für Jahrzehnte gelagert sein.“
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Da die Ausrüstung getragen werden mußte, teilte man der Expedition diekörperlich stärksten Kinder zu: Harpo und Anca, Brim Boriam und Karlie.Und weil sich jemand um Thunderclap und Micel kümmern mußte, dieallein ziemlich hilflos waren, blieb Fidel mit Fantasia und dem kleinen Oliverfreiwillig zurück. Auch Lonzo tauchte noch auf, mit Lucky an der Hand. Alsohatte er schließlich doch noch einen Gefährten bei der Schatzsuche gehabt.Natürlich kehrten die beiden mit leeren Händen zurück. Aber Lonzos kugelrunder Metalleib war über und über mit wieselflinken Eichhörnchen bedeckt,als er mit Lucky unter den Büschen hervorkroch.
„Heißt Flagge!“ krächzte Lonzo. „Das Schiff legt sofort zur neuen Schatzsuche ab. Täterätää!“ Er brachte wirklich so etwas wie ein Trompetensolo zustande, in das Trompo mit seinem dünnen Stimmchen einfiel. Lucky lächelteglücklich und winkte der Gruppe zu, bevor er wieder hinter den Felsenverschwand. Genius folgte den Schatzsuchern mit seinem blitzschnellenRollstuhl so weit, bis der Boden eine gefahrlose Rückkehr nicht mehr zuließ.Er gab noch ein halbes Dutzend gute Ratschläge und fuhr dann traurig zurück.
Es dauerte diesmal nicht so lange, bis die Kinder die Basis der Grünen erreicht hatten. Früher hatten sie sich nicht so gern hier aufgehalten, weil siegenauso dachten wie die meisten Kinder auf der Erde: Hier wohnten ihreLehrer. Und wer geht schon gern nach Schulschluß am Haus seines Lehrersvorbei? Manchmal hatten sie kichernd auf den Hügeln gelegen und die Grünen nach Indianerart beobachtet. Dabei hatten sie dem entfernten Ratternder Fernschreiber gelauscht, mit denen die Grünen ihre Ergebnisse zu denAlten hinauf oder hinunter? – niemand wußte ganz genau, wo sie auf demriesigen Schiff lebten – funkten.
Karlie und Brim, die zum ersten Mal die leblosen Grünen aus der Nähe sahen, schüttelten sich. Irgendwie hatten sie die kleinen Maschinenbären dochgemocht, die ferngelenkt reagierten.
Am Eingang des Liftlochs hielten sie an.Brim hielt Harpo eine Taschenlampe hin. Er hatte offenbar nicht weniger
Angst vor der Dunkelheit als die anderen. Wer wußte schon, was sie indiesem dunklen Schacht erwartete?
Harpo gab sich mutig, obwohl er insgeheim fürchtete, daß ihn in der Dunkelheit wieder diese entsetzliche Furcht befallen würde. Schon mehrmals wares so gewesen, vor allem auf der Erde. Er hatte geschrien wie ein kleines Kind.„Geht jemand mit?“ fragte er schüchtern.
Karlie trat vor. Er schlang ein Seil um seinen Bauch und befestigte dasandere Ende an Harpos Gürtel. Zusammen gingen sie dann zögernd in dieDunkelheit hinein, während Anca und Brim beim Gepäck blieben.
Geisterhaft huschte der bleiche Schein der Taschenlampe über die röhrenförmige Metallwand. Hier hatte man sich keine Mühe gegeben, eine natürliche Landschaft vorzutäuschen. Harpo und Karlie hatten das Gefühl, in einemMetallrohr zu stehen, und genau das war der Gang ja auch. Unwillkürlich
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duckten sich die beiden Jungen, obwohl genügend Platz vorhanden war,selbst für den langen Karlie.
Harpo hatte Angst, aber er bemühte sich, sie nicht zu zeigen, denn Karliewar ja bei ihm. Er wußte nicht, wie es kam, daß ein Junge in seinem Alternoch Angst im Dunkeln haben konnte, aber er hatte von klein auf Angst gehabt, allein und ohne Licht in ein schwarzes Loch zu fallen. Überhaupt hatteer Angst vor dem Hinfallen, und manchmal, wenn er ausrutschte, wurde ersofort bewußtlos und konnte sich hinterher nicht mehr an alles erinnern, wasgeschehen war.
Die Schritte der beiden Jungen klangen hohl und geisterhaft. Nahm derWeg denn überhaupt kein Ende?
Der Lichtstrahl traf plötzlich auf ein rechteckiges Schild, das an zwei Kettenbefestigt von der Decke herabhing. Die Leuchtbuchstaben waren längst erloschen, aber dennoch vermochten Harpo und Karlie zu lesen, was dort stand:
SIE VERLASSEN DECK 27BITTE BEDIENEN SIE DIE ANTIGRAVSCHALTUNG
NUR UNTER HINZUZIEHUNG EINESFACHINGENIEURS!
„Da haben wir den Salat!“ fluchte Karlie. „Woher sollen wir einen Fachingenieur nehmen? Wir haben ja nicht einmal einen Ingenieur, der kein Fachist!“
Enttäuscht gingen sie einige Schritte weiter. Vor ihnen ragte ein zweiteiliges, eisernes Tor auf, an dessen rechter Hälfte ein kleiner schwarzer Kastenhing. Der Strahl der Taschenlampe huschte über mehrere Knöpfe. Sie leuchteten auf. Darunter waren kleine Schilder mit Funktionshinweisen angeschraubt.
„Verstehst du das?“ fragte Karlie. Harpo überlegte eine Weile. Er versuchtesich daran zu erinnern, was der Grüne vor zwei Jahren getan hatte, als er Harpo nach Deck 27 führte, aber es gelang ihm nicht. Was TOR ÖFFNEN undTOR SCHLIESSEN bedeutete, war klar. Wenn man nach OBEN wollte – undDeck 28 lag oben – mußte man auf AUFSTIEG drücken. Soweit gab es keineMöglichkeit, etwas falsch zu machen. Was aber bedeutete der rätselhafteschwarze Knopf unter der Aufschrift ZIEL DECK 00031000?
Karlie schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, daß es ordentlichklatschte. „Bin ich bematscht“, sagte er zu Harpo. „Die Sache ist doch so klarwie die Brühe, die du uns immer als Bohnensuppe vorsetzt! Damit stellst dudas Deck ein, auf welches du gebracht werden willst!“
Schnell hasteten die beiden Jungen zurück. Sie informierten Anca undBrim, schulterten dann eilig das Gepäck und liefen sofort den Röhrenweg zurück.
Nervös warteten sie, als Harpo die einzelnen Knöpfe bediente. Zischendund etwas schwerfällig, wie sie alle bemerkten, öffnete sich die linke Torhälfteum einen Meter. Dunkelrotes Licht drang heraus. Für einen Moment warendie Kinder geblendet. Dann sagte Anca erschreckt: „Aber ... aber das ist ja einbodenloses Loch!“
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Die Kinder gingen auf die Knie nieder und starrten in die Tiefe. Alle hatteneinen Antigravlift benutzt, als sie auf das Schiff gebracht wurden. Aberdamals hatte ein Grüner sie an der Hand gehalten, und alles war so schnellgegangen, daß für Angst keine Zeit blieb. Daß der Antigravlift aus einembodenlosen Abgrund bestand, war ihnen überhaupt nicht klar geworden.
Bebend starrten sie hinab. Vor ihnen lag ein endloser Schacht, der rundund glatt war und einen Durchmesser von vielleicht drei Metern hatte. Wennman in einen tiefen Brunnen schaut, kann man mitunter in weiter Ferne dieWasseroberfläche glitzern sehen, und ein hinabgeworfener Stein kündigt irgendwann durch sein Aufplatschen an, daß der Brunnenschacht nicht insLeere führt. Aber dieser Schacht hier schien ohne Anfang und Ende.
„Kein Grund, in die Hosen zu machen“, faßte sich Harpo als erster. Seinekleine Schwester hatte sich an ihn geklammert. Er streichelte ihr zärtlich überdas glatte, schwarze Haar. „Die Schwerkraft ist hier aufgehoben. Wahrscheinlich führt der Antigravschacht quer durch das ganze Schiff. Man kann ruhigin den Schacht springen und fällt trotzdem nicht nach unten.“
Er zeigte auf die Schalttafel. „Wenn ich hier Deck 00028000 programmiere,trägt uns der Antigrav nach oben.“
Innerlich fühlte er sich längst nicht so kühn, wie seine Stimme klang. Eswar richtig, was er sagte. Aber würde der Schacht so funktionieren wie ersollte? Es gab Dinge auf dem Schiff, die nicht mehr funktionierten: Feuerstellen, Roboter ...
Anca schüttelte sich. Zweifellos hatte sie ähnliche Gedanken. Auch Brimschluckte und sah Karlie fragend an, der ebenfalls nicht den Eindruck machte, als sei er von Harpos Worten restlos überzeugt.
Harpo sah ein, daß Worte in diesem Fall wertlos waren. Um zu beweisen,daß man in diesem Schacht tatsächlich langsam nach oben oder untenschweben konnte, stand er auf und drückte so lange den Knopf unter demZählwerk, bis die Skala anzeigte, daß der Antigrav auf Deck 00028000 programmiert war. Dann warf er seinen Rucksack in den Schacht hinein. Mitstaunenden Augen folgten Anca, Brim und Karlie dem Gepäckstück, das gemächlich nach oben segelte bis es verschwunden war.
„Na?“ fragte Harpo und konnte in seiner Stimme nicht eine dicke PortionStolz und Selbstzufriedenheit unterdrücken.
„Ich habe keine Angst“, sagte Brim tapfer und ohne zu stottern. Erverschwand im Schacht. Wenige Sekunden später hörten die anderen ihnjauchzen, als er nach oben schwebte und dabei wild mit den Armen ruderte.
„Ich fliege!“ rief er. „Ich fliiieeege! Juchhuuu!“
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Ein Schatten in der Finsternis
Deck 28 unterschied sich von Deck 27 für die Neuankömmlinge so gut wieüberhaupt nicht: Auch hier gab es am Eingang eine Basis der Grünen. Flachland erstreckte sich einige hundert Meter weit bis zu aufragenden Hügeln.Dort standen Bäume, wuchsen Sträucher und Plastikblumen, und ein weniglandeinwärts plätscherte munter ein Bächlein, das irgendwo im Bodenverschwand und dort von mächtigen Pumpen auf unterirdischen Wegenwieder zur Quelle geleitet wurde, wo es erneut aus dem Boden sprang.
Die Kinder schenkten der Basis der Grünen keine große Aufmerksamkeit,weil sofort zu sehen war, daß hier alles genauso außer Betrieb war wie aufDeck 27. Sie machten sich deshalb sofort auf den Weg ins Inland, um nachder anderen Kindergruppe zu suchen.
Weit kamen sie jedoch nicht, denn bald begann es zu dämmern. Die künstliche Sonne, die hier die bunte Landschaft mit ihren warmen Strahlen überwarf, wurde ausgeblendet, als sie das Ende des Decks erreicht hatte.
Gemeinsam schlugen die Kinder auf einer Waldlichtung ein Lager auf. Karlie, der wegen seiner Größe und Stärke das meiste Gepäck getragen hatte,rollte Decken aus und organisierte zusammen mit Anca das Abendessen.Harpo, dem die Umgebung nicht ganz geheuer vorkam – was wohl daran lag,daß er es nicht liebte, in der Dunkelheit ohne die schützenden Wände einesWigwams zu schlafen – lief eine Weile ziellos hin und her. Bereits beim Betreten von Deck 28 hatten sie alle laut nach versteckten Kindern gerufen, aberniemand hatte geantwortet.
Das war mehr als seltsam, denn so groß waren die Decks auch wiedernicht. Wahrscheinlicher wäre gewesen, daß eines der Kinder dieser anderenGruppe den Ruf gehört hätte. Soweit Harpo wußte, betrug die größte Längevon Deck 27 etwa zehn Kilometer, während die schmalste Stelle zwei Kilometer breit war. Da es relativ wenig Geräusche gab, die eine Stimme verschlucken konnten, und die niedrigen Decken und die seitlichen Begrenzungenden Schall weiterleiteten, waren Rufe kilometerweit hörbar.
Nach dem Essen legten sie sich hin und schliefen. Karlie, der unbedingtWache halten wollte, weil er befürchtete, in der Dunkelheit könne sichvielleicht jemand an ihnen vorbeischleichen und auf rätselhafte Weise denLift außer Betrieb setzen, nickte nach einer Weile ebenfalls ein und begannwie ein Sägewerk zu schnarchen. Was wiederum Harpo aus den schönstenTräumen riß. Er fuhr auf und musterte verstört die dunkle Umgebung.
Unter freiem Himmel war es finster wie in dem schwarzen Loch. Aber – waswar das? Ein Schatten in der Finsternis? Bog dort nicht jemand ganz in derNähe die dünnen Zweige eines Plastikstrauchs auseinander? Betrachtetennicht bohrende Augen die Schläfer und den einen, der nicht mehr schlief?
Harpo schüttelte den Kopf, als könne er die unheimliche Vision vertreiben.Er war ein Narr. Wer sollte zu dieser Stunde um ihr Lager schleichen? Esmußte pure Einbildung sein. Und dennoch ...
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Waren nicht Schritte zu hören? Und dieses schleifende Geräusch? DasKnacken zerbrechender Zweige?
Harpo wußte, daß Plastikzweige niemals knackten. Einen echten Zweighatte er in seinem Leben noch nicht gesehen, geschweige denn, ihn knackengehört. Wie kam er nur darauf, daß Zweige knackten, wenn man auf sie trat!Er erinnerte sich, daß er vor langer Zeit auf der Erde einen Film gesehenhatte. Ja natürlich, das war’s. Dort hatten Zweige geknackt, als sich Feindedes Helden aus dem dunklen Wald heranschlichen ...
Mitten in diesen Überlegungen fielen ihm die Augen zu, und der Kopf sanknach hinten. Er träumte von Robin Hood, der die Armen beschützte und diefeisten Edelleute auf den Burgen bekämpfte. Als er am Morgen aufwachte,fand er sich eng gegen die Körper der Freunde geschmiegt, Ancas kleineHand fest umklammernd. Behutsam löste er seine Hand aus Ancas Hand. Sieschien noch zu schlafen. Aber zog nicht ein sanftes Lächeln über ihr Gesicht?Und sah sie ihn nicht mit besonders blanken, fröhlichen Augen an, als sieerwachte? Auf jeden Fall hatte ihm die Nähe Ancas und der Freunde sehr geholfen, mit der Dunkelheit fertig zu werden.
„Sapperlot!“ schrie Karlie und sprang auf.Verschlafen wischte sich Anca die Augen.„Uuuuuaah!“ machte Brim Boriam wie ein Grizzlybär und gähnte.Anca fragte: „Ist was?“ Harpo schüttelte seine langen Haare und setzte sich
auf.„Man hat uns beklaut“, stieß Karlie empört hervor. „Seht ihr? Ein ganzes
Brot ist weg, und auch eine von unseren Teeflaschen!“Erschreckt rief Harpo: „Bist du sicher, daß die Sachen fehlen?“„Aber Harpo!“ Karlie war entrüstet und stampfte mit dem Fuß auf. „Ich als
unser bester Koch hüte den Proviant wie meinen Augapfel!“Brim und Anca lachten. „Na, das mit dem besten Koch wollen wir mal links
liegen lassen“, grinste Harpo. „Aber wer sollte uns schon beklauen? Undwarum?“
„Vielleicht ist es ein hungriges Tier gewesen?“ warf Anca ein.„Oder ein Grüner?“ meinte Harpo augenzwinkernd.„Künstliche Tiere mögen kein Brot“, widersprach Karlie energisch. „Und
Tee trinken sie schon gar nicht! Grüne sind mit Batterien zufrieden – glaubeich.“
„Aber echte?“ Anca sah ihn zweifelnd an. Da es auf der Erde kaum nochechte Tiere gab, war sie sich nicht sicher, ob richtige Tiere Tee mochten. Oderzogen sie Nahrungstabletten vor? Irgend etwas mußten sie ja essen.
Harpo fiel plötzlich ein, was er am Abend zuvor beobachtet zu habenglaubte. Nachträglich konnte er aber nicht mehr genau auseinanderhalten,ob er wirklich etwas gesehen und gehört hatte, oder ob er nur geträumt hatte.Er erzählte den anderen, was er wußte. Die staunten nicht schlecht.
„Warum hast du uns nicht geweckt?“ fragte Karlie verdrießlich, der Harponicht abkaufen wollte, daß er als Wachmann eingeschlafen war undobendrein noch einen halben Wald Holz abgesägt hatte. Aber damit kam er
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bei Brim und Anca nicht durch: Daß er schnarchte wie ein Weltmeister, daswußten sie alle nur zu gut.
„Ich war mir nicht sicher“, sagte Harpo und wurde sogar ein bißchen rotdabei. „Ich wollte mich nicht lächerlich machen und euch mit irgendwelchenEinbildungen den Schlaf rauben.“
„Ach, ist doch auch egal“, lenkte Karlie wieder ein. „Ich schlage vor, daß wirjetzt einmal zünftig baden gehen, im Bach dort drüben. Mensch, Leute: Wißtihr überhaupt, daß dies unser erstes Bad im wilden Pionierland ist ...“
Jubelnd liefen die anderen ihm nach, hatten gegen seine langen Beine aberkeine Chance.
Doch der Bach war trocken.Entsetzt standen die vier Freunde vor dem leeren Bachbett. Am Abend zu
vor hatte es dort noch so lustig geplätschert. Erst jetzt fiel ihnen auf, daß esihnen vorhin schon ungewöhnlich still vorgekommen war. Natürlich, dasMurmeln des Baches hatte gefehlt.
„Das ist doch ...“ sagte Anca verblüfft. „Ich glaub’, mein Schwein pfeift!“„Wwwwwasser ist weg!“ Brim rieb sich die Augen, als dürfe er ihnen nicht
mehr trauen. Aber davon kehrte das Wasser auch nicht zurück.Harpo biß sich nervös auf die Unterlippe. Es wurde ja wirklich immer ver
zwickter! Kam es am Ende doch so, wie Thunderclap es mit düsteren Farbengeschildert hatte? Stellten die untergeordneten Maschinen nach und nachdie Arbeit ein? Das Wasser war versickert, weil die Pumpen nicht mehr liefen.Und die Pumpen liefen nicht mehr, weil die Energie ausblieb, mit denen sieangetrieben wurden.
„Es ist kalt hier“, sagte Anca plötzlich und rieb sich fröstelnd die Arme. „Ichglaube, die Gruppe, die hier wohnt, ist schon lange weg. Vielleicht sind sie aufunser Deck hinabgestiegen?“
Auch die anderen meinten nun, daß es lange nicht mehr so warm wie amVortag war. Die Sonne strahlte zwar noch immer, aber es kam ihnen so vor,als hätten die Strahlen an Intensität verloren. Und zog sie nicht ein wenigdunkler als gewöhnlich ihre Bahn am Himmel des Decks? Und sah sie nichtsogar kleiner aus als sonst?
Schnell packten Harpo, Anca, Karlie und Brim die Sachen und machtensich auf den Rückweg zum Antigrav. Sie zweifelten nun nicht mehr daran,daß auf Deck 28 bald eine Katastrophe ausbrechen würde.
Der Weg führte sie diesmal am Ufer des ausgetrockneten Baches entlang.Hier konnten sie am ehesten damit rechnen, auf Angehörige der anderenGruppe zu stoßen. Sie fanden mehr als hundert leblose Plastikfische, die ander trockenen Landluft bereits steif geworden waren und sich wie poröseGummiklumpen anfühlten. Harpo steckte einen davon in seinen Rucksack,um ihn Thunderclap zu zeigen.
An der Basis hatte sich nichts verändert. Ein Eichhörnchen lief zutraulichauf die Kinder zu und sprang auf Ancas Hand, als das Mädchen sich hinabbeugte. Das kleine Robotwesen wirkte verstört, als könne es die veränderteWelt nicht mehr begreifen.
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„Armes kleines Maschinchen“, meinte Anca. Als sie in dem dunklen Lochverschwanden, um nach einem anderen Deck zu schweben, glaubte Harpozwischen den Gebüschen in der Nähe der Basis eine schattenhafte Gestalt zusehen, die sich eilig wegduckte.
Aber sicherlich war es nur eine Einbildung.Deck 00029000: Hier war es duster wie in Harpos Hosentasche. Die
Freunde steckten die Nasen durch die Schachttür und gingen einige Meterweit. Harpos Taschenlampe blitzte auf. Karlie fluchte und fiel hin. Als erwieder aufstand, hielt er einen Rucksack in der Hand.
„Mann!“ schimpfte er. „Kannst du denn nicht besser aufpassen, Harpo?“„Ich?“ machte Harpo erschreckt. „Ich habe doch gar nichts ...“„He, Moment!“ rief Karlie plötzlich. „Ist das etwa gar nicht dein Rucksack,
über den ich gerade gestolpert bin?“Harpos Lampe warf einen Lichtkegel auf einen grünen Beutel. Ein Namens
schild baumelte daran. Derjenige, der ihn verloren hatte, trug den NamenLori Powitz. Aber Lori Powitz konnte natürlich auch ein Mädchenname sein.
„Hier ist niemand mehr. Wahrscheinlich ist der Beutel auf der Flucht verloren worden. Wir nehmen ihn mit“, entschied Karlie.
Deck 00030000: Dieses Deck war, wie die Kinder auf den ersten Blick feststellten, noch nicht einmal voll ausgebaut. Ein riesiger schwarzer Raum, derkein Ende zu haben schien, erstreckte sich vor ihnen. Neben dem Eingangstanden mehrere Baumaschinen und einige hundert Kisten und Materialstapel.
Das Deck wirkte wie eine riesige, leere Blechkiste, war farblos und rochnach rostigem Stahl.
Angewidert rümpfte Brim die Nase. „Bauststelle“, meinte er geringschätzig. „Nnnoch nnnicht fertig!“
„Wollen wir noch weitergehen?“ fragte Anca. Sie begann allmählich unruhig zu werden. Was würde sein, wenn sie den Rückweg nicht mehr fanden?Wenn der Antigrav aussetzte, wie die Pumpen unter dem Bächlein ausgesetzthatten? Es war nicht auszudenken!
Was sie am meisten beschäftigte, war die Frage, wo die anderen Kindersteckten. Zumindest auf den Decks 28 und 29 hatten welche gelebt, das standfest, denn Micel konnte gelegentlich die Gedanken anderer empfangen.Waren sie noch weiter nach oben gefahren? Oder hatten sie den Weg abwärtsgenommen und befanden sich schon längst in sicherer Obhut bei Thunderclap und den anderen?
Das bekannte Unbekannte
„Ein Deck durchsuchen wir noch“, hatte Harpo vorgeschlagen. Die Überraschung der Kinder war groß, als sie feststellten, daß sich dieses Deck
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00031000 von allen, die sie bisher besucht hatten, unterschied. Zunächst einmal gab es hier kein freies Land. Sie passierten das Tor der Einstiegsröhreund stießen auf eine weitere Tür. Im Gegensatz zu denen, die sie bisherkennengelernt hatten, schien sie aus Holz oder Plastik zu sein. Sie besaßkeine Klinke, sondern nur eine kreisrunde, einen Zentimeter versetzte Vertiefung, über der ein kleines Schild angebracht war.
DRÜCKEN stand darauf.Karlie faßte sich ein Herz und preßte seinen Daumen gegen die Scheibe.
Sie gab nach. Sanft schwang die Tür auf. Dahinter lag ein enger Korridor imHalbdunkel. Vereinzelte Notlichter brannten. Mehr als zwei Dutzend Türenzweigten von dem Korridor ab, und auf jeder befand sich ein Schild. Aufgeregt liefen die Freunde den Gang entlang und lasen:
METEORITENKONTROLLEASTROGATIONSZENTRALE III
NACHSCHUBDEPOT EINHEIT BVIIIDas waren mehr als seltsame Wortkombinationen. Keines der Kinder
verstand so recht, was die Namen zu bedeuten hatten, aber ein jedes vermutete, daß sich Bedeutsames dahinter verbarg.
„Ob das die Zentrale der Alten ist? „ fragte Anca schüchtern. Ihr kam dieTotenstille unheimlich vor.
Karlie zeigte auf eine elektrische Uhr am Ende des Ganges. Ihre Zeigerstanden auf zwanzig nach vier, wie die Uhr auf ihrem Deck.
„Hier ist bestimmt niemand mehr“, vermutete Harpo. Er legte beide Händetrichterförmig an den Mund und schrie: „Hallo? Ist da jemand? Hallo!“
Keine Antwort. Nun versuchten sie es gemeinsam. Mehrere Minuten langbemühten sich die Kinder, eventuelle Bewohner des Decks auf sich aufmerksam zu machen, aber ohne Erfolg. Erschöpft hielten sie inne.
Sie berieten eine Weile, was sie tun sollten. Karlie machte den Vorschlag,die einzelnen Türen zu öffnen und nachzusehen, was sich in den dahinterliegenden Räumen verbarg. Sie hatten ein bißchen Angst vor dem Unbekannten. Oder auch nur vor einer strengen Stimme, die rufen mochte:„Verschwindet! Ihr habt hier nichts zu suchen!“
Aber schließlich zögerten sie nicht länger – und hatten Glück. Bereits dieerste Tür war unverschlossen. Neugierig steckten sie ihre Köpfe durch denTürspalt. Die Wände wurden von Regalen verdeckt, auf denen unzählig vieleMetallkisten lagerten. Es war ungemütlich kalt in dem Raum, und er besaßkeinerlei Bullaugen, durch die man in den Weltraum schauen konnte.
In der Mitte stand ein hufeisenförmiger Metalltisch, davor ein gepolsterterSchwenksessel. Auf der Tischplatte lagen allerlei Papiere verstreut.
„Pschscht!“ machte Brim plötzlich und legte einen Finger quer vor dieLippen. „Hört ihr?“
Die Gruppe erstarrte augenblicklich und horchte. Waren das nicht ...? Natürlich, vom Gang her näherten sich Schritte. Atemlos starrten die Kinder zurTür, die einen Spalt offen stand. Ein Schatten fiel durch den Türspalt in den
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Raum. Langsam wurde die Tür aufgezogen. Eine kleine Gestalt erschien inder Türfüllung.
„Ollie!“ stieß Anca überrascht und erlöst hervor und eilte auf den Jungenzu.
„Wie kommst du denn hierher?“ fragte Harpo verdutzt.„War mir zu langweilig“, meinte der kleine Oliver, nachdem er sich aus An
cas Armen befreit hatte. „Da hab’ ich mir gesagt, guckste mal, was die Kumpels so treiben.“
„Mann, du hast ‘ne Art, zu antworten“, schimpfte Karlie.Nach einigem Hin und Her gelang es Harpo und Anca, aus dem kleinen
Oliver herauszulocken, daß er allein zum Antigrav gegangen war und zufälligZeuge wurde, wie sie von Deck 30 auf 31 überwechselten. Da er wie ein Fuchsaufgepaßt hatte, wie die Grünen den Lift bedienten, machte er sich keinegroßen Gedanken über die Gefahren eines Antigravlifts und war denFreunden gefolgt.
Nachdem sich die Aufregung über den Neuankömmling gelegt hatte, studierten sie gemeinsam den Raum. Mißtrauisch näherte sich Ollie den Papieren, in denen er Rechenaufgaben vermutete. Überrascht erkannte er, daßes sich um Listen handelte, auf denen jemand etwas mit einer schwer leserlichen Handschrift eingetragen hatte.
„MilchpulverBestand“, las er mühsam buchstabierend. „He, was soll dassein?“
„Milchpulver braucht man für Kakao“, erwiderte Anca und hob eine weitere Liste auf, während die anderen sich neugierig mit den Regalen beschäftigten. An den Kisten waren Etiketten angebracht.
„Mann, ein Vorratsbunker!“ freute sich Karlie. „Und was es hier alles für leckere Sachen gibt.“
Mit der Zunge über die Lippen fahrend raste er an den Regalen entlang.„Salami, Eier, Mehl – Kartoffelpuffer!!“
Harpo stöhnte.„Das erinnert mich daran, daß ich einen ungeheuren Hunger habe“, fuhr
Karlie seufzend fort. „Könnten wir nicht ...“Er sah sich suchend um, konnte aber keine Kochgelegenheit entdecken.
Einstweilen schob er deshalb ein paar kalte Kartoffelpuffer in den Mund undkaute begeistert darauf herum.
Harpo, der eine Weile vor dem TischVisiophon gestanden hatte und sichnachdenklich das Kinn rieb, sagte plötzlich: „Mhmm, sagt mal – kommt euchdas hier nicht irgendwie bekannt vor?“
Die anderen schüttelten die Köpfe. „Wie meinst du das?“ fragten sie.„Ich weiß nicht“, meinte Harpo achselzuckend. „Aber mir kommt dieser
Raum merkwürdig vertraut vor. Als ob ich ihn schon einmal gesehen hätte.Dabei war ich sicher noch niemals hier. Vielleicht gab es mal einen ähnlichenRaum in einem Film – halt! Jetzt fällt es mir ein!“
Er klatschte in die Hände und stellte sich hinter das Visiophon. „DieseWand, diese Regale! Das war der gleiche Hintergrund, vor dem der schwarze
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Mann stand, den wir auf dem Bildschirm in der Basis der Grünen gesehenhaben.“
Er schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ja, so war’s. Ich erinnere mich jetztgenau. Von hier aus hat der Mann versucht uns anzurufen!“
„Klar!“ rief der kleine Oliver. Auch er glaubte, den Raum wiederzuerkennen.Nur Anca war sich nicht so sicher. Sie meinte, daß es auf dem Schiff sicherlich Dutzende von Räumen gab, die diesem hier ähnelten wie ein Ei demanderen.
Der kleine Oliver unterbrach den sich anbahnenden Streit, indem er plötzlich einen Zettel schwenkte und krähte: „Ich glaub’, hier hat jemand ‘n Briefgeschrieben!“
„Was?“ Schnell versammelten sich Harpo, Karlie Brim und Anca um denKleinen. Tatsächlich! Das Blatt war im Gegensatz zu den anderen nicht mitZahlen und einzelnen Worten bedeckt. „Gib her!“ Harpo riß dem Kleinen denBrief aus dem Hand und las mit gefurchter Stirn vor: „Es hat alles keinen Sinnmehr. Das Schiff wurde aus seiner Bahn gerissen, und niemand kannverhindern, daß es an den Planeten vorbei in die Unendlichkeit rast. Bis Hilfevon der Erde eintrifft, ist es längst zu spät. Habe versucht, mit der ZentraleVerbindung aufzunehmen. Aber sie können mich nicht verstehen, weil meinVisiophon defekt ist.“
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Harpo seine Freunde an. Karlie hattevor Aufregung die Zungenspitze zwischen die Lippen geschoben, währendAnca rote Flecken auf den Wangen bekam. Nur der kleine Oliver sah zutraulich zu den Großen auf, als erwarte er, daß sie ihm schon alles in einfacherenWorten erklären würden.
„Aus den Lautsprechern kommen laufend Alarmmeldungen“, las Harpoweiter. „Versuche, mit einer anderen Station Verbindung zu bekommen,blieben ohne Erfolg. Niemand meldete sich. Mein Gott, die armen Kinder!Man kann sie nicht mehr retten! Soeben kam der Befehl zum Verlassen desSchiffes. Alle Männer sammeln sich am Schleusenausgang BXII. DieRettungsboote sind startklar. Ich kann sie nicht erreichen, weil ich zu weitdavon entfernt bin. Mir bleibt nur eine Lösung: Ich nehme meinen Raumanzug und gehe durch eine Nebenschleuse in den Weltraum hinaus. Dortwarte ich auf Hilfe, bis sich Rettungseinheiten von der Erde nähern. Gott stehmir bei, ich weiß: Was ich vorhabe, ist der reine Selbstmord!“
Harpo fror plötzlich. Hier stand es schwarz auf weiß. Ihre Vermutung warbestätigt worden. Die Alten hatten das Schiff verlassen, ohne sich um dieKinder zu kümmern. Wenn Fidel davon erfuhr, war das Wasser auf seineMühlen.
Mit blassem Gesicht fragte Anca: „Wir – wir sind wirklich allein? Ganzallein?“ Sie schien es immer noch nicht glauben zu wollen.
Behutsam legte Ollie einen Arm um die Hüfte des viel größeren Mädchens.„Ich beschütze dich, Pummelchen“, meinte er tröstend. „Du weißt ja, daß ichdich später mal heiraten will.“
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Die Worte des Kleinen hätten Harpo und die beiden anderen Jungen normalerweise zum Lachen gebracht, aber im Moment war ihnen nicht danachzumute.
„Halten wir dieses eine mal fest“, sagte Harpo, während er sich ermattet inden Schwenksessel fallen ließ und den Kopf in beide Hände stützte: „DasSchiff stürzt nicht ab!“
„Genau“, meinte Karlie erleichtert. „Aber was bedeutet das für uns?“„Daß wir eben nicht mit abstürzen“, versetzte Harpo, jetzt wieder ein leich
tes Lächeln hervorbringend. Er musterte seine Freunde der Reihe nach. „Wirsind gekommen, um in Erfahrung zu bringen, was wirklich geschehen ist undwie wir uns helfen können. Die erste Frage ist geklärt. Das zweite Problemsteht noch vor uns. Wollen wir weitergehen?“
Sie entschlossen sich nach einer kurzen Diskussion zur vorläufigen Rückkehr auf Deck 27. Thunderclap und die anderen warteten sicher schon aufsie. Genauere Nachforschungen konnte man auf später verschieben: etwa,wohin das losgerissene Schiff trieb ...
Außerdem war eine Rückkehr schon aus dem Grund dringend notwendig,weil sie nicht wußten, wie es mittlerweile auf Deck 27 aussah. Ollie war zwarnoch kürzlich dort gewesen, aber auch er war seit vielen Stunden auf Entdeckungsreise. Die Situation konnte sich schnell verändern. Im Grunde war dieLage hier oben ziemlich besorgniserregend. Vielleicht stand es auch im Talder Wigwams nicht zum besten. Und es war kaum vorstellbar, daß die Zurückgebliebenen sich helfen konnten, wenn die stärksten Kinder nicht bei ihnen waren.
Langsam schwebten sie im Antigravschacht abwärts, ihrer alten Heimatentgegen.
Eine böse Überraschung
Das unsichtbare Feld der Antischwerkraftlinien umfing die Gruppe wie einsanftes Netz und trug sie programmgemäß nach Deck 27 zurück. Dortverharrte es regungslos. Die Sicherheitsschaltung verhinderte die Entstabilisierung auch dann noch, als mit dem kleinen Oliver längst der letzteder Freunde zum Einstiegstunnel hinübergerudert war.
Irgendwie war es doch ein schönes Gefühl, wieder die altvertraute Umgebung zu erblicken, selbst wenn sie zunächst nur aus einigen Hütten, einemalten Ziehbrunnen und zwei leblosen, im Staub liegenden Roboterkörpernbestand.
Ohne sich weiter bei der stillgelegten Basis der Grünen aufzuhalten, marschierte die Fünfergruppe zügig dem Tal der Wigwams zu. Karlie spielte denAnführer. Da er die längsten Beine hatte, machte er naturgemäß auch die
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längsten Schritte. Die anderen hatten Mühe, ihm zu folgen und forderten ihnschließlich mehrmals auf, das Tempo zu drosseln.
„Pah!“ machte Karlie verächtlich und sah auf seine Gefährten herab. Fürihn waren das nur Knirpse. Aber er sah ein, daß es ihnen schwerfiel, Schrittzu halten. „Dabei schreite ich doch wirklich nur ganz gemächlich aus“,murmelte er. Immerhin wurde er für eine Weile langsamer.
Als er sich einmal zu den anderen umwandte, verhielt er allerdings so abrupt mitten im Schritt, daß Brim gegen seinen Bauch prallte und Ollie mitdem Kopf an Brims Rücken stieß.
„Bist du jeck?“ beschwerte sich Ollie und rieb sich die Stirn. „Ich habemeine letzte Versicherungsprämie noch nicht bezahlt!“ Er verstummte jedoch genau wie die anderen, als er Karlies verdutztes Gesicht bemerkte.
„Ich sehe was, was ihr nicht seht“, erklärte Karlie väterlich. „Und das ist –rot!“ Er starrte grinsend über die Köpfe der „Knirpse“ hinweg nach hinten.Alle sperrten die Augen auf.
Harpo entdeckte als erster, was Karlie gesehen hatte. Fünfzig Meter hinterihnen stand ein Mädchen zwischen den bunten Plastiksträuchern und sah zuihnen herüber. Es trug eine rote Bluse und Jeans von der gleichen Farbe. Mittellanges, hellblondes Haar umrahmte ihr Gesicht.
„Zwick mich“, flüsterte der kleine Oliver.Als hätte das Mädchen diese beiden leise hervorgestoßenen Worte gehört,
machte es eine unerwartete Wendung und sprang seitlich in die Büsche. Sietauchte im Blättergewirr unter.
„He, warte doch!“ rief Harpo.„Ich hole sie“, meinte Karlie und wetzte mit seinen langen Beinen den Weg
zurück. Er verschwand genau an der Stelle im Dickicht, wo sie das unbekannte Mädchen gesichtet hatten. Es dauerte eine Weile. Die Gruppe verharrte inatemloser Spannung.
Dann tauchte er zwischen den Sträuchern wieder auf wie der Turm einesUnterseeboots. Aber er war allein. Ratlos zuckte er die Schultern.
„Ich habe sie noch aus der Nähe gesehen“, gab er bedauernd zu, „aberdann war sie wie vom Erdboden verschwunden.“
„Schon gut“, beruhigte ihn Harpo. „Sicherlich gehört sie zu einer Gruppevon Kindern, die von einem anderen Deck hierher ins Tal gekommen sind.Paßt mal auf – wir sehen sie dort gewiß wieder.“
„Warum ist sie denn abgehauen?“ fragte Anca.„Du irrst dich bestimmt“, antwortete Karlie mit der überlegenen Miene
eines Eingeweihten, der Unwissenden ein Geheimnis erläutern will. „Das warnämlich gar kein Mädchen. Das war eine Alte!“
„Waaas?“ kam es wie aus einem Munde.„Na ja“, schränkte Karlie verlegen ein, „vielleicht keine ganz alte Alte. Aber
ich habe ihr Gesicht deutlich gesehen. Die war erwachsen! Mindestens neunzehn Jahre alt, vielleicht sogar zwanzig!“ Er sagte das in einem Tonfall, alsspreche er von einer Zweihundertfünfzigjährigen.
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Kopfschüttelnd meinte Harpo: „Wirklich?“ Aber er war mit seinen Gedanken nicht ganz bei der Sache. Irgend etwas an diesem seltsamen Mädchen kam ihm bekannt vor. Waren es ihre Augen gewesen? Mein Gott,vielleicht spielte ihm seine Phantasie nur einen Streich, aber auf rätselhafteWeise fühlte er sich jetzt an die brennenden Augen erinnert, die ihn in derletzten Nacht auf Deck 28 aus dem Dunkel heraus beobachtet hatten. Undaußerdem ...
„Wir gehen jetzt erst mal weiter“, schlug er vor. „Später können wir unsimmer noch um – um das Mädchen kümmern.“
Irgendwie paßte es Harpo nicht, den Ausdruck „Alte“ für die Erwachsenenzu verwenden. Er war jetzt sechzehn. Schon heute fühlte er sich selbst nichtmehr sicher, ob er noch zu den Kindern oder schon zu den Erwachsenenzählte. Auf jeden Fall würde er eines Tages ein Erwachsener sein. Jeder wurdeerwachsen, und meist ging das so schnell, daß man gar nichts davon bemerkte.
Aber deshalb mußte man doch nicht automatisch ein ganz anderer Menschwerden? Warum sollte er dann zu seinen Freunden nicht genauso stehen wiejetzt?
Wenn der kleine Oliver in Harpos Alter kam, würde er selbst schon einundzwanzig sein – und damit nach ihrer heutigen Auffassung unvorstellbaralt. Irgend etwas stimmte nicht an solchen pauschalen Einordnungen, fandHarpo. Und je mehr er darüber nachdachte während des Weitergehens, destokomischer kamen ihm die Wörter „alt“, „jung“, „Kinder“ und „Erwachsene“vor. Wie kam es überhaupt, daß einige Leute solche Einteilungen für wichtighielten? Wer hatte ein Interesse daran? Wollte man mit diesem Blödsinn vonanderen Einteilungen ablenken, die entscheidender waren? Harpo erinnertesich daran, was sein Vater ihm einst erzählt hatte: Für ihn hatte es nur zweiSorten von Menschen auf der Welt gegeben, nämlich eine kleine Gruppe mitviel Geld und viel Macht und eine riesengroße andere Gruppe mit wenig Geldund ohne Macht. Und das hatte ihm eingeleuchtet.
„Es ist wirklich eigenartig“, murmelte Karlie während des angestrengtenMarschierens durch den Plastikwald, „... diese Alte, dieses erwachsene Mädchen ... sie hatte, glaube ich, richtige Angst vor mir. Unheimliche Angst.Wenn ich ehrlich bin, tat sie mir sogar ein bißchen leid – obwohl sie zu denAlten gehört.“
Angst? Jetzt rastete etwas in Harpos Gehirn ein. „Ich hab’s“, rief er. „DiesesMädchen hat Anca und mich in den geheimnisvollen Räumen hinter derWandung von Deck 27 überrascht, und ich bin sicher, daß sie es auch war,die mich aus der Dunkelheit angestarrt hat. Sie muß uns gefolgt sein. Aberwarum nur?“
Nachdem sich die Aufregung über diese Entdeckung gelegt hatte, stapftenwieder alle schweigend hinter dem Riesenjungen her.
Also haben doch nicht alle Erwachsenen das Schiff verlassen, überlegteHarpo. Aber warum nicht? Hatte man das seltsame Mädchen vergessen? Oder
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hatte auch sie es nicht bis zu den Rettungsbooten geschafft, wie der Schwarzeam Visiophon?
Irgendwie war ihm das alles nicht recht klar. Und schon gar nicht konnteHarpo verstehen, weshalb sich das Mädchen vor ihnen versteckte.
Sie erreichten das Tal der Wigwams. Aber war das überhaupt noch ihr Tal?„Das ... das kann ich gar nicht fassen“, stöhnte Karlie entsetzt. Er bekam
den Mund vor Überraschung gar nicht mehr zu.„Ich schnalle ab!“ schrie der kleine Oliver wie verrückt.„Was ist denn hier passiert?“ rief Harpo mit zitternder Stimme. Er wollte
nicht glauben, was er sah. „Micel! Thunderclap! Lucky!“ schrie er aufgeregt.„Lonzo! Fantasia! Trompo! Fidel!“ ergänzte seine Schwester mit ängstlicher
Stimme. Ihre linke Hand krallte sich in Harpos Arm.Niemand antwortete.Niemand eilte ihnen entgegen.Die Gruppe schlich in das Tal. Nicht wie ein fröhlicher Haufen, der mit
einem Sack voll aufregender Geschichten von einer spannenden Entdeckungsreise zurückkehrte, sondern wie ein Rudel geprügelter Hunde.
Je näher sie den Wigwams kamen, desto offensichtlicher wurde, daß sie ausder Ferne keinem Trugbild aufgesessen waren.
Die Wigwams lagen zerstört am Boden, die Tür zum Vorratsbunker standsperrangelweit offen. Wer immer dies getan hatte: Es sah aus, als seienVandalen durch das Lager gezogen, die alles dem Erdboden gleichgemachthatten.
Auf der Erde hätte man einen Orkan für die angerichteten Schäden verantwortlich machen können, aber an Bord des Schiffes gab es nichts weiter alseinen sanften Luftzug aus den Ventilatorschächten der Klimaanlage.
„Das ... ist gemein!“ heulte Anca und suchte in den Trümmern. Es gab nichteine Zeltstange, die nicht mehrfach gebrochen war, und keinen Fetzen Leinwand, der größer war als ein Handtuch. Der Lagerplatz glich einem Trümmerfeld, über und über besät mit zerschlitzten Zelt und Kleidungsstücken.
Über diese Trümmer einst nützlicher Gegenstände hatte man alle Kistenund Kartons aus dem Vorratsbunker entleert: Mehl, zerbrochene Hartwürste,zerteilte Kartoffelpuffer, Erbsen, Bohnen, Eipulver, Vitaminpillen, Synthosteaks und anderes mehr. Das Mehl hielt die Abdrücke etlicher Füße fest, dieoffenbar in das Chaos hineingestampft hatten, um unbrauchbar zu machen,was noch nicht zerstört worden war.
„Wo sind unsere Freunde?“ Harpo stellte die wichtige Frage. Doch so sehrsie die nähere Umgebung des Lagers auch absuchten: Sie fanden nicht diegeringste Spur von ihnen. Nicht einmal einen Hinweis oder eine zurückgelassene Nachricht.
Harpo überlegte angestrengt. Er fühlte sich überfordert. Dennoch mußtensie sich rasch etwas einfallen lassen.
„Ich beantrage, daß wir auf der Stelle eine außerordentliche Ratsversammlung einberufen“, sagte er schließlich zögernd. Die Freunde stimmten zu.
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Jetzt mußten sie überlegen, wie man aus dieser verfahrenen Lage herauskam.Einige Meter abseits vom Ort der Zerstörung setzten sie sich ins Gras.
„Wir stehen einem neuen Rätsel gegenüber“, begann Harpo. „Zum erstenMal wird unsere Gruppe offen bedroht. Wenn ich das richtig sehe, sind unsere Freunde von Unbekannten überfallen und verschleppt worden. Alles istzerstört. Wenn wir nicht andere Vorräte entdeckt hätten, müßten wir jetzt sogar verhungern.“
„Wir müssen Thunderclap und die anderen befreien!“ forderte Karlie undschlug mit seinen Riesenfäusten in das künstliche Gras.
„Dazu müssen wir überhaupt erst einmal rauskriegen, wo sie gefangengehalten werden“, warf Brim fließend ein.
„Richtig!“ bekräftigte Anca, und der kleine Oliver nickte eifrig.„In Ordnung“, stimmte Harpo zu. „Wir suchen das ganze Deck ab. Aber wir
müssen dabei vorsichtig sein! Ab sofort darf keiner von uns allein durch dieGegend strolchen.“ Seine Stimme wurde zu einem Flüstern, als er sich zu seinen Freunden vorbeugte: „Unsere Feinde können überall lauern. Bewegenwir uns schlau, wachsam und geräuschlos wie die Indianer auf dem Kriegspfad!“
„Au ja!“ brüllte der kleine Oliver und stieß ein mordsmäßiges Indianergeheul aus. Anca warf sich erschrocken auf ihn und wollte ihm den Mund zuhalten, aber Karlies Riesenhände hatten den Kleinen schon erwischt undbedeckten fast den gesamten Kopf. Ollie gurgelte nur noch.
Harpo seufzte. Das waren ja wirklich nette Indianer! Wie sollte er ihnen nurklarmachen, daß es diesmal nicht um ein Spiel ging?
Karlie wurde als erster wieder vernünftig. Er zischte heftig: „Ruhe!“ undzerrte die beiden auseinander. Kurz darauf hielt er je einen zerzaustenGegner am Schlafittchen und hielt die Arme weit auseinander.
„Laß mich los, du langer Lulatsch“, zeterte der kleine Oliver und zielte mitseinen winzigen Fäusten nach Karlies Nase, die allerdings fast einen halbenMeter von ihm entfernt war. Anca machte eine Miene wie ein Kätzchen, dasam Nackenfell hochgehalten wird, und es war für Brim und Harpo nicht ganzklar, ob sie im nächsten Moment lachen oder weinen wollte. Sie entschiedsich fürs Lachen. Dafür heulte der kleine Oliver auf, als Karlie dessen Aufforderung wörtlich nahm und ihn ins Gras plumpsen ließ.
„Ja, ist denn bei euch der Teufel los“, explodierte Harpo. „Ollie, hör sofortauf zu weinen. Und du auch, Pummelch...“ Er verstummte im letzten Augenblick, aber dieser Ausspruch hatte auch so seine Wirkung nicht verfehlt.
„Du sollst das Pummelchen nicht immer Pummelchen nennen“, japsteOllie. „Wo sie mich doch heiraten will!“ Er schniefte gewaltig durch die Nase,während Anca ihrem Bruder einen giftigen Blick zuwarf.
„Nun hört mal gut zu“, sagte Harpo entschlossen. „Die Leute, die unsereWigwams in Fetzen gerissen haben, verstehen absolut keinen Spaß. Wenn dienoch hier in der Gegend sind und uns hören, dann wette ich, daß sie uns verprügeln. Vielleicht stellen sie sogar noch Schlimmeres mit uns an. Wir
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müssen den Unfug jetzt für ‘ne Weile sein lassen, weil uns das alle in Gefahrbringt. Klar?“
„Wer hat uns das bloß angetan?“ fragte Brim erneut. Er kam immer nochnicht darüber hinweg, daß man die Wigwams in Grund und Boden gestampfthatte und die Freunde verschwunden waren.
„Ob ... sie es war?“ schnüffelte Anca und deutete über die Schulter auf denTaleingang, wo gerade der Schopf des rotgekleideten Mädchens verschwand.„Warum verfolgt sie uns denn nur?“
„Sie allein?“ zweifelte Harpo. Das konnte er sich beim besten Willen nichtvorstellen. Sicher wären Fidel und Fantasia mit ihr fertig geworden, wenn siedas Lager alleine überfallen hätte. „Nein, nein, das glaube ich nicht.“
„Aber es könnten mehrere Alte gewesen sein, nicht?“ beharrte Karlie stur.„Ich meine, vielleicht sind noch andere Erwachsene an Bord geblieben? Oderverrückt gewordene Grüne, die Amok laufen?“
„Mal bloß nicht den Teufel an die Wand“, meinte Anca erschreckt. „Laßuns lieber überlegen, was wir jetzt tun. Ich schlage vor, daß wir erst mal allesuntersuchen, was hier rumliegt. Vielleicht können wir doch noch was davongebrauchen. Und wenn es nur für ein Mittagessen reicht. Ich habe nämlicheinen unheimlichen Hunger!“
„Bravo!“ rief Karlie.„Eeendlich ein vernünftiger Vvorschlag“, fand Brim.„Und anschließend suchen wir gemeinsam die anderen“, stimmte Harpo
zu. „Und wenn wir jeden Stein einzeln umdrehen müßten: Wir werden siefinden!“
Die Kinder beendeten die Konferenz, weil keine anderen Wortmeldungenmehr kamen. Sie machten sich daran, den Trümmerhaufen nach brauchbaren Überresten zu durchwühlen.
Trauriger Abschied und fröhliches Wiedersehen
Als sie von der Suche in das Tal der Wigwams – das sie jetzt schon als das„Tal der Trümmer“ bezeichneten – zurückkehrten, hoffte Harpo insgeheim,daß sich alles als böser Spuk erweisen würde. Daß im Lager wieder Lebenherrschte, daß die Wigwams wieder aufgebaut wären und Thunderclap undFidel fröhlich winkten.
Aber die Wirklichkeit sah leider anders aus. Die traurigen Überreste derZerstörung lagen noch immer so da, wie sie sie vor Stunden verlassen hatten.
Sie hatten Deck 27 von Norden nach Süden und von Westen nach Ostendurchkämmt. Und doch hatten sie keine Spur von den Verschwundenen entdecken können. Der Plastikwald schien sie und die geheimnisvollen Feindeverschluckt zu haben.
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Wahrscheinlicher war allerdings, daß sie der Antigravlift verschlungen undin unbekannten Decks wieder ausgespuckt hatte. Abgesehen von einigen Robottierchen hatten sie nur ein einziges Lebewesen hin und wieder in der Ferne entdeckt: jenes erwachsene Mädchen, das ihnen wie ein Schatten folgteund immer vorsichtig an ihren Fersen klebte, gelegentlich durch das aufblitzende Rot ihrer Kleidung signalisierend, daß es noch in der Nähe war.
Die Einsamkeit und das Trümmerfeld bedrückte die Gruppe. Hier konntensie nicht bleiben. Außerdem mußten sie sich Lebensmittel besorgen. Und aufgar keinen Fall wollten sie ihre Freunde für immer abschreiben. Sie faßtenden Entschluß, Deck 27 zu verlassen.
„Haben wir alles?“ fragte Karlie. Die Frage war eigentlich überflüssig, denner hatte selbst am schärfsten darüber gewacht, daß sie jeden noch verwertbaren Krümel von einem Kartoffelpuffer einpackten.
Schweigend nahmen die Kinder ihre Rucksäcke und machten sich auf denWeg. Alle hatten ein komisches Gefühl dabei, als sie zum letzten Mal durchden Plastikdschungel gingen. Dieses Deck war für sie alle eine Art zweiterHeimat geworden, in der sie jeden Strauch und jeden einzelnen Felsen kannten. Und jetzt mußten sie sie unter sehr traurigen Bedingungen aufgeben.
„Fräulein Unbekannt folgt uns immer noch“, meldete Karlie, der zurückgeschaut hatte.
„Sie wird sich nun bald entscheiden müssen, ob sie mit uns kommen oderganz allein hier bleiben will“, meinte Harpo. Er konnte das seltsame Verhalten der Verfolgerin nicht verstehen. Ob sie vielleicht krank war, so wie Lucky?
„Wir hätten eine Nachricht hinterlassen sollen“, meinte Anca.Und Brim fügte hinzu: „Ffür den Ffall, daß sich die anderen alleine
befreien und zurückkkommen.“„Keine schlechte Idee“, sagte Harpo. „Laßt uns ...“Aber dann fiel ihm ein, daß sie ja selber noch nicht wußten, wohin sie ge
hen wollten. Was sollten sie ihren Freunden also mitteilen? Er äußerte seineBedenken laut.
„Und außerdem“, schloß sich Karlie an, „können auch die Leute zurückkommen, die alles kaputtgeschlagen haben. Denen würden wir mit einerNachricht verraten, wo wir uns aufhalten.“
„Ich weiß was Besseres“, meldete sich nun Anca. Sobald wir ein neues Zuhause gefunden haben, bringen wir einen Hinweis auf der Basis der Grünenan. Irgendwas, das unsere Freunde verstehen. Uns wird schon etwaseinfallen. Thunderclap ist im Entschlüsseln von Geheimschriften ganz großeKlasse!“
Harpo dachte daran, daß die Anzeige des Antigravlifts auch jedem Verfolgeranzeigen konnte, wohin sie unterwegs waren. Aber nein, das stimmte nicht.Fremde konnten nur mit dem Lift auf Deck 27 gelangen – und mit ihrerAnkunft löschten sie die letzte Anzeige des Antigravs.
„Also eines wundert mich“, grübelte der kleine Oliver halblaut.„Und?“ fragte Anca nach.
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„Der Rollstuhl! Thunderclaps Elektroauto! Wo ist das Ding geblieben, he?Ich meine, es is’ doch ungeheuer schwierig, das Fahrzeug mittenmang durchdas Gestrüpp zu kutschieren.“
„Mensch, Ollie“, lobte Harpo, „du bist ja heute richtig clever!“Daß sie im unverwüstlichen Plastikgrün keine Spuren gefunden hatten, war
nicht weiter verwunderlich. Aber daß der Rollstuhl ebenso fehlte wie dieFreunde, gab ihnen wirklich zu denken. Denn es existierte nämlich keindurchgehend befestigter Weg vom Tal der Trümmer zur Basis der Grünenund zum Lift! Schwammiger Kunstsand machte weite Wegpassagen für einenRollstuhlfahrer nahezu unpassierbar. Darüber hatte sich Thunderclap mehrals einmal lautstark beklagt. Gewiß, man konnte den Jungen tragen, er wog janicht sehr viel. Aber warum sollte man sich die Mühe gemacht haben, auchden schweren Rollstuhl mitzuschleppen? Das war doch nicht eben typischfür Leute, die sonst alles kaputtmachten.
An der Basis der Grünen machten sie halt. Bislang hatten sie nur den Gedanken, das Deck verlassen zu müssen, auf der Suche nach ihren Freundenund nach Nahrung. Doch langsam wurde es Zeit, einen Plan zu erstellen, wiedie Suche organisiert werden konnte.
Das zweite Problem war insofern gelöst, da sie ja bereits ein Vorratslagergefunden hatten, auf das sie nach Belieben zurückgreifen konnten. Wenn esnicht in der Zwischenzeit ebenfalls verwüstet worden war. Aber wo sollten siemit der Suche nach den Verschwundenen ansetzen? Sie waren nur zu fünft.Gewiß: Harpo, Karlie und Brim konnten nicht eben als schmächtig bezeichnet werden – und es fehlte ihnen auch nicht an Mut. Das Dumme war nur,daß sie eigentlich gar keine Vorstellungen von ihren Gegnern hatten.Vielleicht waren drei kräftige Jungs nicht genug, um die Gefangenen zubefreien. Was dann?
Unschlüssig hatten sie ihre Lasten neben den leblosen Grünen niedergelegtund warteten darauf, daß einem von ihnen ein genialer Einfall kam. Aberwenn man auf so etwas angewiesen ist, kann man meistens sehr langewarten ...
„Das führt doch alles zu nichts, wenn wir uns hier die Beine in den Bauchstehen und Löcher in die Luft stieren“, sagte Harpo schließlich. Er hatte einbißchen Angst davor, daß der anfangs vorhandene Schwung, der heilige Zornüber die zerstörten Wigwams und die verstreuten Speisen und die entführtenFreunde bei dem untätigen Herumsitzen schnell wieder verpuffte. „Wirmüssen ganz fest dran glauben, daß Manitu uns beisteht!“
„Uff!“ bestätigte Karlie. „Der schickt uns jede Menge Krieger aus denEwigen Jagdgründen, wenn’s brenzlig wird. Aber die brauchen wir gar nicht.– Sollst mal sehen, wie ich unter den Brüdern aufräume, wenn ich sie erwische.“
Harpo sah etwas zweifelnd auf den dürren Riesen, aber Karlies Einstellunggefiel ihm.
„Wenn man mich reizt“, knirschte der kleine Oliver, „kann ich ein Schweinsein!“ Er trommelte mit seinen winzigen Fäusten auf seine Hühnerbrust und
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demonstrierte mit gefletschten Zähnen, tänzelnden Schritten und schnellenHaken einem Schattengegner, wie ernst er es meinte.
Alle lachten. Der kleine Mann in der Lederhose als Cassius Clay des einundzwanzigsten Jahrhunderts – das war denn nun doch zu lustig.
„Na gut“, sagte Harpo lachend. „Brechen wir also auf. Da wir die Decks 28bis 31 schon kennen, sollten wir uns vielleicht mal um die darüber kümmern.Was meint ihr?“
Alle waren Harpos Meinung und griffen nach ihrem Gepäck. Einkratzendes Geräusch ließ sie mitten in der Bewegung verharren.
Was war das? Mit gefurchter Stirn ließ Harpo seinen Rucksack wieder sinken und blickte zu der Hütte hinüber, in der bis vor wenigen Tagen noch dieRobottierchen gehaust hatten.
„Habt ihr das auch gehört?“ flüsterte Karlie.„Vielleicht ist eins von den Tieren zurückgeblieben“, vermutete Anca und
wandte sich dem Einstieg der Röhre zu.„Nehmt mich mit“, piepste eine dünne Stimme aus der Hütte.Mit einem kleinen Überraschungsschrei warf Anca ihr Gepäck zu Boden
und rannte zu der Hütte. Ollie folgte ihr wie ein Sprinter bei einer Olympiadeund hätte sie vielleicht noch eingeholt, wenn er nicht über einen Stein gestolpert wäre. So bohrte er seine Nase in die Erde und schimpfte wie ein Rohrspatz.
„Trompo!“ riefen die Kinder wie aus einem Munde.Anca flitzte in die Hütte und kam Sekunden später mit dem winzigen Spiel
kameraden auf dem Arm zurück. Sie drückte ihn fest an sich, was dem MiniaturElefanten sichtlich gefiel. Er schnurrte wie ein Kätzchen und kitzelte mitseinem kleinen Rüssel vor Begeisterung Ancas Näschen.
„Wo hast du bloß gesteckt?“ tadelte Anca Trompo. Nachdem sie ausgiebigmit ihm geschmust hatte, entließ sie ihn aus ihren Armen. „Du humpelst ja!“stellte sie dann erschrocken fest. Trompo zog ein Bein leicht nach. „Wie istdenn das passiert?“
„Sie haben Steine nach mir geworfen“, klagte das kleine Wesen traurig.„Deshalb habe ich mich auch versteckt.“
„Wer hat das getan?“ fragte Karlie und begann drohend die Fäuste zuschwenken.
„Die Fremden“, trompetete Trompo schüchtern.Alle redeten jetzt durcheinander, wollten weitere Einzelheiten wissen.„Dann weißt du also, was geschehen ist, während wir weg waren, Trompo?“
setzte sich Harpo schließlich mit lauter Stimme durch. Trompo deutete einNicken an. „Seid jetzt mal alle ruhig! Trompo soll berichten!“
Und dies war Trompos Geschichte:Sie waren am Eingang des Tals aufgetaucht, am frühen Morgen nach dem
Aufbruch der Expedition. Entweder waren sie im Dunkeln aus dem Antigravlift geklettert – oder sie hatten bereits die Nacht im Plastikwald verbracht. Aufjeden Fall überraschten sie die zurückgebliebenen Talbewohner.
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Ungefähr zwanzig Jungen und Mädchen im gleichen Alter wie die Kinderaus dem Wigwamtal standen plötzlich vor den Schläfern, als diese die Augenaufschlugen.
Im ersten Moment kam es noch nicht zu offenen Feindseligkeiten, obwohlsich vor allem Thunderclap maßlos über den Anführer der Fremden ärgerte,der arrogant seine eigenen Leute wie auch die Talbewohner herumzukommandieren begann.
Er befahl, daß ein gutes Essen für ihn und seine Leute gemacht werdensolle und gab Fidel einen heftigen Knuff, als es seiner Meinung nach nichtschnell genug ging. Fidel wollte sich zunächst auf den Fremden stürzen, denseine Kameraden Big Tom nannten, aber Fantasia hielt ihn zurück.
Big Tom grinste nur. Im Gegensatz zu seinem großartigen Namen war erkleingewachsen, aber dabei untersetzt. Er war vierzehn oder fünfzehn Jahrealt und hatte ein puppenhaftes, weißes Gesicht, das einen deutlichen Gegensatz zu seinem muskulösen Körper bildete. Er schien so nervös zu sein, daß erbei jeder Gelegenheit an seinen Fingernägeln kaute. Eine Weile späterschimpfte er, weil kein Feuer vorhanden war, nannte die Talbewohner eine„faule Bande“ und machte sich abwechselnd über Micels kurze Ärmchen undThunderclaps Rollstuhl lustig. Zu diesem Zeitpunkt lag bereits offene Feindschaft zwischen den Talbewohnern und den Neuankömmlingen in der Luft.Aber Thunderclap und die anderen wußten, daß sie gegen die plötzlich aufgetauchte Obermacht keine Chance hatten. Also beherrschten sie sich so gutsie eben konnten und hofften darauf, daß die Fremden von selbst bald wiederabziehen würden.
Die schienen aber mit keinem Gedanken diese Absicht zu haben. Zumindest Big Tom nicht. Die anderen Jungen und Mädchen aus seiner Gruppekuschten vor ihm oder schienen keine eigene Meinung zu haben.
Trompo hatte sich – bereits von Anfang an nichts Gutes ahnend – beim Erscheinen der Fremden versteckt. Dennoch entdeckte ihn einer der Jungenzwischen den Plastikgräsern.
„Vertreibt das Mistvieh“, ordnete Big Tom an, worauf seine beiden eifrigsten Gefolgsleute damit begannen, Steine nach Trompo zu werfen. Es gelangdem kleinen Wesen zu entfliehen, aber es wurde am Bein verletzt. Wahrscheinlich wäre es ihm noch schlechter ergangen, hätten sich nicht Fidel,Fantasia und Micel zwischen die Steinwerfer gestürzt. Die Folge war eine ausgewachsene Keilerei.
Und gerade in diesem Augenblick kehrten Lonzo und Lucky von ihrerSchatzsuche zurück.
„Ein Grüner!“ schrie Big Tom über das Getümmel hinweg. „Los, Jungs,greift ihn euch und zerlegt ihn!“ Seine treuesten Anhänger ließen sofort dasPrügeln sein und rannten Lonzo entgegen. Sie trugen große Eisenstangen inden Händen – die hatten sie schon mit ins Lager gebracht. Ihre Absicht warunverkennbar. Der blanke Haß stand in ihren Augen, der durch die anfeuernden Rufe Big Toms noch geschürt wurde.
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Lucky wurde roh zur Seite gestoßen, ebenso Micel, der sich den Jungen inden Weg stellte.
„Es ist kein Grüner, sondern unser Freund Lonzo!“ protestierte Micel empört, als er sich vom Boden aufgerappelt hatte und sah, welche Gefahr Lonzodrohte.
„Um so schlimmer für ihn – und für euch“, drohte Big Tom zähneknirschend. „Wir dulden keine Spione! Das Schiff gehört jetzt mir und meinenLeuten. Na los, worauf wartet ihr noch?“
„Nicht so hastig, Seeleute“, begrüßte Lonzo die Angreifer. „Wir fanden Juwelen und kostbares Geschmeide. Der Piratenschatz ist für alle da!“
Der erste Junge holte mit der Eisenstange zum Schlage aus.Lucky war bei der Rempelei ins Gras gefallen. Für einen kleinen Moment
sah er so aus, als wolle er in Tränen ausbrechen.Dann geschah etwas Seltsames mit ihm.Trompo war sich seiner Sache so sicher, weil er zu diesem Zeitpunkt genau
in Luckys Augen geblickt hatte.Und die wurden jetzt so geistesabwesend wie die von Micel, wenn er ver
suchte, Gedanken zu lesen. Luckys Pupillen nahmen einen goldenen Farbschimmer an.
Das war das letzte, was Trompo von Lucky, Lonzo Fantasia, Thunderclap,Micel und Fidel sah.
Im nächsten Moment waren sie alle wie vom Erdboden verschluckt.Als hätten sie sich in Luft aufgelöst.Trompo sah noch, daß die Fremden erschreckt und ratlos zurückblieben.
Sie waren so verwirrt, daß sie ihn gar nicht weiter verfolgten. Und so warTrompo durch den Wald geirrt, hatte die Steppe durchquert und hatte sich inder stillgelegten Basis verkrochen wo die Tür der Hütte hinter ihm zugefallenwar.
Die gläserne Sternenkuppel
Atemlos hatten die Kinder den Bericht ihres kleinen Gefährten angehört.Kaum einmal unterbrachen sie ihn durch Zwischenfragen. Als Tromposchließlich endete, dauerte es eine ganze Weile, ehe sie die Sprache wiederfanden.
„Dann hat man unsere Freunde ja gar nicht gefangengenommen“, stellteHarpo erleichtert fest. Im Grunde fühlte er sich recht erleichtert, gleichzeitigaber auch wieder beunruhigt durch das rätselhafte Verschwinden derGruppe. Ob Trompo am Ende geflunkert hatte, wie er es sonst so gern tat?Nein, eigentlich klang alles echt. Und die Angelegenheit war so ernst, daßsich auch Trompo keinen Spaß erlauben würde. Aber trotzdem: Hatte man jedavon gehört, daß sich Menschen einfach in Luft auflösten?
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„Sicher stecken die Alten dahinter“, vermutete Karlie mit gerunzelter Stirn.„Quatsch“, meinte Anca. „Wenn irgend etwas nicht zu erklären ist, müssen
bei dir immer die Alten dahinterstecken, Karlie. Die können auch nicht zaubern.“
„Hast du vielleicht eine bessere Erklärung?“ fragte Karlie mit zusammengekniffenen Augen.
„Pah“, machte Anca verächtlich. „Muß ich gar nicht haben. Ich finde es nurblöd, daß du dir die Sache so einfach machst.“
„Karlies Vermutung ist immerhin nur eine von vielen möglichen Erklärungen“, mischte sich Harpo ein. „Aber ich finde auch, daß wir dieErwachsenen nicht überschätzen sollten. Und außerdem sind sie ja gar nichtmehr an Bord, das weißt du doch, Karlie.“
„Das ist nur eine Vermutung“, verteidigte sich der Riesenjunge. „Oder hastdu schon vergessen, daß uns eine von ihnen verfolgt, seitdem wir Deck 27 betreten haben? Und vielleicht sogar schon länger?“
Was sollte man darauf sagen? Karlie hatte recht. Es gab keinenstichhaltigen Beweis dafür, daß wirklich alle Erwachsenen das Schiffverlassen hatten. Der gefundene Brief mußte nicht in allen Punkten stimmen.Schließlich hatte der schwarze Mann zuletzt keinen Kontakt mehr zurZentrale gehabt.
„Aber was haben Luckys Augen mit diesem rätselhaften Verschwinden unserer Freunde zu tun?“ fragte Harpo das elefantenähnliche Zwergwesen. Ihmwar aufgefallen, daß Trompo diese doch eigentlich belanglose Einzelheit fürbedeutungsvoll hielt.
„Ich weiß nicht“, quietschte Trompo. Um ihn besser verstehen zu können,hatten sich die Kinder lang auf den Boden gelegt. „Aber mir ist niemals etwasÄhnliches an Lucky aufgefallen. Und da es das letzte war, was ich von denVerschwundenen sehen konnte, mochte ich es nicht verschweigen.“
War irgend etwas Besonderes mit Lucky? Keinem aus der Gruppe war bisher die Idee gekommen, daß ihr Lucky vielleicht ähnliche Talente besaß wieder Gedankenleser Micel. Für sie war er bisher ein Spielkamerad gewesen,den man mit ganz einfachen Dingen glücklich machen konnte. Sie wußtenalle, daß Lucky geistig behindert war.
Aber selbst wenn er wie Micel die Gedanken anderer Leute lesen konnte, soerklärte das nicht im geringsten, weshalb die Freunde sich vor den AugenTrompos in Luft aufgelöst hatten.
„Wo sollen wir denn nun suchen?“ fragte Anca kläglich. Die anderen fühlten genauso. Die Erwachsenen, die Grünen oder andere Kindergruppen alsGegner, die einen Überfall unternommen und Gefangene gemacht hatten –das wäre schlimm gewesen. Aber zumindest hätte man gewußt, daß alles mitrechten Dingen zuging. Man hätte etwas unternehmen können. Aber jetztwar alles noch geheimnisvoller als vorher.
„He, Trompo“, flachste Anca, „jetzt verdrehst du aber die Augen wie Micel!“Trompo schrak auf, als sein Name genannt wurde. Verwirrt schüttelte er
den Rüssel, als wolle er einen Traum verscheuchen.
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„Deck Nummer null“, flüsterte Trompo plötzlich mit völlig veränderterStimme.
„Klar, Kumpel“, beeilte sich der kleine Oliver zu versichern, obwohl erkeine Ahnung hatte, was jetzt wieder los war.
„Bitte?“ fragte Harpo.„Keine Fragen stellen“, sagte Trompo in dem gleichen seltsamen Tonfall. Er
stellte sich auf die Hinterbeine. „Deck Nummer null. Da müssen wir hin!“„Zzum Ddeck nnull?“ Brim machte runde Augen. Und Harpo, der zum
ersten Mal hörte, daß es ein solches Deck überhaupt gab, fragte: „Aberwarum denn, beim Jupiter?“
„Deck null“, wiederholte Trompo und begann, sich langsam in Bewegungzu setzen. „Keine Zeit verlieren. Schnell!“
„Na schön“, meinte Harpo achselzuckend und hob sein Gepäck auf. Erwinkte den anderen, ihm zu folgen. „Er wird schon seine Gründe haben.“
„Is’ doch sowieso schnuppe und schnurzpiepe, wo wir anfangen“, krähteder kleine Oliver.
Sie folgten Trompo auf dem Fuße, der die Richtung zum Antigravschachteinschlug, ohne sich dabei umzudrehen.
Mit der Bedienung kamen sie inzwischen so gut zurecht, daß es keine überflüssigen Fragen mehr gab. Harpo stellte im Vorwahlfeld Deck 0000000 ein,fragte sich aber insgeheim, ob das überhaupt einen Sinn haben konnte. Sicherlich würde es ein Deck mit der Nummer 1 geben. Aber „null“ hieß doch„nichts“. Wie konnte man ein „Etwas“ mit einer Null bezeichnen? Dann kamihm ein Gedanke. Es hieß ja „Deck null“. Was immer sich auch dort befindenmochte – es war ein Deck!
„Nun bleibt Fräulein Unbekannt doch allein zurück“, stellte Karlie schaudernd fest. Sie schauten durch die Einstiegsröhre in die Plastiklandschaft ihres Heimatdecks. Adieu, Deck 27, dachten sie, du siehst uns wohl niemalswieder. Das erwachsene Mädchen war nirgendwo zu entdecken.
„Die Anzeige wird ihr verraten, wohin wir gefahren sind“, erklärte Harpo.Er hatte ein ungutes Gefühl, wenn er daran dachte, daß das Mädchen nunganz allein hier unten war. „Wenn sie will, kann sie uns folgen.“
Brim, der sich wie meistens bei Gesprächen im Hintergrund hielt, war dererste, der seinen Fuß über den Abgrund setzte. Vorsichtig probierte er aus, obdas Kraftfeld noch vorhanden war. Er spürte den Widerstand und trat in denvon rotem Licht erhellten Schacht hinein. Winkend segelte er nach oben.
Ollie folgte ihm so ungestüm, daß er im Kraftfeld einen Purzelbaum schlugund den ganzen Weg in einer sanft ansteigenden Spirale zurücklegen mußte.Da mochte Trompo auf seinem Arm noch so lautstark quietschen. Es half ihmnichts, er mußte die Drehungen mitmachen. Hoffentlich besitzt er keinenempfindlichen Magen, dachte Harpo.
Harpo, Anca und Karlie folgten dicht an dicht und waren dazu verurteilt,die ganze Zeit über des kleinen Olivers Klagelieder mitanzuhören.
„Mensch, ist mir schlecht!“„Bin doch kein Kunstflieger!“
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„Das is’ aber gar nicht gut für meine Organe! Eiwei!“„Wo ich sowieso der kränkste Passaschier von diesem ollen Raumschiff
bin!“„Ich protestiere! Das rollt einem ja sämtliche Fußnägel auf!“„Mein Jott, Justav!“Lachend hielten sich die anderen die Ohren zu. Es war eine sehr lange
Fahrt bis zum Deck null. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto stiller wurde ihrtrudelnder Mitreisender. Und als sie Deck null endlich erreichten und zurPlattform hinüberruderten war er ganz verstummt – dafür aber ganz grün imGesicht.
Mitleidig halfen Harpo und Karlie dem Kleinen auf die Plattform. Tromposprang seinem lebenden Karussell aus den Armen, drehte sich dann abernoch mehrmals benommen um seine eigene Achse, ehe er stillstand.
„Kommt“, trompetete er schließlich, als er sich gefangen hatte. Er sprachimmer noch mit dieser völlig veränderten Stimme, die außer Harpo bisherniemandem aufgefallen zu sein schien. Er eilte die glatte Metallröhre entlang,die auch hier oben die Verbindung zwischen dem Schacht und dem eigentlichen Deck herstellte.
Der Tunnel wurde von Lampen grellweiß erleuchtet. Nach einigenSchritten fiel den Kindern noch etwas auf, das anders war als auf den bisherbesuchten Decks. Der Tunnel führte nicht ins Freie, sondern endete in einerSackgasse. Eine glatte Metallwand verhinderte jedes weitere Vordringen insUnbekannte.
„Was nun?“ fragte Karlie ratlos.„An der Seitenwand muß sich eine schwarze Platte befinden“, erläuterte
Trompo. „Man kann sie mit bloßem Auge nicht sehen. Aber fühlen kann mansie.“
Die Kinder musterten die fragliche Wand, die jedoch trotz der hellen Beleuchtung glatt und fugenlos wirkte. Schwarze Platte war gut. Der ganzeTunnel bestand aus schwarzem Metall.
„Karlie“, meldete sich nun wieder Trompo. „Du bist der Größte. Du mußtin Kopfhöhe die Wand abtasten, verstehst du?“
„Hier ist was!“ rief Karlie freudig.„Du mußt den Daumen deiner rechten Hand auf die Platte legen“, piepste
Trompo. Er sprach auf einmal wieder mit seiner alten Stimme, und das ließHarpo aufhorchen. Was hatte diese Veränderung zu bedeuten? Aber jetzt warkeine Zeit für neugierige Fragen. Etwas hatte ihn mit aller Kraft gepackt. Eswar wie Jagdfieber, als sei hinter diesem Gang etwas verborgen, das für siealle sehr wichtig war.
Karlie wich zurück. Mitten in der fugenlosen Stirnwand bildete sich einschnell wachsender Spalt.
„Hiiiinein!“ jubelte Harpo.Das ließen sich die anderen nicht zweimal sagen. Hinter ihnen schloß sich
der Spalt so geräuschlos wie er sich geöffnet hatte. Für einen Momentstanden sie wie gelähmt in der neuen Umgebung. Damit hatten sie nicht ge
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rechnet! Nein, dies war kein gewöhnliches Deck mit Plastikpflanzen, Sand,Felsen und einer Kunstsonne ...
Eine sanfte, indirekte Beleuchtung tauchte den riesigen Raum in ein mattesblaues Licht. Vor ihnen ragten Säulen aus dem Boden, die aussahen wieBaumstümpfe, nur natürlich ganz glatt, eben und rund. Sie endeten in Hüfthöhe und ließen dort Hebel, Schalter, Knöpfe und blinkende Lichtaugen hervortreten. Auch seitlich waren in den Säulen Instrumente verborgen, unddavor sah man Sessel aus schwarzem Kunstleder, deren blinkende Metallfüßemit dem bunten Glasmosaik des Bodens eine Einheit bildeten. Diese Einzelheiten bemerkten Harpo und seine Freunde aber erst auf den dritten odervierten Blick.
Was sie in stiller Bewunderung und mit offenen Mündern verharren ließ,war die Decke des großen Raumes. Sie bestand aus einer gewaltigen gläsernen Kuppel, die wie die Hälfte einer Kugel den Raum abdeckte. Wären nichtdie winzigen roten Lichtfäden gewesen, die diese Rundung in Zonen unterteilte wie die Meridiane auf Landkarten und Globen von der Erde, hätte manmeinen können, daß der Raum überhaupt keine Decke besaß und direkt inden Sternenhimmel hineinragte.
Zum ersten Mal in ihrem Leben sahen die Kinder den funkelnden Glanzder Sterne ohne den Filter einer Dunstglocke aus Staub und Abgasen. DieRaumfähre, die sie von der Erde einst abgeholt hatte, hatte keine Fensterbesessen, und seither war ihnen nichts anderes unter die Augen geraten alsdas unnatürliche Innenleben von Deck 27.
„Die Hauptzentrale!“ hauchte Harpo ergriffen. Er mochte sich überhauptnicht losreißen von dem Anblick der zahllosen Lichtpünktchen in der weitenSchwärze über ihnen. Diese winzigen weißen Lichter waren Sonnen, die nurdeshalb so klein aussahen weil sie sich in unvorstellbarer Ferne befanden.Dabei mochten die meisten so groß wie die Sonne sein, deren Licht die Erdeerreichte, manche sogar viel, viel größer.
Und ihr Raumschiff trieb als eine Miniaturwelt in diesem Sternenraum, losgerissen von der heimatlichen Sonne. Ein Erwachsener, der für diese Arbeitgeschult worden war, hätte ihnen jetzt vielleicht anhand der roten Leuchtfäden auf der gläsernen Kuppel sagen können, welchen Kurs ihr Schiff nahm.Aber die Kinder hatte niemand gelehrt, wie der Astrogator eines RaumschiffesPosition und Kurs bestimmte.
Auf Trompo hatte keiner mehr geachtet. Jetzt machte er mit einem trompetenhaften Laut auf sich aufmerksam.
„Dort!“ piepste er und deutete mit dem Rüssel auf einen Fleck am Sternenhimmel. „Seht doch nur! Dort hinten!“
Sie hätten lange suchen können, wenn nicht der Fleck durch seinAnwachsen auf sich aufmerksam gemacht hätte.
Einer der Sterne am Glashimmel wurde immer größer. Dabei stellte sichheraus, daß er gar kein Stern war. Er leuchtete, aber sein Licht entsprach beiweitem nicht der gleißenden Helligkeit einer Sonne.
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Dann konnten die Kinder mit bloßem Auge erkennen, daß sich ihnen einfremdes Raumschiff näherte. Es sah ungewohnt aus. Soweit sie darüber informiert waren, bestand ihr eigenes Schiff aus einem langgestreckten Zylinder, der an beiden Enden kugelähnliche Fortsätze hatte. Harpo konnte sichnoch erinnern, daß sein Onkel einmal scherzhaft von einen „fliegendenKnochen“ gesprochen hatte. Das fremde Schiff bestand hingegen aus dreidiskusförmigen Scheiben, die durch ein Geflecht von Versorgungstunnelnmiteinander verbunden waren. Diese Scheiben lagen übereinander, und diemittlere hatte einen erheblich größeren Durchmesser als die Außenscheiben.
Trompo geriet beim Anblick des fremden Raumschiffes schier aus demHäuschen. Er machte die irrsinnigsten Verrenkungen, sprang durch die Luft,machte einen doppelten Salto und stieß fremdartige Laute hervor. Die Kinderwußten gar nicht, was sie von dem sonderbaren Verhalten ihres Freundeshalten sollten.
Mehrere Minuten lang, während sie schweigend unter der Kuppel standen,verharrte das andere Schiff regungslos über ihnen, greifbar nahe. Dannflammten auf der einen Seite mehrere Blitze auf, und es wurde mit atemberaubender Schnelligkeit kleiner.
Trompo quiekte protestierend und hielt in seinen Luftsprüngen inne. Dannschrumpfte das Schiff wieder zur Größe eines kleinen Lichtpünktchens zusammen und wurde vom Weltraum verschluckt.
Wieder beisammen
„Was ... war ... das?“ fragte Anca ungläubig.„Haste doch geseh’n – ein Raumschiff“, sagte der kleine Oliver atemlos.„Mann, das weiß ich selbst“, empörte sich das Mädchen. „Aber woher
kommt es? Was sind das für Leute, die es gebaut haben? Wieso begegnet esuns mitten im All? Es ist doch wohl ein irrer Zufall, daß sich zwei Raumschiffeim Weltraum begegnen, wenn man bedenkt, wie groß das All und wie kleinRaumschiffe sind!“
„Hallo!“„Viel interessanter finde ich die Frage, warum es wieder abgedreht hat,
ohne Kontaktaufnahme“, schaltete sich Harpo ein. „Ob das Schiff nun zufällig auf uns gestoßen ist oder nicht: Normal wäre doch wohl gewesen, daßman sich verständigt.“
„Hallooo!“„Wwie stellst du dir das denn vvor?“ fragte Brim. „Sollten die Ffremden
uns zzuwwinken? Vvielleicht haben ddie nicht mmal richtige Hände.“„Hallooooo!“
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„Papperlapapp, winken“, meinte Karlie. „Die hätten in Raumanzügesteigen und uns besuchen können. Oder Lichtzeichen geben. Oder sonst etwas machen.“
„Haaalllooooooooooo!“„Und wenn sie es getan haben?“ entgegnete Brim. „Das weißt du doch n
nicht. Vielleicht haben sie paupausenlos versucht, uns mmit Funksprüchenoder Bildsendungen zu erreichen. Uund da niemand antwortete, hahabensie es aufgegeben. Die halten uunser Schschiff wahrscheinlich für einWrack!“
„Haaallllooooooooooooooooooooooooo!“„Was ja irgendwie auch stimmt“, meinte Harpo schulterzuckend. „Nur, daß
eben auf diesem Wrack noch Menschen leben ... Aber sagt mal, habt ihr nichtauch eben was rufen gehört?“
„Silizium“, flüsterte der kleine Oliver und legte eine Hand hinter sein linkesOhr.
Augenblicklich wurde es so still, daß man das Geräusch einer zu Bodenfallenden Stecknadel wahrgenommen hätte. Unwillkürlich hielten die Kinderden Atem an. Der kleine Oliver übertrieb dermaßen, daß er im Gesicht rot wieeine Tomate wurde.
„Haaalllooooooooooooooooooooooo!“„Da war es wieder!“ rief Harpo aufgeregt.„Es kommt von der gegenüberliegenden Wand“, behauptete Anca und deu
tete mit der Hand darauf.„Ja“, gab Karlie ihr recht. „Ich meine auch, daß es von daher kommt!“Aufgeregt liefen sie zu der Wand hin. Dort, wo die gläserne Kuppel mit der
Bodenfläche der Hauptzentrale zusammentraf, gab es einen Streifen metallischer Wand, der aus der Nähe gar nicht so niedrig war, wie sie zuerstvermutet hatten. Die Wand, die sonst überall nur etwa zweieinhalb Meterhoch war, erreichte an dieser Stelle mindestens die doppelte Höhe.
Harpo preßte den Kopf dagegen. Da war es wieder ein Ruf, der kaum mehrals ein Flüstern war, so weit schien er von ihnen entfernt: „Haaallloooo!“
„Wir rufen zurück“, sagte Harpo schnell. „Und alle zusammen, wenn ichdrei sage. – Eins, zwei, drei!“
„Haaalllooooooo!“ riefen Brim, Anca, Karlie, Ollie und Harpo ausLeibeskräften.
„Huhuuuuu!“ zuckelte der kleine Oliver noch einmal hinterher und erreichte dabei fast die Lautstärke der gesamten Gruppe. Seine Stimme kiekstedabei ein bißchen im oberen Bereich.
„Haalloooo“, kam es zurück. „...iiir...ind...hie...speeerrtt!“„Hast du das verstanden?“ fragte Harpo Anca.„Das klang wie: Wir sind hier eingesperrt. Oder so ähnlich.“„Es gibt hier sicher noch eine Tür“, überlegte Harpo laut. „Wahrscheinlich
mit einem ähnlichen Mechanismus wie die Tür zum Tunnel. Karlie, kannstdu nicht mal ...“
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Er brauchte gar nicht weiterzureden, weil Karlie schon in Augenhöhe dieWand abtastete.
„Ob das nicht gefährlich ist, was wir jetzt tun?“ fragte Anca unsicher. „Wirwissen doch gar nicht, wem wir da helfen wollen. Vielleicht sind es Big Tomund seine Leute?“
„Ooder Erwachsene?“ Brim rieb nachdenklich sein Kinn.„Ich beschütze euch“, knurrte der kleine Oliver und stellte sich auf die Ze
henspitzen. „Ich mach’ Frikadellen aus denen!“„Wir dürfen nicht überall gleich Gespenster sehen“, mahnte Harpo.
„Immerhin sind dort Menschen, die Hilfe brauchen.“„Hier ist noch so ‘ne schwarze Platte“, rief Karlie triumphierend dazwi
schen und legte seinen Daumen darauf. Sekundenbruchteile später wurdeein Spalt in der Wand sichtbar, der sich rasend schnell vergrößerte und zueinem Eingang wurde.
Neugierig reckten die Kinder die Köpfe vor. Enttäuscht sahen sie sich an,als sie entdeckten, daß die Öffnung nichts weiter freigab als eine enge, nackteMetallkammer.
Allein Karlie, der Superkoch, ließ sich nicht aufhalten. Sein mittlerweileplattensuchgeübtes Auge hatte an der Wand der Kammer einen weiteren Öffnungsmechanismus entdeckt.
„Hinein“, sagte er und betrat die Kammer als erster. „Dies ist eine Art Flur –nein, das könnte auch eine Luftschleuse sein.“ Ohne lange zu überlegen, legte er erneut den Daumen auf die neu entdeckte Platte. Eigentlich hatte er damit gerechnet, daß sich zunächst die hinter ihnen liegende Türe schließenwürde. Normalerweise war dies auch so, wenn zwischen dem dahinterliegenden Raum und der Zentrale ein unterschiedlicher Luftdruck bestand.Das fanden sie später heraus. Da der automatische Türschließer jedoch registrierte, daß auf beiden Seiten die gleichen Druck und Atmosphäreverhältnisse herrschten, gab er unmittelbar den Öffnungsimpuls für die zweite Türfrei.
In dem Lichtspalt erschien ein Gesicht, das im ersten Moment genausofassungslos und verdutzt aussah wie die Gesichter von Harpo, Anca, Ollie,Brim und Karlie.
„Micel!“ jaulte der kleine Oliver als erster wie eine Sirene los.„Ihhhrrr?“ staunte Micel. „Bei allen Planeten! Ich glaub’, mich trifft der Psy
choschlag!“„Thunderclap! Fidel!“ jauchzte Ollie.„Fantasia!“ kam das Echo von allen Seiten.„Pummelchen!“ krächzte Lonzo. „Mein kleiner Sonnenschein!“Für einige Minuten brach ein mittelschweres Chaos aus. Die Kinder fielen
sich gegenseitig um den Hals und klopften sich begeistert auf die Schultern.Lucky gluckste vor lauter Glück still vor sich hin. Lonzo schlug einen Saltonach dem anderen und wedelte mit seinen Tentakeln. Nur mühsam konntensie sich wieder beruhigen.
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Jetzt waren alle wieder beieinander. Micel und Thunderclap, Fidel undFantasia, Lucky, Karlie, Harpo, Anca, Brim und der kleine Oliver. Nicht zuvergessen Lonzo.
„Jetzt fehlt nur noch Trompo“, sagte Micel. „Wir haben ihn zuletzt auf Deck27 gesehen. Wißt ihr, daß man uns überfallen hat und daß uns Lucky hierhertransportiert hat und ...“
„Langsam, langsam“, bremste Harpo Micels Redestrom. „Eins nach demanderen. Wir haben Trompo gefunden und wissen von dem Überfall. Wo ister denn? Er war doch eben noch bei uns ... Was hast du da eben von Lucky erzählt?“
„Trompo! Trompoooo!“ riefen die Kinder. Die Türen hatten sich noch nichtwieder geschlossen und so rannten einige von ihnen wieder in dieHauptzentrale des Raumschiffs zurück. Während Micel und Fidel zunächsteinmal andächtig verharrten, als sie die Sternenkuppel sahen, suchten dieanderen alles ab und ließen keine Ecke aus. Allerdings umsonst, denn daskleine Wesen Trompo war verschwunden!
„Lucky hat euch hierhergebracht?“ fragte Harpo inzwischen Thunderclap.„Wie das? Ich verstehe das nicht.“
„Wir haben es zuerst auch nicht begriffen“, erläuterte Thunderclap Geniuslächelnd. „Aber Micel hat seine Gedanken gelesen und herausgefunden, wiedas kam. Lucky ist ein Mutant wie Micel. Aber er kann keine Gedanken lesen,sondern hat ein anderes Talent. Er kann sich selbst und andere Personenoder Dinge mit seinem Gehirn an einen anderen Ort versetzen! Wir wissennoch nicht, wie er das macht, und Lucky weiß es selbst am wenigsten, aber eshat funktioniert. Das können wir beschwören.“
„Das ist ... phantastisch!“ hauchte Harpo und klatschte in die Hände. „Unglaublich!“
„Das meint Micel auch“, erwiderte Thunderclap. „Und Lucky scheint dererste Mutant zu sein, der so etwas kann. Nur schade, daß er dieses Talentnicht einsetzen kann, wann er will. Er hat rein instinktiv reagiert. Er sah, daßwir alle in Gefahr waren ... da versetzte er uns an einen sicheren Ort. Einfachso.“
„Woher wußte er denn, daß dieser Raum sicher ist?“ fragte Harpo und sahsich zum ersten Mal bewußt um.
„Keine Ahnung.“ Thunderclaps Augen hefteten sich auf Harpos Gesicht.„Wir wissen auch nicht mehr, als ich dir eben erzählt habe. Aber abgesehendavon, daß wir hier eingesperrt waren, haben wir eigentlich alles: Vorräte,eine Kochgelegenheit, ein Schwimmbecken ...“
Der Raum war etwas kleiner als die Hauptzentrale, aber immer noch riesig.Am äußeren Rand befanden sich zehn oder mehr türlose, vom Hauptraumabgetrennte Kabinen, in denen Sessel, Schreibtische und Betten standen oderrätselhafte Instrumente aufgebaut waren. Die zum Wohnen und Schlafen gedachten Räume wirkten elegant und gleichzeitig urgemütlich.
Der große Raum, in dem sich nun außer Harpo und Thunderclap niemandmehr befand, hatte wie ihr Deck 27 eine künstliche Sonne und auch sonst
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Ähnlichkeit mit den Landschaften der anderen Decks. In der Mitte befandsich ein kleiner See und darum herum wuchsen allerlei Pflanzen und kleinereBäume. Der See lag tiefer, terrassenförmig angelegte Stufen führten nach unten.
„Wie habt ihr die Türe gefunden?“ fragte Thunderclap. „Wir haben selbstalles Mögliche und Unmögliche ausprobiert ...“
„Es gibt da eine beinahe unsichtbare Platte ...“ murmelte Harpo geistesabwesend. „Sag mal, das sieht ja alles so echt aus ...“ Er deutete auf diePflanzen in der Umgebung.
„Es ist auch echt“, erklärte Fantasia, die gerade aus der Zentrale zurückkam. „Dies sind richtige Pflanzen, richtige Blumen – kein Ersatzzeug aus Plastik.“
„Dann gibt es hier auch richtige Tiere?“ fragte Harpo. Mittlerweile kamenauch die anderen aus der Zentrale zurück. Trompo war und blieb fürs ersteverschwunden.
„Richtige Tiere haben wir noch nicht gefunden“, sagte Fantasia. „Aber wirhaben noch lange nicht alles erforscht. Es gibt hier so viele Türen. Mit Sicherheit können wir davon ausgehen, daß irgendwo an Bord auch echte Tiereleben. Micels Frosch und Ancas Schlange sind sicherlich ausgerissen ...“
„Macht euch lieber Gedanken darüber, wo Trompo geblieben ist“, fordertenun Anca. Nicht daß sie Angst um ihren kleinen Spielgefährten gehabt hätte:dafür war der kleine Elefant zu listig. Aber etwas komisch war es ihr doch, daßer so sang und klanglos untergetaucht war.
„Findet ihr nicht auch“, meinte Harpo, „daß er sich reichlich komischbenommen hat?“ Er erzählte, wie Trompo ihnen den Weg nach Deck null gewiesen hatte. Als ob er genau gewußt hätte, daß sich die Vermißten hier obenbefanden ...
„Und seine Stimme war so eigenartig“, fügte Karlie nachdenklich hinzu.„Ja“, stimmte Harpo zu. „Schon beim Anblick des fremden Raumschiffes
hat er sich seltsam aufgeführt.“„Was für ein Raumschiff?“ echoten Thunderclap und Micel wie aus einem
Munde.„Erzählen wir euch noch“, gab Karlie großspurig zurück. „Was denkt ihr
wohl, was wir alles in der Zwischenzeit erlebt haben ...“„Langsam, langsam“, stöhnte Harpo wieder. Seine Gedanken weilten noch
immer bei Trompo. Er hatte sich wirklich sehr ungewöhnlich benommen ...Wußte er mehr, als er ihnen gesagt hatte? Deck null, die Hauptzentrale, das
Plättchen des Türschließers, das fremde Raumschiff – all das konnte dochkein Zufall sein?
„Aber zuerst müssen wir euch unsere Entdeckung zeigen“, forderte Micel.Da er längst die Gedanken der Freunde gelesen hatte, war er nicht mehr soscharf auf ihre Erklärungen.
Weil er sonst schwerlich Ruhe geben würde, folgte ihm die ganze Gruppe ineinen der kleineren Nebenräume. Stolz zeigte Micel auf einen langgestreck
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ten Behälter, dessen obere Hälfte aus einem durchsichtigen Material bestand.Die untere Hälfte war mit rätselhaften Armaturen bedeckt.
Die Kinder erstarrten. In dem Behälter lag ein nackter, erwachsener Mannmit langem rotem Haar.
„Ist er ... tot?“ brachte Harpo heiser hervor.„Nein.“ Micel schüttelte den Kopf. „Ich spüre seine Gedanken. Er träumt
von Dingen, die ich nicht verstehen kann. Er schläft seit mehr als dreiJahren!“
Fremde an Bord
Der unbekannte schlafende Mann – an dessen Behälter ein Metallschildmit dem Namen Daniel Locke angebracht war – hatte die Kinder so verwirrt,daß sie zwei Tage damit verbrachten, über ihn zu diskutieren.
Thunderclap schlug vor, ihn aufzuwecken. Fidel war dagegen, aber manüberstimmte ihn. Das Unterfangen erwies sich als sinnlos, weil der Mannsich nicht aufwecken ließ. Er war wie tot. Und doch atmete er, was man deutlich sehen konnte. Er schien die lautesten Geräusche nicht wahrzunehmenund zuckte mit keiner Wimper; selbst dann nicht, wenn Ollie sein markerschütterndstes IndianergeheuI anstimmte.
Schließlich gab man es auf und konzentrierte sich auf die anderen Bereichevon Deck null. Die Kinder hofften doch noch irgendwo den verschwundenenTrompo aufzustöbern, aber auch diese Vermutung erwies sich als Trugschluß.
Brim, Harpo und einige andere verbrachten eine Menge Zeit unter der Sternenkuppel, wo sie in den Ledersesseln Platz nahmen und ihre Blicke über dieewige Weltraumnacht schweifen ließen. Die kleinen Lichter auf den Armaturen und Konsolen flackerten periodisch auf, andere brannten ununterbrochen. Manchmal fingen die Ohren der Kinder das feine Klicken voneingebauten Relais auf und dann begann eine Computerstimme monotoneZahlenkolonnen aufzusagen, mit denen niemand etwas anfangen konnte.
Es war gespenstisch und herrlich zugleich im ständigen Dämmerlicht derHauptzentrale. Das fand auch Harpo, der lange Zeit damit verbrachte, mitThunderclap Genius vor den geheimnisvollen Schalttafeln zu sitzen, wobei erdarüber Spekulationen anstellte, ob man es wagen könne, den einen oderanderen Schaltknopf zu drücken.
Thunderclap war von dieser Idee allerdings weniger angetan, denn er wußte genau, daß zur Bedienung eines Raumschiffes eine Hundertschaft vonWissenschaftlern und Ingenieuren nötig ist.
„Würde das Große Gehirn noch funktionieren“, gab er zu bedenken, „sähedie Sache anders aus.“ Dann könnte das Schiff von einem halben DutzendLeuten bedient werden. Aber so ...“
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Harpo war begeistert von den Kenntnissen des Freundes. Thunderclapkonnte ihm leicht erklären, woher er dies alles wußte: Erstens hatte er vielüber Raumschiffe gelesen, und zweitens war einer seiner Vettern Ingenieurauf einem zwischen der Erde und den Jupitermonden verkehrenden Linienraumschiff. Dieser Vetter hatte Thunderclap viel beigebracht, wenn ihnsein Urlaub mal nach Hamburg führte, wo Thunderclap gewohnt hatte.
„Daß du aus Hamburg kommst, wußte ich gar nicht“, sagte Harpo überrascht. „Du hast doch einen englischen Vornamen ...“
Thunderclap wischte die Anspielung auf seinen Namen sichtlich verlegenbeiseite. „Das ist nur ein Spitzname“, meinte er so nebenbei.
Aus der Wohneinheit kamen die Geräusche sich eilig nähernder Schritte.Mit den Armen rudernd tauchte Karlie Müllerchen in der Zentrale auf, stießsich den Kopf an der Türfüllung, fluchte erbärmlich und fragte: „He, seid ihrda irgendwo?“
„Hier, Karlie“, gab Thunderclap zurück. Er brachte seinen Rollstuhl in einePosition, in der Karlie ihn und Harpo sehen konnte. „Was ist denn los?“
Karlie kam hastig näher. „Irgend jemand schleicht da rum“, flüsterte er geheimnisvoll. „Ollie und Fidel haben was gesehen. Drüben am See. Kommtihr?“
„Trompo?“ fragte Harpo zaghaft.„Nicht Trompo.“ Karlie schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Ahnung, wer
das ist. Vielleicht ein Spion von Big Tom oder so was.“Thunderclaps Rollstuhl setzte sich mit mahlenden Reifen in Bewegung.
Eigentlich war es recht unwahrscheinlich, daß sich Big Toms Leute nach hieroben verirrt hatten. Die letzten Nachforschungen mit den teilweise nochfunktionierenden Visiophonen der Hauptzentrale hatten ergeben, daß dieandere Gruppe sich vor zwei Tagen im erst halb ausgebauten Deck 84 aufgehalten hatte, wo es auch ein Vorratslager gab.
Der Wechsel vom Dämmer der Zentrale in die strahlende Helligkeit derWohneinheit von Deck null blendete die Jungen zunächst. Aber ihre Augengewöhnten sich rasch an die Umgebung. Die anderen hatten sich in der Näheder Büros und Schlafräume versammelt und deuteten zum See hin. In demGebüsch kroch etwas herum. Aber was?
Harpo fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen. Das Mädchen! Eiligerklärte er Thunderclap um wen es sich handelte. Offenbar war ihnen dasrotgekleidete Mädchen von Deck 27 gefolgt und hatte sich während derNacht durch die leere Zentrale in den großen Raum vor den Wohnkabinengeschlichen.
„Ist sie gefährlich?“ fragte Thunderclap.Harpo verneinte. „Wir hatten bisher keinen Grund, das anzunehmen. Ganz
im Gegenteil. Sie hat eher Angst vor uns, meint Karlie. Übrigens: Sie ist eineErwachsene.“
„Eine Erwachsene?“ zischte Fidel entgeistert. Er biß sich auf die Unterlippeund kniff die Augen zusammen.
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„Mach keinen Unsinn, Fidel“, warnte Thunderclap freundlich. „Sonst fahreich mit meinem Feuerstuhl dazwischen!“
Ollie sagte laut: „Das Fräulein ist krank, nicht, Harpo?“ Er hatte auch erkannt, was Harpo vermutet hatte.
„Vielleicht. Wir wollten sie jedenfalls in Ruhe lassen. Dann kommt sie einesTages ganz von selbst zu uns.“
Thunderclap winkte die anderen zurück. Lonzo murmelte: „Sie hat einerote Jacke an. Oh! Lonzo liebt rote Jacken!“
„Hauptsächlich aber rote Krawatten und Sockenhalter.“ Micel lachte.Sie kehrten in die Zentrale zurück. Natürlich war es hauptsächlich reine
Neugier, die sie dazu getrieben hatte, hinter der Unbekannten herzuspähen.Immerhin war es für alle sehr sonderbar, daß ein so großes Mädchen sich vorihnen verbarg. In der heimeligen Atmosphäre der Zentrale wollten sie dasneue Problem eingehender beraten. Aber dort wartete bereits eine neueÜberraschung auf die Gruppe. Fantasia deutete plötzlich aufgeregt auf einenBildschirm, den bis jetzt niemand hatte in Betrieb nehmen können.
„Was ist das?“ fragte Harpo.Das Visiophon war aufgeflackert, zeigte anstelle eines Bildes aber eine
Leuchtschrift.MANNSCHLEUSE SÜDWEST III STOP
ÖFFNUNGSVERSUCH VON AUSSEN STOP„Nanu?“ fragte der kleine Oliver. „Was is’ denn ‘ne MannschSchleuse?“Die Augen der Kinder saugten sich an den Buchstaben fest. Sie flackerten
mehrmals auf.Dann erschien eine neue Schrift:ÖFFNUNGSVERSUCH WIEDERHOLUNG STOP SICHERHEITSSYSTEM AN
KOMMANDANT STOP NACH EINGEHENDER ÜBERPRÜFUNG DERCHECKLISTEN WURDE KEIN DEFEKT GEMELDET DER EINE AUSSENREPARATUR ERFORDERT STOP LOGISCHE SCHLUSSFOLGERUNG STOP ALLEMANN AN BORD STOP WEITERE SCHLUSSFOLGERUNG STOP UNBEFUGTER VERSUCH DAS SCHIFF VON AUSSEN ZU BETRETEN STOP.
„Wißt ihr, was das zu bedeuten hat?“ fragte Micel nervös. Ollie fragte: „Wasist das denn, ‘ne Tschäcklist? Ich kenn’ nur Tschaschlick.“
Niemand antwortete. Alle hielten den Atem an, denn die Schrift verändertesich erneut.
ÖFFNUNGSVERSUCH GELUNGEN STOP REGISTRATION STOP QOCDSTOP QOCD STOP ERWARTE ANWEISUNGEN ERWARTE ANWEISUNGENERWARTE ANWEISUNGEN ...
„Jemand hat das Schiff betreten“, brummte Thunderclap. „Das ist dochklar! Das Sicherheitssystem scheint also noch zu funktionieren, obwohl seineInformationen lückenhaft sind. Wäre es das nicht, hätte es zumindest wissenmüssen, daß die ursprüngliche Besatzung sich längst in alle Winde zerstreuthat.“
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„Es teilt uns mit, daß jemand unbefugt eingedrungen ist“, wiederholte Harpo. Und dann: „Kann es sich nicht irren? Ich meine, wenn es schon nichtweiß, daß wir allein hier sind ...“
„Was is’ ‘ne MannschSchleuse denn?“ krähte der kleine Oliver ruhelos dazwischen. „Nu erklär’ mir doch mal einer ...“
„Eine Nebenschleuse“, gab Karlie von oben herab zurück. „Für Männerund Frauen. Nicht für Beiboote. Kapiert, Kleiner?“
„Wenn sie auch für Frauen ist“, bohrte der Kleine weiter, „warum heißt siedann nich’ FrauSchleuse?“
Karlie schlug die Hände über dem Kopf zusammen, obwohl ihm das Wortauch komisch vorkam.
Atemlose Spannung und Nervosität machte sich jetzt breit. Wer waren diegeheimnisvollen Eindringlinge? Ein Rettungstrupp von der Erde? War einBergungsschiff in der Nähe? Wollte man sie retten?
„Die Fremden ...“ flüsterte Brim Boriam plötzlich. Und dann schrie er laut:„Ja, klar! Die Fremden, die wir vor ein paar Tagen hinter der Kuppel gesehenhaben. Sie sind zurückgekommen und ...“
„Und?“ echote Micel heiser. „Was führen sie im Schilde? Wollen sie unserSchiff kapern? Oder uns helfen? Sie kennen uns doch gar nicht ...“
Diese Worte deprimierten die Gruppe ein wenig. Wer sollte ihnen helfenwollen, wo sie sich in einem völlig unbekannten Sektor der Milchstraßebefanden? Wie mochten die Eindringlinge aussehen, die jetzt irgendwo daunten in den Korridoren herumkrochen? Welche Absichten mochten siehaben?
Harpo erinnerte sich an die haarsträubenden Geschichten von blutdürstigen Piraten und Freibeutern, die in der Vergangenheit die sieben Weltmeere der Erde unsicher gemacht, jedes vorbeiziehende Schiff ausgeplündertund seine Besatzung als Sklaven nach Afrika und Amerika verkauft hatten.
„Du bist verrückt“, lachte Thunderclap, als Harpo den anderen seine Gedanken vortrug, aber es klang nicht fröhlich, eher ein wenig ängstlich.Schweigend nahmen die Kinder auf den Ledersesseln Platz. Unentschlossenstarrten sie auf die verschiedenfarbigen Blinklichter.
Der Bildschirm hatte mittlerweile die Schrift gelöscht. Nun prangte auf ihmein roter Blitz, und darunter stand in großen Buchstaben nur ein Wort:
A L A R M !„Wir können nichts tun“, murmelte Karlie in die Stille hinein. „Oder doch?“„Und ob wir was tun können!“ erwiderte Harpo entschlossen. Federnd
sprang er auf. „Zumindest können wir herausfinden, was sie vorhaben undwieviele es sind! Wenn sie böse Absichten haben, müßte es möglich sein, sieper Fernsteuerung irgendwo einzuschließen.“
Rasch bildeten sie einen Stoßtrupp, der aus Micel, Harpo und Fantasiabestand. Thunderclap und die anderen blieben in der Zentrale zurück undaktivierten alle Bildschirme, von denen sie mittlerweile wußten, daß sie dazudienten, Einblicke in die verschiedenen Decks zu gewähren.
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Fantasia, die ein Sprechfunkgerät gefunden hatte, blieb mit der Zentrale inständiger Verbindung. Fidel hatte hinter der Kontrollarmatur Platz genommen, von der aus man einzelne Decks abriegeln konnte.
„Fertig?“ fragte Fantasia über Funk.Thunderclap sagte: „Ja“ und setzte einen Funkhelm auf. Da er von
Elektronik einiges verstand, hatte er schnell herausgefunden, daß man sichmit Hilfe dieser Helme drahtlos verständigen konnte. Er schob das winzigeMikrofon, das an einer beweglichen Klammer am Helmrand befestigt war,vor den Mund. „Fertig!“
Harpo, Micel und Fantasia verließen die Sternenkuppel und eilten zum Antigravschacht. Aus Fantasias Handfunkgerät drang die aufgeregte StimmeThunderclaps, der ihnen jede Änderung übermittelte, die auf den von Fidelgesteuerten Visiophonen stattfand.
„Bisher niemand im Bild ... Umschalten ... Deck 38 ... leer ... Deck 39 ...leer ... jetzt Deck 42 ... leer ... Deck 42 ... Dunkelheit ... kann nix erkennen ...Umschalten ...“
Harpo und seine Begleiter sahen in die Tiefe. Wenn die Eindringlinge durcheine Nebenschleuse an Bord gekommen waren, mußten sie diesen Schachtbenutzen. Aber der Antigrav war tief, sehr tief. Die rote Beleuchtung, dieverhinderte, daß einem schlecht wurde, wenn die Wände neben einem dahinflogen, trug nicht dazu bei, besonders viel zu erkennen.
„Nichts zu sehen“, meldete Fantasia flüsternd. Micel konzentrierte sich.Zweifellos versuchte er die Gedanken der Fremden aufzufangen.
„Na?“ fragte Harpo ihn ungeduldig.„Nichts“, gab Micel enttäuscht bekannt. „Sie sind noch zu weit weg. Der
Schacht ist ja kilometertief.“Ein leises, kaum hörbares Summen ertönte. Ein warmer Luftzug strich über
die Gesichter der Beobachter.„Achtung!“ zischte Micel.„Der Antigrav ist jetzt in Betrieb“, gab Harpo schaudernd weiter. „Gib das
weiter, Fantasia!“Thunderclap erwiderte: „Verstanden!“ und gab Fidel die Anweisung,
besonders aufmerksam zu sein. Sie mußten unbedingt wissen, auf welchesDeck die Fremden sich zuerst begaben.
Auch die Kinder – einschließlich Lonzo – saßen fiebernd hinter den Geräten. Mehr als zwei Dutzend Visiophone waren in Betrieb und übertrugen dieunterschiedlichsten Bilder von den einzelnen Decks und den verwaisten Abteilungen.
„Kannst du den Antigravschacht nicht rein kriegen?“ forschte Anca nervös.„Nix zu machen“, tönte es aus Fidels Ecke. „Da ist keine Kamera!“Ganz unten im Schacht schien sich nun etwas zu bewegen. Harpo, Fantasia
und Micel hielten den Atem an. Es sah so aus, als beabsichtigten dieEindringlinge nicht, Deck für Deck abzuklappern. Sie schienen direkt zurHauptzentrale zu wollen!
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„Ja, wie kommt das bloß?“ fragte der kleine Oliver. „Woher wissen die, daßwir hier oben sind?“
„Potz Galaxis!“ knarrte Lonzo, der die Meldung ebenfalls mitbekommenhatte. „Dann gehen ja unsere ganzen feinen Pläne den Bach runter!“
„Pschschttttt!“ machte Anca beschwichtigend.Harpo und die anderen starrten angespannt in die Röhre. Langsam wurde
ein Schatten sichtbar. Dann noch einer. Und ein winziger Punkt.„Zurück“, ordnete Thunderclap an. „Es hat keinen Zweck. Die können wir
nicht reinlegen. Wir können uns nur noch in der Zentrale verrammeln unddarauf hoffen, daß sie den Türschließer nicht finden.“
Rasch zogen sich Harpo und seine Begleiter zurück. Lautlos schloß sich dasSchott der Hauptzentrale hinter ihnen. Mit klopfenden Herzen warteten siein der Zentrale auf das, was nun geschah. Es dauerte nur fünf Minuten, dannmerkten sie, daß von dem geschlossenen Schott ein warmer Luftstrom auf sieeindrang.
Die Tür war offen!Und zwei dunkle Schatten kamen langsam auf sie zu ...
Die Weltraumärzte
„Tttrrrompppooo!“ schrie Brim auf. Etwas Kleines wetzte über den Bodender Zentrale und sprang auf den Schoß des Jungen.
Die beiden Schatten verharrten. Sie standen immer noch in einem Bereich,der ein genaues Betrachten unmöglich machte. Aber ihre Umrisse wirktenmenschlich.
„Keine Angst“, piepste Trompo fröhlich. „Rettung naht! Ich bin zurückgekommen und habe Leute mitgebracht, die uns helfen werden!“
Die vertraute Stimme des kleinen Wesens brachte es fertig, daß die Kinderihre wie hypnotisiert auf die Neuankömmlinge gerichteten Blicke abwandtenund wild durcheinanderredeten.
„Wer sind die Leute, Trompo?“„Woher kommen sie?“„Von der Erde?“„Oder von dem anderen Raumschiff etwa?“„Was ... wie ... warum ... weshalb?“ So ging es eine halbe Minute lang, in der
sich die Fremden nicht bewegten.Thunderclap setzte seinen Rollstuhl in Bewegung und fuhr auf die Männer
zu. Erfreut streckte er ihnen eine Hand entgegen. Mit klopfendem Herzen begann er: „Ich freue mich, daß Sie gekommen sind – Sir! Und Sie auch, Sir! Wirhatten Sie in unserer Angst schon für Raumpiraten gehalten.“
Die beiden Fremden lachten leise, wirkten dadurch aber keineswegs unsympathisch. Es war ein freundliches, offenes Lachen. Langsam kamen sie
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aus der Dunkelheit und drangen in die Zone ein, die dem Sternenlicht unmittelbar ausgesetzt war.
„Erschreckt nicht“, lachte Trompo. „Aber es sind keine Menschen von derErde.“
Tatsächlich! Vor ihnen standen in silbernen, enganliegenden Anzügen zweischlanke Gestalten, die kaum größer waren als Harpo. Sie besaßen zwei Armeund zwei Beine, zwei Augen, eine Nase, einen Mund und zwei Ohren – unddoch waren sie irgendwie anders! Das Licht der Sterne ließ ihre Gesichtsfarbebläulich erscheinen. Ihre Köpfe waren klein und hatten lediglich durch diehochaufragenden Stehkragen im Halbdunkel so groß gewirkt. Die Fremdenwaren völlig kahlköpfig; ihre Schädel glichen in der Form großen Birnen, deren schlanke Seite nach unten gerichtet war. Sie hatten winzigkleine, spitzeOhren und kugelrunde Augen. Als sie lächelten, konnten die Kinder ihr Gebißsehen: Es erschien ihnen wie ein einziger fugenloser Zahn, der sich voneinem Mundwinkel zum anderen zog.
„Mannomann!“ keuchte Karlie verblüfft.„Iss ja ‘n dolles Ding!“ stieß Harpo hervor.„Ich schnapp’ sofort über!“ verkündete Ollie schniefend, aber mit großer
Überzeugungskraft. Er stiefelte langsam an die abwartend verharrendenFremden heran, begaffte sie von allen Seiten und meinte dann: „Könnt ihrmich verstehen, Leute? Ich bin der Ollie – der Bräutigam vom Pummelchen!“
Alles begann wie auf Kommando zu lachen. Das Eis war gebrochen, dennselbst die beiden blauhäutigen Fremden, die kaum ein Wort von demverstanden haben konnten, was der Kleine ihnen erklärt hatte, begannen sichamüsiert auf die Schenkel zu klopfen. Dann gingen sie reihum, drückten dieheißen und teilweise auch schwitzenden Hände der Kinder und nahmen zwischen ihnen Platz, wobei Trompo von Brims Schoß zum Arm des ersten Ankömmlings wechselte und mit einer Erklärung begann, die manchesverständlicher machte.
Wie alle Kinder wußten, war Trompo weder ein Tier der Erde, noch ein Roboter. Er war überhaupt kein Tier, sondern eine richtige Person. Sein Geburtsort lag auf einem Planeten mit so einem unaussprechlichen Namen, daßdie Kinder ihn beim besten Willen nicht wiederholen konnten, ohne sich dieZunge abzubrechen. Trompo war dort aufgewachsen. Eines Tages landete einfremdes Raumschiff. Die Wesen an Bord des Schiffes erschienen ihm zunächst rätselhaft und seltsam. Sie gehörten zu einem Volk, das in der ganzenGalaxis für seine medizinischen Wundertaten berühmt war. Man nannte siedie Weltraumärzte.
Die Mediziner wollten auf Trompos Welt nach Kräutern und Heilpflanzensuchen, aus denen man Medizin mixen konnte, denn sie vertrauten den natürlich gewachsenen Abwehrstoffen mehr als den synthetischen. Aber siehatten wenig Glück, weil der Planet nur über ein karges Pflanzenlebenverfügte. Dennoch gelang den Medizinern eine wichtige Entdeckung: Siefanden heraus, daß Trompos Artgenossen die Fähigkeit besaßen, mit ihneneine geistige Verbindung herzustellen, die man dazu verwenden konnte, eine
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neuartige Diagnose und Therapie zu entwickeln. Die Trompos fungierten inVerbindung mit den Weltraumärzten als Gesundheitsspione, die Krankheitenbereits im Frühstadium aufspürten und an die Ärzte meldeten. VieleTrompos wechselten daraufhin von ihrer Welt auf die Medizinschiffe derWeltraumärzte über, um dort als Helfer zu arbeiten.
Trompo selbst hatte lange Jahre mit einem Arzt ein Team gebildet. Bisdieser Arzt starb – mitten im Raum. Da sie allein auf einem kleinen Schiff lebten, ließ Trompo sich wochenlang dahintreiben und wartete darauf, daß ihmder lebensnotwendige Sauerstoff ausging.
Schließlich kam doch noch Rettung. Ein irdischer Kurierflieger, der indiesem Sektor des Weltraums zu tun hatte, spürte das treibende Arztschiffauf. Er nahm Trompo mit zur Erde. Später gelangte Trompo bei einem Kurierflug an Bord des Raumschiffes der Kinder und verpaßte den Abflug seinesBeschützers. Nach einigem Überlegen entschied er sich dafür, bei denKindern zu bleiben und nicht zur Erde zurückzukehren.
„Und weil wir uns gegenseitig auf einigen tausend Kilometern Entfernungaufspüren können“, sagte Trompo und deutete auf seine still zuhörenden Begleiter, „wußte ich plötzlich, daß sie in der Nähe waren und daß ich von derZentrale aus eine Verbindung zu ihnen herstellen konnte.“
„Deshalb also hast du uns hier hinaufgescheucht“, sagte Harpo und nickte.„Wir dachten schon, du hättest Thunderclap und die anderen ausfindig gemacht.“
„Davon wußte ich nichts“, piepste Trompo entschuldigend. „Ich sah nurdas sich entfernende Schiff der Ärzte und bin bald übergeschnappt. Ichwollte etwas tun. Nur, was? Zum Glück hatte das Schiff zwei Ärzte mit einemkleinen Beiboot ausgesetzt, die sich sofort an die Außenhaut unseres Raumschiffes hefteten und eine Einstiegsschleuse suchten.“
„Die sie dann auch gefunden haben“, beendete Thunderclap. Ihm undallen anderen fielen Steine vom Herzen, die einige Zentner wogen. Immerdeutlicher wurde ihnen bewußt, welches Glück sie hatten. Wäre der Kurierflieger nicht gewesen, hätte Trompo niemals an Bord gelangen können.Und ohne Trompo ...
„Wie heißen unsere Herren Doktoren denn eigentlich?“ wollte nun Ancawissen, als die beiden Fremden ein geflüstertes Gespräch miteinander begannen.
„Oh, der große heißt Rcxyklj, der kleine Fghrstl“, erläuterte Trompo lachend. „Da ihr das aber kaum behalten könnt, schlage ich vor, sie Robbie undFreddie zu taufen. Einverstanden?“
Robbie und Freddie, die offensichtlich verstanden hatten, nickten freundlich.
Micel sagte: „Ich kann ihre Gedanken lesen. Sie sprechen über Thunderclap und Lucky und ob sie ihnen helfen können.“
Thunderclap horchte auf. Er hatte eigentlich längst alle Hoffnung begraben, als die Ärzte auf der Erde sagten, daß er niemals wieder würde laufenkönnen. Micels Worte wirkten auf ihn wie ein Bombeneinschlag.
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„Meinst du ...“, begann er aufgeregt.Aber Micel hatte schon wieder den Gesichtsausdruck angenommen, den er
immer hatte, wenn er las. Lucky, der nichts so richtig verstanden hatte,quetschte sich zwischen die beiden Fremden und bot ihnen Kaugummi an.
Die Weltraumärzte bedankten sich, was Lucky noch mehr freute. Dannmeinte Trompo: „Sie wissen noch nicht, ob sie da was machen können, abersie schließen es nicht aus. Sie werden sich erst mal die defekten Geräte aufdem Schiff ansehen, um herauszufinden, was das Große Gehirn mattgesetzthat. Wenn das Medizinerschiff wiederkommt – etwa in einer Woche, da es zueinem Noteinsatz gerufen wurde – können sie mit der Reparatur anfangen.“
Damit war die inoffizielle Versammlung beendet. Unter der Anleitung vonThunderclap, Micel und Trompo nahmen die Weltraumärzte ihre Arbeit auf.Diejenigen, die im Moment nichts zu tun hatten, verschwanden in ihrenWohneinheiten. Karlie stürzte sich zusammen mit Anca auf die Kochgeräte,um ein schmackhaftes Essen zuzubereiten.
„Ob die Doktoren auch Kartoffelpuffer mögen?“ fragte er grinsend.Harpo war einem Schlaganfall nahe, hielt sich die Nase zu und rannte zum
See hinunter. Hier hatten sich bereits der kleine Oliver, Fidel, Lonzo undBrim Boriam versammelt.
Unwillkürlich fiel Harpo das fremde Mädchen wieder ein. Wo steckte es?Hielt es sich immer noch zwischen den Sträuchern am Seeufer verborgen? Zuentdecken war allerdings nichts. Die Hände in den Hosentaschen versteckt,rannte er glücklich pfeifend durch die Gegend. Dann fiel ihm ein, daß es ander Zeit war, die Abenteuer ihrer Gruppe niederzuschreiben. Wenn sie einesTages zur Erde zurückkehrten, würde es allerhand Wirbel geben. Vielleichtwar es ganz wichtig, daß man sich die möglichen Fragen der Zeitungs undFernsehreporter schon mal vorher überlegte und einige dazu passende Antworten niederschrieb.
Noch immer fröhlich vor sich hin pfeifend suchte Harpo seine Unterkunftauf, eine kleine Kabine, in der es neben einem Bücherregal einen Schreibtisch mit einem Drehstuhl, einen Wandschrank, eine bequeme Liege undeinige Fotos an den Wänden gab. Auf den Bildern waren Landschaften zu sehen, die es auf der heutigen Erde gar nicht mehr gab: grüne Wiesen, schwarzweißgefleckte Kühe, die verschlafen in das Objektiv des Fotografen glotzten,darüber ein strahlend blauer Himmel mit milchigweißen Kumuluswölkchen.
Harpo setzte sich und zog Papier und Bleistift aus einer Schublade. Eineganze Weile kaute er an dem Bleistiftende herum, weil ihm nichts Rechteseinfallen wollte. Ein Blick zur Seite zeigte ihm, daß die Kleiderschranktürnicht richtig geschlossen war. Ein Hemdsärmel lugte durch den Türspalt.
Da Harpo keine Unordnung leiden konnte, stand er auf und öffnete denSchrank, um das Hemd richtig aufzuhängen.
Er blieb wie vom Blitz getroffen stehen.Vor ihm – im Schrank – stand das rotgekleidete Mädchen. Große blaue
Augen sahen Harpo ängstlich an. Sie hatte beide Hände abwehrend erhoben,als erwarte sie, daß er auf sie einschlagen würde.
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„Nein“, sagte sie. „Nicht.“Harpo machte einen Schritt zurück, ließ fahrig seine Arme baumeln. Was
hatte sie denn? Warum hatte sie Angst?„Ich tu’ dir doch nichts“, sagte er beschwichtigend. Er mußte seine eigene
Nervosität verstecken. „Komm doch raus. Ich heiße Harpo Trumpff. Unddu?“
Er machte eine einladende Bewegung und ging rückwärts zur Liege zurück,auf deren Fußende er Platz nahm.
Das Mädchen sah ihn wohl eine Minute lang schweigend an, ohne sich zubewegen. Ihm wurde ganz heiß. Wie sollte er sich verhalten? Er klopfte einigeMale sanft mit der rechten Hand auf die Liege und sagte: „Setz dich doch. Dubrauchst nicht im Schrank zu bleiben.“ Innerlich dachte er: Mein Gott,warum kommt denn niemand und hilft mir?
Das Mädchen machte einen zögernden Schritt aus dem Schrank herausund sagte: „Ich ... habe ... Hunger.“
„Du kannst was von mir haben“, sagte Harpo schnell und wollte zum in dieWand eingebauten Vorratsfach gehen. Sofort machte das Mädchen einenRückzieher.
Ich darf mich nicht so schnell bewegen, dachte Harpo. Sonst hat sie Angst.Langsam legte er ein Stück Brot und etwas Käse auf die Schreibtischplatte.
Das Mädchen näherte sich zögernd und setzte sich vorsichtig auf denDrehstuhl. Hungrig begann sie zu essen. Als sie fertig war, drehte sie sichwieder um und sah Harpo dankbar an.
„Ich heiße Babs“, sagte sie schüchtern – und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande.
Harpo musterte sie ungeniert. Sie hatte ein hübsches Gesicht, stellte er fest.Und sie war wirklich mindestens achtzehn Jahre alt. Karlie hatte also dochrecht behalten.
Er beschloß, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Schließlich mußte er sie näher kennenlernen. „Wo kommst du her, Babs? Warum hast du Angst voruns?“
Sie lächelte freundlich, antwortete aber nicht. Vielleicht hatte sie ihn nichtverstanden? Babs stand auf, betrachtete die Fotos an den Wänden, fuhrspielerisch mit dem Zeigefinger über die Glasscheiben und sagte: „Schön.“
Harpo begriff. Babs verstand ihn wirklich nicht. Sie war so ähnlich wieLucky. Sie konnte ihn nicht verstehen, weil mit ihrem Gehirn etwas nicht inOrdnung war. Ob die Weltraumärzte ihr helfen konnten?
Zunächst mußte er ihr die Scheu vor der Gruppe nehmen. Und die anderendavon in Kenntnis setzen, daß ihnen von Babs keine Gefahr drohte.
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Die Erde sieht uns nicht wieder
Vier Tage später. Die Weltraumärzte Robbie und Freddie hatten nachharter Arbeit die Hauptfehlerquellen des Großen Gehirns gefunden und beseitigt. Als erfahrene Raumfahrer besaßen sie neben ihren medizinischenKenntnissen ein umfangreiches technisches Wissen. Denn nicht zum erstenMal machten sie die Erfahrung, daß manche ihrer Patienten nicht allein mitgesundheitlichen Problemen zu ihnen kamen. Wie sie herausfanden, war derGrund für das Versagen des Gehirns eine durchgeschmorte Leitung, die vonder ursprünglichen Besatzung leicht hätte repariert werden können. Wiesodie Besatzung derart in Panik geraten war und das Schiff aufgegeben hatte,blieb weiterhin ein Rätsel.
Auf den einzelnen Decks begannen die Sonnen wieder aufzuleuchten.Knarrend setzten sich die Pumpsysteme in Bewegung und beförderten dasWasser in die dafür vorgesehenen Bachbette. Gurgelnd schossen die Flutenaus den Rohrleitungen. Auf den Decks mit ausgefallener Heizung wurde esendlich wieder warm.
Thunderclap saß in der Hauptzentrale. Er hatte den Rollstuhl mit dem Sessel des Kommandanten vertauscht. Der halbkugelförmige Funkhelm gab ihmim Zwielicht des Raumes das Aussehen eines erwachsenen Mannes. An denübrigen Kontrollen: Micel vor den Beobachtungsgeräten, Brim an der Meteoritenkontrolle und Karlie an der Funkleitstelle, wo er dafür sorgte, daß alleHelmträger miteinander sprechen konnten, wo sie sich auch befanden.
Fantasia hatte mit Freddie und Robbie einen Posten als Astrogator übernommen und bestimmte mit den komplizierten Geräten die genaue Positiondes Schiffes. Trompo fungierte wieder als Dolmetscher.
Thunderclap, der die Baupläne des Schiffes auf den Knien liegen hatte, gabMicel seine Anweisungen. Es galt nun, die noch an Bord befindlichenanderen Kinder aufzuspüren und mit ihnen Kontakt aufzunehmen.
„Deck 12!“Nacheinander flammten die Bildschirme auf. Tiere hoppelten über Kunst
landschaften. Sanfte Winde wehten. Die Klimaanlagen funktionierten ebenfalls wieder. Auf diesem Deck lief alles zur besten Zufriedenheit.
„Deck 13!“Micel bediente seine Kontrollen wie ein erfahrener Ingenieur. Robbie und
Freddie hatten allen in einem Hypnoselehrgang beigebracht, was man wissenmußte, um ein Schiff von dieser Größe wenigstens einigermaßen in den Griffzu bekommen. Automatisch spulte sich dieses Wissen jetzt ab, als es erforderlich wurde. Gemeinsam inspizierten die Kinder über die Visiophonedie einzelnen Decks.
Erst als die Kameras die Basis der Grünen auf Deck 46 zeigten, sahThunderclap zwei Mädchen und drei Jungen, die dort in Decken gehüllt aufdem Boden saßen. Sie machten einen müden, hungrigen Eindruck. KeinWunder. Auch auf Deck 46 war die Heizung ausgefallen. Wenn die Kinder
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sich nicht getraut hatten, den Antigravlift zu benutzen, war ihnen keine andere Wahl geblieben, als dort zurückzubleiben.
Thunderclap bediente einige Knöpfe. Seine Stimme dröhnte verstärktdurch die verborgenen Lautsprecher. Die eingemummten Kinder hobenerstaunt die Köpfe.
„Hier spricht Thunderclap Genius von Deck 27“ sagte Thunderclap. „Ihrbraucht keine Angst zu haben. Wir sind in der Zentrale und bringen das Schiffwieder in Gang. Habt ihr noch etwas zu essen?“
Eines der Mädchen schüttelte den Kopf. Die anderen schienen Thunderclaps Worte gar nicht verstanden zu haben. Sie waren bereits so schwach,daß sie nicht mehr aufnahmefähig für Botschaften schienen.
„Bleibt wo ihr seid“, sagte Thunderclap. „Wir schicken ein Rettungskommando.“
„Ich gehe schon“, rief Brim. „Anca, kommst du mit?“ Sie nickte. Gemeinsam eilten sie zum Lift.
Die nächsten Kinder entdeckten sie auf Deck 112. Es war eine Gruppe vonzwölf Personen, unter denen sich auch Big Tom befand. Offensichtlich warenbereits einige seiner Leute abgesprungen und hatten sich selbständig gemacht. Thunderclap konnte sich einen kleinen Triumph nicht verkneifen,wenngleich er auch mittlerweile zu der Ansicht gelangt war, daß der Anführerdieser Gruppe für sein aggressives Verhalten wohl nichts konnte.
„He, Tom!“ rief er laut.Big Toms Kopf fuhr herum. Auch seine Leute spähten angestrengt um sich,
ohne jedoch den unbekannten Sprecher zu entdecken.Thunderclap lachte. „Du kannst mich nicht sehen Tom. Erinnerst du dich
an mich? Ich bin Thunderclap Genius, der Junge mit dem Rollstuhl von Deck27.“
Big Tom zuckte zusammen, als hätte ihm jemand einen Stoß in den Rückenversetzt.
„Wo bist du?“ fragte er dann mit unsicher flackerndem Blick, wobei er sichlangsam im Kreise drehte. „Wo hast du dich versteckt?“
„Wir sind in der Zentrale“, informierte ihn Thunderclap kurz. „Deck null.Ganz oben. Wie geht es euch? Habt ihr genug zu futtern?“
„Allemal“, erwiderte Tom. Irgendwie kam ihm die ganze Sache nicht geheuer vor, das merkte man. Aber vor seinen Leuten wollte er sich natürlichkeine Blöße geben. „Willst du was?“
Thunderclap verneinte. Wenn es Big Tom gut ging, konnten sie sich ersteinmal um hilfsbedürftigere Kinder kümmern. Sie fanden noch sieben Kinderin Deck 129, die offensichtlich erst jetzt festgestellt hatten, daß die dortigenGrünen ausgefallen waren und sich kopfschüttelnd über deren lebloseGestalten beugten. Auch sie wurden in aller Schnelle darüber informiert, wasin den letzten Tagen geschehen war.
Auf Deck 137 schließlich stießen die Kameras auf die restlichen acht Leuteaus Toms Gruppe, die sich hier häuslich niedergelassen hatten. Ihr Deck unterschied sich stark von allen anderen, die sie von der Zentrale aus gesehen
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hatten: Es war voller gläserner Behälter, in denen Fische schwammen, Terrarien, in denen Spinnen wimmelten und Schlangen umherkrochen. Und esgab eine Menge von kleinen Käfigen und Zwingern, in denen sich Hunde,Katzen und Mäuse tummelten.
„Aha!“ sagte Thunderclap. „Da haben wir den Platz, von dem die richtigenTiere abgehauen sind.“
Die Kamera zeigte mehrere zerbrochene Glasbehälter, in denen sich keinLeben regte. Aber die Temperaturanzeige gab an, daß es hier unten sehrwarm war. Wahrscheinlich waren die acht Kinder deshalb nach hier geflüchtet. Und sie versorgten die Tiere mit Futter wie man später herausfand.
Robbie, der Weltraumarzt, näherte sich Thunderclap und reichte ihm seineBerechnungen. Micel, der sich von seinem Sessel erhob, machte ein betroffenes Gesicht, als wisse er schon, was Robbie Thunderclap und den anderenmitteilen wollte.
Trompo hüpfte mit einem Satz auf Thunderclaps Schoß und machte es sichinmitten der Schiffspläne gemütlich. Harpo, der in der Mitte der Zentralegestanden und fasziniert die leuchtenden Sterne bewundert hatte, bemühtesich, über Robbies Schulter zu spähen.
Robbie sagte etwas, und Trompo übersetzte.„Das Große Gehirn funktioniert in fast allen Einheiten“, erklärte Robbie.
„Bis jetzt sind noch außer Betrieb: die Grünen, die Abteilung der automatischen Baumaschinen – ihr wißt schon, in den Decks, die noch nicht ganzfertiggestellt sind – und der Schiffsantrieb.“
„Und was bedeutet das?“ fragte Harpo atemlos.Thunderclap klopfte auf die Lehne seines Sessels. „Kruzifix! Ich hab’ doch
so was geahnt.“ Er sah sich in der Runde um und erklärte dann: „Ohne Antrieb keine Kurskorrektur, ohne Kurskorrektur keine Drehung, ohne Drehungkein Rückflug, ohne Rückflug keine Erde!“
Peng! Das saß.Allen wurde nun schlagartig klar, daß sie die Erde so schnell nicht wieder
sehen würden. Sie würden immer weiter ins All hinaustreiben, immer weiter,Jahre und Jahrzehnte, bis in die Unendlichkeit – oder ...
„Oder?“ fragte Karlie.„... oder bis wir in das Schwerefeld einer Sonne geraten und in sie hin
einfallen“, ergänzte Micel, der bereits Thunderclaps Antwort kannte.Harpo beschwichtigte: „Nun mal langsam, Leute. Genausogut können wir
in das Schwerefeld eines Planeten gezogen werden. Und dann können wir ineine Kreisbahn gehen und landen ...“
„Landen? Mit diesem Kasten? Du spinnst wohl!“ rief Karlie.„Aber mit einem Rettungsboot!“„Und wenn der Planet unbewohnbar ist?“ forschte Thunderclap.„Und wenn, und wenn ... Das wird er schon nicht sein“, versetzte Harpo
und gab sich optimistischer, als er eigentlich war. Bittend fragte er Robbie:„Könnt ihr gar nichts machen? Ich meine, den Antrieb reparieren?“
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Trompo dolmetschte: „Leider nicht. Die verschmorte Leitung hat einenBrand entfacht, der wichtige Teile zerstörte, auch jene Zellen desElektronengehirns, mit denen die Antriebselemente kontrolliert wurden. Dawir selbst einen ganz anderen Antrieb verwenden, verfügen wir auch nichtüber passende Ersatzteile. Das Schiff wird weiter und weiter fliegen, bis es irgendwo abgestoppt werden kann. Aber – das Weltall ist riesig und das Schiffverhältnismäßig klein. Die Möglichkeit, daß es auf eine Sonne oder einenPlaneten trifft, ist eine Milliarde zu eins.“
Harpo stellte gar nicht erst die Frage, ob die Ärzte nicht Hilfe von der Erdeherbeiholen konnten. Kein Mensch von der Erde war bisher so weit ins Allvorgedrungen wie dieses Raumschiff mit den Kindern an Bord. Niemandwürde ihnen helfen können.
„Können wir nicht mit euch kommen?“ fragte Micel.„Könnt ihr keine Arztlehrlinge gebrauchen?“ meinte der kleine Oliver.
„Dann könnte ich mir meine Allergien vom Halse schaffen. Das wäre unheimlich günstig für die Krankenkassen.“
Robbie schüttelte traurig den Kopf. „Wir würden euch wirklich gern mitnehmen“, ließ er Trompo übersetzen. „Aber ihr könnt auf unserem Schiffnicht leben. Wir haben eine andere Atemluft als ihr. Ihr würdet ersticken.Oder wollt ihr euer ganzes Leben in einem Raumanzug verbringen, mit einerSauerstoffflasche auf dem Rücken?“
„Und wieso könnt ihr dann in unserer Luft leben?“ bohrte Harpo weiter.Das war ihm nun doch zu kompliziert.
„Wir müssen auf vielen verschiedenen Welten arbeiten“, erwiderte Robbie.„Unsere Lungen sind durch operative Eingriffe in den unterschiedlichsten Atmosphären funktionsfähig. Diese Operationen werden im Kindesalter vorgenommen. Ihr seid dafür bereits zu alt, fürchte ich.“
Es dauerte weitere drei Tage, ehe die Kinder sich wieder mit dem Themaihrer Zukunft auseinandersetzten. Inzwischen waren sie in ihrer Wohneinheitauf Deck null nicht mehr allein: Bis auf die Mannschaft von Big Tom warenalle oben, und so wimmelte es in der Zentrale und den umliegenden Räumenvon Kindern. Auch Lori Powitz war dabei, ein kleines Mädchen, das auf Deck29 seinen Rucksack verloren hatte. Die Kleine war nett, nur hatte sie diekomische Angewohnheit, sich jedesmal dann mit dem Rücken zu denanderen zu setzen, wenn sie sich länger als drei Minuten nicht ausreichendbeachtet fühlte. Harpo und die anderen konnten das nicht verstehen, dennLori war ihnen allen sehr sympathisch.
Dann tauchte das Schiff der Weltraumärzte wieder aus dem Dunkel derkosmischen Nacht auf. Es blinkte mehrmals. Der Kommandant nahm Funkverbindung mit dem Raumschiff der Kinder und Freddie und Robbie auf.
Thunderclap hielt dies für den geeigneten Augenblick, eine Entscheidungherbeizuführen. Zwei Kuriere wurden zu Big Tom hinuntergeschickt, damitauch diese Gruppe informiert wurde.
Big Tom kam. Ehrfürchtig betrat er an der Spitze seiner Freunde die Sternenkuppel. Er hatte überhaupt kein großes Mundwerk mehr, sondern erschi
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en beinahe schüchtern und ängstlich. Die Anwesenden setzten sich auf denBoden, weil es nicht genug Sitzgelegenheiten für alle gab.
„Ich eröffne die Konferenz“, quäkte Lonzo, der sich diesmal unbehelligtden Weg durch die Schar der einstigen Widersacher bahnte. Er war immernoch der einzige Roboter, der funktionierte.
„Hauptverhandlungspunkt ist: Was bei allen Planeten der Milchstraße tunwir jetzt?“
Seine lustige Formulierung löste die Stimmung etwas. Hier und da brachten Vereinzelte ein Lachen zustande. Man hatte jeden darüber informiert,daß eine Rückkehr zur Erde gänzlich außerhalb der Möglichkeiten lag. Lonzoverknotete seine Tentakel vor der Kugelbrust und schmetterte: „Verhandlungsleiter: Pitter Sausewind ... äh ... ich meine, Thunderclap Genius!“
Thunderclap wurde rot und fauchte: „Lonzo! Wie konntest du dasverraten?“
Alles lachte, denn nun wußten die Kinder endlich, wie Thunderclapwirklich hieß. Aber er erholte sich rasch und wandte sich grinsend wieder derVersammlung zu.
„Ich hoffe, ihr habt nichts von dem gehört, was dieser gemeine Ölschluckerbehauptet hat. Falls doch, so glaubt ihm nicht! Nun, Schwamm drüber! Wirwollen jetzt beraten, wie wir weiter vorgehen.“
Thunderclap Genius führte mit Harpos Unterstützung in aller nötigen Breite aus, was die Weltraumärzte, die von Tom und seinen Leuten gebührendbestaunt wurden, herausgefunden hatten: daß es keine Möglichkeit gab, denAntrieb anzuwerfen und daß Menschen an Bord des Arztschiffes nicht atmenkonnten.
Im Gegensatz zu Harpos und Thunderclaps Erwartungen schien das diemeisten der Anwesenden nicht sonderlich zu stören.
„Na und?“ hieß es. Oder: „Dann steuern wir das Schiff eben selbst!“ Oder:„Döskopp, das können wir doch gar nicht.“ Oder: „Dann lernen wir es eben!“
Harpo staunte wortlos, er hatte damit gerechnet, daß einige in Tränen ausbrechen, verzweifelt sein würden. Und nun das? Beschämt gestand er sichein, daß manche Kinder mehr Mut hatten als er selbst mit seinen sechzehnJahren.
Nachdem Robbie dargelegt hatte, daß es seinen Leuten möglich war, mitvom Arztschiff stammenden Ersatzteilen zumindest einige der Grünenwieder flottzumachen, stieg die Stimmung sogar noch an. Ein Junge aus BigToms Gruppe erzählte, daß er mit einer Krankenschwester des Raumschiffsverwandt sei, die ihm berichtet hätte, daß die Grünen, wenn man sie mit derSteuerungsautomatik koppelte, in der Lage waren, das Schiff jahrelang alleinzu steuern. Diese Nachricht brachte das Faß zum Überlaufen.
Die Abstimmung ergab, daß alle dafür waren, weiter auf dem Schiff zubleiben, und zwar so lange, bis sich die Kinder selbst gut genug mit den Maschinen auskannten, um den Antrieb unter die Lupe zu nehmen. Und wennbis dahin zwanzig Jahre vergehen sollten!
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Aufbruch zu neuen Planeten
So etwa mochte es in der Hauptzentrale ausgesehen haben, als Harpo undseine Freunde noch im Tal der Wigwams spielten und die Erwachsenen dasZepter fest in der Hand hielten. Das vermutete Harpo jedenfalls mit einigemStolz, als er sich umsah. Wirklich gesehen hatte er die Zentrale ja erst, als dieErwachsenen das Schiff bereits verlassen und die Kinder den Gewalten desKosmos überlassen hatten.
Harpo stand neben Thunderclap in der Mitte der Sternenkuppel und ließwie der Junge im Rollstuhl seine blanken Augen über die pulsierenden Lichtketten huschen, die nun wieder über fast alle Instrumententafeln flitzten. DieSignallampen gaben derart viel Helligkeit ab, daß man sich beinahe geblendet fühlte. Das frühere Halbdunkel des riesigen Raumes war durch dasFunkeln taghell erleuchtet.
Über ihnen – oder unter ihnen: denn im Weltraum gab es ja eigentlich keinOben und kein Unten – breitete sich das glitzernde Sternenband der Milchstraße aus. Dieser Blick in die kosmische Unendlichkeit hinaus hatte nichtsan magischer Anziehungskraft verloren. Oftmals erwischte man den einenoder anderen, wie er gedankenverloren zu den Sternen hinausstarrte. Manmußte sich nur einmal vorstellen, daß dieses Licht seit Millionen von Jahrenim Universum unterwegs gewesen war, bis es die Augen des Betrachters erreichte. Schließlich konnte es sich nur mit 300 000 Kilometern pro Sekundebewegen, während die Sterne selbst mitunter so weit entfernt waren, daß einLichtstrahl Millionen von Jahren brauchte, um diese Entfernung zu durcheilen. Einige der ganz fernen Sterne gab es inzwischen vielleicht schon garnicht mehr: Sie waren erloschen oder hatten ihre Energien im Zeitraumweniger Jahre als grell aufflammende Nova vergeudet. Aber ihr Licht würdenoch eine halbe Ewigkeit lang im Kosmos scheinen. Harpo seufzte, als erdiese weißen, grünen, blauen und roten Lichtpunkte sah. Jeder einzelne davon war eine Sonne, mal ferner, mal näher. Und viele davon mochten einPlanetensystem besitzen wie die Sonne der Erde. Eines Tages würde auseinem dieser Punkte ein feuriger Sonnenball werden. Und vielleicht würdensie dann ...
Aber bis dahin konnte noch viel Zeit vergehen. Die Kinder an Bord desRaumschiffes würden langsam erwachsen werden. Die hypnotische Lehrbehandlung durch die Weltraumärzte war eine gute Grundlage zum Studiumder Fachliteratur an Bord. Sie würden wachsen und lernen. Sie würden mitder Zeit all das begreifen lernen, was ihnen jetzt noch verschlossen blieb. Irgendwann würden sie das Schiff von seinem GeradeausKurs abbringen undes steuern lernen. Sie würden den Antrieb zünden und ihren eigenen Wegwählen.
O ja, sie würden es schaffen. Vielleicht würden sie eines Tages sogar verstehen, weshalb man eine Handvoll Kinder in einem Riesenraumschiff sich
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selbst überlassen hatte. Weshalb die Erwachsenen das Schiff verlassenhatten ... Vielleicht würden sie den Erwachsenen sogar verzeihen.
Langsam schweifte Harpos Blick über die Anwesenden. Die Weltraumärztehatten gute Arbeit geleistet: Elf Grüne waren repariert und zur Steuerung desSchiffes umprogrammiert worden. Sie saßen vor den Kontrollen und überwachten die Schiffsfunktionen. Und wenn die Zeit für den Unterricht kam,dann lauschten die älteren Kinder – unter ihnen auch Harpo, Thunderclap,Karlie, Fantasia, Micel und Fidel – begierig den Erklärungen ihrer maschinellen Lehrer. Sie erklärten ihnen jedes Detail, das mit dem Schiff zu tunhatte und webten ein Gewebe aus theoretischen Grundlagen darüber.
Schon jetzt kristallisierte sich heraus, daß bei einigen Kindern dastechnische Verständnis überdurchschnittlich ausgeprägt war: Daran, daßFantasia einmal eine Spitzeningenieurin würde, zweifelte niemand mehr.Und Karlie hatte intensives Interesse an der Astrogation. Er würde einmal dasSchiff lenken, kein Zweifel.
Was Harpo betraf, so wurde er von der Versammlung für das Amt desChronisten und Logbuchführers bestimmt. Man wußte, daß seine ganzeLiebe den Büchern gehörte. Inzwischen schrieb er auch schon an der kurzenund turbulenten Geschichte des „Raumschiffs der Kinder“ – das jetzt einenNamen hatte.
„Ich finde es blöde, daß wir immer nur von dem Raumschiff sprechen“, beklagte sich Anca eines Tages auf einer Versammlung. „Laßt uns diesem ...diesem ... EukalyptusBonbon endlich einen Namen geben!“
Natürlich sah das Raumschiff nicht wie ein EukalyptusBonbon aus, aberandererseits: Ein bißchen Ähnlichkeit hatte es vielleicht doch damit. Ancawußte selbst nicht so genau, warum ihr gerade dieser Vergleich eingefallenwar. Möglicherweise hatte sie auch ein wenig an Weltraumärzte und Medizingedacht?
Auf jeden Fall wurde der Name mit großem Hallo begrüßt. Und obwohlnoch ein paar andere Vorschläge gemacht wurden – Harpo notierte gewissenhaft in seinem Protokoll: GALAKTIKUS, STELLARIS, MÜLLERCHENSBLECHDOSE und PARANOIAEXPRESS –, war von Anfang an klar, daß Ancaunfreiwillig den Taufnamen schon genannt hatte. Mit übergroßer Mehrheitentschieden sich die Kinder dafür, „ihrem“ Raumschiff den Namen EUKALYPTUS zu geben. In einem feierlichen Taufakt wurde eine Flasche Champagner aus den Vorräten der Erwachsenen an der Säule des Steuerpultszerschlagen, und Harpo malte den Namen mit dicken, fetten Buchstaben indie Schiffspapiere: RAUMSCHIFF EUKALYPTUS.
Die Weltraumärzte hatten sich, nachdem sie ihre Mission erfolgreich beendeten, wieder verabschiedet. Sie flogen einen Einsatz nach dem anderenund verfügten kaum über Freizeit. Sie waren froh, den Kindern geholfen zuhaben. Nun konnten sie aus eigenen Kräften ihre Lage meistern. DieAnwesenheit der Ärzte war nicht mehr erforderlich. Andere Patienten anallen Ecken und Enden der Galaxis warteten auf ihre Hilfe.
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Bevor die Ärzte abflogen, untersuchten sie alle Kinder noch einmal gründlich auf Herz und Nieren. Brim Boriam wurde von ihnen für einen Schnellkursus ausgesucht. Er lernte hypnotisiert einige Geheimnisse derWeltraumärzte und konnte künftig in Zusammenarbeit mit Lonzo und denanderen Grünen ärztliche Hilfe leisten.
Besonders gründlich wurden Thunderclap, Lucky und Babs von den Weltraumärzten untersucht. Aber es stellte sich heraus, daß die Medikamente hierim Weltraum für eine Behandlung nicht ausreichten. Vielleicht konnte manihnen in der Zentralklinik auf dem Heimatplaneten der Ärzte helfen. DieWeltraumärzte verschwanden mit dem Versprechen, eine Botschaft an alleanderen Patrouillenschiffe zu schicken.
In dem voraussichtlichen Zielgebiet der EUKALYPTUS sollten die Ärzte ineinigen Monaten oder Jahren nach den Kindern Ausschau halten. Irgendwann würde man sich wiedersehen. Und dann sollte den Dreien auf derHeimatwelt der Weltraumärzte geholfen werden.
Thunderclap fieberte schon jetzt diesem Moment entgegen, so fern er auchnoch sein mochte. Er war felsenfest davon überzeugt, daß die Ärzte Wort halten würden.
Trompo war entgegen den Befürchtungen aller nicht mit den Weltraumärzten abgeflogen. Er hing inzwischen so sehr an den Kindern, daß ersich nicht von ihnen trennen mochte.
Der Mann im Tiefschlaf, der auf den Namen Daniel Locke hörte, lag nochimmer in seinem Behälter und regte sich nicht. Die Weltraumärzte hattenauch ihn untersucht und festgestellt, daß er an einer Krankheit litt, die sienicht heilen konnten. Es war besser, wenn man ihn schlafen ließ. Wahrscheinlich war Daniel Locke gerade deshalb eingefroren worden, weil manihm nicht helfen konnte und auf die medizinischen Fortschritte der Zukunfthoffte.
Babs, das geheimnisumwitterte Mädchen aus Harpos Kleiderschrank,sprach so gut wie nie, war aber stets zur Stelle, wenn man Hilfe benötigte.Harpo hatte nachgeforscht: Ihr Name stand nirgendwo auf der Passagieroder Mannschaftsliste der EUKALYPTUS.
„Vielleicht ist sie ein blinder Passagier“, vermutete Thunderclap.„Mag sein“, antwortete Harpo und zuckte mit den Schultern. „Oder sie hat
uns einen falschen Namen genannt. Na, irgendwann werden wir das schonnoch herausfinden.“
Big Tom hatte seine ruppige Art noch immer nicht ganz abgelegt, aber erbemühte sich, den anderen Kindern ein echter Partner zu sein. Fidel nahmsich seiner besonders an, vielleicht deshalb, weil er eine ähnliche Entwicklung durchgemacht hatte und ihn deshalb gut verstehen konnte.
Während Fantasia, Karlie, Harpo und Brim schon ziemlich deutlich sahen,welche Funktionen sie auf der EUKALYPTUS zu erfüllen hatten – was Karlienicht davon abhalten konnte, so oft wie möglich seiner Kochleidenschaft zufrönen und immer wieder neue KartoffelpufferRezepte auszuprobieren – ,versuchten die anderen, möglichst viel Wissen zu speichern. Das war ein
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ganz anderes Lernen, als sie es von früher her kannten. Sie lernten nichtdeshalb, weil ein Lehrer, ein Erwachsener oder ein Grüner sie zwang, sonderndeshalb, weil sie wußten, daß dieses Wissen der Gemeinschaft an Borddiente. Es machte einfach auch Spaß, Grundgesetze der Elektrotechnik zulernen und anschließend selbst eine Schaltung zu bauen. Wenn man dann inder Zentrale die Lichterketten über die Schalttafeln huschen sah, verstandman plötzlich, wie alles funktionierte und was die Signalleuchten meldeten.
Anca und der kleine Ollie hielten sich meistens bei den echten Tieren auf.Sie brachten ihnen Futter, säuberten die Käfige und studierten die Lebensgewohnheiten ihrer neuen Freunde. Anca bezwang sogar ihre Angst vorSchlangen und lernte dabei zum Beispiel, daß einige Tiere gar keineSchlangen waren, obwohl sie so aussahen. Eine Blindschleiche etwa konnteman unbedenklich anfassen. Sie fühlte sich weich und glatt an und konntegar nicht beißen. Ein kleiner Dackel namens Moritz durfte bald die Käfigeverlassen. Er tollte mit Trompo durch das Schiff und neckte ihn. Trompo ließes sich gern gefallen und mimte Angst vor dem kleinen Kläffer.
Seit der erfolglosen Schatzsuche waren aus Lucky und Lonzo die bestenFreunde geworden. Sie stöberten auch weiterhin nach verborgenen Schätzen,und niemals zuvor hatte man Lucky derart viel lachen gehört wie jetzt. Seinrätselhaftes Talent, andere Leute und sich selbst von einem Ort zum anderenzu versetzen, schlummerte unter der Oberfläche seines freundlichen Gemüts.Brim, der nur noch selten stotterte, plante bereits eine Testreihe, um herauszufinden, wie man Luckys Begabung bewußt einsetzen konnte.
Micel Fopp, der Telepath, wollte Brim bei diesen Versuchen so gut wiemöglich helfen. Einstweilen wurde er nicht müde, die vielen neuen Freundeausgiebig kennenzulernen. Für einen Menschen, der Gedanken lesen konnte,war das sicherlich ein noch größeres Abenteuer als für alle anderen Leute.
So haben wir unsere Freunde noch einmal Revue passieren lassen. Derletzte Blick aber, den wir in das immer noch führerlose Raumschiff EUKALYPTUS werfen, gilt Thunderclap Genius, dem Jungen im Rollstuhl, von demwir inzwischen wissen, daß er eigentlich Pitter Sausewind heißt. Wir sehenihn vor einem Bildschirm sitzen und auf einen blaugrünen Stern starren.Täuschen wir uns, oder ist dieser Stern in den letzten Wochen tatsächlichgrößer geworden? Wir blicken auf Thunderclaps Gesicht. Seine Augen habensich verengt, und mitten auf der Stirn hat sich eine steile Falte gebildet. Er hates also auch gemerkt.
Ja, kein Zweifel. Das Raumschiff EUKALYPTUS nähert sich einer fremdenSonne.
Ende
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Die Besatzung der EUKALYPTUS
Harpo Trumpff:Sechzehn. Blondes, schulterlanges Haar. Hat gelegentlich Angst vor dem
Alleinsein in der Dunkelheit. Grund seines Aufenthalts auf dem Sanatoriumsschiff: Schwindelanfälle, Gedächtnisstörungen nach Stürzen. Chronist undLogbuchführer der EUKALYPTUS.
Anca Trumpff:Harpos Schwester. Zwölf. Langes schwarzes Haar. Klein. Etwas pummelig.
Regt sich auf, wenn man sie „Pummelchen“ nennt. Liebt Tiere. Mit Ollie sehreng befreundet. Übertreibt gern. Wurde auf das Schiff geschickt, damit Harposich nicht allein fühlt.
Brim Boriam:Vierzehnjähriger Negerjunge. Krauses Haar. War anfangs sehr schüchtern.
Litt unter starken Sprachstörungen. Stottert jetzt nur noch, wenn er sehr aufgeregt ist. Hat medizinisches Talent. Wurde von den Galaktischen Medizinern in einem Schnellhypnose Verfahren zum Arzt ausgebildet.
Thunderclap Genius:Deckname eines gelähmten fünfzehnjährigen Jungen. Hütet seinen echten
Namen sorgsam. Hochintelligenter Tüftler. Technisch begabt. AlleswissendeLeseratte mit eidetischem Gedächtnis (vergißt kaum etwas, was er einmal gehört oder gelesen hat). Hobby: Entschlüsseln von Geheimschriften.
Lucky Cicero:Zehn. Kann nur wenige Worte sprechen. Mongoloide. Sehr verspielt.
Freundlich. Verfügt über geheimnisvolle parapsychologische Geisteskräfte.Ist sich ihrer nicht bewußt. Kann sie nicht steuern. „Telekinet“ und„Teleporter“ (Kann Gegenstände mit reiner Geisteskraft bewegen). Verfügtüber die Gabe, seinen Körper aufzulösen und an anderer Stelle wieder komplett zusammenzufügen. Verbringt seine Zeit hauptsächlich damit, zusammen mit Lonzo nach nicht existierenden Schätzen zu suchen. BesteFreundin: Fantasia Einstein. Kümmert sich um ihn, als wäre er ihr kleinerBruder.
Lonzo:Roboter. Im Gegensatz zu seinen maschinellen Kollegen, die wegen ihrer
teddybärartigen Aufmachung die „Grünen“ genannt werden, ohne Verkleidung. Behauptet von sich, überhaupt keine Maschine, sondern ein ehemaliger Seeräuber zu sein. Ist zweifellos defekt. Steht voll auf der Seite derKinder. Akzeptieren ihn, so wie er ist. Klopft gern Sprüche. Hat so ziemlich jedes Buch über Piraten gelesen. Ist in der Lage, kleinere Verletzungen und
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Krankheiten mit einem eingebauten medizinischen System zu behandeln.Besitzt aus Metallringen zusammengesetzte Beine und einen kugelrundenKopf.
Fantasia Einstein:Fünfzehn. Rothaarig. Sensibel. Blaß. Wirkt nervös. Sehr still. Lerneifrig.
Kümmert sich rührend um Lucky Cicero. Möchte eines Tages Raumschiffbauingenieurin werden.
Fidel Flottbek:Dunkelblond. Hat Pickel. Neben Harpo und Thunderclap der älteste Junge
an Bord der EUKALYPTUS. Hatte eine schlimme Jugend. Wuchs in Waisenhäusern auf. Ist daher den Erwachsenen gegenüber nicht besonders positiveingestellt. Hält sie alle für schlecht. Kann aggressiv sein. Ist aber nicht verstockt, sondern kann einsichtig sein, wenn man ihm eine andere Meinung inden richtigen Worten nahebringt.
Micel Fopp:Vierzehn. Schwarzhaarig. Dunkle Augen. Wurde durch falsche Medi
kamente, die seine Mutter während ihrer Schwangerschaft einnahm, mit verkürzten Armen geboren. Hände klein wie die eines Fünfjährigen und direktan seinen Schultern angewachsen. Ansonsten körperlich unversehrt. „Telepath“ (ist in der Lage Gedanken zu lesen).
Karlie Müllerchen:Fünfzehn. 2,20 Meter groß. Niemand weiß, wann er aufhören wird zu
wachsen. Bürstenhaarschnitt. Liebt nichts mehr als Kartoffelpuffer. Tischt siejedesmal, wenn er mit Küchendienst an der Reihe ist, den anderen in hundertVariationen auf. Hat Humor und starkes Interesse an Funktechnik und Astronavigation.
Tom Schlitz:Genannt „Big Tom“. Fünfzehn. Kaut ständig an den Fingernägeln. Hat
puppenhaftes, weißes Gesicht und einen muskulösen Körper für seine Größe.Anfangs ein ziemlich ruppiger Bursche. Wird später den anderen mehr undmehr zum Partner. Freundet sich mit Fidel Flottbek an, der in seiner Kindheiteine ähnliche Entwicklung durchmachte.
Ollie:Elf. Strubbelkopf. Fransenbesetzte Lederhose. Ziemlich frech. Sogenannter
„Hypochonder“ (eingebildeter Kranker). Kerngesund, redet sich aber ständigein, gegen alles und jeden allergisch zu sein. Schreit nach Medizin, sobald ereinen einsamen Pickel auf seiner Haut entdeckt. Sein Ziel: rasch erwachsenzu werden, weil er Anca Trumpff heiraten will.
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Moritz:Dackel. Ollies Liebling. Darf eigentlich nicht in die Zentrale. Wird von Ollie
immer wieder eingeschmuggelt. Hat es auf Lonzos Metallbeine abgesehen.Und auf Trompo, den er für eine Art Hund hält.
Trompo:Außerirdisches Wesen von Katzengröße. Sieht wie ein rosafarbener Elefant
aus. Schlappohren. Haut ist von einem Fell bedeckt. Ist kein Tier, sondern einintelligentes Lebewesen von einem Planeten mit unaussprechlichem Namen.Lebte als eine Art „Krankheitsaufspürer“ bei den Galaktischen Medizinern,bevor er auf das „Raumschiff der Kinder“ kam.
Babs Monroe:Geheimnisvolles, achtzehnjähriges Mädchen. Anwesenheit auf der EUKA
LYPTUS bislang unerklärlich. Große blaue Augen. Mittellanges, hellblondesHaar.
Daniel Locke:Mehr ein Mythos als eine Person. Ein Mann in einem gläsernen Sarg. Die
Kinder können mit ihm keine Verbindung aufnehmen, weil er im Tiefschlafliegt.
EUKALYPTUS:Den Namen erhielt das Schiff erst durch die Kinder. Obwohl es ja eigentlich
eher wie eine riesige Hantel aussieht. Zwei Kugeln, ein zylindrisches Verbindungsstück. Besteht aus einer Vielzahl von Decks, jedes kilometergroß,viele davon als künstliche Wüsten und Dschungel ausgestattet.
Ob das Raumfahrzeug ursprünglich als eine Art Auswanderungsschiff fürinterstellare Reisen vorgesehen war, weiß man nicht so genau. Sicher ist nur,daß es einen neuartigen, vorher nicht getesteten Antrieb besitzt, der mehrfache Lichtgeschwindigkeit zuläßt. Es umkreiste als Hospitalschiff für krankeund umweltgestörte Kinder die Erde – bis es sich aus noch ungeklärter Ursache aus seiner Umlaufbahn riß. Die ursprüngliche Besatzung ließ das Schiffund die Kinder im Stich. Diese mußten selbst lernen, das Schiff zu steuern.Daß sich die EUKALYPTUS überhaupt wieder manövrieren läßt, verdankendie Kinder vor allem den hilfreichen „Weltraumärzten“, einer extraterrestrischen Rasse. Die EUKALYPTUS hat mehrere Beiboote, Fabrikationsstättenfür alles, was an Bord benötigt wird, Wartungsroboter – und natürlich einesehr tüchtige, aber auch fröhliche Besatzung.
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