am schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier meter...

10
20 / bergundsteigen #94 / frühling 16 Am Schicksalsberg „Servus Peter. Seit mehreren Jahren sind wir Abonnenten von bergundsteigen. In eurer Zeitschrift nehmen alpine Unfälle, deren Analyse und die Diskussion darüber, was man daraus lernen kann, einen breiten Raum ein. Deshalb wenden wir uns heute an dich. Eventuell hast du von dem Spaltensturz am Großen Wiesbachhorn am 11. April 2015 gehört. Wir sind die beiden, die in die Spalte gefallen sind. Und wir glauben, dass wir nichts verkehrt gemacht haben. Wir gehören zu jenen Bergsteigern, die ihr Recht auf Abenteuer in den Bergen leben, wobei wir uns der Risiken bewusst sind. Diesen Risiken begegnen wir mit intensi- vem Training und der ständigen Auseinandersetzung mit der Materie Bergsport. Muss man sich ständig dafür rechtfertigen?“ Ausschnitt aus der Alpenvereinskarte 40 Glocknergruppe / mit freundlicher Genehmigung der Alpenvereinskartographie des ÖAV und DAV Thomas Mansberger ist leidenschaftlicher Splitboarder und Ausdauersportler, der die perfekte Line abseits breitgetretener Pfade sucht. www.splitboardtouren.at

Upload: others

Post on 31-Oct-2020

1 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

20 / bergundsteigen #94 / frühling 16

Am Schicksalsberg„Servus Peter. Seit mehreren Jahren sind wir Abonnenten von bergundsteigen. In eurer Zeitschrift nehmen alpine Unfälle, deren Analyse und die Diskussion darüber, was man daraus lernen kann, einen breiten Raum ein. Deshalb wenden wir unsheute an dich. Eventuell hast du von dem Spaltensturz am Großen Wiesbachhorn am 11. April 2015 gehört. Wir sind die beiden,die in die Spalte gefallen sind. Und wir glauben, dass wir nichts verkehrt gemacht haben. Wir gehören zu jenen Bergsteigern, dieihr Recht auf Abenteuer in den Bergen leben, wobei wir uns der Risiken bewusst sind. Diesen Risiken begegnen wir mit intensi-vem Training und der ständigen Auseinandersetzung mit der Materie Bergsport. Muss man sich ständig dafür rechtfertigen?“

Ausschnitt aus der Alpenvereinskarte 40 Glocknergruppe / mit freundlicher Genehmigung der Alpenvereinskartographie des ÖAV und DAV

Thom

as M

ansb

erge

r ist

leid

ensc

haftl

iche

r Spl

itboa

rder

und

Aus

daue

rspo

rtle

r, de

r die

pe

rfekt

e Li

ne a

bsei

ts b

reitg

etre

tene

r Pfa

de s

ucht

. ww

w.s

plitb

oard

tour

en.a

t

Page 2: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

21

von Edi Mörtl und Thomas Mansberger

Seit letztem Jahr haben wir beide diese Tour auf das Wiesbach-horn in unserer gemeinsamen Planung, wobei ich (Edi) ur-sprünglich die klassische Überschreitung des Wiesbachhornsfavorisierte: Aufstieg über Grubenerscharte, Klockerin, Brat-schenkopf, Kaindlgrat und Abfahrt über das Sandbodenkees.Wegen der etwas schwierigen Orientierung im Bereich der Heid-nischen Kirche entschieden wir uns dann doch gemeinsam fürAnstieg und Abfahrt auf derselben Route. Wir haben uns inten-siv damit beschäftigt und den - wie wir auch heute noch glau-ben - richtigen Zeitpunkt abgewartet. Neben der Lawinensitua-tion und dem Wetter haben wir uns einen klaren Zeitplan fest-gelegt und die Ausrüstung durchgesprochen. Dabei war natür-lich auch die Mitnahme eines Seils Thema und nach dem Fürund Wider haben wir gemeinsam entschieden, darauf zu ver-zichten; aus eben diesen Gründen, wie sie bei solchen Tourenimmer wieder diskutiert werden. Fakt ist, dass ein Seil in unse-rem konkreten Fall weder den Spaltensturz verhindert, noch einEntkommen aus dieser Spalte ermöglicht hätte. Überstandenhaben wir unseren Unfall nur mit viel Glück. Wir möchten andieser Stelle - ebenso wie wir es bereits im Blog des Lawinenla-geberichtes Salzburg (www.lawine.salzburg.at) gemacht haben -die Vorkommnisse so detailliert wie möglich schildern, um unsund anderen die Möglichkeit zu geben, daraus zu lernen.

Verlauf

Nach wochenlanger intensiver Planung (Karten, Sommer- undWinterfotos, Google Earth, Internet, alte Tourenführer) und Be-obachtung (Wetter, Schnee, Webcams, Lawinenlageberichte) beschlossen wir, am Samstag den 11. April 2015 die langersehnteTour auf´s Große Wiesbachhorn über´s Sandbodenkees anzu-gehen. Wir starteten bei mondheller Nacht um 3:00 mit den Rädern am Schranken kurz nach Fusch. Die Nacht hatte nichtdie erhoffte starke Abstrahlung gebracht, aber es war so kalt,dass wir mit den Rädern auf der Glocknerstraße teilweiseSchwierigkeiten hatten, da größere Flächen spiegelglatt gefro-ren waren und ich musste mir auch die Fäustlinge anziehen,weil ich in den Fingerhandschuhen kalte Finger bekam. Wir ra-delten bis unterhalb der Vögerlalm, dann ging´s zu Fuß weiternach Westen. Bald konnten wir die Skier anschnallen und sehrmühsam über gewaltige Lawinenkegel in Richtung Gletscher-bruch/Heidnische Kirche ansteigen. Auf ca. 2.000 m und bei Tagesanbruch wechselten wir auf Steigeisen. Nur ab und zu - an den Übergängen zum felsigen Teil - brachen wir ein, ansons-ten und vor allem die letzten 1.200 Hm war alles hart gefrorenund man sah nur die Abdrücke unserer Steigeisen. Hinter demGletscherbruch vorbei ging´s hinauf auf die herrliche Gipfel-flanke und weiter zum Gipfelgrat. Ca. 200 m vor dem Gipfel-kreuz beendete Thomas die Tour, weil der Grat nicht unheikelwar und uns 10:30 Uhr als idealer Zeitpunkt für die Abfahrt

Audiatur et altera pars*

*Es werde auch die andere Seite gehört. Rechtsgrundsatz nach Seneca, Medea 199

Edi M

örtl

ist s

eit ü

ber 4

0 Ja

hren

in d

en B

erge

n un

terw

egs.

Sei

ne L

eide

nsch

aft g

ehör

t dem

Ski

berg

stei

gen

und

Hoc

h-to

uren

gehe

n, b

eson

ders

um

Geb

irgsg

rupp

en z

u du

rchq

uere

n od

er 4

.000

er z

u üb

ersc

hrei

ten

- ger

ne a

uch

alle

ine.

Page 3: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

22

In der Spalte aus Edis Sicht. Die Brücke und der Blick nach unten von der Brücke,auf der Edi gelandet ist. Thomas landete etwas tiefer und aufgrund der Beschaffenheitder Spaltenwände und der vorhandenen Ausrüstung schafften sie es nicht, aus derSpalte zu kommen. Schließlich mussten sie dort 22 Stunden verbringen, ehe sie via Helikopter gerettet werden konnten. Fotos: Edi Mörtl

Page 4: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

23

erschien. Thomas verzichtete auf den Gipfel, ging zurück zumSkidepot - ca. 300 m entfernt vom Gipfelkreuz auf 3.500 m - undbaute sein Splitboard für die Abfahrt zusammen und warteteauf mich, bis ich nach wenigen Minuten nachkam.

Als ich mich neben ihn stellte, brachen wir plötzlich ein undstürzten beide in eine Gletscherspalte. Thomas fiel kopfüber ca.sieben bis acht, ich vier bis fünf Meter tief, bis wir beide jeweilsauf einer schmalen Schneebrücke zu liegen kamen. Sofort warklar, was passiert ist. Wir sammelten uns, riefen uns gegenseitigzu, überprüften die eigenen Körperfunktionen - wir waren beideOK - und versuchten aufzustehen - was uns beiden gelang. So-weit waren wir vorerst einmal sicher. Die beiden Pickel von Thomas sind an der Oberfläche zurück-geblieben, doch den Rucksack hatte er am Körper und aus die-sem nahm er seine Steigeisen und zog sie vorsichtig an, weil ereinige Meter auf eine bessere Brücke hochklettern wollte. Ichwarf ihm meinen Pickel (ich hatte nur einen mit, diesen beimSturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep-schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte esThomas noch knapp zwei Meter höher auf ein breiteres Podestzu klettern, bevor es nicht mehr weiterging - mir ist unerklär-lich, wie er es bis dorthin geschafft hat.

Auch ich versuchte, höher zu kommen und hatte zunächst so-gar die Hoffnung, selbst aus der Spalte klettern zu können. Ichmusste aber erkennen, dass das mit einem Pickel in dem Eisund Grieß nicht möglich war. Die zwei Spaltenwände waren völlig unterschiedlich. Die eine Wand war eisig, nur mit zweiPickeln kletterbar, aber leider sehr überhängend. Die andereSpaltenwand war etwa 80° steil und mehr eine Schneewand.Ich konnte mit der Lawinenschaufel zwar vier ca. 20 bis 30 cmtiefe Stufen graben und auch drei davon hochklettern. Doch da-nach konnte ich keinen Halt mit dem Pickel finden. Da es linksund rechts von meiner Brücke ohne Halt mindestens 50 bis 70 min die Tiefe ging, hatte ich nicht die Nerven, in diesem unsiche-ren Gelände weiter zu probieren. Noch dazu mit einem schmer-

zenden Handgelenk, da ich mir das beim Sturz - wie sich späterherausstellte - gebrochen hatte. Somit war klar, dass wir aus die-ser Situation nicht mehr selbstständig herauskommen werden. Glücklicherweise hatten wir Handyempfang (!) und alarmiertendie Bergrettung. Wir schilderten die Lage und gaben die GPS-Daten unseres Standortes durch. Dann begann das Warten: stehend auf einer fragilen Schneebrücke, A3-Format groß undlinks und rechts ging´s ins Bodenlose. Gurt, Eisschrauben, usw.hatten wir auch nicht dabei und es mag jetzt nach einer Ausredeklingen, aber nichts davon hätte in unserer Situation wirklichgeholfen. Am uns gegenüberliegenden eisigen Wandteil hätteich zwar sicher eine Eisschraube setzen können, aber wäremeine Brücke - was ständig zu befürchten war - weggebrochen,wie lange hätte ich im Sitzgurt hängend ausgehalten?

Doch da es erst vormittags war und noch gutes Flugwetterherrschte, waren wir zuversichtlich, innnerhalb kurzer Zeit gerettet zu werden. Bald überflog uns auch ein Hubschrauber.Die Kommunikation mit den Rettern funktionierte via Mobilte-lefon sehr gut, nur im Verlauf der Gespräche merkten wir immermehr, dass irgendetwas nicht stimmte. Über uns blauer Him-mel, die Sonne schien in die Spalte und doch wurde uns ständigvermittelt, dass kein Flugwetter sei. Wir verstanden das nicht.Immerhin ist ja nach dem ersten Anruf gleich ein Heli über un-serer Spalte gestanden – ich konnte sogar den Piloten sehen.Den wahren Grund, warum keine Rettungsmannschaft hochge-flogen wurde, nannte man uns nicht. Erst viel später erfuhrenwir, dass für eine Bergung auf dieser Höhe keine geeignete leis-tungsstarke Maschine zur Verfügung stand.

Die Zeit verging und wir wurden immer besorgter. Erst nachdemdas Wetter zunehmend schlechter wurde, ich schätze so gegendrei, halbvier, wurde uns mitgeteilt, dass man versucht, eineMannschaft zu Fuß hochzuschicken. Ich habe daran nicht ge-glaubt, weil es dafür viel zu spät war, habe aber meine Befürch-tung Thomas nicht gesagt. Denn er hatte noch große Hoffnung,weil ihm ein ihm persönlich bekannter Bergrettungsprofi gesagt

Foto: Markus Amon

Anflug des Rettungshelikopters zum Wiesbachhorn. Der Unfallort, die Gletscherspalte, ist markiert.

Page 5: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

24

hatte, dass sie mit Schlafsäcken, Tee, usw. kommen würden.Doch bald musste auch Thomas erkennen, dass an diesem Tagniemand mehr bei uns auftauchen würde.

Letztendlich - und für uns komplett nachvollziehbar - wurde der Versuch, uns zu Fuß zu erreichen, jedoch auf Grund der po-tentiellen Gefährdung der Retter nicht durchgeführt. Kein Men-schenleben kann für ein anderes riskiert werden! Somit blieb alseinzige Möglichkeit weiterhin die Rettung mit dem Hubschrau-ber und es war rasch klar, dass wir die Nacht stehend in unsererSpalte verbringen mussten.

In dieser Zeit begann bereits die mediale Berichterstattung. Unser SMS-, Mail- und Telefonverkehr zu Rettern, Familie undFreunden intensivierte sich unter Berücksichtigung des Akku-verbrauchs. Vor allem Thomas hatte „regen“ SMS- und E-Mail-Kontakt, da durch die Medien viele seiner Freunde, die von un-serer Tour wussten, von dem Unfall erfuhren. Ich war da klar imVorteil: In Bayern war das zu diesem Zeitpunkt noch kein me-diales Thema und so hatte ich nur zwei Gespräche: Am frühenAbend rief mich meine Freundin aus Straßburg an und wolltewissen, wie die Tour war und ob ich schon daheim bin. Na klarbin ich zuhause und die Tour war super – was sollte ich dennauch anderes sagen? Sie freute sich ungemein für uns, obwohlsie es auch sehr schade fand, dass ich gerade nicht mit ihr beieinem Eis in der Sonne saß ... Naja, vom Eis hatte ich gerade ge-nug. Mein zweiter Anruf galt meinem besten Freund und ichhätte nie gedacht, dass ich so was einmal tun würde und so et-was jemand anderem zumuten könnte. Denn nachdem beimHerumhantieren mit dem Rucksack meine Schneebrücke vornewegbrach und ich somit nur noch auf einer Art Fenstersimsstand, war mir klar, dass ich diese Nacht nicht überleben werde.Deshalb habe ich meinem Freund die ganze Geschichte erzählt.Ich habe ihm alle Einzelheiten geschildert, einfach aus derAngst heraus, dass aus unserem gut geplanten Unternehmenein Verriss konstruiert wird – falls wir nur noch tot aus dieserSpalte gezogen werden. Ich hatte in dieser Todesangst tatsäch-

Die Bergung aus der Spalte. Die notwendige Ausrüstung wird angeflogen, ein Standplatz errichtet und ein Retter wird abgelassen.

Der anfliegende Helikopter aus der Spalte.

Page 6: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

25

lich Angst, als Trottel hingestellt zu werden! Meinem Freund,der unsere dramatische und hoffnungslose Lage erkannte, habich damit eine seiner schlimmsten Nächte beschert, bis er um3:00 Uhr in der Früh dann mit einem Kumpel und der komplet-ten Ausrüstung für eine Spaltenbergung Richtung Fusch losge-fahren ist ... Verzeih mir Mikel.Die folgenden Nachtstunden waren die Hölle. Wir durften nichteinschlafen, konnten nur stehen - ein Zur-Seite-Kippen hätteden sicheren Tod bedeutet. Nur die Stirnlampen halfen ein we-nig: Wir wollten sie anfangs noch nicht einschalten, um Batteriezu sparen, doch wurde bald klar, dass ihr Licht unbedingt not-wendig war, denn nach einer knappen Stunde in völliger Dun-kelheit hatten wir derart massive Gleichgewichtsprobleme, dasswir glaubten, ständig abzustürzen. So haben wir die Lampendann abwechselnd eingeschaltet gelassen. Ohne deren Lichtwäre es uns nicht möglich gewesen, uns auf der Brücke zu hal-ten! Das war für uns eine völlig neue Erfahrung (die wir an die-ser Stelle unbedingt weitergeben möchten).

In den nächsten Stunden kühlten unsere Körper kontinuierlichaus, die Gedanken wurden schwerer und die letzten Müsliriegelund Getränke waren bald aufgebraucht. Es begann zu schneien:„Nur nicht auf die Uhr blicken. Durchhalten! Wir gehen da ge-meinsam raus“. Um 5:30 Uhr erfolgte ein erneuter Kontakt zuden Rettern, bei dem uns mitgeteilt wurde, dass momentan keinFlugwetter herrscht, was für uns wenig überraschend war: überuns stürmte und schneite es. Der Schneefall ging weiter und un-sere Lage wurde immer hoffnungsloser. Den kommenden Tagund noch eine Nacht hätten wir in unserer Spalte wohl nichtüberlebt. Zum Glück wurde es aber langsam heller und wirkonnten gegen 8:30 Uhr unseren Rettern endlich mitteilen, dassFlugwetter herrschte. Hochprofessionell und rasch wurden ge-gen 9:00 Uhr vom Helikopter drei Retter in Spaltennähe abge-setzt. Über ein Dreibein wurde ein Retter zu uns abgelassen undnach 22 Stunden wurden wir nacheinander mittels Flaschenzugaus unserer Spalte herausgezogen. Die Retter und die Helicrewwaren unglaublich freundlich, der Pilot begrüßte uns mit erho-

Nacheinander werden die Verunfallten aus der Spalte geborgen und ausgeflogen. Fotos: Markus Amon/Paul Hasenauer

Page 7: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

26

Das Rettungsteam nach der erfolgreichen Bergung. Paul Hasenauer, Thomas Schwaiger und Markus Amon. Foto: Markus Amon

Page 8: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

27

benen Daumen und einem breiten Lachen im Gesicht und floguns hintereinander ins Tal aus. Dort, in Ferleiten, wurden wirvon zahlreichen Medienvertretern erwartet, aber gleich in einbereitstehendes Sanitätsauto gebracht und untersucht. So ergabdie Messung der Körperkerntemperatur bei mir 35° C und beiThomas 33° C, weshalb er weiter ins Krankenhaus musste. Beimeinem Handgelenk wurde später eine schwere Prellung mitBruch diagnostiziert. Wir waren erleichtert und froh, dass alles noch gut ausgegangenist. Von Freunden und vielen bis dahin Unbekannten haben wirunglaublich nette Mails erhalten. Natürlich gab es auch gleichviel Unverständnis, allerdings nur von Nichtbergsteigern. In dendiversen Foren der digitalen Medien allerdings wurden übelsteBeschimpfungen gepostet. Die aber überhaupt nicht zu interes-sieren haben, das heutzutage Übliche halt. Geschmerzt - undzwar richtig - hat’s eigentlich nur im österreichischen Fernsehenund im Radio, wo Fachleute sich zu unserer Tour völlig am kau-salen Thema vorbei äußerten. Wir hatten über eine Woche da-mit zu tun, Freunden und Medien an der persönlichen Schmerz-grenze versuchen zu erklären, dass wir nach bestem Wissenund Gewissen gehandelt haben und einfach nur Pech hatten.V.a. der lokale staatliche Rundfunk hat uns nur anfangs dieMöglichkeit gegeben Stellung zu beziehen, danach hat man sichdarauf konzentriert, diesen Unfall dazu zu benutzen, um überSpeedtourengeher, übermotivierte Ausdauersportler und Egois-ten am Berg zu diskutieren, der unglückliche Spaltensturz warAnlass, aber nie Thema - Willkommen im Leben!

Zur Ausrüstung

Zum besseren Verständnis ein Überblick über die Ausrüstung,die wir dabei hatten:

Ausrüstung pro Person: � Schaufel, Sonde & LVS - ist bei uns Standard auf jeder Skitour � ABS-Rucksack - hatte Thomas dabei, ich habe an diesem Tagaufgrund der Lawinensituation und Höhenmeter darauf verzichtet

� Steigeisen für den Aufstieg� Pickel - hatte jeder einen und Thomas zusätzlich einen Pickel-skistock, den er als Snowboarder bei steilen Abfahrten schätzt� Reepschnur - ist für alles Mögliche immer im Rucksack � Reservewäsche - wir hatten alles mit, um uns - bis auf Unter-hose und Socken - komplett umzuziehen inkl. warmer Mütze,Daunenfäustlinge und Daunen-/Softshelljacke; � Erste-Hilfe-Säckchen � Biwaksack - den wir situationsbedingt nicht nutzen konnten� Stirnlampe� Mobiltelefon� Helm und Skibrille� Proviant - mehrere Müsliriegel und 1,5 Liter Getränk

Gemeinsame Ausrüstung: � GPS - aus Sicherheitsgründen für die Abfahrt, falls Nebel ein-fallen sollte

Was fehlte� Seil, Gurt & Zubehör (Karabiner, Reepschnüre, Bandschlingen) � Eisschrauben

Zu den oben genannten fehlenden Ausrüstungsgegenständen:natürlich ist uns bekannt, dass am Gletscher dieses Materialnicht fehlen sollte. Aber ehrlich, wie sieht das in der gelebtenPraxis um diese Jahreszeit aus?! Zb Ködnitzkees oder Hoff-mannskees am Glockner, nur um ein Beispiel zu nennen.Nichtsdestotrotz ist dies ein berechtigter Vorwurf an uns, demwir uns auch stellen. Dennoch glauben wir, im Aufstieg allesrichtig gemacht zu haben. Nichtsdestotrotz ist uns dieser Unfallpassiert. Mit einer Spalte unmittelbar am Grat haben wir ganzeinfach nicht gerechnet. Auf das Mitnehmen bzw. Gehen amSeil haben wir nach Absprache bewusst verzichtet, da wir eineZweierseilschaft am Gletscher nicht für zielführend halten, unddie im April sehr wahrscheinlich gut geschlossenen Spalten amAufstiegsweg alle in der Planung berücksichtigten. Die Wahr-scheinlichkeit eines Spaltensturzes während unseres Aufstiegs

Page 9: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

28

in den Nacht-/Morgenstunden auf dem noch gefrorenen Firnschätzten wir als sehr gering ein, die Abfahrt wollten wir recht-zeitig beginnen und dabei hätten wir ohnehin auf ein Anseilenverzichtet.Ein Seil in meinem Rucksack hätte uns gemeinsam mit einemGurt und mit Eisschrauben vielleicht ein eigenständiges Heraus-klettern ermöglichen können, wenngleich das Setzen der Schrau-ben im „Grieß“ des Spaltenrandes wohl schwer möglich gewe-sen wäre und Thomas’ Pickel und Pickelstock am Spaltenrandliegen geblieben sind. Wären wir angeseilt vom Gipfel abgestie-gen, hätte uns das tatsächlich nichts genützt, wir wären ge-meinsam mit dem Seil in die Spalte gestürzt, da wir uns neben-einander am Skidepot, unserem „Sammelpunkt“, befanden.Noch dazu handelt es sich um eine Längsspalte im Gratverlauf(bitte in Zukunft für weitere Begehungen berücksichtigen!), dieaber wohl in anderen Wintern gut eingeschneit ist. Es ist evtl.anzunehmen, dass auch bei anderen Gletschern ähnliche Prob-leme durch Schneemangel auftreten. In Zukunft werden wir beisolchen Unternehmungen auf alle Fälle die seiltechnische Glet-scherausrüstung - Seil, Gurt und Eisschraube - mitnehmen.

Zum Lawinenrisiko

Die Lawinengefahr mit ausgegebener Gefahrenstufe 2 für diesenTag, ansteigend auf Stufe 3 am Nachmittag, war für uns vertret-bar. Unterhalb des Gletscherbruchs (2.500 m), war bereits allesentladen, darüber war alles hart gefroren und orografisch ganzrechts in der Gipfelflanke ist (ein oder zwei Tage zuvor) einTriebschneepaket bereits abgefahren - wir bewerteten die Situa-tion vormittags als stabil. Auch im Lagebericht war von Störungnur durch große Zusatzbelastung die Rede. Die Bergrettung undeinige Experten stuften die Lawinengefahr heikler ein, vielleichtaus gutem Grund?

Zur Berichterstattung

Über die Berichterstattung sind wir teilweise zutiefst verärgert.Es darf unserer Meinung nach nicht sein, dass Angehörige ausden Medien erfahren, was passiert ist! Es gibt kaum was Schlim-meres, als wenn man nicht weiß, ob man den nächsten Morgenerlebt und Thomas Oma anruft, um sicherzugehen, dass man ehnicht in der Gletscherspalte sitzt! Mit der weiteren Berichterstat-tung, auch mit Kritik und anderen Sichtweisen, können wir um-gehen und haben uns ihr auch gestellt. Eine Diskussion im Ra-dio Salzburg des Österreichischen Rundfunks allerdings findenwir beschämend. Thomas wurde dort als „Musterbeispiel“ fürden leichtsinnigen rücksichtslosen Extremisten schlechthin ge-macht und verurteilt, ohne uns oder wenigstens anderen Betei-ligten - zB den Rettern - die Chance zu geben, die Situation vorOrt zu schildern. Es fehlte vollkommen an Objektivität sowieEmpathie und Respekt für die Beteiligten.

Was uns beschäftigt hat

Aus unserer Sicht gibt es - neben den oben abgeführten Punktenzu „unserem“ Unfall - drei Themen, die uns beschäftigt habenund die wohl auch für andere alpine Unfälle schlagend werdenkönnten:

#1 Terrestrische RettungNachdem beim Absetzen unseres Notrufes um 10:30 Uhr undder genauen Schilderung unserer Situation noch bestes Wetterherrschte, aber kein geeigneter Hubschrauber zur Verfügungstand, der in 3.500 m die notwendigen Flugmanöver durchfüh-ren konnte, stellt sich die Frage: Hätte man nicht auch eine pa-rallele terrestrische Rettung in Betracht ziehen müssen? Vor al-lem, wenn man den Wetterbericht mitberücksichtigt, der fürden späten Nachmittag eine massive Wetterverschlechterungangekündigt hatte? Hätte man zum Beispiel von der KaprunerSeite mit einem Heli zur Wiellinger Scharte eine Rettungsmann-schaft hochschicken können?Wir möchten an dieser Stelle nochmals betonen, dass wir uns in einer extrem lebensbedrohenden Situation befanden. Schierunglaublich, dass wir bei unserem gemeinsamen Spaltensturzauf den einzigen zwei „Schneebrücken“ gelandet sind, die indieser Spalte überhaupt vorhanden waren. Hätte ich nicht mei-nen Rucksack samt daran befestigten Skier noch am Rücken ge-tragen, die sich an den beiden Spaltenwänden etwas verhakten,wäre ich an der fragilen Brücke nicht hängen geblieben. Tho-mas fiel ungebremst kopfüber auf eine stabile Brücke. Später,beim Hantieren am Rucksack, ist mir sogar der vordere Teil weggebrochen und somit stand ich auf einer Art „Fenstersims“.Diese Situation haben wir den Rettern auch so geschildert, esherrschte zu diesem Zeitpunkt bestes Wetter, das bis in denNachmittag hinein anhielt.Wir möchten diese Möglichkeit der terrestrischen Rettung hierzur Diskussion stellen. Wir sind die „Geretteten“ und nicht die„Retter“ und maßen uns deshalb nicht an, die Vorgehensweiseder Bergrettung in Frage zu stellen. Wir gehen davon aus, dassder verantwortliche Rettungsleiter diese Rettungsmöglichkeitauch angedacht hat. Fakt ist: Eine zweite Nacht hätten wir nie-mals überlebt. Wir haben den Bergrettern von Fusch unser Le-ben zu verdanken!

#2 Information an die PresseIst es in Ordnung, dass ab dem Zeitpunkt unseres Notrufs überdie Rettungsleitstelle automatisch (oder vielleicht sogar aktiv?)die Medien informiert wurden und über diese unsere Familienvon unserem Unfall erfuhren? Noch dazu mit haarsträubendenUnwahrheiten? Unsere Eignung für eine solche Tour wurde inFrage gestellt. Wir seien mit schlechter Ausrüstung unterwegs.Wir seien leichtsinnige Abenteurer. Aus der Lawinen-Gefahren-stufe 2 wurde schnell einmal Gefahrenstufe 3 konstruiert.

#3 Berichterstattung und ExpertenmeinungenDie Art der medialen Aufarbeitung war haarsträubend, ungezo-gen und beschämend. Man kann durchaus von einem Shitstormübelster Art sprechen. Dabei geht es uns nicht um die üblichen,meist von Laien formulierten Kommentare, die in diversen Por-talen der sozialen Netzwerke auftauchen. Geschmerzt hat uns vor allem, dass sich „Experten“, die an derRettung nicht beteiligt waren, die aber bei alpinen Organisatio-nen (Bergführerverband, Bergrettung) Funktionen inne haben,in diversen Fernseh- und Hörfunksendungen zu Statementsüber unseren Unfall veranlasst sahen, ohne dass Informationenvon unserer Seite eingeholt wurden. Nachdem mich ein Freundauf die entsprechende „Ankündigung“ auf der privaten Face-

Page 10: Am Schicksalsberg - bergundsteigen.atam... · Sturz aber nicht verloren) an einer ca. vier Meter langen Reep - schnur zu und zog seinen Rucksack zu mir hoch. So schaffte es Thomas

29

book-Seite von einem dieser Fachleute aufmerksam gemachthatte, in der dieser ankündigte, im ORF (Österr. Rundfunk) zudiesem Thema Stellung zu nehmen und das, was er dazu zu sa-gen hätte, „sicher einigen nicht gefallen wird“ - gezeichnet miteinem Smiley -, habe ich ihm eine Nachricht geschrieben mitder Bitte, sich doch von mir über Details informieren zu lassen.Leider ohne Antwort. Die öffentliche Diskussion wurde bewusst völlig am ThemaSpaltensturz vorbeigeführt. Hier haben sich zumindest zwei, deren Fachkompetenz ich hier nicht in Frage stellen möchte,aufgrund unseres Schicksals in diversen Fernseh- und Radio-sendungen zu profilieren versucht. „Audiatur et altera pars“*,ein Grundsatz aus dem römischen Recht, der bis heute seineGültigkeit hat, wäre auch hier angebracht gewesen.

Unser Fazit ist Folgendes: Nicht nur führende und anerkanntePersönlichkeiten alpiner Verbände und im Rettungswesen, son-dern auch in vielen Publikationen wird man nicht müde, daraufhinzuweisen, dass alpine Unfälle sich in keiner Weise dafür eig-nen, selbstdarstellerisch als „Profi oder Experte“ in diversenMedien aufzutreten, um sich auf Kosten anderer zu profilieren.Wir brauchen eine Kultur des gegenseitigen Respekts. Vermei-den wir, dass wir über unsere gemeinsame Leidenschaft desBergsteigens mit den damit verbundenen Unfällen Nahrung fürdiverse Social Media Plattformen - und andere Abwasserkanäle- liefern. Es geht nicht um ein Verschweigen oder Verharmlosen.Ganz im Gegenteil: Wir stellen unseren Unfall zur Diskussion!Müssen wir was falsch gemacht haben? Und wenn ja, dannmöchten wir diese(n) Fehler auch für euch gemacht haben. Lernen wir gemeinsam daraus. Wie heißt es doch im neuen Untertitel von bergundsteigen so „revolutionär“: Menschen-Berge-Unsicherheit.

Ich darf Klaus Hoi, ehemaliger Ausbildungsleiter des Verbandesder Österreichischen Berg- und Skiführer, zitieren: „Ich warnean dieser Stelle ganz entschieden, bei Alpinunfällen vorschnellmit Kritik und nachträglicher Besserwisserei zur Hand zu sein.Dem Unglück anderer sollten wir mit Respekt begegnen, darauslernen und nicht mit Überheblichkeit reagieren!“ Dem ist ausunserer Sicht nichts hinzuzufügen.

Herzlichen Dank

... an die Retter! Insbesondere an Paul Hasenauer (Leiter Berg-rettung Fusch) und Markus Amon (Bergretter Zell am See) stell-vertretend für alle, die ihr Allerbestes gaben, um uns lebend zubergen.... an alle Freunde, die uns Mut zusprachen und ebenso eineschlaflose Nacht verbrachten, um im Geiste bei uns zu sein. Das ist unglaublich berührend.... an meinen (Thomas) Bruder, den ich als ersten der Familiekontaktierte und dem ich damit ordentlich was umgehängthabe, sowie den Eltern und anderen Familienmitgliedern, dieleider viel durchmachen mussten.... an Edi, den allerbesten aller Bergkameraden, einen Freundim Geiste, mit dem mich (Thomas) viel mehr verbindet als dasstärkste Seil, auch wenn das Leben an einem seidenen Faden hängt. �