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Medizinische Fakultät Prof. Dr. Johann Behrens Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft
Am 8.6. 1913 war von Pflege- und Therapiewissenschaften noch keine Rede. Sind es überhaupt eigenständige Grund legende Wissenschaften mit eigenen Theorien?
Drei Thesen:
1. Es sind Grund legende Handlungswissenschaften mit einem eigenen Gegenstand – statt bloßer Anwendungen anderer Grundlagenwissenschaften.
2. Professionsbegründende Wissenschaften differenzieren sich historisch kontingent entlang eigener Problemstellungen (Codes) und entlang den Feldern lebenspraktischer Krisenbewältigung aus.
3. Für multiprofessionelle multidisziplinäre Teams, die zwischen Leistung und Lieferung nicht unterscheiden können, ist die horizontale Koordination weniger unverantwortlich als die vertikale.
Frage: Geht die Entwicklung wirklich von der fürsorglichen Bevormundung über die organisierte Unverantwortlichkeit zur professionsgestützten selbstbestimmten Teilhabe?
Medizinische Fakultät Prof. Dr. Johann Behrens Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft
1. Kontemplative und Handlungswissenschaften: Die „Nichtwissenschaft“ Medizin und Pflegewissenschaft? Wissenschaft; Handwerk und Kunst?
Aristoteles führt den Begriff der Wissenschaft in strikter Abgrenzung von der Nichtwissenschaft Medizin und ihren Einzelfallentscheidungen ein (Nikomachische Ethik). Als Wissenschaft gelten seitdem kontemplative Wissenschaften wie Biologie und Soziologie, die nicht den Einzelfall, sondern das Allgemeine anzielen. Merksatz“ (R.Gross M. Löffler, Prinzipien der Medizin, Berlin 1997, S. 8) „In der Medizin sind Wissenschaft, Kunst und Handwerk untrennbar verbunden. Wenn auch die Forschungsergebnisse mehr wissenschaftlicher Natur sind, der Umgang mit den Kranken mehr eine Kunst, so handelt es sich dabei um Akzente“
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Angewandte Biologie und Soziologie? „Unique Mix“ (Smith 1981:1) aus biologischen und Sozialwissenschaften oder grundlegend eigenständige Fragestellung?
Wenn die Medizin ihren Wissenschaftscharakter aber nur auf kontemplative Grundlagenwissenschaften wie die Biologie bezieht, dann stellt sie sich selbst dar als Anwendung der Grundlagenfächer, ohne selbst Wissenschaft zu sein.
Warum sollte aber angewandte Biologie nicht „angewandte Biologie“ heißen, sondern „Medizin“? Etikettenschwindel? Und warum sollten angewandte Soziologie und Biologie „Pflegewissenschaft“ heißen ?
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Medizin, Pflege- und therapeutische Wissenschaften als Handlungswissenschaften
Medizin, Pflegewissenschaft, Physiotherapiewissenschaft, Pädagogik und andere sind Wissenschaften mit eigenen, von den kontemplativen Wissenschaften der Biologie und Soziologie u.a. trennbaren Gegenständen:
Ihr handlungswissenschaftlicher Gegenstand ist die - zukunftsunsichere, aber vernünftige innovative
Krisenentscheidung im jeweiligen einzigartigen Fall - unter zeitlichem Handlungsdruck und Begründungszwang - im Arbeitsbündnis mit den je einzigartigen Klienten und im
Respekt vor deren eigenständiger Praxis der Lebensbewältigung.
Sie als „Künste“ statt als Handlungswissenschaften zu bezeichnen, macht ihre Praxis als „vernünftige“ undiskutierbar, unkritisierbar, unerforschbar.
Handlungswissenschaften unterscheiden sich von Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften nicht im Gebrauch der Vernunft, sondern im Gegenstand (decision making science).
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Gegenstand der Handlungswissenschaften Interne und externe Evidence
Solche Krisenentscheidungen des multiprofessionellen Teams mit den Klienten im Einzelfall lassen sich nicht aus kontemplativen Wissenschaften der Biologie und der Soziologie „ableiten“, dennoch sind sie nicht einfach Glückssache, Kunst oder Intuition jenseits aller wissenschaftlichen Vernunft.
Sie sind mit eigenen Methoden wissenschaftlich untersuchbar und vernünftig begründbar in der Handlungswissenschaft des Aufbaus interner Evidence, die externe Evidenz für den Einzelfall erst nutzbar macht.
EbN hat sich als Methode des health service research in nursing (Versorgungsforschung) entwickelt, die – verantwortungsethisch - die Wirkungen von Handlungen erkennen und beachten will.
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Interne und externe Evidence: Behandung von Personen oder von Organen
Definition Externe Evidence: verlässliche Erfahrung Dritter Definition Interne Evidence: was ich nur von mir selbst wissen und in der Begegnung klären kann (Ziele, Empfindungen, Ressourcen, Gewohnheiten, typische Praxen der Bewältigung unvermeidbarer Krisen, individuelle Relevanz von „outcomes“, Qualitätskriterien) , weil alle Menschen und ihre Gemeinschaften ihre je eigenen Praxen der Lebensbewältigung entwickeln. EbN unterscheidet konsequent die kontemplative Zusammenfassung der verlässlichen Erfahrungen Dritter (externe Evidence) von der handelnden Entscheidung im Einzelfall (Fallverstehen interner Evidence) und kann deswegen den wechselseitigen Prozess zwischen beiden wissenschaftlich bearbeiten. Pflege behandelt keine Organe, sondern Personen, denen sie bei ihrer lebenspraktischen Bewältigung ihrer Krisen assistiert. „Man geht zur Wundpflegerin , will sich nur eine Wunde versorgen lassen und ansonsten in Ruhe gelassen werden – und muss sein Leben ändern.“
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(Kunst-)Lehre der , und :
Individual-biographische Zielsetzung des KlientenImpairment (medizinisch)Disability (ärztlich/pflegerisch)Participation (pflegerisch/ärztlich)Verlaufsdokumentationen
ZielklärungAnamnese Pflegediagnose!
!!!
!
Interne EvidenzDatenbanken über
, z.B.:Evidence-based NursingCochrane LibraryQualität technischer Geräte und Prozesse (klinisch-epidemiologische Studien)Qualitative und quantitative Soziologische Verlaufsstudien
erwiesene Wirksamkeit!!!
!
Externe Evidence
Vorschriften / Faustregeln / Leitlinien / Richtlinien / Gesetzliche Regelungen
Ökonomische Anreize und Vorschriften
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Selbsklärung interner Evidence in der Klassifikation der ICF: Teilhabe als Ziel von Therapie und Pflege
Training
Kontext“UmgebungGesellschaftlicheUmstände”
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Aus Erfahrungen Dritter (also aus externer Evidence) sind häufig gar keine Interventionen (Indikationen) im Einzelfall eindeutig „abzuleiten“ 1. statistisch: Bei number needed to treat > 1 weiss niemand, wer von einer Behandlung profitiert, wer nicht. Eine persönliche Entscheidung unter Ungewissheit ist unvermeidbar. 2. Indikations-Auftrag: Wenn eine Indikation für eine Person und nicht nur für ein Organ zu stellen ist (Organe ohne Personen dran kommen in Pflege, Therapie und Medizin kaum vor), dann muss für jede Indikation die interne Evidence der individuellen Lebensbewältigung einbezogen werden. Was für den einen Patienten indiziert sein kann, ist für den anderen Patienten mit demselben rein organischen Befund nicht indiziert. 3. Präferenzen ungeklärt: In Krisen haben Personen oft nicht sofort Präferenzen parat (wie der Kunde im neoklassischen Marktmodell), sondern Personen bedürfen oft eines Gesprächspartners, mit dem sie ihre Ziele klären können und der möglichst viele einschlägigen Erfahrungen Dritter (externe Evidence) kennt. Das externe Evidence aus Studien für eine Indikation nicht reicht, zeigt auch das Lehrbuch clinical epidemiology von Gordon Guyatt und Holger Schuenemann.
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Externe Evidence aus Studien reicht nicht für eine Indikations-Entscheidung entnommen aus Gordon Guyatt /Holger Schuenemann, clinical epidemiology
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Klinische EntscheidungenEntscheidungen im Gesundheitswesen
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Therapeutische Entscheidung im Arbeitsbündnis
Therapeuten – Nutzer
Ergänzung :Komponenten der therapeutisch/pflegerischen Entscheidung (die falsche ältere Sicht von 1999): Handlungsdruck und Begründungsanspruch Expertise der Therapeuten Interne Evidence
Umgebungsbedingungen, externe Anreize
Gesetze Materialien
Vergütung
Ziele und Präferenzen der Nutzer (Patienten,
Pflegebedürftige)
Individualität
Biographie Ergebnisse der Klinischen Forschung Externe Evidence
Studien bester Qualität
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Ungereimtheiten
1) Warum soll die persönliche Expertise der Fachpflegenden und Therapeuten gleichberechtigt neben der externen Evidenz stehen können?
2) Kommen Pflegebedürftige, kommen Kranke, kommen NutzerInnen in jede Krise mit fertigen Präferenzen – oder vielmehr mit Ängsten und Unsicherheiten, in denen sie Beistand und Klärung in der Begegnung suchen?
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Antwort: Interne Evidence ist nicht nur im Kopf der Therapeutin oder Fachpflegenden, sondern systemisches Produkt der Beziehung mit den einzigartigen KlientInnen
Ursache - Wirkung (triviale Maschine)
Ursache – Bedeutungserteilung –Wirkung (nicht-triviale Maschine)
Therapeut und Klient sind „Black Boxes“, zwischen denen beständig Kommunikation mit -ikonischen Zeichen (basale leibbezogene Erfahrungen wie Hunger, Schmerz, Lust)
indexikalischen Zeichen (Vorstellungen des Subjekts über Ursachen und Wirkung)
und symbolische Zeichen (Sinnnarative der eigenen Existenz)
(in der Eiteilung von Peirce) läuft.
Interaktionen (Kollusionen)
Bezug: Konstruktivismus, Bio-Semiotik, Systemtheorie, vgl. für die Medizin auch Integrierte Medizin Thure von Uexkülls und Viktor v. Weizsäcker
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Die Methode Evidence-based Nursing
Aufgaben- stellung
Evaluation
Fragestellung
Literatur- recherche
Kritische Beurteilung
Implementierung und Adaptation
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Gibt es nur einen Bias oder mehrere? Mehrere. Gibt es ein einzelnes Forschungsdesign, das alle relevanten Bias bewältigt? Leider nein. Den Auswahlbias bewältigen besonders gut RCTs. Den Bias der Wahl eines irrelevanten Outcomes bewältigen besonders
gut interpretativ-hermeneutische Studien. Den Bias falsch operationalisierter Intervention en bewältigen
interpretativ hermeneutische Beobachtungsstudien, Videoaufnahmen u.a.
Weil es mehrere Bias mit je eigenen Bias-Bewältigungen gibt, kann es
logisch keine eindimensionale Hierarchie von Methoden geben, die für alle Bias gilt.
[weitere Bias mit Bewältigungen in Behrens/Langer Evidence based
Nursing and Caring, Bern Huber 2010] Was tun, wenn Studien zwar den Auswahlbias bewältigen, aber das
Outcome oder die Intervention nicht klar die gemeinten sind? Bewerten ist Entscheiden, Gewichten, Auf -und Abwerten, die
allerdings transparent vernünftig begründbar sein sollen. Das versucht für die externe Evidence GRADE.
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Methoden evidence-basierter Therapie
Kommunikatives Handeln
Sinnverstehende Methodender Verständigung über Ziele
Z.B.:- hermeneutische Studien- ethnomethodologische Studien- phänomenologische Studien
Instrumentelles Handeln
Methoden des Wirkungsvergleichsvon Mitteln bei gegebenen Zielen
Z.B.:- randomisierte kontrollierte Studien- Fall-Kontroll-Studien
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Graduierung : Bitte lieber nie mehr von viel oder wenig, hoher und niedriger Evidence sprechen
Statt „viel vs. wenig, hohe vs. niedrige Evidence“ : „Weitere Forschung wird wahrscheinlich die Schätzung des Wirkungseffekts ändern, d.h. unser Vertrauen in die Schätzung des Wirkungseffektes beeinflussen“ bis „Weitere Forschung wird unser Vertrauen in die Schätzung der Wirkung sehr wahrscheinlich nicht verändern.“
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GRADE: Evidencebewertung und die Entwicklung von Handlungsempfehlungen aus externer Evidence
GRADE: Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation 1) Externe und interne Evidence in der therapie-, hebammen- und
pflegewissenschaftlichen Entscheidung 2) Ist eine Entscheidung aus externer Evidence vollständig ableitbar? 3) Gibt es nur einen Bias = eine Verzerrungsgefahr oder viele Bias? 4) Gibt es ein Forschungsdesign, das alle Bias gleich gut bewältigt? 5) Warum wir nicht von hoher und niedriger Evidence sprechen sollten
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Aufbau interner Evidence setzt Entwicklung pflegerischer Feinfühligkeit voraus. Denn interne Evidence entsteht noch nicht hinreichend:
bei der Lektüre noch so guter Studien (verbessert nur die Kenntnis externer Evidence = Erfahrungen Dritter) bei noch so liebevollem Hineinversetzen in die andere Person „Was würde ich wollen, wenn ich Du wäre“ (diese emotionale Empathie verbessert nur die Kenntnis von mir selber – Risiko stellvertretender Entscheidungen Virginia Hendersons) durch noch so gute interdisziplinäre Verständigung zwischen Fachpflegenden, ÄrztInnen und TherapeutInnen in der Visite (verbessert die Verständigung über die Pflegebedürftige, nicht mit ihr) Interne Evidence entsteht allein in der Begegnung zwischen einer einzigartigen Pflegebedüftigen und ihren Fachpflegenden und TherapeutInnen
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Was tun, wenn wenig geprüfte externe Evidence vorhanden ist?
Das verschärft nur eine Aufgabe, die wir ohnehin immer haben: Wir müssen immer interne Evidence in der Begegnung aufbauen, um externe Evdence nutzen zu können für gemeinsame Entscheidungen – auch beste externe Evidence macht diese gemeinsame Entscheidung nicht überflüssig.
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Am 8.6. 1913 war von Pflege- und Therapiewissenschaften noch keine Rede. Sind es überhaupt eigenständige Grund legende Wissenschaften mit eigenen Theorien?
1. Es sind Grund legende Handlungswissenschaften mit einem eigenen Gegenstand – statt bloßer Anwendungen anderer Grundlagenwissenschaften.
2. Professionsbegründende Wissenschaften differenzieren sich historisch kontingent entlang eigener Problemstellungen (Codes) und entlang den Feldern lebenspraktischer Krisenbewältigung aus.
3. Für multiprofessionelle multidisziplinäre Teams, die zwischen Leistung und Lieferung nicht unterscheiden können, ist die horizontale Koordination weniger unverantwortlich als die vertikale.
Frage: Geht die Entwicklung wirklich von der fürsorglichen Bevormundung über die organisierte Unverantwortlichkeit zur professionsgestützten selbstbestimmten Teilhabe?
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2. Der eigenständige Gegenstand der Pflegewissenschaft (body of knowledge)
Die folgende These „Pflege = medizinischer Blick“ ist falsifizierbar:: „Die Besonderheit der pflegerischen Kommunikation scheint zu sein, dass sie nur über die medizinische Unterscheidung krank/gesund beobachten kann, denn nur unter diesem Blickwinkel wird ein pflegebedürftiger Körper sichtbar“ (Findeiß 2008:318).
Nein, schon unter dem Blickwinkel von – kulturspezifischer – Teilhabe [ Schönheit, Fitness, Wellness, Sicherheit ] wird ein Körper als pflegebedürftig sichtbar. (Man wäscht sich auch, wenn man nicht krank ist. Man kämmt sich und zieht sogar ein frisches Hemd an noch aus ganz anderen Gründen als dem, die Krankheiten, die Läuse und die Flöhe zu vertreiben).
Auch das Pflegeversicherungsgesetz setzt nicht an der medizinischen Unterscheidung krank/nicht krank an, sondern am Bedarf nach professionell pflegerischer gesundheitsförderlicher Unterstützung der Teilhabe. Der systembildende Code ist: professioneller pflegerischer Unterstützung bedürftig/nicht bedürftig Gran theories , begrifflich konstruierte Meta-Theorien führten zum Schisma
zwischen Theorie und Forschung in der Pflegewissenschaft (Kirkevold 2002) Theorien mittlerer Reichweite: Der Pflegepraxis folgende empirisch gehaltvolle
Theorien (z.B. Meleis 2008). Induktiv, soweit das nach Carnap noch möglich ist.
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2.1 Pflege ist Arbeit gegen die Verrottung System professionell pflegerischer Gesundheitsförderung
2.1 Pflege des Körpers und Pflege der Astronomie 2.2 Stufen der Ausdifferenzierung in Europa 2.2.1 Diätetische Schriften (2500 v.u.Z.) positiver Gesundheitsbegriff statt nur
Negation der vielen Krankheiten 2.2.2 Trennung der Pflege von der Medizin (Edikt) 2.2.3 Bürgerlicher Antikapitalismus des 19. Jahrhunderts: Erfindung der
ganzheitlichen nicht entfremdeten Liebestätigkeit der Ehefrau und der Krankenschwester
2.2.4 Zeit des Beistands „Evidencebasierte Pflege chronisch Kranker und
Pflegebedürftiger in kommunikativ schwierigen Situationen“ „Von der fürsorglichen Bevormun dung über die organisierte Unverantwortlichkeit
zur professionsgestützten selbstbestimmten Teilhabe“ „Partizipation als Ziel von Pflege und Therapie“
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2.2.1 Ausdifferenzierung der Pflege in Europa 1: Diätetik in Inklusion (Teilhabe): älteste Theorie gesundheitsförderlicher (Selbst)Pflege
Nachdem die theologischen, die philosophischen, die national-ökonomischen detaillierten Lehren des guten und richtigen Lebens an Glanz und Verbindlichkeit verloren, blieb allein die Diätetik (Kos, 400 v.u.Z.), die Lehre der gesundheitsförderlichen (Selbst)Pflege als detaillierte Lehre guten Lebens übrig und unrelativiert. Weiterführung über Amitaj Sen hinaus: Die Gesellschaft vermittelt nicht nur Ressourcen („capabilities“, sondern auch drückende Erwartungen.
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2.2.2 Differenzierung der Pflege von der Medizin durch das päpstliche Verbot an Mönche, medizinisch zu behandeln generiert reine „Pflegeorden“: wie Ritterorden, Mönchsorden , Nonnenorden
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Differenz diätetische Pflege in der Familie und Pflege als Profession
In der Familie: Familienmitglieder pflegen sich und andere (z.B. ihre kleinen Kinder) nach ihren Vorstellungen von Schönheit, Wellness, Fitness und Gesundheit. Pflege als Profession: Professionsmitglieder pflegen nicht nach ihren Vorstellungen, sondern respektieren in ihren Beratungen und Handlungen die Autonomie der Lebenspraxis ihrer Klienten - gleichweit entfernt von fürsorglicher Bevormundung und scheinbar freiheitlicher Vernachlässigung: denn Autonomie bei Pflegebedürftigkeit setzt Unterstützung voraus (vgl. DFG-Sfb 580).
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2.2.3 Bürgerlicher Antikapitalismus: „Ehefrau“ und „Krankenschwester“ arbeiten unentfremdet ganzheitlich aus reiner Liebe Bis 1830 wird erwerbsmäßige Pflege als „schmutzige und unsittliche“ Tätigkeit
der niederen Volksschichten (ebenso viele Männer wie Frauen waren „Lohnwärter“ wie „Lohnwärterinnen“) gesehen, die schnell „zu geldgierig“ und „zu teuer“ waren
Das Bürgertum entwickelte, während vorher in der Landwirtschaft und im Handwerk Frauen selbstverständlich erwerbstätig waren, die Entgegensetzung zwischen dem Mann, der hinaus ins feindliche Leben ging und ums Geld konkurrierte, und der Frau, die ins Haus gehörte, nicht für Geld, sondern allein aus Liebe arbeitete, demütig, gehorsam, selbstlos und aufopferungsvoll war, also in allem das Gegenteil ihres Mannes. In diesem bürgerlichen Ideal der Natur der Frau drückte sich bürgerlicher Antikapitalismus aus. Niemals hätte eine bürgerliche Frau erwerbsmäßig die „schmutzige und unsittliche“ Tätigkeit der Pflege ausüben können.
1836 gelingt es Pastor Fliedner in Kaiserswerth, bürgerliche Töchter für die Pflege zu gewinnen, indem er Pflege als unbezahlbar unbezahlte, aber versorgte eheähnliche ganzheitliche Liebestätigkeit darstellen, das Kostüm der verheirateten bürgerlichen Frau als „Diakonissentracht“ und die Anrede „Schwester“ statt Lohnwärterin bieten konnte. Schwestern schlossen keine individuellen Arbeitsverträge, sondern wurden von ihren Mütterhäusern per Gestellungsvertrag vermietet.
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Bürgerlicher Antikapitalismus: „Ehefrau“ und „Krankenschwester“
Als auf das Proletariat, als Auswuchs des Kapitalismus, konnten die Schwestern auf die pflegenden Männer, die Lohnwärter, herabblicken, die für Geld arbeiteten und sogar streikten. Auch in dieser Verachtung der nicht aus Liebe, sondern für Geld arbeitenden männlichen Kollegen lässt sich der bürgerliche Antikapitalismus erkennen, der a m Proletariat die entfremdete Arbeit verachtet.
Einwand: War es das bürgerliche Ideal der nicht erwerbstätig, also nur aus Liebe arbeitenden Frau oder etwa ein religiöses Ideal, das die Schwesternschaft regierte? So sehr sich beides historisch verwob, so eindeutig ist die Antwort: Die explizit nicht-religiösen weltlichen Gründungen der Schwesternschaften vom Roten Kreuz (1861) und der freiberuflichen Krankenpflegevereine, die Grundungen in im UK selbst der 1903 von Agnes Karll (die über den Unzulänglichkeiten der Mutterhauspflege krank geworden war) gegründete Verband freiberuflicher Krankenpflegerinnen, die Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands (B.O.K.D.) übernahmen die Anrede „Schwester“, die Tracht, das Ideal der Liebestätigkeit: i918 lehnten die Schwestern die 48-Stunden-Woche, 1919 das Streikrecht als proletarisch ab. Damit ist erwiesen: Das Ideal der bürgerlichen nicht erwerbstätigen liebenden Ehefrau regierte die Schwesternschaften mehr als die Religion.
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Rolle und Person (Gadamers Ganzheitlichkeit)
Die bürgerlich antikapitalistische, genderspezifisch Entgegensetzung von männlicher Erwerbsarbeit und weiblicher Liebestätigkeit ist verblasst. Selbst bürgerliche Frauen sind heute erwerbstätig, streiken und führen sogar Lohnverhandlungen. Auch die Entgegensetzung von männlichen Ärzten und weiblichen Schwestern verblasste in dem Maße, in dem der Beruf des Arztes zum Frauenberuf wurde. Ärztinnen heiraten Pfleger, wo vordem Ärzte Schwestern heirateten. Aber die Vorstellung, dass professionelle Pflege eine nicht entfremdete Liebestätigkeit ist, hat sich erhalten.
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Handlungswissenschaften und Professionen PROFESSIONSMITGLIEDER GEHÖREN NICHT ZUR FAMILIE: MAN KANN MIT IHNEN ABER (AUCH DESWEGEN) ÜBER ALLES REDEN. Professionen sind durch eine spezifische Klientenbeziehung, durch den Respekt vor der Autonomie der Lebenspraxis der Klienten definiert. Für Professionsbildung reicht Akademisierung keineswegs hin. Gefahr: Akademisierung kann statt Professionsbildung Expertokratie fördern, Forschung Orientierung auf die Einzelverrichtung.
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Anerkennung
In jeder Interaktion sind Erwartungen wechselseitiger Anerkennung konstitutiv. Im Anschluss an Habermas und Luhmann unterscheidet Honneth drei Anerkennungsweisen/Interaktionsweisen Anerkennung als Rechtssubjekt (Recht), Anerkennung des Beitrags (Leistung) Anerkennung der höchstpersönlichen Bedürfnisse ( Liebe)
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Professionelle Pflege am meisten von allen Professionen mit Klienten zusammen
Pflege entwickelte sich in Deutschland empirisch häufig zur Prozeßverantwortlichen, die wie ein impresario und Regisseur dafür verantwortlich ist, daß die ärztliche oder therapeutische primadonna (oder der primuomo) im richtigen Moment am richtigen Ort und bei guter Stimme ihren Einsatz findet. Beistand, Anleitung Alltag als Therapie Abteilungen für „Pflegeforschung“, mit Mitgliedern aus allen Stationen und ambulanten Diensten
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Empirisches (nicht vorschreibendes) „medizinnahes“ Beispiel Wundpflege
Welche Medizin kommt auf die Wunde: Kompetenz der Medizin Wie wird die Person bei der (Selbst)pflege unterstützt und begleitet: Kompetenz der Fachpflege Beide Professionen müssen sich wechselseitig informieren über Wirkungen und Risiken.
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1. Es sind Grund legende Handlungswissenschaften mit einem eigenen Gegenstand – statt bloßer Anwendungen anderer Grundlagenwissenschaften.
2. Professionsbegründende Wissenschaften differenzieren sich historisch kontingent entlang eigener Problemstellungen (Codes) und entlang den Feldern lebenspraktischer Krisenbewältigung aus.
3. Für multiprofessionelle multidisziplinäre Teams, die zwischen Leistung und Lieferung nicht unterscheiden können, ist die horizontale Koordination weniger unverantwortlich als die vertikale.
Frage: Geht die Entwicklung wirklich von der fürsorglichen Bevormundung über die organisierte Unverantwortlichkeit zur professionsgestützten selbstbestimmten Teilhabe?
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3.1 Wann ist vertikale, wann horizontale Koordination bei verständlicher Verantwortungsscheu angezeigt?
Pflege und Therapie finden keineswegs überwiegend in der exklusiven Zweierbeziehung statt, sondern überwiegend im „Team“ Team: „Niemand kann den anderen ersetzen, jede(r) kann die Arbeit der anderen zunichte machen.“ Vertikale „hierarchische“ Arbeitsteilung Horizontale interprofessionelle Arbeitsteilung Entscheidende empirische Frage: Sind Erstellung und Lieferung einer Dienst-Leistung trennbar?
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CHEF Chef händigt aus Klient
delegiert an Qualitätskontrolle Ausführende gibt weiter an arbeitet
a) TEILBARKEIT VON ERSTELLUNG UND LIEFERUNG erlaubt und erleichtert vertikale (hierarchische) Koordination
Beispiele: Juristische Schriftsätze, Madonnen in Cranachs Werkstatt, Schrauben, Röntgenbilder, Laborproben und vieles andere
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CHEF delegiert Ausführender Klienten erstellt/erarbeitet an
b) KEINE TRENNBARKEIT VON ERSTELLUNG UND LIEFERUNG erfordert eher horizontale Koordination
typisch für fachpflegerische und therapeutische
Handlungen
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Multiprofessionelles Team
holt Informationen ein holt Informationen ein
Prof. 1 Prof. 2 Prof. 3 überweist überweist Patient
DIE HORIZONTALE KOORDINATION IM MULTIPROFESSIONELLEN TEAM: Verantwortungsübernahme, Selbstwirksamkeit und Informations- und Überweisungspflicht jedes Teammitglieds (Praxis zwischen ÄrztInnen und zwischen ÄrztInnen und psychologischen Psychotherapeuten)
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Charismatisierende Delegation nach „oben“ als „Entlastung“ von Furcht (containing)
-Furcht war wichtig, um uns nackte, langsame, wenig spezialisierte Affenartige überleben zu lassen
-Delegation nach „oben“ überall anzutreffen:
-Absichern nach „oben“ in der DDR-Wirtschaft
-Aber auch in den erfolgreichsten Chemie-Konzernen
-Selbstinterpretation von ChefärztInnen, ihre Verantwortung, obwohl sie den Patienten kaum sähen, nähme den jungen Ärzten die Angst
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Schnittstellen
Gängige Kritik der Deutschen am deutschen Gesundheitssystem: viele hochspezialisierte Träger der Finanzierungsleistung, viele hochspezialisierte Behandler im ambulanten und stationären Bereich mit jeweils begrenzter Verantwortung („Organisierte Unverantwortlichkeit“, Schnittstellenprobleme) Beispiel: Versorgungsverläufe nach Schlaganfall (DFG-Sfb 580) Dagegen Südtirol:
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