beteiligung der glyzinergen neurotransmission an der ... · heute ist die behandlung chronischer,...
Post on 23-Oct-2020
10 Views
Preview:
TRANSCRIPT
-
Aus dem Institut für Versuchstierkunde
und zentralem Tierlaboratorium
(Geschäftsführender Vorstand: Prof. Dr. H. Hedrich)
der Medizinischen Hochschule Hannover
und
Klinik für Anästhesiologie
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Beteiligung der glyzinergen Neurotransmission
an der Lidocain vermittelten spinalen Antinozizeption
bei neuropathischen Schmerzen der Ratte
INAUGURAL-DISSERTATION
zur Erlangung
des Grades einer
Doktorin der Veterinärmedizin
(Dr. med. vet.)
durch die Tierärztliche Hochschule Hannover
Vorgelegt von
Katrin Kollosche
aus München
Hannover 2006
-
Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. H. Hedrich
Institut für Versuchstierkunde der MHH
Carl- Neuberg- Strasse 1
30625 Hannover
Dr. med. U. Muth-Selbach
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Klinik für Anästhesiologie
Moorenstrasse 5
40225 Düsseldorf
1. Gutachter: Prof. Dr. H. Hedrich
2. Gutachter: Priv.-Doz. Dr. rer.nat. M. Gernert
Tag der mündlichen Prüfung: 22. Mai 2006
Gefördert und unterstützt von der Tierversuchsanlage der Heinrich-Heine Universität
Düsseldorf.
-
Inhaltsverzeichnis I
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ........................................................................................................... 1
2 Grundlagen ........................................................................................................ 4
2.1 Neuropathischer Schmerz infolge peripherer Nervenläsion ......................... 4
2.2 Tiermodell für den neuropathischen Schmerz.............................................. 8
3 Methoden und Materialien ...............................................................................12
3.1 Installation des intrathekalen Katheters.......................................................12
3.2 Induktion einer Neuropathie nach dem Bennett- Modell..............................14
3.3 Installation des zentralen Venenzuganges..................................................15
3.4 Verhaltensbeobachtung und thermale Testung...........................................16
3.5 Lageüberprüfung des intrathekalen Katheters post mortem........................21
3.6 Auswertung und statistische Methoden.......................................................22
3.7 Verwendete Substanzen und deren Abkürzungen ......................................23
3.7.1 Lidocain.........................................................................................................23
3.7.2 D-Serin..........................................................................................................24
3.7.3 Strychnin .......................................................................................................25
3.7.4 CGP 78608 ...................................................................................................25
3.7.5 Natrium-Chlorid Lösung ................................................................................26
4 Ergebnisse ........................................................................................................27
4.1 Thermale Hyperalgesie nach Neuropathieinduktion....................................28
4.2 Lidocain-Dosisfindung und Blutkonzentration von 1% Lidocain in vivo bei
der Ratte ................................................................................................................38
4.3 Einfluß der applizierten Pharmaka auf die induzierte Hyperalgesie ............40
5 Diskussion ........................................................................................................41
6 Zusammenfassung...........................................................................................51
7 Summary...........................................................................................................53
8 Abbildungen und Tabellen ..............................................................................55
9 Literaturverzeichnis .........................................................................................70
10 Danksagung......................................................................................................79
-
1 Einleitung 1
1 Einleitung
„An unpleasant sensory and emotional experience associated with actual or potential
damage, or described in terms of such damage.“
(Definition des Schmerzes; aus: Task Force on Taxonomy, International Association
for the Study of Pain, 1979).
Heute ist die Behandlung chronischer, neuropathischer Schmerzen im klinischen und
praktischen Alltag immer noch ein Problem, da sie trotz vieler Fortschritte in der
Forschung häufig therapieresistent sind. Der neuropathische Schmerz hat im
Klinikalltag einen sehr hohen Stellenwert, etwa 40% aller Patienten in
Schmerzambulanzen und Schmerzkliniken leiden unter ihm.
Schmerz ist ein Bewußtseinsvorgang (HANDWERKER, 1999), der in vielen Teilen
des zentralen Nervensystems verarbeitet wird.
Die komplexen Zusammenhänge des neuropathischen Schmerzes sind bis heute
noch nicht genau geklärt (YAMAMOTO et. al.; 1991, SUGIMOTO et. al., 2000;
PARSONS, 2001, MUTH-SELBACH et al., 2004).
Die herkömlichen Therapien mit Opioiden (z. B. Fentanyl, Tramadol oder Morphin),
nicht-steroidalen Antiphlogistika (NSAID`s, z.B. Acetylsalicylsäure oder Diclofenac),
Antiepileptika oder anderen antiphlogistischen Therapeutika haben wegen der zum
Teil sehr komplexen Nebenwirkungen (Gewöhnung, Suchtpotential, Schläfrigkeit
oder systemische Nebenwirkungen als Beispiel, um nur einige zu erwähnen) ihre
Grenzen im Einsatz am Patienten. Opioide sollen wegen ihrer vielfälltigen
Nebenwirkungen nur im reduzierten Maße angewendet und durch verträglichere
Medikamente ersetzt werden.
Daraus ergibt sich die Forderung nach neuen Therapiemöglichkeiten. Der innovative
Gedanke der momentanen Schmerztherapieforschung ist eine selektive Blockade
-
1 Einleitung 2
von Teilen der schmerzweiterleitenden Elemente, zum Beispiel der N-methyl-D-
aspatat- (NMDA-) und Strychnin-sensitiven, inhibitorische Glycinrezeptoren.
Die selektive Antagonisierung entfaltet ihre antihyperalgetische Wirkung ohne die
vielfältigen systemischen Nebenwirkungen (zum Beispiel Schwindel, Husten,
Tremor) bei den Patienten (PARSONS et al., 1997). Die Manipulation des
Glycintransportes in Zusammenhang mit der extrazellulären Konzentration von
Neurotransmittern und die genaue Funktionsweise der Rezeptoren sind ein guter
Ansatzpunkt, um eine effektive und nebenwirkungsreduzierte Schmerztherapie
durchzuführen (WHITEHEAD et al., 2004). In der Literatur wird Glycin eine
inhibitorische (über strychnin-sensitive Glyzinrezeptoren) und eine exzitatorische (als
Co-Agonist am NMDA-Rezeptor) Wirkungsweise im zentralen Nervensystem
zugesprochen. Doch die genaue Wirkungsweise und die Frequenz der Aktivierung
der einzelnen Rezeptortypen ist noch ungeklärt.
Die vorliegende Arbeit soll in vivo weitere Einblicke in die Funktionsweise der
glycinergen Transmission am NMDA-Rezeptor erbringen.
BIELLA et al. haben 1993 in ihren Arbeiten an isolierten WDR-Neuronen („wide
dynamic range neurons“) durch Iontophorese versucht darzustellen, wie bestimmte
Agonisten und Antagonisten am NMDA-Rezeptor einzeln und in Kombination
miteinander an der Signalübertragung bei chronischen Schmerzen beteiligt sind.
Aufbauend auf dieser Dissertation soll dieser Grundgedanke auf das lebende, in
Ganzheit bestehende Tier übertragen werden.
Mit gezielter Antagonisierung und Agonisierung der Rezeptoren soll versucht
werden, die Funktionsweise bei spinaler Schmerztransmission besser zu verstehen,
um so Rückschlüsse für eine gezielte Schmerztherapie zu erhalten.
Wegen der Komplexität des NMDA-Rezeptors und dessen vielfältigen Aufgaben,
würde eine Blockierung des ganzen Rezeptors viele Nebenwirkungen hervorrufen,
wie zum Beispiel psychomimetische Effekte, Beeinträchtigung des
Erinnerungsvermögens, Ataxie und Beeinträchtigung der motorischen Koordination
(PARSONS, 2001).
-
1 Einleitung 3
Eine teilweise Hemmung des NMDA-Rezeptors durch pharmakologische Substanzen
würde der Transmission des Schmerzes entgegenwirken und die oben genannten
Nebenwirkungen reduzieren.
Ein weiteres Ziel der Arbeit ist es, zu untersuchen, ob die analgetische Wirkung eines
niedrig dosierten, systemisch gegebenen Lidocains zu bestimmten Teilen über
glycinerge Mechanismen vermittelt wird. Lidocain ist in der Klinik und in der Praxis
ein bevorzugtes Medikament bei der neuropathischen Schmerztherapie
(MARCHETTINI et al., 1992; SOTGIU et al., 1992), da es die verschiedenen Phasen
des Schmerzes blockieren und dem Patienten so Erleichterung verschaffen kann.
Als Grundlage für diese Dissertation diente das Schmerzmodell, welches BENNETT
und XIE 1987 etabliert haben. Es ist eine gute Möglichkeit am wachen, nicht fixierten
und manipulierten Gesamtorganismus die Frage der Schmerzmodulation zu klären
-
2 Grundlagen 4
2 Grundlagen
2.1 Neuropathischer Schmerz infolge peripherer Nervenläsion
Die Behandlung chronischer, neuropathischer Schmerzen ist im klinischen und
praktischen Alltag immer noch ein Problem, da sie trotz vieler Fortschritte in der
Forschung häufig therapieresistent sind.
Neuropathischer Schmerz:
Im Gegensatz zu einem Nozizeptorschmerz, bei dem nach einem Gewebstrauma
periphere und zentrale neuronale Strukturen der Nozizeption und des Schmerzes
intakt sind, kommt es bei neuropathischen Schmerzen zu einer Schädigung der
reizaufnehmenden und –verarbeitenden Strukturen. Diese Schädigungen können
sowohl reversibel sein als auch einen Chronifizierungsprozess durchlaufen, d. h. es
kommt zu degenerativen Prozessen in den geschädigten Strukturen. Diesen Prozess
nennt man zentrale Sensibilisierung (JONES et al., 2001).
Die Sensibilisierung ist ein Phänomen der Nozizeption. Anders als bei taktilen oder
thermischen Reizen, die nach mehrmaliger Stimulation eine Gewöhnung oder
Habituation nach sich ziehen, spricht man bei lang anhaltender Aktivierung von
Nozizeptoren, z.B. bei Entzündung oder schweren Gewebstraumata, von einer
synaptischen Sensibilisierung in Form des „wind-up-Phänomens“.
In diesem Zusammenhang sind WDR (wide dynamic range) Neurone von
Bedeutung, die im zentralen Bereich des Rückenmarkes zu finden sind. Sie sind
nicht spezifisch für eine Reizart sensibel, sondern haben einen weiten dynamischen
Antwortbereich, in dem alle Arten von Reizen (Berührungen, Druck, Hitze) durch
spezifische Entladungsfrequenzen codiert werden (BIELLA et al., 1992).
Bei der synaptischen Sensibilisierung werden repetitive Reize über C-Fasern in
zentrale Bereiche geleitet und die überdimensionale postsynaptische Antwort über
NMDA (N-methyl-D-aspatat)-Rezeptoren vermittelt. In diesem Stadium der
Schmerzentwicklung kommt es durch erhöhtes, intrazelluläres Kalzium (einem
-
2 Grundlagen 5
second messenger) zu einer veränderten Genexpression. Rezeptoren, Transmitter
und Kanalproteine werden verändert exprimiert. Werden solche Veränderungen
beobachtet, spricht man von einer zentralen Sensibilisierung (MANNION und
WOOLF, 1999; EIDE et al., 2000).
Die Entstehung und Verarbeitung eines Schmerzes ist ein komplexer und
zusammenhängender Ablauf. Das Schmerzsignal wird nach Einwirkung der Noxe
zunächst in der Peripherie, dann im zentralen Nervensystem kodiert.
Der Reiz wird von freien sensorischen Nervenendigungen aufgenommen und in
Form von Axonmembranpotentialen (nach Transduktion) weitergeleitet. Verschieden
dicke (proportional der Leitungsgeschwindigkeit), primäre, afferente Nervenfasern
(v.a. C-und A-Delta-Fasern) kodieren das Signal und übertragen es über die
Hinterwurzel zum Tractus spinosus und zum Thalamus. Diese Signale werden im
parietalen Cortex, im limbischen System, in bestimmten Hirnstammstrukturen und im
Cerebellum weiter verarbeitet.
Durch die Änderung der Membranpotentiale in den betroffenen Gebieten beginnt
eine Sekretion von kaskadenartig freigesetzten Neurotransmittern. Es sind
Neuropeptide wie Calcitonin-Gen-related-peptide (CGRP), Substanz P (SP) oder
exzitatorisch wirksame Aminosäuren, wie zum Beispiel Glutamat oder Aspartat,
welche über AMPA- (Amino-OH-Methyl-Isoxazol-Propionsäure) und NMDA- (N-
Methyl-D-Aspartat) Rezeptoren, beide aus der Klasse der Glutamat-Rezeptoren, die
weiteren Reaktionen in den betroffenen Geweben kodieren (Handwerker et al., 1998;
STEGMANN et al., 2001).
Die Glycinrezeptoren:
NMDA-Rezeptoren spielen in der Transmission von Schmerzimpulsen eine wichtige
Rolle (IKEDA et al., 2003), auch bei der zentralen Sensibilisierung und Entwicklung
von chronischen Schmerzen steht dieser Rezeptor im Mittelpunkt der
Schmerzverarbeitung (DUOBELL et al., 1999). In der Literatur wird er auch „non-
strychnine-sensitive glycine receptor“ genannt (BREITINGER und BECKER; 2002).
Der NMDA-Rezeptor besteht aus mehreren Untereinheiten. Zunächst die
Transmitterbindungsstelle, die kompetitiv Liganden bindet. Desweiteren eine
-
2 Grundlagen 6
strychnin-unsensible Glycinbindungsstelle, die in der Literatur „Glycine-B site“
genannt wird. Die Polyamin- (NR2) und die Phencylidinbindungsstelle des Rezeptors
liegen innerhalb des Kationenkanales und binden selektiv ihre kompatiblen Liganden
(PARSONS, 2001).
Die Transmitterseite und „Glycine-B site“ benötigt obligatorisch extrazelluläres Glycin
oder D-Serin als Co-Agonist, welches an der Glycin-Bindungsstelle (der NR1) des
Rezeptors andockt und so den Rezeptor voll aktiviert.
Ein weiterer wichtiger Rezeptor in der Schmerzweiterleitung ist der strychnin-
sensitive, inhibitorische Glycinrezeptor, der in Rückenmark und Hirnstamm lokalisiert
ist (BREITINGER und BECKER, 2002). Er gehört zur Gruppe der Liganden-
gesteuerten Ionenkanäle, die durch das Andocken von vier Liganden aktiviert
werden. Es folgt so eine Öffnung der spannungsgesteuerten Kanäle, Chloridionen
strömen in das Innere der Zelle und es kommt zur Hyperpolarisation, eine
inhibitorische Wirkung im Schmerzverhalten ist festzustellen. Diese Reaktion kann
durch Strychnin antagonisiert werden (WERMAN et al., 1967). Glycin wirkt als Ligand
an diesem Rezeptor und ist einer der wichtigsten inhibitorischen Neurotransmitter
(ARAGON und LOPEZ-CORCUERA, 2003).
Beide Rezeptortypen sind von der An- und Abwesenheit von Liganden und
Kofaktoren, sowie von stabilen intrazellulären Verhältnissen abhängig.
Lidocain:
Lidocain ist ein in der humanen neuropathischen Schmerztherapie schon lang
bewährtes und oft verwendetes Medikament (MAO und CHEN, 2000). Es reduziert in
niedriger, nicht nervenblockierender Konzentration Hyperalgesie nach
Gewebsverletzungen und Entzündungen, sowohl beim Tier (SOTGIU et al., 1992;
ABRAM und YAKSH, 1994) als auch beim Menschen (MARCHETTINI et al., 1992;
HOLTHUSEN et al., 2000).
Bei Lidocain wird eine zentrale wie periphere Wirkung vermutet. In der Peripherie
wirkt Lidocain an den Natriumkanälen, blockiert diese und verhindert so reversibel
die Weiterleitung der nervalen Aktionspotentiale (LÖSCHER et al., 1997;
SUGIMOTO et al., 2003).
-
2 Grundlagen 7
In vorangegangenen Tierversuchen wurde die zentralnervöse, antinozizeptive
Wirkung von niedrig dosiertem, systemisch appliziertem Lidocain bestätigt. Die
genaue Wirkung ist bis heute nicht geklärt (FAN et al., 1995; HARA et al., 1995,
SUGIMOTO et al., 2003). Ein möglicher Mechanismus könnte die Beeinflussung der
glutamatergen Neurotransmission über NMDA-Rezeptoren sein. So hemmt Lidocain
beispielsweise die NMDA- und Neurokinin-Rezeptor vermittelte postsynaptische
Depolarisation (NAGY und WOLF, 1996), sowie die durch Glutamat evozierte
Aktivität (BIELLA und SOTGIU; 1993) in den WDR-Neuronen.
BIELLA et al. haben in ihren Arbeiten an anästhesierten und paralysierten Ratten
durch Iontophorese Glutamat, NMDA (es greift an exzitatorischen NMDA-Rezeptoren
an) und Quisqualinsäure (QUIS, eine exzitatorische Substanz, die an NMDA- und
nicht-NMDA-Rezeptoren angreift) an das Rückenmark der Ratte appliziert und die
Wirkung der einzelenen Stoffe dokumentiert. Bei zusätzlicher Gabe von Lidocain
hemmte das Lokalanästhetikum die Glutamatausschüttung (dies wurde durch
Strychnin wieder antagonisiert) und es reduzierte die Exzitation von Quisqualin (auch
diese Reaktion konnte durch Strychnin antagonisiert werden).
Auch SUGIMOTO et al. (2003) hat durch Genmutationen an Oozyten von Fröschen
(Xenopus spp.) gezeigt, dass NMDA-Rezeptoren an der Translation von Nozizeption
beteiligt sind, und dass Lidocain über diese glycinergen Rezeptoren seine reversible,
analgetische Wirkung hat.
Weitere Studien lassen die Vermutung zu, dass Glycin eine Schlüsselrolle in der
Entwicklung von chronischen, neuropathischen Schmerzen spielt (AHMADI et al.,
2003; MUTH-SELBACH et al., 2004)
In der Phase des akuten wie chronischen Schmerzes kommt es zu dem
sogenannten „spillover“. Bei diesem Phänomen führt eine hohe präsynaptische
Aktivität zu einer erhöhten Freisetzung von Glycin aus inhibitorischen Neuronen
(AHMADI et al., 2003). Diese erhöhte Glycinmenge aktiviert nicht nur die NMDA-
Rezeptoren am synaptischen Spalt, sondern ebenfalls NMDA-Rezeptoren in
entfernteren Geweben. Der „spillover“ ist somit ein Mechanismus der
Signalverstärkung, der vermehrten Nozizeption und der spinalen Sensibilisierung.
Glycin ist so pronozizeptiv.
-
2 Grundlagen 8
Um eine überschießende, exzitatorische Reaktion der afferenten und efferenten
Axone zu vermeiden, gibt es Kontrollsubstanzen, welche die zentrale
Schmerzschwelle regulieren. Substanzen wie Serotonin, Noradrenalin, Gamma-
aminobuttersäure (GABA) und Glycin wirken inhibitorisch auf die exzitatorische
Neurotransmitterfreisetzung, prä- wie postsynaptisch. GABAerge Interneurone üben
eine tonische Inhibition im Hinterhorn aus. So existiert physiologisch ein negatives
Feedback, welches die zentrale Schmerzschwelle reguliert.
Dementsprechend wirken Glycin oder GABA antihyperalgetisch,
(ZIEGLGÄNSBERGER und HERZ, 1971) und GABA- oder Glycin-Antagonisten
sensibilisierend (YAKSH, 1989; SIVILOTTI und WOOLF, 1994). Ein möglicher
Ansatz der Schmerztherapie, sowie ebenfalls der Therapie von Schizophrenie und
Epilepsie wäre die selektive Blockierung der Glycin-Bindungsstelle oder die
Reduzierung der Glycinmenge im synaptischen Spalt (ARAGON und LOPEZ-
CORCUERA, 2003). So könnte auch der „spillover“ (AHMADI et al., 2003)
unterbrochen werden.
Die vorliegende Arbeit soll in vivo weitere Einblicke in die Funktionsweise der
glycinergen Transmission am NMDA-Rezeptor erbringen.
Es soll untersucht werden, ob die Wirkung eines niedrig dosierten, systemisch
gegebenen Lidocains wenigstens zu bestimmten Teilen über glycinerge
Mechanismen vermittelt wird.
2.2 Tiermodell für den neuropathischen Schmerz
Um die Entstehung dieses Schmerzsyndromes besser nachvollziehen zu können,
wurde in Tierexperimenten versucht, die zugrunde liegenden Mechanismen auf Tiere
zu übertragen. Dabei haben sich drei Methoden zur Erzeugung von Nervenläsionen
durchgesetzt, um bei Ratten neuropathisches Schmerzverhalten auszulösen.
Bei den im Folgenden erläuterten Schmerzmodellen (STEGMANN et al., 2001)
werden die physiologisch unterschiedlichen Leitungsgeschwindigkeiten der
-
2 Grundlagen 9
Nervenfasern berücksichtigt, die durch die unterschiedlichen Durchmesser bedingt
sind.
Die in dieser Arbeit im Vordergrund stehende Transmission von thermischen und
schmerzhaften Reizen wird vor allem über langsam leitende marklose C-Fasern
(Leitungsgeschwindigkeit 0,5-2 m/s) und über schwach myelinisierte A-Delta-
Afferenzen (Leitungsgeschwindigkeit 10-30 m/s) geleitet.
Schnelleitende A-Beta-Afferenzen haben eine Leitungsgeschwindigkeit von 25-70
m/s und kodieren über niederschwellige Mechanorezeptoren vor allem
Berührungsreize. Die schnell leitenden Fasern spielen eine wichtige Rolle bei der
synaptischen Reorganisation im zentralen Nervensystem infolge Degeneration
primär afferenter C-Nozizeptoren.
Zunächst sei die SNL (Spinal Nerve Ligation, KIM und CHUNG, 1992) genannt, ein
Verfahren, bei dem die spinalen Nervenwurzeln vom fünften und sechsten
Lendenwirbel durchschnitten werden und der proximale Stumpf der Wurzel ligiert
wird. Als Folge degenerieren alle beteiligten Fasertypen, Allodynie und Hyperalgesie
entwickeln sich in wenigen Stunden.
Das PNL (Partial Nerve Ligation, SELTZER und DUBNER, 1990) ist ein weiteres
Schmerzmodell, bei dem der Nervus ischiadicus durchstochen und ligiert wird. Mit
der Ligatur wird der Durchmesser des Nervs auf die Hälfte reduziert. Auch hier
entwickeln sich Allodynie und Hyperalgesie in wenigen Stunden.
Das CCI-Modell (Chronic Constriction Injury, BENNETT und XIE, 1988) ist im Falle
dieser Arbeit die Methode der Wahl, um an einem Tiermodell die Auswirkungen von
Medikamenten bei neuropathischen Schmerzen näher zu beleuchten.
Bei dieser Methode bleiben die für die Arbeit interessanten langsamen C-
Nervenfasern intakt, sie sind für die Beurteilung der Nozizeption nach Medikation der
einzelnen Tiere essentiell. Durch vier lockere Ligaturen um den Nervus ischiadicus
kommt es durch eine langsame Ödem-bedingte Einschnürung zur völligen
-
2 Grundlagen 10
Degeneration der A-Beta- und A-Delta-Fasern. Es folgen morphologische
Veränderungen in dem betroffenen Gebiet, der endoneurale Druck steigt an.
Der Durchmesser des Nervs wird durch die einzelnen Knoten zwar nur minimal
verkleinert, doch durch diese Verkleinerung des Durchmessers kann es zu
ektopischer Impulsweiterleitung kommen, die vom veränderten Nervengewebe selber
ausgeht. Die Spontanaktivität nimmt zu.
Abbildung 1: Schematische Darstellung der CCI-Operation.
Diese beschriebenen Vorgänge bleiben nicht lokal auf den verletzten Nerv
beschränkt, es kommt zu einer Ausbreitung über die Afferenzen zum dorsalen
Wurzelganglion, sowie zum ipsilateralen Dorsalhorn der ligierten Seite, wenn weitere
nozizeptive Stimuli folgen („wind up“; ABRAM et al., 1994; SUGIMOTO et al., 2003).
Die genaue Art und Weise der Ausbreitung ist noch nicht geklärt.
Bei Patienten, die unter chronisch neuropathischen Schmerzen leiden, kann man
folgende Schmerzzustände beobachten:
Berührt man zum Beispiel Patienten an betroffenen Gliedmassen, kann diese sonst
nicht schmerzhafte Berührung als sehr schmerzhaft empfunden werden. Diesen
Zustand nennt man Allodynie. Sie entsteht in Folge einer Chronifizierung, es kommt
nach dem Untergang nozizeptiver Neurone zur Umorganisation synaptischer
Strukturen im Hinterhorn. Noch intakte Afferenzen bilden so ein neues Netzwerk mit
L5
L4
L6
N. ischiadicus
Ligaturen
• vier lockere Ligaturen um N. ischiadicus
• Ausbildung eines Ödems
• Degeneration von v.a. myelinisierten Fasern
• stabile thermale Hyperalgesie für 21 Tage
-
2 Grundlagen 11
zentralen nozizeptiven Neuronen, bei dem es zu Fehlverschaltungen kommt
(STEGMANN et al., 2001). Patienten können ebenso eine gesteigerte
Empfindlichkeit auf primär schmerzhafte Stimuli auf einem oder mehreren
Hautgebieten zeigen, dies nennt man Hyperalgesie. Man kann zwischen primärer
und sekundärer Hyperalgesie unterscheiden. Bei der primären Hyperalgesie ist das
Schmerzempfinden am Reiz- oder Verletzungsort lokalisiert, es beruht auf periphere
Mechanismen (WEIS et al., 1995). Die Reizschwelle ist für die Nozizeption reduziert.
Bei der sekundären Hyperalgesie wird die gesteigerte Schmerzempfindlichkeit
gegenüber mechanischen Reizen in der Umgebung des Reiz- oder Verletzungsortes
empfunden (TREEDE, 1999).
Bleibt die zentrale Sensibilisierung länger bestehen, d. h. wird der Schmerz beim
Patienten chronisch, werden die vermittelnden C-Fasern verlängert aktiviert. Es
kommt zu einer Sensibilisierung der zentralen Synapsen. Es resultiert eine Zunahme
der Spontanaktivität, Neurone geben eine veränderte Reizantwort und es
vergrössern sich die rezeptiven Felder der versorgenden Neurone. Die vom
Patienten empfundene Schwelle gegenüber schmerzhaften Stimuli wird herabgesetzt
und es entwickelt sich eine Hyperalgesie.
Allodynie und Hyperalgesie in Form einer Schwellenerniedrigung der thermischen
Reizschwelle konnten auch bei den Versuchstieren beobachtet werden, nachdem bei
ihnen eines der Schmerzmodelle etabliert worden war (PARSONS et al., 1998;
SUGUMOTO et al., 2000; WHITEHEAD et al., 2004).
Dieses Verhalten ist Grundlage der standarisierten Schmerzmessung der
vorliegenden Arbeit.
-
3 Methoden und Materialien 12
3 Methoden und Materialien
3.1 Installation des intrathekalen Katheters
Männliche Wistarraten (Tac:WIST; Wistar Hannover, GALAS) mit einem
Lebendgewicht von 360-380 g wurden mit 60 mg/kg Pentobarbital (Narcoren®)
intraperitoneal narkotisiert. Diese Tiere entsprachen dem SPF-Status (spezifisch
pathogen frei) und wurden gemäß FELASA auf endo- und ektoparasitären Befall
untersucht, waren Virusantikörpertiterfrei und waren frei von bestimmten Bakterien.
In dieser Arbeit wurde Pentobarbital verwendet, da diese Substanz keinen
messbaren Einfluss auf die Entwicklung der Neuropathie hat (MUTH-SELBACH et
al., 2004).
Ketamin, welches wie Pentobarbital zu der Gruppe der Barbiturat gehört, ist ein
NMDA-Rezeptor-Antagonist. Es hat aber, wie Opioide zum Beispiel, durch seine
Wirkungsweise Einfluss auf die Entwicklung der induzierten Neuropathie und
verändert so die zu messende Schmerzschwelle. Nach Ketaminanwendungen wird
häufig Katalepsie dokumentiert, da dieses Injektionsnarkotikum das limbische
System zum Beispiel erregt (LÖSCHER et al., 1997).
Die nachfolgende Operation wurde unter Einhaltung steriler Kautelen durchgeführt.
Während der Operation wurde die Körpertemperatur der Tiere durch eine
Wärmematte konstant auf 38,5°C Körperinnentemperatur gehalten, um eine
Hypothermie zu vermeiden.
In Seitenlage wurde mit Hilfe des Flexorreflexes an den Hinterextremitäten die
ausreichende Narkosetiefe getestet.
Zur Fixierung des Tieres in Bauchlage diente ein Stereotakt.
Zunächst wurde der Nackenbereich der Tiere geschoren, rasiert und desinfiziert.
Nach Präparation des Operationsfeldes am Nacken durch einen Hautschnitt und
Durchstechen der Membrana atlantooccipitalis war der Duralraum frei einsehbar.
Nun wurde ein 13 cm langer Polyäthylen-Schlauch mit einem Innendurchmesser von
0,28 mm und einem Außendurchmesser von 0,61mm (SX 01, Firma Hartenstein) von
-
3 Methoden und Materialien 13
cranial nach caudal langsam bis zur rostralen Lumbalsschwellung im Duralraum
vorgeschoben. Vor der Operation wurde am Katheter eine farbliche Markierung auf
der Höhe von acht Zentimeter gemacht. Der Katheter wurde soweit vorgeschoben,
bis die farbliche Markierung auf Höhe der Membrana atlantaoccipitalis zum Liegen
kam.
Abbildung 2: Schematische Darstellung der Lage des intratheklen Katheters.
An dieser Stelle der Operation erfolgte keine Lagekontrolle des Katheters durch zum
Beispiel Röntgenaufnahmen, da dies einen zu hohen technischen Aufwand
dargestellt hätte. Desweiteren war es dem Operateur nach kurzer Einarbeitungszeit
möglich, die it-Katheterisierung sicher und reproduzierbar durchzuführen.
Die weiter unten im Text dargestellte Sektion der verwendeten Tiere diente der
Kontrolle, so konnte die Unversehrtheit des Rückenmarkes kontrolliert werden.
Um ein Herausziehen des Katheters durch das Tier selber zu verhindern, wurde
dieser mit einem Dentalkleber am Schädel des Tieres befestigt.
Es folgte eine Muskelnaht durch Einzelhefte und fortlaufende Hautnaht mit 3-0
Vicryl®-Faden. Eine thermische Versiegelung mit Hilfe eines Feuerzeuges und eines
Nadelhalters verschloss das herausragende Ende des Katheters. Um in den
folgenden Versuchen die Medikamente durch den Kathetet zu applizieren, wurde das
versiegelte Ende mit einem Scherenschlag geöffnet und nach der Applikation erneut
thermisch versiegelt. So wurde das Eindringen von Einstreu und Dreck in den
Katheter, und somit in das Rückenmark verhindert.
An diese Operation schloß sich die Nervenläsion nach dem Bennett- Modell (CCI)
an.
-
3 Methoden und Materialien 14
3.2 Induktion einer Neuropathie nach dem Bennett- Modell
Diese Operationstechnik wird in der Literatur mit CCI (chronic constriction injury)
abgekürzt, und wurde 1988 von BENNETT und XIE als chronisches Schmerzmodell
etabliert.
Das Tier wurde in Seitenlage gebracht. Als anatomischer Anhaltspunkt diente das
Tuber ischiadicum. Durch einen distal davon gelegten craniocaudalen Hautschnitt
von zwei Zentimeter Länge wurde die darunter liegende Muskulatur freigelegt. Es
folgte eine stumpfe Präparation der Muskelfazien des Musculus biceps femoris, bis
der darunter liegende Nervus ischiadicus auf Höhe der Trifurkation sichtbar war.
Nach dieser Mobilisation des Nerven wurden mit Hilfe einer gebogenen Pinzette vier
ca. zwei cm lange Stücke eines 3-0 Catgut®- Fadens um den Nervus ischiadicus
geschlungen und dieser von proximal nach distal in einem Abstand je ein bis zwei
mm vier mal ligiert. Während des Ligierens zeigte ein kurzes Zucken der Pfote an,
dass der gewünschte Grad der Nervenkonstriktion erreicht war. Die Muskulatur
wurde mit einem Einzelheft adaptiert, die Haut durch eine fortlaufende Naht mit
einem 3-0 Vicryl® verschlossen.
Nach der Operation erholten sich die Tiere in Einzelkäfigen (Makrolonkäfige des Typ
III R). Als Einstreu wurde Holzgranulat verwendet. Futter und Wasser stand allen
Tieren ad libitum zur Verfügung.
Alle Tiere wurden bei konstanter Raumtemperatur von 22 °C +/- 2 °C, einer relativen
Luftfeuchtigkeit von 55 % +/- 5 % und unter künstlicher Beleuchtung mit 320 lux von
6- 18 h in einem separaten Raum gehalten.
Lockere Ligaturen rufen ein intraneurales Ödem hervor, das zu einer
Selbststrangulierung des Nerven führt. BENNETT und XIE, (1988) prägten hierfür
den feststehenden Begriff des „Chronic constriction injury“- Modells.
Tiere mit einer solchen peripheren Nervenschädigung entwickeln neben einer
mechanischen Allodynie auch eine thermische und mechanische Hyperalgesie.
-
3 Methoden und Materialien 15
An dem ligierten Bein zeigten die Tiere eine leichte Flexion der Gliedmasse, auch die
einzelnen Zehen wurden leicht gekrümmt gehalten. Ein häufiges Belecken der
betroffenen Pfote wurde ebenfalls beobachtet.
3.3 Installation des zentralen Venenzuganges
Zehn Tage nach den unter 3.2 beschriebenen Operationen erfolgte ein erneuter
Eingriff bei den gleichen Tieren, wieder unter Narkose mit Pentobarbital (Narcoren®,
60 mg/ kg) intraperitoneal.
Der Hautschnitt war ca. zwei cm lang und reichte von der Mitte des Halses bis zum
Anfang des Sternums. Mit einer Metzenbaum-Schere wurde die Glandula parotis
stumpf von dem darunter liegenden Gewebe frei präpariert und mit Hilfe eines
Wundspreitzers nach cranial verlagert.
Durch die stumpfe Trennung ließ sich die Vena jugularis gut darstellen. Das Gefäss
wurde auf einer Länge von ca. acht mm mit Hilfe von mikrochirurgischen
Instrumenten vorsichtig mobilisiert. Nach Mobilisation der Vene wurden zwei ca.
zwölf Zentimeter lange Fäden (3-0 Vicryl®) unter der Vene entlang geführt; einer so
weit wie möglich cranial, der andere so weit wie möglich caudal des mobilisierten
Stückes der Vena jugularis.
Der Venenkatheter mit einem Innendurchmesser von 1,5 mm bestand aus
Polyethylen (Firma Hartstein, Deutschland), war ca. acht cm lang und hatte auf einer
Höhe von drei cm eine Markierung mit Dentalkleber. Er wurde vom
Versuchsdurchführenden selber hergestellt.
Nach dem Einführen des selbst gebauten Katheters in die Vene fixierte der caudale
Faden den künstlichen Zugang durch einen chirugischen Knoten an dem restlichen
Gefäss, um so ein Herausrutschen des Katheters zu verhindern.
Das freie Ende des Zuganges wurde mit Hilfe einer Venenverweilkanüle (Vasocan
Braunüle, Firma Braun, Deutschland) subcutan zur Nackenmitte geführt, dort die
Haut des Tieres durchstochen und der Katheter durch die Braunüle nach aussen
geschoben. Es folgte ein reversibler Verschluss des Ein- bzw. Ausganges.
-
3 Methoden und Materialien 16
Die Glandula parotis wurde mit einem Einzelheft in die ursprüngliche Lage verbracht,
die Haut wurde mit demselben Faden (3-0 Vicryl®) verschlossen.
3.4 Verhaltensbeobachtung und thermale Testung
Die Verhaltensversuche wurden tiergerecht durchgeführt. Die Versuche waren von
der Regierung des Landes NRW mit der Tierversuchsnummer AZ 23.05-230-3-
20100 genehmigt.
Die Verhaltenstests wurden in dem Raum durchgeführt, in dem die Ratten gehalten
wurden und der ihnen vertraut war. Die Ratten wurden zufällig den verschiedenen
Versuchsansätzen mit je sechs Tieren zugeteilt.
Alle getesteten Substanzen wurden zwischen dem 6. und 10. postoperativen Tag
appliziert, da innerhalb dieses Zeitfensters die Reaktionen der Tiere auf die
experimentell provozierte Neuropathie am stärksten ausgeprägt sein sollten
(BENNETT und XIE, 1988; ATTAL et al.; 1990; JASIM et al., 1998).
Abbildung 3: Allgemeiner Zeitablauf von Versuchsbeginn bis Versuchsende
bzw. Euthanasie der Tiere (Tag 0 bis Tag 10 post op).
Tag 0 Tag 1 Tag 6 Tag 10 Tag 7 Tag 8
Thermale Nullwert-bestimmung vor CCI
CCI Operation und intrathekaler Katheter
Thermale Nullwert-bestimmung nach CCI
Intravenöser Katheter
Versuch und anschl. Euthanasie
-
3 Methoden und Materialien 17
Die thermale Stimulation wurde bei den Versuchen mit Hilfe einer „Hotplate“
(Plantartest, Firma Ugo Basile; Italien) durchgeführt. Dies ist eine etablierte Methode
zur Dokumentation von veränderter thermaler Wahrnehmung von Versuchstieren in
Folge von chronischen Schmerzmodellen (SIMPSON et al., 1996).
Nach Abschluss der Verhaltensversuche schloss sich die Euthanasie der Tiere durch
eine intravenös verabreichte Überdosis von Pentobarbital an.
Durch eine Injektion von Methylenblau in den noch im Tier liegenden Katheter und
eine anschliesende Laminektomie kontrollierte man die ordnungsgemäße Lage
desselben. Desweiteren wurden in der Sektion die morphologischen Veränderungen
am Nervus ischiadicus begutachtet. Dort wurde das sogenannte
„Perlschnurphänomen“ dokumentiert, welches durch das intraneurale Ödem und die
Strangulierung des Nervs durch die gesetzten Ligaturen hervorgerufen wurde.
Es wurden nur die Daten der Tiere verwendet, die nach der CCI-Operation eine
Schwellenverschiebung in der thermalen Empfindlichkeit zeigten, die keinerlei
Einschränkungen im Allgemeinbefinden zeigten, und die ein „Perlschnurphänomen“
ausbildeten.
-
3 Methoden und Materialien 18
Für die thermale Testung wurden die verwendeten Tiere in randomisierten und
verblindeten Gruppen wie folgt aufgeteilt:
Tabelle 1: Einteilung der Versuchsgruppen für die thermische Testung
Gruppe Intravenöse Applikation
(iv)
Intrathekale Applikation
(it)
A NaCl-Lösung NaCl-Lösung
B Lidocain 1% NaCl-Lösung
C NaCl-Lösung D-Serin
D Lidocain 1% D-Serin
E NaCl-Lösung Strychnin
F Lidocain 1% Strychnin
G NaCl-Lösung CGP 78608
H Lidocain 1% CGP 78608
I Lidocain 2% NaCl-Lösung
J Lidocain 2% D-Serin
Gruppengröße n=6.
Tabelle 2: Übersicht der Dosierungen der applizierten Substanzen
Verwendete Substanz Dosierung und Menge Applikationsart
NaCl-Lösung 0,35 ml, 0,9%, isoton intravenös
Lidocain 1% Bolus: 0,35 ml, 10mg/kg
Infusion: 180 µg/kg/min
intravenös
Lidocain 2% Infusion: 180 µg/kg/min intravenös
D-Serin 100 µg/10 µl NaCl intrathekal
Strychnin 3 µg/10 µl NaCl intrathekal
CGP 78608 100 pmol/ 10µl NaCl intrathekal
-
3 Methoden und Materialien 19
Bei der im Rahmen dieser Dissertationsschrift verwendeten Versuchsapparatur
handelte es sich um einen Plantartest® der Firma Ugo Basile, Italien (siehe
Abbildung 18, Kapitel 8).
Unter dem Aufbau der Apparatur befand sich eine Lichtquelle, die halogeniertes Licht
durch ein Linsensystem zum Boden des darüber liegenden Aufbaues schickte. Das
Licht produzierte eine ansteigende Temperatur von 15 ° bis auf 30° Celsius, je nach
Dauer der einzelnen Testung. Je länger das Tier seine Pfote auf dem Kontakt der
Wärmelampe sitzen liess, desto wärmer wurde die applizierte Temperatur an der
fokussierten Hintergliedmaße. Hob das Tier die Pfote an, wurde der Kontakt der
Lampe unterbrochen, die gemessene Zeit bleibt auf der digitalen Anzeige der
Messapparatur stehen.
Die sich anschliessende intravenöse Dauerinfusion von Lidocain während der
Versuche wurde über eine Pumpe der Firma CMA (Microdialyse Pump Type 8713®)
gewährleistet, es wurde eine Infusionsrate von sechs µl pro Minute gewählt.
Die verwendeten Tiere bewegten sich während der gesamten Zeit frei in dem Käfig,
der Boden war eben und die Tiere hatten alle vier Gliedmaßen gleichmässig auf dem
Plexiglasboden aufliegen (siehe Abbildung 19, Kapitel 8).
Das Tier zeigte durch Wegziehen der jeweiligen Pfote, wann die individuelle
Schmerzgrenze erreicht war. Das Wegziehen der Hintergliedmaße unterbrach den
Kontakt der Licht- und Wärmequelle, die Zeit wurde angehalten. Das Gerät schaltete
darüber hinaus nach einer Hitzeapplikation von 20 Sekunden ab, um einen
Gewebeschaden zu vermeiden.
Die Latenzzeiten, mit denen die rechte und linke Hinterpfote der Hitzeeinwirkung
entzogen wurden, wurden jeweils drei Mal innerhalb von zehn Minuten unabhängig
voneinander gemessen und anschliessend die Werte für die jeweilige Pfote gemittelt.
Nur Ratten, die eine Erniedrigung der thermischen Reizschwelle nach der CCI-
Intervention zeigten, wurden in die Messung einbezogen. Die Erniedrigung der
thermischen Reizschwelle wurde durch den Vergleich der Latenzzeit vor und nach
der CCI-Operation festgestellt. Waren die Zeitwerte nach der Operation im Vergleich
zu den Werten vor der Operation bei den einzelnen Tieren erniedrigt, so hatte sich
eine chronische Neuropathie bei diesen ausgebildet.
-
3 Methoden und Materialien 20
Zur Testung: vor der ersten Operation saß jeweils ein Tier in einer Abteilung des
Plexiglas-Aufbaues und jedes Tier hatte eine Gewöhnungsphase von ca. 30 Minuten.
Die Wärmequelle wurde unter der zu testenden Gliedmaße positioniert, mit dem
Mittelpunkt auf dem hinteren Teil der Pfote; die Messung begann.
Bei den Versuchen mit 1% Lidocain wurde zuerst der „prä Op-Wert“ bestimmt, es
folgte die CCI-Operation. Nach entsprechender Rekonvaleszenzphase wurde am
Tag der Testung der „prä-Bolus-Wert“ ermittelt. Nun folgte die intrathekale
Applikation der jeweiligen Substanz. Die gelösten Substanzen, mit einem
Gesamtvolumen von zehn µl, applizierte man mit einer Mikroliterspritze mit stumpfer
Spitze in den intrathekalen Katheter, und so an die Lumbalschwellung im
Rückenmarkskanal.
Nach zwei Minuten wurde der Lidocainbolus über eine Zeitdauer von drei Minuten
per Hand intravenös vom Untersuchenden appliziert. Nach insgesamt zehn Minuten
wurde der „post-Bolus-Wert“ gemessen.
Im weiteren Versuchsablauf wurden nach 10, 20, 30, 40 und 50 Minuten jeweils ein
Mittelwert ermittelt.
Abbildung 4: Versuchsablauf mit Lidocain 1% 8-10 Tage nach der CCI-
Operation
Min. 0 Min. 5 Min. 7 Min. 50 Min. 20 Min. 30
Prä-Boluswert
Intrathekale Applikation
Lidocain-Bolus
Erfassung der Messwerte im 10 min. Abstand
Min. 40 Min. 10
Post-Boluswert
-
3 Methoden und Materialien 21
Bei den Versuchen mit 2% Lidocain wurde die Messung variiert, da bei diesem
Versuchsansatz die verlängerte analgetische Wirkung des Lidocains im Zentrum der
Fragestellung stand.
Wie oben erklärt, wurde ein „prä OP“-, ein „prä Bolus“- und ein „post Bolus“ Wert für
die jeweiligen Tiere ermittelt, dann folgte die intrathekale Applikation von D-Serin und
nach zehn Minuten begann die Messung der Schmerzschwellen.
Abbildung 5: Versuchsablauf mit Lidocain 2% 8-10 Tage nach der CCI-
Operation.
Nach den Messungen verblieben die Tiere in ihren Einzelkäfigen (siehe Abbildung
20, Kapitel 8).
3.5 Lageüberprüfung des intrathekalen Katheters post mortem
Um die korrekte Lage des intrathekalen Katheters zu überprüfen, folgte die Sektion
der Tiere, welche die Testreihe durchlaufen hatten.
Die Ratten wurden entweder durch eine intraperitoneale oder intravenöse Injektion
mit Pentobarbital schmerzfrei euthanasiert (Eutha 77®, Firma Essex).
Der intrathekale Katheter wurde mit ca. 30 µl einer Metylen- Blau Lösung gespült.
Min. 0 Min. 5 Min. 8 Min. 50 Min. 20 Min. 30
Prä-Boluswert
Lidocain-Bolus 2%
Post-Bolus Erfassung der Messwerte im 10 min. Abstand
Min. 40 Min. 11
Intrathekale Applikation
-
3 Methoden und Materialien 22
Ein ca. acht cm langer Hautschnitt auf dem Rücken des Tier legte die darunter
liegende Wirbelsäule frei.
Mit einem Scherenschlag wurde auf Höhe des dritten und vierten Lendenwirbels die
Wirbelsäule durchtrennt. Im cranialen Verlauf der Wirbelsäule führte man eine
Laminektomie durch, so dass das darunter liegende Rückenmark sichtbar wurde.
Anhand der ausgetretenen blauen Flüssigkeit konnte beurteilt werden, ob der
Katheter optimal lag und so im Versuch applizierte Substanzen ihren Zielort an der
Lumbalschwellung wirklich erreicht hatten.
3.6 Auswertung und statistische Methoden
Die Gruppendaten wurden als Mittelwert ± Standardfehler (sem) dargestellt.
Latenzen beim Wegziehen der Pfoten als Reaktion auf einen Hitzereiz wurden einer
Varianzanalyse unterzogen. Diese Varianzanalyse wurde mit SAS (SAS= Statistical
Analysis Software) erstellt. Es handelte sich um einen RM (= repeated measurement)
ANOVA (Analysis of Variance) Test, gefolgt von Bonferroni post hoc Test.
P ≤ 0,05 wurde als signifikant angenommen.
Es wurden neun Vergleiche zu sechs Zeitpunkten von der Kontrollgruppe gemacht.
Weiter wurden vier Vergleiche zu sechs Zeitpunkten gemacht, um die nur mit
Lidocain infundierten Tiere mit den Tieren zu vergleichen, die Lidocain plus D-Serin,
Strychnin oder CGP 78608 bekommen hatten.
In den Versuchen mit 2% Lidocain (360µg/kg/min) unter der späteren D-Seringabe
wurden drei Vergleiche zu sechs Zeitpunkten gemacht.
-
3 Methoden und Materialien 23
3.7 Verwendete Substanzen und deren Abkürzungen
3.7.1 Lidocain
Lidocain ist ein in der Praxis sehr häufig verwendetes Lokalanästhetikum vom
Amidtyp.
Es senkt reversibel die Permeabilität der spannungsgesteuerten Natriumkanäle an
Nervenfasern. Dadurch wird eine Weiterleitung der Aktionspotentiale verhindert und
die Reizfortleitung unterbrochen.
Die systemische Wirkung ist dosisabhängig. Je nach Konzentration kann es zentral
sedativ und antikonvulsiv wirken. Bei höheren Konzentrationen folgen motorische
Stimulation, Erbrechen, Tremor, klonische Krämpfe bis zur zentralen Atemlähmung.
Die lokalanästhetische Wirkung steigt proportional mit der Toxizität (W.LÖSCHER,
S.R. UNGEMACH, R. KROKER, 1997).
Eine niedrig dosierte systemische Lidocaingabe, die noch nicht die Natriumkanäle
blockiert, kann dosisabhängig zu einer Analgesie bei neuropathischen Schmerzen
führen (BIELLA et al., 1993). Der genaue Mechanismus ist zur Zeit noch nicht
geklärt, aber es scheint, dass unter anderem spontane Impulse der verletzten
Nerven blockiert werden.
Da diese Analgesie auch bei polysynaptischen Reflexbögen reproduzierbar ist, ist
anzunehmen, dass Lidocain eine zentralnervöse inhibitorische Wirkung am
Rückenmark selber hat. Dieser Vorgang kann vor allem schon bei niedrigen
Plasmakonzentrationen nachgewiesen werden, was den Vorteil hat, dass die sonst
dokumentierten Nebenwirkungen des systemisch gegebenen Lidocains (Schwindel,
Husten, Tinnitus, Tremor) vernachlässigt werden können (ABRAM et al., 1994).
Da die genaue Wirkung des Lidocains noch nicht genau geklärt ist, werden in der
Literatur zwei Ansätze dazu diskutiert.
Es wird davon ausgegangen, dass Lidocain durch Bindung an den NMDA-Rezeptor
die postsynaptische Depolarisation (NAGY und WOOLF, 1995) und damit die weitere
Neurotransmission am Rezeptor hemmt und antihyperalgetisch wirkt.
-
3 Methoden und Materialien 24
Die Wirkung von Lidocain an postsynaptischen, inhibitorischen Neuronen wird über
Strychnin-sensitive Glycinrezeptoren kodiert, die eigentlich von Glycin als
inhibitorischer Transmitter aktiviert werden. Es wird aber vermutet, dass Lidocain
oder seine Metaboliten dies ebenfalls können und so antihyperalgetisch wirken
(NAGY und WOOLF, 1995).
In den Versuchen wurde ein- und zwei- prozentiges Lidocain der Firma Braun,
Deutschland verwendet. Bei dem 1% Lidocain wurde eine Dosierung von 10 mg/kg in
drei Minuten als Bolus appliziert, es folgte eine Dauerinfusion von 180µg/kg/min in
einer Stunde. Beim 2% Lidocain waren es nach Bolusgabe 360µg/kg/min in der
Stunde.
3.7.2 D-Serin
D-Serin ist ein endogener Neurotransmitter, der unter anderem von Astrozyten
synthetisiert wird. Es ist obligatorischer Co-Agonist an exzitatorischen NMDA-
Rezeptoren. Als Agonist fungiert das Glutamat.
In Astrozyten wird L-Serin gespeichert, ein Isomer des späteren D-Serin. Durch das
zelleigene Enzym Serin-Racemase entsteht durch Katalyse D-Serin.
Nach einem Schmerzimpuls wird am präsynaptischen Spalt durch die eingehenden
Impulse Glutamat in den synaptischen Spalt frei gegeben. Glutamat ist ein Salz der
körpereigenen Glutaminsäure, das an der Übertragung von Schmerzimpulsen
massgeblich beteiligt ist. Es muss an den Rezeptoren ebenfalls vorhanden sein,
sonst ist es Glycin nicht möglich, am NMDA-Rezeptor zu binden.
Durch den Glutamatanstieg wird das fertige D-Serin aus den Astrozyten
ausgeschleusst und es diffundiert zum NMDA-Rezeptor.
D-Serin ist potenter als Glycin, welches als Co-Agonist am NMDA-Rezeptor die
Signalübertragung vermittelt. Beide Substanzen, Glycin und D-Serin, binden mit
gleich hoher Affinität am zu aktivierenden Rezeptor (MOTHET et al., 2000). Beide
binden am Glycin B Teil des NMDA-Rezeptors (NONG et al., 2003) und haben so
eine exzitatorische Wirkungsweise.
Die Chemikalie wurde von der Firma Sigma (Deisenhofen, Deutschland) bezogen.
Es wurden 100µg D-Serin gelöst in zehn µl NaCl intrathekal appliziert.
-
3 Methoden und Materialien 25
3.7.3 Strychnin
Strychnin ist ein pflanzliches Gift der Strychnos nux-vomica. Es ist eine toxische
Substanz, die am postsynaptischen, inhibitorischen Strychnin-sensitiven
Glycinrezeptor angreift und so eine zunächst inhibitorische, dann exzitatorische
Wirkungsweise hat.
Dosisabhängig antagonisiert es die inhibitorische Wirkung von Lidocain und es
fördert die Ausschüttung von Glutamat am präsynaptischen Spalt, was eine
exzitatorische Reaktion nach sich zieht (BIELLA et al., 1993).
Bei Anwesenheit von Strychnin in Rezeptornähe antagonisiert es die glycinerge
Aktivität, stört die Koordination der Rezeptoraktivierung, beeinträchtigt die Formation
der Synapsen und deren Erhaltung (BREITINDER und BECKER, 2002).
In früheren Anwendungen wurde Strychnin als Rückenmarkskonvulsivum
bezeichnet, Dosisabhängig kommt es zur Blockierung hemmender Neuronen, was
sich klinisch in Form von erhöhter Reflexbereitschaft bis zu Streckkrämpfen zeigt. Es
droht Erstickungsgefahr.
Strychnin wurde von der Firma Sigma (Deisenhofen, Deutschland) bezogen.
Es wurden 3µg Strychnin in 10 µl NaCl gelöst und intrathekal appliziert.
3.7.4 CGP 78608
CGP 78608 ([(1S)-1-[[7-Bromo-1,2,3,4-Tetrahydo-2,3-Dioxo-5Quinoxalinyl) Methyl]
Ethyl] Phosphonat) ist ein potenter und selektiver NMDA-Antagonist, welcher mit
einer hohen Affinität an der Glycin-B site des Rezeptors angreift. Bei systemischer
Gabe in vivo wirkt er antikonvulsiv, in dem er die stimulierenden Effekte am NMDA-
Rezeptor im ZNS verhindert (HILGIER et al., 2004).
Diese Substanz wurde von Novartis Pharma AG, Deutschland, bezogen.
Eine 100pmol Lösung wurde verwendet.
-
3 Methoden und Materialien 26
3.7.5 Natrium-Chlorid Lösung
Physiologische Kochsalzlösung wurde in dieser Versuchsreihe in den
Kontrollgruppen verwendet. Es wurde intravenös und intrathekal appliziert.
Diese Lösung wurde bei der Firma Braun, Deutschland, bezogen.
Alle oben aufgeführten Chemikalien wurden in 0,9% NaCl–Lösung gelöst und bei 20
C° Raumtemperatur aufbewahrt. Am Tag der Testung wurden die einzelnen
Substanzen frisch gelöst und sofort verabreicht.
-
4 Ergebnisse 27
4 Ergebnisse
Eines der Tiere zeigte am folgenden Tag nach der Operation eine stärkere Flexion
der linken Hinterpfote als die anderen untersuchten Tiere. Am fünften Tage nach der
Operation war bei diesem Tier eine ausgeprägte Form der Automutilation
festzustellen: alle Zehen der linken Pfote waren bis auf den Mittelknochen
abgefressen. Dieses Tier wurde umgehend euthanasiert.
Bei Versuchsbeginn bekam das zu testende Tier einen 0,35 ml Bolus von entweder
ein- oder zwei- prozentigem Lidocain über eine Zeit von drei Minuten, das entsprach
einer Wirkstoffmenge von 10mg pro Kilogramm Körpermasse. Bei der Infusion über
eine Stunde Versuchsablauf wurde eine Lidocainmenge von 6µl per Dauerperfusor
intravenös appliziert. Diese Menge entsprach 180 µg Wirkstoff bei 1% Lidocain oder
360 µg bei 2% Lidocain pro Kilogramm Körpermasse und Stunde.
In den Versuchen mit 1% Lidocain zeigte sich das Wirkmaximum von Lidocain
unmittelbar nach Applikation des Bolus, um innerhalb von zehn bis zwanzig Minuten
wieder auf das Ausgangsniveau abzusinken. Da in dieser Arbeit in vivo die Effekte
verschiedener Agonisten und Antagonisten an der Glycin-sensitiven Seite des
NMDA-Rezeptors auf die Analgesie durch intravenös appliziertes Lidocain untersucht
werden sollte, beschränkt sich die statistische Analyse auf den Zeitpunkt dieses
Wirkmaximums, der weitere Zeitverlauf wird nur deskriptiv erwähnt.
Die verschiedenen Untersuchungsgruppen wurden mittels ANOVA (Analysis of
variances) verglichen, gefolgt von einem Bonferroni post hoc Test. P ≤ 0,05 wurde
als signifikant angenommen.
Im Einzelnen wurde der Effekt jedes einzelnen Pharmakons (Lidocain intravenös, D-
Serin, Strychnin, CGP jeweils intrathekal, mit NaCl-Applikation iv und it) im Vergleich
zur Kontrollgruppe (NaCl Lösung iv und it appliziert) statistisch untersucht.
Angelehnt an die Fragestellung dieser Arbeit, ob die durch Lidocain induzierte
Analgesie durch it applizierte Pharmaka antagonisiert werden kann, wurde die Ko-
-
4 Ergebnisse 28
Applikation von D-Serin, Strychnin und CGP mit Lidocain im Vergleich zur reinen
Lidocain iv-Applikation statistisch untersucht.
Daraus folgt eine Untersuchung mit vier Vergleichen zu einem Zeitpunkt und drei
Vergleichen zu einem Zeitpunkt.
Bei der Testung mit 2% Lidocain, welches eine verlängerte analgetische Wirkung
hat, sollte die Wirkung von D-Serin im Versuchsverlauf untersucht werden. Die
Gruppen wurden mittels RM ANOVA (repeated measurement anova) und folgendem
Bonferroni post hoc-Test verglichen. Die Gruppe Lidocain iv + NaCl it wurde mit der
Gruppe Lidocain iv + D-Serin it, sowie mit der Gruppe NaCl iv + Nacl it verglichen,
es wurden so zwei Vergleiche zu vier Zeitpunkten gezogen.
4.1 Thermale Hyperalgesie nach Neuropathieinduktion
Bei dem Vergleich der verschiedenen Gruppen kam es bei allen Tieren zu einer
thermalen Schwellenverschiebung im Vergleich der rechten zur linken
Hintergliedmaße: alle verwendeten Tiere entwickelten eine signifikante thermale
Hyperalgesie an der linken Pfote nach der CCI-Operation.
An der rechten Pfote kam es zu keiner signifikanten Verschiebung in der thermischen
Empfindlichkeit, aber der prä-Bolus Wert vor jeglicher Manipulation lag bei allen
Tieren höher als nach der CCI-Operation.
-
4 Ergebnisse 29
Tabelle 3: Zusammenfassende Darstellung der einzelnen iv und it applizierten
Substanzen in ihrer Auswirkung auf das thermale Schmerzverhalten an der
linken,operierten Hintergliedmaße. Bewertung zum post Bolus-Wert.
Linkes Bein
Intravenös
NaCl Lidocain 1% Lidocain 2%
NaCl +/- ++ +
D-Serin - + -
Strychnin - + n.d.
Intr
athe
kal
CGP 78608 ++ + n.d.
+/-: keinerlei Schwellenverschiebung dokumentiert.
+: im Vergleich zu NaCl eine schwache Analgesie dokumentiert
(Schwellemerhöhung).
++: im Vergleich zu NaCl eine stärkere Analgesie dokumentiert.
-: im Vergleich zu NaCl eine gering Hyperalgesie dokumentiert.
(Schwellenerniedrigung).
--: im Vergleich zu NaCl eine starke Hyperalgesie dokumentiert
(Schwellenerniedrigung).
n.d.: nicht durchgeführt.
-
4 Ergebnisse 30
Tabelle 4: Zusammenfassende Darstellung der einzelnen iv und it applizierten
Substanzen in ihrer Auswirkung auf das thermale Schmerzverhalten an der
rechten, nicht operierten Hintergliedmaße.
Rechtes Bein
Intravenös
NaCl Lidocain 1% Lidocain 2%
NaCl +/- ++ +
D-Serin - + -
Strychnin - + n.d.
Intr
athe
kal
CGP 78608 ++ + n.d.
+/-: keinerlei Schwellenverschiebung dokumentiert.
+: im Vergleich zu NaCl eine schwache Analgesie dokumentiert
(Schwellemerhöhung).
++: im Vergleich zu NaCl eine stärkere Analgesie dokumentiert.
-: im Vergleich zu NaCl eine gering Hyperalgesie dokumentiert.
(Schwellenerniedrigung).
--: im Vergleich zu NaCl eine starke Hyperalgesie dokumentiert
(Schwellenerniedrigung).
n.d.: nicht durchgeführt.
-
4 Ergebnisse 31
Thermische Schwellenverschiebung an der rechten Hinterpfote (kontralateral zur
CCI-Operation); Lidocain 1% iv und D-Serin it, Abbildung 6:
An der rechten, nicht operierten Gliedmaße hatte Lidocain 1% iv + NaCl it den
höchsten post Bolus Wert, nach zehn Minuten fiel die Schwelle auf 13,4 ± 0,6
Sekunden, um sich nach 20 Minuten mit den anderen Kurvenverläufen bei
Reaktionszeiten zwischen 10 und 11 Sekunden einzupendeln. Bei zusätzlicher Gabe
von D-Serin it war die Wirkung von Lidocain 1% bei einem post Bolus Wert von 13,5
± 0,5 Sekunden schwächer, nach 30 Minuten war der prä Bolus Wert erreicht.
Die Tiere, bei denen NaCl iv und NaCl it appliziert wurde, dienten als Kontrollgruppe.
Die Kurve verlief gleichbleibend flach, ohne einen nennenswerten An- oder Abstieg
nach Applikation des Bolus.
Der Kurve der Gruppe NaCl iv + D-Serin it hatte einen post Bolus Wert (9,5 ± 0,6
Sekunden), der minimal unter dem prä Bolus Wert (11,9 ± 0,3 Sekunden) lag, die
Kurve stieg im Versuchsverlauf wieder auf Werte um zehn Sekunden an.
Thermische Schwellenverschiebung an der linken Hinterpfote (mit CCI-Operation);
Lidocain 1% iv und D-Serin it, Abbildung 7:
An der linken Gliedmaße war ein ähnlicher Verlauf der Schwellenverschiebung zu
beobachten in Bezug auf den post Bolus Wert. Die Schwellenwerte lagen höher als
an der rechten Pfote, die einzelnen Tiergruppen zeigten bei ausschließlicher 1%
Lidocaingabe den höchsten post Bolus Wert (18,8 ± 1,2 Sekunden), was einem
Wirkmaximum entspricht, kehrte aber im weitern Zeitverlauf wieder auf den
Ausgangswert von 12,8 ± 1,1 Sekunden zurück.
Diesem Kurvenverlauf folgte die Gruppe Lidocain 1% iv + D-Serin it (13 ± 9
Sekunden) und NaCl iv + NaCl it (10,3 ± 0,2 Sekunden). NaCl iv + D-Serin it hatte
den geringsten Schwellenwert mit 9,1 ± 0,6 Sekunden post Bolus.
Die thermale Schwelle verschob sich bei 1% Lidocain iv + NaCl it am rechten, nicht
operierten Bein vor dem Bolus von 11,3 ± 0,4, auf 16,6 ± 01,2 Sekunden, hatte hier
das Wirkungsmaximum und kehrte nach 30 Minuten wieder auf den Ausgangswert
von 11,2 ± 0,7 Sekunden zurück.
-
4 Ergebnisse 32
Zur Signifikanz:
Im Vergleich NaCl iv + NaCl it versus Lidocain 1% iv + NaCl it waren linke wie rechte
Pfote im Wirkmaximum signifikant unterschiedlich (p < 0,01, n = 6) mit einem
Wirkmaximum links 10,3 ± 0,2 versus 18,8 ± 1,2 Sekunden und rechts 11,3 ± 0,6
versus 16,6 ± 1,2 Sekunden.
Beim Vergleich NaCl iv + NaCl it versus D-Serin waren die Schwellenverschiebungen
weder links noch rechts signifikant, links 10,3 ± 0,2 versus 9,1 ± 0,6 Sekunden,
rechts11,3 ± 0,6 versus 9,5 ± 0,6 Sekunden. Beide Kurvenverläufe zeigten sowohl
links als auch rechts nach 30 Minuten einen abfallenden Verlauf, um nach 50
Minuten auf den Ausgangswert zurückzukehren.
Thermische Schwellenverschiebung an der rechten Hinterpfote (kontralateral zur
CCI-Operation); Lidocain 1% iv und Strychnin it, Abbildung 8:
An der rechten, nicht operierten Pfote hatte die Gruppe Lidocain 1% iv + NaCl it den
höchsten post Bolus Wert (16,6 ± 1,2 Sekunden), fiel aber nach 30 Minuten
Versuchsdauer auf Werte um zehn bis elf Sekunden ab. Lidocain 1% iv + Strychnin it
hatte den zweit höchsten post Bolus Wert (12,6 ± 0,8 Sekunden), erreichte nach 30
Minuten seinen tiefsten Wert bei 9,3 ± 0,4 Sekunden, und stieg bis 50 Minuten nach
Versuchsbeginn auf den prä Bolus Wert an.
Die Kontrollgruppe NaCl iv + NaCl it hatte einen gleichbleibenden Kurvenverlauf, wie
oben erwähnt. Die Tiere mit NaCl iv und Strychnin it zeigten eine deutlich
herabgesetzte thermale Schwelle, alle Werte lagen deutlich unter denen der anderen
Gruppen und hatten nach Versuchsende den prä Bolus Wert nicht wieder erreicht.
Thermische Schwellenverschiebung an der linken Hinterpfote (mit CCI-Operation),
Lidocain 1% iv und Strychnin it, Abbildung 9:
An der linken Pfote fiel erneut auf, dass die reine 1% Lidocaingruppe die höchsten
thermalen Schwellen nach dem Bolus hatte. Die Gruppen Lidocain 1% iv + Strychnin
it und die NaCl-Kontrollgruppe hatten eine ähnlichen Verlauf mit Werten, die eng
zusammen lagen, der Kurvenverlauf war ohne grosse Schwankungen.
-
4 Ergebnisse 33
Die Gruppe NaCl iv + Strychnin it dagegen hatte post Bolus eine deutliche
Schwellenerniedrigung mit einem Wert von 5,8 ± 0,2 Sekunden und verblieb bis
Versuchsende auf diesem niedrigen Niveau.
Zur Signifikanz:
Bei den Gruppen NaCl iv + NaCl it versus Strychnin kam es an der rechten Pfote zu
einer nicht signifikanten Verschiebung post Bolus, 11,3 ± 0,6 versus 9,0 ± 0,8
Sekunden. An der linken Hintergliedmaße verlief der Kurvenverlauf signifikant, 10,3 ±
0,2 versus 5,8 ± 0,2 Sekunden bei p< 0,05 und n = 6.
Die Verlaufskurve des Strychnins dokumentierte links wie rechts eine starke
Schwellenverschiebung unter den Ausgangswert, und dieser erreichte nach 50
Minuten Versuchsverlauf nicht wieder den Wert vor Bolusgabe.
Thermische Schwellenverschiebung an der rechten Hinterpfote (kontralateral zur
CCI-Operation), Lidocain 1% iv und CGP 78608 it, Abbildung 10:
An der rechten Pfote hatte Lidocain 1% iv + NaCl it das Wirkmaximum bei 16,6 ± 1,2
Sekunden und hatte nach Versuchsdauer 10,5 ± 0,5 Sekunden das Wirkminimum.
Die Kontrollgruppe hatte einen gleichbleibenden flachen Verlauf, wie oben erwähnt.
NaCl iv + CGP 78608 it hat im Vergleich zu Lidocain 1% iv + CGP 78608 it einen
höheren post Bolus Wert (15,5 ±0,6 Sekunden). Die Wirkung des Pharmakons hielt
im Versuchsverlauf länger an als bei den anderen Gruppen, fiel aber nach 30
Minuten auf prä Bolus- Werte ab.
Die thermalen Schwellenwerte der Gruppe mit Lidocain 1% iv + CGP 78608 it hatte
bei Minute 10 ihr Wirkmaximum, bei Minute 30 war das Ausgangsniveau wieder
erreicht. Lidocain 1% iv + NaCl it hatte das höchste Wirkungsmaximum, gefolgt von
NaCl iv + CGP 78608 it. Lidocain 1% iv + CGP 78608 it hatte im Vergleich mit den
erwähnten Gruppen einen deutlich niedrigeren post Bolus Wert.
Thermische Schwellenverschiebung an der linken Hinterpfote (mit CCI-Operation);
Lidocain 1% iv und CGP 78608 it, Abbildung 11:
An der linken Pfote stellten sich die Verläufe der Werte der verschiedenen Gruppe
ähnlich dar: sie hatten alle, mit Ausnahmen der Kontrollgruppe, ein
-
4 Ergebnisse 34
Wirkungsmaximum nach der Bolusgabe und im Verlauf des Versuches sanken die
thermalen Schwellenwerte auf prä Bolus Werte.
Lidocain 1% iv + NaCl it hatte das höchste Wirkungsmaximum, gefolgt von NaCl iv +
CGP 78608 it. Lidocain 1% iv + CGP 78608 it hatte also im Vergleich mit den
erwähnten Gruppen einen deutlich niedrigeren post Bolus Wert.
Die Kontrollgruppe hatte das geringste Wirkungsmaximum und einen
gleichbleibenden Kurvenverlauf.
Zur Signifikanz:
Bei dem Vergleich NaCl iv + NaCl it versus CGP 78608 it waren die Werte
signifikant, rechte Pfote p< 0,01, linke Pfote p< 0,05 bei n =6. Post Bolus hatten
beide Werte ihr Wirkmaximum rechts 11,3 ± 0,6 versus 15,5 ± 0,6, links 10,3 ± 0,2
versus 13,8 ± 1,2 Sekunden. Der Kurvenverlauf des CGP 78608 lag während der
gesamten Versuchsdauer über dem des NaCl, beide näherten sich bei 50 Minuten
dem prä Bolus Wert wieder an.
Thermische Schwellenverschiebung an der rechten Hinterpfote (kontralateral zur
CCI-Operation); Lidocain 2% iv und D-Serin it, Abbildung 12:
Bei den Versuchen mit 2% Lidocain wurde das D-Serin nach dem Lidocain- Bolus
appliziert und so die Wirkung der applizierten Pharmaka zehn Minuten nach der
Bolusgabe untersucht.
Lidocain 1% iv + NaCl it hatte mit 13,4 ±0,6 Sekunden das höchste Wirkmaximum,
gefolgt von Lidocain 2% iv + NaCl it (13,1 ±0,4 Sekunden), doch die
Schwellenwerterhöhung blieb im Versuchsverlauf bei 2% Lidocain länger bestehen
als bei Lidocain 1%.
2% Lidocain iv + D-Serin it hatte mit 9,5 ± 0,3 Sekunden die grösste
Schwellenerniedrigung, die sich bis Versuchsende an den prä Bolus Wert wieder
annäherte (10,7 ± 0,2 Sekunden). Die Kontrollgruppe hatte kein Wirkmaximum, die
Kurve verlief gleichbleibend flach.
Auffallend war bei den ersten Gruppen (Lidocain 1% iv + NaCl it und Lidocain 2% +
Nacl it) eine Schwellenerhöhung nach zehn Minuten, bei den anderen Gruppen
(Lidocain 2% + D-Serin it und NaCl iv + NaCl it) eine thermische
-
4 Ergebnisse 35
Schwellenerniedrigung. Alle vier Gruppen näherten sich im weiteren Kurvenverlauf
wieder ihren postoperativen Ausgangswerten an.
Thermische Schwellenverschiebung an der linken Hinterpfote (mit CCI-Operation);
Lidocain 2% iv und D-Serin it, Abbildung 13:
Auffallend war, dass im Gegensatz zur rechten Hinterpfote die Schwellenerhöhung
des Lidocain 1% iv + NaCl it links höher ausfiel als Lidocain 2% iv + NaCl it. Nach
zehn Minuten hatte das Lidocain 1% eine Schwelle mit 13,8 ± 0,5 Sekunden,
Lidocain 2% dagegen 12,6 ± 0,5 Sekunden. Diese Schwellenverteilung blieb bis
Versuchsende bestehen, der jeweilige prä Bolus Wert wurde nicht wieder erreicht.
2% Lidocain iv + D-Serin hatte im Vergleich zum prä Bolus Wert von 9,8 ±0,2
Sekunden eine Schwellenerniedrigung auf 9,0 ± 0,2 Sekunden nach zehn Minuten
Versuchsablauf. Die antagonisierende Wirkung des D-Serin ließ während des
Versuches nach und der prä Bolus Wert war nach 40 Minuten erreicht.
Die Kontrollgruppe hatte, wie oben erwähnt, einen flachen Verlauf.
Zur Signifikanz:
In der Versuchsreihe wurde die unterschiedliche Konzentration (1% und 2%) des
Lidocains in Bezug auf das veränderte Schmerzverhalten genauer betrachtet.
Allgemein war festzustellen, dass eine Gabe von Lidocain 2% iv + NaCl it im
Vergleich zu Lidocain 1% iv + NaCl it zu einer länger erhöhten thermischen Schwelle
geführt hatte. Diese erhöhten Schwellen konnten durch eine Gabe von D-Serin
intrathekal antagonisiert werden, welches durch signifikant unterschiedliche
Kurvenverläufe deutlich wurde.
Die berechneten Signifikanzen wurden in Tabelle 6 im Anhang dargestellt.
Nach zehn Minuten waren alle gemessenen Werte an der linken und rechten Pfote
mit p< 0,01 bei n = 6 signifikant unterschiedlich. Lidocain 2 % iv + NaCl it versus
NaCl iv + NaCl it rechts 13,1 ± 0,4 versus 10,5 ±0,2 Sekunden, links 12,6 ± 0,5
versus 9,7 ± 0,3 Sekunden.
-
4 Ergebnisse 36
Lidocain 2% iv + NaCl it versus Lidocain 2% iv + D-Serin it zeigten rechts ein
Wirkmaximum von 13,1 ± 0,4 versus 9,5 ± 0,3, links 12,6 ± 0,5 versus 9,0 ± 0,2
Sekunden, im weiteren Verlauf zeigte sich, dass die Kurve von Lidocain 2% iv + D-
Serin im weiteren Versuchsverlauf Richtung Ausgangswert strebte.
Nach 20 Minuten waren bei beiden Gruppen erneut die Werte der linken und rechten
Pfote signifikant unterschiedlich mit p < 0,01 bei n = 6. Rechte Pfote Lidocain 2% iv +
NaCl it versus NaCl iv + NaCl it mit 13,1 ± 0,5 versus 10,7 ± 0,3 Sekunden, linke
Pfote 12,3 ± 0,4 versus 9,2 ± 0,4 Sekunden. Im weiteren Vergleich rechte Pfote
Lidocain 2% iv + NaCl it versus Lidocain 2% iv + D-Serin it mit 13,1 ± 0,5 versus 10,7
± 0,1 Sekunden, linke Pfote 12,3 ± 0,4 versus 9,2 ± 0,2 Sekunden.
Nach 30 Minuten waren an der rechten Pfote bei beiden zu vergleichenden Gruppen
die Schwellenverschiebungen mit p < 0,05 bei n = 6 signifikant: Lidocain 2% iv +
NaCl it versus NaCl iv + NaCl it mit 13,3 ± 0,4 versus 10,9 ± 0,3 Sekunden, Lidocain
2% iv + NaCl it versus Lidocain 2% iv + D-Serin it mit 13,3 ± 0,4 versus 11,0 ± 0,2
Sekunden. An der linken Pfote waren bei der Kontrollgruppe Lidocain 2% iv + NaCl it
versus NaCl iv + NaCl it die Daten mit 12,1 ± 0,3 versus 9,6± 0,3 Sekunden
signifikant unterschiedlich, bei p< 0,05 mit n = 6, und näherten sich im
Versuchsverlauf dem Ausgangswert wieder an.
Bei der Gruppe Lidocain 2% iv + NaCl it versus Lidocain 2% iv + D-Serin it mit 12,1 ±
0,3 versus 9,7 ± 0,3 Sekunden war bei p< 0,01 mit n= 6 der Vergleich der
Schmerzschwelle signifikant unterschiedlich.
Nach 40 Minuten Versuchsablauf hatten beide Gruppen an der rechten und linken
Pfote den Ausgangswert wieder erreicht.
Der analgetische Effekt von Lidocain 1% war an der linken, operierten Gliedmaße
stärker und länger ausgebildet, als an der rechten, nicht operierten Gliedmaße. Bei
den Tieren, die nur 1% Lidocain erhielten erfolgte fünf Minuten nach dem Beginn der
Lidocaininfusion an der linken, operierten Pfote das Wegziehen der Pfote nach 18,8
±1,2 sec. (rechte, nicht operierte Pfote 16,6 ±1,2 sec.). Bei der Kontrollgruppe wurde
nach 10,3 ±0,2 sec. die linke Pfote, und nach 11,3 ± 0,6 sec. die rechte Pfote
weggezogen (p ≤ 0,01. n= 6).
-
4 Ergebnisse 37
Die thermale Latenzzeit bis zum Wegziehen der Pfote bei den 1% Lidocaintieren
kehrte an der linken Pfote nach 50 Minuten, an der rechten Pfote nach 20 Minuten
auf den Ausgangswert vor der intravenösen Infusion zurück (Abbildung 1-8).
Die zusätzliche Gabe von D-Serin (100µg/ Ratte) reduzierte an der linken Pfote die
Lidocain-vermittelte Antinozizeption nach fünf Minuten ab der 1% Lidocaininfusion.
An der rechten Pfote konnte trotz D-Serin kein signifikanter Unterschied im
Schmerzempfinden festgestellt werden (13,3 ±0,9 sec. vs. 18,8 ±1,2 sec. an der
linken Pfote und 13,5 ≤0,6 sec. vs. 16,6 ±1,2 sec. an der rechten Pfote, 1% Lidocain
plus D-Serin vs. 1% Lidocain allein, p ≤ 0,05 und nicht signifikant, n=6). An beiden
Hintergliedmaßen war der Effekt von D-Serin nur geringfügig zu erkennen. Die
Latenzzeit zehn Minuten nach Beginn der 1% Lidocaininfusion lag bei 12,9 ±1 sec.
(linkes Bein) und 11,9 ±0,4 sec. (rechtes Bein) bei Tieren, die D-Serin plus 1%
Lidocain bekamen. Bei Tieren, die nur 1% Lidocain erhielten war links eine
Latenzzeit von 13,8 ±0,5 sec., und rechts eine Latenzzeit von 13,4 ±0,6 sec. zu
messen. Im gesamten Versuchsablauf (bis 50 Minuten nach 1% Infusionsbeginn)
konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden zwischen den Tieren, die
einerseits D-Serin plus Lidocain, andererseits nur 1% Lidocain bekamen.
Jedoch konnte bei den Versuchen mit 2% Lidocain (10 mg/kg 1% Lidocain in drei
Minuten, nach fünf Minuten Beginn der Dauerinfusion mit 360 mg/kg/Stunde, nach
fünf Minuten 100µg D-Serin intrathekal) dokumentiert werden, dass die lidocain-
vermittelte Antinozizeption durch D-Serin an linker und rechter Hinterpfote reduziert
wurde (Abbildung 6 u. 7). Zehn Minuten nach 2% Lidocaininfusion lag die thermale
Latenzzeit bei der Gruppe D-Serin plus Lidocain links bei 9,3 ±0,4 sec. und rechts bei
p ≤ 0,05 10,3 ±0,7 sec. Bei der Gruppe, die nur 2% Lidocain erhielt waren links Werte
von 12,4 ±0,5 sec., und rechts von 13,4 ±0,4 sec. (p ≤ 0,05, n=6) zu messen. D-Serin
hatte weder einen pro- noch einen antinozizeptiven Effekt, wenn es allein appliziert
wurde.
Bei intrathekaler Applikation von Strychnin (3 µg/ Ratte) wurde bei der 1%
Lidocaininfusion die antinozizeptive Wirkung des Lokalanästhetikums an der linken,
wie rechten Pfote aufgehoben, es wirkte deutlich stärker und länger pronozizeptiv als
D-Serin (Abbildung 2 und 4). Fünf Minuten nach Beginn der 1% Lidocain Infusion
-
4 Ergebnisse 38
konnten an der linken Pfote bei Strychnin plus Lidocain Werte von 12,6 ±0,8 sec. vs.
18,8±1,2 sec. bei alleinigem Lidocain gemessen werden (p ≤0,01, n= 6). An der
rechten Pfote waren es 12,8±0,8 sec. vs. 16,6±1,2 sec. (p ≤0,05, n=6). Im
Gegensatz zu D-Serin konnte Strychnin an beiden Hinterpfoten bei alleiniger Gabe
die Pronozizeption verstärken und verlängern (Abbildung 3 und 4).
Bei der Applikation von CGP 78608 (100pmol/Ratte) wurde bei den Messwerten an
beiden Hinterpfoten deutlich, dass fünf und zehn Minuten nach Infusionsbeginn die
thermale Latenzzeit reduziert wurde (linke Pfote: 11,8. ±1,5 sec. vs. 18,8 ±1,2 sec.
bei alleiniger 1% Lidocaingabe; rechte Pfote: 12 ± 1,4 sec. vs. 16,6 ±1,2 sec. bei
alleiniger 1% Lidocaingabe, p ≤0,01 und p ≤0,05 bei n=6). CGP 78608 hat bei
alleiniger Gabe eine antinozizeptive Wirkung (Abbildung 5 und 6).
4.2 Lidocain-Dosisfindung und Blutkonzentration von 1% Lidocain in vivo bei
der Ratte
Um eine genaue Aussage über die Kinetik des Lidocains machen zu können, wurde
an drei männlichen Wistar-Ratten (Tac:WIST, Wistar Hannover, GALAS) eine
Bestimmung der Blutserumkonzentration von Lidocain durchgeführt (siehe Abbildung
17, Kapitel 8).
Dazu wurden die Ratten mit 60 mg Pentobarbital (Narcoren®) pro Kilogramm
Körpergewicht in Narkose gelegt. Wie unter 3.3 beschrieben, wurde jedem Tier auf
der linken Halsseite ein zentraler Venenzugang gelegt.
Durch diesen Venenzugang wurden 0,8 ml Blutes entnommen und in EDTA-
Röhrchen verbracht. Diese Probe entsprach dem Nullwert oder dem „prä OP“ Wert.
Wie in den vorangegangen Versuchsreihen bekam das in Narkose liegende Tier
einen Bolus von 0,35 ml des 1% Lidocains (Lidocain 1%®, der Firma Braun,
Deutschland) verabreicht, es folgte eine einstündige permanente Infusion von 1%
Lidocain in einer Menge von 6 µl in der Minute.
-
4 Ergebnisse 39
Die Probe wurde mit Hilfe einer Pasteur-Pipette aus dem periorbitalen Venenplexus
entnommen, je zwei Mal am linken und am rechten Auge. Die Blutprobe wurde nicht
aus dem Venenkatheter gewonnen, da so die Dauerinfusion unterbrochen werden
müsste. Einen zweiten Venenkatheter in die andere Vena jugularis zu installiern,
erschien zu arbeits- und zeitintensiv.
Nach dem Nullwert folgte eine Probe gleich nach der Bolusgabe mit 1% Lidocain,
dann nach 20, 40 und 50 Minuten bei laufender Zeitmessung. Diese Abfolge der
Probenentnahme wurde gewählt, damit über den gesamten Versuchsablauf eine
zusammenhängende Konzentration dokumentiert werden konnte.
Die EDTA-Proben wurden zehn Minuten bei 3000 Umdrehungen in der Minute
zentrifugiert und bis zur weiteren Analyse eingefroren.
Nach der letzten Probenentnahme wurden die Tiere mit 0,5 ml einer
Pentobarbitallösung (Eutha 77®, Firma Essex) schmerzfrei euthanasiert.
Die Konzentration von Lidocain im Serum wurde mit Hilfe einer Gaschromatographie
mit Massenspektrometrie (GCMS) durch Dipl. Ing. Susanto,
Diabetesforschungsinstitut, Düsseldorf bestimmt.
Tabelle 5: Darstellung der Konzentration von Lidocain im Serum [µl/ml Serum]
Probenummer Tier 1 Tier 2 Tier 3
1 (Nullwert) 0,0 0,0 0,0
2 (nach Bolus) 2,09 3,43 6,02
3 (nach 20 min.) 3,77 8,65 8,29
4 (nach 40 min.) 4,82 6,74 7,9
5 (nach 50 min.) 5,99 2,24 4,09
-
4 Ergebnisse 40
4.3 Einfluß der applizierten Pharmaka auf die induzierte Hyperalgesie
Lidocain ist ein Lokalanästhetikum, welches im Rahmen dieser Arbeit systemisch
appliziert wurde. Dieses Pharmakon hat im applizierten Dosisbereich der
vorliegenden Arbeit eine zentral nervöse, inhibitorische Wirkung (BIELLA et. al,
1993). Es kommt bei alleiniger Applikation nach CCI-Operation zu einer
Schwellenerhöhung der Nozizeption bei den Tieren am linken, operierten wie auch
am rechten, nicht operierten Bein.
Dieser antinozizeptive Effekt wird sowohl durch D-Serin als Co-Agonisten von
Glutamat am (exzitatorischen) NMDA-Rezeptor, als auch durch Strychnin als
Antagonisten am strychnin-sensitiven inhibitorischen Glycinrezeptor antagonisiert.
Erstaunlicherweise antagonisiert auch ein Antagonist an der Glyzin-B-Site des
NMDA-Rezeptors die durch Lidocain induzierte Antinozizeption.
-
5 Diskussion 41
5 Diskussion
Im Rahmen dieser Arbeit sollte anhand von einem thermalen Verhaltensexperiment
geklärt werden, ob die durch systemisch appliziertes Lidocain erzeugte Analgesie
über spinale glyzinerge Mechanismen vermittelt ist.
Die Versuche wurden in vivo durchgeführt. Die in der Literatur beschriebenen
vorangegangenen, in vitro durchgeführten Experimente (BENNETT und XIE, 1988;
BIELLA und SOTGIU, 1993; STEPHEN et al., 1994; NAGY und WOOLF, 1998)
wurden in dieser Dissertationsschrift am sich frei bewegenden Tier nachvollzogen.
Die Ergebnisse aus Iontophorese und ähnlichen Versuchen sollten auf das ganze,
lebende Tier übertragen werden.
Da die Versuche am wachen, nicht narkotisierten Tier durchgeführt wurden, konnte
der physiologische Ablauf der Schmerztransmission beurteilt werden. WHITEHEAD
et al. (2004) haben in ihrer Studie darauf hingewiesen, dass Untersuchungen zum
Schmerzverhalten durch die Anwesenheit allgemein anästhesierender Substanzen
die neuronale Aktivität, sowie die nozizeptive Stimulierung beim Tier beeinflussen
und so einige der gemachten Beobachtungen nicht alle regulierenden Mechanismen
widerspiegeln. Auch JONES et al. (2001) haben in ihrer in vitro durchgeführten Arbeit
darauf hingewiesen, dass Faktoren, wie zum Beispiel Temperatur, Ionenverhältnisse
in Rezeptornähe oder die Anwesenheit von anderen modulierenden Substanzen am
wachen Tier mit hoher Wahrscheinlichkeit anders zu bewerten sind, als bei
Versuchen, die in vitro durchgeführt wurden.
Die verwendeten Substanzen, die mittels des intrathekalen Katheters direkt an der
Lumbalschwellung und so in der Region des Dorsalhorns appliziert werden konnten,
sind selektive Agonisten sowie Antagonisten am NMDA-Rezeptor, sowie ein
Antagonist am inhibitorischen Strychnin-sensitiven Glycinrezeptor.
In vorangegegangenen Studien hat sich gezeigt, dass selektive Antagonisten an den
synergistischen Teilen der betroffenen Rezeptoren (NMDA- und inhibitorische
Strychnin-sensitive Glycinrezeptoren) geringere Nebenwirkungen bei den Patienten
-
5 Diskussion 42
hervorrufen, als komplett blockierende Substanzen. Die Blut-Hirnschranke wird nicht
passiert und eine Gewöhnung, wie zum Beispiel bei vergleichbaren Opioiden, bleibt
aus. Es ist bewiesen, dass moderat wirkende, selektive Antagonisten bei
chronischen Schmerzmodellen mehr Erleichterung für den Patienten schaffen, als
Antagonisten, die den gesamten Rezeptor blocken. Auch das Zusammenspiel von
Antagonisten und Teilen des NMDA-Rezeptors bei parietalen und viszeralen
Schmerzen in der Peripherie sind möglicherweise in Zukunft ein Angriffspunkt einer
effizienten Schmerztherapie (PARSONS, 2001).
Beide Rezeptoren, der NMDA-Rezeptor, sowie der inhibitorische strychnin-sensitive
Glycinrezeptor spielen bei der Transmission von chronischen Schmerzen eine
grosse Rolle, wobei ihre Aktivierung und die Hintergründe einer selektiven oder
gekoppelten Beeinflussung nicht genau geklärt sind.
Glycin ist einer der wichtigsten inhibitorischen Neurotransmitter im zentralen
Nervensytem. AHMADI et al. (2003) haben in ihrer Arbeit festgestellt, dass Glycin als
obligatorischer Co-Agonist am NMDA-Rezeptor in der chronischen
Schmerzentwicklung eine sehr wichtige Rolle spielt. Somit wäre auch eine
Beeinflussung der Glycinmenge ein möglicher Ansatz für eine effektivere
Schmerztheraphie.
KISHIMOTO et al. (1981) und BECKER et al. (1988) haben bewiesen, dass der
NMDA-Rezeptor eine höhere Affinität für Glycin hat als der inhibitorische strychnin-
sensitive Glycinrezeptor. Die Ansprechbarkeit der Rezeptoren ist von der
Glycinkonzentration im synaptischen Spalt abhängig. Glycin und Glutamat als Co-
Agonisten müssen ausreichend vorhanden sein, um die Rezeptoren voll zu
aktivieren. Der Glycintransport im Dorsalhorn des ZNS durch Typ 1 und 2
Glycintransporter hat ebenfalls Einfluss auf die Aktivierung der Rezeptoren. Es
können entfernte Rezeptoren durch den oben erklärten „spillover“ (siehe Einleitung,
S. 7) aktiviert werden. Durch Diffusion und gezielten Transport verlässt Glycin den
synaptischen Spalt und steht so nicht mehr zur Aktivierung in der Nähe liegender
Rezeptoren zur Verfügung.
-
5 Diskussion 43
Wirkung von Lidocain
Systemisch appliziertes niedrig dosiertes Lidocain ruft eine temporäre, reversible
Analgesie hervor. Dies wurden in vielen vorangegangenen experimentellen und
klinischen Versuchen bei Menschen und Tieren untersucht (MARCHETTINI et al.,
1992; ABRAM und YAKSH, 1994; MAO und CHEN, 2000; SMITH et al., 2002;
ARAUJO et al., 2003 und FINNERUP et al., 2005). Die systemische, analgetische
Wirkung des Lidocain konnte auch im Rahmen dieser Arbeit im neuropathischen
Schmerzmodell bestätigt werden.
Es hemmt die NMDA- und Neurokinin-Rezeptor-vermittelte postsynaptische
Depolarisation (NAGY und WOOLF, 1996), sowie die durch Glutamat evozierte
Aktivität (BIELLA und SOTGIU, 1993) in bestimmten Hinterhornneuronen (WDR-
Neurone). Es hat eine wie schon im Vorangegangen erklärte, zentralnervöse,
inhibitorische Wirkung (STEPHEN et al., 1994).
Bei der Katalyse am Rezeptor hemmt Lidocain die Glutamatausschüttung und wirkt
so inhibitorisch auf die Signalweiterleitung (BIELLA et al., 1993).
WALLACE et al. (2000) stellten fest, dass Lidocain vor allem bei Patienten mit
neuropathischen Schmerzen Erleichterung verschaffen konnte. Bei Patienten mit
akuten Schmerzen zeigte es keinerlei Wirkung. Er stellte die Vermutung auf, dass es
nach einem Trauma zu morphologischen Veränderungen an den Afferenzen kommt.
Die Anzahl von spannungsgesteuerten Natrium-Kanälen nimmt in diesen Gebieten
zu, auch in Gebieten des dorsalen Wurzelganglions wurde eine Zunahme der Kanäle
dokumentiert.
Wie in vorangegangenen Studien ließ sich die analgetische Wirkung des Lidocains in
den Versuchen der vorliegenden Arbeit bestätigen. Die thermale Schwelle der Tiere
war bei alleiniger intravenöser Applikation an linker und rechter Hinterpfote stark
erhöht. Wie erwartet wirkt Lidocain im CCI-Modell antinozizeptiv.
BIELLA et al. (1993) vermuteten anhand von in vitro-Experimenten an „wide dynamic
range-Neuronen“ des spinalen Hinterhorns von Ratten, dass die Wirkung des
Lidocains möglicherweise über den NMDA-Rezeptor vermittelt wird, der Glycinrest
des Lidocain bindet an der Glycin B-site und verhindert die weitere
Glutamatausschüttung. Lidocain hätte demzufolge an der Glycin B-site eine
-
5 Diskussion 44
antagonistische Wirkung zu Glycin, aber auch Metaboliten der Substanz könnten
eine ähnliche, antinozizeptive Wirkung haben.
Wirkung von D-Serin
D-Serin ist ein potenter (Co)-Agonist an der Glycin-B site des NMDA-Rezeptors mit
entsprechender exzitatorischer Wirkungsweise, aber inaktiv am inhibitorischen
strychnin-sensitiven Glycinrezeptor (BARANANO et al., 2001). In der vorliegenden
Arbeit wurde D-Serin in einer Dosis (100 µg/Ratte) intrathekal appliziert, die bei
alleiniger Applikation zu keiner exzitatorischen Wirkung führt (s.a. MUTH-SELBACH
et al., 2002).
Bei der Applikation von Lidocain iv und D-Serin it wurde das Wirkungsmaximum von
Lidocain an der linken und rechten Pfote herabgesetzt. D-Serin antagonisiert folglich
die antinozizeptive Wirkung von systemisch appliziertem, niedrig dosiertem Lidocain.
Die Ergebnisse unterstützen die Hypothese von BIELLA et al. (1993), dass Lidocain
an der Glycin-B-site des NMDA-Rezeptors antagonistisch wirkt und über diesen Weg
zumindest teilweise seine Antinozizeption vermittelt. D-Serin verdrängt Lidocain
(oder Metabolite mit Glycinrest) vom Rezeptor, entfaltet (co-)agonistische Aktivität
und hebt damit die Blockade des NMDA-Rezeptors auf, was in einer wieder
verstärkten Pronozizeption mündet. Der pronozizeptive Effekt hielt bis 30 Minuten
nach der intrathekalen Applikation an.
Dieses Ergebniss zeigt, dass an der antinozizeptiven Wirkung von Lidocain bei
chronischen, neuropathischen Schmerzen der Ratte die Glycin-Bindungsstelle
spinaler NMDA-Rezeptoren beteiligt ist.
Wirkung von Strychnin
Strychnin ist ein selektiver Glycin-Antagonist, der mit gleicher Affinität wie Glycin an
inhibitorischen strychnin-sensitiven Glycin-Rezeptoren bindet (BREITINGER u.
BECKER, 2002; ARAGON u. LOPEZ-CORCUERA, 2003). Ausserdem vermindert es
die Glycinkonzentration im synaptischen Spalt, was eine verminderte Aktivierung des
NMDA-Rezeptors nach sich ziehen kann. Diese beiden Angriffspunkte an den
verschiedenen Rezeptoren machen deutlich, dass Strychnin inhibitorisch, wie
-
5 Diskussion 45
exzitatorisch wirken kann. Die Doppelrolle des Glycins im ZNS im Zusammenhang
mit neuropathischen Schmerzen wurde 1996 von SIMPSON et al. bestätigt.
In der Iontophorese hemmt Lidocain die Glutamatausschüttung, dies konnte durch
Strychnin zum Teil wieder aufgehoben werden (BIELLA und SOTGIU, 1992).
KHANDWALA et al. (1997) haben in ihrer Arbeit mit intrathekaler
Strychninapplikation eine reversible Allodynie induzieren können, ohne ein
chronisches Schmerzmodell an den Tieren zu etablieren. Sie stellten fest, dass in
Anwesenheit von
top related