dem hundehimmel ganz nah

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REPORTAGE WERDENBERGER & OBERTOGGENBURGER | SAMSTAG, 22. JUNI 2013 9

Dem Hundehimmel ganz nahEine Reportage von Katharina Rutz

Nesslau. – Pepita liegt auf dem Operations-tisch. Ihr Vorderbein ist rasiert und orangevom vielen Desinfektionsmittel. An ihremHinterbein klafft eine offene Wunde. Pepitaist ein halbes Jahr alt und ein Retromops. Siehatte einen Autounfall und landete am Mitt-woch als Notfall in der Tierklinik Nesslau.Nun wird sie bald operiert und obwohl essich um eine nicht ganz einfache Operationhandelt, stehen ihre Chancen auf Heilung gut.

Freude und Leid sind nah beieinanderAnders ergeht es einer kleinen, schon etwasälterenYorkshire-Terrier-Dame. Sie ist unheil-bar an Krebs erkrankt und wird an diesemNachmittag von ihren Leiden erlöst. Ihre Be-sitzerin ist bestürzt, bereits die Mutter desHündchens hat sie an den Krebs verloren. Freude und Leid sind in der Tierklinik

Nesslau nahe beieinander. Das Tor zum Hundehimmel ist deshalb bisweilen nah.Doch manchmal fühlen sich die Hunde viel-leicht auch aus anderen Gründen wie imHimmel, wenn sie nämlich freudig dieStreichel einheiten und Gutzis von TierarztDaniel Leutenegger erwarten. Pepita auf jeden Fall ist ganz begeistert von «ihrem»Chirurgen. Die Schmerzen bremsen ihre Lebensfreude nicht.Ihre Röntgenbilder zeigen zwei komplizierte

Knochenbrüche. Schwierig zu operieren sindsie, weil der Knochen ganz in der Nähe dersogenannten Wachstumsfuge gebrochen ist.«Wenn ich diese während der Operation ver-letze, kann das Bein unter Umständen nichtmehr weiterwachsen», so Daniel Leutenegger.Keine Sorgen über die Operation macht sichseine Frau und Tierärztin Carla Leutenegger.«Mein Mann ist gut», sagt sie schlicht. Unddank des regen Zulaufs, den die Tierklinikvon Patienten aus der ganzen Ostschweiz hat,bleibt Daniel Leutenegger auch in Übung.Mehrere orthopädische Operationen anKnochen, Gelenken und Wirbelsäule führt erpro Woche aus. Ausserdem ist er spezialisiertauf Neurochirurgie, zum Beispiel Band -scheibenoperation. Neben den unzähligenanderenkleineren und grösserenOperationen,die das Klinikteam durchführt. Da Pepita als Notfall in die Klinik kam,

operiert er sie noch am selben Abend nachSchluss der Sprechstunde. Die tiermedizi -nischePraxisassistentinMelanie Haab bereitetdas Hündchen vor. Es liegt bereits in Narkoseund sein Vorderbein – Elle und Speiche sindgebrochen – ist rasiert. Nun desinfiziert Melanie Haab das Beinchen in mehrerenSchritten. Währenddessen wäscht sich DanielLeutenegger die Hände – sehr lange und sehrgründlich.Alles muss steril sein.KatrinEugsterassistiert ebenfalls. Sie ordnet die Instru -mentenkoffer und die sterile Kleidung neben

dem Operationstisch. Dann wird das Hünd-chen mit mehreren Tüchern zugedeckt, bis nurnoch die Stelle, an der operiert wird, zugäng-lich ist. Melanie Haab überwacht Pepita wäh-rend der Narkose und Katrin Eugster reichtdem Arzt die Instrumente, spült die Wundeund tupft das Blut weg. Die Knochen von Elleund Speiche haben sich übereinandergescho-ben. Obwohl Pepita recht klein ist, benötigtDaniel Leutenegger einiges an Muskelkraft,um die Knochen wieder zu richten. Danachverschraubt er sie mit einer Platte. Er bringt an Elle und Speiche je eine Platte

an. «Zur Sicherheit», sagt er, denn normaler-weise würde nur die Speiche verschraubt. Daes sich um einen jungen Hund handelt, wirdDaniel Leutenegger die Platten nach Heilungdes Bruches wieder entfernen. Die Schrauben bohrt der Arzt durch den

gesamten Knochen, der innen hohl ist. EinLoch bohren, das Gewinde in den Knochendrehen und die Schraube einsetzen. DanielLeutenegger arbeitet langsam und sorgfältig,egal wie spät es an diesem Abend noch wird.Nach dem fertig operierten Bruch näht er dieoffene Wunde am Hinterbein. Auch dort istdas Bein noch gebrochen. Diese Operationhat er aber auf den nächsten Tag angesetzt.Nach der OP wird sofort geröntgt. Die Platten zeichnen sich deutlich auf dem Röntgenbild ab. Danach kommt Pepita in ihreBoxe, wo sie die ganze Nacht mittels Kameravon Leuteneggers zu Hause aus überwachtwerden kann.

70 Stunden pro Woche sind normalDer Arbeitstag endet für Tierarzt Daniel Leutenegger und sein Team an diesem Mitt-woch gegen 22 Uhr. Am nächsten Morgensteht er wieder um 7 Uhr in der Klinik undversorgt die stationären Patienten, bevornoch vor acht die ersten Sprechstunden be-ginnen. Bis zu 70 Stunden Arbeitszeit proWoche ist normal für das Tierärztepaar. DieTierklinik beherbergt eine Kleintier- und eine Grosstierklinik unter ihrem Dach. Carlaund Daniel Leutenegger sind Inhaber seitensder Kleintiere. Ihnen zur Seite stehen dieTierärztinnen Annamaria Manini und UrsinaTröndle. Insgesamt arbeiten 23 Mitarbeiterin der Tierklinik. Davon kümmern sich vierTierärzte um die Kleintiere und fünf um dieGrosstiere. Vier tiermedizinische Praxis -assistentinnen ermöglichen die Arbeit derTierärzte. Als Lehrbetrieb bildet die Tier -klinik zudem drei tiermedizinische Praxis-asistentinnen aus und auch das Tierheim be-schäftigt zurzeit zwei Lehrlinge zur Tier -pflegerin. Zum Team gehören zudem die Bürokräfte, die Tierheimleiterin, die Hunde-coiffeuse und drei Raumpflegerinnen. «DieArbeit in diesem ausgezeichneten Team bereitet immer wieder Freude», sagt DanielLeutenegger.

Am Freitagmorgen hat Pepita beide Opera-tionen hinter sich und wartet putzmunter aufihr Gutzi, nachdem sie Daniel Leuteneggeruntersucht hat. Danach darf sie mit StefanieKempf,derleitendentiermedizinischenPraxis-assistentin nach draussen zum Pinkeln. Dazuhat sie aber fast keine Zeit, muss sie doch, so lebhaft wie sie ist, auf drei Beinen und hinkend herumtoben. Kaum zu glauben, dassdieses Hündchen zwei schwierige Knochen-Operationenhintersichhat.«WiedieMenschengehen auch die Tiere unterschiedlich mit ihrerKrankheit um. Einige sind wahre Kämpfer,andere ergeben sich eher», so Daniel Leuten-egger. Wichtig sind natürlich auch die Besitzer.Der Tierarzt ist auf ihre Beschreibung überden Zustand des Tieres angewiesen. «Ich fühlemich dann bisweilen wie ein Kinderarzt»,sagt er.

Lebensqualität entscheidetSchwierig sind für ihn die Entscheidungen,wie weit man bei einem Tier noch gehen soll.«Entscheidend ist die Lebensqualität des Tieresnach der Behandlung». Möglich ist sehr vielesin der Tierklinik Nesslau. «Wir können jeglicheOperationen durchführen, die Tiere stationärhier behalten, haben ein gut eingerichtetesLabor und das alles an einem Ort. Zudem be-treiben wir einen 24-Stunden-Notfalldienst365 Tage im Jahr», sagt Daniel Leutenegger.Und so sind denn auch die Fälle, die in derTierklinik Nesslau behandelt werden, sehrvielfältig. Häufig erhalten sie auch Patientenvon anderen Tierärzten überwiesen.Da ist beispielsweise die Katze Mimosa. Sie

leidet unter einer Herzinsuffizienz und hatteWasser auf der Lunge. «Ausserdem ist esschwierig für mich, die Medikamente zu ge-ben», zeigt sich ihre Besitzerin besorgt. DochDaniel Leutenegger misst nicht nur den Blut-druck und stellt fest, dass der Kreislauf vonMimosa zurzeit den Umständen entsprechendgut arbeitet, er gibt auch Tipps zur Verabrei-chung des Medikaments. «Geben Sie dieTropfen auf die Pfote, dort lecken die Katzendiese bisweilen ab. Oder in Kaffeerahm – eineDelikatesse für die Vierbeiner.» Chuda ist eine Hündin aus Polen, die an

Krebs erkrankt ist und zur Chemotherapieregelmässig in die Tierklinik kommt. Bereitsschon einmal hat sie den Krebs therapiert,doch nun ist er zurückgekommen. «Doch siezeigt noch viel Freude am Leben und so langewerde ich mit der Therapie weitermachen»,sagt die Besitzerin. Sie findet, dass die liebens-würdige, zurückhaltende Hundedame es ver-dient hat, nachdem sie in Polen wohl nichtviel Schönes erlebt habe. Die Chemotherapiekonnte am Mittwoch nach der Blutuntersu-chung wegen schlechter Werte nicht durch -geführt werden. An diesem Freitag ist aber allesgut und die Hündin erhält ihre Spritze mitdem Medikament. Anders als bei Menschen

verlierenHunde ihreHaare durcheineChemo-therapie nicht. Sie müssen auch kaum erbre-chen «Denn das Fellwachstum funktioniertbei Hunden und Katzen anders als das Haar-wachstum beim Menschen», erklärt CarlaLeutenegger. Nicht nur Katzen und Hunde gehören zu

den Patienten in der Kleintierklinik. Meer-schweinchen Sugus hat einen Termin, weil ernicht mehr richtig frisst. Es stellt sich heraus,dass er einen Zahnarzt braucht, der ihm dieZähne schleift. Auch das übernimmt CarlaLeutenegger. Auch werden Exoten als Haus-tiere laut Daniel Leutenegger immer häufiger.Von Patient zu Patient ohne Pause gehen Carlaund Daniel Leutenegger und meistens brau-chen sie nicht mal einen Blick in die Kranken-akte zu werfen, um zu wissen, ob es sich umeineKniescheibenoperationbeieinemPapillonoder eine Entzündung der Pfotenballen beieinem Boxer handelt.Oftmals kommen die Kunden auch für ganz

alltägliche Dinge in die Klinik, auch von weiterher. So beispielsweise ein Paar aus dem Thur-gau mit einem jungen Hund zum Impfen. Siefreuen sich,CarlaLeuteneggerzu sehen, habensie doch eine gemeinsame Leidenszeit hintersich. Denn auch den Tierärzten geht es sehrnahe, wenn sie Patienten verlieren. So ist derVorgängerhund an einer Vergiftung eingegan-gen, obwohl es einige Zeit Hoffnung für einÜberleben gab. Gefressen hat der Hund Pelletseines biologischen Düngemittels in einemRebberg.

Tiere suchen gute PlätzeZum täglichen Brot der Kleintierärzte gehörenauch Kastrationen. Und nicht immer sind diesTiere von verantwortungsbewussten Haltern,die beispielsweise ihren Appenzeller-Mix mitsieben Monaten kastrieren lassen. Oft müssenCarla und Daniel Leutenegger Tiere aus demder Klinik angegliederten Tierheim kastrierenoder verwilderte Katzen. Auch die sechs drei-wöchigen Katzenbabys, die von den tier -medizinischen Praxisassistentinnen von Handaufgezogen werden, stammen von einer ver-wilderten Hauskatze, die kastriert wurde.Dabei wurden die Katzenbabys per Kaiser-schnitt entbunden. Da die Katze aber so wildwar, dass sie nicht gezähmt werden konnte,wurde sie wieder in die Freiheit entlassen.Die jungen Katzenbabys suchen nun gutePlätze. Genauso wie jährlich Dutzende vonTieren aus dem Tierheim. Letztes Jahr wurdenfast 200 Haus- und Heimtiere und rund 30Igel in der anerkannten Igelstation betreut.Jährlich werden es mehr und auch die Kostensteigen. Das Tierheim wird von den Inhabernder Tierklinik getragen und ist defizitär. Spenden sind immer willkommen. «Es ist unser Ferienhaus», seufzt Carla Leutenegger.Aber dann lächelt sie und sagt: «Dafür kommeich in den Hundehimmel.»

Vor der Operation: Melanie Haab bereitet Hündchen Pepita auf die OP vor.

Mit Platte geschient: Die Platte wird mit Schrauben am Knochen befestigt.

Bohrmaschine: Das chirurgische Gerät tönt wie eine normale Bohrmaschine.

Mehrere Blessuren: Pepita hat zu den Brüchen auch eine Wunde an der Pfote, die genäht wird.

Operation geglückt: Daniel Leutenegger kontrolliert die Beweglichkeit des Beines.

Entzündet: Pudeldame Luna hat einen entzündeten Gehörgang.

Hündin Candy begrüsst den Tierarztschwanzwedelnd.

Ein wenig ängstlich: Yorkshire-Terrier Niki weiss nicht so recht,was beim Röntgen auf sie zukommt.

Suchen ein Zuhause: Die Katzenbabys einer streunenden Kätzin werden von Hand aufgezogen und sucheneinen guten Platz.

Kampf gegen Krebs: Chuda bei der Chemotherapie. Schäferhund Lennox hat Gehprobleme.

Mimosa beim Blutdruckmessen.

Die Katze hat einen Oberschenkelbruch.Auch Zahnarzt: Meerschweinchen Sugus muss zum Zahnarzt.

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