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Die chinesische Kulturrevolution (1966-1976) im Spiegel der
deutschen
und chinesischen wissenschaftlichen Literatur
(1966-2008)
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung der Doktorwürde
der
Philosophischen Fakultät
der
Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität
zu Bonn
vorgelegt von
Changshan Li M.A.
aus
Harbin, VR China
Bonn 2010
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Gedruckt mit Genehmigung der Philosophischen Fakultät
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
1. Berichterstatter:Professor Dr. Wolfgang Kubin
2. Berichterstatter:Professor Dr. Michael Schneider
Tag der mündlichen Prüfung:22.12.2009
1
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 5
0 Einleitung 7
0.1 Problematik und Fragestellung 7
0.2 Forschungsgegenstand der Arbeit 10
0.2.1 Kriterien für die Auswahl der bearbeiteten
deutschen Literatur 10
0.2.2 Bedeutende deutsche Autoren 13
0.2.3 Untersuchungsstand zur chinesischen Kulturrevolution
in China 17
0.3 Zielsetzung und Methoden der Arbeit 22
ERSTER TEIL: CHINESISCHE KULTURREVOLUTION
IN DER DEUTSCHEN LITERATUR
Kapitel 1: Die Anfänge der chinesischen Kulturrevolution 25
1 Die Vorgeschichte der Kulturrevolution 25
1.1 Periodisierungen der Kulturrevolution 28
1.2 Die Bewegung der Roten Garden 30
1.3 Die Inhalte der ideologischen
Auseinandersetzung während der Kulturrevolution 37
1.4 Der Streit an der Kulturfront 40
1.5 Die ideologischen Meinungsverschiedenheiten zwischen
Mao Zedong und Liu Shaoqi 42
1.6 Die Weiterentwicklung des Maoismus 47
1.7 Die linksradikale Ideologie 50
Kapitel 2: Die Machtkämpfe 53
2 Die Machtkämpfe während der Kulturrevolution 53
2.1 Der Antagonismus zwischen Peking und Shanghai 54
2.2 Der Kampf gegen das „Hauptquartier um Liu Shaoqi
und Deng Xiaoping“ 57
2.3 Der Sturz Lin Biaos 61
2.4 Das Ende der „Viererbande“ 63
2
Kapitel 3: Die Rolle der Armee 69
3 Die Rolle der Armee während der Kulturrevolution 69
3.1 Die Machtkämpfe in der Armee: Aufstieg der Maoisten 69
3.2 Die Rolle der Armee als Ordnungshüterin 72
3.3 Die Autorität Mao Zedongs in der Armee 77
Kapitel 4: Die Außenpolitik 79
4 Die Außenpolitik während der Kulturrevolution 79
4.1 Der Grundpfeiler der Außenpolitik der VR China 80
4.2 Die sino-sowjetische Eiszeit 84
4.3 Die Politik gegenüber den USA 87
4.4 Die VR China und die Dritte Welt 89
Kapitel 5: Die Wirtschaftslage 93
5 Die Wirtschaftslage während der Kulturrevolution 93
5.1 Die Merkmale der kulturrevolutionären Wirtschaft 93
5.2 War die Wirtschaftsleistung besser als ihr Ruf? 95
ZWEITER TEIL: CHINESISCHE KULTURREVOLUTION
IN DER CHINESISCHEN LITERATUR
Kapitel 6: Ursachen und historische Hintergründe zur Kulturrevolution 98
6.1 Das Streben Mao Zedongs nach einer „neuen Welt“ 98
6.2 Die falsche Beurteilung bezüglich der Hauptwidersprüche
in der Innenpolitik 100
6.2.1 Die schwerwiegenden Folgen beim Kampf gegen
den rechten Flügel 102
6.2.2 Der Aufstieg der linksgerichteten Theorie 103
6.2.3 Die Fehleinschätzung der Situation 107
6.3 Die Auswirkungen der willkürlichen Entscheidungsgewalt
und des Personenkultes 109
6.3.1 Die Schrecken des Personenkultes 111
6.3.2 Maos Kampf gegen das zentrale Kollektiv 113
3
Kapitel 7: Der endgültige Ausbruch der Kulturrevolution 115
7.1 Kritik gegen „Die Entlassung des Hai Rui“ – als
Zündschnur der Kulturrevolution 115
7.2 Die erweiterte Konferenz des Politbüros der KPCh 116
7.3 Die Differenzen zwischen der ersten Front und Mao Zedong 118
7.4 „Das Hauptquartier bombardieren“ 120
7.5 Das Auftreten der Roten Garden 122
7.5.1 Die revolutionären Aktionen der Roten Garden 124
7.5.2 Die Bewegung der Roten Garden 126
7.5.3 Das Schicksal und der Untergang der Roten Garden 128
7.6 Januarsturm in Shanghai 130
7.7 Der Sturm der Machtergreifung erfasst das ganze Land 132
7.8 „Totale Kritik an der reaktionären kapitalistischen Linie“ 135
7.9 Der Justizirrtum im Fall des Vorsitzenden Liu Shaoqi 137
7.10 Die ernste und komplizierte Situation von „Das ganze
Land ist rot“ 141
Kapitel 8: Stabilisierung der Situation und der Lin Biao-Zwischenfall 145
8.1 Die Stationierung der Arbeiter- und Soldaten-Propagandagruppen
zur Verbreitung der Bildungsrevolution Mao Zedongs 145
8.2 Die Einstellung Mao Zedongs zur Armee 147
8.3 Die spezielle Rolle der Armee während der Kulturrevolution 149
8.4 Die Zerschlagung der Clique Lin Biaos 153
Kapitel 9: „Kampf, Kritik und Umgestaltung“ in der Kulturrevolution 159
9.1 Die leitende Ideologie von „Kampf, Kritik und Umgestaltung“ 159
9.2 „Säuberung der Klassen“ 161
9.3 Wiederaufbau der Partei und Versendung der
Parteikader an die Basis 162
9.4 Die Landverschickung 164
9.5 Die Bildungsrevolution 166
9.6 Die Revolution in Literatur und Kunst 169
Kapitel 10: Die Bewegung zur „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“
sowie die Neuausrichtung nach dem Sturz Lin Biaos 172
10.1 Die „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“ als Anlass zur
Meinungsäußerung 172
10.2 Der volkswirtschaftliche Niedergang wird gebremst 176
4
10.3 Große Fortschritte in der Außenpolitik 180
10.3.1 Die Entspannung der sino-amerikanischen Beziehungen
und die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu
Japan 181
10.3.2 Der UN-Beitritt der Volksrepublik China 184
10.3.3 Die Verschlechterung der sino-sowjetischen Beziehungen 185
Kapitel 11: Das Ende der Kulturrevolution 187
11.1 Der Gegenwind bei „Kritik an Deng Xiaoping und im
Kampf gegen die Rechten“ 187
11.2 Der Zorn des Volkes – Die „5. April-Bewegung“ 191
11.3 Das Erdbeben von Tangshan und Mao Zedongs Tod 194
11.4 Die Zerschlagung der „Viererbande“ und das Ende
der Kulturrevolution 196
Schlussbetrachtung 199
Abkürzungen 213
Liste der chinesischen Personennamen 214
Anhang 216
Der Beschluß des ZK der KPCh über die GPKR vom 8. August 1966 216
Programm der Roten Garden von Peking (23. August 1966) 218
Zeittafel (1965-1976) 220
Literaturverzeichnis 223
Lebenslauf des Verfassers 231
5
Vorwort
Seit vielen Jahren hatte ich die Absicht, eine wissenschaftliche Arbeit über die
Kulturrevolution zu verfassen. Nach Beendigung meines Magisterstudiums im Juli
1992 nahm mich Prof. Dr. Hans-Adolf Jacobsen an der Universität Bonn als
Doktorand auf und betreute mich bezüglich meiner Doktorarbeit mit dem Titel
„Chinesische Kulturrevolution im Spiegel der westdeutschen wissenschaftlichen
Literatur 1966-1976“.
1994 kehrte ich mit den Unterlagen, die ich während meines Studiums in Bonn
gesammelt hatte, nach Peking zurück und begann mich mit meiner Doktorarbeit
auseinanderzusetzen. Beim Lesen der deutschsprachigen Texte bemerkte ich jedoch,
dass diese für das Verfassen einer Dissertation bei weitem nicht ausreichten. Ferner
fand bei mir zu jener Zeit eine berufliche Umstellung statt, da ich vom
Übersetzungsinstitut des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas in die
Gruppe für internationale Kooperation beim chinesischen Staatsrat versetzt wurde, wo
man mich mit der Kooperation von chinesisch-deutschen Unternehmen betraute. Die
neue verantwortungsvolle Tätigkeit nahm meine gesamte Zeit in Anspruch und
veranlasste mich dazu, meine Dissertation weiter hinauszuzögern.
Nach der Jahrtausendwende stand ich vor einer neuen beruflichen
Herausforderung. Ich wurde akademische Lehrkraft an der Universität Heilongjiang.
In der Germanistikabteilung erteile ich seitdem Studenten Deutschunterricht und
forsche über Themen zur deutschen Geschichte und Kultur.
Mit der zunehmenden Öffnung Chinas nach außen ist auch eine verstärkte
Liberalisierung des wissenschaftlichen Umfelds feststellbar. Chinesische Wissenschaftler
begannen nun, die politischen Phänomene der Kulturrevoluton zu erforschen und
aufzuarbeiten. Ich sammelte und studierte daher Bewertungen und Analysen von
chinesischen Forschern zur Kulturrevolution mit dem Ziel, eine Dissertation über die
Forschungsergebnisse von deutschen und chinesischen Wissenschaftlern zu verfassen.
Prof. Dr. Wolfgang Kubin unterstützte meine Dissertationspläne und nahm mich
6
auch als Doktorand auf. Er gab mir nicht nur wertvolle Ratschläge zum Verfassen
dieser Dissertation, sondern stellte auch bereitwillig eine große Menge an
wissenschaftlichen Materialien und Forschungsarbeiten zur Verfügung und ermutigte
mich zur Beendigung dieser Dissertation. Ohne Untertreibung kann ich daher sagen,
dass ich ohne die Betreuung und Unterstützung von Prof. Dr. Kubin diese Arbeit nicht
hätte vollenden können.
Ein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Michael Schneider, der mir wertvolle
Verbesserungsvorschläge zu meiner Dissertation lieferte. Er unterstützte mich vor
allem seelisch und bekräftigte dadurch meinen Entschluss diese Arbeit fertigzustellen.
Während meines Studiums an der Universität Bonn (1982-1984, 1988-1993)
wurde ich von Prof. Dr. Hans-Adolf Jacobsen und Prof. Dr. Wolfgang Pfeiler betreut,
die mir beide sowohl im Studium als auch im Leben eine große Hilfe waren.
Aufgrund des hohen Alters der beiden Herren ist es ihnen leider nicht mehr möglich,
mich bei meiner Dissertation weiterzubetreuen. Dennoch werde ich für ihre bisherige
Hilfe mein Leben lang dankbar sein.
Dr. Hans Georg Mammitzsch hat die Arbeit vor Drucklegung noch einmal gelesen
und mir wertvolle Hinweise gegeben, dafür gilt ihm mein aufrichtiger Dank.
Ich möchte mich auch beim DAAD und KAAD für die Gewährung von
Stipendien bedanken. Mit dieser Unterstützung war es mir erst möglich, erfolgreich
mein Studium in Deutschland zu beenden. Der akademische Austausch hatte auch
nachhaltigen Einfluss auf meine spätere Tätigkeit in Forschung und Lehre an der
chinesischen Universität.
Ferner richtet sich mein Dank an die Herren Liou Pei Hau und Xing Siwen. Sie
halfen mir bereitwillig bei diversen computerrelevanten Fragen und führten
orthografische Korrekturen an meiner Arbeit durch.
Nicht zuletzt möchte ich mich auch bei meiner Gattin Chen Weiqing bedanken.
Sie ermutigte mich immer wieder zum Schreiben dieser Dissertation und nahm große
Opfer auf sich, damit ich mich voll und ganz in meine Arbeit konzentrieren konnte.
Hiermit möchte ich diese Dissertation auch allen meinen Freunden in Deutschland
und China widmen, die mich beim Studium in Deutschland unterstützten.
7
0. Einleitung
0.1 Problematik und Fragestellung
Vor mehr als 40 Jahren brach in der Volksrepublik China eine politische Kampagne
los, die als „Große Proletarische Kulturrevolution“ (GPKR) in die Geschichte einging.
Sie zog wie ein Gewittersturm über das Land, und es gab wohl niemanden in China,
der sich ihr entziehen konnte. Dieses in der Geschichte einmalige Ereignis brachte der
Bevölkerung viel unsägliches Leid, das nach seinem Ende noch einen langen Schatten
auf die Entwicklung Chinas warf. Es vergingen Jahre bis die Wunden verheilten, und
bis heute bleibt das Trauma der Kulturrevolution in den Gedanken der Menschen
erhalten. Daher ist es Aufgabe der wissenschaftlichen Forschung, eine Aufarbeitung
der Thematik sicherzustellen.
Der Begriff „Kultur“ ist in diesem Zusammenhang wohl irreführend, da aus
sino-kommunistischer Sicht damit eigentlich die Überbaurevolution des Marxismus
gemeint ist. Zu dieser Zeit fanden laufend größere und kleinere Kritikversammlungen
sowie Kampfsitzungen statt. Im ganzen Land waren uniformierte Jugendliche
anzutreffen, die, mit dem „kleinen roten Buch“ ausgestattet, sich zu verschiedenen
Gruppierungen zusammenschlossen und politische Parolen ausriefen. Überall konnte
man Wandzeitungen sehen, die in Ämtern, Schulen, Fabriken und an Dorfwänden
angebracht waren. 800 Millionen Chinesen wurden in verschiedenen revolutionären
„Komitees“ organisiert, wo sie sich gegenseitig bekämpften und, schlimmer noch,
umbrachten.
Wie war es nur möglich, dass Staatspräsident Liu Shaoqi nicht durch die von der
Verfassung garantierten Rechte geschützt werden konnte? Wie konnte es geschehen,
dass er als „Verräter“ und „Arbeiterfeind“ beschimpft wurde und schließlich, während
der Untersuchungshaft, tragisch ums Leben kam? Warum verriet der Vizepräsident
und designierte Nachfolger Maos, Lin Biao, Staat und Partei, indem er das Volk für
8
seine eigenen Zwecke missbrauchte und in weiterer Folge auf der Flucht mit dem
Flugzeug in der Mongolei abstürzte? Kriegskameraden Mao Zedongs und
Mitbegründer der Volksrepublik China, wie Ministerpräsident Zhou Enlai und
Vize-Ministerpräsident Deng Xiaoping sowie andere verdienstvolle Persönlichkeiten
wurden kritisiert, angeprangert und menschlich gebrochen.
Während der Kulturrevolution wurden Rechtstaatlichkeit und Ordnung
vollkommen ausser Kraft gesetzt. Wie kam es zu dieser beispiellosen
uneingeschränkten Verehrung Mao Zedongs? Um eine „neue Welt“ zu schaffen,
wurden Menschen geschlagen, Kulturgegenstände zerstört und Häuser geplündert.
Abertausende Chinesen bezahlten mit ihrem Leben, als man versuchte einen „neuen
Menschen“ für den Kommunismus zu formen.
Die „Große Proletarische Kulturrevolution“ war in ihrer Gesamtheit nicht nur eine
Farce, sondern stellte vor allem eine große Tragödie für das chinesische Volk dar. Sie
wurde jedoch auch in der übrigen Welt nicht wahrgenommen, da viele verschiedene
linksgerichtete Politiker regelrecht nach China pilgerten, um bei Mao Zedong
Ratschläge einzuholen sowie „revolutionäre Erfahrungen“ zu sammeln.
Die Kampagnen der „Roten Garden“ und „Die Worte des Vorsitzenden
Mao“ führten auch in der damaligen Bundesrepublik Deutschland zu
unterschiedlichen Reaktionen verschiedener linksgerichteter Persönlichkeiten. Über
die chinesische Kulturrevolution sagte der Führer der Linken Rudi Dutschke:’’In der
posthumen Betrachtung können wir sie als Beginn unserer Kulturrevolution ansetzen,
in der tendenziell alle bisherigen Werte und Normen des Etablierten in Frage gestellt
werden...“1
Der deutsche Journalist Klaus Mehnert verfasste nach einmonatiger Reise in der
Volksrepublik China das Buch „China nach dem Sturm“. Nach seinen Berichten hatte
die Kulturrevolution aus den Chinesen neue Menschen gemacht, die durch ein
Desinteresse an materiellen Werten charakterisiert waren und vielmehr von „
Arbeitseifer“, „Optimismus“ und „Lebensfreude“ erfüllt waren. „Wie könnte es auch
1 Jörg Meinhard Rudolph, Die Faszination der zehn chaotischen Jahre, in:Wolfgang Kubin
(Hrsg.), Orientierungen, Bonn 1/1989:99.
9
anders sein?“.2
Die von Mao Zedong hervorgerufene Kulturrevolution, die zehn Jahre andauerte,
zählt zu den wichtigsten historischen Ereignissen in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts. Die nachfolgenden Generationen zeigen großes Interesse an den
Geschehnissen der damaligen Zeit und möchten erfahren, was sich tatsächlich
während der Kulturrevolution abgespielt hat.
Wieso zog sich diese politische Kampagne über zehn entbehrungsreiche Jahre hin?
Wie konnte sich in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts im sozialistischen China,
unter der Führung der Kommunistischen Partei, eine solch folgenschwere politische
Bewegung entfalten, die dem Land soviel Unheil und Chaos brachte?
Zur Behandlung von historischen Ereignissen müssen besondere Richtlinien
berücksichtigt werden. Im heutigen 21. Jahrhundert, in einer neuen Zeit, können wir
uns nun einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der chinesischen Kulturrevolution
getrost stellen. Mit den Erfahrungen und Lehren aus der Geschichte sind wir nun in
der Lage, über Ursache, Entwicklung, Verlauf und Auswirkung der Kulturrevolution
zu diskutieren, die einzelnen Entwicklungsetappen dieser Bewegung zu erforschen
und Maßnahmen gegen eine Wiederholung von ähnlichen Ereignissen zu treffen. Die
Schaffung einer harmonischen Gesellschaft in einer friedfertigen Welt sollte die
Notwendigkeit für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik
unterstreichen.
2 Siehe dazu Mehnert 1971:244.
10
0.2 Forschungsgegenstand der Arbeit
0.2.1 Kriterien für die Auswahl der bearbeiteten deutschen Literatur
In der deutschen Literatur (gemeint ist die wissenschaftliche Literatur
Westdeutschlands vor der deutschen Wiedervereinigung) zur chinesischen
Kulturrevolution sind eine Reihe von Arbeiten erschienen. Während meiner
Bearbeitung dieses Themas habe ich nur solche Bücher ausgewählt, die nicht nur den
Verlauf der Kulturrevolution darstellen, sondern auch kritische Analysen dieser
chinesischen Ereignisse geben. Somit basiert diese Arbeit auf den folgenden drei
Buchkategorien:
a. Monographien; b. Buchbeiträge aus Standardwerken; c. Augenzeugenberichte.
Ein Problem besteht allerdings darin, dass ein Grossteil der Literatur lediglich
über den Verlauf der Kulturrevolution von 1965 bis 1969 berichtet, und es relativ
wenig Literatur gibt, die die politische Entwicklung der VR China von 1969 bis 1976
als Bestandteil der chinesischen Kulturrevolution behandelt. Unter den Monographien
wurden als Quellen für diese Arbeit folgende empfehlenswerte Bücher zu Rate
gezogen:
„Die chinesische Kulturrevolution“ (von Adrian Hsia) erschien 1971 in Neuwied und
Berlin. Hsias Buch ist zu einem grundlegenden Werk sowohl über den
historisch-gesellschaftlichen Prozess, als auch über die politisch-ideologische
Bedeutung der Kulturrevolution geworden. In diesem Buch findet man eine Fülle
chinesischer Originalliteratur.
„Der Osten ist rot“ (von Peter Kuntze) ist die erste deutschsprachige Publikation, die
nach dem 9. Parteitag der KPCh 1969 eine Gesamtdarstellung der Kulturrevolution
bot. Das Buch erschien 1970 in München. Es werden die Ursachen, der Verlauf und
die Hintergründe der Kultrrevolution analysiert.
11
„Kulturrevolution und Armee“ (von Jürgen Domes) ist das einzige Buch, das die
Rolle der Streitkräfte während der Kulturrevolution beleuchtet. Dadurch können die
Leser an die Frage nach dem Maß der Stabilität der kommunistischen Herrschaft in
der VR China näher herangeführt werden. Das Buch ist 1967 in Bonn veröffentlicht
worden.
„Die Ära Mao Tse-Tung“, eine weitere Monographie von Jürgen Domes, die 1971 in
Stuttgart erschien, schildert den Lesern die innenpolitische Lage in der VR China, so
dass auch die chinesische Kulturrevolution im Zeitraum von 1965 bis 1969
hinsichtlich dieses Aspektes ausführlich analysiert wird.
„Die chinesische Kulturrevolution 1965/67“ (von Giovanni Blumer) liefert eine
umfassende Darstellung über das Vorspiel und die Anfänge der Kulturrevolution. Das
Buch erschien 1968 in Frankfurt am Main.
„Parteigeschichtsschreibung in der Volksrepublik China. Typen, Methoden, Themen
und Funktionen“, mit interessanten Beiträgen zur Kulturrevolution von Susanne
Weigelin-Schwiedrzik, erschien 1984 in Wiesbaden.
Die genannten Monographien stellen wichtige Literaturquellen dieser Arbeit dar.
Desweiteren wurde auch auf Buchbeiträge aus den folgenden Standardwerken und
wissenschaftlichen Publikationen zurückgegriffen:
Weggel, Oskar: Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert, Kapitel 9. Die Große
Proletarische Kulturrevolution (1966-1976), Stuttgart 1989:
246-305.
Weigelin-S., Susanne: China Das Zentrum der (Welt)-Revolution? Die chinesische
Kulturrevolution und ihre internationale Ausstrahlung.
Vortrag auf der ITH Konferenz, Linz 2008.
12
Vergangenheitsbewältigung in der VR China – Erkundung
zur Moral des Erinnerns. Zur Publikation angenommen für
die Festschrift für Prof.Dr. Wolfgang Kubin, Bonn 2007.
Die Kulturrevolution als Auseinandersetzung über das
Projekt der Moderne in der VR China. In:Ostasien im 20.
Jahrhundert, Wien 2007:133-152.
Seitz, Konrad: China Eine Weltmacht kehrt zurück, Kapitel 17. Die Große
Proletarische Kulturrevolution (1966-1969), München
2006:197-209.
Franke, Wolfgang: Große Proletarische Kulturrevolution, in: Wolfgang Franke
und Brunhild Staiger (Hrsg.), China Handbuch, Düsseldorf
1974:459-467.
Bauer, Wolfgang: Die Ideologie des heutigen China und ihr historischer
Hintergrund, in: Ostkolleg der Bundeszentrale für politische
Bildung (Hrsg.), VR China im Wandel, Bonn 1988:43-60.
Pfennig, Werner u.a.: Das politische System, in: Pfennig, Werner u.a. (Hrsg.)
Volksrepublik China, Berlin 1983:22-33.
Steiger, Brunhild: Kulturrevolution, in: Brunhild Steiger, Stefan Friedrich und
Hans-Wilm Schütte (Hrsg.), Das große China-Lexikon,
Darmstadt 2003: 410-414.
Die obengenannten Buchbeiträge sind von qualifizierten China-Experten sowohl
einfach und klar, als auch kritisch verfasst. Neben den erwähnten Monographien und
13
Buchbeiträgen zählen Augenzeugenberichte zu weiteren Informationsquellen. In
dieser Kategorie sind die folgenden Bücher empfehlenswert:
„Maos Kleiner General - Die Geschichte des Rotgardisten“, 1974 in München
erschienen, ist der authentische und detaillierte Bericht eines jungen Chinesen, Ken
Ling, über seine Erlebnisse und sein Mitwirken während der chinesischen
Kulturrevolution in den Jahren 1966 bis 1968.
„China in der Kulturrevolution“, 1967 in Wien publiziert, ist ein Bericht von Louis
Barcata, der während der Kulturrevolution mit den Roten Garden demonstrierte und
diskutierte, dann aber schliesslich von ihnen gefangen genommen wurde. Er
schilderte, wie in seinen Augen die größte innenpolitische Krise der VR China
stattfand.
„Mao Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes“ (Titel der
Originalausgabe:Mao, Originalverlag:Jonathan Cape, London. Die deutschsprachige
Ausgabe 2005, Karl Blessing Verlag, München.) ist eine bahnbrechende Biographie
über Mao Zedong. In Teil Sechs dieses Buches schildert Verfasserin Jung Chang,
1952 in der VR China geboren, als Mitglied der Roten Garden die Kulturrevolution.
Frau Jung Chang und ihr Ehemann Jon Halliday (Co-Autor dieses Buches) haben
zahlreiche Interviews und Archiv-Recherchen durchgeführt.
0.2.2 Bedeutende deutsche Autoren
Bei der Forschungsarbeit zur chinesischen Kulturrevolution haben die deutschen
Wissenschaftler unter vielen Mühen einen eindrucksvollen wissenschaftlichen Erfolg
erzielt. Der China- Kenner Adrian Hsia formulierte einmal: Um sachgerechte Studien
über China machen zu können, muss man heute mehr Voraussetzungen erfüllen als
zuvor. Die drei wichtigsten darunter sind:
14
• Man muss der chinesischen Sprache mächtig sein.
• Man muss sich intensiv und gründlich mit dem alten und modernen China befasst
haben.
• Man muss mit dem Marximus-Leninismus vertraut sein.
Diese schwer und nur unter großem Zeitaufwand zu erzielenden Qualifikationen
bedingen, dass viele, die sich als China-Kenner ausgeben, noch nicht einmal eine
dieser Voraussetzungen erfüllen.3 Doch die Autoren der bearbeiteten Literatur haben
ein bemerkenswert umfangreiches Wissen über China und haben die Voraussetzungen
als Basis ihrer wissenschaftlichen Arbeit erfüllt.
Unter diesen Wissenschaftlern ist zuerst einmal Dr. Oskar Weggel zu erwähnen.
Er ist ein bekannter Ostasienexperte und als wissenschaftlicher Referent am Institut
für Asienkunde in Hamburg mit dem Forschungsschwerpunkt VR China tätig. Er hat
zahlreiche Bücher über chinesische Politik, Gesellschaft und Wirtschaft veröffentlicht
und arbeitet regelmäßig an den vom Institut für Asienkunde in Hamburg
herausgegebenen Monatszeitschriften „China aktuell’’ mit. Er hat, neben dem
Studium der Rechtswissenschaften, ein Parallelstudium der Sinologie und der
modernen chinesischen Sprache abgeschlossen. Sein Verständnis der chinesischen
Kultur vertiefte er während eines zweijährigen Studienaufenthalts auf Taiwan und
durch ausgedehnte Reisen in Ost- und Südostasien.
Auch Prof. Wolfgang Bauer war ein sehr bekannter Ostasien-Experte und hat als
Sinologe an den Univesitäten in München, Frankfurt/M., Heidelberg und der
University of Michigan (USA) gelehrt. Seit 1966 arbeitete er im Institut für
Ostasienkunde an der Universität München. Seine wissenschaftlichen Werke über
China haben sehr großen Einfluss auf die China-Forschung.
Als ein weiterer, wichtigen China-Experte ist Jürgen Domes anzuführen. Er war
3 Siehe dazu Hsia 1971:12.
15
Professor der Politikwissenschaft und Direktor der Arbeitsstelle zur Politik Chinas
und Ostasiens an der Universität des Saarlandes. Während seiner zahlreichen
Forschungsaufenthalte in Ostasien und Gastprofessuren in Taipei sammelte er
Materialien für später erschienene Bücher zur Politik der KP Chinas und deren Führer.
Einige seiner wissenschaftlichen Werke über die chinesische Politik wurden in
London und New York veröffentlicht. Seine wissenschaftliche Arbeit nimmt bei der
China-Forschung eine bedeutende Stellung ein.
Mindestens genauso bedeutend ist die wissenschaftliche Arbeit von Dr. Dieter Heinzig
am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln. Sein
Forschungsschwerpunkt liegt in den Bereichen der Geschichte Chinas und Osteuropas.
Insbesondere befasst er sich mit der kommunistischen Ideologie Chinas und der
ehemaligen Sowjetunion.
Die Leistung Peter Kuntzes liegt weniger in seiner Forschung zur chinesischen Politik,
als in seinem Wirken als aussenpolitischer Nachrichtenredakteur bei der „Süddeutschen
Zeitung’’. Er verfasste die erste deutschsprachige Gesamtdarstellung der chinesischen
Kulturrevolution, die nach dem 9. Parteitag der KP Chinas erschien, und somit
gewissermaßen einen Schlusspunkt nach den turbulenten Ereignissen der Jahre 1966
bis 1969 setzte.
Unter den China- Experten nimmt Professor Adrian Hsia insofern eine besondere
Stellung ein, als dass er in China geboren ist. Er hat später in der Bundesrepublik
Deutschland studiert und gelehrt. Seine sprachliche Gewandtheit erlaubt es ihm, auch
in deutscher Sprache wissenschaftliche Arbeiten zu veröffentlichen, die aufgrund ihrer
Bedeutung ebenfalls in dieser Arbeit berücksichtigt werden sollen.
Als eine China-Expertin ist noch die Politologin Marie-Luise Näth zu erwähnen, die
an der Arbeitsstelle Politik Chinas und Ostasiens an der Universität des Saarlandes
tätig war. Sie hat sowohl zusammen mit Professor Jürgen Domes als auch
16
selbstständig eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten über chinesische Politik
veröffentlicht. Ihre Forschungsarbeit über die chinesische Aussenpolitik ist für die
China- Forschung von besonderer Bedeutung.
Ein enger Mitarbeiter der beiden obengenannten ist Dr. Erik von Groeling, der durch
seine zahlreichen Veröffentlichungen zur Innenpolitik Chinas ebenfalls zu den China-
Experten gezählt werden kann.
Als ein bekannter Chinaexperte ist Herr Konrad Seitz besonders zu erwähnen, der von
1995 bis 1999 in China als deutscher Botschafter tätig und auch zwölf Jahre
Redenschreiber von Außenminister Genscher sowie politischer Planungschef des
Auswärtigen Amtes war. Aufgrund seiner Arbeitserfahrungen in den genannten
Positionen und seiner politisch-analytischen Fähigkeiten verfasste Konrad Seitz ein
hochwertiges Buch mit dem Titel: „China Eine Weltmacht kehrt zurück“ zur
Erforschung der chinesischen Politik und Geschichte.
Wenn über die Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas oder über die
chinesische Kulturrevolution geforscht wird, müssen wir Frau Prof. Dr. Susanne
Weigelin-Schwiedrzik von der Universität Wien (vorher Heidelberg) erwähnen. Sie
hat viele wichtige Arbeiten zur Kulturrevolution veröffentlicht. Ihre wissenschaftlichen
Forschungsergebnisse sind wichtige Denkansätze für die weitere Auseinandersetzung
mit der Kulturrevolution.
An dieser Stelle möchte ich Prof. Dr. Wolfgang Kubin von der Universität Bonn
besonderes erwähnen, der zahlreiche Werke und Beiträge zur chinesischen Kultur
geschrieben und veröffentlicht hat. Er ist nicht nur mit der chinesischen Sprache,
sondern auch mit der Kultur und Geschichte Chinas sehr vertraut. Wenn man
chinesische Politik und Geschichte studieren möchte, sollte man seine Bücher lesen
und daraus wertvolle Erkenntnisse zu China und seiner Geschichte gewinnen.
17
Selbstverständlich gibt es neben den in dieser Arbeit angeführten Wissenschaftlern
noch eine Reihe von Chinaexperten, die hier nicht einzeln vorgestellt werden können
und die aufgrund des Themas und des begrenzten Umfangs der Arbeit nicht
berücksichtigt werden können. Nichtsdestotrotz sollen wenigstens noch einige Namen
jener Wissenschaftler (manche sind schon verstorben) erwähnt werden:Prof. Dr.
Richard Löwenthal in Berlin, Prof. Dr. Gottfried-Karl Kindermann in München, Prof.
Dr. Helmut Martin in Bochum, Prof. Dr. Thomas Heberer in Duisburg, Prof. Dr.
Joachim Glaubitz in Ebenhausen, Prof. Dr. Thomas Scharping in Köln, Prof. Dr.
Erhard Louven in Hamburg, Prof. Dr. Werner Pfennig in Berlin, Prof. Dr. Mechthild
Leutner in Berlin, Prof. Dr. Erling von Mende in Berlin, Prof. Dr. Mac Fargnar in den
USA und Prof. Dr. Michael Schönhals in Schweden.
0.2.3 Untersuchungsstand zur chinesischen Kulturrevolution in China
Im Gegensatz zur deutschen Forschung sind in China vor dem Jahr 2000 erschienene,
wissenschaftliche Publikationen über die Kulturrevolution relativ selten anzutreffen.
Als bedeutenderes Werk ist wohl die 1986 erschienene Monografie „Zehn Jahre
Kulturrevolution“(Wenge shinian 文革十年) des Ehepaares Gao Gao 高皋 und Yan
Jiaqi 严家其 zu nennen. Nach den Ereignissen vom 4. Juni 1989 auf dem
Tiananmen-Platz gingen diese beiden Wissenschaftler zunächst ins Exil. Vor zwanzig
Jahren bewiesen sie bei der Publikation ihrer Abhandlung Mut und Entschlossenheit,
und sollten für diese Tat gebührend anerkannt werden. Doch da sie aufgrund der
damaligen politischen Situation, die im Vergleich zu heute viel restriktiver war,
bestimmte Auflagen einhalten mussten, stammen ihre Quellen primär aus
regierungsnahen Zeitschriften und Zeitungen, wie der „Volkszeitung“ (Renmin Ribao
人 民 日 报 ), der „Roten Fahne“ (Hongqi 红 旗 ) und der „Zeitung der
Volksbefreiungsarmee“ (Jiefangjun Bao 解放军报), ferner aus Publikationen über
Erlebnisse und Erinnerungen der Kulturrevolution, als auch von den Roten Garden
18
verfassten Artikeln.4 Folglich beschränkt sich das Werk hauptsächlich auf Verlauf und
Entwicklung der Kulturrevolution, doch wurden kaum Analysen und Bewertungen
über die Ereignisse getroffen.
Mit dem Eintritt ins 21. Jahrhundert, begleitet von den Erfolgen der Reform und
Öffnungspolitik Chinas, hat sich der politische Druck auf die freie wissenschaftliche
Forschung im Bereich der politischen Analytik immer mehr verringert. In der Prüfung
und Beurteilung von historischen Dokumenten wird nun mehr auf
Wissenschaftlichkeit und Objektivität gesetzt. Unter diesen positiven Voraussetzungen
war es möglich, neue Publikationen über die Kulturrevolution, insbesondere der
geschichtlichen Analyse, zu verfassen. Dabei ist zunächst das besonders hoch
geschätzte Werk „Kleine Geschichte der Kulturrevolution“ (Wenhua da geming
jianshi 文化大革命简史) von Prof. Xi Xuan 席宣 und Prof. Jin Chunming 金春明
zu erwähnen. Die beiden renommierten Professoren haben sich durch ihre
Forschungsarbeiten zur Parteigeschichte der KPCh hervorgetan, insbesondere in der
eindringlichen Beschäftigung zu den Biografien von Mao Zedong und Zhou Enlai
sowie zur Geschichte der Kulturrevolution. Dabei vertraten sie interessante
Auffassungen, die einer weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzung bedürfen.
Zu dieser Thematik werde ich mich später im Hauptteil meiner Dissertation noch
eingehender befassen.
Weiterhin möchte ich noch zwei weitere Professoren nennen, die sich auch auf die
Parteigeschichte der KPCh spezialisiert haben. Prof. Zheng Qian 郑谦 und Prof.
Zhang Hua 张化 mit ihrer Abhandlung „China zu Zeiten Mao Zedongs“ (Mao
Zedong shidai de Zhongguo 毛泽东时代的中国). Als Quelle verwendeten sie primär
Originaldokumente des Zentralkomitees der KPCh, die sie nach rationalen
Gesichtspunkten mit gegenwärtigen Forschungsergebnissen zur Kulturrevolution und
Mao Zedong verglichen. Das Resultat war eine umfangreiche informative Analyse zur
„Großen Proletarischen Kulturrevolution“ von 1966-1976, die vom wissenschaftlichen
4 Vgl. hierzu Gao/Yan 1986: 3f.
19
Standpunkt aus im Vergleich zu früheren Publikationen mehr auf Fakten beruhte.
Prof. Wang Nianyi 王年一 forscht seit zehn Jahren zum Thema der Kulturrevolution
und hat viele wissenschaftliche Arbeiten darüber verfasst. Sein bedeutendes Werk ist
„Die Zeit des großen Chaos“ (Da dongluan de niandai 大动乱的年代). Es beschreibt
nicht nur den Verlauf der Kulturrevolution, sondern zieht auch eine historische Lehre
daraus und analysiert im Speziellen die Fehler Maos und der KPCh während der
Kulturrevolution. Seine Arbeiten haben großen Einfluss auf die chinesische
Forschung zu dieser Thematik.
Prof. Zhang Hua 张化 und Prof. Su Caiqing 苏采青 (Hrsg.) verfassten das
Sammelwerk „Rückblick auf die Kulturrevolution“ (Huishou wenge 回首文革, 2
Bände), das auch als wichtige Quelle zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit
der Kulturrevolution dient. Dieses Buch beinhaltet nicht nur die Erlebnisse der
Augenzeugen, sondern versucht vielmehr die politischen Ereignisse der damaligen
Zeit zu analysieren und zu bewerten.
Erwähnenswert ist auch das Werk von Wang Ming 王明, der von der KPCh immer
noch als Verräter angesehen wird.5 Wang Ming verfasste in Moskau „50 Jahre
Kommunistische Partei Chinas“ (Zhonggong wushi nian 中共五十年 , russische
Originalausgabe), das auch ins Chinesische übersetzt und im Land in Umlauf gebracht
wurde. Dabei werden die Fehler Mao Zedongs in der Kulturrevolution stark kritisiert,
unter anderem wird Mao als „Verräter an der chinesischen Revolution“ bezeichnet.
Die Kulturrevolution ließ Mao zu einem „ religiösen Einsiedler“ werden, da er plante,
seine engsten revolutionären Kriegskameraden auszuschalten oder gar zu beseitigen,
sodass er zu einem „einsamen Mönch“ mutierte. In der Auseinandersetzung mit der
Thematik übt Wang Ming umfassende Kritik an der Rolle Maos während der
Kulturrevolution, wobei er auch auf die Ursachen eingeht.6
5 Wang Ming (1904-1974) war Parteiführer der KP Chinas, starb in Moskau.
6 Siehe dazu Wang 2004.
20
„Gewittersturm: Rhapsodie der Roten Garden“ (Kuangbiao: Hongweibing
kuangxiangqu 狂飙:红卫兵狂想曲) ist das im März 2006 erschienene Werk von
Ding Xiaohe 丁晓禾, das die Rolle der 11 Millionen Mittelschüler, die bei den
Kampagnen der Roten Garden beteiligt waren, thematisiert.7 „Erfüllt vom politischen
Enthusiasmus, den sie sich leider zu einfach vorgestellt haben und mit naivem
Idealismus begleitet, stehen sie nun auf ihrer gesellschaftlichen Bühne. Von allen
Seiten schaut es nun tragisch und heroisch aus, ja geradezu unbegreiflich – eine
zugleich frohe als auch qualvolle Tragikomödie.“8 Der Autor beschreibt nicht nur
detailliert die Kampagnen der Roten Garden, sondern macht auch die Folgen der
Kulturrevolution für Millionen jugendlicher Roter Garden dem Leser verständlich.
„Heute erinnern wir uns an den Weg zurück, den diese beispiellose Generation
gegangen ist. Erfahren Schmerz und Freude, Enttäuschung und Hoffnung, Entsetzen
und Kampf, die sie bei Wind und Wogen erlebten. Ohne Zweifel war dies von
unbeschreiblichem Wert.“9
Zu Ursachen und Folgen der chinesischen Kulturrevolution möchte ich noch
folgende Publikationen, die meiner Meinung nach tiefgründiger das Thema behandeln,
empfehlen: die Monografien „Geschichte zur politischen Ideologie der
KPCh“ (Zhongguo Gongchandang zhengzhi sixiangshi 中国共产党政治思想史) von
Prof. Fan Xiaofang 范小方 und „Geschichte des internationalen Sozialismus“ (Guoji
shehuizhuyishi 国际社会主义史) von Prof. Huang Zhongliang 黄中良 und Prof.
Kong Hanbing 孔寒冰, ferner drei weitere Fachpublikationen „Chronik der KPCh
1966-1977 “ (Zhongguo Gongchandang biannianshi 1966-1977 中国共产党编年史
1966-1977, Hrsg. Zhongguo Gongchandang biannianshi bianweihui 中国共产党编
年 史 编 委 会 ), „Geschichtsfachmanuskript der Volksrepblik China
1966-1977“ (Zhonghuarenmingongheguo shigao 1966-1977 中华人民共和国史稿
1966-1977, Hrsg. Guo Dehong 郭德宏, Wang Haiguang 王海光 und Han Gang 韩
刚), „Geschichte der Volksrepublik China“ (Zhonghuarenmingongheguo lishi 中华人
7 Ding 2006:1.
8 Ding 2006:1.
9 Ebda., 1.
21
民共和国历史, Hrsg. He Qin 何芹).
In diesen drei Werken erhält man ausführliche Informationen zur
Kulturrevolution, sie werden auch von der Fachwelt gern weiterempfohlen. Außerdem
gibt es noch die Abhandlung „Die heutige Wirtschaft Chinas“ (Jinri Zhongguo jingji
今日中国经济), die von dem renommierten Ökonomen Prof. Ma Hong 马洪
herausgegeben wurde und die Wirtschaftslage Chinas während der Kulturrevolution
beschreibt.
Zusammenfassend denke ich, dass mehr als 30 Jahre nach dem Ende der
Kulturrevolution, dank der vielen chinesischen Gelehrten, die sich mit dieser Materie
beschäftigen, dabei Eigenschaften und Leitgedanken der Kulturrevolution
thematisieren, den Verlauf und die Verantwortung für Taten aufzeigen sowie ferner die
Lehren aus der Kulturrevolution verdeutlichen, komplexe Antworten gefunden
werden können. Aufgrund der Besonderheit und der Komplexität der Kulturrevolution
sind bis heute noch viele Unklarheiten geblieben, die auf Ursachen und Hintergründe
von bestimmten geschichtlichen Ereignissen sowie der Rolle von Persönlichkeiten,
mit den dazugehörenden inneren Verwicklungen, beruhen. Die Aufgabe liegt bei uns,
weiterhin wissenschaftliche Abhandlungen zu schreiben, um die Wahrheit ans
Tageslicht zu bringen. Für eine umfassende Analyse mit einem abschließenden
Resümee, werden wohl noch Jahre vergehen, und wahrscheinlich die Anstrengung
von mehreren Generationen von Nöten sein.
22
0.3 Zielsetzung und Methoden der Arbeit
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage, wie die chinesische Kulturrevolution in
der deutschen und chinesischen wissenschaftlichen Literatur perzipiert, analysiert und
bewertet wird.
Als Mitglied der Roten Garden, stand ich am 31. August 1966 auf dem
Tiananmen-Platz in Peking, wo eine Parade zu Ehren des Vorsitzenden Mao stattfand.
Ich erlebte unmittelbar die gesamte Entwicklung der Kulturrevolution.
Von 1982 bis 1984 studierte ich an der Universität Bonn Politische Wissenschaft
und Geschichte. Ich gehörte dabei zur ersten Gruppe von Auslandsstudenten, die nach
der Kulturrevolution in den Westen geschickt wurde. Mein damaliger Betreuer Prof.
Dr. Hans-Adolf Jacobsen ermutigte mich mehrmals, eine Dissertation zum deutschen
Forschungsstand über die Kulturrevolution zu vollenden, doch schob ich dies bis zum
heutigen Tag hinaus. Für mein Zögern gab es aufolgende Gründe:
Erstens arbeitete ich im sozialwissenschaftlichen Bereich des Zentralkomitees der
KPCh. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren die politischen
Verhältnisse repressiver, als sie es jetzt sind. Kurz nach dem Ende der
Kulturrevolution war es mir nicht möglich, eine objektive wissenschaftliche Arbeit
über diese Zeit zu verfassen, geschweige denn ein Urteil darüber zu fällen.
Zweitens wird in der deutschen wissenschaftlichen Literatur die chinesische
Kulturrevolution in ihren wesentlichen Punkten zwar richtig skizziert. Doch ist als
kritische Bemerkung zur Darstellung der chinesischen Kulturrevolution in der
deutschen wissenschaftlichen Literatur noch folgendes anzumerken:
Es gibt bis heute noch keine auf Deutsch verfasste Monographie, in der die
chinesische Kulturrevolution (1966-1976) umfassend dargestellt wird:Zwar findet
man deutsche Fachpublikationen, die die Rolle der Armee während der
Kulturrevolution sowie die Folgen nach den Kampagnen der Roten Garden behandeln.
Doch wurden „neuere Anweisungen” Mao Zedongs nicht systematisch analysiert.
Außerdem wurde Maos Verhalten zur Beendigung der Kampagne zur „Niederschlagung
23
des Hauptquartiers um Liu Shaoqi“ im Jahre 1969 nicht berücksichtigt. Maos Einsatz
wurde leider von Lin Biao und der „Viererbande“ (Sirenbang 四人帮) verhindert, so
dass die Kulturrevolution insgesamt zehn Jahre andauerte. Eine Reihe von wichtigen
Ereignissen wurde außer acht gelassen. Daher konnte ich unter diesen Umständen
nicht gewissenhaft an einer Dissertation arbeiten, ohne die Glaubwürdigkeit und die
Wissenschaftlichkeit meiner Arbeit anzuzweifeln.
Nach 10-jähriger Überlegung sah ich mich doch veranlasst, an meiner verspäteten
Dissertation weiter zu arbeiten. Die Gründe dafür sind sehr einleuchtend. Nach dem
Jahr 2000 erschienen in China mehrere Publikationen, die sich intensiv mit der
wissenschaftlichen Forschung zur Kulturrevolution befassten. Doch viel mehr liegt es
auch an der zunehmenden Öffnung Chinas, die eine objektive Forschung in einem
freieren politischen Umfeld zuläßt. Mein Ziel ist es auch, die deutsche Forschung mit
neuesten Forschungsergebnissen aus China zur Kulturrevolution zu bereichern und
eventuelle Unklarheiten zu beseitigen.
Meine Aufgabe sehe ich darin, mir einen Großteil der Grundlagenforschung zur
Kulturrevolution, sowohl in China als auch in Deutschland, anzueignen. Dabei
möchte ich nicht nur einen Gesamtüberblick zur Kulturrevolution schaffen, sondern
vielmehr die verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten vergleichen und analysieren.
Meine wichtigsten Ergänzungen sind:
• Die besondere Rolle der Armee während der Kulturrevolution.. Die
Volksbefreiungsarmee unterscheidet sich stark von Armeen in westlichen Staaten
und nimmt bis heute im gesellschaftlichen Leben Chinas eine Sonderstellung ein.
Die Analyse dieser spezifischen Eigenheiten trägt zum Verständnis der heutigen,
von der KPCh geführten, chinesischen Gesellschaft bei.
• Durch die genaue Untersuchung zur Entstehung und zum Untergang der
Roten Garden wird eine oberflächliche Betrachtung dieses Phänomens vermieden.
Es wird vielmehr versucht eine detaillierte Analyse wiederzugeben.
• Ab dem Jahr 2000 wurden in chinesischen wissenschaftlichen Publikationen
eine objektivere Bewertung zu den Fehlern Maos und der KPCh, die während der
Kulturrevolution begangen wurden, vorgenommen. Daraus ist eine freiere
24
wissenschaftliche Analyse zu dieser Thematik erkennbar. China hat nicht nur auf
wirtschaftlichem Gebiet Reformen vollzogen und hierbei ersichtliche Erfolge
erzielt, sondern ideologisch Veränderungen erfahren, die sich sicherlich auch auf
das politische System des Landes auswirken werden. Ich versuche in meiner
Arbeit diese neuen Freiheiten, die die heutige chinesische Fachwelt erlebt,
aufzuzeigen; obwohl Einschränkungen dennoch offensichtlich sind.
Außerdem werde ich nach bestem Gewissen versuchen, den Forschungsstand auf eine
neue Ebene zu bringen, um eine intensivere rationale Forschung auf diesem Gebiet zu
ermöglichen. Ich hoffe, dass mein Forschungsergebnis ein in deutscher Sprache
verfasstes Gesamtbild zur Kulturrevolution wiedergibt sowie als Quelle für weitere
Forschungen für deutsche Wissenschaftler Anerkennung findet.
25
Erster Teil: Chinesische Kulturrevolution in der
deutschen Literatur
Kapitel 1: Die Anfänge der chinesischen Kulturrevolution
1. Die Vorgeschichte der Kulturrevolution
In der deutschen wissenschaftlichen Literatur gibt es viele Darstellungen und
Analysen über die Vorgeschichte der chinesischen Kulturrevolution. Von diesen soll
hier eine kurze Zusammenfassung gegeben werden, um die Hintergründe der
chinesischen Kulturrevolution zu beleuchten.
Seit der Gründung der VR China im Jahre 1949 verlief die Entwicklung der KPCh
nicht geradlinig. Sie war geprägt von den in den höchsten Parteigremien
ausgetragenen Richtungskämpfen. Im Wesentlichen standen sich dort zwei Gruppen
mit stark voneinander abweichenden Positionen gegenüber, die je nach ihren
Kräfteverhältnissen abwechselnd den politischen Kurs bestimmten. Vom Jahre 1949
bis 1976 fand der Kampf hauptsächlich zwischen zwei Politikern statt. Auf der einen
Seite stand der damalige Parteivorsitzende Mao Zedong, auf der anderen Seite sein
politischer Rivale, der Staatspräsident Liu Shaoqi, zu dessen Anhängern auch die
stärkste politische Persönlichkeit Chinas, Deng Xiaoping, gehört.10
In der deutschen wissenschaftlichen Forschung werden wichtige politische
Unterschiede zwischen Mao und Liu in den folgenden Punkten zusammengefasst:
Mao betonte, dass auch nach dem Sieg im Bürgerkrieg die Revolution als dem
Klassenkampf vorrangig zu betrachten sei. Man musste das revolutionäre Bewusstsein
der Bevölkerung fördern und die Massen mobilisieren, sowie das Land im Vertrauen
10
Vgl. Pfennig/Franz und Barthel 1983:25f.
26
auf die eigene Kraft entwickeln.
Liu meinte, dass die feindlichen Klassengegensätze in der VR China bereits beseitigt
seien. Er und seine Anhänger sahen ihre vorrangigen Aufgaben darin, das Land
schnell aufzubauen, ein hohes Wirtschaftswachstum zu erzielen, die Wirtschaft zu
modernisieren und die gestiegenen materiellen Bedürfnisse der Menschen zu
befriedigen. Denn erst wenn sich die materiellen Grundlagen der VR China verbessert
hätten, ließen sich auch die sozialistischen Ziele erreichen.11
Mao legte in seiner These besonderen Wert auf die Veränderung des Bewusstseins der
Bevölkerung. Er hob im Besonderen die Bedeutung der Schaffung des „neuen
sozialistischen Menschen“ für eine neue Gesellschaft hervor. „Für die Veränderung
der chinesischen Gesellschaft in Hinsicht auf die von den Kommunisten als
notwendige Ziele der Menschheitsentwicklung verstandene kommunistische
Gesellschaftsordnung “,12
entwickelte Mao aus der leninistischen Vorstellung die
spezifische Methode mit chinesischer Prägung, nämlich die Massenbewegung. Um
seine politischen Ziele zu erreichen, hob Mao die Massenbewegung als Instrument der
politischen Kommunikation im Vergleich zu den anderen kommunistischen Ländern
besonders hervor. Seit 1949 initiierte er eine Massenbewegung nach der anderen. Zu
ihnen zählten die Landreformbewegung von 1950-1953, die Ehereform von
1950-1952, die Säuberungskampagne unter den Intellektuellen 1956, sowie der
„Große Sprung nach vorn“13
im Jahre 1958.
Die deutschen Wissenschaftler sind der Meinung, dass Mao Zedong die bittere
Kritik am utopischen Irrweg des „Großen Sprungs nach vorn“ als Warnsignal wertete,
das ihn befürchten ließ, dass der Elan der Revolution erlahmen und zu einer reinen
11
Vgl. Pfennig/Franz und Barthel 1983:25f. 12
Domes 1971:41. 13
Es handelte sich hier um den Versuch, ein schnelles Wirtschaftswachstum zu erreichen, indem
man Hilfsmittel, Arbeitskräfte und Geldreserven auf örtlicher Ebene für Investitionen in
Bewässerungsanlagen und Hochwasserregulierung, in die Mechanisierung der Landwirtschaft und
der Getreideverarbeitung und in die Schaffung lokaler Industrie investierte.
27
Technokratie entarten könnte.14
Um dieser Gefahr zu entgehen, setzte Mao im
September 1962 die Kampagnen zur „Sozialistischen Erziehung“, zur „Erziehung von
Millionen Nachfolgern der proletarischen Revolution“ und zum „Lernen von der
Volksbefreiungsarmee“ (VBA) in Gang. Er hoffte, durch die Maßnahmen zur
Befreiung der Massen in der VR China, die bürgerliche Evolution (in China auch
häufig „ friedliche Evolution“ genannt) zu verhindern. So konnte China den Weg des
Sozialismus beibehalten.
Ende der 50er Jahre, während der Zeit von Maos „Großem Sprung nach vorn“ und
seiner anhaltenden Kommunisierung, verschlechterte sich die chinesische
Wirtschaftslage. Als eine weitere Folge seiner Politik kam es 1960 zu Hungersnöten.
Die Getreideproduktion ging von 200 Mio.t (1958) auf 143 Mio.t (1960) zurück. Die
Parteiführung gestand sich selbst ein, dass die Hungersnöte und der wirtschaftliche
Niedergang größtenteils auf ihre Politik zurückzuführen waren. In dieser Situation
konnte Liu mit seiner „Regulierungspolitik“ die Macht in der Partei übernehmen. Er
forderte mehr Initiative im landwirtschaftlichen Sektor, so dass sich eine Grundlage
für eine spätere industrielle Entwicklung bilden konnte. Erste Erfolge zeichneten sich
1963-1965 ab, als das Wirtschaftswachstum aus dem negativen Bereich auf +15,5%
stieg. Dieser Sieg Lius ließ aber auch Mao nicht ruhen. Er gründete die oben erwähnte
Bewegung „Sozialistische Erziehung“, die als ein Vorgänger der Kulturrevolution zu
sehen ist. Diese Bewegung stellte hauptsächlich einen weiteren Schachzug gegen Liu
dar. Aufgrund ihrer unterschiedlichen politischen Ansichten spitzte sich der
Zwei-Linien-Kampf zwischen Mao und Liu seit dem Anfang der 60er Jahre zu. Mao
sah sich nun stark bedrängt schnell zu handeln, um seine Macht auszuweiten. Aber an
welcher Stelle sollte er mit dem entscheidenden Kampf gegen seinen Widersacher
beginnen?Diese Frage hat Oskar Weggel wie folgt analysiert: Ein direkter Angriff
gegen Liu schied für Mao von vornherein aus, da dies die Opposition der gesamten
KP-Mehrheit gegen ihn als Folge haben konnte. Auf landwirtschaftlicher und
industrieller Ebene war ebenso Vorsicht geboten, da ansonsten wirtschaftliche
14
Vgl. Heinzig 1968:4.
28
Verluste zu befürchten waren. Als ein möglicher Angriffspunkt blieb ihm die
Kulturfront.15
1.1 Periodisierungen der Kulturrevolution
„Nicht nur der eigentliche Verlauf, sondern auch der Beginn und das Ende der
Kulturrevolution lassen sich schwer bestimmen.”16
So informiert das „China
Handbuch“ über den Verlauf der chinesischen Kulturrevolution. Aus den
Schwierigkeiten der zeitlichen Einteilung haben sich verschiedene Meinungen
darüber gebildet, von denen insbesondere zwei hervorzuheben sind.
Oskar Weggel hat im IX. Kapitel seines Buches „Geschichte Chinas im 20.
Jahrhundert“ die Große Proletarische Kulturrevolution von 1966 bis 1976 datiert. Er
teilt sie in drei Zeitabschnitte: Die Rotgardistenbewegung ( Mai 1966 bis zum 9.
Parteitag im April 1969 ), die Lin-Biao-Zeit (vom 9. bis 10. Parteitag im August 1973 )
und schließlich die Zhou-Enlai-Phase (August 1973 bis Oktober 1976 ). Den Beginn
und das Ende betreffend, sieht er den eigentlichen Ausgang der Kulturrevolution in
dem „Beschluß über die GPKR“ im August 1966,17
der aufgrund seiner Gliederung
unter der Bezeichnung „16 Punkte“ bekannt wurde.
Nach dem Sturz der „Viererbande“ im Oktober 1976 wurde, laut Weggel, der
Kulturrevolution ein Ende gesetzt. Weggels Periodisierung der Kulturrevolution
stimmt mit der des amtlichen China überein.
Eine andere Meinung über die Periodisierung der Kulturrevolution vertreten Erik
von Groeling und Jürgen Domes. Demnach begann im November 1965 eine frühe
Phase der Kulturrevolution, die durch den ersten Angriff der Maoisten gegen die
Opposition ausgelöst wurde. Ein Mitglied der Viererbande, Yao Wenyuan,
15
Vgl. Weggel 1989:247. 16
Franke/Staiger 1974:462. 17
Vom 1. bis 12. August 1966 tagte das 11. Plenum des 8. Zentralkomitees der KPCh in Peking
und erliess den “Beschluss über die GPKR”.
29
veröffentlichte in Shanghai eine Kritik an Wu Hans Drama „Die Entlassung des
Hai Rui“(Hai Rui baguan 海瑞罢官).18
Der weitere Verlauf der Kulturrevolution
unterteilt sich in folgende Perioden: Von November 1965 bis Mai 1966 fand ein
verstärkter ideologischer Kampf (vor allem gegen den Revisionismus verschiedener
mit Liu Shaoqi in Verbindung stehender Intellektueller in Literatur und Kunst) statt;
von Mai 1966 bis August 1966 eskalierte der ideologische Streit zu einem
Machtkampf;von September 1966 bis Januar 1967 zerstörten die Roten Garden und
die roten Rebellen den Partei–und Staatsapparat;von Januar 1967 bis Juli 1967 griff
die Kulturrevolution auf die Landwirtschaft und Industrie über;von August 1967 bis
April 1969 folgte schließlich eine Periode der Konsolidierung, in der die zerstrittenen
Splittergruppen zu sogenannten „Großen Allianzen“ zusammengefaßt wurden.19
Mit
dem 9. Parteitag der KPCh im April 1969 endeten die heftigen und gewaltsamen
Auseinandersetzungen. Die sogenannten alten Kader ( Liu Shaoqi, Deng Xiaoping
und deren Anhänger ) wurden entmachtet.20
Vertreter dieser Periodisierung markieren das Ende der Kulturrevolution mit dem
Abschluss des 9. Parteitages, obwohl es dabei nicht mehr zu einer offiziellen
Abschlusserklärung gekommen war.21
Konrad Seitz schreibt diesbezüglich:
Am 1. April 1969 trat der IX. Parteikongress zusammen. Er erklärte sich zum Kongress
der Einheit und des Sieges. Lin Biao erstattete den politischen Bericht und feierte den
erfolgreichen Abschluss der Kulturrevolution.22
Die Unschlüssigkeit über Beginn und Ende der Kulturrevolution zeigt sich nochmals
darin, dass zwar einige Wissenschaftler der letztgenannten Periodisierung
18
Wu Han, Pekinger Vizebürgermeister, hatte 1961 das Drama “Die Entlassung des Hai Ruis”
(er war Ming-Beamter) herausgegeben. Das Drama war im Stil der alten Tradition des
Schattenschießens gegen Mao geschrieben, der den früheren Verteidigungsminister Peng
Dehuai in die Wüste geschickt und entmachtet hatte. 19
Vgl. Franke/Staiger 1974:462-463. 20
Vgl. Pfenning/Franz und Barthel 1983:28. 21
Vgl. Groeling 1972:91;Vgl auch: Franke 1974:462;Vgl. auch Seitz 2006:197-209. 22
Seitz 2006:207.
30
grundsätzlich zustimmen, jedoch den Anfang der Kulturrevolution auf den von
Weggel genannten Beschluss über die GPKR vom August 1966 datieren.23
1.2 Die Bewegung der Roten Garden
Die deutschen Wissenschaftler sind einhellig der Ansicht, dass die Roten Garden im
Juni 1966 zum ersten Mal in Beijing erschienen. Was jedoch die Zusammensetzung
der Roten Garden anbetrifft, so gibt es unter den deutschen Wissenschaftlern
unterschiedliche Meinungen. Jürgen Domes schreibt:
Die Rotgardisten waren wahrscheinlich insgesamt etwa über eine Million junge
Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren, vorwiegend Oberschüler, Studenten und junge
Berufssoldaten.24
Hier muss man zwei Fragen stellen: 1. Waren junge Berufssoldaten Rote Garden? 2.
Wie groß war die Zahl der Roten Garden? Hierzu vertreten die Verfasser des Buches
„Volksrepublik China“ eine Meinung, die mit der von Jürgen Domes nicht ganz
übereinstimmt:
Träger der Kulturrevolution waren vor allem die Roten Garden, revolutionäre Schüler,
Studenten, Lehrer und Intellektuelle.25
Oskar Weggel schreibt auch:
Die Aufstellung erster Rotgardisten-Verbände hatte landesweit [...] bei Versammlungen
23
Vgl. Franke/Staiger 1974:462f. 24
Domes 1971:151. 25
Pfenning/Franz und Barthel 1983:26.
31
ausgewählter Schüler und Studenten begonnen [...]26
Die Soldaten gehörten nicht zur Organisation der Roten Garden. Welche Rolle die
Soldaten tatsächlich spielten, wird im nachfolgenden Teil dieser Arbeit noch
dargestellt.
Statistiken zur Beantwortung der Frage, wieviele Rote Garden es während der
chinesischen Kulturrevolution gab, sind dem Verfasser, abgesehen von den Angaben
von Jürgen Domes, in der deutschen Literatur nicht bekannt. Oskar Weggel schreibt
jedoch, dass Mao am 18.August 1966 auf dem Tiananmen-Platz einen Großempfang
für Hunderttausende von Jugendlichen gab, bei dem er selbst eine rote Armbinde mit
den drei Schriftzeichen „Hongweibing 红卫兵“ (Rotgardist) in seiner eigenen
Kalligraphie trug. Solche Großempfänge wurden in Peking am 31. August, 15.
September, 1. Oktober , 18. Oktober, 3 .November, 10. November und 25. November
wiederholt. Bei insgesamt acht Gelegenheiten wurden mehr als zehn Millionen
Jugendliche, die aus allen Teilen des Landes kamen, nach Peking gebracht. Von da an
schossen Vereinigungen der Roten Garden im ganzen Land wie Pilze aus dem
Boden.27
So kann man feststellen, daß die Zahl der Roten Garden bestimmt wesentlich höher
als eine Million war.
Zur gleichen Zeit beherrschten die Roten Garden die meisten Schulen und
Hochschulen des Landes;es gab keinen regulären Unterricht und keine Vorlesungen
mehr. Tatsächlich wurden die Grundschulen erst im Frühjahr und Sommer 1967, die
Mittelschulen zwischen Herbst 1967 und Frühjahr 1969 und etwa ein Drittel der
Hochschulen im September 1970 wieder geöffnet.28
Die Hochschulen in Peking
waren die ersten Zentren der Auseinandersetzung zwischen den linken Studenten und
der antimaoistischen Opposition. An der Universität Peking begann der Konflikt Ende
Mai 1966 mit einem Angriff der Philosophiedozentin Nie Yuanzi gegen den Rektor Lu
26
Weggel 1989:256. 27
Vgl. Weggel 1989:256f. 28
Vgl. Domes 1971:146f.
32
Ping, der vom alten Pekinger Stadtkomitee unter der Führung von Peng Zhen
unterstützt wurde.
Nie Yuanzi veröffentlichte am 2. Juni ihre erste Wandzeitung (Dazibao 大字报),
die die Maoisten als erste marxistisch-leninistische Wandzeitung in der
Kulturrevolution bezeichneten. Dann breitete sich die Bewegung schnell auf andere
Hochschulen aus. In den Artikeln, die die Roten Garden für die sich rasch
verbreitenden Wandzeitungen schrieben, kritisierten sie das sogenannte
„Kapitalistische Bildungssystem“ und die „reaktionären, akademischen Autoritäten“.
Viele Lehrkräfte, die in den Augen der Roten Garden Vertreter des „kapitalistischen
Bildungssystems“ waren, wurden von ihnen in der Öffentlichkeit gedemütigt,
geschlagen und oftmals sogar getötet.
Um der Jagd auf kritische Intellektuelle Einhalt zu gebieten, zugleich aber auch,
um die ins Wanken geratene Parteikontrolle über die Hochschulen zu festigen,
beschloss eine zentrale Arbeitskonferenz des ZK der KPCh unter dem Vorsitz Liu
Shaoqi Anfang Juni in Peking, sogenannte „Arbeitsgruppen“ in die Schulen zu
entsenden. Mao hingegen verlangte am 9. Juni auf einer Sitzung seiner Anhänger im
Politbüro in Hangzhou die Aufhebung dieses Beschlusses.29
Das Alltagsleben der Roten Garden, ihre Entwicklung und ihre Instrumente zur
Mobilisierung werden in der deutschen Literatur häufig wie folgt beschrieben:
Im Herbst 1966 war das Stadtbild Pekings von Rotgardisten geprägt, die überall in der
Hauptstadt mit Eimern voll Kleister unterwegs waren und ständig Wandzeitungen und
Plakate an die Gebäude klebten. Pinsel und Farbe änderten das Antlitz der Nation. Die
Städte verwandelten sich in riesige Papiermontagen. Die Wände waren von oben bis
unten mit Plakaten wie mit Masern übersät.30
Anfangs waren die Ziele der Wandzeitungen, „das kapitalistische
Bildungssystem“ und seine Vertreter in den Schulen anzugreifen. Dann waren sie
29
Vgl. Domes 1971:147. 30
Weggel 1989:258.
33
allerdings schnell gegen Parteifunktionäre und auch noch gegen die alten Traditionen
gerichtet. Die Wandzeitungen „enthielten Einzelheiten aus dem Leben von
Parteifunktionären, […] sie berichteten über innerparteiliche Auseinandersetzungen,
griffen die Korruption von Parteifunktionären auf. Das Instrument der Dazibao
entsprach nach Meinung der maoistischen Führung ganz der Massenlinie, insofern
hier die spontane Äußerung der Volksmeinung in aller Offenheit durchkam.“31
Die Roten Garden ergriffen weitere „revolutionäre Maßnahmen“;sie zerstörten
Tempel, Kirchen, Museen und änderten Straßen-und Geschäftsnamen: Schmuck und
Kosmetika durften nicht mehr verwendet werden;Bibliotheken wurden durchforstet,
viele Bücher und Kunsterzeugnisse verbrannt bzw. zerstört. Zur gleichen Zeit sollten
Mao-Bilder in allen Räumen aufgehängt werden. Nun befand sich China inmitten des
Krieges gegen die„ Vier Relikte“ (Si jiu 四旧), d.h., es sollte mit der alten Kultur, den
alten Sitten, den alten Gewohnheiten und den alten Denkweisen gebrochen und statt
dessen „Neues“ aufgenommen werden.
Überall in der VR China propagierten die Roten Garden Maos Zitate:
Ohne Niederreißen kann es keinen Aufbau geben. Niederreißen bedeutet Kritik und
Revolution. Um das Alte niederzureißen, muß man Argumente vorbringen, und
argumentieren heißt Neues aufbauen, stellt man das Niederreißen voran, steckt der
Aufbau schon drin.32
Außer den oben erwähnten „revolutionären Maßnahmen“ führten die Roten Garden
auch den „revolutionären Erfahrungsaustausch“33
zwischen den verschiedenen
Städten und Provinzen durch, der in der kulturellen Revolution nach Meinung der
deutschen Wissenschaftler eine wichtige Rolle spielte.
Zunächst kamen Pekinger Rote Garden, die vor allem Studenten der Hochschulen
Pekings waren, in die Provinzen. In ihrer Anwesenheit fanden Gründungsfeiern
31
Weggel 1989:259 32
Kuntze 1970:8. 33
Vgl. Weggel 1989:260.
34
lokaler Verbände von Roten Garden statt, wurden Militäruniformen, Militärmützen,
Segeltuchschuhe, rote Armbinden und Abzeichen feierlich verteilt und die
Organisationen formell ausgerufen. Der Austausch von Erfahrungen legte auch die
Grundlagen für ein Informationsnetz. Später fuhren, in umgekehrter Richtung,
Millionen von Roten Garden in die Hauptstadt, wobei sie von der Volksbefreiungsarmee
(VBA) betreut wurden.
Die deutschen Wissenschaftler stellten die Frage, wie es möglich war, dass plötzlich
so viele Studenten das Geld für weite Reisen aufbringen konnten. Hierzu hat Giovanni
Blumer in seinem Buch „Die chinesische Kulturrevolution 1965/67“ geschrieben,
dass die Bevölkerung Pekings mit Sondergenehmigungen ausgestattet wurde, die ihr
unentgeltliche und unbeschränkte Fahrten auf dem gesamten chinesischen
Verkehrsnetz erlaubten. Bald wurde auch ein ministerielles Dekret erlassen, das die
entstandene Lage legalisierte und zugleich so allgemein gefasst war, dass tatsächlich
die übergroße Mehrheit der chinesischen Jugend in Bewegung gesetzt werden
konnte.34
An den Hochschulen Pekings, wo sich die Kulturrevolution wie in einem Brennglas
spiegelte (nach Meinung der deutschen Wissenschaftler), hatten die Professoren
täglich auf dem Gelände Kehrdienst zu verrichten. Weil Tausende über Tausende Rote
Garden herbeiströmten, war der Campus immer voller Menschen und der Boden
übersät mit Melonenschalen und Hülsen von Erdnuß- und Sonnenblumenkernen.
Außerdem mussten sich die Professoren oft einer Massenkampfversammlung stellen.
Sie hatten Fragen zu beantworten, wie z.B.„Warum bist du eigentlich gegen die
Kommunistische Partei“ oder „Welches Gift hast du in deinem Hörsaal den Studenten
eingeträufelt“ Aufgrund dieser Verfolgungsmethoden begingen viele Professoren
Selbstmord. Oskar Weggel vertritt zu dieser Situation die Ansicht, dass sich die
Schüler und Studenten von Anfang an in einem Dilemma befanden.
34
Vgl. Blumer 1968:188.
35
Einerseits wollten sie nicht gegen ihre Lehrer auftreten, doch andererseits wussten
sie, dass ihr „Engagement“ für die „revolutionäre Sache“ darüber entschied, ob sie
später eine gute Zukunft haben würden oder nicht.35
Es bleibt nun noch festzustellen, ob die Roten Garden wirklich organisiert wurden,
oder ob es eine spontane Bewegung war, wie in der VR China behauptet wird. Über
einen Punkt sind sich die deutschen Wissenschaftler einig. Chinesische Schüler und
Studenten hatten angeblich spontan die „Roten Garden“ gegründet. Doch,
Die einfache Version über das Entstehen konnte natürlich nicht die Wahrheit
entstellen.36
Das stellte Giovanni Blumer fest. Er vermutet, dass die Organisation, die nicht durch
öffentliche Dokumente oder öffentliche Verlautbarungen zu belegen ist, schon vorher
entstand, oder im geheimen organisiert worden war. Aus seiner Analyse ist zu
entnehmen, dass die Entstehung der Roten Garden auf verschiedene Faktoren
zurückzuführen ist, und die Bewegung verschiedenartige Ziele verfolgte. Manche
hofften, daraus einen neuartigen Schutzwall für die Partei zu errichten. Andere
beabsichtigten, Stoßtrupps zu bilden, die die Schutzwälle um die „unabhängigen
Königreiche“,37
die in langjähriger Arbeit gebaut worden waren, zu durchbrechen.
Bei Oskar Weggel ist diese Frage ganz genau verdeutlicht. Die chinesischen Schüler
und Studenten, die „im Geist des Gehorsams und der Disziplin erzogen“ worden
waren, hatten die Unterstützung der pro-maoistischen Arbeitsgruppen, und „[…]sie
ermunterten, Sündenregister gegen bestimmte Lehrer zusammenzustellen, gemeinsam
Wandzeitungen zu verfassen.“38
Die Roten Garden bewegten sich auf Befehl der
Arbeitsgruppe der Kulturrevolution, die von Maos Frau Jiang Qing, der Sprecherin
der Radikalen, und Pro-Mao Parteifunktionären geleitet wurde. Die Führer der
35
Vgl. Weggel 1989:261. 36
Blumer 1968:197. 37
Das war ein kritischer Name des Hauptquartiers um Liu Shaoqi und Deng Xiaoping in der
Kulturrevolution. 38
Weggel 1989:256.
36
Arbeitsgruppe versuchten, die Kulturrevolution auf weitere Gebiete auszudehnen.
Ende 1966 herrschte in der VR China Chaos. Vor allem die
Handlungsmöglichkeiten der Verwaltungsorgane der Sicherheits-, Erziehungs- und
Justizbürokratie wurden von den Roten Garden vollkommen lahmgelegt. Oskar
Weggel schreibt:
Nur 28% der Politbüro-und 34% der ZK-Mitglieder sowie 20% der Provinzsekretäre
waren der unscheinbare Rest von Spitzenfunktionären, die sich noch in ihrer alten
Funktion hatten halten können.39
In jeder Grundeinheit bildeten sich zwei einander bekämpfende Gruppierungen heraus.
Sie stifteten Unruhe, schlugen oder töteten sich gegenseitig.
In dieser Chaossituation schickte Mao die Volksbefreiungsarmee. Sie erhielt den
Auftrag, die Disziplinierung der Roten Garden einzuleiten. Dies wurde von da an zur
generellen Rechtfertigung für die zunehmende Kontrolle des Landes durch das
Militär.
Im Frühjahr 1967 wurden die Roten Garden von den Zentralen Führungsorganen
aufgefordert, den Unterricht wieder aufzunehmen. Am 8. Oktober 1967 wurde eine
dringende Mitteilung des ZK der KPCh, des Staatsrates, der zentralen
Militärkommission und der Arbeitsgruppe der Kulturrevolution veröffentlicht. Diese
Mitteilung gab eine wichtige Entscheidung bekannt, nämlich:
Junge Intellektuelle und andere zur Arbeit hinunter ins Dorf und hinauf in die Berge zu
schicken mit dem Auftrag, auf dem Land zu bleiben, die Revolution anzupacken und
die Produktion zu fördern.40
Nach Peter Kuntzes Forschung ist diese Politik des „Hinuntersendens“ (Xiafang 下放)
von vielen westlichen Beobachtern als eine Bestrafung der Intellektuellen, besonders
39
Weggel 1989:263. 40
Kuntze 1970:55.
37
der jugendlichen Roten Garden, betrachtet worden.41
Seit August 1968 wurden die Roten Garden zur körperlichen Arbeit in die Dörfer
geschickt, wo sie von den armen Bauern lernen und sich in „revolutionärer
Disziplin“ üben sollten.
Nach Schätzung der deutschen Wissenschaftler sind von Anfang der
Kulturrevolution bis Mitte 1970 insgesamt dreißig Millionen gebildete Jugendliche
und Funktionäre aus den Städten aufs Land geschickt worden. Danach wurden
Berichte über das Auftreten von Roten Garden in den chinesischen Medien immer
seltener, die Bewegung der Roten Garden verlief sich im Jahre 1970 langsam, weil sie
sich der neuen Herrschaftsstruktur nicht weiter anpassen konnte. So haben die
deutschen Wissenschaftler das Ende der Bewegung zusammengefaßt.
1.3 Die Inhalte der ideologischen Auseinandersetzung während
der Kulturrevolution
Wenn es auch zutrifft, daß die Kulturrevolution heute vor allem als ein Machtkampf
gedeutet werden muß, so war sie dennoch am Anfang als eine ideologische
Reformkampagne angelegt.42
So schrieb Dieter Heinzig im Jahre 1968 in seinem Bericht des Bundesinstitutes für
ostwissenschaftliche und internationale Studien. Viele deutsche Wissenschaftler teilen
Dieter Heinzigs Ansicht. Allerdings gibt es auch eine andere Meinung, nach der die
Kulturrevolution als ein Rachefeldzug Mao Zedongs gegen seine innerparteilichen
Widersacher gesehen wird.43
Diese These stellt aber allzu einseitig den reinen
Machtkampf dar. Das Problem der Kulturrevolution wird im „China Handbuch”
41
Vgl. Kuntze 1970:55. 42
Heinzig 1968:3. 43
Vgl. Weggel 1989:302.
38
umfassend analysiert:
Viele westliche Beobachter ließen sich von dem vordergründigen Geschehen des reinen
Machtkampfes so sehr fesseln, daß sie die tiefere Motivation der Großen Proletarischen
Kulturrevolution übersahen.44
Die unterschiedlichen politischen Orientierungen zwischen Mao Zedong und Liu
Shaoqi „ließen die ideologischen Meinungsverschiedenheiten zu einer Machtfrage
werden.“45
Es ging folglich nicht nur um rein ideologische oder um rein machtpolitische
Auseinandersetzungen, sondern um die beiden sich gegenseitig beeinflussenden
Faktoren.46
Dazu meint Konrad Seitz:
Die Kulturrevolution war kein bloßer persönlicher Machtkampf. Sie war zugleich der
verzweifelte Versuch des alternden Führes, ›seine‹ Revolution zu retten. Wie Lenin auf
dem Totenbett um sein Erbe gefürchtet hatte, so lebte Mao in der Angst, die von ihm
zum Sieg geführte Revolution werde am Ende nichts anderes bewirkt haben, als die alte
privilegierte Klasse der ländlichen Grundbesitzer und der städtischen Bourgeoisie durch
eine neue Ausbeuterklasse zu ersetzen:die Staatskapitalisten der kommunistischen
Partei- und Verwaltungsbürokratie.47
In der deutschen wissenschaftlichen Literatur wird der ideologische Streit zwischen
Mao und Liu als ein wichtiger Mitauslöser der Kulturrevolution dargestellt. Dieser
Streit bestand schon Ende der 50er Jahre innerhalb der KPCh, drang aber erst
während der Kulturrevolution an die Öffentlichkeit. Vorher waren die Parteimitglieder,
was diese Auseinandersetzung betraf, ganz und gar unwissend. Von den parteieigenen
44
Franke 1974:461. 45
Ebda., 461. 46
Vgl. ebda., 461. 47
Seitz 2006:198.
39
Medien bekamen die Chinesen fortwährend Berichte über die friedliche und stabile
Lage der KPCh, obwohl ihre tatsächliche Situation ganz anders aussah. Als der
ideologische Streit zwischen Mao und Liu offenkundig wurde, verlor Liu seine Macht.
Er wurde von allen Parteimitgliedern und der gesamten Bevölkerung als der „den
kapitalistischen Weg gehende oberste Parteimachthaber“(Dangnei zuida de zou
zibenzhuyi daolu de dangquanpai 党内最大的走资本主义道路的当权派) kritisiert.
Er hatte keine Möglichkeit, in den Medien oder vor der Bevölkerung seine Meinung
zu äußern oder sich zu verteidigen. Hingegen konnte Mao ständig seine neuen
Weisungen veröffentlichen, nach denen die Chinesen Liu bekämpften. Obwohl Liu
schon 1969 verstarb, war die Kulturrevolution noch lange nicht beendet. Für die
Maoisten galt es weiterhin, ihrer Aufgabe „Kampf-Kritik-Umgestaltung“ (Dou-pi-gai
斗批改) nachzugehen.
Von 1969 bis 1976 kamen die Maoisten (zuerst Lin Biao, dann die „Viererbande“)
an die Macht. Um den sogenannten revolutionären Kurs dauerhaft zu sichern,
entfalteten sie im ganzen Land politische Studienbewegungen, wie z.B. „Lebendiges
Studium und lebendige Anwendung der Lehre Mao Zedongs” und die
„Anti-Konfuzius-Kampagne“.
Alle Chinesen mussten täglich Mao Zedongs Werke (z.B. das„kleine rote Buch“)
lesen, um revolutionär erzogen zu werden und um kapitalistische oder unproletarische
Flausen aus ihren Köpfen zu vertreiben. Durch solche politischen Studienbewegungen
erlitten die Chinesen eine Periode „eines ans Religiöse grenzenden ideologischen
Fanatismus.“48
48
Zit. Wolfgang Bauer, Die Ideologie des heutigen China und ihr historischer Hintergrund, in:
Ostkolleg der Bundeszentrale für politische Bildung(Hrsg.) VR China im Wandel, Bonn
1988:43.
40
1.4 Der Streit an der Kulturfront
Deutsche Wissenschaftler sind der Meinung, dass die ideologischen
Meinungsverschiedenheiten zwischen Mao und Liu den Anlaß zur Kulturrevolution
gaben. Man kann aber ganz deutlich in der deutschen Literatur erkennen, dass der
öffentliche Streit zwischen Maos „Proletarischem Hauptquartier“ und Lius
„Kapitalistischem Hauptquartier“ zuerst an der Kulturfront aufkam. Seit Anfang der
60er Jahre wurden zahlreiche Zeitungsbeiträge, Dramen und Erzählungen
(vorwiegend in Pekinger Zeitungen und Zeitschriften) veröffentlicht. Sie beinhalteten
versteckte Angriffe gegen die radikale Linie Maos. Insbesondere drei Autoren, die
auch selbst politisch einflußreiche Posten im Partei- und Hauptstadtapparat
bekleideten, taten sich hierbei besonders hervor.
Deng Tuo hatte unter dem Titel „Abendgespräche am Schwalbenberg“ (Yanshan
yehua 燕山夜话) 153 satirische Essays verfaßt, die „Großmäuligkeit, Humorlosigkeit,
poetische Massenproduktion und Blindheit“49
kritisierten und Maos Politik des
Großen Sprungs als „lächerlichen und geplatzten Traum“50
verspotteten.
Wu Han hatte 1961 das Drama „Die Entlassung des Hai Rui (ein
Ming-Beamter)“ veröffentlicht. Das Drama war im Stil der alten Tradition des
Schattenschießens gegen Mao gerichtet, der den früheren Verteidigungsminister Peng
Dehuai entmachtet und verbannt hatte. Auch Liao Mosha hatte viele Artikel gegen
Maos Politik aus historischer Sicht geschrieben.
Mao empfand dieses Vorgehen als eine unerträgliche Herausforderung und
verurteilte zuerst Peng Zhen, der als erster Parteisekretär und Bürgermeister von
Peking die Verantwortung für das Verhalten der drei Opponenten trug.
Im Herbst 1965 zog sich Mao nach Shanghai zurück, um dort seine Kräfte zu
sammeln. Am 10.November 1965 erschien in der Shanghaier Zeitung “Wenhui” aus
der Feder Yao Wenyuans, der ein scharfmacherischer Journalist und Mitglied der
49
Weggel 1989:248. 50
Ebda., 248.
41
späteren „Viererbande“ war, ein kritischer Artikel über Wu Hans Drama „Die
Entlassung des Hai Rui“, in dem nicht nur das Theaterstück und sein literarisches
Umfeld, sondern auch die hinter dem Autor stehende Pekinger Parteiführung ins
Visier genommen wurde.
Wie sollte Peking reagieren?
Yaos Artikel wurde in der Volkszeitung, die das Organ der KPCh in Peking ist,
nachgedruckt. So konnte Mao von Shanghai aus neue Schritte unternehmen, um die
Front seiner Gegner Stück für Stück aufzurollen. Oskar Weggel meint hierzu, dass
sich die Liuisten zu sehr ihren politischen Einfluß nehmen ließen und dies vermutlich
ihr schwerster Fehler war.51
Im Februar 1966 veranstalteten Maos Ehefrau Jiang Qing und der
Verteidigungsminister Lin Biao eine Konferenz über literarische und künstlerische
Arbeit in der VBA, die zu dem Ergebnis kam, dass die Literatur und Kunst der
vergangenen 17 Jahre (seit 1949) von einer schwarzen Linie („schwarz“ bedeutet hier
konterrevolutionär) beherrscht sei, die man korrigieren müsse. Am 4. und 8. Mai 1966
gab die Armeezeitung das Signal zum Generalangriff gegen die Führer der
intellektuellen Opposition.
Deng Tuo, Wu Han und Liao Mosha wurden wegen ihrer Attacken auf den
Parteiführer und seine Politik als „giftiges revisionistisches Gewürz“ und „schwarze
Bande der Konterrevolution“ bezeichnet. Mao berief zur gleichen Zeit eine weitere
Sitzung des Politbüros ein, an der auch viele führende Mitglieder der Linken
teilnahmen, die nicht diesem Gremium angehörten. In dieser Sitzung wurde die
sogenannte „Mitteilung vom 16. Mai“(5.16 Tongzhi 5.16 通知) verabschiedet, die
als Richtlinienentscheid für die Kulturrevolution gilt.
In diesem Dokument wurden die Mitglieder der intellektuellen Opposition zu
einem „Haufen antikommunistischer, volksfeindlicher Konterrevolutionäre“ erklärt,
mit denen man einen „Kampf auf Leben und Tod“ führen müsse. „Die Vertreter des
51
Vgl. Weggel 1989:249.
42
Kapitalismus“ hätten sich in die Partei, die Regierung und in die Armee
eingeschlichen und dort eine Fraktion von Machthabern innerhalb der Partei gebildet,
die den kapitalistischen Weg gingen. Sie hätten Zeitungen, Rundfunksendungen,
Zeitschriften, Bücher, Lehrmaterial, Reden, literarische Werke, Filme, Opern,
Schauspiele, Kunst, Musik und Tanz mit ihrem kapitalistischen Gedankengut
verseucht, weshalb man solche kapitalistischen Gedanken in allen Bereichen des
geistigen und politischen Lebens entlarven und vernichten müsse. In der ersten
Periode waren die Opfer der Säuberung vorwiegend Intellektuelle.
1.5 Die ideologischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Mao
Zedong und Liu Shaoqi
Deutsche Wissenschaftler haben die ideologischen Meinungsunterschiede zwischen
Mao Zedong und Liu Shaoqi wie folgt beurteilt.52
Lius Gedankengerüst basierte auf sechs Theorien:
- Dem Absterben des Klassenkampfes.
- Dem bedingungslosen Gehorsam der Parteimitglieder.
- Der bewußten Rückständigkeit der Massen.
- Dem Eintritt in die Partei um der Karriere willen.
- Dem innerparteilichen Frieden.
- Der Verschmelzung der kollektiven Interessen mit den persönlichen Interessen.
Diese Theorien galten während Maos Kulturrevolution als „konterrevolutionäre
revisionistische Theorien“ (Fangeming Xiuzhengzhuyi lilun 反革命修正主义理论),
für die Liu teuer bezahlte.
52
Siehe Pfennig/Franz und Barthel 1983:22-33;Vgl. auch Weggel 1989: 398-403.
43
Ganz im Gegensatz zu Lius Theorien forderte Mao:
- Klassenkampfbereitschaft.
- Flexiblen Umgang mit Parteibeschlüssen.
- Glauben an die Massen.
- Revolution aus Selbstmotivation.
- Permanente Bereitschaft zur innerparteilichen Auseinandersetzung.
- Verzicht auf jeglichen persönlichen Vorteil.
Mao war der Meinung, dass der Hauptwiderspruch der VR China in der Spannung
zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie sowie zwischen dem sozialistischen
und kapitalistischen Weg liege. Kurzum, der Klassenkampf bleibe auch im
Sozialismus bestehen.
Auf dem Gebiet der Wirtschaft forderte Mao eine planwirtschaftliche
Vorgehensweise, nichts sollte den Marktgesetzen überlassen sein. China sollte durch
eigene Kraft selbst Kapital erwirtschaften und Technologien entwickeln, um dem
Ausland gegenüber eigenständig zu sein.53
Demgegenüber empfahl Liu eine eher marktwirtschaftliche Orientierung.
Lediglich strategische Schlüsselfunktionen sollten streng geplant werden, während
alle übrigen Funktionen möglichst den Entwicklungen des freien Marktes überlassen
sein sollten. Allerdings gab er einen Rahmen von dreißigprozentiger Planung vor,
innerhalb dessen sich die Wirtschaft mit Hilfe von „Hebeln“ (Preise, Zinsen, Steuern
u.ä. Globalinstrumente) entwickeln konnte. Kapital und Technologie sollten nur zu
einem Ausmaß importiert werden, in dem sie der eigenen Wirtschaft förderlich waren
und die Modernisierung Chinas antrieben. Generell war eine Politik der „offenen
Türen“ gegenüber dem Ausland vorgesehen.54
Die ideologischen Differenzen der beiden Widersacher entwickelten sich vor
verschiedenen Hintergründen. Aus der Sicht Oskar Weggels startete Liu seine
Revolution in der Stadt, wodurch er zum Führer der Arbeiterbewegung wurde. Mao
53
Vgl. Weggel 1989:398f. 54
Ebda., 398f.
44
hingegen gewann seine Anhänger in ländlichen Gegenden und wurde zum Führer der
Bauernbewegung. Deswegen gewannen beide ganz unterschiedliche Erfahrungen von
der chinesischen Revolution. Oskar Weggel schreibt:
Liu war ein Apostel der Organisation, für den der Weg zum Sozialismus und
Kommunismus nicht über Massenbewegungen, sondern in erster Linie über eine
wohlorganisierte, durch ihre Praxis und ihre Askese glaubhafte Elitepartei führte.55
Wolfgang Bauer wertet den Hintergrund von Maos Ideologie folgendermaßen: Maos
Beeinflussung durch den Westen war sehr viel geringer als bei den meisten anderen
Führern der KPCh. Er studierte weder im Ausland noch unternahm er (von zwei
Moskau-Besuchen 1949/50 und 1957 einmal abgesehen) nach seiner Machtübernahme
Auslandsreisen.56
Er war in jeglicher Hinsicht ignorant gegenüber dem Westen und
zeigte sich deshalb sehr viel chinesischer und zugleich auch nationalistischer als Liu.
Anfangs waren seine Denkstrukturen von traditionellen Mustern geprägt, doch
wandte er sich schließlich radikaleren Denkinhalten zu, die sich gegen alle
traditionellen Überbleibsel oder Neuansätze richteten.
Peter Kuntze beschreibt Maos Kulturrevolution als eine politische Revolution.
Mao wollte einen neuen Menschen schaffen, einen gebildeten Werktätigen mit
sozialistischem Bewusstsein, den man in China einen roten Experten nannte. Während
Liu die Stärkung des Staates gegenüber der Gesellschaft anstrebte, verfolgte Mao das
Programm der Selbstbefreiung der Massen. Liu war der Ansicht, dass nicht mehr die
Ideologie, sondern die Ökonomie nach der Machtübernahme der KPCh im
Vordergrund stehen sollte. Die Industriebetriebe sollten nach westlichem Vorbild
geführt werden, und die Parteifunktionäre sollten ihren beherrschenden Einfluss in der
Wirtschaft aufgeben.
55
Weggel 1989:227. 56
Vgl. Wolfgang Bauer, Die Ideologie des heutigen China und ihr historischer Hintergrund, in:
Ostkolleg der Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) VR China im Wandel, Bonn
1988:55.
45
Peter Kuntze analysiert, dass Lius monopolistischer Staatskapitalismus einen
gewaltigen bürokratischen Apparat entstehen ließ, der der Initiative der von Mao
postulierten „schöpferischen Spontaneität der Massen“ kaum Spielraum ließ.57
Als
Folge von Lius Politik entstand in Peking eine mächtige Partei- und
Verwaltungsbürokratie. Eine neue Klasse, eine privilegierte Schicht aus Managern
und Funktionären, bildete sich. Um die Produktivität zu steigern, hatte Liu mit
differenzierten Löhnen, mit vielerlei Arten von Prämien und Sondervergünstigungen
ein System des materiellen Anreizes geschaffen, dass in der Kulturrevolution als
„konterrevolutionärer Ökonomismus“ verdammt wurde. Maoisten kritisierten Lius
ökonomische Politik als Bestechung der Massen, mit der diese die Interessen des
Staates und des Kollektivs vergessen und nur persönlichen Interessen folgen sollten.
Die „ Rote Fahne“(Hongqi 红旗), die Monatszeitschrift des ZK der KPCh, fasste
1967 die Vorwürfe gegen Liu Shaoqi zusammen und erklärte:
Wenn die Dinge weiterhin nach seiner konterrevolutionären revisionistischen Linie
verlaufen wären […] in den Städten wäre eine große Anzahl von neuer Bourgeosie
aufgetaucht;[…] das Wesen unserer proletarischen Staatsmacht hätte sich von Grund
auf verändert […]58
In diesem Zusammenhang meint Adrian Hsia, dass der Unterschied zwischen Mao
und Liu in der Behandlung der Interessen des einzelnen besteht. Für Mao stehen
Privat- und Gemeinschaftsinteressen einander antagonistisch gegenüber. Ein
proletarischer Revolutionär muss nach Mao alle seine persönlichen Interessen im
Bewusstsein ausmerzen und ausschließlich den Gemeinsinn gelten lassen. Dagegen
vertrat Liu die Ansicht, dass der gemeinschaftliche Vorteil die Summe der
Einzelinteressen darstelle;ohne das eine könne auch das andere nicht existieren;wenn
man die Vorteile aller einzelnen berücksichtige, komme dies auch der Gemeinschaft
57
Vgl. Kuntze 1970:27. 58
Kuntze 1970:29.
46
zugute.59
Nach maoistischer Auffassung gründet sich der Aufbau des Sozialismus auf dem
Prinzip, dass er alle Schichten der Werktätigen gleichermaßen umfaßt;ansonsten wäre
es kein Sozialismus mehr.
Das größte „Giftkraut“ des Liuismus war Liu Shaoqis altes Brevier „über die
Selbstkultivierung eines kommunistischen Parteimitglieds“ (Lun gongchandangyuan
de xiuyang 论共产党员的修养), welches zuvor unter dem deutschen Titel „ Wie man
ein guter Kommunist wird“ bekannt wurde. Im Jahre 1962 hatte Lius Buch bereits
eine Gesamtauflage von zwanzig Millionen Exemplaren. In diesem Buch kritisierte
Liu zuerst heftig die Vertreter des Dogmatismus, die sich selbst für Chinas Lenin und
wahre Marxisten hielten. Obwohl sie, so Liu, eigentlich nichts vom
Marxismus-Leninismus verstünden, heizten sie dennoch willkürlich den
innerparteilichen Klassenkampf an. Indirekt wurde hierdurch (nach Meinung Oskar
Weggels) Mao angegriffen. Liu beschuldigte Mao, die Einheit der Partei grundlos
gestört zu haben, da er selbst nicht Maos Einstellung zum Kampf innerhalb der Partei
vertrat. Hingegen verbreitete Liu manche unmaoistischen Ansichten, wie z.B. die
Theorien der „Klassenharmonie“, der „Partei des ganzen Volkes“, der „Übereinstimmung
der Privat- und Gemeinschaftsinteressen“.
Mao konnte Lius Theorien nicht gelten lassen und forderte vom Volk, seinen
Anweisungen Folge zu leisten. Dazu meint Adrian Hsia:
Dies diente zur Rechtfertigung von Maos Rebellion gegen die eigene Partei im Land
und gegen die Sowjetunion im internationalen kommunistischen Lager.60
Bezüglich der ideologischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Mao Zedong und
Liu Shaoqi bemüht sich Peter Kuntze um eine tiefgreifende Erklärung:
Die Auseinandersetzung zwischen Liuisten und Maoisten war das Ringen zweier
59
Vgl. Hsia 1971:154. 60
Hsia 1971:154.
47
diametral entgegengesetzter politisch-ideologischer Konzeptionen um das zukünftige
Schicksal Chinas, ein Streit zwischen Dogmatikern (zu denen sich auch Liberale und
Pragmatiker gesellten) auf der einen und linksradikalen Revolutionären auf der anderen
Seite.“61
1.6 Die Weiterentwicklung des Maoismus
Die phänomenale Verbreitung des Maoismus in ganz China wurde durch die
Unterstützung des ehemaligen Verteidigungsministers Lin Biaos möglich. Er wurde
seit Anfang der Kulturrevolution in China als der „treueste Mitkämpfer“ und der
„beste Schüler“ Maos bezeichnet. Schon im August 1966 ging Lin Biao als
unbestrittener Stellvertreter Maos hervor;im neuen Parteistatut, das von dem 9.
Parteikongreß im April 1969 angenommen wurde, wurde er schließlich als Nachfolger
Maos aufgeführt. Adrian Hsia hat in seinem Werk „Die chinesische
Kulturrevolution“ den Begriff „schöpferische Weiterentwicklung des Maoismus“, der
erst mit Lin Biao in Verbindung gebracht werden sollte, eingeführt. In der deutschen
Literatur gibt es bis heute wenige Darstellungen über den Begriff „schöpferische
Weiterentwicklung des Maoismus“, der während der chinesischen Kulturrevolution in
China außerordentlich stark propagiert wurde.
Nach Adrian Hsia bestand der von Lin Biao propagierte und entwickelte
Maoismus aus zwei Hauptteilen:
Der erste Teil betraf die demokratische Revolution, die „Machtergreifung mit
Waffengewalt“ durch die Kommunisten. Diese Lehre Maos sollte für alle Völker
Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gültig sein. Nach Maos Lehre und Erfahrung
seien die Städte von den Herrscherklassen strengstens kontrolliert und deswegen für
die Revolution nicht geeignet. Die Dörfer seien das schwächste Glied der Herrschaft.
Deshalb müßten die kommunistischen Parteien der Entwicklungsländer an erster
61
Kuntze 1970: 25.
48
Stelle eine Bauernbewegung ins Leben rufen. Die Kommunisten sollten durch die
Unterstützung armer Bauern einen Partisanenkrieg entfachen. Die Partisanen müssten
zuerst die Dörfer zu Stützpunkten umgestalten, dann müsse der Partisanenkrieg soweit
entwickelt werden, bis „die Dörfer die Städte einkreisten und diese schließlich
eroberten“. Lin Biao übertrug die Lehre Maos auf die internationale Ebene. Er hatte
eine Broschüre „Es lebe der Volkskrieg!“ veröffentlicht, in der er konstatierte, dass die
Entwicklungsländer die „Weltdörfer“ und die Industrienationen die „
Weltstädte“ seien. Die „Weltdörfer“ müßten die „Weltstädte” einkreisen und erobern;
die wichtigste Voraussetzung dafür sei jedoch, dass sich die Völker der
„Weltdörfer“ zuerst befreiten. Lin Biaos Theorie der „Weltdörfer“ wurde während der
Kulturrevolution in China landesweit propagiert. Es wurde gesagt, dass Lin Biao die
militärischen Ideen Maos systematisch erklärt und entwickelt und Maos Gedanken
„schöpferisch“ angewandt habe.
Der zweite Bestandteil des Maoismus betraf die „permanente Revolution unter der
Diktatur des Proletariats“. Diese Theorie behandelte das Problem, wie die
proletarische Macht in einer sozialistischen Gesellschaft zu erhalten und zu
konsolidieren war. Nach Lin Biaos Meinung gab der Marxismus-Leninismus auf diese
Frage keine Antwort. Mao war schließlich derjenige, welcher durch die
Kulturrevolution für dieses wichtige Problem der internationalen Bewegung des
Kommunismus in Theorie und Praxis eine Lösung fand. Er lehnte zwar die These vom
„Sein, das das Bewußtsein bestimmt“ (Cunzai jueding yishi 存在决定意识) nicht ab,
betonte aber dennoch auf recht einseitige Weise, dass das Bewusstsein (die Seele) das
Sein bestimme. Er vertrat die Ansicht, dass im gesellschaftlichen Überbau die
bürgerliche Weltanschauung die proletarische manchmal dominiere. Er fürchtete
besonders den Ökonomismus, der den natürlichen Egoismus jedes einzelnen
Menschen befriedige und zugleich stark fördere. Aus diesem Grunde würden die
Revisionisten in der Partei und Armee gestärkt und die Macht der KPCh von innen
her usurpieren. Somit würden die Machtkämpfe innerhalb der Partei ständig bestehen
bleiben; das Proletariat würde gespalten und ein linker Flügel der „proletarischen
Revolutionäre“ entstehen, der die proletarische Macht verteidigen und gegen den
49
rechten Flügel kämpfen solle. Dies wären die Gesetze der Widersprüche in der
sozialistischen Gesellschaft. Diese Gesetze wurden von Mao während der
Kulturrevolution entdeckt und zu „einer großartigen Entwicklung der Theorie der
proletarischen Diktatur“ erklärt. Aufgrund dieser Theorie wurde er von Lin Biao
überschwenglich gerühmt:
Genosse Mao Tse-tung ist der größte Marxist-Leninist unserer Zeit. In genialer,
schöpferischer und allseitiger Weise hat Genosse Mao Tse-tung den
Marxismus-Leninismus als Erbe übernommen, ihn verteidigt und weiterentwickelt; er
hat den Marxismus-Leninismus auf eine völlig neue Stufe gehoben.62
Lin Biao wandte die Ideen Maos an und setzte durch, dass die Politik in der VBA den
militärischen Angelegenheiten übergeordnet wurde. Seine
„schöpferischen“ Entwicklungen waren die folgenden: Die „Vier Ersten“(Sige diyi
四个第一), der „Drei und Acht-Arbeitsstil“(Sada jilu baxiang zhuyi 三大纪律 八项
注 意 ), die „Vier-Gut-Kompanien“ ( Sihao liandui 四 好 连 队 ) und die
„Dreierdemokratien“. Ursprünglich waren solche Ordnungen nur für die Soldaten
bestimmt, aber während der Kulturrevolution galten sie auch für Schüler, Studenten,
Arbeiter und Bauern.
Adrian Hsia weist in seinem Werk nach, dass Maos Theorie der „permanenten
Revolution unter der Diktatur des Proletariats “ einer militärischen Diktatur
gleichkam. Die Armee kontrollierte alle Einheiten des Staates.
Diese Lehre hat gegenwärtig in der VR China keinen Spielraum mehr, aber nach
Hsias Meinung ist es nicht ausgeschlossen,
dass sie in der Zukunft als ein wesentlicher Bestandteil des Maoismus aufgenommen
wird, besonders wenn die Chinesen die immerwährende und –steigende Spannung der
62
Hsia 1971:249.
50
Klassenkämpfe nicht mehr ertragen können.63
Für diesen Fall stellt Adrian Hsia fest, dass die Kulturrevolution entweder wieder von
vorn beginnen würde, oder die von der maoistischen Führung gefürchtete friedliche
Evolution einträte.
1.7 Die linksradikale Ideologie
Maoisten werden in der deutschen wissenschaflichen Literatur als
„Linksradikale“ oder „Linke“ bezeichnet. Ihre wichtigsten Vertreter waren Wang
Hongwen, Zhang Chunqiao, Maos Ehefrau Jiang Qing und Yao Wenyuan. Alle vier
waren Mitglieder des Politbüros des ZK der KPCh und wurden später als die
„Viererbande“ verurteilt. Die von der „Viererbande“ propagierte linksradikale
Ideologie dominierte auf dem Ideologienfeld der KPCh zwischen den Jahren
1973-1976.
Es fehlt in der deutschen wissenschaftlichen Literatur an ausführlichen
Darstellungen dieser linksradikalen Ideologie. Oskar Weggel hat jedoch in seinem
Buch „Geschichte Chinas im 20 Jahrhundert“ die linksradikale Ideologie
zusammenfassend beschrieben:
Die Renaissance manifestierte sich dreifach, nämlich durch neue Parolen, neue
Personalentscheidungen und neue Kampagnen.64
Bei den neuen Personalentscheidungen gab es außer der „Viererbande“ auch Hua
Guofeng (späterer Parteivorsitzender der KPCh), Wu De (Parteichef von Peking) und
darüber hinaus noch drei „Musterproletarier“, nämlich Chen Yonggui, der
63
Hsia 1971:258. 64
Weggel 1989:279.
51
Produktionsbrigadenführer von Dazhai, Wu Guixian, die Bestarbeiterin und der
Modellarbeiter Ni Zhifu, die alle drei während der Kulturrevolution einen
Ministerrang bekleideten.
Die Linken sammelten ihre Kräfte, um ihre Politik zu „verkaufen“ und
Kampagnen zu organisieren. Sie errichteten sogenannte „Propagandagruppen von
Arbeitern, Bauern und Soldaten zur Verbreitung von Mao Zedong-Ideen“(Mao
Zedong sixiang 毛泽东思想 ) ein. Überall in China entstanden sogenannte
„Sonnenhöfe“ (Taiyang yuan 太阳院), in denen sich die Gesichter der „Sonne“ (Mao)
zuwenden und die Hof-Bewohner gemeinsam Maos Werke studieren sollten.
Zu diesem Massen-Studium meint Oskar Weggel, dass sich die Massen nicht
länger zum Besten halten lassen wollten;sie spielten beim „Studium“ nur zum Schein
mit. Zum ideologischen Hauptinstrument der Linksrenaissance wurde die Zeitschrift
„Studium und Kritik“ (Xuexi yu pipan 学习与批判), die am 15.9.1973 erschien. Sie
war das „schärfere Chirurgenmesser“ gegen die Gegner.65
Zu dieser Zeit beherrschten
die Linken die Massenmedien. Sie hatten eine Reihe von Veröffentlichungen über ihre
radikalen Gedanken herausgegeben, wie z. B. „Ständige Revolution“, „Proletarische
Diktatur“ und „Theorien von Arbeitern, Bauern und Soldaten“, zu denen es in der
deutschen wissenschaftlichen Literatur keine nähere Erklärung gibt.
Die Linken betrieben im November 1973 noch zusätzlich die
Anti-Konfuzius-Kampagne, die sich nicht gegen den Philosophen Konfuzius selbst,
sondern gegen den damaligen Ministerpräsidenten Zhou Enlai richtete.
Der italienische Regisseur Antonioni und Beethovens Musik wurden in den
chinesischen Medien heftig kritisiert, weil sie von Zhou Enlai sehr geschätzt wurden.
Es gab eine weitere Kampagne gegen Song Jiang, der als Held des populären
chinesischen Romans galt. Durch die Kampagne zur „Bekämpfung des rechten
Windes“ wurde die neue Parole „Gegen die herrschende Strömung schwimmen“ (Fan
chaoliu 反潮流 ) ausgegeben. Ein junger Held, der „gegen die herrschende
Strömung“ schwamm, war Zhang Tiesheng. Er gab bei der Aufnahmeprüfung der
65
Weggel 1989:280.
52
Universität statt des geforderten Aufsatzes einen leeren Bogen zurück, auf dem
lediglich der Satz stand, dass es „revolutionär ist, gegen die herrschende Strömung zu
schwimmen.“66
Die Linken feierten in den Zeitungen Zhangs Benehmen.
Zu dieser Erscheinung schreibt Oskar Weggel:
Mit der Erhöhung dieses jungen Mannes zum Idol war die Talsohle der chinesischen
Erziehungsgeschichte erreicht.67
Er meint auch, dass die oben genannten Kampagnen „immer skurrilere
Formen“ annahmen. Diese Kampagnen und Parolen erregten in der Öffentlichkeit nur
„müdes Achselzucken“. Nach zehn Jahren permanenter „Revolution“ war der Elan
abgenutzt und die Chinesen der ewigen Kampagnen überdrüssig geworden. Es war
ihnen gleichgültig geworden, auf welcher Seite die zu bekämpfenden Kräfte standen.
Sie waren der Bewegungen müde geworden. Das Studium von Maos Werken und die
Kampfversammlungen seit 1973 waren zumeist „langatmig und ermüdend“. Solche
Veranstaltungen waren „zur reinen Formsache geworden.“68
66
Weggel 1989:262. 67
Weggel 1989:262. 68
Ebda., 282.
53
Kapitel 2: Die Machtkämpfe
2. Die Machtkämpfe während der Kulturrevolution
Die deutsche wissenschaftliche Literatur erläutert, wie die ideologischen
Meinungsverschiedenheiten zwischen Mao und Liu zu einer Machtfrage wurden. Für
Maoisten bedeutete diese Machtfrage, das „Schicksal der VR China“ zu lenken. Eine
bekannte Parole war: „Mit Macht hat man Alles, ohne Macht hat man Nichts“.
Während der Kulturrevolution griffen die Maoisten erstmals alle jene an, die ihrem
innenpolitischen Kurs nicht zustimmten. Mao Zedong unternahm nun den Versuch,
Widerstände in allen Teilen der Gesellschaft und oppositionelle Erscheinungen in den
Partei-, Staats- und Streitkräften gleichzeitig zu bekämpfen.
Die ersten zentralen Kämpfe fanden in Peking und Shanghai statt. Maos Kurs
wurde in Peking stark kritisiert und fand dort keine Unterstützung, weil Liuisten die
zentrale Regierung in Peking kontrollierten. Er war in Gefahr, seine Macht zu
verlieren. In dieser prekären Situation fuhr Mao nach Shanghai und Südchina, wo er
seine Anhänger organisierte und schließlich seine Widersacher in Peking von
Shanghai aus angriff. Die Machtkämpfe zwischen Liuisten und Maoisten waren
eigentlich Kämpfe zwischen sogenannten „alten Kadern“ und „kulturrevolutionären
Radikalen“. Mit Hilfe der Radikalen aus Shanghai und dem Militär unter der Führung
Lin Biaos konnte Mao die Liuisten schlagen. Somit trat auch das Militär während des
Machtkampfes in Aktion. Lin Biao wurde zu Maos Nachfolger ernannt, doch es
entwickelten sich schnell Uneinigkeiten über die Machtfrage zwischen Mao und Lin.
Lin Biao plante einen Staatsstreich, der jedoch scheiterte.
In der Zeit nach Lin Biaos Auftritt dominierten die „kulturrevolutionären
Radikalen“ (die „Viererbande“ Sirenbang 四人帮 genannt) die chinesischen
Propagandainstrumente bzw. Verwaltungsorganisationen. Es entbrannten heftige
Kämpfe um die Nachfolge Maos zwischen der „Viererbande“ und der „rechten
54
Fraktion“ (auch „Gemäßigte“ genannt) unter Führung des Ministerpräsidenten Zhou
Enlai. Schließlich übergab Mao Hua Guofeng als Kompromissfigur seine Macht.
Unter Huas Führung wurde die „Viererbande“ von der „rechten
Fraktion“ niedergeschlagen, so dass der chinesischen Kulturrevolution damit
endgültig ein Ende gemacht wurde.
2.1 Der Antagonismus zwischen Peking und Shanghai
In der deutschen wissenschaftlichen Literatur werden deutlich die zwei Zentren betont,
die es innerhalb der KPCh zu Beginn der Kulturrevolution gab. Das Zentrum in
Peking wurde von Liu Shaoqi und dem damaligen KP-Generalsekretär69
Deng
Xiaoping angeführt. Ihr Stützpunkt war das Pekinger Stadtkomitee, das von Peng
Zhen geleitet wurde. In Shanghai, dem zweiten Zentrum, sammelte Mao Zedong seine
Kräfte. Er fand Unterstützung bei Zhang Chunqiao, Yao Wenyuan und Wang
Hongwen, die später Mitglieder der „Viererbande“ wurden. Maos Ehefrau Jiang Qing
und der damalige Verteidigungsminister Lin Biao gehörten ebenfalls Maos
sogenanntem „proletarischen Hauptquartier“ an.
Nach Untersuchungen der deutschen Wissenschaftler waren die ersten Wurzeln
des Konflikts schon seit Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts sichtbar. Durch
Maos Fehlentscheidungen (wie z. B. „Der große Sprung nach vorn“, die
Volkskommunen usw.) büßte er als Parteivorsitzender seinen Ruf als nahezu
unfehlbarer Pragmatiker ein. Er wurde von der Parteimehrheit isoliert und von den
Intellektuellen verspottet. Weil die Liuisten ihn in Sachfragen übergangen hatten,
begann er, einen Gegenschlag zur Abwehr der „revisionistischen“ Entwicklung in der
VR China zu planen.
Im September 1965 stellte Mao den Antrag, den Kampf in der Partei gegen
oppositionelle Tendenzen zu verschärfen, der allerdings vom Politbüro
69
Dieses Amt ähnelte dem des Partei-Generalsekretärs in Deutschland.
55
zurückgewiesen wurde. Mao erkannte, dass er in Peking keinen Spielraum gegen die
innerparteiliche Opposition um Liu Shaoqi, Deng Xiaoping und vor allem das
Pekinger Stadtkomitee unter Peng Zhen besaß. Der Parteivorsitzende reiste nach
Shanghai, Ost- und Südchina, von wo aus er durch die Unterstützung des Shanghaier
Stadtkomitees eine publizistische Kampagne gegen die intellektuelle Opposition
startete. Als ersten Angriff aus Shanghai richtete Yao Wenyuan eine Kritik an Wu
Hans Drama „Die Entlassung des Hai Rui“, das am 26. November 1965 in Shanghai
veröffentlicht worden war. Die deutschen Wissenschaftler weisen daraufhin, dass das
eigentliche Ziel dieses ersten Angriffs das Pekinger Stadtkomitee war.70
Die Liuisten in Peking versuchten, diesen Vorstoß gegen die innerparteiliche
Opposition in eine „akademische Diskussion“ umzuwandeln. Außerdem hatte der
Pekinger Bürgermeister Peng Zhen im Februar 1966 ein Programm für die
Kulturrevolution vorgelegt („Februar-Thesen“ Er yue tigang 二月提纲), das sowohl
Kritik am Parteiführer als auch Kritik am Vorgehen gegen Intellektuelle enthielt. Die
Liuisten waren bemüht, eventuelle Säuberungsaktionen nach dem Parteistatut in
möglichst kleinem Rahmen durchzuführen.
Auf Mao, dem dieser Angriff galt, mussten Peng Zhens „Februar-Thesen“ als eine
unerträgliche Herausforderung wirken. Der Gegensatz zwischen Maoisten und
Liuisten hatte somit, nach Erik von Groeling, einen feindseligen Ton bekommen.71
Jürgen Domes weist nach, dass die Maoisten die Abwesenheit Lius, der vom 24.
März bis zum 19. April 1966 Staatsbesuche in Pakistan, Afghanistan und Burma
abstattete, zu einer Erweiterung ihres Einflusses in der Zentrale ausnutzten.72
Am 4. und 8. Mai gab die Armeezeitung das Signal zum Generalangriff gegen die
Führung der intellektuellen Opposition (Liuisten), zu der Deng Tuo, Wu Han und Liao
Mosha aus der Pekinger Führungsgruppe gehörten. Sie wurden in der Zeitung als eine
„schwarze Bande der Konterrevolution“ bezeichnet. Man erklärte das Pekinger
Stadtkomitee zu einem „schwarzen Stadtkomitee “.
70
Vgl. Groeling 1972:68. 71
Ebda., 68. 72
Vgl. Domes 1971:143.
56
Am 16. Mai 1966 verfaßten die Maoisten eine „Mitteilung des ZK“, in dem sie
Peng Zhens „Februar-Thesen“ verwarfen. Lin Biao erklärte in seiner Rede vor der
„Erweiterten Tagung des Politbüros“ vom 4. bis 26. Mai 1966: „Hier geht es um
politische Macht!” Er brachte sodann den Begriff „konterrevolutionärer
Staatsstreich“ in die Debatte ein. Während dieser Tagung wurden gleich vier
Politbüro- und sieben der dreizehn Sekretariatsmitglieder, die dem liuistischen Flügel
angehörten, entlassen. Unter ihnen befand sich Peng Zhen sowie der damalige
VBA-Generalstabschef Luo Ruiqing, der Erzrivale Lin Biaos.
Deutsche Wissenschaftler erklären, dass es Mao Zedong gelungen war, die
„Ecksteine aus dem Gebäude der gegnerischen Fraktion herauszubrechen“.
Wie konnte es aber zu einer so unvergleichlichen Machtdemonstration kommen?
In der deutschen Literatur gibt es hierüber bis heute noch keine gründlichen Analysen.
Nichtsdestoweniger hat Oskar Weggel versucht, diese Ereignisse zu deuten:
Zwar gab es im Politbüro und im ZK in diesen Jahren überall Liu Shaoqi-Mehrheiten.
Sobald der jupitergleiche Vorsitzende jedoch auf seine altbewährte Methode zurückgriff
und sich einzelne Mitglieder unter vier Augen und im persönlichen Gespräch vornahm,
hatte er sie auch schon umgedreht [...]73
In der oben genannten Tagung gab es noch zwei weitere wichtige Beschlüsse. Zum
einen wurde die „ZK-Mitteilung vom 16. Mai“, die zum „Kampf gegen die Vertreter
der Bourgeoisie innerhalb des Parteiapparats“ aufrief, verfasst. Zum anderen wurde
die „Gruppe für die Kulturrevolution beim ZK“ unter der Leitung der Maoisten Chen
Boda, Jiang Qing, Zhang Chunqiao und Kang Sheng gegründet. Es war nun höchste
Zeit für Mao, das „Hauptquartier um Liu Shaoqi und Deng Xiaoping” direkt
anzugreifen.
73
Weggel 1989:250.
57
2.2 Der Kampf gegen das „Hauptquartier um Liu Shaoqi und Deng
Xiaoping“
Das wichtigste Ziel Mao Zedongs war, Liu Shaoqi und Deng Xiaoping zu entmachten.
Peter Heizig ist der Auffassung, dass Peng Zhens Sturz schon das Umschlagen der
ideologischen Auseinandersetzung in den offenen Machtkampf symbolisierte.74
Den
verschärften Konflikt stellte nach der Ansicht Jürgen Domes das 11. Plenum des 8.
Zentralkomitees der KPCh dar, das vom 1. bis zum 12. August 1966 tagte, und auf
dem die Partei über den Beginn der Kulturrevolution abstimmen sollte. Das Plenum
bestätigte im Wesentlichen die Politik Maos und Lin Biaos und gab den „Beschluss
über die Große Proletarische Kulturrevolution“ (16 Punkte) bekannt75
, der das
Programm der Kulturrevolution darstellte.
Wie konnte dieser schicksalsschwere Beschluss einfach nach Maos Wille entschieden
werden?Waren die Liuisten wirklich so schwach?Nach Untersuchungen der
deutschen Wissenschaftler war die Atmosphäre der Kämpfe zwischen Liu und Mao
sehr angespannt. Obgleich die unorganisierte innerparteiliche Opposition die
Entmachtung von Peng Zhen und einiger Anhänger Lius hinnehmen musste, blieb sie
doch nicht untätig.
Anfang Juli versuchte Liu das Zentralkomitee zu einer Sitzung nach Peking
einzuberufen. Während sich die ZK-Mitglieder in Peking versammelten, erschienen in
den Zeitungen Chinas Bilder Mao Zedongs, die ihn beim Schwimmen im Yangzi-Fluß
( Changjiang 长江) bei der Stadt Wuhan zeigten. Durch diese Kampagne bekundete
Mao seine Vitalität und erklärte, nun zum entscheidenen Schlag gegen das
„Hauptquartier um Liu Shaoqi und Deng Xiaoping in Peking auszuholen.“76
Am 17.
Juli kehrte Mao nach Peking zurück. Am 18. und 19. Juli besetzten die Soldaten unter
74
Vgl. Heizig 1968:8. 75
Siehe den Inhalt der „16 Punkte“ im Anhang dieser Arbeit, S. 216;Vgl. auch Domes 1971:
148. 76
Vgl. Weggel 1989:251.
58
dem Befehl des Kommandeurs Yang Chengwu die Gebäude des ZK der KPCh und
riegelten den Wohnbezirk der Mitglieder der Führungsspitze ab.77
Durch den Einsatz
von Soldaten wurde die von Liu Shaoqi geplante ZK-Sitzung verhindert.
Zwei Wochen später beriefen die Maoisten das 11. Plenum des 8. Zentralkomitees
ein. Viele reguläre Mitglieder, die zu diesem Zeitpunkt bereits verfolgt wurden,
konnten an diesem Plenum nicht teilnehmen. Das 11. Plenum, das von den
pro-Maoisten durch „revolutionäre Lehrer und Studenten“ ergänzt wurde, wählte ein
neues Politbüro. Liu Shaoqi sank in der Hierachie vom 2. auf den 8. Rang. Hingegen
wurde Lin Biao einziger Vizevorsitzender des ZK und rückte auf Platz zwei vor. Die
Maoisten Chen Boda und Kang Sheng wurden in den Ständigen Ausschuss des
Politbüros aufgenommen. Die Liuisten Peng Zhen und Lu Dingyi wurden aus dem
Führungsgremium ausgeschlossen.
Wie war nun die Stellung des damaligen Ministerpräsidenten Zhou Enlai, der eine
wichtige Rolle in der VR China spielte ? Dies kommentierte Jürgen Domes
folgendermaßen:
Die Stellung Zhou Enlais blieb bei der Umbesetzung der Führungsspitze unangetastet.
Er hatte es offenbar, wie schon bei früheren innerparteilichen Konflikten, wiederum
verstanden, sich rechtzeitig auf die Seite der stärkeren Gruppe zu stellen, [...]78
Zhou stand nun an der Seite der Maoisten, die jetzt acht von elf Stimmen im
Ständigen Ausschuss innehatten.
Am 5. August schrieb Mao Zedong während des 11. Plenums des 8.
Zentralkomitees eigenhändig die Wandzeitung „Das bürgerliche Hauptquartier
bombardieren“, in der er sich direkt gegen die „Revisionisten innerhalb der Partei“,
nämlich Liu Shaoqi und Deng Xiaoping wandte.
Der Widerstand von Liu und Deng war zuerst in der Zentrale der KPCh spürbar.
Liu und Deng versuchten im Oktober mit Marschall He Long und Chen Yi die
77
Vgl. Domes 1971:148. 78
Domes 1971:149.
59
Kulturrevolution in ruhigere Bahnen zu lenken. Liu war auch bereit, „Selbstkritik“ zu
üben und seine „Fehler“ zu korrigieren. So konnte ein Chaos in der VR China
vermieden werden. Liu wollte dennoch seinen Platz im Politbüro behalten. Aber die
Roten Garden forderten am 20. Oktober zum ersten Mal in der Öffentlichkeit den
Rücktritt Liu Shaoqis und Deng Xiaopings. Selbstverständlich lief diese Aktion unter
der Führung der Maoisten, da diese Forderung von Seiten der chinesischen
Jugendlichen unvorstellbar war. Hier weisen die deutschen Wissenschaftler daraufhin,
dass Maos Ehefrau Jiang Qing die Rolle der Vertreterin der Maoisten spielte. Zu
Beginn der Kulturrevolution wurde Jiang Qing die treueste Mitkämpferin und beste
Schülerin Mao Zedongs genannt. Sie gab den Roten Garden Maos Anweisungen. Um
die Macht der Liuisten auf regionaler und lokaler Ebene zu brechen, trieben die
Maoisten die Roten Garden zum „revolutionären Erfahrungsaustausch“ in den
Produktionsstätten an, wo sie neue Führungsorgane nach dem Vorbild der Pariser
Kommune bilden sollten. Auf diese Weise breiteten sich die Konflikte zwischen den
Maoisten und Liuisten schnell von Peking über weite Gebiete Chinas aus. In den
Fabriken und Dörfern gründeten sich zahlreiche Verbände der „Revolutionären
Rebellen“ (Geming Zaofantuan 革命造反团,Organisationen von Arbeitern und
Bauern). Im Januar besetzten die Shanghaier „Arbeiterrebellen“ das
Verwaltungsgebäude der Stadt und übernahmen die Redaktion der größten Zeitung
der Stadt (Jiefang Ribao 解放日报). Der Shanghaier Oberbürgermeister Chao Diqiu
und der erste Parteisekretär Chen Pixian wurden von
„Arbeiterrebellen“ festgenommen, und die „Revolutionären Rebellen“ kamen an die
Macht.79
Das Vorgehen der Maoisten in Shanghai wurde als „Revolutionärer Sturm
im Januar“ gelobt und zum Modellfall für ganz China erklärt. “Die
Machtergreifungsaktionen“ entfalteten sich sehr schnell; fast alle Provinz- und
Städteleiter wurden von den Roten Garden und „Revolutionären Rebellen“ als
Anhänger des „Konterrevolutionären revisionistischen Hauptquartiers um Liu Shaoqi
und Deng Xiaoping“ kritisiert. Die Machtergreifungsaktionen der Maoisten trafen auf
79
Vgl. Domes 1971:156.
60
großen Widerstand der Liuisten.
Schließlich gab es fast in jedem Danwei (Grundeinheit) zwei einander
bekämpfende „Revolutionäre Rebellen“;einer unterstützte die alten Funktionäre, der
andere versuchte, sie zu stürzen. Das Volk bewaffnete sich selbst und bekämpfte sich
untereinander. So erlitt das Land die schwerste Krise seit 1949.
Jürgen Domes ist der Meinung, dass der Machtergreifungsfeldzug der Maoisten
am Widerstand der Bevölkerung scheiterte.
Mao sah sich schließlich gezwungen, die Armee zu Hilfe zu rufen.80
Die VBA
war Maos Haupttrumpf, den er bisher in der Hinterhand gehalten hatte. Gerade zu
dieser Zeit führte der Zusammenbruch der Partei- und Verwaltungsorgane in den
Provinzen zu einem Machtvakuum. Die VBA als einziges noch intaktes Organ füllte
diese Lücke. Das erste Revolutionskomitee, das sich aus Soldaten der VBA, den
Funktionären und den Vertretern der Massenorganisationen zusammensetzte, entstand
Ende Januar 1967. Solche Revolutionskomitees bildeten sich daraufhin in jeder
Provinz. Ende März 1967 gingen die Maoisten einen Schritt weiter gegen die Liuisten
vor. Die Zentrale beschloss, die Kritik an Liu Shaoqi in die Öffentlichkeit zu tragen.
Von diesem Augenblick an hatte Liu Shaoqi seinen Einfluss auf die Partei- und
Staatsmacht verloren.
Die Maoisten verfassten 1967 den Entwurf des neuen Parteistatuts, um die
Säuberung der Partei von Liuisten vornehmen zu können. Dieser Entwurf wurde am
31. Oktober 1968 vom 12. Plenum des 8. Zentralkomitees angenommen. Das Plenum,
das mit dem ehemaligen ZK kaum mehr identisch war, verurteilte Liu Shaoqi als
Parteifeind, enthob ihn aller Ämter und schloß ihn aus der Partei aus.81
Danach war
Liu Shaoqi von der politischen Bühne der VR China völlig verschwunden. Laut
späteren Angaben aus chinesischen Quellen starb Liu Shaoqi 1969 im Gefängnis der
Provinz Henan.82
80
Vgl. Domes 1971:159. 81
Vgl. Groeling1972:90-91. 82
Im Februar 1980 auf dem 5. Plenum des 11. Zentralkomitees der KPCh in Peking wird die
61
2.3 Der Sturz Lin Biaos
In der deutschen wissenschaftlichen Literatur wird Lin Biao allgemein als Maoist und
Radikaler beurteilt. Die Pflicht zum Auswendiglernen von Maos „kleinem roten
Buch“ ist auf seine Initiative zurückzuführen. Lin Biao startete Kampagnen zum
„lebendigen Studium und zur lebendigen Anwendung der Lehre Mao Zedongs“ (Huo-
xuehuoyong Mao Zedong sixiang 活学活用毛泽东思想).
Die „Weiterentwicklung der Lehre Mao Zedongs“ war auch Lins schöpferischer
Beitrag. Dank seines „Genies“ wurde Lin Biao auf dam 9. Parteitag der KPCh 1969
als Nachfolger Maos im Parteistatut ernannt. Es ist nun wichtig zu wissen, aus
welchen Gründen Lin schließlich Maos Ermordung inszenieren wollte. Oskar Weggel
interpretierte diese Situation folgendermaßen:
Je mehr die Kulturrevolution zum Chaos ausartete, umso unentbehrlicher war Lin Biao
mit seinem militärischen Anhang geworden.83
Lin war zum mächtigsten Politiker Chinas neben Mao geworden und stellte
allmählich einen neuen Gegner Maos dar. Nicht nur machtpolitisch, sondern auch
ideologisch verbreitete Lin die Gedanken Maos nach seinem Geschmack.
Anfang 1970 veröffentlichte er ein weiteres kleines rotes Buch, die „Wichtigen
Dokumente der GPKR“, in dem er seine Gedanken veröffentlichte und zum Kult
erhob. Dieses Vorgehen konnte Mao nicht länger hinnehmen.
Erik von Groeling argumentiert, dass nach Maos Thesen über den Armeeaufbau
„die Armee stets der Partei unterstehen“(Dang zhihui qiang 党指挥枪) musste, mit
anderen Worten, „Es ist unser Grundsatz, daß die Partei dem Gewehr befiehlt, und es
darf niemals zugelassen werden, daß das Gewehr der Partei befiehlt.“84
postume Rehabilitierung des stellv. Vorsitzenden des ZK der KPCh und Vorsitzenden der VR
China, Liu Shaoqi, beschlossen. 83
Weggel 1989:274. 84
Groeling 1972:99.
62
In diesem Zusammenhang meint Erik von Groeling weiterhin, daß Mao die Armee
nur „für eine kurze Übergangsphase zur Wiederherstellung von Ruhe und
Ordnung“ benutzte. Gerade zu dieser Zeit schickte Lin die Soldaten in die Provinzen,
wo die Parteikomitees gebildet wurden, in denen die VBA-Vertreter eine
dominierende Rolle innehatten. Auf diese Art und Weise versammelte Lin seine
Kräfte landesweit. Anfang der 70er Jahre glaubte Lin, dass seine Zeit nun gekommen
sei, und hegte den Wunsch, den Posten des Vorsitzenden des Landes für sich zu
gewinnen. Mao verwehrte ihm allerdings diese Position und griff zwar nicht Lin
selbst, wohl aber sein Sprachrohr, den Theoretiker Chen Boda an und forderte dessen
Absetzung. In dieser Situation war sich Lin bewusst, dass er vor der Wahl stand,
„entweder klein beizugeben oder aber Nägel mit Köpfen zu machen und vollendete
Tatsachen zu schaffen.“85
Oskar Weggel schreibt: „Lin wählte damals bekanntlich die
Flucht nach vorn...“86
Dies bedeutete nicht, dass Lin mit seinen Anhängern zuerst die
Flucht, sondern das berühmte „Projekt 571“ plante, das einen Sprengstoffanschlag
gegen den Sonderzug Maos vorsah, in dem dieser im Sommer 1971 eine Reise durch
Südchina machte.
Lins Putschkräfte liefen unter dem Namen „Vereinigte Flotte“, die das Ziel „B52“,
d. h. Mao Zedong, vernichten sollten. Als Lins Plan geplatzt war, flüchtete er am
13.09.1971 mit einer Trident-Passagiermaschine. Laut offiziellen chinesischen
Berichten war die Maschine aus Treibstoffmangel über der Mongolischen
Volksrepublik abgestürzt.
Immer noch gibt es für die deutschen Wissenschaftler zwei unverständliche
Tatbestände. Obwohl Lin Biaos Anschlag ungeheuerlich war, gab die chinesische
Regierung erst mit viermonatiger Verzögerung eine Erklärung über Lins Tod ab, so
dass unterdessen der Lin-Biao-Kult in der VR China weiterging, als ob nichts
geschehen wäre. Dies war eine Besonderheit des chinesischen Machtkampfes.
Eine weitere Eigentümlichkeit war die sogenannte „propagandistische Akrobatik“.
Nachdem der Sturz Lin Biaos vollzogen war, setzte eine Kampagne zur „Kritik an Lin
85
Weggel 1989:275. 86
Ebda., 275.
63
Biaos und zur Verbesserung des Arbeitsstils“ ein. Lin Biao wurde zunächst als
„ultrarechtes“ (Jiyou 极右), dann als „ultralinkes Element“ (Jizuo fenzi 极左分子)
und schließlich als Egoist bezeichnet. Lins Verrat, so hieß es, ließ sich bis zum Jahre
1929 zurückverfolgen.87
Diese Kritik an Lin Biao ließ „etwas von der
legitimatorischen Aussichtslosigkeit spürbar werden, in die sich das spätmaoistische
China verrannt hatte.“88
Mit dem Zusammenbruch der „Lin Biao-Clique“ fiel auch
das Militär in eine tiefe Krise.
2.4 Das Ende der „Viererbande“
Die Zeit vom Sturz Lin Biaos im September 1971 bis zum Sturz der „Viererbande“ im
Oktober 1976 wird von Oskar Weggel als eine Phase der Neuordnung unter zivilen
Vorzeichen und unter der Führung Zhou Enlais dargestellt.89
Hingegen bezeichnet
Helmut Martin den oben genannten Zeitraum als eine Phase, die von der radikalen
Shanghai-Fraktion, der „Viererbande“, geprägt wurde.90
Der Bearbeiter dieses
Themas würde als Augenzeuge diese Zeit folgendermaßen beschreiben: auf
wirtschaftlicher und außenpolitischer Ebene hatte Zhou Enlai das Ruder fest in der
Hand, wohingegen die ideologische Ebene von der „Viererbande“ beherrscht wurde.
In der deutschen wissenschaftlichen Literatur wird Zhou Enlai zu den
„Gemäßigten“ (Wenhepai 温和派 ) und die „Viererbande“ zu den Linken oder
Linksradikalen gezählt. Beide Seiten arbeiteten und kämpften sowohl miteinander als
auch gegeneinander. Die deutschen Wissenschaftler beschreiben Maos Ehefrau Jiang
Qing als „legitimierte Leitfigur“ der „Viererbande“ und Wang Hongwen als
stellvertretenden Parteivorsitzenden (seit 1973), der die Propagandaarbeit leistete.
Zhang Chunqiao und Yao Wenyuan blieben die führenden Köpfe des ideologischen
87
Vgl. Weggel 1989:276. 88
Ebda., 276. 89
Ebda., 277. 90
Vgl. Martin 1980:50.
64
Radikalismus. Diese vier Spitzenkader wurden von Mao unterstützt, weil er sie als
linientreu erachtete und als die jungen Revolutionäre der Zukunft ansah.91
Helmut Martin betont weiterhin, dass die „Viererbande“ sich vor allem der
Gestaltung des Mao-Kultes zuwandte. Sie brachte „eine sich verstärkende
Einflußnahme auf den Mao-Kanon“92
und beherrschte die Propagandainstrumente als
ihre Grundlage.
Er meint auch, dass die propagandistischen Methoden der „Viererbande“ denen
Lin Biaos ähnelten. Sie traten in die Fußstapfen Lin Biaos und entwickelten einen
eigenen „Shanghai-Stil.“ Die „Viererbande“ gründete Massenkritikgruppen als ihre
„Speerspitzen“ und verwendete Mao-Zitate, womit sie die Garde der alten Kader um
Zhou Enlai in der Regierung schwächte und „eine im Sinne der Radikalen günstige
Umbesetzung von Kadern in den Provinzen erreichte.“93
Es war für die „Viererbande” sehr wichtig, den Zugang zum erkrankten Mao
weitgehend zu monopolisieren. Maos Ehefrau und sein Neffe Mao Yuanxin spielten
mittlerweile eine Hauptrolle, da sie durch sogenannte neue Anweisungen des greisen
Mao die Gemäßigten um Zhou Enlai bedrohten. Dies war insofern ungewöhnlich, da
sich Verwandte von hohen Staatsmännern normalerweise nicht in die Politik
einmischten. Für diese Tatsache bemüht sich Helmut Martin um eine Erklärung:
Es hatte sich eine Hofkamarilla als engster Kreis um Mao herausgebildet, die anderen
den Zugang systematisch zu verwehren verstand.94
Zu fragen ist hier auch, inwieweit die „Gemäßigten“ mit der
„Viererbande“ zusammenarbeiteten bzw. gegen sie kämpften. Die „Gemäßigten“ um
Zhou Enlai und die „Viererbande“ betrieben den Mao-Kult zusammen;aus ihrer Sicht
war Maos Position in der Welt ideologisch-theosophisch festgelegt. Mao war ihr
91
Vgl. Martin 1980:50. 92
Vgl. ebda., 51. 93
Ebda., 53. 94
Ebda., 53.
65
größter Führer und das größte Genie der Welt. Was Mao sagte entsprach der Wahrheit,
so dass seine wichtigen Anweisungen bedingungslos befolgt werden mussten. So galt
Mao Zedong als der Inbegriff der „grenzenlos strahlenden Sonne.“
Adrian Hsia geht sogar so weit, den Maoismus in diesem Zusammenhang als
Religion zu bezeichnen.95
Einerseits propagierten die „Gemäßigten“ an der
Oberfläche als Unterstützer diesen „religiösen Maoismus“. Andererseits arbeiteten sie
im Untergrund gegen Mao, um die Ordnung der chinesischen Gesellschaft wieder
herzustellen. Im Jahre 1972/73 kamen allmählich die „Gemäßigten” in den Partei- und
Regierungsorganen an die Macht ; die Wissenschaftler und Gelehrten wurden
rehabilitiert und die alten Kader nahmen wieder ihre früheren Posten ein. Deng
Xiaoping bekleidete das Amt des Vize-Ministerpräsidenten. Da Zhou Enlai im
Krankenhaus lag, blieben die Tagesgeschäfte der Regierung fast ganz Deng Xiaoping
überlassen.
Im Jahre 1975 brachte Zhou Enlai zum ersten Mal das Thema der
„Modernisierung“ im Bereich der Landwirtschaft, der Industrie, der
Landesverteidigung und der Wissenschaft (welche heute in der VR China die „Vier
Modernisierungen“ genannt werden) an die Öffentlichkeit.96
Nach Meinung Oskar
Weggels war die „Renormalisierung im Zeichen der Politik Zhou Enlais“ eine
Bedrohung für die „Viererbande“, die sich fragte, ob „eine Rückkehr zum Liuismus
ohne Liu Shaoqi im Gange sei.“ Die „Viererbande“ startete die Gegenoffensive,
indem sie die neue Losung, „gegen die herrschende Strömung schwimmen“ als ein
„marxistisch-leninistisches Prinzip“97
pries. Offenbar galt dieser Angriff den
„Gemäßigten“ um Zhou Enlai, obwohl der Name Zhou Enlai nie ausgesprochen
wurde. Immer häufiger war in Verbindung mit Zhou Enlai von einem „Rückfall zu
den Rechten“ die Rede. Als Opfer der „Gemäßigten“ wurde Deng Xiaoping schon
nach kurzer Zeit seines Postens an der Regierungsspitze enthoben. Die
„Viererbande“ kam während dieser Jahre nicht nur bei der Programmgestaltung,
95
Vgl. Hsia 1971:262 96
Vgl. Weggel 1989:278. 97
Ebda., 279.
66
sondern auch bei der Neubesetzung der Regierungsposten zu kurz. Zhang Chunqiao
wurde zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt. Er schien ein wichtiger
Nachfolger des Ministerpräsidenten Zhou Enlais zu sein. Die Machtkämpfe zwischen
den „Gemäßigten“ und der „Viererbande“ waren sehr kompliziert. Aufgrund der
politischen Undurchsichtigkeit der chinesischen Regierungsverhältnisse konnten die
ausländischen Wissenschaftler vollständige Informationen über die „internen
Kämpfe“ nur schwer in Erfahrung bringen. Deshalb können sie diesen Prozess nur
relativ vereinfacht darstellen.
Die deutschen Wissenschaftler meinen, dass das Jahr 1976 aufgrund der vielen
Ereignisse das Jahr einer historischen Wende in der chinesischen Geschichte war.
Zuerst wurde am 28.7.1976 die Stadt Tangshan von einem gewaltigen Erdbeben
erschüttert, bei dem 242.000 Chinesen ums Leben kamen und die Stadt völlig zerstört
wurde. Mit der Naturkatastrophe kamen die „politischen Hiobsbotschaften.“ In dem
schicksalsschweren Jahr 1976 starben der Ministerpräsident Zhou Enlai, der
Mitgründer der VBA Zhu De und der Parteivorsitzende Mao Zedong kurz
nacheinander. Die drei mächtigsten Politiker der VR China waren zur „Audienz bei
Marx“ angetreten.
Wie in der deutschen wissenschaftlichen Literatur betont wird, setzte das Ringen
um die Nachfolge gleich nach dem Tod des Vorsitzenden ein. Oskar Weggel
dokumentiert die Nachfolgekämpfe zwischen der „Viererbande“ (Linke Fraktion) und
den „Gemäßigten“ (Rechte Fraktion) deutlich an drei Ereignissen:
Erstens bereitete die „Viererbande“ schon vor dem Tod Maos „schwarze
Materialien“ über ihre Gegner vor, nämlich gegen die Rechte Fraktion um Deng
Xiaoping, wobei sie bestrebt waren, ihre politische Macht festzuhalten und zu
vergrößern. Zur gleichen Zeit trieb die „Viererbande“, an deren Spitze Maos Ehefrau
Jiang Qing stand, die Propaganda über die wichtige Funktion der chinesischen
Kaiserinnen in der Geschichte voran. Weiterhin baute sie in Shanghai städtische
Milizen (auch zweite Streitmacht genannt) auf. Eigentlich aber waren diese
städtischen Milizen im Vergleich zur VBA sehr schwach.
Zweitens ereignete sich der „Tiananmen-Zwischenfall“ Anfang April 1976. Am
67
Allerseelentag der Chinesen versammelten sich Millionen von Trauernden aus dem
ganzen Land auf dem Platz des Himmlischen Friedens, um des verstorbenen
Ministerpräsidenten Zhou Enlais zu gedenken. Diese Massentrauer stellte einen
Protest gegen die Kulturrevolution und gegen die „Viererbande“ dar. In den
zahlreichen Handzetteln wurde Deng Xiaoping gelobt und Jiang Qing indirekt
verdammt. In der Tat war dies ein großer Schock für die Führung. Am 5. April ließ
Jiang Qings Anhänger, der Pekinger Bürgermeister Wu De, den Tiananmen-Platz von
Sicherheitskräften umstellen. Die „5. April-Bewegung“ wurde von der Regierung
schließlich niedergeschlagen. Wieviele der Demonstranten verhaftet bzw. getötet
wurden, blieb bisher ungeklärt.
Drittens bildeten die Generäle der VBA eine anti-kulturrevolutionäre Front, deren
wichtigste Mitglieder der damalige Verteidigungsminister Ye Jianying, der alte
Marschall Liu Bocheng, sowie die Generäle Chen Xilian (Militärregion Peking), Li
Desheng (Militärregion Shenyang) und Xu Shiyou (Militärregion Guangzhou) waren.
Mit dieser militärischen Verbindung wurde der „Viererbande“ ein Streich gespielt. Die
Linken und Rechten Fraktionen rangen heftig um die Nachfolge Maos, jedoch kam
tatsächlich niemand von ihnen an die Macht. Ein neuer Mann aus der Mitte wurde als
Nachfolger Maos zum Vorsitzenden des ZK und der ZK-Militärkommission ernannt,
nämlich Hua Guofeng. Hua war schon seit langer Zeit als Provinzführer und erst seit
kurzem als Minister in der zentralen Regierung tätig. Wie Helmut Martin untersucht,
war diese „unterminierte institutionelle Autorität [...] nicht genug, den Nachfolger
Hua Guofeng ausreichend zu stützen, zumal dieser nicht als historische Figur gelten
konnte wie die älteren Führer.“98
Warum Hua Guofeng letztendlich doch Maos
Position übernehmen konnte, kann nur vermutet werden. In der deutschen
wissenschaftlichen Literatur kann man lesen, dass Mao, als er von dem
Tiananmen-Zwischenfall hörte, „erstarrte“;dass dies für ihn ein Schock war, von dem
er sich nicht mehr erholte. Im letzten Moment schrieb Mao für Hua Guofeng in
seinem „Ermächtigungsgesetz“: „Wenn Du die Sache in die Hand nimmst, bin ich
98
Martin 1980:63.
68
beruhigt!“ (Ni banshi wo fangxin 你办事,我放心).99
So setzte Mao Hua Guofeng
als Nachfolger ein.
Die deutschen Wissenschaftler meinen, dass Hua Guofeng offenbar eine
Kompromissfigur zur rechten Zeit am rechten Ort war, da er sowohl im
entscheidenden Moment nach Zhou Enlais Tod im Januar 1976 als
Kompromisskandidat zwischen der Linken und der Rechten Fraktion dastand, als
auch das Wohlwollen Maos genoss.100
Nur drei Wochen nach dem Tod Maos wurde die „Viererbande“ am 6. Oktober
1976 verhaftet. Oskar Weggel nennt die Verhaftung der „Viererbande“ den „zweiten
Staatsstreich“ (als erster Staatsstreich galt der Sturz der Liuisten), der genau wie der
erste Staatsstreich „nicht verfassungs- und statutengemäß“ initiert worden war.101
Zum Bedauern des Autors dieser Arbeit gehen die deutschen Wissenschaftler nicht
ausführlich darauf ein, was die tieferen Gründe für den Sturz der „Viererbande“ waren
und warum man so schnell unter der Führung von Maos Nachfolger Hua Guofeng
Maos Ehefrau Jiang Qing ins Gefängnis werfen konnte. Diese Fragen wären für die
Untersuchung des kommunistischen Systems noch von aktuellem Wert.
99
Ebda., 63. 100
Vgl. Martin 1980:62. 101
Vgl. Weggel 1989:287.
69
Kapitel 3: Die Rolle der Armee
3. Die Rolle der Armee während der Kulturrevolution
Die chinesische Volksbefreiungsarmee ist einer der wichtigsten Bestandteile der
chinesischen Gesellschaft. Sie wurde am 1. August 1927 in Südchina gegründet. Ihr
wichtigster Gründer war der 1976 verstorbene Marschall Zhu De. Nach dem
militärischen Gedanken Mao Zedongs sollte die VBA nicht nur eine Kampftruppe,
sondern auch eine Produktionstruppe und schließlich eine Truppe der politischen
Propaganda sein. In diesem Zusammenhang sind die deutschen Wissenschaftler der
Meinung, dass die VBA eine „umfassende Rolle“ während der Kulturrevolution
spielte. Mit der Unterstützung der VBA konnte Mao Zedong die „beispiellose große
proletarische Kulturrevolution“ durchführen.
3.1 Die Machtkämpfe in der Armee: Aufstieg der Maoisten
Bei der Betrachtung der Geschichte der VBA fallen sofort die engen Beziehungen
zwischen Armee und Partei einerseits und Armee und Macht andererseits auf. Aus
dieser Konstellation folgert Adrian Hsia:
Die Volksbefreiungsarmee Chinas stellt also kein Vakuum in der chinesischen
Gesellschaft dar und spiegelt deswegen die Widersprüche in der letzteren wider.102
Die Machtkämpfe zwischen Maoisten und Liuisten hielten auch in die Armee Einzug.
Zu Beginn der Kulturrevolution 1966 wurde der Generalstabschef der VBA, Luo
102
Hsia 1971:230.
70
Ruiqing, der zum „Hauptquartier“ um Liu Shaoqi und Deng Xiaoping gehörte,
entmachtet. Er wurde beschuldigt, die Armee zu einer „rein militärischen
Einheit“ umgewandelt zu haben, anstatt sie mit „Mao Zedongs Ideen“ zu wappnen.
Luos Argument „Waffen entscheiden alles“ wurde als absolut falsche militärische
Theorie von den Maoisten kritisiert.
Jürgen Domes betonte, dass die Verdrängung Luo Ruiqings aus dem Amt des
Generalstabschefs dazu führte, dass Lin Biaos Kontrolle über die Armeespitze sich
zunächst wieder festigte.103
Im Frühjahr 1966 besetzten die Soldaten die Amtsräume des Pekinger
Stadtkomitees, das unter der Führung des Liuisten Peng Zhen stand. Lin Biao
verbündete sich mit den Linksextremisten des Gewerkschaftsbundes, um die Liuisten
in der Regierung anzugreifen. Am 4. Mai 1966 benutzte die Armeezeitung in ihrem
Leitartikel zum ersten Mal den Begriff „Kulturrevolution“ und veröffentlichte
Literaturkritiken. Die Armeezeitung galt „als offizielles Sprachrohr der Parteiführung
und als Richtschnur für den gesamten Propagandaapparat Rotchinas...“104
Die VBA
diente „als eines der bedeutsamsten Machtinstrumente der Linksextremisten.“105
Jürgen Domes schrieb über die wachsende Bedeutung der Armeeführung
folgendes:
Besonders deutlich aber wurde der Einfluß der Streitkräfte, und hier vor allem des
Politapparates der VBA, in dem Prozeß des Aufbaus der Roten Garde.106
Zweifellos stellte die Rote Garde in manchen Provinzen eine im wesentlichen spontan
entstandene Organisation dar. Allerdings war sie von der Mitwirkung der VBA und
der Partei abhängig. Dies wurde auch durch Augenzeugenberichte bestätigt.107
Im Januar 1967 nahm die VBA noch intensiver als zuvor an der Kulturrevolution
103
Vgl. Domes1967:84. 104
Ebda., 86. 105
Ebda., 85. 106
Ebda., 86. 107
Ebda., 87.
71
teil. Unter der Parole „Drei Unterstützungen, zwei militärische Aufgaben“ (Sanzhi
liangjun 三支两军) wurden die Truppen zuerst in einigen Provinzen, dann landesweit
eingesetzt. Die VBA sollte die Landwirtschaft, die Industrie und die sogenannten
„Linken“ unterstützen und gleichzeitig für die militärische Ausbildung der
Bevölkerung sowie für die Militärkontrolle in allen sensiblen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens sorgen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses „3-2
System“ nun zur generellen Rechtfertigung für die zunehmende Kontrolle des
gesamten zivilen Lebens durch die VBA wurde.108
Adrian Hsia weist weiterhin nach, dass der VBA bei der Durchführung des „3-2
Systems“ Fehler unterlaufen sind. Manche Verbände der VBA unterdrückten die
Linken.109
Es war für die Armee sehr kompliziert zu wissen, wer eigentlich wirklich
die Linken waren. Die Meinungen darüber divergierten sehr. In der Armee selbst
musste zuerst die eigene Opposition beseitigt werden. Im Zuge dieser Säuberungen in
der Armeeführung wurden viele Marschälle und Generäle entmachtet, deren
prominentestes Opfer Marschall He Long war. Er wurde immer häufiger „als
führender Gegner der Linksextremisten in der VBA“ angegriffen.
In der deutschen wissenschaftlichen Literatur werden der Verteidigungsminister
Lin Biao und Maos Ehefrau Jiang Qing als Maos engste Anhänger in der VBA
dargestellt. Lin Biao begann die Armee zu „Maoisieren“; schließlich gab es unter der
Führung Lin Biaos in der VR China eine Bewegung, die forderte, dass jeder Chinese
Mao-Zedong-Ideen lernen musste. Mao galt als die „aller-aller-allerröteste Sonne“, als
der „Große Mentor“, als der „Große Oberkommandierende“ bzw. als der „Große
Steuermann“. Sein Denken war ein „Kompaß“, die Ideen Mao Zedongs wirkten als
ein „Fabao“(法宝), d. h. als eine Art magische Waffe, wie sie in den buddhistischen
Sutren vorkommt. Mao wurde von den Chinesen wie ein Gott verehrt. Oskar Weggel
schreibt hierzu:
Die Maoisierung der VBA kam nicht nur dem Vorsitzenden zugute, sondern lohnte sich
108
Vgl. Weggel 1989:265. 109
Vgl. Hsia 1971:232.
72
ganz besonders für den Verteidigungsminister, der als engster Waffengefährte Maos
gepriesen wurde.110
Lin Biao wurde im Statut der KPCh 1969 als Maos Nachfolger eingetragen. Seine
Leute besetzten immer mehr wichtige Schlüsselpositionen in der VBA und der Partei.
Auch Maos Ehefrau Jiang Qing spielte neben Lin Biao eine besondere Rolle in der
VBA, als sie ab dem 28. November 1967 die Position der Beraterin für kulturelle
Angelegenheiten in der VBA bekleidete. In der gleichen Funktion diente sie ebenfalls
der „Gruppe der Kulturrevolution in der VBA“, die im Oktober 1966 gebildet wurde.
In diesem Gremium stieg Jiang Qing zur einflussreichsten Persönlichkeit auf. Schon
im Februar 1966 veranstaltete sie zusammen mit dem Verteidigungsminister Lin Biao
eine „Konferenz über die literarische und künstlerische Arbeit in der VBA“. In dieser
Konferenz wurde beschlossen, dass die „Literatur und Kunst der vergangenen 17
Jahre“ (also seit 1949) „von einer einzigen schwarzen Linie“ durchzogen sei, die es zu
korrigieren gelte. Der Vorwurf der sogenannten „schwarzen Liste“ richtete sich gegen
Liu Shaoqi. Dies war ein schwerer Schlag gegen die Liuisten in der VBA. Von nun an
bekämpften Jiang Qing und Lin Biao mit der Unterstützung der VBA die Liuisten.
3.2 Die Rolle der Armee als Ordnungshüterin
Obgleich es während der Kulturrevolution verbreitet zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen kam (man spricht sogar von „zehn Jahren Chaos“), gab es
jedoch keinen Bürgerkrieg. Wenn man die Geschichte der Kulturrevolution untersucht,
kann man bemerken, dass Mao Zedong die VBA immer fest in seiner Hand hielt. Die
VBA war die Ordnungshüterin im Lande. In der deutschen wissenschaftlichen
Literatur, so z. B. bei Jürgen Domes, wird die Rolle der VBA als Ordnungshüterin in
der chinesischen Gesellschaft während der Kulturrevolution folgendermaßen gesehen:
110
Weggel 1989:268.
73
Die VBA übernahm die volle Verantwortung für Unterkunft und Versorgung der in
Peking eintreffenden Rotgardisten. Sie hatte für diese Aufgabe anscheinend erhebliche
Kräfte freigestellt.111
Die VBA organisierte den Transport, um die Roten Garden nach Peking zu bringen.
Die Roten Garden wurden von Soldaten betreut und wohnten, aßen, lasen und
diskutierten die Schriften Maos zusammen mit ihnen. Als die Ausschreitungen der
Roten Garden in der Anfangsphase der Kulturrevolution 1966 einen erheblichen
Widerstand in der Bevölkerung hervorriefen, wurde die VBA eingesetzt, um die
besonders extremistisch agierenden Gruppen der Roten Garden zu disziplinieren.
Adrian Hsia meint hierzu, dass die Armee als einziger noch funktionierender
Staatsapparat notgedrungenerweise die Aufgabe der regionalen Partei- und
Regierungsgremien übernehmen musste. In dieser Krise musste Mao die Soldaten in
die Fabriken, Bergwerke, Volkskommunen, Finanz- und Wirtschaftseinheiten, bis hin
zu Schulen entsenden, um zusammen mit den revolutionären Massen und lokalen
Funktionären die Revolutionskomitees zu bilden.112
Die Revolutionskomitees waren neue Machtorganisationen für die Maoisten in der
Kulturrevolution. Während China 1967 im Chaos zu versinken drohte, bildete sich in
der Provinz Shanxi zuerst das Modell einer „Dreierallianz“, an dem sich die Vertreter
der Massen, der Kader und der Armee beteiligten und das schon bald den Namen
Revolutionskomitee (Gemingweiyuanhui 革 命 委 员 会 ) führte. In den
Revolutionskomitees spielten die Vertreter der Armee die wichtigste Rolle. So weist
Oskar Weggel daraufhin, dass die Herrschaft der VBA auf dem Umweg über die
Revolutionskomitees zustande kam.113
Ganz genauso schrieb Jürgen Domes über die Revolutionskomitees:
111
Domes 1967:89. 112
Vgl. Hsia 1972:235. 113
Vgl. Weggel 1989:269.
74
Die Zusammensetzung dieses Komitees stellt, wie die rotchinesische
Nachrichtenagentur...feststellte, ein Modell für die Bildung weiterer Ausschüsse dieser
Art dar: etwa 50% ihrer Mitglieder sollen die maoistischen Verbände und jeweils etwa
25% die VBA-Garnison und die revolutionären Kader vertreten.114
Anfangs wurden die Revolutionskomitees nur in einigen Provinzen wie Heilongjiang,
Shandong und Shanxi gegründet;es dauerte noch längere Zeit, bis sich die Linken
schließlich in allen Provinzen durchsetzen konnten.
In den übrigen Provinzen und autonomen Regionen Chinas stellte sich eine andere
Situation dar, die aus der Sicht von Jürgen Domes durch folgende Gegebenheiten
geprägt wurde: In einigen Provinzen wie z. B. Zhejiang unterstützte die VBA
lediglich die „Revolutionären Rebellen“. Da die Armee bei der
„Machtergreifung“ nicht mitmachte, bildeten sich dort auch keine
Revolutionskomitees. Weiterhin gab es die Spitzenfunktionäre der Provinzen, die
nicht Anhänger von Mao Zedong und Lin Biao waren und natürlich ihre Macht nicht
durch die Revolutionskomitees ersetzt sehen wollten. In diesen Fällen ereigneten sich
die sogenannten Machtergreifungskämpfe, während derer Panzerwagen durch die
Straßen fuhren, und es zu Schießereien zwischen den „Revolutionären Rebellen“ und
den „konterrevolutionären Elementen“ kam.
Im Vergleich zu Jürgen Domes gibt Oskar Weggel eine andere Interpretation über
die Bildung der Revolutionskomitees:
Inzwischen waren den Maoisten im ZK Bedenken genommen. War es nicht gefährlich,
den Lin-Biao-Kräften ganz allein das Feld zu überlassen?Sollte man nicht besser die
als Gegengewicht tauglichen Rotgardisten- und Rebellen-Verbände wieder auf den Plan
rufen?115
Hier stellt sich eine wichtige Frage zu den politischen Schachzügen Maos. Am Anfang
114
Domes1967;103. 115
Weggel 1989:270.
75
der Kulturrevolution benötigte Mao militärische Unterstützung, um das Hauptquartier
Liu Shaoqis zu zerschlagen. Lin Biao hatte diese Chance rechtzeitig genutzt, um an
der Seite Maos gegen Liuisten zu kämpfen. Als Belohnung fiel ihm die Position des
stellvertretenden Vorsitzenden der KPCh zu. Wenn sich Mao jedoch in seiner Macht
bedroht fühlte, schlug er seine Gegner immer vernichtend, was sich sowohl im Falle
von Lin Biaos Anschlag, als auch während der Machtkämpfe innerhalb der KPCh
zeigte. Aus Maos Kunstgriff in der Politik begann sich im April 1967 eine
Renaissance der Rotgardisten- und Rebellenbewegung zu entwickeln, die als
„Gegengewicht“ zu Lin Biaos militärischen Kräften fungierten. Aufgrund der
schweren Ausschreitungen der Roten Garden musste Mao aber bald mehr Gewicht auf
die VBA legen.
Im August 1967 wurde das Außenministerium von den Rebellengruppen besetzt,
um eine Zeitlang „rotgardistische Außenpolitik“ zu betreiben, wobei die Roten
Garden die Botschaft Großbritanniens in Brand steckten. Auch in der Stadt
Guangzhou wurden Fabriken, Büros und Verkehrsknotenpunkte von Roten Garden
besetzt. Lin Biao ließ durch Truppen die von den Rebellen besetzten Einheiten
durchkämmen, wobei es Hunderte von Toten gab. Solche Fälle wiederholten sich in
vielen anderen Städten des Landes. In dieser Zeit bürgerkriegsartiger Stimmung rief
Mao die „Große Allianz“ zwischen den Mitgliedern der Arbeiterklasse auf, um die
Widersprüche zwischen der VBA und den Rebellen-Gruppen zu lösen.116
Nun konnte der Aufbau der Revolutionskomitees mit großem Tempo weitergehen.
Mitte 1968 wurden die Revolutionskomitees in allen Provinzen gebildet. Von den
insgesamt 216 führenden Mitgliedern der Revolutionskomitees gehörten 33% der
VBA an;außerdem waren nicht weniger als 21 von 29 Positionen des ersten
Vorsitzenden von Offizieren besetzt.117
Jürgen Domes fasst zusammen:
Die VBA hat, wie wir sahen, in der ersten und zweiten Phase sich im Wesentlichen als
116
Vgl. Weggel 1989:271. 117
Vgl. ebda., 272.
76
verläßliches Instrument der Pekinger Führung erwiesen.118
Im übrigen bemühte sich die VBA auch, die „sozialistische Wirtschaft“ zu entwickeln.
Im Jahr 1967 hatten Mao und Lin Biao die Parole ausgegeben: „Ergreift die
Revolution! Fördert die Produktion! “ (Zhuageming cushengchan! 抓革命 促生产!),
d. h., dass nun die VBA nicht nur eine politische Revolution anstrebte, indem sie z. B.
Mao Zedongs Ideen propagierte, die Bewegung der Roten Garden unterstützte sowie
an den Revolutionskomitees teilnahm; sie sollte nun auch die Produktionsarbeit
antreiben, bzw. den Bauern und Arbeitern bei der Massenproduktion helfen. So
erhielten z. B. die Einheiten der VBA in vielen Provinzen des Landes im Frühling
1967 den Befehl, „den Bauern bei der Frühjahrsbestellung zu helfen.“ Die VBA
schickte ihre Vertreter auch in die großen Fabriken, wo sie die Aufgabe „Ergreift die
Revolution! Fördert die Produktion!“ erfüllen sollten. Nach Maos Vorstellung war die
VBA nicht nur eine Kampftruppe, sondern auch eine Produktionstruppe. Sie sollte in
Kriegszeiten kämpfen und in friedlichen Zeiten produzieren. Außerdem sollte die
VBA zusätzlich als eine Truppe der politischen Propaganda fungieren. Oskar Weggel
erklärte dazu:
Angesichts der allumfassenden Rolle der VBA als Produzentin, Ordnungshüterin,
Schlichterin bei politischen Kampagnen, Grenzschützerin, Bremserin von
Liberalisierungsansätzen, nicht zuletzt aber auch als Pressuregroup und
Königsmacherin, gehörte es zum vorrangigen Anliegen jeder politischen Führung, die
dienende Funktion des Militärs gegenüber der Partei sicherzustellen, also Gefahren des
Bonapartismus abzublocken.119
118
Domes 1971:118. 119
Wegggel 1989:265.
77
3.3 Die Autorität Mao Zedongs in der Armee
In der Kulturrevolution hat die VBA tatsächlich eine allumfassende Rolle gespielt;
deshalb konnte Mao mit der Unterstützung der VBA alle politischen und
wirtschaftlichen Krisen überwinden. Trotzdem entfachten immer wieder feindliche
Widersprüche zwischen Maoisten und Liuisten, dass sich beinahe ganz China im
Chaos befand. Dass die Situation dennoch nicht in einem Bürgerkrieg eskalierte,
erscheint aufgrund der folgenden zwei Faktoren einleuchtend:
Erstens besaß Mao eine so starke Autorität in der VBA, dass man ihn als
Führerfigur nicht in Frage stellte. Sein Wort war Gesetz, dem nicht widersprochen
werden durfte. Lin Biao sagte einmal in diesem Zusammenhang:
Wir müssen die Weisungen des Vorsitzenden Mao ausführen;die, die wir verstehen
ebenso wie die, die wir nicht verstehen.120
Folglich war die VBA völlig Mao Zedong unterstellt.
Zweitens bezeichnet man die VBA als die Armee des Volkes. Die Beziehungen der
Armee zum Volk werden in China durch die Metapher des Fisches, der nicht ohne
Wasser leben kann, beschrieben. Die Soldaten, die aus der Bauernschaft rekrutiert
wurden, hatten zwar keine gute Ausbildung, waren aber sehr gehorsam. Es war
unvermeidbar, dass bei der Aufgabenerweiterung der VBA Probleme mit den Massen
entstanden. Um dem entgegenzuwirken, befahl die chinesische Führung Anfang 1967
den Truppen:
daß sie keine Waffen gegen die Rebellenorganisationen verwenden, sondern sie nur
politisch bearbeiten dürften; dass die Truppen nur mit der Genehmigung der
Parteizentrale die Rebellengruppen als reaktionär oder konterrevolutionär deklarieren
dürften;dass sie keine Rache an den Massen ausüben dürften, die die Truppen
120
Kubin (Hrsg.), Orientierungen, Bonn 1/1989:112.
78
attackiert hatten, und dass überhaupt nur eine sehr beschränkte Anzahl von
ausgesuchten hartnäckigen Rebellen angegriffen werden dürfte;dass die militärischen
Mannschaften nicht die Massen herumkommandieren, sondern ihnen gut zureden
müssten.121
Andererseits wurden die Massen von der chinesischen Führung davor gewarnt, dass
ihre Haltung gegenüber der VBA das Erkennungszeichen für die wahrhaft
proletarische Revolution sei. Die Massen durften nicht selbständig und öffentlich
gegen die VBA auftreten oder die Armee bekämpfen. Den Angehörigen wurde
nahegelegt, dem Vorgesetzten Meldung zu erstatten, wenn sie mit einem
Armeegenossen unzufrieden waren. 122
In der oben beschriebenen Situation konnte Mao die Armee und das Volk in
Frieden halten und so vor einem Bürgerkrieg bewahren. Für die Chinesen bedeutete
dies sozusagen Glück im Unglück. Über die Rolle der VBA stellt Jürgen Domes eine
mutige Prognose:
Sie (VBA) hat sich zum wichtigsten Machtfaktor auf dem chinesischen Festland
entwickelt, aber es ist nicht mehr sicher, daß sie sich bereitwillig als Retter des Systems
einsetzen lässt.123
121
Hsia 1972:236. 122
Vgl. Hsia 1972:236. 123
Domes1967:119.
79
Kapitel 4: Die Außenpolitik
4. Die Außenpolitik während der Kulturrevolution
Die deutschen Wissenschaftler legen großen Wert auf die Untersuchung der
Außenpolitik der VR China. Nach ihrer Meinung ist die VR China nicht nur das
größte und bevölkerungsreichste Entwicklungsland der Welt, sondern auch eine
ideologische Weltmacht sowie eine Militärmacht. Wirtschaftlich gesehen stellt China
eine potentielle Weltmacht dar. Die Grundsteine der chinesischen Außenpolitik
wurden während der Kulturrevolution in den folgenden wichtigen Punkten gelegt:
Erstens forderte die chinesische Regierung von anderen sozialistischen Staaten,
dass sie sich gegenseitig unterstützen sollten.
Zweitens propagierte sie gegenüber den Staaten unterschiedlicher
Gesellschaftsordnung eine Politik der „friedlichen Koexistenz“, und schließlich
verordnete sie gegenüber imperialistisch bzw. sozialimperialistisch gesinnten Staaten
eine Bekämpfung ihrer „Aggressions- und Kriegspolitik“ sowie die Bekämpfung der
„Hegemonie der Supermächte.“124
Die Außenpolitik der Kulturrevolution wird in der deutschen Literatur teilweise
nur in ihren extremsten Erscheinungsformen dargestellt (wie z. B. bei Oskar Weggel).
Lin Biaos außenpolitischer Kurs und seine „Diplomatie der Roten Garden“ waren die
Kennzeichen der extremen Außenpolitik während der Kulturrevolution. Hingegen
gelang die VR China durch Zhou Enlais sowie Deng Xiaopings
„vernünftige“ Außenpolitik 1971 die Aufnahme in die UNO und die
Wiederversöhnung mit den USA. Anfang der 70er Jahre nahm die VR China mit
Kanada, Japan, der Bundesrepublik Deutschland und anderen Ländern diplomatische
Beziehungen auf. Dadurch beendete die VR China die Phase der Selbstisolation und
124
Vgl. Weggel 1977:13-14.
80
betrat wieder die Bühne der internationalen Politik. In der Zeit der Wiederversöhnung
mit diesen westlichen Ländern verschlechterten sich allerdings gleichzeitig ihre
Beziehungen zur UdSSR. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die
UdSSR von den Chinesen noch als „älterer Bruder“ gefeiert. Jedoch verwandelte sich
diese brüderliche Freundschaft nun in eine „Erzfeindschaft“, als sich die Truppen der
beiden Länder 1969 schließlich Gefechte um die Herrschaftsansprüche auf die
Ussuri-Insel lieferten. Zu diesen Beziehungsveränderungen zwischen den beiden
großen kommunistischen Staaten gibt es in der deutschen wissenschaftlichen Literatur
viele Interpretationsansätze.
Weiterhin stellten deutsche Wissenschaftler Chinas Umorientierung zugunsten der
Industrieländer seit der „Modernisierung“ (1975) fest. Mit dieser Entwicklung leistete
die VR China immer weniger Entwicklungshilfe für die Dritte Welt, obwohl sie dies
nie offen zugab.
4.1 Der Grundpfeiler der Außenpolitik der VR China
„Ideologische Leitlinien und historische Erfahrungen sind für (die) chinesische
Außenpolitik von entscheidender Bedeutung.“125
Die Gültigkeit dieses Grundsatzes
zeigte sich während der Kulturrevolution sehr deutlich. In der deutschen
wissenschaftlichen Literatur kann man immer über drei wichtige Prinzipien der
Außenpolitik der VR China lesen, die auch von der chinesischen Regierung als die
Grundpfeiler ihrer Außenpolitik propagiert wurden.126
A. Der proletarische Internationalismus
Der proletarische Internationalismus war für die chinesischen Kommunisten das
125
Pfennig 1980:29. 126
Siehe Marie-Luise Näth, Das Außenpolitische Instrumentarium: Klassische Diplomatie und
revolutionäre Strategie, in: Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik (Hrsg.), Die Außenpolitik Chinas, München 1975:168-172.
81
langfristig zu erreichende Ziel der Weltrevolution. Dieser wurde von der chinesischen
Regierung wie folgt erklärt:
- Zusammengehörigkeitsgefühl der Völker, Beistand und Hilfe über Landesgrenzen
hinweg, besonders für Befreiungsbewegungen, die die Unterstützung der Bevölkerung
hatten;
- Selbständigkeit und Gleichberechtigung im Verhältnis untereinander, besonders
zwischen sozialistischen Staaten und kommunistischen Parteien;
- Lösung aller Fragen, Probleme und Konflikte durch brüderliche Verhandlungen.127
Auf der Staats- und Regierungsebene der sozialistischen Länder sollte allein der
sogenannte proletarische Internationalismus zur Anwendung kommen. Die
sozialistischen Staaten sollten die fünf Prinzipien128
übernehmen. Der Sozialismus, so
hieß es, knüpfe ein brüderliches Band zwischen den kommunistisch regierten Ländern,
doch ginge er noch weiter darüber hinaus.
Im zwischenstaatlichen Bereich ist der proletarische Internationalismus als eine
gegenüber der klassischen Diplomatie des Westens höhere Form des internationalen
Lebens konzipiert. 129
Während der Kulturrevolution predigte Lin Biao seine außenpolitische These, die da
heißt:„Volkskrieg der Weltdörfer gegen die Weltstädte“. Dazu meint Oskar Weggel,
dass das „eine Übertragung des Erfahrungsschatzes der sinokommunistischen
Bewegung auf die ganze Welt“130
sei. Die Länder der Dritten Welt sollten von
chinesischen Erfahrungen lernen: Sie sollten zuerst „Befreite Stützpunktgebiete auf
dem Land“ errichten, dort Sozialreformen durchsetzen, eine
127
Vgl. Pfennig 1980:33. 128
Das heißt: 1. Gegenseitige Achtung der territorialen Unverletzlichkeit und Souveränität.
2.Gegenseitiger Nichtangriff. 3. Gegenseitige Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des
anderen. 4. Gleichberechtigung und gegenseitiger Nutzen. 5. Friedliche Koexistenz. 129
Näth 1972:169. 130
Weggel 1989:291.
82
„Volksbefreiungsarmee“ aufbauen, und schließlich aus eigener Kraft die
feudalistischen bzw. bürgerlichen Führungen ihrer Länder entmachten. China war
bereit, den sogenannten revolutionären Bewegungen in der Dritten Welt Hilfe zu
gewähren.
Oskar Weggel spricht von einer Entwicklung des „proletarischen
Internationalismus während der Kulturrevolution“. Von Anfang bis Ende der 60er
Jahre betonte die chinesische Regierung die Klassenkämpfe gegen die Unterdrücker,
die nach ihrer Ansicht von der gesamten industrialisierten Welt verkörpert wurde.
Aber seit Ende der 60er Jahre verkündete die chinesische Regierung den Kampf
gegen den „Sozialimperialismus“ (d. h. gegen die Sowjetunion);Sie erklärte die
meisten hochindustrialisierten Staaten im Westen zu potentiellen Verbündeten. Alle
Entwicklungsländer (einschließlich China selbst) repräsentierten die sogenannte Dritte
Welt. Die Bundesrepublik Deutschland, Japan, Kanada sowie andere
hochindustrialisierte Staaten machten die Zweite Welt aus. Nun sollte China nicht nur
zusammen mit den übrigen Ländern der Dritten Welt, sondern auch gemeinsam mit
denen der Zweiten Welt gegen die Hegemonie der Supermächte (USA und UdSSR)131
kämpfen. Diese Politik wurde von der chinesischen Regierung bis zum Ende der 70er
Jahre des vergangenen Jahrhunderts verfolgt.
B. Die Politik der friedlichen Koexistenz
Diese Politik der chinesischen Regierung vor allem ist die Grundlage der
zwischenstaatlichen Beziehungen. Sie ist wie der proletarische Internationalismus als
höhere Form der zwischenstaatlichen Kontakte anzusehen. Zur Wirklichkeit der
Politik der friedlichen Koexistenz schreibt Marie-Luise Näth:
In ihrer praktischen Bedeutung kommt die Politik der friedlichen Koexistenz den
diplomatischen Usancen des Westens nahe, der zwischenstaatlichen Kontaktpflege ohne
Ansehen der inneren Verfassung und der ideologischen Interessen des außenpolitischen
131
Vgl. Weggel 1989:291-293.
83
Partners.132
Nach Auffassung der chinesischen Regierung wird die Politik der friedlichen
Koexistenz gegenüber den kapitalistischen und imperialistischen Staaten betrieben.
Sie soll das Zusammenleben von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung
ermöglichen. Zu dieser Politik stellt Werner Pfennig die Frage: „Können sich also
kapitalistische und imperialistische Staaten langfristig und mit allen Konsequenzen
überhaupt auf eine solche Politik einlassen?“133
Marie-Luise Näth betont ferner, dass diese Politik der chinesischen Regierung
vielmehr nur als ein zeitweiliges Hilfsmittel der Außenpolitik gilt, ohne dass das
weltrevolutionäre Ziel, selbst für die Dauer ihrer jederzeit widerrufbaren Gültigkeit,
aufgegeben wird. Eine wirkliche Anerkennung des außenpolitischen Adressaten als
langfristigen Partner ist mit der Politik der friedlichen Koexistenz nicht verbunden.134
C. Die revolutionäre Solidarität
Diese Politik der chinesischen Regierung soll nur auf der gesellschaftlichen Ebene zur
Anwendung kommen. Die revolutionäre Solidarität soll nicht nur eine Eindämmung
der imperialistischen Bestrebungen der Supermächte erfüllen, sondern auch
Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufbau in der Dritten Welt schaffen. Das
Ziel dieser chinesischen Außenpolitik wäre die Verwirklichung des Kommunismus in
der Welt.
Werner Pfennig erläutert, dass die chinesische Regierung unterschiedliche
Taktiken in unterschiedlichen historischen Perioden angewendet hat. Während der
Kulturrevolution betonte China besonders die sogenannte revolutionäre Solidarität mit
ihren „kleinen, schwarzen und armen Freunden“. Marie-Luise Näth hebt weiterhin
hervor:
132
Näth 1972:171. 133
Pfennig 1980:42. 134
Vgl. Näth 1972:171.
84
Während sich die chinesische Führung etwa im internationalen Rahmen für die
Friedenssicherung einsetzt, bleibt die Möglichkeit der Entfachung lokaler
Revolutionskriege hiervon unberührt. Die Unterstützung solcher Kriege [...] läßt dabei
lediglich (die) taktische Bedeutung der chinesischen Diplomatie nochmals deutlich
werden.135
Die chinesische Regierung war immer dazu bereit, revolutionäre Kriege weltweit zu
unterstützen, da nach ihrer Ansicht Krieg und Diplomatie parallel nebeneinander
durchgeführt werden konnten. Aber China lehnt es ab, selbst die Verantwortung für
Kriege in der Dritten Welt zu übernehmen, und wollte keinem anderen Land die
Revolution aufzwingen. In diesem Zusammenhang schreibt Marie-Luise Näth:
Im theoretischen Konzept der chinesischen Außenpolitik tritt also (das) eigentlich
offensive Element nur mittelbar, über einen zum Kampf bereiten Dritten zutage.136
4.2 Die sino-sowjetische Eiszeit
Während der Kulturrevolution wurde die UdSSR von der chinesischen Regierung als
der Erzfeind bezeichnet. So sind die deutschen Wissenschaftler der Meinung, dass
während der Kulturrevolution die zweite sino-sowjetische Eiszeit stattfand
(1968-1979).137
Die erste wird auf die Jahre 1958-1968 datiert.
Die Sowjetunion hatte aus chinesischer Sicht nun nicht nur einen
„revisionistischen“ (in der ersten Eiszeit), sondern auch einen
„sozialimperialistischen“ Charakter angenommen. Zwei Tage nach dem sowjetischen
Einmarsch in Prag (1968) verglich der Ministerpräsident Zhou Enlai diesen Vorfall
135
Näth 1972:171. 136
Ebda., 172. 137
Vgl. Weggel 1989:296.
85
mit Hitlers Aggression gegen die Tschechoslowakei und diskreditierte erstmals das
außenpolitische Verhalten der Kremlführung, indem er es als
„sozialimperialistisch“ und „sozial-faschistisch“ bezeichnete. Der bisherige Tiefpunkt
in den Beziehungen zwischen der VR China und der UdSSR wurde 1969 erreicht, als
die chinesisch-sowjetischen Gefechte am Ussuri ausbrachen. So war die UdSSR vom
Freund Nr. 1 zum Feind Nr. 1 degradiert worden.
In den 50er Jahren wurde die Sowjetunion in der VR China als „ältester
Bruder“ bezeichnet. Die VR China wurde in ökonomischer und technischer Hinsicht
von der UdSSR unterstützt, die von da an als Chinas Vorbild fungierte. Mit der
Unterzeichnung des Vertrags über „Freundschaft, Bündnis und gegenseitigen
Beistand“ am 14. Februar 1950 wurde der Weg für eine Phase der Freundschaft
bereitet, „die zwar nicht spannungsfrei, aber dennoch zunächst von einem
beiderseitigen Bemühen um Kooperation geprägt war.“138
Ende der 50er Jahre begann der Umbruch der Beziehungen der beiden Länder.
„Die Abberufung der sowjetischen Entwicklungshelfer aus China im Sommer 1960
stellte den letzten Schritt dar, der die Entwicklung von der Kooperation zum Konflikt
abschloss.“139
1964 verkündete Mao Zedong die „Zwischenzonentheorie“, mit der er
der Sowjetunion den Charakter eines sozialistischen Staates absprach. Er bezeichnete
die USA und die Sowjetunion als zwei Großmächte, die „in gutem Einvernehmen die
ganze Welt beherrschen wollten“. Im März 1966 brach die KPCh die Kontakte zur
KPdSU ab.
Die chinesische Kulturrevolution belastete die Beziehungen zur Sowjetunion um
ein Weiteres. Im Jahre 1967 wurde die sowjetische Botschaft in Peking von den Roten
Garden belagert. Die Botschaftsangehörigen mussten unter erschwerten Umständen
leben. Einige sowjetische Diplomaten wurden von der revolutionären Masse als
Spione gefasst und aus China vertrieben. Die Roten Garden attackierten die
138
Dieter Heinzig, Chinas Beziehungen zur Sowjetunion: Vom Konflikt zur begrenzten
Kooperation, in: Ostkolleg der Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), VR China im
Wandel, Bonn 1988:196. 139
Ebda., 199.
86
sowjetische Botschaft in Peking und äußerten ihre Verachtung. Die Beziehungen der
beiden Länder hatten sich in dieser Zeit durch die Ausschreitungen der Roten Garden
dermaßen verschlechtert, dass sich die beiden Länder nun völlig feindlich
gegenüberstanden.
Die Gründe für die Feindschaft der beiden Länder analysieren die deutschen
China-Experten folgendermaßen:
Der wichtigste Grund war der ideologische Streit um die Frage, welche der beiden
Seiten den Anspruch erheben durfte, Vollstrecker des wahren Willens der Klassiker
des Marxismus-Leninismus zu sein. Historisch gesehen, waren die revolutionären
Entwicklungen der beiden Länder unterschiedlich, trotzdem besaßen die beiden
kommunistischen Parteien aber die politische Macht in ihren Ländern und gründeten
kommunistische Regierungen. Jedoch waren ihre revolutionären Erfahrungen nicht
gleich, da jedes der beiden Länder seinen eigenen geistigen und kulturgeschichtlichen
Hintergrund hatte. Deswegen interpretierten sie auf verschiedene Art und Weise die
Kräfteverhältnisse der Weltsituation, die ideologischen Erklärungen sowie ihre
Entwicklungstendenzen.
Zusätzlich waren die unterschiedlichen Persönlichkeiten in der chinesischen und
sowjetischen Führung ein wichtiger Grund für ihre Meinungsverschiedenheiten. Jeder
Machthaber hatte seinen eigenen Weg eingeschlagen, so dass die praktisch-politischen
Differenzen der beiden Länder immer größer wurden. Hinzu kamen die
Grenzkonflikte, die ebenfalls ihre Beziehungen belasteten.
Manche China-Experten sind der Ansicht, dass das „Fünfeck” Washington,
Moskau, Tokio, Peking und die EG wenig stabile Elemente aufweist, sondern nur
neue potentielle Konflikte schafft, die vor allem Auswirkungen auf Südostasien haben
können.140
140
Vgl. Pfennig 1980:66ff.;Vgl. auch Heinzig 1968:199-202.
87
4.3 Die Politik gegenüber den USA
Die Haltung der chinesischen Regierung gegenüber den USA wurde während der
Kulturrevolution immer ambivalenter. In dieser Hinsicht sind sich die deutschen
Wissenschaftler einig. Nach der Interpretation Oskar Weggels misstrauten die
Chinesen den USA aufgrund von deren Intervention in Vietnam, ihrer
Einkreisungspolitik gegenüber China, ihrer Unterstützung Taiwans und nicht zuletzt
auch aufgrund ihrer unheilvollen Allianz mit Moskau. Andererseits war
Ministerpräsident Zhou Enlai mit seinen Anhängern (den Gemäßigten) der Auffassung,
dass sich China neben der UdSSR (dem Feind Nr. 1) nicht auch noch die USA als
Todfeind leisten konnte.141
Aufgrund dieser Meinungsverschiedenheiten der chinesischen Führung beruhte
vom Anfang der Kulturrevolution bis zum Jahre 1969 die chinesische Propaganda auf
zwei Feindbildern: dem „USA-Imperialismus“ und dem „Sowjetrevisionismus“. Lin
Biao bezeichnete die beiden Supermächte in seinem Vortrag auf dem 9. Parteitag der
KPCh (im April 1969) als „gleich große und gleich gefährliche Übel“. Deshalb
wandte er sich mit seinen Empfehlungen an die Dritte Welt. Der „Lin Biao-Weg“ des
Zusammenschlusses der Dritten Welt war allerdings nach seinem Sturz (1971)
indiskutabel geworden.142
Marie-Luise Näth betont weiterhin, dass Zhou Enlai im Gegensatz zu Lin Biao
einen anderen Weg einschlug. Zhou Enlai erklärte in seiner Rede am 10. Parteitag der
KPCh (August 1973), dass China zwar von beiden Supermächten, ganz besonders
aber von der Sowjetunion, Gefahr drohe. Er warf schließlich die Frage nach dem
„notwendigen Kompromiß“ mit den USA auf. Im Herbst 1971 erschien in China eine
Broschüre mit dem Titel „Kampf gegen eine oder zwei Supermächte“. Danach
würden die Konflikte mit den USA und der UdSSR zwar weitergeführt, jedoch nicht
mehr gleichzeitig, sondern nacheinander bzw. im zeitlichen Wechsel. Über die
141
Vgl. Weggel 1989:293. 142
Ebda., 293.
88
Reihenfolge der Kämpfe hatte nur das chinesische Nationalinteresse zu entscheiden.
In diesem Zusammenhang schreibt Maria-Luise Näth:
Die chinesisch-sowjetische Kriegskrise des Jahres 1969 hatte die Unmittelbarkeit der
Bedrohung Chinas durch die Sowjetunion deutlich werden lassen, und so gebot das
chinesische Nationalinteresse den vorrangigen Kampf gegen die östliche Weltmacht
und die Annäherung an die westliche Weltmacht.143
Die chinesische Regierung näherte sich den USA durch die folgenden Maßnahmen:
Erstens, mit Gesprächen zwischen chinesischen und amerikanischen Diplomaten.
Zweitens, mit der sog. „chinesisch-amerikanischen Ping-Pong-Diplomatie” (den
persönlichen Empfang einer amerikanischen Tischtennisgruppe in Peking 1971).
Und Drittens, durch die Geheimverhandlungen mit dem Sonderberater des
amerikanischen Präsidenten, Henry Kissinger (der im Juli 1971 zum ersten Mal nach
Peking reiste).144
Vom 21. bis 27. Februar 1972 wurde der amerikanische Präsident
Nixon in die VR China eingeladen. Inzwischen hatten die beiden Mächte das
„Shanghai-Kommunique” veröffentlicht, indem sie verkündeten, dass sie über zwei
Jahrzehnte erbitterter Feindschaft zu der Einsicht gekommen waren, dass ihre
Interessen im asiatisch-pazifischen Raum langfristig identisch seien. Zu diesem
außenpolitischen Ereignis meint Oskar Weggel, dass China in dreierlei Hinsicht
kleinere Profite erwarb: die VR China war als eines der fünf ständigen Mitglieder des
UNO-Sicherheitsrats in die UNO aufgenommen worden (1971); damit löste die VR
China einen diplomatischen Dammbruch aus: Im Jahre 1972 nahm die VR China mit
15 Staaten offizielle Beziehungen auf, darunter auch die zwei derzeitigen
Haupthandelspartner, nämlich Japan und die Bundesrepublik Deutschland;und
schließlich wurde die taiwanesische Regierung auf der politischen Weltbühne
isoliert.145
143
Näth 1978:56. 144
Vgl. Näth 1978:56. 145
Vgl. Weggel 1989:294.
89
Nach der Meinung Marie-Luise Näths suchte Peking nun nicht mehr den Kampf
gegen den USA-Imperialismus, sondern vielmehr gegen den „sowjetrevisionistischen
Sozialimperialismus“. Die VR China kam „von der totalen außenpolitischen
Isolierung der kulturrevolutionären Jahre zurück ins internationale System...“146
Die deutschen Wissenschaftler weisen noch darauf hin, dass Zhou Enlai eine
wichtige Rolle in dem Annäherungsprozess an die USA spielte. Zhou Enlais Intention
der Annäherung an die USA widersprach der Vorstellung Mao Zedongs und Lin Biaos.
Aufgrund dieses Widerspruches verzögerte sich der Prozess der
chinesisch-amerikanischen Annäherung um zwei Jahre, da er eigentlich schon
während der Ussuri-Konflikte im Frühjahr 1969 eingeleitet wurde. Erst im Herbst
1971, nach Lin Biaos Sturz, spielte Mao schließlich im Entscheidungsprozeß der
Außenpolitik nur noch die „Rolle eines autorisierenden Mythos“.147
In dieser
Situation konnte Zhou Enlai seine Absichten durchsetzen. Seine Politik stieß jedoch
sofort auf die herausfordernde „Viererbande“, die eine „Kampagne der Kritik an
Konfuzius“ (die aber eigentlich einen Angriff auf Zhou Enlai darstellte) auslöste, so
dass Zhous Politik in der zweiten Hälfte des Jahres 1973 wieder in Schwierigkeiten
geriet. In diesem Zusammenhang lässt sich sagen, dass die Machtkämpfe innerhalb
der KPCh auf die Entscheidungen in der chinesischen Außenpolitik einen großen
Einfluss ausgeübt haben.
4.4 Die VR China und die Dritte Welt
„Die Kulturrevolution begann mit dem großen Einstieg in die Dritte Welt und endete,
ohne dass dies je formell artikuliert worden wäre, mit einem großen Ausstieg.“148
Diese Meinung Oskar Weggels wird in der deutschen wissenschaftlichen Literatur
146
Vgl. Näth 1978:60f. 147
Siehe Näth 1972:96. 148
Weggel 1989:294.
90
allgemein entsprochen. An dieser Stelle muss jedoch genauer das Verhältnis der
chinesischen Außenpolitik zur Dritten Welt erklärt werden, vor allem aber, mit
welchen Ländern der Dritten Welt die VR China freundschaftliche Beziehungen
unterhielt.
Die Dritte-Welt-Politik der VR China wurde von dem Spannungsverhältnis zwischen
dem Prinzip der „Entwicklungshilfe“ und dem des „Volkskrieges“, dem militärischen
Kampf für eine maoistische Revolution, bestimmt.
Welches Element aber überwog nun ? Aus den Untersuchungen von Franz
Ansprenger ergibt sich, dass über „Entwicklungshilfe“ viel mehr als über die
Unterstützung für den „Volkskrieg“ berichtet wird.149
In den 60er Jahren leistete die
VR China in der Dritten Welt einen großen Beitrag zur Entwicklungshilfe. Als gutes
Beispiel dafür ist der Bau einer Eisenbahn zwischen Sambia und Tansania anzuführen.
China schickte Techniker und Ärzte nach Afrika, um afrikanischen Freunden beim
Aufbau ihrer Heimat zu helfen. Nach Lin Biaos „Weltdörfer-Theorie“wollte China ein
antihegemonistisches Bündnis errichten. Die chinesische Regierung erklärte, dass sie
den Volkskrieg in der Dritten Welt unterstütze. Es wird bestätigt, dass China ernsthaft
versuchte, in Zaire während der Jahre 1963-1965 einen Volkskrieg zu entfachen und
deshalb der zairischen Rebellion Hilfe in Gestalt von revolutionären Ideen anbot.150
Tatsächlich aber war seit 1964 in Afrika keine Regierung durch eine maoistische
Revolution gestürzt worden. „Während China hier Optimismus in die Dritte Welt
hineinrief, schallte es durchaus unfreundlich von dort zurück.“151
Im Jahre 1967 befand sich China mit mehr als 30 Ländern im Konflikt. Indonesien
und Tunesien ließen ihre diplomatischen Beziehungen mit der VR China einfrieren;
die chinesisch-burmesischen Beziehungen verschlechterten sich ebenfalls.
Besonders innerhalb der kommunistischen Weltbewegung verlor China an
Einfluss und Unterstützung. Die Brüderländer, wie Nordkorea und Nordvietnam,
149
Siehe Ansprenger 1972:51. 150
Vgl. Ansprenger 1972:53. 151
Weggel 1989:294.
91
wandten sich unter dem Eindruck der kulturrevolutionären Wirren eher von China ab
und der UdSSR zu.152
In Lateinamerika schwenkte Castro endgültig auf die
sowjetische Linie ein. Diese Rückschläge erzürnten die Roten Garden, so dass sie
permanent vor der sowjetischen Botschaft demonstrierten und die britische Botschaft
in Brand setzten. Durch die Ausschreitungen der Roten Garden wurden schließlich die
„mehrheitlich diplomatischen Vertretungen der Dritten Welt [...] in Mitleidenschaft
gezogen [...]“ 153
Jürgen Domes und Marie-Luise Näth sind der Meinung, dass die ersten Zeichen einer
neuerlichen außenpolitischen Mäßigung der VR China Ende 1967 deutlich wurden.
Sie schreiben:
Die Pekinger Regierung brach ihre Versuche, die chinesische Kulturrevolution nach
Kambodscha zu tragen, ab. Auch der Druck auf Hongkong begann jetzt merklich
nachzulassen. Obwohl die chinesische Führung mit Lin Piao (Lin Biao) an der Spitze
auch in den kommenden Monaten noch die Linie des bewaffneten Aufstandes
propagierte, setzte nun allmählich ein Prozeß der Normalisierung der chinesischen
Politik ein.154
So erhielt Äthiopien z. B. 1971 eine Zusage für einen Kredit über 100 Millionen US
Dollar von China; dem Sudan wurde zur gleichen Zeit ein Kredit von 35 Millionen
US Dollar gewährt. Für den Augenblick standen der VR China mehr Türen in der
Dritten Welt offen als je zuvor. Nach der Selbstisolierung in den 60er Jahren trat
China mit dem Beginn der 70er Jahre wieder in die internationale Politik ein und
übernahm schließlich einen Sitz in den Vereinten Nationen im Oktober 1971.
Anschließend hat die VR China diplomatische Beziehungen zu vielen westlichen
Ländern aufgenommen.
Am 10. April 1974 legte Deng Xiaoping auf der 6. Sondersitzung der Vereinten
152
Vgl. Domes/Näth 1972:85. 153
Weggel 1989:295. 154
Domes/Näth 1972:85.
92
Nationen in New York eine Analyse der internationalen Situation vor, deren Kernthese
seine Drei-Welt-Theorie darstellte. Joachim Glaubitz meint, dass Dengs Rede seit
Jahren die wichtigste chinesische Äußerung zu Fragen der Außenpolitik des Landes
war.155
Nun sah China in der Zweiten Welt eine Kraft, die durch deren
Doppelcharakter entstanden war, und mit der die Dritte Welt dem Hegemonismus der
Supermächte den Kampf ansagen konnte. Die „Länder der Zweiten Welt würden die
unterjochten Nationen unterdrücken und ausbeuten, seien jedoch selbst der Kontrolle
und Schikane durch die beiden Supermächte ausgesetzt.“156
Joachim Glaubitz
schreibt weiterhin:
Mit diesem Weltbild hatte China den Marxismus-Leninismus verlassen;denn die
Zuordnung zu der einen oder anderen Welt erfolgte nicht gemäß dem
Gesellschaftssystem oder vom Klassenstandpunkt aus, sondern lediglich nach dem
Stand der wirtschaftlichen und militärischen Entwicklung.157
Aus dieser neuen Überlegung in der Außenpolitik der VR China, vor allem seitdem
Zhou Enlai im Januar 1975 auf einen Modernisierungskurs umgeschwenkt war,
konzentrierte sich das wirkliche Interesse Chinas immer stärker auf die
Industrieländer. So lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Kulturrevolution in
der Dritten Welt mit einem großen Ausstieg endete.
155
Vgl. Joachim Glaubitz, China in der Weltpolitik (1971-1988), in: VR China im Wandel,Ostkolleg
der Bundeszentralefür politische Bildung (Hrsg.), Bonn 1988:166. 156
Ebda., 167. 157
Ebda., 168.
93
Kapitel 5: Die Wirtschaftslage
5. Die Wirtschaftslage während der Kulturrevolution
Wenn man heutzutage einem Chinesen die Frage stellt, wie er die chinesische
Wirtschaftslage während der Kulturrevolution beurteilt, so bekommt man die prompte
Antwort, dass sie katastrophal war und kurz vor dem Zusammenbruch stand. Man
kann heute kaum positive Berichte über die Wirtschaftslage während der
Kulturrevolution aus der VR China finden. Vielmehr wird über die rasche
Entwicklung der chinesischen Wirtschaft erst nach jener Zeit berichtet.
Nicht so einseitig negativ wie die Chinesen selbst, beurteilen manche deutsche
Wissenschaftler den Zustand der Volkswirtschaft während der Kulturrevolution. Sie
beurteilen sie etwas positiver, da sie sie im Hinblick auf die sozialistische
Planwirtschaft analysieren.
5.1 Die Merkmale der kulturrevolutionären Wirtschaft
Während der Kulturrevolution wurde anfangs nicht unbedingt der Bereich der
Wirtschaft angefochten, sondern vielmehr wurden dort erst durch die Entwicklung der
Kulturrevolution unvermeidliche Kämpfe entfacht.
Ende Dezember 1966 setzten sich zunächst die Maoisten in der Partei- und
Regierungszentrale durch. Liu Shaoqi, Deng Xiaoping und eine große Zahl weiterer
Mitglieder der Führungsgremien wurden gestürzt und verhaftet. Nach dem Beschluss
der Maoisten, „eine neue Hochflut der Kulturrevolution in den Betrieben von
Industrie und Bergbau“ zu entfachen, wurden im ganzen Land „Rote Garden“ und
„Revolutionäre Rebellen“, in denen vor allem Arbeiter und Bauern vertreten waren,
94
eingesetzt. Im Januar 1967 griffen die beiden „Kampfverbände“ die Partei- und
Regierungsführer an. Durch diese Machtergreifungen wurden die
Verwaltungseinheiten auf wirtschaftlicher Ebene gelähmt und zerstört. So erlitt die
chinesische Wirtschaft schwere Rückschläge.
Die deutschen Wissenschaftler meinen, dass die Maoisten in dieser wirtschaftlichen
Notsituation zwei Maßnahmen erfolgreich durchgesetzt hätten.
Zum einen schickte Mao die VBA in die Verwaltungseinheiten, um die
elementarsten Funktionen des öffentlichen Dienstes wieder in Gang zu setzen. Die
Vertreter der VBA übernahmen in den meisten Provinzen Chinas die Macht der Partei
– und Regierungsapparate. Unter Kontrolle und Leitung der VBA konnte das
wirtschaftliche Leben weiterlaufen.
Zum anderen starteten die Maoisten die Landverschickung (Xiafang 下放) als ein
Mittel zur Disziplinierung der Roten Garden.158
Nach Maos Anweisung: „Die jungen
Rebellen müssen in die Dörfer gehen und die Umerziehung durch die armen unteren
Mittelbauern akzeptieren [...]“, wurden 600.000 Jugendliche im Jahre 1968/69 aufs
Land geschickt.159
Seit Mitte 1968 normalisierten sich deshalb die Verhältnisse.
Mao Zedong war überzeugt, dass die Entwicklung der Wirtschaft nicht nur von
den Investitionen und der Technologie, sondern auch von der Motivation der
Menschen abhing. Deswegen entfaltete er im wirtschaftlichen Bereich ebenfalls
Massenbewegungen, u. a. die Bewegung „Lernt von Dazhai!“
Die Produktionsbrigade Dazhai der gleichnamigen Volkskommune in Nordchina
wurde als Vorbild für die Bauern propagiert. Der sogenannte Erfahrungswert von
Dazhai lautete: In Dazhai erhielten die Bauern Arbeitspunkte nicht mehr aufgrund
ihrer produktiven Leistung, sondern sie wurden ihnen entsprechend ihrem
politisch-ideologischen Bewußtsein und ihrem praktischen Verhalten gegenüber dem
Kollektiv gutgeschrieben. Die Arbeitspunkte wurden monatlich nach offener,
allgemeiner Abstimmung festgesetzt. In Maos Gedanken galt „die politische Arbeit
158
Vgl. Domes 1980:83ff. 159
Vgl. ebda., 83ff.
95
(als) das Lebensblut der wirtschaftlichen Arbeit.“ Mao legte besonderen Wert auf die
Warnung, daß der kapitalistische Preismechanismus und das Streben nach Gewinn in
der chinesischen Wirtschaft Ungleichheiten mit sich bringen würde.“ 160 Maos
Gleichmacherei, die nach seiner Zeit in der VR China stark kritisiert wurde,
verhinderte eine Entfaltung der Produktionskräfte. Im Jahre 1975 stellte Zhou Enlai
das Programm der „Vier Modernisierungen“161
auf. Besonders seit 1978 schlug Deng
Xiaoping den Weg der Reform- und Öffnungspolitik ein. „Alle Arbeit muss dem
Kernpunkt Wirtschaftsaufbau untergeordnet sein und ihm dienen.“162
Trotzdem kritisiert man in der VR China Maos Gedanken hinsichtlich der
Ökonomie nicht öffentlich, aber man sprach von Misserfolgen der Wirtschaft der
Kulturrevolution.
5.2 War die Wirtschaftsleistung besser als ihr Ruf?
Wie oben bereits erwähnt wurde, ist es interessant zu vermerken, dass man in
Deutschland auch positive Berichte über die kulturrevolutionäre Wirtschaftslage
finden kann. So schreibt z. B. Oskar Weggel:
Trotz schmerzlicher Rückschläge und Ausfälle [...] kann sich die kulturrevolutionäre
Bilanz [...] durchaus sehen lassen, [...] erreichte doch der jährliche Durchschnitt des
Nationaleinkommens in den Jahren 1966 bis 1970 immerhin 8,3% und von 1971 bis
1975 immerhin auch noch 5,5%.163
160
Vgl. Udo Weiss, Chinas wirtschaftliche Entwicklung im Überblick, in: Die Außenpolit
Chinas, Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Hrsg.),
München 1975:72ff. 161
Das heißt Modernisierungen im Bereich der Landwirtschaft, Industrie, Wissenschaft und
Technologie, sowie des Militärwesens. 162
Siehe VR China im Wandel, a.a.O. 261. 163
Weggel 1989:289.
96
In diesem Zusammenhang sind noch weitere Beispiele anzuführen: Das chinesische
Eisenbahnverkehrsnetz vergrößerte sich, obwohl es vor allem im gebirgigen
Südwesten Chinas lag;1967 wurde die größte Zementfabrik Chinas erbaut;1974
wurde das größte chinesische Erdölfeld erschlossen und ein Jahr später das größte
Wasserkraftwerk in Betrieb genommen. Besonders zu erwähnen ist an dieser Stelle
auch die erste Zündung einer Wasserstoffbombe 1967, sowie der Start des ersten
chinesischen Weltraumsatelliten 1970. Die oben erwähnten Erfolge fasst Oskar
Weggel folgendermaßen zusammen:
Der Hauptverdienst für die gerade noch akzeptablen Ergebnisse der
kulturrevolutionären Wirtschaft kam der VBA zu, die durch scharfe Kontrolle dafür
gesorgt hatte, daß Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe vom kulturrevolutionären
Erfahrungsaustausch weitgehend verschont blieben.164
Dieser Meinung Oskar Weggels kann der Verfasser dieser Arbeit als Zeitzeuge des
Geschehens jedoch in zwei Punkten nicht völlig zustimmen: Erstens erkennt Oskar
Weggel ganz richtig, dass die VBA im kulturrevolutionären Chaos eine wichtige Rolle
als Ordnungshüter und weiterhin als Kontrolleur der Wirtschaft spielte. Die oben von
Oskar Weggel erwähnten wirtschaftlichen Erfolge waren historische Tatsachen, die
eigentlich bejaht und nicht aufgrund der politischen Kursänderung völlig vergessen
werden sollten. Aber man sollte die wenigen großen Projekte, die China mit
finanzieller und technischer Unterstützung der Regierung, sowie mit dem
„revolutionären Enthusiasmus“ des Volkes während der Kulturrevolution geschaffen
hat, nicht zu positiv, sondern eher als Notwendigkeit, die politischen Bedürfnisse zu
erfüllen, bewerten. Zweitens ist es zweifelhaft, ob Industrie und Landwirtschaft
wirklich vom „kulturrevolutionären Erfahrungsaustausch“ weitgehend verschont
blieben. Wie konnte die Wirtschaft verschont bleiben, wenn Arbeiter und Bauern ohne
in ihren Bereichen zu arbeiten eine „Revolution“ initiierten?Nach Angabe Oskar
164
Weggel 1989:289.
97
Weggels belief sich das Volkseinkommen 1966 auf 216 Yuan pro Kopf, 1968 jedoch
auf 198 Yuan und 1969 schließlich nur noch 183 Yuan.165
Weiterhin blieben die
Hochschulen der VR China in den Jahren 1967-1970 ganz geschlossen und nahmen
bis 1976 nur wenige Studenten auf. Das heißt, dass in der VR China während der
Kulturrevolution fast keine wissenschaftlichen Kräfte ausgebildet wurden, so dass ein
Verlust für die Entwicklung der Wirtschaft unvermeidlich war. In dieser Hinsicht
schreibt Konrad Seitz:
Die letzten Jahre der Mao-Ära waren eine bleierne Zeit. Die revolutionäre Begeisterung
der Menschen, die so schrecklich verraten wurde, war erloschen;nichts würde die
Flamme jemals wieder entzünden können. Traumatische Erinnerungen und Furcht vor
der andauernden Repression, Misstrauen gegeneinander, Gleichgültigkeit,
Hoffnungslosigkeit, Zynismus wohnten in den Herzen der Menschen.166
165
Vgl. Weggel 1989:290. 166
Seitz 2006:210.
98
Zweiter Teil: Chinesische Kulturrevolution in der
chinesischen Literatur
Kapitel 6: Ursachen und historische Hintergründe zur
Kulturrevolution
6.1 Das Streben Mao Zedongs nach einer „neuen Welt“
Bei der Erforschung der Ursachen zur Kulturrevolution ist festzustellen, dass
chinesische Gelehrte, im Unterschied zu ihren deutschen Kollegen, darin nicht nur die
Richtungs- und Machtkämpfe innerhalb der KPCh zwischen dem damaligen
Parteivositzenden Mao Zedong und dem Staatspräsidenten Liu Shaoqi als Grund
sehen.
Die Ursachen der Kulturrevolution einfach als Intrigen von wenigen
machtambitionierten Politikern oder als Machtkampf innerhalb der obersten Führung
abzustempeln wäre oberflächlich und entspräche auch nicht den Tatsachen.167
Der chinesische Wissenschaftler Li Zehou glaubt, dass die Gründe, die Mao Zedong
veranlassten, die Kulturrevolution in Gang zu setzen, kompliziert sind. Mao Zedong
strebte nicht nur nach „neuen Menschen“ und nach einer „neuen Welt“, sondern
wollte vor allem eine erneute Machtverteilung erreichen.168
1956 erkannte Mao die Missstände des sozialistischen Aufbaumodells in der
Sowjetunion und fing an, einen eigenen Weg zu gehen, der eher den chinesischen
Verhältnissen entsprechen sollte. Er wurde immer unzufriedener mit der Arbeitsweise
167
Li 1979:192-193. 168
Vgl. ebda., 192-193.
99
des damaligen Parteikomitees der „ersten Front“169
und strebte die Zerschlagung des
bürokratischen Apparates an, um einen weiteren persönlichen Machtverlust sowie das
Übergreifen der sowjetischen „friedlichen Evolution“ (Hepingyanbian 和平演变, sog.
Antirevisionismus) auf China zu verhindern. Mao hoffte ferner zum Vater und Führer
der Weltrevolution zu werden. Grundsatz seiner Idee war, „nach Idealismus der neuen
Menschen in einer neuen Welt zu streben“. Der Rest sollte entweder dem Grundsatz
untergeordnet oder von diesem abgeleitet werden.
Am 8. Juli 1967 verfasste Mao Zedong einen Brief an seine Ehefrau Jiang Qing
mit folgendem Wortlaut: „Mit Chaos auf Erden erreicht man große Ordnung im Land“,
ferner fügte er in einem Artikel von Yao Wenyuan, der 1967 in der Zeitschrift
„Hongqi“ (红旗 Rote Fahne, Beijing 1967, Nr. 1. S. 36.) erschien, die Worte hinzu:
Die Große Proletarische Kulturrevolution ist eine Revolution, die die Seelen der
Menschen erfasst hat. Sie trifft die grundsätzliche politische Position der Menschen,
bestimmt ihre Weltanschauung, bestimmt den Weg, den sie bereits gegangen sind oder
noch gehen werden und erfasst die gesamte Revolutionsgeschichte Chinas. Dies ist die
größte, in der Geschichte der Menschheit noch nie dagewesene, Umwälzung der
Gesellschaft. Sie wird eine ganze Generation von standhaften Kommunisten
heranbilden.
Um seine Absichten zu verwirklichen, musste Mao zunächst die Hindernisse aus dem
Weg räumen. Mit großer Entschiedenheit initiierte er die Kulturrevolution, um durch
sie eine radikale Änderung des damaligen Zustandes in China zu erreichen. Mao
wollte eine neue Gesellschaftsordnung, ja sogar eine „neue Welt“ schaffen.170
169
Auf Vorschlag Mao Zedongs wurde am 8. Parteitag der KPCh (1956) beschlossen, dass das
Parteikomitee in zwei Fronten eingeteilt wird. Liao Shaoqi, Zhou Enlai, Zhu De, Chen Yun
und Deng Xiaoping gehörten der ersten Front an und leiteten das Zentralkomitee der KPCh.
Mao Zedong trat auf Wunsch in die zweite Front ab, doch de facto war er weiterhin in der
ersten Front tätig. 170
Siehe dazu den Artikel “Lang lebe der rebellische revolutionäre Geist der Proletarierklasse“ (Wuchanjieji
de geming zaofanjingshen wansui 无产阶级的革命造反精神万岁) in der Zeitschrift „Neue
Welt”(Xingshijie新世界, Beijing 11. Ausgabe/1966) wurde ursprünglich von einem Rotgardisten, der
100
6.2 Die falsche Beurteilung bezüglich der Hauptwidersprüche in der
Innenpolitik
Bei der Analyse der Ursachen und der historischen Hintergründe zum Ausbruch der
Kulturrevolution sehen chinesische Wissenschaftler in der Rede Mao Zedongs
während des 3. Plenums des 8. Zentralkomitees der KPCh im September und Oktober
1957 die Entschlossenheit zur Durchführung seiner Ziele: Der Widerspruch zwischen
dem Proletariat und der Bourgeoisie, zwischen dem sozialistischen und
kapitalistischen Weg, ist derzeit zweifellos der Hauptwiderspruch in der Gesellschaft
unseres Landes.
Das Urteil Maos fand Zustimmung im Zentralkomitee. Nach dieser These wurde
die Hauptdoktrin und die gesamte Politik der KPCh entsprechend geändert,
hauptsächlich durch den auf dem 8. Parteitag der KPCh im Jahr 1956 verabschiedeten
Beschluss, der besagt:
Der Hauptwiderspruch innerhalb unseres Landes besteht bereits im Widerspruch nach
Forderung des Volkes zum Aufbau eines fortschrittlichen Industriestaates mit der
bestehenden Realität des rückständigen Agrarstaates.171
Als eine Revision auf der Konferenz von Wuchang im November 1958 beschlossen
wurde, machte Mao Zedong deutlich:
Als eine wirtschaftlich ausbeutende Klasse ist sie leicht auszurotten, doch die andere
politisch-ideologische Klasse ist nicht leicht zu vernichten. Sie ist noch nicht
ausgerottet.172
einer Mittelschule der Qinghua Universität angehörte, unter Zustimmung Mao Zedongs
verfasst. 171
Xi/Jin 2006:6. 172
Ebda., 11.
101
Nach Auffassung Maos existieren auf ideologischer und politischer Ebene immer
noch kapitalistische und kleinkapitalistische Klassen. Daher seien Klassen und
Klassenkämpfe in sozialistischen Gesellschaften an jedem Ort und zu jeder Zeit
existent. Allgemein sind chinesische Wissenschaftler der Meinung, dass Mao mit
seiner Denkauffassung schwere Fehler beging. Der bekannte Theoretiker der KPCh
Hu Shen meint,
Mit dem Entfesseln der Kulturrevolution wurde die damalige Situation falsch
eingeschätzt (dem Anschein nach gehörten plötzlich alle bürgerlich reaktionären
Kräften an). Außerdem war man irrtümlich der Auffassung, dass wenn man sich nur
einige Male auf den Ansturm der Massen verlässt, eine Änderung der Gesamtsituation
herbeigeführt und damit die reinste und vollkommenste sozialistische Gesellschaft
kreiert werden kann. Dies ist natürlich eine Illusion, ohne jeglichen Nutzen, doch mit
großem Schaden.173
Außerdem wurde am 23. Oktober 1956 berichtet, dass in der ungarischen Hauptstadt
Budapest eine Demonstration mit 200.000 Menschen stattfand. Dabei kam es bei der
Rundfunkstation, in der Telefonzentrale und im Waffenlager zu blutigen
Auseinandersetzungen. Der Ungarn-Aufstand führte bei Mao Zedong zu folgender
Erkenntnis: Das Grundproblem einiger osteuropäischer Länder ist, dass
Klassenkämpfe nicht ordentlich durchgeführt wurden. Daher wies Mao daraufhin,
dass Klassenkämpfe „täglich, monatlich und jährlich“ behandelt werden müssen.
„Unser leitendes Prinzip ist der Klassenkampf“ (Jiejidouzheng weigang 阶级斗争为
纲).
Chinesische Gelehrte betonen, dass der Ungarn-Aufstand zu einem der Faktoren
bei Maos künftiger Analyse und Beurteilung des Widerspruchs in der chinesischen
Innenpolitik gehört.
173
Hu Sheng 胡绳, Marxismus und Zustand in China (Makesi zhuyi yu Zhongguo xianzhuang 马
克思主义与中国现状), in der Zeitschrift Rote Fahne , Beijing 1986,Nr. 6.
102
6.2.1 Die schwerwiegenden Folgen beim Kampf gegen den rechten
Flügel
Aufgrund der Theorien Maos zum Klassenkampf waren viele Mitglieder der KPCh
der Auffassung, dass eine einzig auf der wirtschaftlichen Kampflinie basierende
sozialistische Revolution nicht ausreichen würde, sondern eine politische und
ideologische Kampflinie für eine totale sozialistische Revolution unbedingt
notwendig sei. 1957 brach der Kampf gegen den rechten Flügel aus.174
Im Rahmen
der Kampagne wurden 540.000 Menschen dem rechten Flügel zugeordnet. Diese
waren zu einem großen Teil Intellektuelle, Demokraten und Parteikader. Der Grund
weshalb sie zu Rechtsabweichlern abgestempelt wurden, lag darin, dass sie gegenüber
der KPCh kritische Anmerkungen machten. Chinesische Wissenschaftler finden, dass
der Großteil der 540.000 Menschen nur wohlmeinende Kritik äußerte (natürlich gab
es auch eine Minderheit, die gegenüber der Kommunistischen Partei und dem
sozialistischen System eine feindliche Haltung einnahm). Trotzdem wurden während
der Kampagne die eigenen Genossen zu Feinden abgestempelt. Schwerwiegender war,
dass die Ausweitung des Klassenkampfes im weiteren Verlauf auch die Partei im
Inneren erfasste. Man war der Meinung, dass es auch parteiintern den Klassenkampf
gibt. Im Bericht zur „Situation im Sommer 1957“ schrieb Mao:
In der Phase der sozialistischen Revolution unseres Landes stellen bürgerliche
Rechtsabweichler, die gegen den Kommunismus, das Volk und den Sozialismus sind,
174
Am 27. April 1957 gab das ZK der KPCh die „Anweisung zur Ausrichtungsbewegung“ bekannt. Die
„Anweisung“ rief alle demokratische Parteien und die breiten Volksmassen auf gegenüber der
Kommunistischen Partei Kritik zu üben, Vorschläge zu äußern, sowie die Parteiarbeit zu
verbessern, um den Bürokratismus, Faktionalismus und Subjektivismus innerhalb der KPCh
zu beseitigen. Die breiten Volksmassen richteten gegenüber der Kommunistischen Partei
wohlmeinende Kritiken, einige wählten scharfe Formulierungen oder Worte, die nicht ganz
der Realität entsprachen. Sie begannen zu demonstrieren und Bittschriften einzureichen. Mao
Zedong meinte, dass rechte Elemente im Begriff waren die Partei anzugreifen. Der Angriff
der Rechten muss daher unbedingt zurückgeschlagen werden, um den Ungarn-Aufstand in
China zu verhindern.
103
Widersprüche zwischen uns und dem Feind dar. Sie sind antagonistische
unversöhnliche Widersprüche.175
Chinesische Wissenschaftler sind der Meinung, dass Fehler im Kampf gegen den
rechten Flügel nicht nur im Abstempeln der eigenen Genossen zu Feinden zu finden
sind, sondern schwerwiegender, auf politischer und ideologischer Seite begangen
wurden: Der größte Fehler auf politischer Seite war der Glaube, dass der
Hauptwiderspruch in China im Widerspruch zwischen dem Proletariat und der
Bourgeoisie, zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen Weg, lag; der
größte Fehler auf ideologischer Seite war die Auffassung, dass in China auf
„politischer und ideologischer Ebene eine Ausbeuterklasse“ existierte. Außerdem
wurden „bürgerliche Intellektuelle“, die keine Produktionsmittel besaßen, zur
„politisch-ideologischen Ausbeuterklasse“ gezählt. Die Entstehung dieser falschen
Theorien wirkte sich direkt auf den später folgenden Ausbruch der Kulturrevolution
aus.
6.2.2 Der Aufstieg der linksgerichteten Theorie
Nach 1957 entwickelte sich allmählich die linksgerichtete Theorie des
Klassenkampfes Mao Zedongs und nahm zunehmend eine bedeutende Rolle in der
Partei ein. In chinesischen Gelehrtenkreisen wird der Zeitraum von 1958-1978 als die
20 Jahre der linksgerichteten Fehler zusammengefasst. In dieser Zeit befand sich die
chinesische Wirtschaft in einer Phase der Unruhe und Stagnation.
Weshalb wurden diese linksgerichteten Fehler begangen? Wieso konnten sie sich so
lange behaupten?
Die Analyse und die Auseinandersetzung mit diesen Fragestellungen sind für die
175
Xi/Jin 2006:8.
104
Erklärung der Ursachen und historischen Hintergründen der Kulturrevolution sowie
für die Erforschung von Maos Ideologien in seinen letzten Jahren und der von der
Kommunistischen Partei begangenen Fehler von großer Wichtigkeit. Nach Ansicht
der chinesischen Wissenschaftler kann das Entstehen der linksgerichteten Fehler in 5
Punkten zusammengefasst werden:176
• Mao Zedong war überzeugt, dass China mit seinem Milliardenvolk, das hoffte,
Elend und Rückständigkeit loszukommen, unter Führung der KPCh, mit Hilfe des
sozialistischen Systems und der Massenbewegungen, nicht nur bald den Westen (die
Parole damals lautete in 15 Jahren Großbritannien und die USA zu überholen),
sondern auch die Sowjetunion, die keinen Wert auf Massenbewegungen und auf das
politische Bewusstsein der Massen bei der Wirtschaftsentwicklung legte, einholen
würde. Um unter der Leitung seiner Ideologie mit Hilfe der Massenbewegungen die
Wirtschaft zu fördern, wurde im Jahr 1958 die Kampagne „Großer Sprung nach
vorn“ ausgerufen. Die Kampagne dauerte drei Jahre, war für die chinesische
Wirtschaft ein katastrophaler Rückschlag und ließ das chinesische Volk großes Leid
erfahren. Mao gab selbst zu, dass seine Kenntnisse über den Wirtschaftsaufbau sehr
gering waren. Deshalb beschränkte er sich bei wirtschaftlichen Details nur auf einige
Einzelfragen.
• Der zweite Grund für das Auftreten der „linksgerichteten Fehler“ ist der Glaube der
KPCh, dass der Wirtschaftsaufbau nicht vom Klassenkampf getrennt werden kann. In
den ersten zehn Jahren nach Gründung der Volksrepublik China bekämpften die
Kommunisten mit Hilfe der Klassenkampftheorie die Grundbesitzer und übernahmen
die Kontrolle in den sogenannten kapitalistischen Branchen, Industrie und Handel.
1962 begann man die Parole des Klassenkampfes auch innerhalb der Partei, und somit
im gesamten Land, zu gebrauchen. Gleichzeitig wurde mit der Kampagne der
176
Vgl. Siebzig Jahre von der KPCh (Zhongguo Gongchandang de qishi nian 中国共产党的七
十年), Beijing 1991:340ff.; Vgl. auch Zheng 2007:257ff.; Vgl. auch Wang 2005:
5ff.
105
sozialistischen Bildung begonnen. Bei der Tagung des Zentralkomitees im Februar
1963 rief Mao Zedong die Parole aus: „Mit dem Klassenkampf jede Aufgabe
meistern“. Es wurde beschlossen auf dem Land die „4 Säuberungen“, Säuberung der
Bilanzen, Lagerbestände, Finanzen und Arbeitsteilung, durchzuführen und in den
Städten gegen die „5 Bösen“, vorzugehen. Diese Maßnahmen machen den
Hauptinhalt der Kampagne zur sozialistischen Bildung aus. Danach wurden auch noch
die Parolen „Politik lenkt die Wirtschaft“ sowie „An der Revolution festhalten und die
Produktion fördern“ herausgegeben. Chinesische Wissenschaftler meinen, dass diese
Parolen aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar sind, doch wurden sie zu jener Zeit
dennoch vom Volk, zumindest dem Anschein nach, angenommen. Dies ist aufgrund
der Indoktrinierung der Ideologie des Klassenkampfes auf die Menschen
zurückzuführen.
• Der dritte Grund ist das Streben nach einem illusorischen sozialistischen Ziel. 1958
wurden Volkskommunen in China eingerichtet. Darin wurden Arbeiter, Bauern,
Intellektuelle und Soldaten, sowie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, innerhalb
einer Organisation zu einem ländlichen Utopia vereinigt. Die ländlichen
Volkskommunen wurden als beste Form für dem Übergang zum Kommunismus
angesehen. Es wurden Versorgungssysteme eingerichtet und Wert darauf gelegt, dass
der Selbstbedarf aus eigener Produktion gedeckt wird. Als Folge wurde die
Entwicklung der Warenwirtschaft gebremst.
Wo liegen die Ursachen für Gleichmacherei, autarke Lebensweise und fortlaufende
Massenbewegungen?
Chinesische Wissenschaftler glauben, dass der langjährige Kampf, die Dörfer als
wirtschaftliche Basis zu nutzen, in der Praxis bewährte Grundsätze und Erfahrungen
hervorbrachte sowie Normen für die Entwicklung einer neuen Gesellschaft schuf. Mit
Hilfe von traditionellen Grundsätzen, wie Einrichtung von Versorgungssystemen,
Abschaffung der Armeeränge, autarke Lebensweise und Massenkampagnen, wurde
das sozialistische Ziel der Kommunisten verwirklicht.
106
• Der vierte Grund ist die übertriebene Reaktion auf das internationale Umfeld. Im
Zeitraum von 1950-1970 befand sich China langfristig quasi in einem Zustand der
Kriegsvorbereitung, da die USA das Land wirtschaftlich isolierten und militärisch
bedrohten, Taiwan eine Gegenoffensive zu starten versuchte, und zuletzt in den 60er
Jahren des 20. Jahrhunderts sich die Beziehung zwischen der Volksrepublik und der
Sowjetunion zunehmend verschlechterte. Die Kommunisten fühlten sich anscheinend
von der ganzen Welt umzingelt und glaubten, dass ihr einziges „revolutionäres
Heiligtum“ bedroht wurde. China, als die letzte Festung der Weltrevolution, müsse
unbedingt im hohen Maß revolutioniert werden.
Chinesische Wissenschaftler sind der Auffassung, dass die Entstehung der
linksgerichteten Fehler mit dem damaligen isolierten Zustand des Landes eng
zusammenhängt. China führte kaum Beziehungen zum Westen, selten kam es zum
Dialog. Daher wurden bei internationalen Angelegenheiten häufig linksgerichtete
Urteile und Beschlüsse gefällt, im gewissen Ausmaß mit Absicht der Selbstisolation.
• Der fünfte Grund ist der Mangel an Demokratie und die kulturelle Rückständigkeit.
Im langjährigen Prozess des chinesischen Kampfes ist der Beitrag der Bauern bei
weitem größer als jener der Intellektuellen. Die KPCh ist der Meinung, dass
Intellektuelle auf Seiten der Bourgeoisie und der Grundbesitzer sind. Mao Zedong
und viele Parteikader maßen langfristig Intellektuellen, sowie Bildung, Wissenschaft,
Kultur und Wissen allgemein, wenig Bedeutung zu. Die kulturelle und wirtschaftliche
Rückständigkeit bewirkte offenkundig naive und extreme Tendenzen in der
chinesischen Wirtschaftspolitik, repräsentativstes Beispiel ist, die Armut und
Rückständigkeit des Landes als Vorteil zu sehen.
Wieso waren die Folgen der linksgerichteten Fehler so fatal? Wie konnte die tragische
Entwicklung einer Einzelperson (Mao Zedong) zur Tragödie der ganzen Nation
werden?
Nach Meinung chinesischer Gelehrter sind die Antworten eindeutig. Diese sind
auf die Fehler im System zurückzuführen. Das Fehlen eines demokratischen Systems
107
in Staat und Partei. Die Errichtung eines solchen demokratischen Systems wiederum
ist ein komplizierter historischer Prozess.
6.2.3 Die Fehleinschätzung der Situation
Aus den meisten wissenschaftlichen Erläuterungen ist ersichtlich, dass in den zehn
Jahren vor Ausbruch der Kulturrevolution die linksgerichteten Theorien des
Klassenkampfes immer mehr an Einfluß gewannen. Aufgrund dessen kam es zur
Fehlanalyse Maos und seiner ehemaligen Kriegskameraden (einschließlich der
Genossen aus der ersten Front, wie Liu Shaoqi, Zhu De und Zhou Enlai) bezüglich
der Situation in Staat und Partei, wie etwa die langfristige Etablierung und
Ausweitung des Klassenkampfes im Land, vor allem auch in der Partei.
1965 führten Mao und das Zentralkomitee eine Bewertung zur Lage des Landes
durch, die absolut keinen Bezug zur Realität hatte: Laut dieser befände sich auf dem
Land bereits ein Drittel der politischen Macht nicht mehr in Händen der KPCh,
Marxisten und Arbeiter hätten ihren Einfluss in den Führungsebenen der Betriebe
verloren, Schulen würden von Bourgeoisie und Intellektuellen kontrolliert werden,
Gelehrten- und Künstlerkreise würden sich am Rande des Revisionismus bewegen, im
Land „arbeiterblutsaugende“ Bürokratenklassen und in der Partei „Machthaber, die
den kapitalistischen Weg eingeschlagen haben“ herrschen (Zou zibenzhuyi daolu de
dangquanpai 走资本主义道路的当权派).177
Außerdem wurden innerhalb der Partei gegensätzliche Ansichten zu Fragen des
sozialistischen Aufbaus als Kämpfe zwischen zwei Klassen (Proletariat und
Bourgeoisie) und zwei Richtungen (sozialistischer und kapitalistischer Weg)
angesehen. Hier ist anzumerken, dass in deutschen wissenschaftlichen Publikationen
häufig die Meinung vertreten wird, dass die unterschiedlichen Positionen Mao
Zedongs und Liu Shaoqis bezüglich des sozialistischen Aufbaus, des politischen
177
Xi/Jin 2006:20f.
108
Kurses sowie des zukünftigen Weges des Landes, zum Machtkampf zwischen beiden,
und damit auch zum Ausbruch der Kulturrevolution, führten. In dieser Frage ist die
Analyse und Bewertung der damaligen Lage in der KPCh umsichtiger und objektiver
ausgefallen als jene ihrer deutschen Kollegen.178
Bezüglich der Fehleinschätzung der Situation in Staat und Partei sind chinesische
Gelehrte allgemein der Auffassung, dass Mao und die anderen Parteiführer „sich nicht
im Klaren waren, was Sozialismus tatsächlich ausmacht, was Kapitalismus bedeutet
und schon gar nicht was Revisionismus heißt.“179
An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Auffassungen Mao Zedongs zu
„Antirevisionismus“ und „friedlicher Evolution“ eng mit der Theorie des
Klassenkampfes zusammenhängen.
Ab dem Jahr 1956 (im Jahr des 10. Parteitags der KPdSU) kam es in der
internationalen Bewegung bei einigen wichtigen Fragen zu Differenzen zwischen der
KPCh und der KPdSU.180
Mitte der 60er Jahre begannen sich die Beziehungen der
beiden Länder zu verschlechtern, da es bei Debatten zu gegenseitigen Angriffen kam.
Die KPCh war der Meinung, dass die KPdSU den Marxismus-Leninismus verraten
hätte und bezeichnete den neuen Kurs der Sowjetunion als modernen Revisionismus.
Die KPCh legte fest, sich international gegen den sowjetischen Revisionismus zu
richten und im Inland das Auftreten des modernen Revisionismus und der friedlichen
Evolution zu verhindern. Herr Zhu Qiaosen schrieb in seinem Werk „Geschichte und
Erfahrung der KPCh“, dass die Partei, als sie den ideologischen Standard für die
Politik des Antirevisionismus festlegte, sich zwar international „ehrenhaft und
unabhängig“ gab, sich aber im Inland, bei der Festlegung und Ausführung des
politischen Kurses, dumm anstellte. Die KPCh konnte nicht einfach still die
Veränderungen und neuen Tendenzen auf der Welt hinnehmen, sondern musste die
neuen Faktoren der sozialistischen Reformen ausschalten.
Nach Ansicht Wang Nianyis war Mao Zedongs Bekämpfung der friedlichen
178
Vgl. Wang 2005:2 f. 179
Wang 2005:8 180
Dazu siehe Zhu 2006:123.
109
Evolution richtig, doch gab es auch Fehler: Mao fand nicht den richtigen Weg zu
deren Bekämpfung und konnte auch den Begriff Revisionismus nicht erklären. Seine
Haltung bestand nur darin sich gegen die erste Front des Zentralkomitees (Liu Shaoqi
und Deng Xiaoping) zu richten, die jedoch in vielen Fragen meist richtiger lag als er.
Der Herausgeber von „70 Jahre der Kommunistischen Partei Chinas“, Hu Sheng,
schrieb:
Die Grenzen der Realität zu überschreiten; den Klassenkampf innerhalb eines
bestimmten Rahmens auszuweiten und als absolut zu betrachten; anzunehmen den
Klassenkampf neu ausrufen zu müssen; eine übertriebene Einschätzung zur friedlichen
Evolution vorzunehmen, die überhaupt nicht den damaligen Verhältnissen entsprach
sowie viele richtige Ideologien und Richtlinien als revisionistisch anzusehen und zu
bekämpfen, war falsch und außerordentlich gefährlich.181
6.3 Die Auswirkungen der willkürlichen Entscheidungsgewalt und
des Personenkultes
Die Macht konzentriert sich übermäßig auf eine Person. Partei und Regierung
verlieren die Kontrolle über ihren eigenen Führer. Diese Schwächen in der
Organisationsstruktur sind ein anderer wichtiger Grund für den Beginn der
Kulturrevolution. Diese Auffassung findet bei chinesischen Wissenschaftlern
allgemein Zustimmung. Sie glauben, dass auch wenn die Theorie falsch war und die
Situation falsch eingeschätzt wurde, jedoch die Organisationsstruktur immerhin eine
demokratische gewesen wäre, die oben angeführten Fehler hätten korrigiert werden
können.182
181
Wang 2005:9. 182
Vgl. Xi /Jin 2006:22.
110
Zur willkürlichen Entscheidungsgewalt befragt, sagte Deng Xiaoping:
Die Struktur ist der entscheidende Faktor. Die damalige Struktur war einfach so. Zu
jener Zeit wurden die Verdienste einer einzigen Person zugesprochen. Bei einigen
Themen hatten wir tatsächlich nicht widersprochen und sollten daher einen Teil der
Verantwortung tragen. Natürlich konnten wir uns unter den damaligen Bedingungen in
Wahrheit nur schwer widersetzen.183
Die von Deng erwähnte „damalige Struktur“ weist offensichtlich auf eine übermäßige
Machtkonzentration und den Personenkult hin.
Was ist nun historisch gesehen die Ursache für die übermäßige Machtkonzentration in
einer Person? Wie konnte sich Maos willkürliche Entscheidungsgewalt und der
Personenkult um ihn während der Kulturrevolution in diesem kritischen Ausmaß
entwickeln?
Chinesische Forscher und hohe Funktionäre der KPCh meinen: Aufgrund von
Verkehrs- und Kommunikationsproblemen und verstreuten Stützpunktgebieten, war es
den Führern der KPCh (den Mitgliedern des Politbüros) in einem kriegerischen
Umfeld nicht möglich, eine Konferenz einzuberufen. Deshalb gab man Mao Zedong
(als Parteivorsitzenden) die letzte Entscheidungsgewalt, weil die Partei durch seine
Führung, geprägt von seiner außerordentlichen Weisheit und seiner reichlichen
politischen Erfahrung, den Sieg der demokratischen Revolution und der
sozialistischen Reformen erlang. Aus diesem Grund bekam Mao die Unterstützung
der Kommunisten und sein persönliches Ansehen stieg kontinuierlich. Diese Faktoren
bedingen die immer größer werdende Machtkonzentration in seinen Händen. Deng
Xiaoping gab über die Führung Mao Zedongs folgende Wertung ab: Im Allgemeinen
kann man sagen, dass bis 1957 die Führung Mao Zedongs richtig war, doch häuften
sich ab diesem Zeitpunkt, mit dem Kampf gegen den rechten Flügel, die Fehler.
183
Siehe „Die ausgewählten Werke Deng Xiaopings“, Band 2 (Deng Xiaoping wenxuan, Di er
juan 邓小平文选, 第二卷), Beijing 1983:273.
111
Nach dem Kampf gegen den rechten Flügel 1959 kam das demokratische Leben in
Staat und Partei allmählich zum Erliegen. Endlose Vortragsreden, alleinige
Entscheidungen von wichtigen Fragen, Personenkult und das patriarchalische
Hinwegsetzen einer Einzelperson über die Partei treten immer häufiger in
Erscheinung. Chinesische Forscher betonen, dass die Errungenschaften der KPCh und
die breite Unterstützung Maos innerhalb der Partei ihn anmaßend und selbstgefällig
werden ließen, so dass er sich immer mehr von der Realität und dem Volk entfernte.
Sein Subjektivismus und seine willkürliche Entscheidungsgewalt verschlimmerten
sich zunehmend. Er stellte sich über die Partei und verursachte Schäden im
politischen Alltag von Staat und Partei, die von der heutigen Forschung zu den
schwersten Fehlern in seinen letzten Lebensjahren gezählt werden.
6.3.1 Die Schrecken des Personenkultes
Der Personenkult ist ein leidtragendes historisches Erbe der chinesischen Gesellschaft.
„Die Loyalität gegenüber dem Herrscher“ ist in den Herzen der Chinesen tief
verwurzelt. Bei der Untersuchung der kommunistischen Geschichte auf
internationaler Ebene wird offensichtlich, dass der Personenkult von Stalin und Mao
den Menschen stets großes Unglück und schlimme Folgen brachten.
In chinesischen wissenschaftlichen Publikationen können die Ursachen für den
Personenkult in den folgenden Punkten zusammengefasst werden:
Der erste Grund war die innige Liebe der breiten Massen zu Mao Zedong. Sie
waren der Auffassung, dass die KPCh unter der Führung Maos sie aus Armut und
Elend befreit hatte. Daher zeigten sie Mao ihre Dankbarkeit und verherrlichten ihn als
großen Retter.
Der zweite Grund war die stille Genehmigung des Personenkultes, der insgeheim
von Mao genossen und gefördert wurde. Im März 1958, bei der Konferenz von
Chengdu, trat Mao Zedong für die Verehrung der richtigen Lehre von Marx, Engels,
112
Lenin und Stalin ein, da die Wahrheit in ihren Händen lag.
Das objektive Resultat von Maos Rede war, dass innerhalb der Partei grünes Licht
für den Personenkult gegeben wurde. Auf dieser Konferenz setzte sich der 1. Sekretär
des Parteikomitees der Stadt Shanghai Ke Qingshi für folgendes ein: Das Vertrauen
zum Vorsitzenden Mao muss blind erfolgen. Gehorsamkeit gegenüber dem
Vorsitzenden Mao muss bedingungslos sein.184
Diese fanatische Lobpreisung fand bei
den Führern des Zentralkomitees keinen Widerstand, sondern sogar Bewunderung. Ke
Qingshi, der für den Personenkult eintrat, wurde wenig später zum Politbüromitglied
des Zentralkomitees gewählt.
Personen, die den Personenkult guthießen und propagierten, waren auch die
treibende Kraft dahinter. Hier wird der dritte Grund analysiert. Chinesische
Wissenschaftler sind der Auffassung, dass innerhalb der Partei einige wenige
machtbesessene Intriganten mit Hilfe des Personenkultes um Mao ihre eigenen
Ambitionen verfolgten. Ein typisches Beispiele in diesem Zusammenhang wäre, was
das damalige Mitglied des Politbüros Kang Sheng sagte:
Die Mao Zedong-Ideen sind der Gipfel des Marxismus-Leninismus. Mao Zedong bildet
den höchsten Standard des Marxismus und gleichzeitig das letzte Kriterium dafür185
Der damalige Verteidigungsminister Lin Biao konnte die Art der Huldigung Maos gar
noch weiter steigern. Innerhalb der Streitkräfte propagierte er des Öfteren: Die Mao
Zedong-Ideen sind immer richtig und frei von Fehlern, jedes einzelne Wort vom
Vorsitzenden Mao entspricht der Wahrheit, ein Wort von ihm kommt zehntausend
anderen Wörtern gleich.
Chinesische Forscher denken, die Lehre aus der Geschichte zeigt, dass Mao nichts
gegen die fanatische Huldigung und den eigenen Personenkult unternommen hat,
sondern in diesen stillschweigend einwilligte und es insgeheim genoss verherrlicht zu
werden. Dies förderte die Bildung des Personenkultes innerhalb der KPCh und
184
Vgl. Xi/Jin 2006:29. 185
Xi/Jin 2006:29.
113
innerhalb des Staates, in späterer Folge auch den Ausbruch der Kulturrevolution durch
Mao.
6.3.2 Maos Kampf gegen das zentrale Kollektiv
Chinesische Gelehrte meinen, dass Mao sich im Zeitraum von November 1965 bis
April 1966 intensiv auf den Beginn der Kulturrevolution vorbereitete. In dieser Zeit
organisierte er zunächst die Kritik gegen das Theaterstück „Die Entlassung des Hai
Rui“. Die Kritik, in Form eines Artikels, richtete sich direkt gegen das Pekinger
Parteikomitee unter der Führung Peng Zhens. Später bezog er sich auch auf andere
Mitglieder des Zentralkomitees. Die Organisierung der Kritik zu dem Theaterstück
darf bestimmt nicht als normaler kritischer Artikel verstanden werden, sondern hatte
eine wichtige Bedeutung. Doch vom Entwurf bis zur Veröffentlichung des Textes
konnte weder das Politbüro noch das Sekretariat die Absicht dahinter erkennen.
Im Dezember 1965 beschloss Mao in Shanghai eine große Konferenz des
ständigen Ausschusses des Politbüros einzuberufen. Inhalt der Konferenz war es, über
die Kritik gegen den ehemaligen Vizeministerpräsidenten, Mitglied des Sekretariats
des Zentralkomitees und Generalstabchef der Volksbefreiungsarmee, Luo Ruiqing zu
entscheiden. Über diese wichtige Konferenz war nicht einmal der Vizevorsitzende Liu
Shaoqi informiert.
Im April 1966 veröffentlichte die Zentrale Militärkommission (Vorsitzender war
Mao Zedong) die Kritik „Zuammenfassendes Protokoll über den Auftrag des
Genossen Lin Biao an die Genossin Jiang Qing zur Einberufung der Konferenz über
Literatur und Kunst in der Armee“.186
In diesem Protokoll wurden die gesamten Leistungen des
literarisch-künstlerischen Schaffens seit Gründung der Volksrepublik verworfen. Man
war der Meinung, dass bis dato eine schwarze Linie (Weg der Bourgeoisie) die
186
Vgl. Xi/Jin 2006:29; Vgl. auch Wang 2005:20.
114
literarisch-künstlerische Arbeit beherrschte und sprach daher von der „Diktatur der
schwarzen Linie“. Chinesische Forscher finden, dass obwohl Jiang Qing weder dem
Zentralkomitee noch der Zentralen Militärkommission angehörte, aber dennoch der
Konferenz zur Kunst und Literatur vorstand, den abnormen Zustand des politischen
Alltags in der Partei beweist. Außerdem sind die Wissenschaftler überzeugt davon,
dass Mao persönlich das zentrale Kollektiv ablehnte. Er wandte eine kurvenreiche
(indirekte) Taktik an, indem er anfing die Veröffentlichung eines kritischen Artikels zu
unterstützen, die „Konferenz zur Aussprache über Literatur und Kunst“ anzuberaumen
sowie schonend am Zentralkomitee Kritik übte. Über einen Kommentar zur Kunst
und Literatur kritisierte er die politische Richtung, durch die Kritik der unteren Ebene
bedrängte er die Führung. Mao war vom Zentralkomitee enttäuscht und bat die Armee
um Hilfe (Er nutzte die Macht der Armee, um die Kulturrevolution auszurufen. Im
späteren Verlauf wird dieses Ereignis noch näher erläutert). Die „Zeitung der
Volksbefreiungsarmee“ diente ihm als Sprachrohr, um seine politischen Ansichten zu
vertreten. Innerhalb kürzester Zeit initiierte er eine aggressive Kritik und löste damit
innerhalb der Partei ein politisches Erdbeben aus, das durch „Klassenkämpfe“ und die
äußerst gespannte Situation gekennzeichnet war. Diese Ereignisse ließen die
Menschen glauben, dass im Zentralkomitee tatsächlich revisionistische Strömungen
herrschten. Um die Kulturrevolution auszulösen, hatte Mao Zedong die Öffentlichkeit
präzise darauf vorbereitet.
115
Kapitel 7: Der endgültige Ausbruch der Kulturrevolution
7.1 Kritik gegen „Die Entlassung des Hai Rui“ – als Zündschnur der
Kulturrevolution
Für viele Chinesen war der plötzliche Ausbruch der Kulturrevolution lange Zeit eine
Überraschung. Umso ironischer erscheint die Tatsache, dass der Auslöser für diese
politische Erschütterung die am 10.11.1965 im „Wenhui Bao“(文汇报) erschienene
Kritik der Neufassung des historischen Theaterstücks „Die Entlassung des Hai
Rui“ war. Der Verfasser Yao Wenyuan wurde damals Redaktionsmitglied der
Shanghaier „Jiefang Ribao“(解放日报). Seine Kritik richtete sich an den Autor der
Pekingoper „Die Entlassung des Hai Rui“ Wu Han, ein renommierter Experte für die
Geschichte der Ming-Dynastie. Wu war Vizebürgermeister der Stadt Peking und
beschrieb in seinem Stück Hai Rui, einen ehrlichen unbestechlichen Beamten der
Ming-Dynastie. der keine Angst vor den Mächtigen hatte. Er widerrief ungerechte
Fehlurteile, traute sich, die Wahrheit zu sagen und sogar den Kaiser zu kritisieren.
Innerhalb der obersten Führungsebene der KPCh kam es zu
Meinungsverschiedenheiten, die aufgrund einer Kritik des historischen Theaterstückes
auftraten. Sie lösten eine noch nie dagewesene Katastrophe aus, die historisch gesehen
gleichzeitig ein außergewöhnliches Phänomen darstellten.
Aufgrund der umfangreichen Forschung und Analyse des historischen Materials
ist es offenkundig, dass Yao Wenyuan es nur wagte in Shanghai einen kritischen
Artikel zum Stück „Die Entlassung des Hai Rui“ zu verfassen, der sich ferner direkt
an eine Führungspersönlichkeit der Hauptstadt Peking richtete, weil dies unter der
Federführung Jiang Qings geschah und von Mao Zedong persönlich gedeckt war.
Anfang 1966 wirkte sich die Kritik zur „Die Entlassung des Hai Rui“ nicht nur auf
sämtliche Theaterstücke sowie auf andere literarische und künstlerische Werke aus,
die das Thema Hai Rui aufgriffen, wie die Stücke „Hai Rui beschimpft den
116
Kaiser“ (Hai Rui ma huangdi 海瑞骂皇帝 ) oder „Hai Rui“ (海瑞 ), sondern
beeinflusste auch Historiker, Künstler und Philosophen. Damit war innerhalb
kürzester Zeit das gesamte gesellschaftliche und wissenschaftliche Leben des Landes
davon betroffen. In Zeitungen erschienen zahlreiche Artikel, die sich gegen Wu Han
sowie andere Professoren und Gelehrte richteten. Im gesamten Land breitete sich eine
Flut von politischen Kritiken aus.
Chinesische Gelehrte kommen zur allgemeinen Übereinstimmung, dass die Kritik
an Wu Hans vollkommen unrechtmäßig war. Jiang Qing und der damalige Sekretär
des Parteikomitees der Stadt Shanghai Zhang Chunqiao hatten, um ihre politischen
Machenschaften zu erreichen, ohne Rücksicht auf geschichtliche Tatsachen viele
Verbrechen Wu Hans einfach erfunden, so dass er zum leidtragenden Opfer des
Machtkampfes innerhalb der KPCh wurde.187
7.2 Die erweiterte Konferenz des Politbüros der KPCh
Im „Beschluss des Zentralkomitees der KPCh zu einigen historischen Fragen der
Partei seit der Staatsgründung“ wird darauf hingewiesen, dass „die Kulturrevolution
im Zeitraum von Mai 1966 bis Oktober 1976 der Partei, sowie dem Staat und der
Bevölkerung den schwersten Rückschlag seit der Staatsgründung brachte.“188
Chinesische Gelehrte sind prinzipiell der Meinung, dass die Kulturrevolution zehn
Jahre dauerte. Bei der Periodisierung der Kulturrevolution kommen sowohl
chinesische als auch einige deutsche Wissenschafter zu unterschiedlichen
Auffassungen. Der ehemalige deutsche Botschafter in der Volksrepublik China
Konrad Seitz, behauptet in seinem neu veröffentlichten Werk „China Eine Weltmacht
kehrt zurück“, in Kapitel 17, dass die Große Proletarische Kulturrevolution von
187
Vgl.Xi /Jin 2006:70. 188
Siehe das Dokument von der Abteilung zur Dokumentenforschung des ZK der KPCh, Beijing
1985:1.
117
1966-1969 dauerte. Ich denke, dass man über den Zeitraum diskutieren kann, doch
kann ich dem gleichzeitig nicht zustimmen.
Laut den Aufzeichnungen in den Dokumenten des Zentralkomitees der KPCh ist
festzustellen, dass die vom 4. bis 26. Mai 1966 einberufene erweiterte Konferenz des
Politbüros der KPCh sowie das vom 1. bis 12. August 1966 anberaumte 11. Plenum
des 8. Zentralkomitees der KPCh den Beginn der Kulturrevolution einläuteten.189
Am 16. Mai 1966, während der erweiterten Konferenz des Politbüros der KPCh,
wurde die „Mitteilung des Zentralkomitees der KPCh“ (Mitteilung des 16. Mai)
angenommen. Sie wurde von Mao persönlich ausgearbeitet und verbessert. Darin wird
eindeutig betont, „die Fahne der Großen Proletarischen Kulturrevolution hochzuhalten,
die kapitalistische Haltung der sogenannten „wissenschaftlichen Autoritäten“, die
gegen Partei und Sozialismus agieren, gründlich aufzudecken, reaktionäre
kapitalistische Gedanken in Wissenschaft, Bildung, Presse, Kunst und Verlagswesen
radikal zu kritisieren sowie die Führungsrolle auf diesen Gebieten zu erringen.“190
Nicht lange nach der Veröffentlichung der „Mitteilung des 16. Mai“ wurde der
ehemalige Chefredakteur und Verlagsleiter der „Volkszeitung“ Deng Tuo, der damals
Parteisekretär Pekings war, aufgrund seiner satirischen Essays unter dem Titel
„Abendgespräche am Schwalbenberg“(Yanshan yehua 燕山夜话) kritisiert. Um
Widerstand zu leisten und Protest einzulegen, nahm er sich schließlich das Leben. Am
23. Mai beging auch der ehemalige Sekretär Mao Zedongs, sowie Vizedirektor der
Abteilung zur Politikforschung des Zentralkomitees der KPCh, Tian Jiaying
Selbstmord, weil er aufgrund seiner „ konsequenten rechten Gesinnung“ kritisiert
wurde. Zudem forderte man ihn auf aus Zhongnanhai, der Arbeitsstätte des
Zentralkomitees, auszuziehen. Am gleichen Tag beschloss die anberaumte Konferenz
des Politbüros:
(1) die Mitgliedschaft der Genossen Peng Zhen, Lu Dingyi und Luo Ruiqing sowie des
189
Siehe das Dokument von der Abteilung zur Dokumentenforschung des ZK der KPCh, Beijing
1985:88. 190
Ebda. , 90.
118
Kandidaten Yang Shangkun im Sekretariat des Zentralkomitees der KPCh aufzuheben.
(2) Genossen Peng Zhen vom Posten des 1. Sekretärs des Parteikomitees der Stadt
Peking sowie Genossen Lu Dingyi vom Posten des Leiters der Propagandaabteilung der
KPCh zu entheben.191
Sie wurden nicht nur ihrer Posten enthoben, sondern bezichtigt gegen die Partei agiert
und einen Staatsstreich geplant zu haben. Daraufhin wurden sie als „parteifeindliche
Clique“ deklariert.
Die „parteifeindliche Clique um Peng, Luo, Lu und Yang“ rief innerhalb der
KPCh große Entrüstung hervor und versetzte das gesamte Land in Aufruhr. Doch in
der Zeit des Personenkultes glaubten die Menschen diesen Verleumdungen und
Beschimpfungen und waren von der Weisheit und Größe Mao Zedongs und Lin Biaos
überzeugt.
7.3 Die Differenzen zwischen der ersten Front und Mao Zedong
Innerhalb der Kommunistischen Partei gab es bezüglich der „Mitteilung des 16.
Mai“ unterschiedliche Auffassungen. Mao war der Meinung, dass der Grund für den
Revisionismus im Zentralkomitee und für die Gefahr eines antirevolutionären
Staatsstreiches in der ersten Front zu finden sei.
Der ersten Front unter der Führung von Liu Shaoqi und Deng Xiaoping war zwar
die ungewöhnliche Veränderung innerhalb der Partei bewusst, doch blieb ihr die
wahre Absicht Maos verborgen. Sie verstand einige Aussagen Maos nicht und
stimmte diesen in vieler Hinsicht nicht zu. Andererseits blieb ihr nichts anderes übrig
als weiter ihre Arbeit zu verrichten, trotz der Widersprüche und Verwirrungen in der
Partei.
Mao benutzte die Massen zur Initiierung der Kulturrevolution, weil er sich seines
191
Wang 2005:15.
119
Ansehens in der Bevölkerung sicher war. Er war der Meinung, dass er durch die
Unterstützung der Volksbefreiungsarmee seine Ziele erreichen konnte. Er wollte noch
während seiner Lebenszeit sämtliche Schwierigkeiten aus dem Weg räumen und seine
Vorstellungen vom Sozialismus verwirklichen. Darin sah er die Entwicklung des
Marxismus.192
Liu Shaoqi und Deng Xiaoping fanden, dass die Kulturrevolution nur unter der
Führung der Partei durchgeführt werden durfte. Sie versuchten mit Hilfe der
Kulturrevolution die Loslösung der Kader von den Massen zu verhindern sowie den
zunehmenden Bürokratismus und Probleme im kulturellen Bereich in den Griff zu
bekommen.
Während der Kulturrevolution gab es die weit verbreitete Behauptung, dass Liu
Shaoqi deshalb gestürzt wurde, weil er sich am 8. Parteitag der KPCh in Peking gegen
die Annahme der „Mao Zedong-Ideen“ in die Parteisatzung aussprach. Diese Meinung
wird jedoch von chinesischen Forschern stark angezweifelt.193
Im Jahr 1956, im ersten Jahrzehnt der Volksrepublik, mangelte es der KPCh an
Erfahrung im Aufbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Ausrichtung des
politischen Kurses und die Durchführung der politischen Richtlinien erforderten eine
genaue Überprüfung, da ihnen der komplette rationale Aufbau fehlte. Daher wurde in
die Satzung des 8. Parteitages nur der „Marxismus-Leninismus als Richtlinie für
Handlungen der KPCh“ aufgenommen194
, und nicht etwa die „Mao Zedong-Ideen“.
Dies war jedoch der Beschluss der gesamten Partei und nicht auf den Widerstand Liu
Shaoqis zurückzuführen.
192
Vgl. Wang 2005:22 193
Vgl., Jin 1995:252. 194
Ebda., 253.
120
7.4 „Das Hauptquartier bombardieren“
Nachdem die „Mitteilung des 16. Mai“ ausgesendet wurde, widersetzte sich nicht nur
die oberste Führung des Zentralkomitees, selbst einfache Parteimitglieder konnten
dies nicht verstehen. Nach Ansicht Mao Zedongs hinderten diese Widerstände ihn in
seiner revolutionären Bewegung. Er meinte daher, dass die Durchführung einer
Kulturrevolution im gesamten Land unbedingt erforderlich sei.
Vom 1. bis 12. August 1966 fand in Peking das 11. Plenum des 8. Zentralkomitees
der KPCh unter der Leitung Mao Zedongs statt. An der Sitzung nahmen 141
Mitglieder des Zentralkomitees teil, darunter auch 47 Vertreter der „revolutionären
Lehrkräfte und Studenten“ von Pekinger Hochschulen. Dabei wurde am 8. August
1966 der „Beschluss des Zentralkomitees der KPCh über die Große Proletarische
Kulturrevolution“ (Zhongguogongchandang Zhongyangweiyuanhui guanyu
wuchanjieji wenhuadageming de jueding 中国共产党中央委员会关于无产阶级文化
大革命的决定) angenommen. Dieser stellt das Programm der Kulturrevolution dar,
der wegen seiner Gliederung auch unter der Bezeichnung „16 Punkte“ bekannt ist.
Diesbezüglich schrieben die chinesischen Forscher He Yuan und Zhang Tuosheng in
ihrer „Bewertung der 11. Plenarsitzung des 8. Zentralkomitees“: Dieser Beschluss war
nach der „Mitteilung des 16. Mai“ ein weiterer schwerwiegender Fehler des linken
Flügels. Infolgedessen nahm der vom linken Flügel geführte politische Kurs innerhalb
des Zentralkomitees eine dominierende Stellung ein.195
Dieser Auffassung stimmen
auch die meisten anderen chinesischen Gelehrten zu.
Am 5. August 1966 schrieb Mao Zedong „Das Hauptquartier bombardieren –
Meine erste Wandzeitung“ (Paoda silingbu –wo de diyizhang dazibao 炮打司令部 –
我的第一张大字报). Dass Mao Zedong, damals Vorsitzender der KPCh, einen
Artikel verfasste, der sich gegen den Vizevorsitzenden der KPCh sowie Präsidenten
der Volksrepublik China richtete, war äußerst ungewöhnlich. Darin schrieb er:
195
Vgl. Zhang/Su 1999:680.
121
[...] Es gibt von der Basis aufwärts bis zur Zentrale einige leitende Genossen, die
revisionistische kapitalistische Ansichten vertreten und eine kapitalistische Führung
anstreben. Sie versuchen die großartige Kulturrevolution zu vereiteln, die Wahrheit auf
den Kopf zu stellen, Recht und Unrecht zu verwischen, revolutionäre Kräfte zu
vernichten, Gegenmeinungen zu unterdrücken sowie den weißen Terror zu verbreiten
[...]196
Chinesische Forscher meinen, dass Mao mit der Veröffentlichung seines Artikels eine
folgenschwere politische Aktion lostrat, um Liu Shaoqi zu stürzen. Zu dieser Zeit
befand sich die oberste Führungsriege der KPCh in der Situation, dass „alte
Revolutionäre sich neuen Problemen stellen mussten“. Dass Mao sie als Ziel für seine
Bombardements aussuchte, löste in ihnen verständlicherweise Inakzeptanz und
Unverständnis aus. Daher formierte sich schnell Widerstand und sie versuchten sich
Mao Zedong entgegenzustellen.
Am 28. Juli 1966 sprach Liu Shaoqi mit Aktivisten der Kulturrevolution, die aus
den Reihen der Pekinger Hochschulen stammten:
Ihr wisst nicht wie man die Große Proletarische Kulturrevolution ausrichten soll, und
fragt uns? Ich sage euch ganz ehrlich, dass ich mir auch nicht im Klaren darüber bin.197
Die Worte Liu Shaoqis spiegelt deutlich die damalige Situation in der obersten
Führung der KP wider, die von Unkenntnis gegenüber der Kulturrevolution geprägt
war.
Am 12. August 1966 besetzte das Zentralkomitee, auf Vorschlag Mao Zedongs,
den ständigen Ausschuss des Politbüros neu. Infolgedessen wurden Mao Zedong, Lin
Biao, Zhou Enlai, Tao Zhu, Chen Boda, Deng Xiaoping, Kang Sheng, Liu Shaoqi,
Zhu De, Li Fuchun und Chen Yun neu berufen. Liu Shaoqi wurde in der
Führungshierarchie von der Nummer 2 auf die 8 degradiert. Die Posten des
196
Chen 2007:358. 197
Ebda., 359.
122
Vorsitzenden und des Vizevorsitzenden blieben zwar unverändert, doch wurden die
Namen Liu Shaoqi, Zhou Enlai, Zhu De und Chen Yun als Vizevorsitzende in
sämtlichen Dokumenten nicht mehr erwähnt, und somit indirekt ihrer Posten enthoben.
Lin Biao hingegen wurde als Einziger zum Vizevorsitzenden gewählt. In dieser
Konferenz beendete Mao die strukturelle Umgestaltung der Führungsebene nach Plan.
Danach wurden Liu Shaoqi, Deng Xiaoping und andere Führungspolitiker
nacheinander genau überprüft und schließlich scharf kritisiert. Die Gremien des
Zentralkomitees konnten nicht wie gewohnt ihrer Arbeit nachgehen; nur die
Arbeitsgruppe der Kulturrevolution, unter der direkten Kontrolle Maos, konnte ihre
Macht immer mehr entfalten. Die Kulturrevolution konnte sich erst durch diese
historischen Umstände richtig entfalten.
7.5 Das Auftreten der Roten Garden
Aus Sicht vieler Ausländer und der heutigen chinesischen Jugend sind die
Handlungen der Roten Garden während der Kulturrevolution nur schwer
nachvollziehbar. Fanatismus, grenzenloser Glaube an Mao, Unvernunft und
Zerstörungskraft gehörten zu ihren Merkmalen. Wie konnten Millionen junger
Studenten, die gerade ihre Hochschulausbildung absolvierten, in einem Land mit einer
langen Zivilisation und einer konservativen Kulturtradition, derart abnorm und
irrational reagieren?
Im Rückblick auf die Geschichte ist es bei der Analyse nicht schwer zu erkennen,
dass das Auftreten der Roten Garden und ihre „rebellische“ Haltung auf die
revolutionäre Erziehung sowie auf die Erziehung des Klassenkampfes im Vorfeld der
Kulturrevolution zurückzuführen sind. Gleichzeitig herrschten, unmittelbar vor der
Kulturrevolution, Widersprüche in Gesellschaft und Politik, die sich nun innerhalb der
Roten Garden manifestierten. Mao benutzte die Roten Garden, um seine persönliche
Revolution in Gang zu setzen.
123
Die chinesische Jugend ist nicht über Nacht plötzlich fanatisch und streitsüchtig
geworden. Doch die Ereignisse unmittelbar vor der Kulturrevolution, wie die
Erziehung des revolutionären Ideals und des Klassenkampfes, die Bewegung der
Volksbefreiungsarmee in den Hochschulen, der Personenkult um Mao sowie die
Atmosphäre in den Schulen und in der Gesellschaft, ließen in dieser Generation die
Leidenschaft nach Revolution sowie die Sehnsucht nach „Zerstörung der alten sowie
Errichtung einer neuen Welt“ entstehen. In der an die Qinghua-Universität
angeschlossenen Mittelschule schlossen sich einige Dutzend Schüler zur ersten
Kompanie der Roten Garden, als „Rote Garde zum Schutz des Vorsitzenden Maos“,
zusammen. Sie gelobten gemeinsam den „Eid der Roten Garden“:
Wir, die Roten Garten, treten für die Verteidigung der roten Staatsführung ein. Die
Partei und der Vorsitzende Mao sind unsere Beschützer. Die Befreiung der gesamten
Menschheit ist unsere unabweisliche Pflicht. Die Mao Zedong-Ideen sind unsere
obersten Anweisungen. Wir schwören, dass wir fest entschlossen sind für den Schutz
der Partei und des großen Führers Mao Zedong unsere letzten Tropfen Blut zu
vergießen.198
Der 29. Mai 1966 wurde danach als Geburtsstunde der Roten Garden angesehen. Mit
dem Aufstieg der Bewegung der Roten Garden erfolgte der revolutionäre
Erfahrungsaustausch, der ausdrücklich von Mao befürwortet wurde. Dabei kam der
Staat für die Transportkosten sowie für Zuschüsse des Lebensunterhaltes der
Millionen Reisewilligen auf. Vom ersten Treffen mit den Roten Garden am 18. August
1966 auf dem Tiananmen-Platz an, empfing Mao Zedong bis Ende November
desselben Jahres insgesamt achtmal über 11 Millionen begeisterte Lehrkräfte und
Studenten sowie Mittelschüler.199
Während des revolutionären Erfahrungsaustausches kam der Verkehr aufgrund des
hohen Transportaufkommens beinahe zum Erliegen. Die öffentliche Ordnung in
198
Jiang 1994:9. 199
Vgl. Xi/Jin 2006:105.
124
größeren und mittleren Städten war chaotisch und wirkte sich direkt auf Produktion
und Aufbau in der Wirtschaft sowie auf das Leben der Bevölkerung aus. Dies war nur
der Auftakt für die Unruhe, die im ganzen Land noch folgen sollte.
7.5.1 Die revolutionären Aktionen der Roten Garden
Laut den wissenschaftlichen Publikationen der chinesischen Fachwelt kamen die
Roten Garden, nach Maos Empfang auf dem Tiananmen-Platz am 18. August 1966,
dem Aufruf ihres Steuermannes nach, indem sie jegliche Aktionen zur „revolutionären
Rebellion“ unternahmen. In den Arbeiten deutscher Forscher werden die
revolutionären Aktivitäten der Roten Garden, „das Alte niederreißen, Neues
aufbauen“, genau beschrieben, wie etwa die Zerstörung von Tempeln, Kirchen und
Museen, das Verbot von Schmuck und Kosmetika sowie detaillierte Einzelheiten aus
dem Leben der Parteifunktionäre auf Wandzeitungen.
Aus Sicht der chinesischen Forschung sind vor allem Ding Xiaohe, mit
„Gewittersturm: Rhapsodie der Roten Garden“ (Kuang Biao : Hongweibing
kuangxiangqu 狂飙:红卫兵狂想曲) und Jiang Pei, mit „Gewittersturm der Roten
Garden“ (Hongweibing kuangbiao:红卫兵狂飙)zu nennen, die in ihren Arbeiten
eine umfassende Schilderung des gesamten Verlaufs der Aktionen der Roten Garden
darstelllten.
Die Roten Garden waren für viele Menschen furchteinflößend, doch gleichzeitig
wurden sie von vielen Jugendlichen als Helden angesehen. In der gegenwärtigen
Kulturgeschichte sind die Zerstörungen der Roten Garden beispiellos und einmalig.
Was hat die Roten Garden nun dazu bewegt solche fanatischen Aktionen
durchzuführen, die aus heutiger Sicht nur Unverständnis hervorrufen? Auf welche
Motivation und auf welche ideologische Grundlage sind diese Aktionen
zurückzuführen?
125
Nach der Untersuchung von Arbeiten chinesischer Forscher bin ich zur folgenden
anfänglichen Erkenntnis gelangt:
a. Revolution über alles
Der überwiegende Teil der Roten Garden sah ihr Verhalten in der Kulturrevolution als
idealistisch an. Der Kern dieser Art von Idealismus lag in der „Revolution“. Um ihre
revolutionäre Haltung zu beweisen, waren die Jugendlichen in der Lage Menschen zu
schlagen und zu beschimpfen sowie Gegenstände zu zerstören und Häuser zu
plündern. Die Massen schlugen sich gegenseitig grün und blau. Die sogenannte
Revolution wurde im höchsten Maße politisiert. Unter diesen politischen
Bedingungen wurde Wissen nicht respektiert und Lehrer wurden misshandelt. Die
sogenannte Revolution bedeutete nur an der Organisation teilzunehmen, und an der
Organisation der Roten Garden teilzunehmen, hieß eine „revolutionäre Haltung“ zu
haben.
b. Die Tendenz gegen Zivilisation und Kultur zu agieren
Die Tendenz gegen die Kultur zu agieren ist an der Haltung Mao Zedongs besonders
offensichtlich. Mao meinte:
Je mehr jemand studiert, desto törichter wird er. Intellektuelle sind Parasiten, die keinen
Bezug zur Arbeit haben und müssen daher umerzogen werden.200
Unter dem Einfluss des Gedankens wurde die jahrtausendalte chinesische Tradition,
Lehrer und Bildung zu achten, beseitigt. Als Folge dessen fuhren Studenten der
Pädagogischen Universität Peking nach Qufu in der Provinz Shandong, um das Grab
des Konfuzius zu schänden, den Tempel zu zerstören, konfuzianische Klassiker zu
verbrennen und Menschen öffentlich zu demütigen.
Vor der Kulturrevolution wurde „die Theorie der menschlichen Natur“ kritisiert,
200
Jin /Xi 1999:149.
126
indem menschliche Gefühle, mütterliche Liebe und Zärtlichkeit als kapitalistische
Sentimentalität deklariert wurden.
c. Die Philosophie des Kampfes
Die Anweisung Maos „mit Chaos auf Erden erreicht man Ordnung im
Land“ veranlasste die Roten Garden seine Worte in die Tat umzusetzen, indem sie
ihren Kampfeinsatz noch radikaler gestalteten. Sie betrachteten aufgrund dieser
Aussage das „Chaos“ durchaus positiv. Die Roten Garden duldeten keine
abweichenden Meinungen, bekämpften die Mitte und waren gegen Kompromisse. Ein
ehemaliger Rotgardist erinnert sich, dass seine Mitschüler und er in der
Kulturrevolution dem Schuldirektor die Haare schoren, ihn auf den Boden warfen und
mit den Füßen nach ihm traten. Anschließend banden sie ein Seil um seinen Hals und
befahlen ihm wie ein Hund zu kriechen. Der Direktor wurde als Klassenfeind
behandelt und brutal verfolgt. Solche tragischen Ereignisse passierten während der
Kulturrevolution unzählige Male. Chinesische Forscher glauben, dass die
Kampfbereitschaft und der Klassencharakter der Roten Garden zu Willkür und
Grausamkeit ihrer Handlungen führten.201
7.5.2 Die Bewegung der Roten Garden
Das Motiv für die Bewegung der Roten Garden lag anfänglich primär in der
„Zerstörung der vier Relikte (die sogenannten alten Gedanken, alte Kultur, alten
Gebräuche und alten Gewohnheiten), doch aufgrund der Hetze von Lin Biao und
Jiang Qing gingen die Roten Garden im ganzen Land in die Öffentlichkeit, um
Wandzeitungen anzukleben, Flugblätter zu verteilen, und Reden zu halten. Von ihnen
als „Klassenfeinde“ deklarierte Personen wurden bekämpft, gezüchtigt und deren
Vermögen konfisziert. Gegenstände, die die Roten Garden als feudalistisch,
201
Vgl. Jin /Xi 1999:153.
127
kapitalistisch oder revisionistisch ansahen, wurden zerstört. Damals wurden
Führungskader aus den verschiedensten Bereichen wie Bildung, Wissenschaft, Presse,
Kunst und Verlagswesen als „finstere Bande“ oder „kapitalistische
Fraktion“ bezeichnet und kritisiert. Eine große Anzahl von Soziologen, Literaten,
Künstlern, Naturwissenschaftlern, Ärzten, renomierten Professoren, Redakteuren und
Journalisten wurden als „reaktionäre wissenschaftliche Autoritäten“ und
„Konterrevolutionäre“ angesehen und dementsprechend kritisiert. Nach
unvollständigen statistischen Angaben wurden bis Ende September 1966 in Peking
32.600 Haushalte von den Roten Garden durchsucht. Von den 6.843
Kulturgegenständen (Stand 1958) wurden 4.922 im revolutionären Wahn der Roten
Garden zerstört.202
Diese Aktionen der Roten Garden wurden in der Öffentlichkeit zunehmend
abgelehnt und es machte sich Widerstand breit. In einigen Fällen kam es zu
Konflikten mit Arbeitern, Bauern und sogar mit Soldaten der Volksbefreiungsarmee.
Innerhalb der Organisation der Roten Garden kam es aufgrund von
Meinungsverschiedenheiten und Differenzen im Aktionsablauf zu Abspaltungen und
Umstrukturierungen. Die verschiedenen Gruppierungen versuchten die Massen
jeweils für sich zu gewinnen, indem sie ihre Argumente vorbrachten und sich
gegenseitig bekämpften. Die Differenzen beruhten in der Betrachtung der
Kulturrevolution, wie z. B. ihres Wesens und ihrer Durchführung, sowie in der
Beurteilung einiger Führungskader. Infolgedessen bildeten sich unterschiedliche
Gruppierungen heraus. In dieser Zeit ereignete sich der berühmte
„Liandong-Zwischenfall“ (Liandong shijian 联 动 事 件 ). „Liandong“ ist die
chinesische Abkürzung für „Kommission zur gemeinsamen Aktion der Roten Garden
in der Hauptstadt“. Sie bestand aus Führern der Roten Garden, die Dutzenden
Mittelschulen Pekings angehörten, unter anderem den der Peking-Universität und der
Qinghua-Universität angeschlossenen Mittelschulen. Zu Beginn der Kulturrevolution
nahmen diese Mittelschüler mit aufrichtiger Leidenschaft an der Bewegung der Roten
202
Vgl. Xi/Jin 2006:106.
128
Garden teil. Doch nach einigen Monaten begannen sie an der Richtigkeit ihrer
Aktionen zu zweifeln. Sie konnten nicht verstehen, weshalb sie von der Staatsführung
angefangen bis zu den Leitern der Arbeitseinheiten, einschließlich ihrer Eltern, über
Nacht zur „finsteren Bande“ und zur „kapitalistischen Fraktion“ abgestempelt und
somit als „Konterrevolutionäre“ angefeindet wurden. Dadurch wurden sie selbst zu
„Kindern der finsteren Bande“ und zu „schwarzen Schafen“. Diese grausame
Wahrheit brachte sie zum Nachdenken und bald darauf demonstrierten sie gegen die
„Verunglimpfung und Beschimpfung der alten Revolutionäre“ und gegen die
Arbeitsgruppe der Kulturrevolution. Ihre Haltung erzürnte erwartungsgemäß die
Verantwortlichen. Unter der Anweisung Jiang Qings verhafteten Beamte der
öffentlichen Sicherheit 3.139 Mitglieder der „Liandong“.203
Dieser Zwischenfall
beweist, dass schon zu ihrem Beginn die Kulturrevolution boykottiert und bekämpft
wurde.
7.5.3 Das Schicksal und der Untergang der Roten Garden
Ab Oktober 1967 begannen die Schulen im ganzen Land nacheinander wieder
Unterricht abzuhalten. Die „Arbeiter für Mao Zedong-Ideen“ zogen in die Schulen ein,
um die Schuladministration zu übernehmen. Die Bewegung der Roten Garden
beendete im Wesentlichen ihre großangelegten Zerstörungsaktionen. Das sogenannte
„Unterricht wiederherstellen und Revolution leisten“ bedeutete, dass in den Klassen
die gesammelten Werke Mao Zedongs sowie Dokumente bezüglich der
Kulturrevolution gelehrt sowie alte Lehrbücher und das ehemalige Bildungssystem
kritisiert wurden.
In dieser Zeit versuchte Mao die Bewegung der Roten Garden auf die
„Bildungsrevolution“ zu beschränken, da sie als revoltierendes Instrument, zur
Schaffung eines politischen Ideals sowie zur Zerstörung des alten Systems und der
203
Vgl. Xi/Jin 2006:108.
129
„bürokratischen“ Struktur, ihre historische Aufgabe bereits erfüllt hatte.
Doch die Kritik innerhalb der „Bildungsrevolution“ war für die Roten Garden, im
Vergleich zur „Rebellion“ in der Anfangsphase der Kulturrevolution, nicht annähernd
befriedigend. Daher begannen die einzelnen Gruppierungen um die Macht zu
kämpfen, indem sie auf offener Straße mit Waffengewalt gegeneinander vorgingen.
Die Zahl der Verletzten und Toten, die aus diesen Kämpfen hervorgingen, stiegen
kontinuierlich an.204
Unter diesen Umständen entsendete Mao Zedong allein in
Peking 30.000 Arbeiter der „Arbeite-Propagandagruppen“(Gongxuandui 工宣队)
sowie Teile der „Soldaten-Propagandagruppen“(Junxuandui 军宣队) in die Schulen,
um die Kämpfe der Roten Garden und die Waffengewalt zu beenden.
Am 28. Juli 1968 empfingen Mao Zedong, Lin Biao und Zhou Enlai die fünf
bedeutendsten Führer der Roten Garden der Stadt Peking: Nie Yuanzi
(Peking-Universität), Kuai Dafu (Qinghua-Universität), Han Aijing (Pekinger Institut
für Raum- und Luftfahrt), Tan Houlan (Pädagogische Universität Peking) sowie Wang
Dabing (Pekinger Institut für Geologie).
Maos Gespräch mit den Führern der Roten Garden dauerte etwa fünf Stunden und er
wies sie streng zurecht:
Ich habe euch hergebeten, um die Gewalt an den Hochschulen zu beenden. [...] In
einigen wenigen höheren Bildungsinstituten gibt es noch immer gewalttätige
Auseinandersetzungen. Falls einige wenige sich nicht von der Gewalt abbringen lassen
sind sie Banditen, dann sind sie die Kuomintang. Diese Gestalten müssen umzingelt
werden. Wenn sie weiter hartnäckig Widerstand leisten, müssen sie vernichtet
werden.205
Durch die Warnung Maos erkannten die Roten Garden, dass ihre historische Mission
beendet war. Ihre Führer Kuai Dafu, Han Aijng und Wang Dabing wurden ferner
gezwungen, Zwangsarbeit zu leisten.
204
Vgl. Jiang 1994:227ff. 205
Jiang 1994:238.
130
Chinesische Wissenschaftler sind der Ansicht, dass der Einzug der
„Arbeiterpropagandagruppen“ in die Schulen den Zeitpunkt markiert, an dem
Revolutionskomitees im ganzen Land entstanden und das Ende der Roten Garden
einläutete.
Ende Dezember 1968 machte Mao Zedong den Aufruf „die intellektuelle Jugend aufs
Land zu verschicken“ (Zhishi qingnian dao nongcun qu 知识青年到农村去 ).
Landesweit wurden über 10 Millionen Mittelschüler (Unter- und
Oberstufenabsolventen der Jahrgänge 1966, 1967 und 1968) dazu aufgerufen in die
„weite Welt“(Guangkuo tiandi 广阔天地) hinauszugehen. Sie verließen die Zentren
der Kulturrevolution – die Städte. Dieser Zeitpunkt markierte das Ende der Bewegung
der Roten Garden.206
7.6 Januarsturm in Shanghai
Im Januar 1967 brach in Shanghai der sogenannte „Januarsturm“ (auch
„Januarrevolution“ genannt) aus. Die Kulturrevolution trat in ihre nächste Phase ein,
in der die rebellische Fraktion die Macht übernahm. Diese Fraktion übernahm die
Leitung der Shanghaier Zeitungen „Wenhui Bao“ und „Jiefang Ribao“ und begann die
politische Führung der Stadt zu kritisieren und zu bekämpfen. Aufgrund der Aktionen
der rebellischen Fraktion wurden die Stadtregierung und die Führungsorgane
gezwungen ihre Arbeit einzustellen. Die Führung in Partei und Regierung der Stadt
Shanghai ging in die Hände der rebellischen Fraktion unter der Leitung von Zhang
Chunqiao, Yao Wenyuan und Wang Hongwen über. Unter diesem von Zhang
Chunqiao sowie anderen Mitgliedern der rebellischen Fraktion angezettelten
Komplott, entstand am 5. Februar die „Shanghaier Volkskommune“. Dabei wurde die
„Deklaration der Shanghaier Volkskommune“ verlesen und Zhang Chunqiao zu ihrem
206
Siehe Jiang 1994:244.
131
Leiter sowie Yao Wenyuan und Wang Hongwen zu Stellvertretern bestimmt.207
Die „Shanghaier Volkskommune“ wurde zum neuen Machtorgan der Stadt. Die
Volkskommune war eine „neue Form der Diktatur des Proletariats“, sie war ein
„lokales Staatsorgan in der neuen Diktatur des Proletariats“, das unter dem „Sturm der
Revolution“, während des innerparteilichen Machtkampfes der revolutionären Massen
gegen die „kapitalistische Fraktion“, entstand.208
Beim analytischen Rückblick auf die historischen Ereignisse der Kulturrevolution
kann man feststellen, dass die Machtübernahme der rebellischen Fraktion in Shanghai,
durch den sogenannten „Januarsturm“, mit der darauffolgenden Errichtung der
„Shanghaier Volkskommune“, ihren Anfang nahm und sich dadurch erst im gesamten
Land ausbreiten konnte. Dadurch verfiel China in einen Zustand der Anarchie und des
Chaos, indem „alles niedergeschlagen“ und „jegliche Macht an sich gerissen“ wurde.
Han Guangfu wies in seiner Arbeit darauf hin, dass Mao zwar die
Machtübernahme in Shanghai befürwortete, doch unterschieden sich seine Absichten
ganz offenkundig von jenen Jiang Qings und Zhang Chunqiaos, die einen
„Dynastienwechsel“ erreichen wollten. Mao verstand unter der Machtergreifung die
Absetzung der „gegenwärtigen Machthaber, die den kapitalistischen Weg
eingeschlagen hatten“. Zwar kritisierte er jene „kapitalistischen Machthaber“ scharf,
doch war er nicht der Ansicht, dass alle Parteikader der „kapitalistischen
Fraktion“ angehörten. Er hatte die Absicht, durch die Massenbewegungen den
bürokratischen Arbeitsstil und das Privilegiendenken der Kader anzugreifen.209
Mao stimmte zwar der „totalen Niederschlagung und dem umfassenden
Bürgerkrieg“ nicht zu, er warnte die Menschen sogar vor Waffengewalt und
Abspaltung, doch bekämpfte Mao nur die gegenwärtige Lage, gegen die Wurzeln des
Übels ging er nicht vor. Er propagierte weiterhin den Machtkampf und stürzte das
Land, mit Hilfe des Komplottes von Jiang Qing und Zhang Chunqiao, aufgrund der
fortlaufenden inneren Unruhen in die Katastrophe. Der politische Kurs „die Erziehung
207
Vgl. Han 2006:751. 208
Vgl. ebda., 752. 209
Vgl. ebda., 752.
132
der Massen sich selbst zu überlassen“ wurde aufgrund des sogenannten
„revolutionären Sturmes“ nicht mehr weiterverfolgt. Besonders unverständlich war,
dass man die prekäre Situation immer dann idealisierte, je schlimmer sie wurde.
Dadurch entfernte sich die Kulturrevolution immer mehr von den tatsächlichen
Vorstellungen Mao Zedongs.
7.7 Der Sturm der Machtergreifung erfasst das ganze Land
Der „Januarsturm“ in Shanghai war ein wichtiges Ereignis während der
Kulturrevolution. Es ist zwar davon auszugehen, dass er in keiner Weise revolutionäre
Bedeutung besaß, geschweige denn etwas zum revolutionären Fortschritt beitrug,
doch hatte der „Januarsturm“ in Shanghai großen Einfluss auf die totale
Machtergreifung im gesamten Land. Am schnellsten reagierten die Provinzen Shanxi,
Shandong, Guizhou und Heilongjiang darauf. In diesen Provinzen wurden
nacheinander „revolutionäre Rebellionskommandostellen“ errichtet. In Heilongjiang
entstand das „Revolutionskomitee der roten Rebellen“, das die gesamte Macht inne
hatte. Dies ist gleichzeitig das erste neue Machtorgan, das den Namen eines
Revolutionskomitees trug. Hinter den Kulissen zur Errichtung des Komitees stand die
Revolutionseinheit des Harbiner Institutes für militärisches Ingenieurwesen. Dessen
Führer wiederum war Mao Yuanxin, ein Neffe Mao Zedongs, der damals an dem
besagten Institut studierte.
Am 2. Feburar 1967 veröffentlichte die „Volkszeitung“ den Leitartikel „Neue
Morgenröte im Nordosten“. Darin rief man dazu auf:
Alle Führungskader, die weiterhin gewillt sind an der Revolution teilzunehmen, sollten
in den Massen die rebellische revolutionäre Fraktion unterstützen. Alle revolutionären
Führungskader sollten, unter der Führung der provisorischen Machtorgane
133
(Revolutionskomitees), die in der proletarischen revolutionären Fraktion entstanden
sind, enthusiastisch mitarbeiten und die neue Prüfung der Kulturrevolution bestehen.210
Die Ereignisse zur Machtergreifung in diesen vier Provinzen und in der Stadt
Shanghai lösten umfangreiche Bewegungen zur Machtergreifung im gesamten Land
aus. Doch liefen sie nicht immer reibungslos ab, da verschiedene rebellische
Fraktionen um Macht und Interessen kämpften. Die Kämpfe und die Waffengewalt
wurden immer schlimmer und die soziale Ordnung war folglich nicht mehr gegeben.
Damals passierten einige Ereignisse, die große Bestürzung hervorriefen: Das
Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros Tao Zhu wurde, ohne jeglichen
Beschluss des Zentralkomitees, plötzlich gestürzt. Marschall He Long wurde kritisiert
und sein Eigentum konfisziert. Der Minister für Kohleindustrie Zhang Linzhi starb
aufgrund der ständigen Kritik und Erniedrigung. Der Parteisekretär der Provinz
Yunnan Yan Hongyan nahm sich, nach schweren Erniedrigungen, das Leben. Fast alle
politischen Führer in Städten und Provinzen wurden von der rebellischen Fraktion
kritisiert und erniedrigt. Nicht einmal der engste revolutionäre Kampfgefährte Maos,
Generalkommandant der Volksbefreiungsarmee, Zhu De blieb davon verschont. Er
wurde als „großer Kriegsherr“ verleumdet und es wurde in den Wandzeitungen dazu
aufgerufen „Zhu De zu stürzen“. Die fortlaufenden Ereignisse und die schlechten
Nachrichten riefen Bestürzung und Wut in der Generation der alten Revolutionäre
hervor.
Am 11. Februar 1967 führten die Marschälle Chen Yi und Ye Jianying sowie die
stellvertretenden Ministerpräsidenen Li Xiannian und Tan Zhenlin bei der Konferenz
des Zentralkomitees zu den Themen: benötigt die Kulturrevolution die Führung der
Partei, sollten alle alten Kader gestürzt und die Armee wieder stabilisiert werden,
einen Kampf gegen Lin Biao und Jiang Qing. Sie übten scharfe Kritik an der
Machtergreifung in Shanghai und an der Errichtung der Volkskommune. Im Sitz des
Zentralkomitees, im Pekinger Zhongnanhai, kam es in der Huairen-Halle zu
210
Jin 1995:214.
134
erbitterten Auseinandersetzungen. Danach wurden die Konferenzunterlagen von
Zhang Chunqiao und Yao Wenyuan vertraulich behandelt. Ferner veranlasste Jiang
Qing, dass Mao von der Konferenz unterrichtet wurde. Aufgrund des Berichtes von
Jiang Qing, Zhang Chunqiao und Lin Biao rief Mao Zedong am 18. Februar die
Konferenz des Politbüros ein. In dieser Konferenz übte Mao scharfe Kritik an den
alten Revolutionären, die ihre Meinung zuvor geäußert hatten. Er beschuldigte sie, die
Restauration und die Entwicklung der Kulturrevolution zu behindern. Schließlich
wurden diese alten Revolutionäre aufgrund ihrer Haltung, die als
„Februar-Gegenströmung“ (Eryue niliu 二月逆流) bezeichnet wurde, kritisiert.211
Von der Errichtung des ersten Revolutionskomitees am 31. Januar 1967 bis zur
Errichtung der letzten Revolutionskomitees in den autonomen Regionen Xinjiang und
Tibet am 5. September 1968 vergingen 20 Monate des Machtkampfes. Im gesamten
Land wurden in den 29 Provinzen, regierungsunmittelbaren Städten und autonomen
Regionen abnormale Machtorgane eingerichtet. Diese 20 Monate stellten zugleich die
schlimmste Zeit der inneren Unruhen in China dar.212
Xi Xuan und Jin Chunming weisen daraufhin, dass Mao einen Fehler beging und
den alten Revolutionären Unrecht tat, als er sie zur
„Februar-Gegenströmung“ deklarierte. Maos entscheidender Irrtum lag in seinem
Glauben, die Ausrufung der Kulturrevolution sei eine wichtige Maßnahme, um das
Auftreten des Revisionismus zu verhindern und den Marxismus in China zu entfalten.
Die Kulturrevolution gehörte, neben der Ausrufung der Volksrepublik, zu den zwei
wichtigsten Ereignissen, auf die er besonders stolz war. Daher erlaubte Mao
niemandem die Entwicklung der Kulturrevolution zu verneinen oder zu behindern.213
Im Rückblick auf die Kulturrevolution und um Lehren aus der geschichtlichen
Erfahrung zu ziehen sind chinesische Forscher der Meinung, dass der Februarkampf
in den zehn Jahren der Kulturrevolution die Generation der alten Revolutionäre
erstmals öffentlich dazu veranlasste die Fehler der Kulturrevolution zu korrigieren.
211
Vgl. Jin 1995:220. 212
Ebda. 214. 213
Vgl. Xi /Jin 2006:140.
135
Dabei wurden die falschen Handlungsweisen der Kulturrevolution scharf kritisiert.214
Die Fakten bewiesen, dass der Sturz von alten Kadern sowie die Machtkämpfe im
ganzen Land nur dazu führten, dass China in einen Zustand der Anarchie und des
Chaos verfiel und die Organe der KPCh zum Stillstand kamen.
Das Resultat des Februarkampfes wurde bereits erwähnt. Da Mao Zedong die
Meinung der alten Revolutionäre nicht unterstützte, sie sogar dafür kritisierte,
scheiterte der Februarkampf. Infolgedessen erschlichen sich Lin Biao und Jiang Qing
noch größere Macht. Ihre Absichten und Handlungen wurden in vollem Maße
offengelegt und besiegelten auch im weiteren Verlauf ihren Untergang.
7.8 „Totale Kritik an der reaktionären kapitalistischen Linie“
Negative Informationen, wie die Unzufriedenheit und der Widerstand der breiten
Massen und der alten Kader gegen die Bewegung der Kulturrevolution, die
Abspaltung und die Kämpfe der Roten Garden sowie der Angriff und der Stillstand
auf diversen Ebenen der Regierungsbehörden, veranlassten die leitenden
Verantwortlichen nicht Sinn und Vernunft der Kulturrevolution in Frage zu stellen. Im
Gegenteil, sie waren umso mehr davon überzeugt, dass die Wurzeln des Problems
noch tiefer lagen und der Klassenkampf sowie der Kampf der zwei Linien noch
stärker hervorgehoben werden müssten. Die oben angeführten Ereignisse wurden als
Ausdruck der kapitalistischen Fraktion erklärt. Sie waren der Meinung, die
kapitalistische Fraktion würde versuchen, die Massen zu weiteren Kämpfen zu
provozieren. Daher erfanden sie einen neuen alten Sündenbock „die reaktionäre
kapitalistische Linie“.
Am 1. Oktober 1966, zu den Feierlichkeiten des 17. Gründungstages der
Volksrepublik China, sagte Lin Biao:
214
Siehe Xi /Jin 2006:140;Vgl. auch Ji 2008:148.
136
Der Klassenkampf zwischen der von Mao Zedong vertretenen revolutionären
proletarischen Linie und der reaktionären kapitalistischen Linie dauert immer noch
an.215
Am 3. Oktober 1966 erschien in der 13. Ausgabe der Zeitschrift „Rote Fahne“ der
Artikel „Auf dem Weg der Mao Zedong-Ideen voranschreiten“, indem zum ersten Mal
öffentlich der Begriff und die Parole der „reaktionären kapitalistischen Linie“ erwähnt
wurde.216
Die Verwendung des Begriffes erregte große Aufmerksamkeit, da er die
ideologische Begründung für die Aktionen der rebellischen Fraktion lieferte.
Weshalb wurde nun die Parole „Totale Kritik der reaktionären kapitalistischen
Linie“ ausgeschrieben? Chinesische Wissenschaftler glauben, dass Mao offensichtlich
nicht nur die Nachfolge im Zentralkomitee zu seinen Gunsten verändern und die
versuchte, die Arbeit der ersten Front im Zentralkomitee verneinen wollte, sondern
gleichzeitig die Bedingungen für eine sozialistische Gesellschaft, nach seinen
Vorstellungen, zu ebnen. Daher befürwortete er das „Chaos auf Erden“ und rief dazu
auf „totale Kritik an der reaktionären kapitalistischen Linie“ zu üben“.217
Der andere Grund für den Aufruf dieser Parole war die Überwindung der
Hindernisse bei der umfassenden Entwicklung der Kulturrevolution. Dabei sollten vor
allem Sympathisanten und Befürworter der Linie Liu Shaoqis und Deng Xiaopings
verfolgt werden.
Hier muss angemerkt werden, dass die KPCh bei der Beurteilung ihrer eigenen
Geschichte öffentlich zugab, dass sie nach Gründung der Volksrepublik China, ab dem
Jahr 1959 mit der Kritik Peng Dehuais, mit „Linienkämpfen“ begann, die mit der
Kulturrevolution einen Höhepunkt erreichten. Die Geschichte der KPCh wurde auch
vereinfacht als Geschichte des Linienkampfes bezeichnet. Zu jeder Zeit und zu jedem
Anlass betrieb man Linienkämpfe. Wenn eine Person verdächtigt wurde die falsche
215
Xi /Jin 2006:109. 216
Vgl., Wang 2005:79. 217
Ebda., 79.
137
Linie eingeschlagen zu haben, dann war alles an ihm falsch. Wenn die Linie stimmte,
war alles richtig und konnte demnach nicht falsch sein. Falls Streitpunkte in der Linie
aufkamen, gab es keinen Spielraum für Analysen. Falsch war falsch, richtig war
richtig, es gab keine Zwischenräume und eine Seite musste immer die Oberhand
haben. Diese Starre in der Theorie des “Linienkampfes“ fügte der KPCh über Jahre
hinweg große Schäden mit schwerwiegenden Folgen zu.218
7.9 Der Justizirrtum im Fall des Vorsitzenden Liu Shaoqi
Während der Kulturrevolution wurde das Mitglied des ständigen Ausschusses des
Politbüros und Präsident der Volksrepublik China, Liu Shaoqi zum „Landesverräter,
heimlichen Kollaborateur und Arbeiterverräter“ erklärt. Außerdem bezichtigte man
ihn „Rädelsführer der konterrevolutionären revisionistischen Clique innerhalb der
KPCh“ und „Machthaber der größten kapitalistischen Fraktion im gesamten Land“ zu
sein. Da Liu Shaoqi zu Unrecht in schlimmster Form bekämpft und kritisiert wurde,
verstarb er 1969 in einem Gefängnis der Provinz Henan. Der Fall Liu Shaoqi war
somit der größte Fehler, der in der Kulturrevolution begangen wurde.
Chinesische und deutsche Forscher analysierten die ideologischen und
wirtschaftlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Mao Zedong und Liu Shaoqi
und stellten fest, dass Mao aufgrund dessen Liu Shaoqi stürzte und seine Revolution
durchführte. Hierbei gibt es Übereinstimmungen in den Standpunkten der
Wissenschaftler. Doch bei der umfassenden Analyse der Ereignisse in der
Kulturrevolution unterstreicht der chinesische Forscher Zhang Hua, dass Liu Shaoqi
der Konferenz des Politbüros im Mai 1966, zu Beginn der Kulturrevolution, vorstand.
Auch einige Zeit nach der Konferenz leitete er die Bewegung der Kulturrevolution.
218
Vgl. Zhonggong Zhongyang Wenxian Yanjiushi 中共中央文献研究室 (Hrsg.), Die
Kulturrevolution endgültig verneinen(Chedi foding „wenhua da geming “ 彻底否定“文化
大革命“), Beijing 1985:119-128.
138
Zwar war sich Liu Shaoqi über die eigentlichen Absichten Maos zur Kulturrevolution
nicht im Klaren und nicht darauf vorbereitet das eigentliche Angriffsziel zu sein, doch
sind Übereinstimmungen zwischen der Revolution und seinen eigenen ideologischen
Vorstellungen anzutreffen. Dies veranlasste ihn, die ideologische Basis der
Kulturrevolution zu akzeptieren. In diesen drei Standpunkten vertraten Mao Zedong
und Liu Shaoqi gemeinsame Auffassungen:
a. In den Reihen der Parteikader machte sich Korruption und moralischer Verfall breit. Man
war besorgt, dass innerhalb der Partei eine „friedliche Evolution“ stattfinden und der
Revisionismus auftreten könnte. Daher befürwortete man die Bewegung des
Antirevisionismus.
b. Die Probleme in der Partei und im Land wurden von beiden maßlos übertrieben. Der
Klassenkampf als schwerwiegendes Problem wurde überbewertet.
c. Man trat dafür ein, dass Arbeitsgruppen die Massen mobilisieren und den Machtkampf
eröffnen sollten. Damit wollte man die Probleme in der Basis lösen.219
Liu Shaoqi akzeptierte zwar die Kulturrevolution, war jedoch vor allem über die Rolle
des Klassenkampfes mit Mao nicht einer Meinung:
a. Die Ausweitung des Klassenkampfes sollte kontrolliert von statten gehen und den
Wirtschaftsaufbau nicht behindern.
b. Der Klassenkampf sollte unter der Führung der Partei stattfinden und nicht „alles
zerstören und niederschlagen“.220
Gerade diese Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Auffassung führten dazu, dass
219
Siehe Zhang/Su 1999:830. 220
Ebda.,833.
139
Liu Shaoqi und andere sich der Kulturrevolution anschlossen und in weiterer Folge
ihr Unverständnis zum weiteren Verlauf der Revolution äußerten. Schließlich machte
man Liu selbst zur Zielscheibe. Er wurde gestürzt und starb unter falschen
Anschuldigungen.
Die Fachwelt ist sich darüber einig, dass Lin Biao und Jiang Qing eine
wesentliche Rolle zum Sturz Liu Shaoqis einnahmen. Sie versuchten mit allen Mitteln
ihn zum Schweigen zu bringen und wandten primär folgende zwei Mittel an: Zum
einen richteten sie eine geheime Untersuchungsgruppe für Ausnahmefälle ein, um
Unterlagen zu fälschen. Mit allen Mitteln versuchten sie Liu als Spion und Verräter
darzustellen. Zum anderen riefen sie die sogenannte „Bewegung zur großen
revolutionären Kritik“ ins Leben, die sich speziell gegen Liu Shaoqi richtete. Er
wurde in dieser Kampagne unter anderem bezichtigt ein „falscher Revolutionär“ und
ein „konterrevolutionärer Revisionist“ zu sein.221
Immer wieder schrieb Liu Shaoqi Briefe, die sich an Mao Zedong und das
Zentralkomitee richteten. Er verteidigte seine Unschuld und widersprach den ihm im
immer größer werdenden Ausmaß auferlegten Straftaten. Liu versuchte die Wahrheit
darzulegen und verlangte vom Zentralkomitee eine Untersuchung anzuordnen. Aus
Empörung sagte er: „Die Verfassung ist ein wertloses Papier geworden. Noch nie war
der Kampf innerhalb der Partei derart unseriös.“ Er hoffte durch die Grundgesetze des
Landes dem Chaos in der Gesellschaft Einhalt zu gebieten. Mit der „Verfassung der
Volksrepublik China“ in der Hand sprach er zu den ihn kritisierenden Roten Garden:
Ich bin Präsident der Volksrepublik China. Wie ihr mich persönlich behandelt ist
unwichtig. Doch möchte ich die Würde des Präsidenten verteidigen [...] Eure Taten
beleidigen unser Land.222
Die Briefe Liu Shaoqis an Mao und an das Zentralkomitee wurden überhaupt nicht
beantwortet. Die Kritik gegen seine Person wurde immer stärker und erreichte eine
221
Siehe Zhang/Su 1999:848. 222
Ebda.,842.
140
neue Stufe. Die Demütigungen und Erniedrigungen gegen ihn und seine Familie
rissen nicht ab. Als Liu Shaoqi am 9. April 1967 erfuhr, dass die Qinghua-Universität
die Absicht hatte 300.000 Menschen zu organisieren, um seine Ehefrau Wang
Guangmei zu kritisieren, bereitete er seine Familie auf das Schlimmste vor und
verfasste völlig gefasst sein Testament:
Es gibt jemanden, der mich als „Konterrevolutionär“ sehen möchte. Ich werde mich
nicht umbringen. Sie müssen mich schon erschießen oder zu Tode quälen. Verstreut
nach meinem Tod meine Asche ins Meer [...] Merkt euch, dass dies mein letzter Wille
ist.223
Die letzten Worte, die Liu Shaoqi seiner Ehefrau Wang Guangmei hinterließ, waren:
„Zum Glück wird die Geschichte vom Volk geschrieben.“ Danach verlor Liu die
Gelegenheit zur Verteidigung. Mit seinem Schweigen drückte er seinen Widerstand
aus, bis zu seinem Tod. Seine gesamte Hoffnung schöpfte er in der Geschichte und im
Volk.
Das Leid, das Liu Shaoqi während der Kulturrevolution erfuhr, ist äußerst tragisch.
Der Fall Liu Shaoqi entstand aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über den
sozialistischen Aufbau in der Führungsebene des Zentralkomitees sowie der
Missstände in der Führungsstruktur der KPCh. Aus dieser Tragödie kann man
folgende Schlussfolgerungen ziehen:
Um die Korruption innerhalb der Partei zu beseitigen, dürfen auf keinen Fall über
Klassenkämpfe Massenkampagnen geführt werden, da sie dem Staat nur katastrophale
Zustände bescheren. Daher sollte durch die Reform des politischen Systems das
demokratische Rechtssystem im Land gestärkt werden. In einem Land wie China, mit
starken feudalistischen Strukturen, ist man dazu verpflichtet Demokratie und
Rechtssystem kontinuierlich auszubauen und zu perfektionieren. Die persönliche
223
Zhang/Su 1999:843.
141
Freiheit seiner Bürger muss ebenfalls gewährleistet sein. Nur so könnte man eine
Modernisierung der gesamten Zivilgesellschaft erreichen und verhindern, dass der
Fall Liu Shaoqi sich in Zukunft noch einmal wiederholt.
7.10 Die ernste und komplizierte Situation von „Das ganze Land ist
rot“
Im Juli und August 1967 war „Chaos auf Erden“ (Tianxia daluan 天下大乱). Dies
teilte Mao Zedong dem Journalisten Edgar Snow mit.224
Weshalb war Mao zu jener
Zeit nicht mehr in der Lage, die Situation zu kontrollieren? In den meisten
wissenschaftlichen Abhandlungen zur Kulturrevolution wird die damalige Situation
wie folgt skizziert: Im Rahmen der „großen revolutionären Kritik“ waren die
verschiedenen Fraktionskämpfe für die Massenorganisationen „Kämpfe zwischen
zwei Klassen und zwei Linien“. Daher wurden die Massenorganisationen in
„Rechtsabweichler“ und „Nicht-Rechtsabweichler“, und in sogenannte
„Revolutionäre“ und „Konterrevolutionäre“ unterschieden. Im Allgemeinen konnte
man davon ausgehen, dass überall im Land sich zwei große Fraktionen
gegenüberstanden, die sich mit Waffengewalt bekämpften. Die Schilderung der
Ereignisse lässt uns das schreckliche Ausmaß dieser Kämpfe nachvollziehen. Am 15.
Mai 1967 brachen in Yibin, Provinz Sichuan, Kämpfe aus, in denen über zehntausend
Menschen beteiligt waren. In Chongqing setzten beide Fraktionen Schusswaffen ein.
Der Kai am Chaotianmen wurde sogar mit Kanonen bombardiert. Ab dem 4. Juni
1967 wurden innerhalb eines Monats allein in Wuhan 108 Personen getötet und
weitere 2.774 verletzt. In Shanghai fanden allein am 4. Mai drei Kämpfe statt, in
denen etwa 4000 Personen involviert waren.225
In Wuhan ereignete sich der „Zwischenfall der eine Million Mann starken Armee“.
224
Siehe Wang 2005:203. 225
Ebda., 204.
142
Damit ist eine Massenorganisation gemeint, die von Wuhaner Armeeeinheiten
unterstützt wurde. Laut eigenen Angaben zählte sie 120.000 Mitglieder. Die
Organisation war auf der Seite der Parteikomitees von Wuhan und Hubei und
beschützte die alten Parteikader der hiesigen Provinz. Folglich bekämpfte sie die
Massenorganisation der „radikalen Fraktion“, mit dem Namen „Generalhauptquartier
der rebellischen Arbeiter“, die von Jiang Qing unterstützt wurde. Damit waren
schwere Konflikte zwischen beiden Fraktionen vorprogrammiert. Beide waren in der
Lage, Massen zu mobilisieren, und wurden entweder von der Armee oder von Jiang
Qing unterstützt, die im Hintergrund die Fäden zogen. Die „eine Million Mann starke
Armee“ richtete, mit ausdrücklicher Zustimmung von Wuhaner Armeeeinheiten, die
selbst mit etwa 1.000 Soldaten beteiligt waren, eine gewaltige Kundgebung aus. In
dieser wurden 3.400 Lastkraftwagen mobilisiert, die bewaffnete Soldaten beförderten
und schwere Maschinen luden. Sämtliche Fabriken wurden geschlossen und der
Straßenverkehr lahmgelegt. Die demonstrierenden Einheiten riefen Parolen, die Chen
Zaidao, den Kommandanten der Militärregion Wuhan unterstützten. In offenen
Briefen wurde erklärt:
Um die grausam verfolgten alten Kader zu rächen müssen die beispiellosen Tyrannen,
die weder Geschichte noch Kultur anerkennen, vernichtet werden.226
Auf den Straßen Wuhans kamen Losungen auf, wie „Der Vorsitzende Mao wurde
getäuscht“, oder „Nieder mit Zhang Chunqiao und Jiang Qing“. Der heftige Kampf
der beiden Fraktionen in Wuhan wurde von Mao Zedong und vom
Ministerpräsidenten Zhou Enlai aufmerksam verfolgt. Nacheinander statteten sie
Wuhan persönlich einen Besuch ab und führten Gespräche mit Armeeführern und den
Leitern der Massenorganisationen.
Am 26. Juli 1967 wurde, mit Genehmigung Mao Zedongs, eine Mitteilung in der
Militärregion Wuhan veröffentlicht. In dieser Mitteilung wurde Kommandant Chen
226
Wang 2005:208.
143
Zaidao zum Hauptschuldigen der oben angeführten Demonstration erklärt und
seines Postens enthoben.227
Ferner wurden in Peking aufgrund von Aktionen, die
Chen Zaidao unterstützten, Marschall Xu Xiangqian und General Xu Haidong
kritisiert. Wang Nianyi weist daraufhin, dass der „Zwischenfall der eine Million Mann
starken Armee“ die Massen dazu veranlasste, im großen Ausmaß gegen das
„proletarische Hauptquartier“ Widerstand zu leisten.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die damalige Situation sehr chaotisch
war. Massenorganisationen mit unterschiedlichen Bezeichnungen behaupteten von
sich „proletarische revolutionäre Rebellen“ zu sein, die der sogenannten
„revolutionären Fraktion“ angehörten.
Der chinesische Forscher Liu Xiaofeng meint, dass die Grundstruktur der
Kulturrevolution folgende ist: Die „revolutionären“ Massen richteten sich gegen die
bürokratische Clique in Staat und Partei, die Macht, Reichtum, Ansehen sowie
revolutionären Hintergrund besitzen und in Verdacht standen, die Macht an sich
reißen zu wollen. Doch sehr schnell entwickelte sich die Kulturrevolution zu einem
gegenseitigen Machtkampf der Massen. Das Ziel dieser Kämpfe war die
„revolutionäre“ Identität unter Beweis zu stellen.228
Die verschiedenen Fraktionen der
Massenorganisationen nahmen ihre „revolutionäre“ Identität als Vorwand, um die
politische Macht in der Partei, die in der Hand der Fraktion der kapitalistischen
Machthaber lag, zu erringen. Wie wurde nun beurteilt, ob jemand der Fraktion der
kapitalistischen Machthaber angehörte? Dafür gab es keine festen Normen und es
wurde von den Massenorganisationen vollkommen subjektiv und willkürlich
ausgesprochen. Die Auffassungen der verschiedenen Fraktionen unterschieden sich
grundlegend. Die Folgen waren hitzige Auseinandersetzungen und
bürgerkriegsähnliche Kämpfe. Innerhalb der Streitkräfte kam es zwischen den
einzelnen Einheiten, zwischen Feldarmee und Ortsarmee zu Streitigkeiten. Zusätzlich
sind Konfliktsituationen innerhalb der verschiedenen Regionen, Nationalitäten und
Religionen zu nennen, die die ohnehin chaotische Situation im Land noch verstärkten.
227
Siehe Wang 2005:210. 228
Vgl. Liu 1998:392.
144
In dieser äußerst komplizierten Situation war, nach 20monatigen Machtkämpfen, im
September 1968 das Ziel erreicht, „das ganze Land war nun rot“. Im Klartext
bedeutete dies, dass in allen 29 Provinzhauptstädten des Landes
„Revolutionskomitees“ errichtet worden waren und den katastrophalen Zustand der
Anarchie beendeten.
Die neuen Machtorgane nach der Machtergreifung, die „Revolutionskomitees“,
waren nur an Vitalität fehlende, provisorische Organe, die aufgrund des speziellen
historischen Hintergrundes entstanden waren.
Chinesische Wissenschaftler betonen, dass „Revolutionskomitees“ im
internationalen Sprachgebrauch häufig anzutreffen sind. Im Allgemeinen werden
damit provisorische Machtorgane einer progressiven Gruppe bezeichnet, die im
Rahmen des Umsturzes einer rückständigeren Gruppe eingerichtet werden. Die
Angehörigen der „Revolutionskomitees“ waren daher nur einige Kommunisten, die
die Massen anführten, um die Macht von anderen Kommunisten zu entreißen. Der
revolutionäre Charakter dieser Organe ist daher zu hinterfragen, da man nicht davon
ausgehen kann, dass eine fortschrittliche Kraft etwas Rückständiges gestürzt hat.
Daher sind diese Revolutionskomitees „missgebildete Strukturen“, in denen
staatliche Organe mit anderen vollkommen verschiedenen Strukturen aus Handel,
Bildung und Wirtschaft vereint waren.229
Die Geschichtsschreibung beweist, dass etwas, das gegen den Lauf der Geschichte
schwimmt, nicht langlebig sein kann. Die „Revolutionskomitees“ wurden in weiterer
Folge aufgelöst und spiegeln den zwangsweisen Verlauf der Geschichte wider.
229
Vgl. Xi/Jin 2006:171.
145
Kapitel 8: Stabilisierung der Situation und der Lin Biao-
Zwischenfall
8.1 Die Stationierung der Arbeiter- und
Soldaten-Propagandagruppen zur Verbreitung der
Bildungsrevolution Mao Zedongs
Im Sommer 1968 wurden in allen Provinzen und autonomen Gebieten des Landes
„Revolutionskomitees“ gegründet. Wie schon erwähnt, hatten diese Komitees
verschiedene Probleme, doch im Zuge des „großen Chaos auf Erden“ trugen sie auch
zur Beruhigung der politischen Situation bei. Sie waren entscheidende Faktoren zur
Stabilisierung der damaligen Lage.
Um das Chaos an Universitäten, Mittelschulen und Arbeitseinheiten zu beenden,
musste eine weitere Konsolidierung der instabilen Situation erreicht werden. Dem
„proletarischen Hauptquartier“ blieb daher nichts anderes übrig, als die Versendung
von Arbeiter- und Soldaten-Propagandagruppen an Bildungseinrichtungen und
Arbeitseinheiten zu befehlen.
Am Vormittag des 27. Juli 1968 wurde die „Propagandagruppe zur Verbreitung
der Mao Zedong-Ideen“ an der Qinghua-Universität stationiert. Sie rief dazu auf,
Waffenkämpfe zu beenden, Waffen abzugeben und Wehranlagen abzubauen. Als die
„Arbeiter-Propagandagruppen“ in Bildungseinrichtungen stationiert wurden, kam es
anfänglich zum Widerstand und zu Überfällen von rebellischen Studenten und
Schülern. Als Zeichen seiner besonderen Wertschätzung und ausdrücklichen
Unterstützung überreichte Mao den Pekinger „Arbeiter-Propagandagruppen“ am 5.
August 1968 höchstpersönlich exotische Früchte(Mango). Am 25. August desselben
Jahres brachten das Zentralkomitee, der Staatsrat, die Zentrale Militärkommission
sowie die Zentrale Arbeitsgruppe der Kulturrevolution gemeinsam die „Mitteilung zur
146
Versendung der Arbeiter-Propagandagruppen an Schulen“ heraus:
Propagandagruppen, die sich primär aus ausgezeichneten Arbeitern zusammensetzen,
sollen in Zusammenarbeit mit Soldaten der Volksbefreiungsarmee in Reih und Glied und
zu festgesetzten Zeiten an Schulen und Universitäten stationiert werden.230
Gemäß der Gedanken der Bildungsrevolution Maos bedeutete dies, die Situation, wo
Bildungseinrichtungen von Intellektuellen beherrscht wurden, zu ändern. Am 26.
August veröffentlichte Yao Wenyuan in der „Volkszeitung“ einen Artikel mit dem
Titel „Die absolute Notwendigkeit in der Führung der Arbeiterklasse in allen
Bereichen“, in dem eine Anweisung Maos wiedergegeben wurde:
Die Verwirklichung der proletarischen Bildungsrevolution muss unbedingt unter
Führung der Arbeiterklasse, unter Teilnahme der Arbeitermassen sowie in Kooperation
mit der Volksbefreiungsarmee und den Aktivisten in den Schulen erfolgen. Die
Aktivisten setzen sich aus den Reihen der Studenten, Lehrerschaft und Arbeiter
zusammen, die fest entschlossen waren die proletarische Bildungsrevolution bis zum
Schluss mitzutragen. Die Verbindung dieser drei revolutionären Gruppen (Studenten,
Lehrer und Arbeiter) soll dabei verwirklicht werden. Die Arbeiter-Propagandagruppen
sollten langfristig an Schulen und Universitäten verweilen, sämtliche Aufgaben
bezüglich des Kampfes, der Kritik und der Umgestaltung an Schulen wahrnehmen sowie
für alle Zeiten die Leitung der Schulen übernehmen.231
Laut den Anweisungen Maos zur Bildungsrevolution sollten Schulen und
Universitäten primär von Arbeitern und Soldaten geführt werden. Zu Beginn der 70er
Jahre des vorigen Jahrhunderts begannen die Universitäten Studenten aufzunehmen,
die von Arbeitern, Bauern und Soldaten aus ihren Reihen ausgewählt wurden. Sie
mussten an den Universitäten, neben dem Studium ihres Faches, auch noch
230
Wang 2005:250. 231
Ebda., 250.
147
Tätigkeiten in der Administration verrichten sowie bei der Reform des
Bildungssystems mitwirken.
Unter den damaligen Verhältnissen führten die „Arbeiter-Propagandagruppen“ und die
„Soldaten-Propagandagruppen“ die politische Richtlinie der Linken aus. Doch
beendeten sie trotzdem letztendlich ziemlich rasch die chaotischen Verhältnisse an
den Schulen. Ohne Zweifel ist es illusorisch zu glauben, dass die Propagandagruppen
ewig die Schulen hätten leiten und verwalten können. Mit dem Ende der
Kulturrevolution wurden die Propagandagruppen an den Schulen aufgelöst.
8.2 Die Einstellung Mao Zedongs zur Armee
Die besondere Bedeutung der chinesischen Volksbefreiungsarmee (VBA) in der
Kulturrevolution wird sowohl von chinesischen als auch von deutschen Forschern
übereinstimmend bestätigt. Die VBA ist im Unterschied zu westlichen
Armeeverbänden keine ausschließliche Kampfeinheit, sondern spielt auch in der
Produktion und in der Verbreitung politischer Propaganda eine wichtige Rolle.
Die militärischen Theorien Mao Zedongs werden an dieser Stelle erörtert:
• Die Volksbefreiungsarmee ist eine Armee des Volkes. Er verglich die Beziehung
zwischen Armee und Volk mit Fisch und Wasser (Junmin yushuiqing 军民鱼水
情). Ohne Wasser kann der Fisch nicht existieren, daher muss die VBA den
Kontakt zu den Massen aufrechterhalten und für die Interessen des Volkes
kämpfen. Dies stellt die alleinige Zielsetzung und eine Grundeigenschaft der VBA
dar.
• Die Führung der VBA durch die KPCh muss sichergestellt werden, indem „die
Partei die Gewehre kommandiert“ (Dang zhihui qiang 党指挥枪). Die VBA ist
148
das Werkzeug der KPCh bei der Ausführung ihrer diversen Aufgaben und
Pflichten. Um zu gewährleisten, dass die Partei die Gewehre kommandiert, muss
jede militärische Einheit, oberhalb der Kompanie (100 Soldaten), eine Parteizelle
enthalten.
• Eine strenge disziplinäre Ordnung innerhalb der Armee wurde geschaffen, wie
etwa „die drei großen Disziplinen und die acht Sorgfaltspflichten“(Sanda jilü
baxiang zhuyi 三大纪律八项注意). Die drei großen Disziplinen sind: jede Aktion
erfolgt durch Befehl, dem Volke nichts entreißen und die Kriegsbeute gehört der
Allgemeinheit. Zu den acht Sorgfaltspflichten gehören: höflich sprechen, bei
Geschäften gerecht sein, Geliehenes zurückgeben, verursachte Schäden
wiedergutmachen, niemanden mutwillig schlagen oder beschimpfen, Feldfrüchte
und Getreide nicht zerstören, Frauen nicht belästigen und Gefangene nicht
misshandeln.232
• Das System der Demokratie unter zentraler Leitung verwirklichen und
unkontrollierbare extreme demokratische Tendenzen innerhalb der Armee
verhindern.
• Die Hauptaufgabe der VBA liegt in Kampf und Verteidigung. Doch gleichzeitig ist
sie als Propaganda- und Produktionsgruppe auch für die Verbreitung
kommunistischer Ideen und für die Erzeugung landwirtschaftlicher und
industrieller Güter verantwortlich.
• Die strategische Taktik des „Volkskampfes“ verfolgen, indem die Unterlegenheit
in der Waffenausrüstung durch die Volksmassen ausgeglichen werden sollte.
Dadurch soll dennoch der Sieg über den Feind erzielt werden.
232
Siehe Han/Chen und andere (Hrsg.) 1989:114.
149
• Die politische Tätigkeit ist der Lebensnerv der VBA. Die VBA muss zu einer
neuen Form der Volksarmee aufgebaut werden, indem die Bauern einen
Hauptbestandteil der Armee bilden.233
Man muss unweigerlich eingestehen, dass Mao mit seinen militärischen Theorien die
Armee der Guomindang(国民党), unter der Führung Chiang Kaisheks(蒋介石),
besiegte und in Folge die Volksrepublik China gründete. Doch wie missbrauchte Mao
die Volksbefreiungsarmee für seine Zwecke und wie kam sie zu ihrer besonderen
Rolle in der chinesischen Gesellschaft? Wie konnte Mao mit Hilfe der VBA mehrfach
schwere Probleme bewältigen und seine Machtposition erhalten?
8.3 Die spezielle Rolle der Armee während der Kulturrevolution
Welche Rolle spielte die VBA während der Kulturrevolution? Wie konnte sie, als
„Chaos auf Erden“ herrschte, zur Stabilisierung der Verhältnisse beitragen und ihre
Wirkung in der Gesellschaft entfalten?
Ab März 1967 begann die VBA auf Befehl der Zentralen Militärkommission,
unter der Leitung des damaligen Kommissionsvorsitzenden Mao Zedong, folgende
fünf Aufgaben durchzuführen: Die Unterstützung der „linken Fraktion“, der Bauern
und Arbeiter sowie die Verwaltung und Ausbildung durch die Armee. Diese
Maßnahmen der VBA wurden auch deshalb als die „drei Unterstützungen und zwei
Armeepflichten“(Sanzhi liangjun 三支两军) bezeichnet.
Die VBA wurde in örtlichen Arbeitseinheiten stationiert, primär in städtischen
Fabriken und Schulen sowie in ländlichen Arbeitseinheiten auf Kreisebene. Die
Soldaten trugen zunächst die Verantwortung, Waffenkämpfe zu beenden, das Leben
der Bevölkerung zu normalisieren und die gesellschaftliche Ordnung
wiederherzustellen. Ferner wurden Getreide- und Kohlelieferungen für die städtische
233
Siehe Han/Chen und andere (Hrsg.) 1989:109-110.
150
Bevölkerung sichergestellt, öffentliche Einrichtungen, wie Geschäfte, Restaurants und
Banken beschützt sowie der Straßen- und Eisenbahnverkehr wiederhergestellt. Mit
Waffengewalt wurden gewalttätige Organisationen, die Schlägereien, Zerstörungen
und Plünderungen durchführten, unterbunden. Anfänglich fanden die Maßnahmen der
Armee bei den Volksmassen breite Zustimmung.
Doch bei der Unterstützung der Arbeiter und Bauern kamen einige Probleme auf.
Bei der Unterstützung der Arbeiter war es kaum vermeidbar, dass bei der
Produktionskontrolle Fehler auftraten, da den Soldaten Fachkenntnisse und
Wirtschaftsführung fehlten. Bei der Unterstützung der Bauern folgten die Soldaten
ihren Erfahrungen in Formalismus und Dogmatismus. Sie nahmen keine Rücksicht
auf objektive Bedingungen und betonten einseitig die Devise „Landwirtschaft soll von
Dazhai lernen“, in der die Volkskommune von Dazhai das System des
„Terassenfeldes“ einführte. Aufgrund der politischen Leistungen der Bauern wurden
ihre Arbeitsleistungen bewertet und Arbeitspunkte vergeben, die maßgebend für die
Bestimmung des Arbeitslohnes waren. Dies führte jedoch dazu, dass die Bauern sich
Sorgen um ihren Anteil machten und ihre Abneigung gegenüber der Bestimmung zum
Ausdruck brachten.
Die Verwaltung durch die Armee bezog sich hauptsächlich auf die militärische
Kontrolle von strategisch wichtigen Abteilungen und Gebieten, wie Grenzschutz,
Küstenwache, Fernsehstationen, Kraftwerken, Zivilluftfahrt, Eisenbahn sowie Wasser-
und Gasversorgung. In diesen Arbeitseinheiten wurden „Kommissionen der
militärischen Kontrolle“ gegründet. Die Tätigkeiten in den Arbeitseinheiten wurden
zugleich von den jeweiligen Kommissionen beaufsichtigt und geleitet. Zwar begann
sich der betriebliche Ablauf in den Arbeitseinheiten, aufgrund der Organisation und
Führung der Kommissionen, langsam zu normalisieren, doch erwies sich die Armee
naturgemäß als schlechte Führungsmannschaft, da es ihr an speziellem Fachwissen
und Erfahrung fehlte. Die Kommissionen waren dazu verurteilt als Außenstehende
Fachleuten Anweisungen zu erteilen. Diese Widrigkeiten waren während der
Kulturrevolution weit verbreitet und führten zu schwerwiegenden Folgen.
Die Ausbildung durch die Armee wurde vor allem an Mittelschulen und
151
Universitäten vollzogen. Die an Schulen entsendeten Soldaten errichteten
„Propagandagruppen der Volksbefreiungsarmee zur Verbreitung der Mao
Zedong-Ideen“ Sie organisierten die Rückkehr des Lehrpersonals und der Studenten
in die Schulen. Damals hieß es „den Unterricht wiederherstellen und Revolution
leisten.“ (Fuke naogeming 复课闹革命) Man verstand darunter, dass Schüler und
Studenten neben ihrer schulischen Tätigkeit auch an militärischen Übungen
teilnahmen. Dazu gehörten das Werfen von Handgranaten, Schießübungen sowie
Feldlager- und Marschtraining. An den Bildungseinrichtungen gab es nicht nur
„Soldaten-Propagandagruppen“, sondern auch „Arbeiter-Propagandagruppen“. Die
Mitglieder beider Gruppen waren Laien in Bildungsfragen und hatten keinerlei
pädagogisches Vorwissen. Sie konnten im Allgemeinen nur einen niedrigen
Bildungsstand vorweisen und hatten meist nur einen Mittelschulabschluss. Ihr Wissen
und ihr Bildungsniveau waren nicht annähernd ausreichend für ihre pädagogische
Tätigkeit. So begingen sie im Rahmen ihrer Arbeit unzählige Fehler, die
schwerwiegende Folgen für die Erziehung der Schüler und Studenten mit sich
brachten.
Die schwierigste Aufgabe der VBA im Rahmen ihrer Bewegung „drei
Unterstützungen und zwei Armeepflichten“ war die Unterstützung der linken Fraktion,
der sogenannten „revolutionären Fraktion“. Während der Kulturrevolution gab es in
jeder Arbeitseinheit einige Mitglieder der rebellischen Fraktion. Es fiel den
„Soldaten-Propagandagruppen“ nicht leicht zu entscheiden, wen sie unterstützen und
wen sie bekämpfen sollten. Chinesische Forscher sind der Meinung, dass die
Unterstützung der Linken von Seiten der Armee nichts Positives brachte, da die
Orientierung der verschiedenen rebellischen Fraktionen schon grundlegend in die Irre
führte.234
Zhao Guoqin weist daraufhin, dass die „Soldaten-Propagandagruppen“ anfänglich
eine Fraktion unterstützten und eine andere bekämpften. Dies führte dazu, dass die
Widersprüche zwischen den rebellischen Fraktionen sich weiter verschärften. Doch
234
Vgl. Zhang/ Su 1999:821.
152
die „Soldaten-Propagandagruppen“ zogen Lehren aus ihren Erfahrungen und
begangen den Streit zwischen den einzelnen Fraktionen zu schlichten und die
Widersprüche zu beseitigen. Sie propagierten die Anweisung Maos, die besagt:
„Innerhalb der Arbeiterklasse gibt es keine grundlegenden Interessenskonflikte. Unter
der Dikatur des Proletariats gibt es daher überhaupt keinen Grund die Arbeiterklasse in
zwei große Fraktionen zu spalten, die sich unversöhnlich gegenüber stehen.235
Folglich begannen die „Soldaten-Propagandagruppen“ die Massenorganisationen der
verschiedenen Fraktionen zu unterstützen und ihre Vereinigung zu fördern. Die
Propagandagruppen halfen ihnen bei der Etablierung von Revolutionskomitees.
Immer wenn eine Arbeitseinheit ein Revolutionskomitee gründete, zog sich die
verantwortliche „Soldaten-Propagandagruppe“ zurück, da sie ihre Aufgabe der „drei
Unterstützungen und zwei Armeepflichten“ als erledigt ansah. Die Propagandaguppen
trugen zur Stabilisierung der Situation bei und verhinderten noch größeres Chaos.
Diese positive Seite sollte dementsprechend Anerkennung finden.236
Bei der objektiven Beurteilung der Rolle der VBA während der Kulturrevolution
sind zwei wesentliche Eigenschaften feststellbar, die sowohl positive Wirkung, als
auch negative Folgen offenbarten. In der prekären Situation der damaligen Zeit
konnte die VBA die soziale Ordnung wiederherstellen, die angespannte Situation
entschärfen, die Schäden der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion
verringern sowie das Leben und das persönliche Eigentum der Bevölkerung
beschützen. Doch gleichzeitig verursachten die Maßnahmen der VBA viele
Widersprüche innerhalb der Armee und Konflikte zwischen ihr und den örtlichen
Arbeitsheiten. Dies führte zu einem Ansehensverlust im Volk und darf bei einer
historischen Wertung nicht außer acht gelassen werden.
235
Zhang/ Su 1999:821. 236
Vgl. ebda., 824.
153
8.4 Die Zerschlagung der Clique Lin Biaos
Als wichtiger Mitstreiter und Befürworter Mao Zedongs nahm Lin Biao, offizieller
Nachfolger und Vizevorsitzender der KPCh, zu Beginn der Kulturrevolution eine
bedeutende Rolle ein. Ab September 1959 ersetzte er Marschall Peng Dehuai als
Verteidigungsminister und war direkt für die Alltagsgeschäfte der Armee
verantwortlich. Innerhalb der Armee zog er eine eigene Gefolgschaft heran, die ihm
treu ergeben war. Zu ihnen gehörten Generalstabschef Huang Yongsheng,
Luftwaffenkommandant Wu Faxian, Politkommissar der Marine Li Zuopeng und der
Leiter der Hauptabteilung für Logistik Qiu Huizuo. Zusammen mit seiner Frau Ye
Qun, Leiterin seines persönlichen Büros und seinem Sohn Lin Liguo, stellvertretender
Büroleiter des Luftwaffenhauptquartiers, bildeten die genannten Personen das
Rückgrat der Lin Biao Clique.
Zwischen 1970 und 1971 errang die Lin Biao Clique durch Intrigen die höchste
Macht im Staat. Sie planten einen militärischen Staatsstreich, der China und die Welt
erschüttern sollte. Bis heute tauchen viele Fragen bezüglich des Sturzes Lin Biaos und
der Zerstörung seiner Clique auf. In Zuge der Analyse chinesischer Wissenschaftler
kann man daraus folgende Erkenntnisse gewinnen.
Seit dem 9. Parteitag der KPCh im April 1969 tauchten allmählich Differenzen
zwischen Mao Zedong und Lin Biao auf. Diese können in einigen wesentlichen
Punkten zusammengefasst werden:
a. Die Frage des Staatspräsidenten
Mao Zedong entschied den Posten des Staatspräsidenten nicht neu zu besetzen und
änderte dadurch seine Überlegung seinem Nachfolger zunächst den Posten des
Staatspräsidenten anzuvertrauen und in weiterer Folge auch den Parteivorsitz zu
überlassen. Die wahre Motivation dahinter war, dass aus Maos Sicht noch lange nicht
entschieden war, ob Lin Biao auch tatsächlich sein Nachfolger werden würde. Dies
wurde zwar in den Parteistatuten verankert, doch hatte Mao Bedenken die Macht in
154
Staat und Partei an Lin Biao abzugeben.
Lin Biao war über die Entscheidung Mao Zedongs, keinen weiteren Nachfolger für
den Posten des Staatspräsidenten zu ernennen, höchst unzufrieden. Er sprach dieses
Thema öffentlich an:
Den Posten des Staatspräsidenten nicht neu zu besetzen, so dass der Staat keinen Führer
hat, widerspricht den Gepflogenheiten und stiftet nur Verwirrungen.237
Da er auf den Posten des Staatspräsidenten beharrte und dieses Thema aufwarf, wurde
der Konflikt zwischen den beiden Kontrahenten erstmals öffentlich ausgetragen.
b. Die Frage über die Führung der Armee
Lin Biao nutzte die Situation der Kulturrevolution aus, um seinen persönlichen
Einfluss in Staat und Partei kontinuierlich zu erhöhen. Dies war insofern möglich, da
Mao besonders die Armee zur Verwirklichung seiner Ziele brauchte. Lin besetzte
wichtige Posten mit seinen Vertrauensleuten, wie Huang Yongsheng, und erweiterte
seine Machtsphäre innerhalb der Armee. Ohne Mao vorher zu konsultieren, verlegte
Lin Biao Armeeeinheiten und rief erwartungsgemäß dessen höchste Wachsamkeit
hervor. Es blieb Mao Zedong auch nicht verborgen, dass ein Großteil der Führer in
den 29 Provinzen und autonomen Regionen Armeeangehörige waren. Die Macht und
der Einfluss der Armee breiteten sich ungewöhnlich rasch aus und wirkten sich nun in
verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens aus.
c. Die Frage der internationalen Position
Mao war der Meinung, dass die Konflikte zwischen den zwei großen Blöcken vor
allem im Streit zwischen China, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten lagen.
Die Gegensätze zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion waren
grundlegend und übertrafen die Konflikte, die China mit den beiden Staaten hatte.
237
Zhang/ Su 1999:989.
155
China sollte diesen Konflikt der beiden Kontrahenten nutzen, um einerseits die
angeschlagenen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu verbessern und
andererseits der Bedrohung durch die Sowjetunion zu entgegnen.
Doch Lin Biao war der Auffassung, dass ein Krieg unvermeidbar war und zeigte sich
fest entschlossen, sich dem Konflikt mit der Sowjetunion zu stellen. Lin Biao sagte
unter anderem:
Mit dem Standpunkt des Krieges sollten sämtliche Dinge betrachtet, untersucht und
durchgeführt werden.238
Auf Befehl Lin Biaos wurden in großem Ausmaß Armeeeinheiten mobilisiert. Auch
die Sowjetunion zog Verbände an der sino-sowjetische Grenze zusammen und
versetzte ihre Truppen in Alarmzustand. In Folge riefen auch die Vereinigten Staaten
ihre Marineverbände im Pazifik zu erhöhter Wachsamkeit auf. Die angespannte
Atmosphäre der Kriegsbereitschaft war dementsprechend höchst gefährlich.
Des weiteren zweifelte Mao an den guten Absichten Lin Biaos, seinen Personenkult
zu propagieren. Beim Treffen des amerikanischen Gastes Edgar Snow sagte Mao
dazu:
Was sollen die vier Größen schon bedeuten: großer Lehrer, großer Führer, großer
Souverän und großer Steuermann. Das ist doch einfach widerlich.239
„Die vier Größen“ wurden von Lin Biao hervorgebracht, indirekt wurde hier Maos
Kritik an der Person Lin Biaos deutlich.
Von Mitte August bis zum 12. September 1971 verließ Mao Zedong Peking, um in
Südchina eine Inspektionsreise durchzuführen. Während seiner Reise sprach er zu
verschiedenen Provinzführern. Dabei wies er auf folgendes hin:
238
Zhang/ Su 1999:981. 239
Wang 2005:349.
156
Ich hoffe, dass ihr den Marxismus und nicht den Revisionismus verfolgt. Ihr müsst
zusammenhalten und dürft euch nicht abspalten. Seid offen und ehrlich in euren
Handlungen und intrigiert nicht gegeneinander. Jemand möchte unbedingt
Staatspräsident werden, die Partei spalten und die Macht erringen.....Ich glaube nicht,
dass unsere Armee rebellieren wird. Es wird Huang Yongsheng nicht gelingen, die
Truppen zur Rebellion anzustacheln!240
Die Aussage Maos war eine direkte Warnung an die Clique Lin Biaos. Gleichzeitig
wies er das Militär an, nicht den Aktionen Lins zu folgen.
Lin Biao und seine Gefolgsleute glaubten, dass die politische Lage in China
instabil war und die Widersprüche innerhalb der Führungsriege des Zentralkomitees
zunahmen. Der Einfluss ihrer Gegner wurde immer stärker und die Armee musste ihre
Macht verteidigen. Die Stimmung im Volk gegenüber der Regierung verschlechterte
sich von Tag zu Tag. Mao entwickelte einen immer größer werdenden Verdacht
gegenüber den wahren Absichten der Clique Lin Biaos. Daher entschloss sich Lin
schnell zu handeln, bevor Mao ihn aus dem Weg räumen konnte. Folglich schmiedete
die Clique Pläne für einen Staatsstreich sowie für die Liquidierung Mao Zedongs.
In den Augen Lin Biaos war ein friedlicher Machtwechsel nahezu unmöglich
geworden, da Mao sein Vertrauen vor allem in die Hände der „Viererbande“, unter
Jiang Qing, Zhang Chunqiao, Wang Hongwen und Yao Wenyuan, legte. Es kam
deshalb nur ein „bewaffneter Aufstand“ in Frage, nämlich die Durchführung des
„Projekts 571“. Die Zahl 571 entstand aufgrund der Lautähnlichkeit im Chinesischen
für bewaffneten Aufstand. Das Projekt beinhaltete den Plan, ein Attentat auf Mao
Zedong zu verüben, um dadurch die Macht im Staat zu erringen.241
Die Clique Lin
Biaos plante konkret Mao während seiner Inspektionsreise in Südchina zu erschießen
oder während der Fahrt seinen Zug zu sprengen. Das Attentat sollte demnach in
Hangzhou oder Shanghai stattfinden.
Nachdem der Inspektionszug Maos in Hangzhou und Shanghai eintraf, empfing
240
Chen 2007:413. 241
Siehe ebda., 411.
157
Mao die regionalen Führungskader nur in seinem Zugabteil. Kurz danach gab er den
Befehl den Zug unverzüglich in Bewegung zu setzen und nach Peking
zurückzukehren. Während der ganzen Fahrt wurde kein einziger Halt eingelegt. Dies
vereitelte die Pläne der Clique Lin Biaos einen Mordanschlag zu verüben.
Am Nachmittag des 12. November 1971 traf der Zug reibungslos am Bahnhof des
Pekinger Vorortes Fengtai ein. Dort bestellte Mao die damaligen Verantwortlichen der
Pekinger Stadtregierung und der Pekinger Armeeeinheit Wu De und Wu Zhong zu
sich. Er führte ein langes ausführliches Gespräch mit ihnen. Am Abend traf der Zug
am Pekinger Bahnhof ein und Mao kehrte an seine Arbeitsstätte in Zhongnanhai
zurück.
Lin Biao war über die plötzliche Rückkehr Maos nach Peking sehr bestürzt und
sah seiner eigenen Aussichtslosigkeit entgegen. Zu diesem Zeitpunkt verbrachte er mit
seiner Ehefrau den Urlaub in Beidaihe (Nordchina). Da er einsah, dass der
Mordanschlag an Mao endgültig fehlgeschlagen war, versuchte er mit seiner Familie
per Flugzeug in die Sowjetunion zu fliehen. Am 13. September um 1.50 Uhr am
Morgen bestieg er mit seiner Ehefrau Ye Qun und seinem Sohn Lin Liguo ein
Flugzeug der Marke Trident. Nachdem das Flugzeug den Luftraum der Mongolischen
Volksrepublik erreicht hatte, stürzte es in der Nähe der Stadt Öndörchaan ab. Es gab
keine Überlebenden.
In weiterer Folge wurden die übrigen Mitglieder der Lin Biao Clique, Huang
Yongsheng, Wu Faxian, Li Zuopeng und Qiu Huizuo, verhaftet und ihnen der Prozess
gemacht. Dies führte zur endgültigen Zerschlagung der Lin Biao Clique.
Chinesische Forscher weisen darauf hin, dass der Untergang der Clique Lin Biaos
gleichzeitig auf objektive Weise den Fehlschlag von Theorie und Praxis der
Kulturrevolution offenbarten. Das Aufkommen der Clique Lin Biaos bewies, dass das
System der Demokratie unter zentraler Leitung sowie das Prinzip der kollektiven
Führung innerhalb der KPCh gänzlich ihre Bedeutung verloren hatten. Unter anderem
wurden Parteiorgane auf verschiedenen Ebenen lahmgelegt, Demokratie und
Rechtssystem mit Füßen getreten, Banden und Cliquen gegründet und Machtkämpfe
öffentlich ausgetragen. Der Lin Biao-Zwischenfall ließ das Volk die Wahrheit über die
158
Kulturrevolution erkennen. Jener Mann, der Mao einst in den höchsten Tönen lobte,
plante ein Attentat gegen ihn. Jener Mann, der in den Parteistatuten als Nachfolger
bestimmt wurde, beging Hochverrat und versuchte, aus dem Land zu fliehen. Diese
Vorkommnisse ließen den Chinesen keine andere Wahl als über den Sinn der
Kulturrevolution nachzudenken. Die Menschen wurden durch diese Vorkommnisse
aus ihrem blinden Gehorsam und aus ihrem fanatischen Personenkult wachgerüttelt
und zweifelten nun an der Rechtmäßigkeit der Kulturrevolution. Die Zerschlagung der
Clique Lin Biaos stellte einen Wendepunkt in den zehn Jahren der Kulturrevolution
dar.242
242
Vgl. Xi/ Jin 2006:222.
159
Kapitel 9: „Kampf, Kritik und Umgestaltung“ in der
Kulturrevolution
9.1 Die leitende Ideologie von „Kampf, Kritik und Umgestaltung“
Ein wesentlicher Grund für die Initiierung der Kulturrevolution war der Wunsch Maos,
eine neue Gesellschaft zu errichten. Um dieses Ziel zu erreichen, propagierte er
„gewissenhaft Kampf, Kritik und Umgestaltung durchzuführen“.243
Die wesentlichen
Inhalte dieser Ideologie lagen unter anderem in: Niederschlagung der gegenwärtigen
Machthaber, die den kapitalistischen Weg eingeschlagen haben, Kritik der
Kapitalistenklasse und der reaktionären wissenschaftlichen Autoritäten, Kritik der
Ideologien, die der Kapitalistenklasse und allen anderen Ausbeuterklassen zugehörig
sind, Bildungsreform, Reform von Literatur und Kunst sowie Umgestaltung von
Teilen des Überbaus, die der sozialistischen ökonomischen Basis nicht entsprechen.
Maos Ideologie von „Kampf, Kritik und Umgestaltung“(Dou pi gai 斗、批、改)
wirkte sich im gesellschaftlichen Leben und in der sozialen Ordnung des Landes aus.
Sie führte während der Kulturrevolution zu vielen falschen theoretischen
Überlegungen:
a. Die Theorie zur Revolution von Literatur und Kunst wurde am frühesten
entwickelt. In der Anfangsphase der Kulturrevolution gab Mao eine Reihe von
Instruktionen zur kulturellen Arbeit der Revolutionäre ab. Diese lauteten unter
anderem, dass man unter dem Banner der Niederschlagung von Feudalismus,
Kapitalismus und Revisionismus die sogenannte Revolution von Literatur und
Kunst ausführen sollte. Man wollte damit in Wahrheit das blühende Kulturleben
im Keim ersticken.
243
Vgl. Wang 2005:273.
160
b. Die Theorie der Bildungsrevolution wurde während der Kulturrevolution am
längsten verfolgt und spiegelt gleichzeitig die Kreativität Mao Zedongs in
bemerkenswerter Weise wider. Es wurde eine grundlegende Reform vollzogen,
die Bereiche, wie Bildungssystem, Lehrmethoden, Zulassungsbestimmungen und
Prüfungsverfahren betraf. Da die Positionen äußerst radikal waren, wie etwa die
Ablehnung von geisteswissenschaftlichen Universitäten oder die grundsätzliche
Verachtung von Wissen, kam es sowohl theoretisch als auch praktisch zu
grotesken Entwicklungen, die schlimme Folgen für das ganze Land mit sich
brachten.
c. Die Intellektuellen mussten sich erneut einer Diskussion über die Bildungstheorie
stellen. Viele Äußerungen bezüglich der Intellektuellen waren von Verachtung
und Hass geprägt. Man behauptete, dass das Lernen nutzlos sei und Intellektuelle
wurden als „stinkende Nummer Neun“ (Chou laojiu 臭老九)diffamiert sowie als
minderwertige nutzlose Personen angesehen. Daher mussten Intellektuelle vom
Leben der Arbeiter und Bauern lernen.
d. Nach der Theorie des parteiinternen Kampfes gab es innerhalb der Partei
unterschiedliche Fraktionen, in denen auch Kapitalisten vertreten waren. Deshalb
konnten Klassenkämpfe in der Partei nicht ausgeschlossen werden. Diese Theorie
wurde in der Kulturrevolution vom linken Flügel formuliert und verfolgt.
Die Theorie Maos von „Kampf, Kritik und Umgestaltung“ stellte einen völlig
falschen Ansatz des linken Flügels während der Kulturrevolution dar. Diese Theorie
verneinte sämtliche Leistungen des Landes seit der Staatsgründung und sprach damit
auch die Erfolge der chinesischen Regierung, einschließlich jener Maos, ab.
161
9.2 „Säuberung der Klassen“
Die „Säuberung der Klassen“(Qingli jieji duiwu 清理阶级队伍)war eine wichtige
Vorbedingung zu „Kampf, Kritik und Umgestaltung“ nach den Vorstellungen Mao
Zedongs. Damit meinte man vor allem die sogenannte Säuberung der revolutionären
Reihen von „Verrätern, Spionen, Grundbesitzern, Kapitalisten, Konterrevolutionären
und kapitalistischen Machthabern“, die von diesen angeblich infiltriert wurden. Laut
einer Statistik wurden von Februar bis November 1970 im gesamten Land 1,84
Millionen der oben angeführten „schlechten Elemente“ ausgeforscht, 284.800
Personen verhaftet und einige Tausend getötet.244
Der Zwischenfall Zhang Zhixin rief besondere Bestürzung hervor. Zhang war eine
Funktionärin der Provinzregierung Liaonings und Parteimitglied. Sie richtete sich
gegen die Kulturrevolution und gegen Jiang Qing. Außerdem verurteilte sie die
Attacken gegen den Staatspräsidenten Liu Shaoqi. Daraufhin wurde sie von der
regionalen Justiz ins Gefängnis geworfen und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Zhang
Zhixin widersetzte sich, leistete weiterhin Widerstand und wurde schließlich
hingerichtet. Nachdem der Fall ans Tageslicht kam, rief dieser große Bestürzung in
der Bevölkerung hervor. Der Zwischenfall wurde literarisch verfasst. Der Geist des
mutigen Widerstandes Zhangs erschien als Gedicht und wird bis zum heutigen Tage
rezitiert.
Da die Kontrollorgane der Justiz in der damaligen Zeit sehr chaotisch waren,
konnten verschiedene selbsternannte rebellische Organisationen beliebig Personen,
die sie für Klassenfeinde hielten, verhaften, einsperren und verhören. Daher waren
Justizirrtümer an der Tagesordnung und Menschenrechte wurden grob missachtet. Von
Recht und Demokratie konnte damals keine Rede sein. Nicht nur die persönliche
Sicherheit der einfachen Bürger war nicht zu gewährleisten, auch Parteikader in
Rängen von Ministern und Provinzgouverneuren mussten sich einer Prüfung
unterziehen. Sie wurden als „Machthaber, die den kapitalistischen Weg eingeschlagen
244
Siehe Wang 2005:281.
162
haben“ und als „konterrevolutionäre revisionistische Elemente“ verleumdet. Zu jener
Zeit war eine Diffamierung von hochrangigen Parteifunktionären der KPCh nicht zu
vermeiden. Wie konnte eine Bewegung, die in der Säuberung der revolutionären
Reihen von Übeltätern motiviert war, sich zu einem gegenseitigen Machtkampf
innerhalb der KPCh, der auch das Leben der einfachen Bevölkerung beeinflusste,
entwickeln?
Nach der Analyse Liu Xiaofengs bekam die chinesische Gesellschaft durch die
Mobilisierung Mao Zedongs die Gelegenheit ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Dies
bedeutete, dass die Menschen mit der Bekämpfung der „kapitalistischen
Machthaber“ ihren Unmut gegen die bürokratische Clique allgemein äußerten.245
Daher wurde durch die „Säuberung der revolutionären Reihen“ keine Ordnung
hergestellt, sondern lediglich eine große Zahl von Klassenfeinden künstlich
hervorgerufen. Eine weitere traurige Farce während der Kulturrevolution.
Chinesische Gelehrte machen deutlich, dass nach dem Untergang der
„Ausbeuterklasse“ sowie der ständigen politischen Bewegungen eine „Säuberung der
Klassen“ absolut unnötig war. Es war ein weiterer grundlegender Fehler die
angeblichen Gefahren, die durch „Klassenkampf“ und „Klassenfeinde“ ausgingen,
hochzustilisieren.246
9.3 Wiederaufbau der Partei und Versendung der Parteikader an die
Basis
Die Bewegung zum Wiederaufbau der Partei war eine wichtige Aufgabe in „Kampf,
Kritik und Umgestaltung“. Auf dem 1. Plenum des 9. Zentralkomitees der KPCh sagte
Mao:
245
Siehe Liu1998:386. 246
Vgl. Xi /Jin 2006:195.
163
Jetzt rufen wir eine neue Parole aus, den Wiederaufbau der Partei [...] Die
Parteiorganisation sollte aus fortschrittlich gesinnten Proletariern zusammengesetzt sein.
Die Organisation ist sicherlich in der Lage die aufstrebende Vorhut zu leiten, die vom
Kampf der Proletarierklasse und der revolutionären Massen gegen Klassenfeinde
gezeichnet ist.247
Gemäß der Gedanken Maos zum Wiederaufbau der Partei wurden zwischen 1970 und
Anfang 1971 in verschiedenen Städten und Provinzen neue Parteikomitees gegründet.
Eine wichtige Aufgabe dieser Komitees bestand darin, angebliche „Verräter“,
„Spione“ und „kapitalistische Machthaber“ aus der Partei zu entfernen sowie
Mitglieder der rebellischen Fraktion in die Partei aufzunehmen. Es wurde von den
neuen Parteimitgliedern verlangt dem Marxismus-Leninismus und den Mao Zedong
-Ideen die Treue zu halten. Ferner sollten sie auch den proletarischen revolutionären
Weg Mao Zedongs verfolgen. In der Phase des Wiederaufbaus der Partei rief man die
Bewegung der „großen revolutionären Kritik“ aus.
Im Rahmen dieser Kritik wurden Menschen beleidigt und attackiert. Man
beschuldigte sie Konterrevolutionäre zu sein, gegen die Partei zu agieren und die
Partei „nach den konterrevolutionären und revisionistischen Vorstellungen Liu
Shaoqis“ verändern zu wollen. Während des Wiederaufbaus der Partei wurden wieder
Volksmassen mobilisiert. In manchen Gegenden kam es zu ungewöhnlichen
Ereignissen, wo Nicht-Parteimitglieder bei Abstimmungen Personen aus der Partei
ausschlossen oder in die Partei aufnahmen. Das Ergebnis war, dass zahlreiche
Opportunisten und Intriganten sowie Personen mit großem Ehrgeiz in die Partei
gelangen. Daher sind chinesische Wissenschaftler der Auffassung, dass Mao mit dem
Wiederaufbau der Partei einen weiteren Fehler beging, der viele negative Folgen nach
sich zog.
Eine konkrete Maßnahme Maos während seiner Bewegung zum Wiederaufbau der
Partei war die Versendung der Parteikader an die Basis. Das berühmteste Beispiel
247
Wang 2005:283.
164
dafür war die Berufung einer Farm im Bezirk Liuhe, im chinesischen Nordosten zur
„Kaderschule des 7. Mai“ (5.7 Ganxiao 五七干校 ). Eine große Zahl von
Funktionären und Intellektuellen wurde in die sogenannte „Kaderschule“ verschickt,
um wiederholt von armen und mittelständischen Bauern zu lernen. Dort mussten sie
körperliche Tätigkeiten verrichten. In der Praxis bedeutete dies, dass Funktionäre und
Intellektuelle wie Sträflinge durch körperliche Arbeit „umerzogen“ wurden. In
zahlreichen Arbeitseinheiten wurde die Verschickung von Kadern an die Basis als
Mittel zur Beseitigung von missliebigen Personen betrachet. Zahlreiche Parteikader
mussten ihre politische Tätigkeit einstellen und Wissenschaftler konnten ihre
Forschungen nicht zu Ende führen. Die körperliche Arbeit in der „Kaderschule des 7.
Mai“ wurde zu ihrer alleinigen Aufgabe erklärt. Die Beseitigung der geistigen Elite
führte zu katastrophalen Zuständen in der Wirtschaftsentwicklung des Landes.
9.4 Die Landverschickung
Im Jahr 1968 rief Mao dazu auf, die intellektuelle Jugend aufs Land zu schicken, um
wiederholt von armen und mittelständischen Bauern lernen zu können. Infolgedessen
wurden bis zum Ende der Kulturrevolution Abermillionen städtische Jugendliche in
entfernte arme ländliche Regionen verschickt und begannen dort unter unvorstellbar
harten Bedingungen zu arbeiten.
Die Geschichte zeigt, dass die zahlreichen Jugendlichen durch die fanatische
Verschickung aufs Land einen hohen Preis zahlen mussten. Millionen junger
Menschen verloren die Möglichkeit einer Schulausbildung nachzugehen. Sie mussten
in den Dörfern schwere körperliche Tätigkeiten verrichten und wurden von armen und
mittelständischen Bauern ausgebildet.
Chinesische Gelehrte finden, dass die Landverschickung nicht grundsätzlich
abzulehnen ist. Sie war unter anderem eine hilfreiche Maßnahme der chinesischen
Regierung, um die Beschäftigungsproblematik in den Städten zu lösen. Die
165
ursprüngliche Absicht ihrer Initiatoren war, die ländliche Produktion durch die
städtische Jugend weiter anzukurbeln und den Druck auf den städtischen Arbeitsmarkt
zu verringern. Außerdem sollte durch die Landverschickung der jungen Menschen die
Ausbildung und die Wirtschaft in ländlichen Regionen gefördert werden. Damit
wollte man vor allem der Rückständigkeit in den Dörfern entgegentreten. Aus diesem
Blickwinkel betrachtet darf die positive Seite der Landverschickung nicht außer acht
gelassen werden. Vertreter dieser intellektuellen Jugend wurden Lehrkräfte an Grund-
und Mittelschulen und somit zum Saatgut zur Verbreitung von Kultur und Zivilisation
auf dem Land. Einige wurden „Barfußärzte“ (Chijiao yisheng 赤脚医生) und
linderten die Krankheiten der ländlichen Bevölkerung, die medizinisch unterversorgt
war. Andere beschäftigten sich mit der Erforschung von Agrartechniken und ihrer
praktischen Anwendung. Sie leisteten damit einen wichtigen Beitrag zur Förderung
der landwirtschaftlichen Produktion. Die jungen Menschen wurden sogar in führende
Positionen auf unterschiedlichen ländlichen Ebenen gewählt und konnten auf die
breite Unterstützung der Bevölkerung zählen.
Die besonderen historischen Bedingungen ließen diese spezielle Gruppe von
intellektuellen Jugendlichen entstehen. Diese Menschen kamen direkt aus der Stadt
aufs Land und wurden plötzlich von Studenten zu Bauern. In dieser Zeit lernten sie
das einfache Leben der ländlichen Bevölkerung kennen und härteten sich aufgrund
der schweren Bedingungen ab. Doch erst dadurch bekamen sie die Gelegenheit, die
Situation des Landes auf praktische Weise kennenzulernen sowie die Situation der
Bauern besser zu verstehen. Die harten Lebensbedingungen prägten die Jugendlichen
auch in ihrem weiteren Leben. Die verschiedenen Entbehrungen stählten den
Charakter und ließen sie stärker und durchsetzungsfähiger werden. Viele unter ihnen
nahmen nach ihrer Rückkehr ein Hochschulstudium auf, begannen, führende
Positionen in Politik und Wirtschaft einzunehmen, und leisteten wichtige Beiträge in
verschiedenen Sektoren. Bis heute werden sie als Rückgrat des Landes angesehen.
Doch diese positiven Aspekte dürfen nicht über die historischen Fehler dieser
Bewegung hinwegsehen. Die Landverschickung der Jugendlichen im Hintergrund der
Kulturrevolution muss als eine politische Bewegung betrachtet werden und weicht
166
vollkommen von der Absicht zur Lösung des Beschäftigungsproblems ab. In
gewissem Sinn kann die Landverschickung der Jugendlichen zur weiteren Ausbildung
als eine Fortsetzung der Bewegung der Roten Garden und als Folge der sogenannten
Bildungsrevolution angesehen werden. Sie führte dazu, dass begabte Studenten, die
Experten und Gelehrte hätten werden können, zu Landarbeitern wurden. Die
wissenschaftliche Fachwelt verlor eine ganze Generation von neuen Talenten. Dies
führte auch langfristig zu einer negativen Wirtschaftsentwicklung des Landes.
Des weiteren versuchte man durch die Landverschickung sogenannte „Nachfolger
der revolutionären Sache des Proletariats“ heranzubilden. Die Ausbildung in den
Schulen wurde als vollkommen unwichtig erachtet. Damit waren weitere
Fehlentwicklungen in der Kulturrevolution vorprogrammiert.248
Mao Zedong glaubte, dass in den vergangenen 17 Jahren vor der Kulturrevolution
die Schulen von kapitalistischen Elementen geleitet wurden. Daher nahm man an,
dass die Studenten eine kapitalistische Gesinnung hätten und eine weitere Ausbildung
beim arbeitenden Volk erhalten sollten.
Chinesische Gelehrte betonen, dass die Auffassung Maos in der Praxis
undurchführbar war. Ein Großteil der intellektuellen Jugend arbeitete keineswegs
sorgenfrei auf dem Land. Die Jugendlichen entwickelten eine Abneigung gegen ihren
aufgezwungenen Aufenthalt und fingen an zu rebellieren sowie Gesuche für eine
baldige Rückkehr einzureichen. Dies führte dazu, dass die Jugendlichen in großer
Zahl in ihre Heimat zurückkehren durften. Diese Bewegung zog sich viele Jahre hin
und endete erst in den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts.249
9.5 Die Bildungsrevolution
Im Rahmen der Kulturrevolution sollte die sogenannte Bildungsrevolution
248
Vgl. Zhang/ Su 1999:880. 249
Ebda., 884.
167
durchgeführt werden, um die Kontrolle durch die „kapitalistischen Intellektuellen“ an
den Schulen zu beseitigen. Mao Zedong gab diesbezüglich viele Stellungnahmen ab
und entwickelte zahlreiche Methoden, um seine Bildungsrevolution durchzusetzen . In
den Augen Maos war die Leitung der Schulen äußerst wichtig und er trat dafür ein,
dass die Arbeiterklasse die Führung übernehmen sollte. Um die Macht an den Schulen
ergreifen zu können, musste die Arbeiterschaft zunächst die Kritik an „kapitalistischen
Intellektuellen“ durchführen. Daher wurden „Arbeiter- und
Soldatenpropagandagruppen“ in die Schulen geschickt, um die Schulverwaltung zu
übernehmen. Am 22. September 1968 erschien eine Weisung Maos in der
„Volkszeitung“:
Ein Großteil der Studenten, der im alten System ausgebildet wurde, ist durchaus dazu
bereit, sich mit unseren Arbeitern, Bauern und Soldaten zusammenzuschließen. Einige
von ihnen sind erfinderisch und kreativ. Doch sollten sie durch eine weitere Ausbildung
von Arbeitern, Bauern und Soldaten auf den richtigen Weg gebracht werden und
müssen die alten Gedanken zur Gänze aufgeben.250
Die Tatsache, dass Intellektuelle sich von Arbeitern, Bauern und Soldaten ausbilden
lassen mussten, rief eine breite Ablehnung unter den Betroffenen hervor. Die
chinesische Fachwelt ist überzeugt, dass Maos Ansicht, die Intellektuellen einer
erneuten Ausbildung zu unterziehen, ein Fehler war. Dies spiegelt gleichzeitig die
Geringschätzung Maos gegenüber den Gebildeten wider.251
Unter dem Einfluss der Ideologie Maos, die Intellektuellen von Arbeitern, Bauern
und Soldaten ausbilden zu lassen, übersiedelten viele chinesische Universitäten
(einschließlich vieler Fachrichtungen der Peking-Universität und der
Qinghua-Universiät) in Bergregionen oder aufs Land, um mit den örtlichen
Unternehmen zusammenzuarbeiten und gemeinsam zu lehren. Es wurde ein neues
System geschaffen, indem Ausbildung, Produktion und Forschung miteinander vereint
250
Wang 2005:288-289. 251
Vgl. ebda.,288-289.
168
wurden. Dies wurde als „Schule der offenen Tür“ (Kaimen banxue 开门办学)
bezeichnet. Infolgedessen wurde die Gesellschaft von der Geisteswissenschaft als
Werkbank betrachtet. Die Universität für Agrarwissenschaften wollte komplett aufs
Land übersiedeln und auch die Medizinische Universität verlagerte ihren
Schwerpunkt in die Dörfer.
Die ursprünglichen Lehrkräfte wurden ideologisch umerzogen. Es wurden neue
Teams gebildet, die sich aus der alten Lehrerschaft sowie aus Arbeitern, Bauern,
Soldaten und dem technischen Personal zusammensetzten. Die treibende Kraft in
diesen Teams bildeten jedoch die neuen Herren aus den Reihen der Proletarierklasse.
Im Unterricht stand die politische Bildung im Mittelpunkt und der Klassenkampf
wurde als wichtigstes Fach betrachtet. Die Einführung von neuen Lehrmethoden und
die Ausbildung in Verbindung mit Produktion und Forschung veränderte die
Prioritäten an den Schulen. Lehrstoff und Lehrkörper standen nun nicht mehr im
Mittelpunkt.
Die Aufnahme der Studenten erfolgte auch primär aus den Reihen der Arbeiter,
Bauern und Soldaten. Daneben wurde auch die intellektuelle Jugend, die in den
Dörfern arbeitete, zum Studium zugelassen. Sämtliche Studienwerber mussten eine
praktische Arbeitserfahrung von drei Jahren aufweisen. Die Aufnahme der Studenten
erfolgte durch eine Empfehlung der Volksmassen, einer Genehmigung durch die
Leitung der Arbeitseinheit sowie einer Überprüfung durch die Universität. Nach dem
Universitätsabschluss mussten die Absolventen im Prinzip in ihre alte Arbeitseinheit
zurückkehren. Während der Studienzeit wurde den Studenten nicht nur das gewählte
Studienfach vermittelt. Sie mussten ferner Verwaltungsaufgaben innerhalb der
Universität verrichten und Vorschläge zur Universitätsreform machen.
Die Bildungsrevolution dauerte bis zum Ende der Kulturrevolution 1976 an. Die
chinesische Fachwelt kommt zur Übereinstimmung, dass die Bildungsrevolution die
Ideologie der linken Fraktion widerspiegelte und das Resultat einer Fehlauffassung
Maos bezüglich der Bildungspolitik der 17 Jahre vor der Kulturrevolution war.252
Die
252
Vgl. Wang 2005:291.
169
unterschiedlichen, von Mao unterbreiteten, Richtlinien zur „Bildungsrevolution“ und
die Maßnahmen dazu waren praktisch nicht durchführbar. Die Entwicklung des
Bildungswesens im Land wurde dadurch maßgeblich behindert und die Ausbildung
von wissenschaftlichen Talenten verzögert. Dies führte langfristig zu weiteren
schlimmen Folgen für die chinesische Wirtschaft.
9.6 Die Revolution in Literatur und Kunst
Im Februar 1966 wurde in Shanghai von Jiang Qing die „Konferenz zur Aussprache
über Literatur und Kunst in der Armee“ einberaumt. Nach der Konferenz wurde das
„zuammenfassende Protokoll über den Auftrag des Genossen Lin Biao an die
Genossin Jiang Qing zur Einberufung der Konferenz über Literatur und Kunst in der
Armee“ veröffentlicht.253
Dieses Protokoll war ein führendes Programm zur
Durchführung der Revolution in Literatur und Kunst während der Kulturrevolution.
Es verneinte alle Leistungen im literarisch-künstlerischen Bereich, die von 1949 bis
1966 erzielt wurden. Man war der Auffassung, dass das Kulturschaffen der
vergangenen 17 Jahre von kapitalistischen Elementen sowie von Feudalismus und
Revisionismus beherrscht war. Die Werke aus dieser Zeit würden die Kulturbühne des
Landes vollständig kontrollieren. Daher wurden zahlreiche Schriftsteller und Künstler
als „Elemente, die gegen Partei und Sozialismus agieren“, gebrandmarkt sowie als
„finstere Kräfte“ oder als „schlechte Elemente“ beschimpft. Jiang Qing hingegen
wurde als „Fahnenträgerin der Revolution in Literatur und Kunst“ gepriesen. Sie habe
einen „besonderen Beitrag“ im Bereich des chinesischen Kulturschaffens geleistet.
Nach der künstlerischen Auffassung Jiang Qings müssen auf der chinesischen
Kulturbühne die „drei Hervorhebungen“ (Santuchu 三突出) betont werden. Man
sollte positive Figuren und Helden sowie zentrale Rollen aus diesen Heldenfiguren
hervorheben. Nach dieser Denkauffassung wurden von Jiang Qing acht
253
Siehe Zhang /Su 1999:312.
170
„Modellopern“(Yangbanxi 样板戏)aufgestellt. Darunter waren sowohl Pekingopern,
wie „Die Geschichte der roten Signallaterne“ (Hongdengji 红 灯 记 ), „Im
Hafen“(Haigang 海港)und „Shajiabang“ (沙家浜) als auch Ballettstücke wie „Das
rote Frauenbataillon“ ( Hongse niangzijun 红色娘子军) vertreten. Sämtliche
Modellopern wurden von Jiang Qing persönlich überprüft. Daher durften Bühnentext,
Gestiken und Lichteffekte nicht abgeändert werden. Besonders grotesk erscheint
heute, dass während eines langen Zeitraums ausschließlich diese acht Modellopern
auf der Bühne aufgeführt werden durften. In weiterer Folge wurden diese Stücke
aufgrund einer Weisung Jiang Qings verfilmt.
Chinesische Gelehrte sind der Meinung, dass die „drei Hervorhebungen“ Jiang
Qings nicht das wahre Leben, sondern nur falsche Heldengestalten reflektierten. Die
Kunst sollte nicht standardisiert und vereinheitlicht werden. Die Modellopern waren
daher einfach nur absurd und behinderten das Kulturschaffen in China über Jahre
hinweg. Außerdem widersprachen sie dem Kulturverständnis Maos: „Lasst hundert
Blumen blühen, lasst hundert Schulen miteinander wetteifern“ (Baihua qifang, baijia
zhengming 百花齐放,百家争鸣).254
Noch tragischer war, dass unter dem Einfluss von extrem linken kulturellen
Positionen eine Reihe von renommierten Schriftstellern und Künstlern zu Tode kamen.
Darunter Autoren, wie Lao She, Tian Han, A Ying, Zhao Shuli, Liu Qing, Zhou Libo
und Guo Xiaochuan.....Übersetzer, wie Fu Lei, Dong Qiusi und Man Tao....Darsteller
von Pekingopern, wie Ma Lianliang, Zhou Xingfang, Gai Jiaotian, Shang Xiaoyun
und Li Shaochun, Schauspielerinnen und Schauspieler wie Sun Weishi, Shu Xiuwen,
Deng Junli, Tian Fang und Shangguan Yunzhu.....Hinter jedem Tod eines Künstlers
steckte eine tragische Geschichte. Die Ereignisse wurden in Büchern255
, wie „Die
Familie Fu Lei“, „Der unnatürliche Tod“ oder „Die Suche nach ungewöhnlichen
Justizirrtümern in zehn Jahren (der Kulturrevolution)“ detailliert aufgezeichnet. Diese
Zeugnisse deuten auf die Fehler der linken Fraktion im Kulturbereich hin und zeigen
die Verbrechen Jiang Qings auf.
254
Vgl. Wang 2005:294. 255
Vgl. ebda., 296.
171
Zwar bejahen einige Kulturschaffende den künstlerischen Wert der Modellopern,
wie Singweise und Musik, doch der Großteil der Künstler und Forscher glaubt, dass
die linke Fraktion durch die Revolution in Literatur und Kunst ihre künstlerische
Auffassung in die Praxis umsetzen wollte. Das Kulturschaffen wurde durch diese
sogenannte Revolution bereits im Keim erstickt.256
Bei einem Gespräch im Juli 1975 sagte Mao Zedong zu Jiang Qing:
Heute fehlen Gedichte, Prosawerke und Kulturkritik. Die Parteirichtlinien zur Kultur
sollten neu geregelt werden. Die Kulturprogramme sollten allmählich ausgeweitet
werden.257
In seinen letzten Lebenstagen (er verstarb ein Jahr darauf) wies Mao auf die Probleme
im Kulturbereich hin, doch fehlte ihm die Kraft, die autoritären Zustände zu ändern.
Seine kulturellen Auffassungen, wie „das Alte in den Dienst der Gegenwart stellen,
Ausländisches für China nutzbar machen, Neues aus Altem entstehen lassen sowie die
Hundert Blumen“ (Guweijinyong, Yangweizhongyong, Tuichenchuxin, Baihuaqifang
古为今用,洋为中用,推陈出新,百花齐放) waren nur auf dem Papier vorhanden und
konnten nie in die Praxis umgesetzt werden.
256
Wang 2005:297. 257
Zheng 2007:348.
172
Kapitel 10: Die Bewegung zur „Kritik an Lin Biao und
Konfuzius“ sowie die Neuausrichtung nach dem
Sturz Lin Biaos
10.1 Die „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“ als Anlass zur
Meinungsäußerung
Nach der Zerschlagung der Clique Lin Biaos wurde der Fehlschlag der
Kulturrevolution, sowohl in seiner theoretischen Grundlage als auch in seiner
praktischen Anwendung, offenkundig. Nicht nur chinesische Forscher vertreten diese
Auffassung. Sie wird auch von der Kommunistischen Partei offen eingestanden.258
Objektiv gesehen bot die Zerschlagung der Clique Lin Biaos die historische
Gelegenheit die Fehler der extremen Linken in der Kulturrevolution zu korrigieren
und zur Normalität mit Schwerpunkt auf der wirtschaftlichen Entwicklung
zurückzukehren. Die gemäßigte Parteiführung, vor allem der damalige
Ministerpräsident Zhou Enlai, versuchte, die Chance zu ergreifen, um die extrem
linke Parteilinie, die seit der Kulturrevolution das Land beherrschte, zu beenden.
Doch die Bemühungen Zhous und der anderen Gemäßigten stießen auf den
Widerstand Jiang Qings. Auch Mao Zedong hielt weiterhin an seinem
„linksgerichteten“ Kurs fest. Dieser geschichtliche Wendepunkt kam daher vorläufig
nicht zum Tragen.
Der Sturz Lin Biaos war ein ernsthafter politischer Zwischenfall, der das Land in
seinen Grundfesten erschütterte. Mao, unter Mithilfe Zhou Enlais, musste notwendige
Vorkehrungen treffen, um eine weitere Eskalation der Situation zu verhindern.
258
Vgl. Zhonggong Zhongyang Wenxian Yanjiushi(中共中央文献研究室,Hrsg.), Die
Kulturrevolution endgültig verneinen (Chedi foding „wenhua da geming“ 彻底否定“文化
大革命“), Beijing 1985:108.
173
Der Beginn der Bewegung zur Kritik Lin Biaos offenbarte nicht nur die
Verbrechen seiner Clique, sondern ließ das Volk auch die Gefahr, die von der
linksgerichteten Linie ausging, erkennen. Der Fanatismus gegenüber den Linken
begann sich abzukühlen und die Menschen dachten nun besonnen über die Ereignisse
nach. Da Mao jedoch keine tiefgreifenden Lehren aus diesem Zwischenfall zog und
den offensichtlichen Fehlschlag der Kulturrevolution nicht einsah, verpasste er die
Gelegenheit seine Fehler zu revidieren und die Kulturrevolution zu beenden. Im
Gegenteil, Mao wertete den Zwischenfall als weitere Folge des Klassenunterschiedes
und des Klassenkampfes. Er war der Meinung, dass die Clique Lin Biaos die
Interessen der Kapitalistenklasse vertrat und den Kapitalismus in China
wiederherstellen wollte. Den Zwischenfall betrachtete er als Resultat eines erbitterten
Klassenkampfes sowie eines Linienkampfes innerhalb der KPCh an.
Hinsichtlich der Auffassung Maos weisen die chinesischen Wissenschaftler darauf
hin, dass die Clique Lin Biaos nie eine politische Position bezog. Der Glaube, dass die
Clique kapitalistische Ansichten vertrat, entbehrt jeder Grundlage. Sie war in
Wahrheit nur eine Gruppe von Verschwörern, die sich mit der bisherigen Macht nicht
zufrieden gab und das Ziel verfolgte, die gesamte Macht im Staat an sich zu reißen.259
Vom 24. bis 28. August 1973 wurde in Peking unter dem Vorsitz Mao Zedongs der
10. Parteitag der KPCh abgehalten. Im politischen Bericht wurden weitere Intrigen
der Clique ans Tageslicht gebracht und die Person Lin Biao noch stärker kritisiert.
Doch wurde eine grundlegende und ausführliche Analyse der Hintergründe zum Lin
Biao-Zwischenfall vermieden. Man versäumte auch, einen Zusammenhang zwischen
dem Zwischenfall und der Kulturrevolution herzustellen sowie wichtige Lehren aus
diesen Erfahrungen zu ziehen. Im Gegenteil, auch hier wurde wiederum die
Langwierigkeit und die Heftigkeit des Klassenkampfes innerhalb der Partei
unterstrichen und an den kulturrevolutionären linken Thesen festgehalten, wie etwa
die Arbeit in der „Kaderschule des 7. Mai“, die Landverschickung, die Revolution der
Literatur und Kunst und die Bildungsrevolution.
259
Xi /Jin 2006:226.
174
Auf diesem Parteitag legte Wang Hongwen einen Bericht über die Abänderung
des Parteistatuts ab und wurde zum Vizevorsitzenden der KPCh und zum neuen
Nachfolger Mao Zedongs bestimmt. Zhang Chunqiao stieg zum ständigen Mitglied
des Politbüros auf. Diese neuen Machtverhältnisse führten zur Etablierung der
„Viererbande“, unter Jiang Qing, Zhang Chunqiao, Yao Wenyuan und Wang Hongwen,
innerhalb des Politbüros.260
Jiang Qing und ihre Gefolgschaft konnten ihre Macht
innerhalb der zentralen Führungsorgane weiter ausbauen.
Jiang Qing und ihre Verbündeten suchten rasch nach geeigneten Möglichkeiten,
um Zhou Enlai, der die Tagesgeschäfte der Partei führte, zu beseitigen und die
alleinige Macht in Staat und Regierung zu erringen. Sie fanden bei der Durchsuchung
von Lin Biaos Haus einige Schriften, Schriftrollen, und Karten mit Auszügen
konfuzianischer Klassiker. Daraufhin organisierte Jiang Qing an der Universität
Peking und an der Qinghua-Universität Schreibgruppen, um die Funde zu
dokumentieren. Das Thema dafür war „Lin Biao und die Lehren von Konfuzius und
Menzius“. Das Ergebnis wurde an Mao übergeben und es wurde empfohlen die
Bewegung zur „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“ auszurufen. Dieser Gedanke stieß
bei Mao auf Zustimmung, da der Lin Biao-Zwischenfall eine große politische
Erschütterung darstellte und er nach einer ideologischen Erklärung für diesen
Staatsstreich suchte. Das Motiv für die „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“ war nach
damaliger Lesart der Kampf zwischen Mao und Lin über die Rolle des Konfuzius.
Der wahre Inhalt für diese Bewegung liegt nach Ansicht chinesischer Forscher nicht
in der Kritik Lin Biaos oder in der des Konfuzius, sondern in der weiteren
Legitimation der Kulturrevolution durch Mao Zedong, der damit ihre Notwendigkeit
unterstrich. Damit wollte er die immer größeren Zweifel im Volk bezüglich der
Kulturrevolution beseitigen sowie den Widerstand dagegen brechen, um die
„linksgerichtete“ Linie weiter verfolgen zu können.261
260
Siehe Abteilung zur Geschichtsforschung des ZK der KPCh (Zhonggong Dangshi Yanjiushi
中共党史研究室,Hrsg.), Chronik der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der KPCh
(Zhonggong dangshi dashi nianbiao 中共党史大事年表), Beijing 1981:165. 261
Vgl. Xi/Jin 2006:246.
175
Die Absicht der „Viererbande“, unter Leitung Jiang Qings, zur Durchführung
dieser neuen Bewegung war hingegen eine andere. Sie wollten nur den Sturz Zhou
Enlais erreichen, um den Weg zur uneingeschränkten Führung in Staat und Partei zu
ebnen.
Während der „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“ wies Zhou des Öfteren darauf
hin, dass die ideologischen Strömungen der extremen Linken und der Anarchismus
unbedingt abzulehnen seien. Er sagte, dass die ideologischen Strömungen der
extremen Linken ins Leere führten, reine Polemik seien und ins Extreme fallen. Die
Ausrichtung von politischen Bewegungen dürfe nicht in Widerspruch zur
wirtschaftlichen Produktion stehen. Er ermunterte daher die Parteikader die
Produktion voranzutreiben, ihre gewohnten Arbeiten zu verrichten sowie die
wissenschaftliche Forschung und Ausbildung zu betonen.262
Als sich die Widersprüche
zwischen Zhou Enlai und der „Viererbande“ verschärften, unterstützte Mao die
Gruppe um Jiang Qing und lehnte Zhous Vorschläge ab.
Jiang Qing schrieb an Armeeeinheiten und Regierungsbehörden adressierte Briefe,
die persönlich von ihr unterzeichnet waren und legte die Materialien zur „Kritik an
Lin Biao und Konfuzius“ bei. Sie beauftragte das Verfassen von kritischen Artikeln,
die in Zeitungen veröffentlicht wurden. Diese beinhalteten versteckte Attacken gegen
Zhou Enlai. Darin wurde unter anderem behauptet, dass er ein „moderner
Konfuzianer“ sei. Bis zur Endphase dieser Bewegung entwickelte sie sich faktisch zu
einer ausgedehnten Kritik Zhous. Zur gleichen Zeit begann die „Viererbande“ die
einzige Kaiserin in der chinesischen Geschichte, Wu Zetian zu rühmen, um die
Öffentlichkeit auf die zukünftige Machtübernahme Jiang Qings als quasi „moderne
Kaiserin“ vorzubereiten. Der Ehrgeiz der „Viererbande“ die Führungsmacht in Staat
und Partei an sich zu reißen war nicht zu übersehen. Wang Hongwen machte Mao, in
seiner Stellung als Vizevorsitzender der KPCh, den Vorschlag, dass Zhang Chunqiao
und Jiang Qing ein Kabinett zusammenstellen sollten. Doch dieser Vorschlag wurde
von Mao abgelehnt. Er vertrat zwar die gleiche ideologische Auffassung wie die
262
Vgl. Xi/Jin 2006:234.
176
Gruppe um Jiang Qing, Zhang Chunqiao, Yao Wenyuan und Wang Hongwen,
erkannte auch ihre Verdienste in der Unterstützung der Kulturrevolution und in der
Kritik Liu Shaoqis an, doch besaß die Gruppe aus seiner Sicht nicht die Fähigkeit das
Land und die Partei zu regieren.263
Im Oktober 1974 machte Mao Zedong den Vorschlag, dass Zhou Enlai weiterhin
das Amt des Ministerpräsidenten ausführen sollte. Außerdem bat er Deng Xiaoping
drei wichtige Posten zu übernehmen, und zwar den des stellvertetenden
Ministerpräsidenten, des Vizevorsitzenden der Zentralen Militärkommission sowie
des Generalstabchefs der Volksbefreiungsarmee. Dies bewies, dass Mao in seinen
letzten Lebensjahren zwar körperlich von Krankheit gezeichnet, doch geistig noch
völlig klar war. Er war noch immer in der Lage wichtige Aufgaben in Staat und Partei
wahrzunehmen und nahm bei Personalentscheidungen keine Rücksicht auf seine
verwandtschaftlichen Verbindungen.
10.2 Der volkswirtschaftliche Niedergang wird gebremst
Nach dem Ausbruch der Kulturrevolution im Jahr 1966 wurde die Volkswirtschaft
aufgrund des gesellschaftlichen Aufruhrs in Mitleidenschaft gezogen und sie
verschlechterte sich zusehend. In der zweiten Hälfte des gleichen Jahres nahmen auch
die Schäden in der Industrie und im Verkehr zu. Da die Unruhen sich jedoch primär
auf die Bereiche der Kultur und Ausbildung konzentrierten und die meisten
Kontrollsysteme der Produktion nicht beschädigt wurden, konnten 1966 die
verschiedenen Produktionsbereiche trotz der Umstände gute Ergebnisse erzielen. Der
industrielle und landwirtschaftliche Bruttoproduktionswert des gesamten Jahres belief
sich auf 253,4 Milliarden Yuan, ein Wachstum von 13,4 % im Vergleich zum Jahr
1965. Die Staatseinnahmen wuchsen um 18 % im Vergleich zum Vorjahr.264
Doch
263
Vgl. Jin 2008:181. 264
Vgl. Hu 1991:437.
177
aufgrund des weiteren Verlaufs der Kulturrevolution, der von Machtkampf und den
Kritikbewegungen der rebellischen Fraktion geprägt war, kam die Verwaltung der
Wirtschaftsorgane ins Stocken oder gar vollkommen zum Stillstand. Der weitere
Ablauf der Volkswirtschaft konnte nicht mehr kontrolliert werden. Ab 1967 stürzte die
Unternehmensverwaltung ins Chaos, Warenqualität und Arbeitsmoral verschlechterten
sich. Hinzu kam die Häufung von Arbeitsunfällen. Viele Arbeiter verließen ihre
Arbeitsstellen, um an Kritikbewegungen teilzunehmen, Verkehr und Transport kamen
ins Stocken und die Warenversorgung musste mit Engpässen kämpfen. Aus diesem
Grund mussten etliche Fabriken ihre Arbeitszeiten verkürzen oder die Produktion
ganz einstellen. Der industrielle und landwirtschaftliche Bruttoproduktionswert
verringerte sich im Zeitraum von 1966 bis 1967 um 9,6 % und um weitere 4,2 % im
folgenden Jahr. Das Volkseinkommen reduzierte sich 1968 im Vergleich zu 1966 um
13,3 %. Die Versorgung auf dem Markt war sehr angespannt und die Lebensqualität
der Menschen verschlechterte sich.265
Aufgrund der tiefgreifenden Analyse der chinesischen Forschung sehen die
Menschen heute die wirtschaftliche Situation in der Kulturrevolution nicht mehr ganz
so negativ und versuchen allein die Fakten zu betrachten. Kurz nach Beendigung der
Kulturrevolution hatte man, wenn es um die Wirtschaft in jener Zeit ging, ohne lange
zu überlegen sofort jegliche wirtschaftliche Entwicklung verneint. Laut Statistik
betrug der industrielle und landwirtschaftliche Bruttoproduktionswert 1969 261,3
Milliarden Yuan, ein Anstieg von 23,8 % im Vergleich zum Jahr 1968. Das
Volkseinkommen betrug im gleichen Jahr 161,7 Milliarden Yuan, ein Wachstum von
19,3 % im Vergleich zum Vorjahr.266
1970 wurde der erste chinesische Satellit erfolgreich ins Weltall geschickt. Dieser
Zeitpunkt markierte den Zeitpunkt für den historischen Durchbruch der chinesischen
Raumfahrttechnologie.
Die chinesische Forschung ist sich einig, dass die oben angeführten Erfolge Zhou
Enlai zu verdanken waren, da er unter widrigsten Umständen im Großen und Ganzen
265
Vgl. Hu 1991:437. 266
Ebda.,438.
178
die Kontrolle über die Volkswirtschaft behielt und die Arbeit im wirtschaftlichen und
industriellen Sektor aufrechterhielt. Außerdem trugen auch Bescheidenheit,
Patriotismus und Arbeitseifer der chinesischen Bevölkerung dazu bei den kompletten
Niedergang der Wirtschaft zu verhindern.
Zu Beginn des Jahres 1975 erkrankte Ministerpräsident Zhou Enlai schwer und
Deng Xiaoping vertrat ihn im Staatsrat. Dabei rief er zur umfassenden ideologischen
Konsolidierung auf. Der Hauptinhalt wird in den unten angeführten Punkten erläutert:
a. Die Wirtschaft muss wiederhergestellt werden. In den nächsten 25 Jahren sollte
China zu einem starken Staat mit moderner Landwirtschaft, moderner Industrie,
moderner Landesverteidigung und moderner Wissenschaft aufgebaut werden (die
Verwirklichung der Vier Modernisierungen).
b. Ein starkes Führungsgremium muss aufgebaut werden.
c. Das Land muss Stabilität und Einigkeit aufweisen. Fraktionskämpfe müssen
daher unbedingt beendet werden.
d. Alte Parteikader sollten befreit und wiedereingesetzt werden und auch die
Intellektuellen müssen ihr Wirken wieder entfalten können.
e. Regeln und Vorschriften müssen befolgt werden. Dabei sollte man sich primär an
Politik und Profit orientieren.
f. Die Bildung muss wieder betont werden. Die gesellschaftliche Stellung der
Lehrenden muss daher wieder ihre frühere Bedeutung gewinnen.
g. Wissenschaft und Technologie müssen gefördert werden, da die Produktionskraft
davon abhängig ist.
179
h. Die Entwicklung der Landwirtschaft hat Priorität. Der Schwerpunkt der Vier
Modernisierungen liegt in der Modernisierung der Landwirtschaft.267
Zwar hob auch Deng Xiaoping die Führung der Partei und das Studium der Mao
Zedong-Ideen hervor, doch wies er noch viel eindringender auf den Vorrang der
wirtschaftlichen Entwicklung des Landes hin.
In der wagemutigen Reorganisation begann die chinesische Wirtschaft, nach einer
Phase des Niedergangs und Stillstands, wieder zu wachsen. 1975 betrug der
industrielle und landwirtschaftliche Bruttoproduktionswert des ganzen Landes 450,4
Milliarden Yuan, eine Steigerung von 11,9 % im Vergleich zum Vorjahr.268
Die chinesischen Wissenschaftler glauben, dass die umfassende Regulierung unter
der Führung Deng Xiaopings sowohl als Abrechnung mit der linken Fraktion als auch
als entschiedener Kampf gegen die „Viererbande“ betrachtet werden kann. Aus einer
bestimmten Perspektive betrachtet bedeutet dies, dass ohne Regulierung im Jahr 1975,
die „Bewegung des 5. April“ im darauffolgenden Jahr nicht stattgefunden hätte und
auch die „Reform-und Öffnungspolitik“ im späteren Verlauf nicht realisierbar
gewesen wäre. In diesem Jahr kamen die politischen Fähigkeiten und Ambitionen
Deng Xiaopings zum Vorschein. Daher konnte er mit der uneingeschränkten
Unterstützung der chinesischen Bevölkerung rechnen.269
In den zehn Jahren der Kulturrevolution hatte der wirtschaftliche Aufbau des
Landes schwere Verluste hinnehmen müssen. Die industrielle und landwirtschaftliche
Produktion ging zurück, Richtlinien und Vorschriften wurden außer Kraft gesetzt, die
Verhältnisse im Aufbau der Volkswirtschaft waren unausgeglichen und das
Wirtschaftswachstum verlangsamte sich. Doch im Vergleich zu den politischen,
ideologischen und kulturellen Schäden sind die wirtschaftlichen Folgen
vergleichsweise gering. Politiker und Wissenschaftler kamen einst zu der Bewertung,
267
Vgl. Wang 2005:446. 268
Vgl. ebda., 461. 269
Ebda.,461.
180
dass die „Volkswirtschaft beinahe an der Grenze des Zusammenbruchs stand“. Damit
waren vor allem die Jahre 1967, 1968 und 1976 gemeint.270
Im großen und ganzen
konnte während der Kulturrevolution trotz allem ein Wirtschaftswachstum
verzeichnet werden. Wenn man die wirtschaftlichen Verluste mit jenen der Bewegung
des „Großen Sprungs nach vorn“ vergleicht sind diese bedeutend geringer. Der
wesentliche Grund liegt darin, dass der „Große Sprung nach vorn“ eine Bewegung
war, die die Wirtschaft betraf. Die Kulturrevolution hingegen war primär eine
politische Revolution. Während der Kulturrevolution propagierte Mao zwar auch das
Bild einer idealen Gesellschaft wie zu Zeiten des „Großen Sprungs nach vorn“ (die
Kaderschule des 7. Mai“ und die Landverschickung der intellektuellen Jugend
beweisen dies), doch hatte er in einem bestimmten Ausmaß Lehren aus diesen
Bewegungen gezogen. Daher richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Revolution,
förderte jedoch die Produktion.
10.3 Große Fortschritte in der Außenpolitik
Bei der Analyse der chinesischen Außenbeziehungen haben deutsche Forscher noch
tiefgründiger als ihre chinesischen Kollegen auf diesem Gebiet geforscht.
Marie-Louise Näth und Jürgen Domes haben sich auf die chinesische Außenpolitik
spezialisiert und auch das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für
Auswärtige Politik ist eine Autorität auf dem Gebiet der chinesischen Außenpolitik.
Chinesische Gelehrte hingegen sind nur sehr allgemein auf die Grundsteine der
chinesischen Außenbeziehungen eingegangen. Die lauten wie folgt: Die chinesische
Regierung forderte von anderen sozialistischen Staaten, dass sie sich gegenseitig
unterstützen sollten. Sie propagierte gegenüber den Staaten unterschiedlicher
Gesellschaftsordnung eine Politik der „friedlichen Koexistenz“.
Außerdem wies die chinesische Forschung darauf hin, dass die chinesische
270
Siehe Zhang/ Su 1999:512.
181
Außenpolitik von der linksgerichteten Ideologie beeinflusst wurde, insbesondere
durch die Tätigkeiten der Clique Lin Biaos und der „Viererbande“. Die Leiter der
außenpolitischen Abteilungen wurden kritisiert und die meisten Botschafter wurden
zurückbeordert und mussten an der Kulturrevolution teilnehmen. Die Behörden sahen
die Vermittlung von Mao Zedong-Ideen als Hauptaufgabe ihrer außenpolitischen
Tätigkeit an.
Im August 1967 wurde in einem schweren Zwischenfall das Büro des britischen
Geschäftsträgers in Peking von Tausenden Menschen umzingelt, attackiert und in
Brand gesetzt. Durch diese gewalttätigen Ausschreitungen wurden viele ausländische
Diplomaten besorgt und beunruhigt. Auch die Beziehungen zu vielen westlichen
Staaten wurden dadurch weiter belastet. Doch im Vergleich zu vielen anderen
Bereichen waren die Schäden in der außenpolitischen Tätigkeit vergleichsweise
gering, auch die Zeitspanne zog sich nicht lange hin.
Am 1. Mai 1969, dem Internationalen Tag der Arbeit, empfing Mao Zedong auf
dem Tiananmen-Platz ausländische Gesandte. Er führte mit ihnen freundschaftliche
Gespräche und äußerte den Wunsch, dass China die Beziehungen zu anderen Staaten
verbessern und ausbauen möchte. In weiterer Folge wurden nacheinander chinesische
Botschafter ins Ausland geschickt, um die Beziehungen wiederherzustellen, die
aufgrund der Aktionen der extremen Linken beschädigt worden waren. Die
außenpolitischen Beziehungen konnten sich allmählich wieder normalisieren und
weiterentwickeln.
10.3.1 Die Entspannung der sino-amerikanischen Beziehungen und die
Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Japan
Nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 nahmen die Volkrepublik China als
auch die Vereinigten Staaten gegenseitig eine feindselige Haltung ein, die über
zwanzig Jahre andauerte. In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts kam es zur
182
Veränderung der internationalen Lage, da beide Regierungen die Notwendigkeit zur
Verbesserung ihrer Beziehungen erkannten.
Aus amerikanischer Sicht war das Verhältnis zur Sowjetunion das amerikanische
schwerwiegendste außenpolitische Problem. Um sich der sowjetischen
Herausforderung zu stellen und um ihre Vormachtstellung in der Welt behaupten zu
können, mussten die USA ihre Beziehung zu China verbessern.
Auch China erhoffte sich eine baldige Versöhnung mit den USA. Das Land musste
sich der sowjetischen Gefahr entgegenstellen, da die Sowjetunion ihre Truppen an der
nordchinesischen Grenze zusammenzog. China strebte auch eine nationale
Wiedervereinigung durch die Lösung der Taiwanfrage an und versuchte seine
internationalen Beziehungen auszuweiten, um stärker in internationale Fragen
eingebunden zu werden.
Nach der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten Nixon versuchten die
USA auf verschiedene Weise mit China in Kontakt zu treten, wie die Ping
Pong-Diplomatie (der persönliche Empfang einer amerikanischen Tischtennisgruppe
in Peking 1971) und die Gespräche zwischen chinesischen und amerikanischen
Diplomaten beweisen. Im Juli 1971 reiste der amerikanische Sondergesandte Henry
Kissinger nach China, um Geheimverhandlungen mit der chinesischen Führung
aufzunehmen. Ihre Bekanntmachung versetzte die Welt in helle Aufregung. Im
Februar 1972 stattete Präsident Nixon der Volksrepublik China einen offiziellen
Besuch ab. Dabei begegnete er Mao Zedong und führte Gespräche mit
Ministerpräsident Zhou Enlai. Es kam zur Unterzeichnung des
„Shanghai-Kommuniques“, das die Standpunkte beider Seiten noch einmal erläuterte
sowie die friedliche Koexistenz und die antihegemonistische Haltung betonte.
In der Taiwanfrage betonte die amerikanische Seite, dass Taiwan ein Teil Chinas
sei. Doch forderte sie eine Erklärung von China, nur mit friedlichen Mitteln die
Taiwanfrage lösen zu wollen. Die chinesische Regierung war jedoch der Meinung,
dass die Taiwanfrage eine innere Angelegenheit sei und sie allein die Entscheidung
dafür trage.
China stellte Bedingungen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den
183
USA. Die Vereinigten Staaten müssten ihre Beziehungen zu Taiwan abbrechen und
ihre bewaffneten Kräfte und militärischen Anlagen von der Insel entfernen. Ferner
verlangte sie, dass die Amerikaner die Regierung der Volksrepublik China als einzige
legitime Regierung des Landes anerkennen.
Da die USA sich zu damaliger Zeit noch nicht dazu entschließen konnten, die
oben genannten Bedingungen zu erfüllen, zog sich die Aufnahme der Beziehungen in
die Länge. Doch nach 1973 wurden in beiden Ländern Verbindungsbüros eingerichtet.
Innerhalb weniger Jahre kam es zum Anstieg der Handelsbeziehungen sowie zu einem
regen wissenschaftlichen und kulturellen Austausch.271
Danach wurde der feindliche
Zustand zwischen den beiden Staaten beendet und die Normalisierung der
Beziehungen eingeleitet. Dies bedeutete gleichzeitig eine Änderung der
internationalen Verhältnisse.
Chinesische Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Entspannung zwischen
China und den USA direkt zur Verbesserung der sino-japanischen Beziehungen
beitrugen. Lange Zeit befolgte Japan als amerikanischer Verbündeter die
sinofeindliche Politik der USA. Die sino-amerikanische Aussöhnung rief in der
japanischen Öffentlichkeit starke Reaktionen hervor. In Japan gab es viele Stimmen,
die eine sofortige Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu China forderten.
Am 25. September 1972 stattete der japanische Premierminister Tanaka Kakuei
China einen offiziellen Besuch ab. Am 29. September unterzeichneten beide Seiten
eine gemeinsame Erklärung zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen.272
In der Erklärung wurde bekannt gegeben, dass beide Seiten den abnormalen
Zustand der beiden Staaten zu beenden wünschten. Die japanische Regierung erkennt
die Regierung der Volksrepublik China als einzige legitime Regierung des Landes an
und verpflichtet sich seine Beziehung zu Taiwan abzubrechen. Außerdem bestätigt
Japan, dass Taiwan ein untrennbarer Bestandteil Chinas sei. Anfang 1973 wurden in
beiden Staaten Botschaften eingerichtet und Botschafter entsendet. Danach
unterzeichnete man verschiedene Verträge zu Handel, Flugverkehr, Seeschifffahrt,
271
Vgl. Hu 1991:446. 272
Vgl. ebda., 446.
184
Fischerei, Wissenschaft und Kultur. Im Jahr 1975 begannen beide Staaten
Verhandlungen zur Unterzeichnung von Friedens- und Freundschaftsverträgen zu
führen.
10.3.2 Der UN-Beitritt der Volksrepublik China
Am 25. Oktober 1971 wurde in der 26. Sitzung der UN-Generalversammlung
beschlossen die rechtmäßige Mitgliedschaft der Volksrepublik China bei den
Vereinten Nationen wiederherzustellen. Die Vertretung Taiwans wurde im gleichen
Zug aus sämtlichen Organen der Vereinten Nationen entfernt. Die chinesische
Fachwelt glaubt, dass die Wiederherstellung der legitimen Vertretung Chinas ein
großer Erfolg für die chinesische Außenpolitik war, vor allem weil das Problem von
„zwei chinesischen Staaten“, das aufgrund der Streitfrage über die Vertretung Chinas
bei den Vereinten Nationen bestand, aus Sicht der Volksrepublik China gelöst wurde.
In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Höhepunkt in der Aufnahme
von diplomatischen Beziehungen mit westeuropäischen Staaten erreicht. Zuvor
unterhielt China nur zu sechs Staaten in West-, Nord- und Südeuropa offizielle
diplomatische Beziehungen. Doch bis Ende der 70er Jahre hatte China, außer zu vier
Ländern, mit sämtlichen Staaten dieser Regionen diplomatische Beziehungen
aufgenommen. Des weiteren nahm China auch mit Kanada, Australien und
Neuseeland Beziehungen auf.
Während der Kulturrevolution griff Mao die „Drei-Welten-Theorie“ auf. Nach
dieser Einteilung gehörten die Supermächte USA und Sowjetunion der Ersten Welt an.
Die westlichen Industriestaaten und die kommunistischen osteuropäischen Staaten
bildeten die Zweite Welt. Die Dritte Welt wurde von den Entwicklungsländern in
Asien, Afrika und Lateinamerika repräsentiert. In dieser Einteilung wurde der
Widerspruch zwischen den beiden Supermächten und den Entwicklungsländern sowie
die Rolle der Dritten Welt im antihegemonistischen Kampf unterstrichen. Die
185
Entwicklungsländer sollten ein Bündnis mit der Zweiten Welt eingehen, um Vorteile
aus dem Widerspruch zwischen den beiden Supermächten zu ziehen.
Die chinesische Fachwelt denkt, dass die „Drei-Welten-Theorie“ Mao Zedongs
zwar nicht die tatsächliche politische Situation jener Zeit wiedergab, doch als
Direktive für die chinesische Außenpolitik dennoch eine positive Wirkung hatte. Sie
richtete sich nicht nur gegen den Hegemonismus der Supermächte sondern förderte
auch die freundschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Entwicklungsländern.273
10.3.3 Die Verschlechterung der sino-sowjetischen Beziehungen
Mit der Entspannung der sino-amerikanischen Beziehungen verschlechterten sich jene
zur Sowjetunion zusehends. Durch die chinesisch-sowjetischen Gefechte am
Grenzfluss Ussuri wurde der „älteste Bruder“ aus den 50er Jahren schlagartig zum
Feind Nummer Eins. In Wahrheit bestand der Grenzkonflikt zwischen China und der
Sowjetunion schon seit längerer Zeit. Das Problem wurde nach der Gründung der
Volksrepublik China jedoch ausgeklammert, da China außenpolitisch eine
prosowjetische Haltung einnahm und eine Allianz mit dem Nachbarland bildete. Doch
ab Ende der 50er Jahre vergrößerte sich die Kluft zwischen den beiden Staaten und
der Grenzkonflikt verschärfte sich.
Chinesische Wissenschaftler sind der Auffassung, dass Mao, nach der neuen
außenpolitischen Ausrichtung, die UdSSR als größte Bedrohung ansah. Daher
propagierte er nicht nur den „Anti-Imperialismus“ (USA), sondern befürwortete
gleichzeitig auch den „Anti-Revisionismus“ (Sowjetunion).274
Die kompromisslose
antisowjetische Haltung und die Entspannung der sino-amerikanischen Beziehungen
bereiteten der sowjetischen Regierung große Sorgen. Sie befürchtete, dass sich China
mit den USA verbünden könnte, um gemeinsam gegen die Sowjetunion vorzugehen.
273
Vgl. Hu 1991:450. 274
Siehe Zhang/Su 1999:891.
186
Ende 1969 kam es mehrmals zu Gesprächen zwischen den beiden Staaten und der
Regierungschef der UdSSR reiste zu Geheimverhandlungen nach China, um das
Grenzproblem zu erörtern. Doch beharrten beide Seiten auf ihre Positionen, so dass
keine wesentlichen Fortschritte erzielt wurden.
Da die UdSSR die Sicherheit Chinas bedrohte und die sowjetische Führung
außenpolitisch eine antichinesische Haltung einnahm, entschied Mao, sich mittels
einer Annäherung an die USA der sowjetischen Bedrohung entgegenzustellen. Er
nahm den Grenzkonflikt als Anlass auf internationaler Ebene Stimmung gegen die
UdSSR zu machen. Zur gleichen Zeit verbesserten sich die Beziehungen Chinas zu
den westlichen Staaten. Dies erhöhte nicht nur den Einfluss Chinas in der Welt
sondern stellte gleichzeitig einen außenpolitischen Durchbruch während der
Kulturrevolution dar.
187
Kapitel 11: Das Ende der Kulturrevolution
11.1 Der Gegenwind bei „Kritik an Deng Xiaoping und im Kampf
gegen die Rechten“
Anfang 1975 vertrat Deng Xiaoping den schwerkranken Zhou Enlai und nahm dessen
Aufgaben im Staatsrat wahr. Er leitete eine allseitige Regulierung ein und legte den
Schwerpunkt der Regierungsarbeit auf die Volkswirtschaft. Unter der Leitung Deng
Xiaopings wurden drei historische Dokumente verabschiedet: „Bezüglich einiger
Fragen zur Beschleunigung der industriellen Entwicklung“, „Konzept über die
Berichterstattung der wissenschaftlichen Akademie“ sowie „Hauptkonzept über die
verschiedenen Tätigkeiten in Staat und Partei“.275
Zugleich ließ Deng zahlreiche alte
Funktionäre ihre Arbeit wieder aufnehmen, indem er ihnen ihre alten Posten
zurückgab. Nach mehrmonatiger Regulierung verbesserte sich allmählich die
wirtschaftliche Lage. 1975 stieg der industrielle und landwirtschaftliche
Bruttoproduktionswert landesweit um 11,9 %. Davon stammte 15,1 % aus der
Industrie sowie 4,6 % aus der Landwirtschaft.276
Um auf ideologischer und theoretischer Ebene die Fehler der linken Fraktion zu
korrigieren, schlug Deng Xiaoping die Einrichtung einer politischen
Forschungsabteilung im Staatsrat vor. Außerdem wurde nach seinen Vorstellungen das
„Hauptkonzept über die verschiedenen Tätigkeiten in Staat und Partei“ verfasst. Der
Schwerpunkt des Konzepts lag in der Darlegung der Beziehungen von Wirtschaft und
Politik. Darin wurde betont, dass „Revolution eine Freisetzung der produktiven Kräfte
bedeutete. Daher sollte sie die Entwicklung der produktiven Kräfte fördern. [...] Man
sollte sich nicht nur dem politischen Leben des Volkes widmen, sondern sich auch um
275
Siehe Wang 2005:455. 276
Siehe Hu 1991:454-455.
188
das materielle Leben kümmern. Auf Basis der Produktionsentwicklung sollte das
Leben des Volkes allmählich verbessert werden.“277
Chinesische Gelehrte glauben, dass dieses Schriftstück endlich die Fesseln der
linksgerichteten Ideologie durchbrach und wichtige politische Standpunkte wiedergab.
Doch wurde das Schreiben von der „Viererbande“ als „giftiges Unkraut“ bezeichnet
und dementsprechend kritisiert. Noch schwerwiegender war, dass der Neffe und
Verbindungsmann Mao Zedongs, Mao Yuanxin278
seinem Onkel darüber Bericht
erstattete:
Ich habe die Rede von Genossen Xiaoping aufmerksam mitverfolgt und dabei ein
Problem festgestellt. Er sprach nur wenig über die Erfolge der Kulturrevolution und
wenig über die Kritik der revisionistischen Linie Liu Shaoqis. Vor kurzem machte ich
eine Arbeitsreise in der Provinz und verspürte eine Strömung bezüglich der
Kulturrevolution:
1. Wie soll man die Kulturrevolution betrachten [...]anerkennen oder ablehnen?
2. Wie soll die Kritik an Lin Biao und Konfuzius betrachtet werden?
3. Soll die Kritik an der Linie Liu Shaoqis und Lin Biaos fortgesetzt werden?
Dort war man über Probleme in der Parteizentrale besorgt und befürchtete einen
Rückfall in alte Strukturen.279
Der Bericht Mao Yuanxins wurde von seinem Onkel sehr ernst genommen. Mao
Zedong befürwortete zwar die Leitung des Staatsrates durch Deng Xiaoping, in der
Erwartung, dass Deng unter Bejahung der Kulturrevolution die Volkswirtschaft
ankurbelte. Doch aus Dengs Sicht war eine Entwicklung der Volkswirtschaft
unmöglich, solange die Fehler der Kulturrevolution nicht korrigiert wurden. Die
277
Wang 2005:268-269. 278
1975 bestimmte Mao Zedong seinen Neffen Mao Yuanxin zu seinem Verbindungsmann
zwischen ihm und dem Politbüro des ZK der KPCh. 279
Wang 2005:477-478.
189
umfassende Konsolidierung Dengs kann tatsächlich als Ablehnung der
kulturrevolutionären Ideologie sowie der linksgerichteten Politik angesehen werden.
Diese Schritte wurden nicht nur von der „Viererbande“ grundsätzlich abgelehnt,
sondern auch von Mao nicht mehr toleriert. Er war der Meinung, dass die Haltung
Dengs dessen Unzufriedenheit gegenüber der Kulturrevolution reflektierte und er mit
den Fehlern dieser Bewegung abrechnen wollte. Nach einer Anweisung Maos berief
das Politbüro eine Konferenz zur Bewertung der Kulturrevolution ein. Mao Zedong
hoffte, dass Deng die Konferenz leitete und einen Beschluss zur Zustimmung der
Kulturrevolution fasste. Seine eigene Gesamtbewertung bezüglich der
Kulturrevolution lautete: „70 % Erfolg und 30 % Misserfolg“.280
Deng Xiaoping lehnte freundlich den Vorschlag Maos ab, da er als unmittelbarer
Beteiligter nicht geeignet sei, einen solchen Beschluss zu fassen. Sein Entschluss löste
bei Mao große Unzufriedenheit aus, so dass das Politbüro beschloss die Arbeit Deng
Xiaopings einzustellen.
Im November 1975 rief das Politbüro auf Anweisung Maos eine Konferenz ein, an
der 130 hohe Regierungsmitglieder und Parteifunktionäre teilnahmen. Dabei stellte
man fest, dass einige Personen die Kulturrevolution immer noch ablehnten. Sie
versuchten eine offene Rechnung mit ihr zu begleichen und ein bestehendes Urteil zu
revidieren. Eine Strömung zur Revision von seiten der Rechtsabweichler wäre
feststellbar. Man rief dazu auf, dass das ganze Land und die gesamte Partei „einen
Angriff gegen die Revision der Rechtsabweichler“(Fanji youqing fanan 反击右倾翻
案)starten müsse. Es war allen klar, dass diese Kritik Deng Xiaoping galt. Viele alte
Parteifunktionäre konnten diesen neuerlichen Kampf gegen die Rechtsabweichler
nicht verstehen. Am 25. Februar 1976 übermittelte das Zentralkomitee die „wichtigen
Anweisungen des Vorsitzenden Maos“, die eine scharfe Kritik an Deng Xiaoping
beinhalteten:
Xiaoping ist jemand, der den Klassenkampf nicht aufgreift und von jeher das Programm
280
Wang 2005:479.
190
des Klassenkampfes abgelehnt hat [...] Doch wofür steht denn die Kulturrevolution? Sie
steht nun mal für den Klassenkampf. Wieso verstehen einige die Widersprüche in einer
sozialistischen Gesellschaft nicht? Der Grund liegt darin, dass diese Personen selber
kleine Kapitalisten mit einer rechtsgerichteten Gesinnung sind. Sie repräsentieren die
Kapitalistenklasse, daher ist es nur logisch, dass sie den Klassenkampf nicht verstehen.
Weiter hebt Mao hervor:
Einige Genossen, besonders die alten, sind in der Phase der kapitalistischen Demokratie
stehen geblieben. Sie verstehen den Sozialismus nicht und stehen im krassen
Widerspruch dazu [...] Sie führen die sozialistische Revolution aus, wissen jedoch nicht,
wo sich der Kapitalismus befindet. Ich sage euch, er ist mitten in der Partei, in Gestalt
der gegenwärtigen kapitalistischen Machthaber [...] immer noch.281
Chinesische Forscher sind der Auffassung, dass die Rede Maos viele Fehler aufwies.
Mao glaubte, dass der Kapitalismus die Partei beherrschte und das kapitalistische
Lager von den gegenwärtigen Machthabern eingenommen wurde. Dies ist eine
Erklärung dafür, warum er nicht duldete, dass Deng die Fehler der Kulturrevolution
korrigierte. Er mobilisierte daher das Volk, um die neue „Bewegung zur Kritik Deng
Xiaopings sowie zum Angriff gegen die Revision der Rechtsabweichler“ aufzurufen.282
Das Resultat dieser Bewegung war, dass die eingeleitete Stabilisierung, die durch
die Regulierung 1975 begann, wieder abbrach. Die neuen politischen Richtlinien
wurden kritisiert und einige verantwortliche Parteikader attackiert. Die industrielle
Produktion konnte ihre Pläne nicht einhalten. In einigen Regionen hörten Fabriken
überhaupt mit der Produktion auf und die Löhne der Arbeiter konnten nicht ausbezahlt
werden. Viele Knotenpunkte der Eisenbahn wurden lahmgelegt und es kam zu
zahlreichen Zugverspätungen und Verkehrsstaus. Das ganze Land versank wieder
einmal in Chaos.
281
Wang 2005:484-485. 282
Vgl. ebda., 485.
191
11.2 Der Zorn des Volkes – Die „5. April-Bewegung“
Das Auftreten des Lin Biao-Zwischenfalles veranlasste die Chinesen dazu, an der
Sinnhaftigkeit der Kulturrevolution zu zweifeln. Die heimlichen Attacken der
„Viererbande“ gegen Zhou Enlai während der „Bewegung zur Kritik an Lin Biao und
Konfuzius“ riefen bereits die Unzufriedenheit vieler Menschen hervor. Die Arbeit
Deng Xiaopings im Staatsrat und die Durchführung der umfassenden Regulierung
fanden breite Unterstützung im Volk. Daher schlug die Stimmung in Widerwille und
Hass um, als Mao die neue „Bewegung zur Kritik Deng Xiaopings und zum Angriff
gegen die Revision der Rechtsabweichler“ ausrief. Diese gereizte Situation wurde
durch den neuerlichen Angriff der „Viererbande“ gegen die alten Parteifunktionäre im
Zuge dieser Bewegung nur verstärkt.
Am 8. Januar 1976 starb der chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai. Die
Pekinger Bürger versammelten sich spontan auf dem Tiananmen-Platz, legten vor
dem Denkmal der Volkshelden Kränze ab und trauerten um ihren Premier. Am
Nachmittag des 11. Januar standen Hunderttausende Bürger an beiden Seiten der
Changan-Straße, der Hauptverkehrsachse der Stadt, und warteten auf den
Leichenwagen Zhou Enlais, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Die ganze Stadt war
von tiefer Trauer gezeichnet.
Die Trauer der Volksmassen um Zhou Enlai war gleichzeitig eine Abrechnung mit
der „Viererbande“. Die Trauerstimmung hatte einen politischen Inhalt und zeigte die
Verurteilung und die Ablehnung des Volkes gegenüber der Attacke gegen die
„Strömung der Rechtsabweichler“. Zhou Enlai und Deng Xiaoping wurden im
Rahmen dieser Bewegung von der „Viererbande“ als Hauptvertreter der
innerparteilichen Rechtsabweichler betrachtet.
Die „Viererbande“ war über die tiefe Trauer im Volk höchst empört und ordnete in
verschiedenen Arbeitseinheiten an, dass für Zhou Enlai keine Kondolenzstätten
eingerichtet, keine schwarzen Armbinden getragen und keine Kränze verschickt
werden durften. Zur gleichen Zeit befahl sie den Künstlergruppen wie gewohnt
192
Aufführungen zu geben und wies die Medien an nicht über die Trauerfeierlichkeiten
um Zhou Enlai zu berichten.
Diese Anweisungen führten zu dem Ergebnis, dass sich die Öffentlichkeit noch
mehr gegen die „Viererbande“ auflehnte. In der Stadt Fuzhou, Provinz Fujiian,
erschienen die ersten Wandzeitungen, die sich direkt gegen die Clique um Jiang Qing
richteten. Danach tauchten auch in Wuhan, Nanjing, Guiyang und Peking der Reihe
nach Wandzeitungen und Slogans auf, die Zhou Enlai betrauerten und die
„Viererbande“ attackierten. Einige schrieben sogar direkt an Mao, um mit den fatalen
Fehlern der „Viererbande“ abzurechnen.
Am 30. März 1976 wurde von einigen Gewerkschaftsmitgliedern, auf dem
Tiananmen-Platz in Peking, am Denkmal der Volkshelden eine Trauerrede zu Ehren
Zhou Enlais angebracht, die direkte Attacken gegen die „Viererbande“ enthielt. Im
Verlauf bekundeten weitere Menschen aus verschiedenen Arbeitseinheiten vor Ort
ihre Sympathie, indem sie spontan Blumenkränze ablegten oder Aufsätze und
Gedichte zur Trauer um Zhou verfassten. Auch Schüler und Studenten der Stadt
kamen auf dem prestigeträchtigen Platz zusammen, um durch bewegende Lieder Zhou
ihre letzte Ehrerbietung zu erweisen. Bis zum 4. April hatten bereits zwei Millionen
Menschen und über 1.400 Arbeitseinheiten an den Trauerkundgebungen auf dem
Tiananmen-Platz teilgenommen. In dieser Zwischenzeit wurden nicht weniger als
2.073 Blumenkränze niedergelegt. Unter den zahlreichen Trauerschriften richteten
sich 48 direkt gegen Mao Zedong und die „Viererbande“.283
Am 5. April setzte die Pekinger Garnison über 200 Fahrzeuge in Bewegung, um
die Trauerkränze auf dem Tiananmen-Platz wegzuschaffen. Dabei wurden sämtliche
Zugänge zum Platz von Polizei und Armee versperrt. Im weiteren Verlauf kam es zu
gewalttätigen Zwischenfällen zwischen dem Volk und der Staatsmacht. Ein
Lautsprecherwagen und einige Fahrzeuge der Kommandostelle für öffentliche
Sicherheit wurden zerstört und auch die Kommandostelle selbst wurde von einer
aufgebrachten Volksmenge gestürmt und in Brand gesetzt.
283
Vgl. Wang 2005:500.
193
Am 5. April um 18:25 Uhr wurde über Lautsprecher, die auf dem Tiananmen-Platz,
befestigt waren, die Rede des 1. Parteisekretärs der Stadt Peking übertragen:
Genossen, [...] einige Menschen mit bösen Absichten versuchen über das
Qingming-Fest284
bewusst einen politischen Zwischenfall zu provozieren. Sie richten
sich direkt gegen den Vorsitzenden Mao und das Zentralkomitee und versuchen die
Kritik gegen den revisionistischen Weg des unverbesserlichen Deng Xiaoping zu
unterbinden sowie den Angriff gegen die Revision der Rechtsabweichler aufzuhalten.
Wir sollten uns über die reaktionären Kräfte in diesem politischen Zwischenfall im
Klaren sein und müssen unbedingt ihre heimtückischen Pläne entlarven. Seid wachsam
und fallt nicht auf sie herein! [...]285
Um 21:35 umstellten Polizei und Armee den Tiananmen-Platz und vertrieben die
Anwesenden. Dabei kam es auch zu zahlreichen Festnahmen.
Am 7. April erging auf Vorschlag Maos im Politbüro der einstimmige Beschluss
alle politischen Aktivitäten Deng Xiaopings einzustellen. Hua Guofeng wurde zum
Ministerpräsidenten und zum ersten Vizevorsitzenden des Zentralkomitees ernannt.
Chinesische Forscher glauben, dass der Widerstand auf dem Platz zwar letzten
Endes im Keim erstickt wurde, doch gleichzeitig die Grundlage für die spätere
Zerschlagung der „Viererbande“ schuf. Diese spontane Großdemonstration spiegelte
die allgemeine Unzufriedenheit des Volkes gegenüber der Kulturrevolution wider.
Dabei sollte bemerkt werden, dass viele Aktivisten zuvor als Rote Garden begeistert
an den Gräueln dieser Bewegung teilnahmen. Doch nun richteten sie sich gegen
Autokratie und Personenkult. Diese Demonstration war die erste gegen die Regierung
gerichtete öffentliche Großkundgebung seit Gründung der Volksrepublik. Sie war das
Resultat der langjährigen Fehlpolitik, die nun jegliche Glaubwürdigkeit im Volk
eingebüßt hatte.
284
Anfang April jedes Jahres wird in ganz China der Toten gedacht. 285
Wang 2005:502.
194
11.3 Das Erdbeben von Tangshan und Mao Zedongs Tod
Nach dem chinesischen Mondkalender war 1976 das Jahr des Drachen, das eigentlich
ein glückverheißendes chinesisches Jahr werden sollte. Doch brach großes Unheil
über das Land ein, da drei Staatsgründer, Zhou Enlai, Zhu De und Mao Zedong,
innerhalb eines Jahres nacheinander starben, Deng Xiaoping zum Rücktritt
gezwungen und die „5. April-Bewegung“ niedergeschlagen wurde. Außerdem
ereignete sich ein fatales Erdbeben, das unzählige Menschenleben forderte.
a.) Das Erdbeben von Tangshan
Am 28. Juli 1976 ereignete sich in der Stadt Tangshan, Provinz Hebei, ein
verheerendes Erdbeben der Stärke 7.8, das auch Peking und Tianjin erschütterte. Bei
dieser Katastrophe wurde die Millionenmetropole und Industriezentrum Tangshan
dem Erdboden gleichgemacht. Nach genauen Zahlen starben 242.769 Menschen und
weitere 164.851 wurden verletzt.286
Als das ganze Land damit beschäftigt war die Opfer der Erdbebenkatastrophe zu
unterstützen, attackierte die „Viererbande“ völlig grundlos die Katastrophenhilfe,
indem Yao Wenyuan einen Artikel mit dem Titel „Neben der Katastrophenhilfe die
Kritik an Deng verstärken“ veröffentlichte. Darin meinte er:
Die Rädelsführer der innerparteilichen Opportunisten versuchen stets die
Schwierigkeiten einer Naturkatastrophe zu nutzen, um die revolutionäre Linie zu
verändern und den Kapitalismus wiederherzustellen.287
Das Verhalten der „Viererbande“ rief tiefe Entrüstung unter den Parteifunktionären
sowie in weiten Teilen des Volkes hervor, und beschleunigte nur den Untergang dieser
286
Siehe Xi/Jin 2006:303. 287
Ebda., 303.
195
unheilvollen Clique.
b.) Der Tod Mao Zedongs
Im Jahr 1976 begann sich der ohnehin angeschlagene Gesundheitszustand Maos
weiter zu verschlechtern und dieser empfing ein letztes Mal Hua Guofeng, Wang
Hongwen, Zhang Chunqiao, Jiang Qing und Yao Wenxiu. Kurz vor seinem Tod gab er
folgendes Urteil über sein Lebenswerk ab:
In China gibt es ein altes Sprichwort: Erst wenn der Sarg geschlossen ist, lässt sich ein
Urteil über ihn fällen. Bei mir wird es auch langsam Zeit, nun kann man doch eine
Bewertung abgeben. In meinem Leben kann ich auf zwei Leistungen zurückblicken. Ich
habe Chiang Kaishek jahrzehntelang bekämpft und ihn auf einige Inseln vertrieben.
Nach einem achtjährigen Krieg habe ich die Japaner nach Hause geschickt. Schließlich
bin ich nach Peking, bis in die Verbotene Stadt, vorgedrungen [...] Wie ihr wisst ist die
andere Leistung die Kulturrevolution. Nur wenige unterstützen sie, viele sind gegen
sie.288
Aus seiner Aussage kann man erkennen, dass Mao sich bewusst war, dass die
Kulturrevolution viele Gegner hatte und machte sich in dieser Hinsicht große Sorgen.
Daher hoffte er, dass sein Nachfolger Hua Guofeng seine reovolutionären Ziele
schützen und weiter verfolgen könne.
Am 9. September 1976 starb Mao Zedong und auch das Ende seiner Ära sollte
eingeläutet werden.
288
Wang 2005:520.
196
11.4 Die Zerschlagung der „Viererbande“ und das Ende der
Kulturrevolution
Nach dem Tod Mao Zedongs verschlimmerte sich die bereits bestehende politische
Krise und die Volksmassen machten sich zunehmend Sorgen um die Zukunft des
Landes. Um die Macht in Staat und Partei an sich zu reißen, begann die
„Viererbande“ bewaffnete Milizen zu organisieren. Allein in Shanghai und der
Provinz Anhui wurden unter anderem 48.400 Gewehre und 10 Kommandofahrzeuge
angeschafft. Außerdem planten sie im weiteren Verlauf 30 Infanterieregimenter, 10
Kanonendivisionen, 1 Panzerdivision, 1 motorisierte Division zusammenzuziehen und
diese mit 130 Raketenartillerie sowie 783 Flugabwehrkanonen auszustatten. Wang
Hongwen behauptete, dass in Shanghai 400.000 bewaffnete Milizsoldaten
bereitstünden, um in den Krieg zu ziehen. Er wäre bereit, das „Kommando zu
leiten“ und die Führung des Landes zu übernehmen.289
Auch auf politischer Ebene ging die „Viererbande“ zur Offensive über. Am 29.
September 1976 stellte Jiang Qing bei einer Konferenz des Politbüros offiziell die
Nachfolgefrage „Mao Zedong ist tot, wer soll nun die Parteiführung übernehmen?“.
Wang Hongwen und Zhang Chunqiao schlugen vor, dass Jiang Qing in der
Zwischenzeit Führungsaufgaben übernehmen sollte. Damit war klar, dass sie ihr den
Weg zum Parteivorsitz ebnen wollten. In weiterer Folge wurde im Auftrag der
„Viererbande“ ein Artikel mit dem Titel „Ewig nach den festgelegten Richtlinien des
Vorsitzenden Maos handeln“ von einem gewissen Liang Xiao verfasst, der in allen
großen Zeitungen des Landes veröffentlicht wurde.290
Dies war das Signal zum
Anspruch der obersten Führung im Staat.
Zu diesem kritischen Zeitpunkt berief das ständige Mitglied des Politbüros
Marschall Ye Jianying eine Konferenz des wichtigsten Parteigremiums ein, ohne
jedoch die „Viererbande“ darüber in Kenntnis zu setzen. Das Treffen wurde von Hua
289
Siehe Zhang /Su 1999:1248. 290
Siehe ebda., 1252-1253.
197
Guofeng geleitet und Ye Jianqing informierte über seinen Entschluss gegen die
„Viererbande“ vorgehen zu wollen, der in weiterer Folge vom Politbüro auch
einstimmig abgesegnet wurde.
Am 6. Oktober teilte man Wang Hongwen, Zhang Chunqiao und Yao Wenyuan
mit, dass sie sich zu einer Konferenz des Politbüros einfinden sollten. Unter diesem
Vorwand wurden sie in die Falle gelockt und unmittelbar nach ihrem Eintreffen
festgenommen. Auch Jiang Qing und Mao Yuanxin konnten sich ihrer Verhaftung
nicht entziehen und mussten lange Einzelverhöre über sich ergehen lassen.
Weitere Anhänger der „Viererbande“ in Shanghai, wie Xu Jingxian, Wang
Xiuzhen und Ma Tianshui, wurden nach Peking gelockt und anschließend zu
verschiedenen Anschuldigungen verhört. Das Komplott der „Viererbande“, in
Shanghai einen Staatsstreich durchzuführen, konnte endgültig vereitelt werden. Damit
bewahrte man das Land vor weiteren Unruhen und festigte die innenpolitische
Stabilität. Der Tod Maos und der Untergang der „Viererbande“ besiegelten nun auch
das Ende der Kulturrevolution.
Auf dem 3. Plenum des 10. Zentralkomitees der KPCh im Jahr 1977 wurde der
„Beschluss bezüglich der parteifeindlichen Clique um Wang Hongwen, Zhang
Chunqiao, Jiang Qing und Yao Wenxiu“ angenommen, der die „Viererbande“ ewig
aus der Partei ausschloss und sie von sämtlichen Posten enthob.
Am 25. Januar 1981 verurteilte ein Sondergericht des Obersten Volksgerichtshofes
Jiang Qing und Zhang Chunqiao zum Tode, setzte die Strafe jedoch für zwei Jahre aus.
Wang Hongwen wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe und Yao Wenyuan zu 20
Jahren verurteilt.291
Chinesische Gelehrte sind der Auffassung, dass die „Viererbande“ eine Fraktion
innerhalb der KPCh bildeten. Deren Entstehen beweist, dass in der Partei und im
staatlichen System zahlreiche Missstände herrschten, die den politischen Alltag der
Partei stark in Mitleidenschaft zogen. Aus der Geschichte wurden schmerzhafte
Lehren gezogen, sodass unbedingt eine Wiederholung derartiger Ereignisse verhindert
291
Vgl. Guo/Li 2005:252.
198
werden musste. Daher versuchte man feudalistische Einflüsse zu beseitigen, eine
grundlegende Reform des politischen Systems durchzuführen sowie den Prozess der
Demokratisierung und Rechtstaatlichkeit voranzutreiben. Aus der Kulturrevolution
erhielt das chinesische Volk wichtige Erfahrungen, die für die weitere Entwicklung
des Landes von Bedeutung sein sollten.
199
Schlussbetrachtung
Durch die umfassende Analyse der Kulturrevolution von Seiten der deutschen und
chinesischen Wissenschaft gelangen wir zu folgenden Erkenntnissen: Der Grund,
weshalb Mao die Kulturrevolution ausrief, war die Verhinderung der sogenannten
„Restauration des Kapitalismus“ in China, die Bewahrung der „Reinheit innerhalb der
KPCh“ und nicht zuletzt die Suche nach einem eigenen sozialistischen Weg für das
Land. Doch durch sein Eintreten für den Klassenkampf verkehrte er Recht in Unrecht
und verdrehte Wahrheiten, wobei dies bei wichtigen ideologischen Standpunkten
besonders deutlich wurde. Weiterhin schätzte Mao die politische Situation im In- und
Ausland falsch ein, so dass die Fehler der linken Fraktion immer größere Kreise
zogen und Chaos über das ganze Land brachten. Die Kulturrevolution war eine
Katastrophe für die gesamte Nation, die in der chinesischen Geschichte ihresgleichen
sucht.
A. Die Fehleinschätzung der damaligen internationalen Situation sowie die
Missinterpretation des „Anti-Revisionismus“ von seiten Maos und der KPCh
Bei der Einschätzung der internationalen Lage sahen die chinesischen Kommunisten
lange Zeit den Leninismus als wichtigste Stütze an, so dass sie sich dem
sozialistischen Lager unter der Führung der Sowjetunion anschlossen und in den
Koreakrieg zur „Verteidigung des Landes“ eingriffen, der von der Nation große Opfer
forderte. Als ein bedeutendes Land im sozialistischen Lager nahm die Volksrepublik
China eine feindliche Haltung gegenüber dem kapitalistischen Westen ein, der unter
Führung der USA stand. Damit waren die sino-amerikanischen Beziehungen
dauerhaft von scharfen Gegensätzen geprägt. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts
traten zwischen den kommunistischen Parteien Chinas und der Sowjetunion in
wichtigen Fragen der KOMINTERN Differenzen auf. Es kam zu gegenseitigen
200
Attacken und die zwischenstaatlichen Beziehungen begannen sich sehr bald aufgrund
der Meinungsverschiedenheiten zu verschlechtern. Die KPCh war der Meinung, dass
die KPdSU die marxistischen und leninistischen Ideale verraten und den Weg des
modernen Revisionismus eingeschlagen hatte. Die Außenpolitik der Volksrepublik
China war vollkommen ideologisch ausgerichtet, die hauptsächlich von
Anti-Imperialismus (gegen die kapitalistischen Staaten des Westens) und
Anti-Revisionismus (gegen die sozialistischen Staaten des Ostblocks) geprägt war.
Diese außenpolitische Haltung isolierte nicht nur das Land zusehends, sondern
beeinflusste auch die Festlegung und Ausführung der internationalen Politik. In solch
einer Situation war Mao nicht imstande subjektive Analysen zu neuen weltpolitischen
Entwicklungen zu treffen sowie sich gegebenenfalls einer neuen internationalen
Ordnung anzupassen. Im Gegenteil, er beharrte standhaft auf dem sogenannten
„wahren Marxismus-Leninismus“ und leitete die Bewegung zur Bekämpfung des
Revisionismus ein.
B. Die Ausweitung des Klassenkampfes innerhalb des Landes und dessen fataler
Verlauf
Der Ausbruch der Kulturrevolution war das Resultat zahlreicher schwerer Fehler, die
durch den kontinuierlichen Klassenkampf von Seiten Maos und der KPCh entstanden.
Diese können auf den „Kampf gegen Rechtsabweichler“ im Jahr 1957 zurückgeführt
werden. Dieser Kampf richtete sich nicht nur gegen die Intellektuellen des Landes und
verzögerte den Prozess des demokratischen Sozialismus, sondern brachte vor allem
ideologisch eine neue Form der Klasseneinteilung hervor, so dass dem Klassenkampf,
der künstlich von der KPCh geschaffen wurde, Tür und Tor geöffnet wurde. Beim
„Großen Sprung nach vorn“ im Jahr 1958 breitete sich dieser Leitgedanke vom
politischen auch auf den wirtschaftlichen Bereich aus, politische Bewegungen sollten
auch auf den ökonomischen Aufbau ausgeweitet werden. Maos „Großer
Sprung“ wurde von seinen revolutionären Kampfgefährten Peng Dehuai, Huang
Kecheng, Zhang Wentian und Zhou Xiaozhou zutiefst abgelehnt. Auf der Konferenz
201
von Lushan im Juli 1957 wurden diese vier genannten Personen von Mao als
„parteifeindliche Clique“ gebrandmarkt. Er meinte, dass die unterschiedlichen
Auffassungen zum „Großen Sprung nach vorn“ während der Konferenz von Lushan
sich aus dem parteiinternen Kampf zwischen der proletarischen und kapitalistischen
Klasse ergaben. Nach dieser Konferenz weiteten sich die Klassenkämpfe innerhalb
der KPCh kontinuierlich aus und bildeten die Voraussetzungen für den späteren
Ausbruch der Kulturrevolution. Auf dem 10. Plenum des 8. Zentralkomitees der
KPCh im September 1962 wurden die linksgerichteten Auffassungen Maos zum
Klassenkampf von der Partei angenommen. Er war der Meinung, dass der
Klassenkampf während des gesamten Überganges vom Kapitalismus zum
Kommunismus vorherrschte. Daher musste dieser Kampf tagtäglich propagiert
werden und die sozialistische Erziehung unter dem ideologischen Leitgedanken zur
Ausweitung des Klassenkampfes erfolgen. Nach damaliger Einschätzung befand sich
ein Drittel der politischen Macht nicht in Händen der KPCh. Daher deklarierte man
leitende Kader der Partei zu „kapitalistischen Elementen“ und behauptete, dass
innerhalb der KPCh eine „privilegierte Schicht“ und eine „bürokratische
Klasse“ vorherrschten. Dabei wurde deutlich, dass sich dieser Klassenkampf speziell
gegen die oberste Führungsebene der Partei richtete. Ab 1963 gab Mao Zedong
ununterbrochen neue Anweisungen heraus und kritisierte das sogenannte „giftige
Unkraut“, den Feudalismus, Kapitalismus und Revisionismus bei Schriftstellern und
Künstlern. Die Kritik an literarischen und künstlerischen Werken weitete sich
allmählich auch auf wissenschaftliche Bereiche aus, wie etwa Philosophie, Ökonomie,
Historie und Pädagogik, so dass sich die Situation für diese Gruppen zusehend
verschlimmerte. Die Kritik erreichte mit dem Angriff auf die Neuinszenierung des
historischen Theaterstücks „Die Entlassung des Hai Ruis“ 1965 ihren Höhepunkt, die
im weiteren Verlauf die Kulturrevolution auslösen sollte.
C. Die Entwicklung des Personenkultes und die Verschärfung der Differenzen
innerhalb der Partei
202
Durch den von Parteimitgliedern angetriebenen Personenkult um seine Person
bestärkt, versuchte Mao noch umso mehr seine irrealen Vorstellungen einer
sozialistischen Utopie zu realisieren. Diese entsprachen jedoch ganz und gar nicht der
damaligen Realität und konnten daher von der ersten Front, die unter der Leitung des
Staatspräsidenten Liu Shaoqi und Ministerpräsidenten Zhou Enlai stand, nur schwer
umgesetzt werden. Dies erzürnte wiederum Mao Zedong, der sie bezichtigte ein
„unabhängiges Königreich“ schaffen zu wollen. Er befürchtete zudem, dass die
Entstalinisierung, die durch den Staats- und Parteichef der Sowjetunion Nikita
Chruschtschow eingeleitet wurde, auch in China auftreten würde. Daher entzog er der
ersten Front das Vertrauen als er merkte, dass seine Vorstellungen mit jenen Liu
Shaoqis kollidierten, indem er wiederholt auf die Gefahr vom Auftreten des
Revisionismus innerhalb des Zentralkomitees aufmerksam machte. Mao hatte durch
seine Handlungen erreicht, dass sich der Klassenkampf ungehindert ausbreiten konnte,
so dass die Partei nicht mehr in der Lage war Einfluss auf die linksgerichteten Fehler
zu nehmen. Bis zur Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts fiel die gesamte Partei
in einen „Teufelskreis des Klassenkampfes“, der die gesamte Gesellschaft in
Mitleidenschaft zog. In der im Mai 1966 vom Politbüro veröffentlichte „Mitteilung
des 16. Mai“ wurde Bilanz gezogen. Man kam zu dem Schluss, dass die Leitung in
den verschiedensten Bereichen, wie Wissenschaft, Bildung, Literatur, Kunst sowie
Nachrichten und Publikationswesen, nicht mehr in den Händen der proletarischen
Klasse lag. Außerdem stellte man fest, dass ein großer Teil der leitenden Kader in
sämtlichen Verwaltungsebenen kapitalistische Interessen vertrat und gegen Partei und
Sozialismus agieren würde. Daraufhin wurden sie zu konterrevolutionären
revisionistischen Elementen deklariert. Die Veröffentlichung der „Mitteilung des 16.
Mai“ stellte eine Ausweitung der maoistischen Theorie des Klassenkampfes dar, die
nun in eine neue Etappe eintrat. Während der Ausbreitung der linksgerichteten Fehler
innerhalb der Partei rief vor allem der allseitig umworbene Klassenkampf Panik
innerhalb der Bevölkerung hervor, lieferte jedoch gleichzeitig die Bedingungen für
die Begeisterung von Abermillionen Menschen zur Ausrufung der Kulturrevolution.
Bei der Suche der Ursache der Kulturrevolution sowie nach dem Grund für ihr
203
10-jähriges Anhalten muss natürlich ohne Frage die persönliche Verantwortung Mao
Zedongs berücksichtigt werden. Seine Beweggründe zur Ausrufung der
Kulturrevolution sind sehr komplex und schwierig zu beantworten. Er hielt fest, dass
die Kulturrevolution zur Festigung der Diktatur des Proletariats, zur Vermeidung einer
kapitalistischen Restauration sowie zum Aufbau des Sozialismus unvermeidlich war.
Diese Auffassung zeigt, dass er die Lage innerhalb der Partei falsch einschätzte, da er
die revisionistischen Elemente innerhalb der Partei ausmerzen und gleichzeitig nach
einem neuen sozialistischen Weg suchen wollte. Mao maß der Kulturrevolution
höchste Priorität bei und sah sie, neben der Ausrufung der Volksrepublik, als Teil
seines Lebenswerkes an.
Als oberster politischer Führer innerhalb der Partei sowie als höchste ideologische
Autorität stellten seine Auffassungen zum Sozialismus gleichzeitig die Parteilinie dar.
Doch diese waren rein utopischer Natur und konnten auf dogmatische Behauptungen
von Marx, Engels und Lenin sowie auf Kriegserfahrungen der chinesischen
Kommunisten zurückgeführt werden.
Mao strebte nach einem sozialistischen Ideal auf chinesischem Boden, bei dem
alle Branchen und Berufe miteinander arbeiten, studieren und kämpfen konnten. Eine
gesellschaftliche Ordnung sollte geschaffen werden, die politisch die
Kapitalistenklasse kritisierte und wirtschaftlich autark war. Soziale Arbeitsteilung und
Warenproduktion sollten beschränkt werden. Der Gedanke zur Realisierung einer
halbisolierten sozialistischen Gesellschaft, die von geistiger Reinheit,
Vereinheitlichung der Einkommen und Überbrückung der gesellschaftlichen
Unterschiede gekennzeichnet sein sollte, war eine Fortsetzung des Versuchs Maos im
Jahre 1958 die Volkskommunen aufzubauen. Mao sah Warenhandel und
Marktwirtschaft sowie soziale Arbeitsteilung und materiellen Vorteil als Nährboden
für den Kapitalismus an. Er versuchte durch die Kulturrevolution eine Methode zu
finden, die nicht nur den Kapitalismus besiegen, sondern auch eine völlig
gleichberechtigte sozialistische Gesellschaft schaffen konnte. Die KPCh, insbesonders
die Volksbefreiungsarmee lieferte aufgrund ihrer langjährigen militärischen
Erfahrungen die nötigen Grundlagen zur Verwirklichung dieser Ideale. Während der
204
Kulturrevolution wurden zahlreiche wirtschaftspolitische Maßnahmen verabschiedet
und „neue Produkte“ vorgestellt, die ausnahmslos die Warenwirtschaft beschränkten,
den Marktnutzen verdrängten und die Gleichmacherei propagierten.
Im Vergleich zu Maos Vorstellungen vom utopischen Sozialismus war die
Auslösung der Kulturrevolution noch stärker von den Besonderheiten der
ideologischen Revolution geprägt, die mit seinen Gedanken zum
„Anti-Revisionismus“ und zur „Anti-Restauration“ eng zusammenhingen. Er hatte
Angst, dass der Kapitalismus in China auftreten würde und betonte die sozialistische
Revolution im Bereich des Überbaus. Der von ihm aufgestellte Begriff des
Revisionismus konnte aufgrund fehlender Definition nur schwer eingegrenzt werden,
so dass politische Gegner rein willkürlich festgelegt wurden. Nach seiner Auffassung
konnten aufgrund der parteiinternen Meinungsverschiedenheiten und der sozialen
Missstände überall im Land Klassenfeinde auftauchen und zu jeder Zeit der
Kapitalismus wiederhergestellt werden. Der Grund für die Ausrufung der
Kulturrevolution lag daher nicht im Sturz einiger kritischer Politiker, da Mao ein noch
viel größeres gesellschaftliches Ziel vor Augen hatte.
Der „Revisionismus“ in der Sowjetunion war ihm eine Lehre. Daher suchte er
dringend nach einem Weg die revolutionären Gefühle der chinesischen Bevölkerung
zu wecken, um eine Wiederholung im eigenen Land zu verhindern. Mao schätzte die
Lage inner- und außerhalb der Partei falsch ein und versuchte eine politische
Bewegung auszulösen, die historisch einmalig sein sollte. Durch sie wollte er den
Bürokratismus und die Korruption innerhalb der Partei ausrotten und das politische
Bewusstsein der Massen stärken. Er brauchte die Bevölkerung, um seine politische
Bewegung auszulösen, die in weiterer Folge die gesamte Gesellschaft, vom einfachen
Bauern bis zum ranghohen Parteikader, erfassen sollte. Durch die Revolution sollten
Missstände in Partei und Gesellschaft aufgedeckt und eine proletarische
Nachfolgerschaft aufgebaut werden.
Mao versuchte durch die politische Bewegung das revolutionäre Bewußtsein der
Volksmassen zu erhöhen, damit sie in selbstloser Aufopferung Enthusiasmus und
Kreativität für die revolutionäre Sache entwickeln sowie in weiterer Folge auch die
205
Produktion stärken konnten. Dies spiegelte Maos Gedanken von „Revolution
ergreifen und Produktion fördern“ wider, den er während der Kulturrevolution des
öfteren hervorhob. Er war sich zwar bewusst, dass einige politische Bewegungen
nicht den gewünschten Effekt bringen würden, doch war er sich sicher, dass dies eine
wirkungsvolle Maßnahme war, um eine neue kommunistische Gesellschaft zu
schaffen. Mao sah den unablässigen Klassenkampf als Notwendigkeit zum Aufbau
einer neuen Gesellschaft an und wollte durch kontinuierliche politische Bewegungen
die Missstände inner- und außerhalb der Partei ausradieren. Die Bewahrung der
„Reinheit von der ständigen Revolution im Sozialismus“ stand im Vordergrund seiner
Überlegungen.
Ein wesentlicher Grund für die Auslösung der Kulturrevolution war die
Neuorganisation der linken Kräfte. Dies sollte durch die Ersetzung des alten
Parteiapparates erfolgen. Eine wesentliche Aufgabe der Kulturrevolution lag darin die
„kapitalistischen Machthaber“ innerhalb der Partei zu kritisieren, doch gab es keine
konkreten Weisungen dafür, welche Handlungen als kapitalistisch zu gelten haben.
Mao rief dazu auf, die Wahlordnung der Pariser Volkskommune als Vorbild zu
nehmen, um Massenorganisationen, wie die „Arbeitsgruppe der Kulturrevolution“ als
Machtorgan der Revolution aufzubauen. Auch hier wurde versäumt, die Beziehungen
des neuen Machtzentrums zum Staats- und Parteiapparat des Landes zu konkretisieren.
Nicht zuletzt fehlte es bei der Verwirklichung des ideologischen Gedanken von
„Kampf, Kritik und Umgestaltung“ an konkreten Plänen. Mao war sich seines
Ansehens und seiner politischen Integrität in der Partei stets bewusst. Er machte sich
daher seine Macht zunutze, um die politische Situation im Land zu beeinflussen,
indem er die Kraft der Volksmassen auf den Weg des sozialistischen Aufbaus lenkte.
Doch aufgrund seines falschen politischen Kurses entwickelte sich diese Bewegung
zu einem „revolutionären Aufstand“, so dass sich Anarchie im ganzen Land
ausbreiteten konnte und zu den alten gesellschaftlichen Widersprüchen neue
hinzukamen. Die Missstände versuchte man durch neue politische Kampagnen zu
lösen. Die Kulturrevolution bestand aus einer Reihe von politischen Bewegungen, die
sich ständig ablösten.
206
Mao änderte wiederholt seine Pläne und sogar die „obersten Anweisungen“ in den
einzelnen Kampagnen widersprachen sich gegenseitig. Ursprünglich sollte die
Kulturrevolution laut Ankündigung nur ein halbes Jahr dauern. Doch verlängerte man
sie des öfteren, so dass schließlich zehn Jahre Chaos herrschte.
Der „Lin Biao-Zwischenfall“ im September 1971 offenbarte auf objektive Weise
den Fehlschlag der Kulturrevolution, sowohl in Theorie als auch in der Praxis. Nach
diesem Ereignis gestand er sich sogar einige Fehler ein, indem er begann über
Stabilität und Einheit zu reden sowie die Stärkung der Volkswirtschaft zu fordern. In
der Realität bedeutete dies, dass viele alte Parteikader wieder ihre alten
Führungspositionen einnehmen durften. In seiner Gesamtbewertung sah er die
Kulturrevolution zu 70 % als Erfolg und zu 30 % als Fehlschlag an. In seinen letzten
Lebensjahren unternahm er größte Anstrengungen um die Rechtmäßigkeit der
Kulturrevolution zu untermauern und geriet am Ende aus dieser Selbstlüge wohl
selbst in Verbitterung und Enttäuschung. Mao glaubte bis zum Schluss, dass seine
Gedanken und Handlungen marxistisch und in Folge richtig waren. Er hätte einen
neuen Weg zum sozialistischen Aufbau geschaffen und somit eine „Restauration des
Kapitalismus“ verhindert. Dies war ein Grund, weshalb er nicht imstande war sich
vollkommen von den Fehlern der Kulturrevolution zu distanzieren.
Bei der Betrachtung des gesamten Verlaufes der Kulturrevolution können wir
allgemein feststellen, dass Mao Zedong diese Bewegung ausgelöst und geleitet hatte.
Daher sollte er auch die Hauptverantwortung für die Fehler der Kulturrevolution
tragen.
Doch für den politischen Fanatismus trägt nicht nur der poltische Führer die
Schuld. Eine „Massenbewegung“ ist nicht nur eine einfache „Bewegung der Massen“,
da das Volk auch seine Bereitschaft dafür bekunden muss. Die Schaffung eines
„Gottes“ resultiert sich nicht daraus, dass „Gott“ dies verlangt, sondern vielmehr weil
das gemeine Volk einen Erlöser braucht. Der Ausbruch der Kulturrevolution beweist,
dass das Bewusstsein von Demokratie und Selbständigkeit im chinesischen Volk
gravierende Mängel aufwies, da immer noch feudale Gedanken in den Köpfen der
Menschen herrschten. Außerdem müssten auch andere Führungspolitiker in
207
unterschiedlichem Maße Verantwortung für das Chaos übernehmen. Die
Kulturrevolution wurde von den meisten führenden Parteimitgliedern befürwortet und
viele nahmen auch aktiv daran teil. Nur unter diesen politischen Umständen konnte
Mao seine Bewegung bis zum Äußersten führen. Die Kulturrevolution kann als
größter Fehler der KPCh seit Gründung der Volksrepublik angesehen werden. Der
Glaube der Chinesen an aufrichtige Ideale wurde durch die grausame Wahrheit der
Kulturrevolution unweigerlich zerstört.
Ein wichtiger Grund für die historische Analyse der Kulturrevolution ist es, eine
Wiederholung der Ereignisse zu verhindern. Bei einer intensiven Auseinandersetzung
mit der Thematik können wichtige Erfahrungen und Lehren gezogen werden. Ich bin
der Meinung, dass man bei der Aufarbeitung der Kulturrevolution primär die
folgenschweren Fehler Maos, die in seinen letzten Lebensjahren geschahen,
berücksichtigen muss. Nicht zuletzt müsste der gesamte Staatsapparat in Frage gestellt
werden, da er den Ausbruch der Kulturrevolution nicht verhindern konnte. Viele
Probleme und Missstände, die während der 10-jährigen politischen Episode
offenkundig wurden, wie Bürokratismus, autoritärer Führungsstil, Personenkult,
Privilegienstellung und Kader auf Lebenszeit, sind untrennbar mit den feudalistischen
Gedanken Maos verbunden. Er versäumte die Demokratie in den Staatsapparat und in
die Rechtsordnung zu integrieren, sondern handelte rein aus persönlichen
Überlegungen. Das chinesische Volk zog bittere Lehren aus der Kulturrevolution, da
die wirtschaftliche Entwicklung nicht nur verzögert, sondern um Jahre
zurückgeworfen wurde. Noch schlimmer jedoch ist, dass der demokratische Aufbau
des Landes im Keim erstickt wurde.
Die Kulturrevolution brachte dem chinesischen Volk zwar unsägliches Leid, doch
sind sich chinesische und deutsche Wissenschaftler darüber einig, dass sie auch auf
spätere Entwicklungen der Volksrepublik Einfluss nahm. Gerade aufgrund der fatalen
Fehler in der Kulturrevolution wurden dem chinesischen Volk die Augen geöffnet. So
betrachtet diente diese politische Bewegung laut Oskar Weggel als „Augenöffner“ und
„Richtungsanzeiger“. Ohne Kulturrevolution hätte es nach 1978 wohl keine Reform
und Öffnungspolitik gegeben. Nur weil man Lehren aus den vergangenen Ereignissen
208
zog und die Fehler der linken Fraktion erkannte, konnte Deng Xiaoping an seinen
Leitsätzen festhalten, wie etwa „Fortschritt und Entwicklung sind die größten
Wahrheiten“ sowie „Egal ob schwarze oder weiße Katze, nur eine, die Mäuse fängt,
ist eine gute Katze“. China begann seine sogenannte sozialistische Marktwirtschaft
aufzubauen. Zwar hält die KPCh immer noch am Marxismus und an der historischen
Gestalt Maos fest, doch nimmt sie eine realistische Haltung ein und versucht im
Interesse des Volkes zu handeln. Sie geht auf pragmatische Weise gegen die Probleme
an, die in der Reform und Öffnungspolitik entstanden sind. Dadurch erlebte die
chinesische Wirtschaft nicht nur einen gewaltigen Aufschwung, auch das Ansehen des
Landes ist seitdem gestiegen. Die zunehmend wichtigere Rolle Chinas in der Welt ist
nunmehr offenkundig.
Bei der umfassenden Analyse der deutschen und chinesischen Forschung
bezüglich der Kulturrevolution kam ich zum folgenden Schluss: Zwar brach die
Kulturrevolution auf chinesischem Boden aus, doch begann ihre wissenschaftliche
Auseinandersetzung im Westen. Die Forschung in den westlichen Staaten widmete
sich der Kulturrevolution in den verschiedensten Disziplinen, wie in den Geschichts-,
Politik-, Sozial-, und Wirtschaftswissenschaften, als auch spezifisch, wie in der
sinologischen Forschung zur Parteigeschichtsschreibung der KPCh. Sie analysierte
Ursachen, Entwicklung und Verlauf der Kulturrevolution und befasste sich mit den
Folgen nach ihrem Ende. Die deutsche Forschung, wie auch die in anderen westlichen
Staaten, veröffentlichte unmittelbar nach Ausbruch der Kulturrevolution
wissenschaftliche Artikel dazu. Die Inhalte dieser aus den 60er und 70er Jahren des
vorigen Jahrhunderts stammenden Publikationen beschrieben zumeist jedoch nur
oberflächlich die Ereignisse, die im Laufe der Kulturrevolution passierten. In dieser
Zeit bereisten einige deutsche Wissenschaftler und China-Interessierte die
Volksrepublik China als Touristen. Sie fassten die mit ihren neugierigen Augen und
Ohren gesammelten Eindrücke in ihren Reiseberichten zusammen, die häufig
unvermeidlich oberflächlich oder sogar falsch waren. Zwar sollten einige Bücher dem
Namen nach die Kulturrevolution behandeln, doch beschrieben sie nur die Ereignisse
zu Beginn der Kulturrevolution von 1966 und 1969. Da sie jedoch in der Realität noch
209
andauerte, war unter diesen Umständen eine detaillierte Analyse nur schwer möglich.
Doch die Problemerörterung der deutschen Forschung ist sehr vielfältig und die
wissenschaftliche Auseinandersetzung äußerst lebhaft, so dass eine gründliche
Kenntnis und eine tiefe Einsicht in die Thematik ermöglicht wurden.
Im Vergleich zur deutschen Forschung kann getrost gesagt werden, dass die
Auseinandersetzung mit der Thematik in China wesentlich später einsetzte. Daher
wies die chinesische Forschung in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts
eine große Lücke auf. Die in dieser Zeit veröffentlichten Artikel über die
Kulturrevolution folgten ausschließlich offiziellen Anweisungen und dienten nur der
politischen Propaganda, hatten daher auch keinen wissenschaftlichen Wert.
Zwar kursierten innerhalb der Bevölkerung gesammelte Schriftstücke, die aus
Wandzeitungen entnommen wurden, und einige Menschen protokollierten durch ihre
Aufzeichnungen grausame Einzelschicksale, doch konnten diese nur schwer als
Grundlage für die wissenschaftliche Forschung dienen, da der Wahrheitsgehalt
mancher Schriftdokumente unüberprüfbar war.
Bei der Analyse der „linksgerichteten Fehler“ oder der Bewertung der
Mao-Gedanken in seinen Spätjahren, kann man dennoch zu Forschungszwecken auf
die Zeitschrift „Rote Fahne“, die „Volkszeitung“ oder auch auf offiziell veröffentlichte
Dokumente aus den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zurückgreifen. Die
damals publizierten Fachartikel bezogen sich nur auf die angeführten Medien oder
direkt auf Dokumente des Zentralkomitees der KPCh und können daher nicht als
wissenschaftlich bezeichnet werden.
Erst zu Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts erschien ein vergleichsweise
umfassenderes historisches Buch über die Kulturrevolution mit dem Titel „Zehn Jahre
Geschichte der Kulturrevolution“ von Gao Gao und Yan Jiaqi. Dieses Werk weist eine
Fülle von historischen Materialien mit einem lebendigen Schreibstil auf. Es enthält
keine üblichen Parteijargons und ist sicherlich schon deshalb lesenswert. Ich bin auch
der Meinung, dass das Buch schon deshalb Anerkennung verdient, weil man die
damalige politische Lage nicht außer acht lassen darf. Doch sollte dennoch gesagt
werden, dass das Buch viele Mängel aufweist. Die beschriebenen Ereignisse
210
entsprechen zum Teil nicht der Wahrheit und die verwendeten Materialien weisen
zahlreiche Fehler auf. Außerdem vergaß man auch Zitierhinweise oder
Literaturverzeichnisse. Die Autoren hatten es versäumt Entstehung und Verlauf der
Kulturrevolution zu analysieren, ferner gingen sie auch nicht auf die Folgen und auf
die daraus zu ziehenden Lehren ein. Daher kann das Werk bestenfalls der
Populärliteratur, doch keinesfalls einer wissenschaftlichen Publikation, zugeordnet
werden.
Mit großer Erleichterung nahmen chinesische Wissenschaftskreise die Reform-
und Öffnungspolitik auf, die außer der wirtschaftlichen Liberalisierung auch der
Forschung immer größere Freiheiten brachte. Ab Ende der 90er Jahre, doch vor allem
seit Beginn des 21. Jahrhunderts, veröffentlichte die chinesische Fachwelt eine große
Zahl von wissenschaftlichen Publikationen bezüglich der Kulturrevolution. Darunter
enthalten sind ausführliche Analysen zu Maos Gedanken in seinen Spätjahren, zu den
Ursachen und Folgen der Kulturrevolution, einschließlich seines Einflusses auf die
Nachwelt, sowie Bewertungen der Fehler innerhalb der KPCh während dieser Periode.
Zwar weisen diese Artikel aufgrund der politischen Färbung der Sprache immer noch
diverse Mängel auf, doch ist ein Durchbruch festzustellen, da man die üblichen
Parteijargons ablegte, die Kulturrevolution analysierte und begann diese Zeit aus
menschlicher und moralischer Perspektive zu betrachten. Zahlreiche Opfer der
Kulturrevolution, wie alte Parteikader und Intellektuelle, als auch Täter, wie
ehemalige Rote Garden, schrieben Memoiren, weiterhin trugen Schriftsteller und
Künstler mit literarischen und künstlerischen Produktionen zur Aufarbeitung bei.
Diese sind für ein umfassendes historisches Verständnis der Kulturrevolution,
einschließlich des Nachweises von einzelnen Ereignissen, eine absolute
Notwendigkeit. Gerade die Anklage der Opfer, die von Blut, Tränen und Erniedrigung
durchdrungen ist, spiegelt eindrucksvoll die einzelnen Tragödien wider, die sich
während der Kulturrevolution in China zutrugen. Sie lässt die Chinesen darüber
nachdenken, wie die Kulturrevolution zehn Jahre andauern konnte und warum die
Fehler Maos nicht zu seinen Lebzeiten korrigiert wurden. Die leidvolle Erfahrung
zeigt den Menschen die Notwendigkeit von Demokratie und Rechtstaatlichkeit für
211
Land und Volk. In diesem Zusammenhang darf die Behauptung aufgestellt werden,
dass die Erfahrungen aus der Kulturrevolution die anschließende Reform- und
Öffungspolitik mit dem daraus resultierenden rasanten Wachstum der chinesischen
Wirtschaft erst ermöglichten. Sie ist auch der Grund, weshalb die Partei die
Dringlichkeit zur Reform des politischen Systems hervorhob.
Der „Lin Biao-Zwischenfall“ und der Sturz der „Viererbande“ veranlasste die
Menschen ihr blindes Vertrauen in die politische Führung zu überdenken. Die
Demonstrationen auf dem Tiananmen-Platz 1989 waren ein direkter Angriff gegen die
autoritäre Haltung Mao Zedongs. Die Einstellung gegen Bürokratismus und Autorität
ist ein wertvolles Erbe, das die Kulturrevolution dem chinesischen Volk hinterlassen
hat. Die Menschen im heutigen China haben begonnen selbstständig zu denken, hören
nicht mehr leichtgläubig auf politische Anweisungen, verehren nicht mehr blind
politische Führer und behandeln politische Bewegungen mit größter Vorsicht.
Im Vergleich zur deutschen Forschung befassen sich chinesische Wissenschaftler
hauptsächlich mit dem politischen Aspekt der Kulturrevolution, wobei die Analyse
von anderen Bereichen, wie Wirtschaft, Kultur, Armeewesen und Außenpolitik, häufig
zu kurz kommt. Bei der Auseinandersetzung mit der Thematik fehlt es den Arbeiten
oft an Überzeugungskraft. Da die Bewertung der Kulturrevolution von der
chinesischen Regierung beschränkt wird, kann bezüglich der Authentizität einzelner
Ereignisse keine Einigung erzielt werden. Die Führung versucht auch heute noch die
Bewertung der Kulturrevolution zu kontrollieren und sie nach ihren Gunsten zu
lenken.
Weshalb ist die chinesische Führung bis heute nicht bereit, eine vollständige
Aufarbeitung der Kulturrevolution zuzulassen? Bezüglich dieser Frage haben
deutsche Gelehrte, wie Prof. Weigelin-Schwiedrzik, eine deutliche Antwort gefunden.
Ein Grund dafür ist, dass viele Führungspolitiker zwar einerseits Opfer der
Kulturrevolution sind, andererseits jedoch auch Gefolgsleute Mao Zedongs waren und
seine Politik befürworteten. Diese Doppelidentität der heutigen Kader, die sie sowohl
zu Tätern als auch zu Opfern macht, lässt eine vollständige und präzise Bewertung der
Kulturrevolution nicht zu.
212
Die chinesischen wie auch die deutschen Wissenschaftler geben sich mit der
bloßen Analyse der Ereignisse während der Kulturrevolution nicht mehr zufrieden,
sondern versuchen das Thema aus einem breiteren Spektrum zu erforschen, wie z. B.
auf ethischer oder sozialpsychologischer Ebene. Der renommierte Schriftsteller Ba Jin
schlug einmal vor zum Gedenken an die Kulturrevolution ein Museum einzurichten,
auch Prof. Weigelin mahnt, die moralische Erinnerung zu bewahren. Viele Gelehrte
hoffen, dass ein neues Studienfach in die Universitäten einzieht, eigens zur Analyse
der Kulturrevolution. Zusammengefasst bedeutet dies, dass chinesische und deutsche
Gelehrte hoffen, dass über die Erforschung dieser Zeit Klarheit für die Nachwelt
geschaffen und als Warnung für künftige Generationen aufgefasst wird, damit sich die
Geschichte nicht wiederholen kann.
213
Abkürzungen
a.a.O am angegebenen Ort
Ebda ebenda
f.,ff. folgende Seite(n)
Hrsg. Herausgeber
GPKR Große Proletarische Kulturrevolution
KPCh Kommunistische Partei Chinas
S. Seite
VBA Volksbefreiungsarmee
Vgl. Vergleich
VR Volksrepublik
ZK Zentralkomitee
Als Umschrift für chinesische Zeichen wurde die amtliche Hanyu-Pinyin-Umschrift
benutzt.
Eine Ausnahme bilden Namen und Begriffe, die dem deutschen Leser in anderer
Umschrift vertrauter sind (Peking statt Beijing, Chiang Kaishek statt Jiang Jieshi oder
Mao Tsetung statt Mao Zedong ).
214
Liste der chinesischen Personennamen
A Ying 阿英
Ba Jin 巴金
Chen Boda 陈伯达 Chen Dengcai 陈登才 Chen Mingxian 陈明显 Chen
Xilian 陈锡联 Chen Weiqing 陈伟清 Chen Yi 陈毅 Chen Yonggui 陈永贵
Chen Yun 陈云 Chen Zaidao 陈再道 Chiang Kaishek (Jiang Jieshi) 蒋介石
Deng Junli 邓君里 Deng Tuo 邓拓 Deng Xiaoping 邓小平 Ding Xiaohe
丁晓禾 Dong Qiusi 董秋斯
Fan Xiaofang 范小方 Feng Xiaozhi 冯晓芝 Fu Lei 傅雷
Guo Dehong 郭德宏 Gao Gao 高皋 Gai Jiaotian 盖叫天 Guo Xiaochuan 郭
小川
Han Aijing 韩爱晶 Han Gang 韩刚 Han Guangfu 韩广富 Han Rongzhang
韩荣璋 He Long 贺龙 He Qin 何芹 He Yuan 贺源 Hu Sheng 胡绳 Hua
Guofeng 华国峰 Huang Kecheng 黄克诚 Huang Yongsheng 黄永胜 Huang
Zhongliang 黄中良
Ji Xichen 纪希晨 Jiang Pei 江沛 Jiang Qing 江青 Jin Chunming 金春明 Jin
Dacheng 靳大成
Kang Sheng 康生 Ke Qingshi 柯庆施 Konfuzius (Kong Zi) 孔子 Kong
Hanbing 孔寒冰 Kuai Dafu 蒯大富
Lao She 老舍 Li Desheng 李德生 Li Fuchun 李富春 Li Lingyu 李玲玉 Li
Shaochun 李少春 Li Xiannian 李先念 Li Zuopeng 李作鹏 Liang Xiao 梁效
Liao Mosha 寥沫沙 Lin Biao 林彪 Lin Liguo 林立果 Liu Bocheng 刘伯承
Liu Qing 柳青 Liu Shaoqi 刘少奇 Liu Xiaofeng 刘小枫 Liu Zhijian 刘志坚
Lu Dingyi 陆定一 Lu Ping 陆平 Luo Ruiqing 罗瑞卿
Ma Hong 马洪 Ma Lianliang 马连良 Man Tao 满涛 Ma Tianshui 马天水
Mao Yuanxin 毛远新 Mao Zedong (Mao Tse-Tung) 毛泽东
Ni Zhifu 倪志福 Nie Yuanzi 聂元梓
Peng Dehuai 彭德怀 Peng Zhen 彭真
215
Qiu Huizuo 邱会作
Shangguan Yunzhu 上官云珠 Shang Xiaoyun 尚小云 Shu Xiuwen 舒绣文
Songjiang 宋江 Su Caiqing 苏采青 Sun Weishi 孙维世
Tan Houlan 谭厚兰 Tan Zhenlin 谭振林 Tian Fang 田方 Tian Han 田汉
Tian Jiaying 田家英 Tao Zhu 陶铸
Wang Dabin 王大宾 Wang Guangmei 王光美 Wang Haiguang 王海光 Wang
Hongwen 王洪文 Wu De 吴德 Wu Zetian 武则天 Wu Zhong 吴忠 Wang
Ming 王明 Wang Nianyi 王年一 Wang Renzhong 王任重 Wang Xiuzhen 王
秀珍 Wu Faxian 吴法宪 Wu Guixian 吴桂贤 Wu Han 吴晗
Xi Xuan 席宣 Xi Yaohua 奚耀华 Xing Siwen 邢斯文 Xu Haidong 徐海东
Xu Jingxian 徐景贤 Xu Shiyou 许世友 Xu Xiangqian 徐向前
Yan Jiaqi 严家其 Yan Hongyan 闫红彦 Yang Chengwu 杨成武 Yang Shangkun
杨尚昆 Yao Wenyuan 姚文元 Ye Jianying 叶剑英 Ye Qun 叶群
Zhang Chunqiao 张春桥 Zhang Hua 张化 Zhang Linzhi 张霖之 Zhang
Tiesheng 张铁生 Zhang Tuosheng 张沱生 Zhang Wentian 张闻天 Zhang
Zhixin 张志新 Zhao Shuli 赵树理 Zhao Guoqin 赵国钦 Zheng Qian 郑谦
Zheng Shiqu 郑师渠 Zhou Enlai 周恩来 Zhou Libo 周立波 Zhou Xiaozhou
周小舟 Zhou Xinfang 周信芳 Zhu De 朱德 Zhu Qiaosen 朱乔森
216
Anhang
Der Beschluß des ZK der KPCh über die GPKR vom 8. August 1966292
(1) Die GPKR ist ihrem Charakter nach eine neue Etappe in der Sozialistischen
Revolution, deren Hauptziel „Kampf-Kritik-Umgestaltung“ lautet, nämlich
„Kampf“ gegen die Machthaber, die den kapitalistischen Weg gingen, „Kritik“ an den
„bürgerlichen, reaktionären, akademischen Autoritäten“, die die Vier Relikte (altes
Denken, alte Gewohnheiten, alte Kultur und alte Gebräuche) predigten, und
„Umgestaltung“ des Erziehungswesens, der Literatur und Kunst sowie all jener Teile
des Überbaus, die keine detailgetreue Widerspiegelung der ökonomischen Basis seien.
(2) Träger der GPKR sind Arbeiter, Bauern, Soldaten und revolutionäre Jugendliche,
die sich in ihrem Kampf hauptsächlich der „Vier Großen“ bedienen sollen, nämlich
Großer Debatten, Großer Aussprachen, Großer Meinungsäußerungen und Großer
Wandzeitungen.
(3) „Wagemut”!
(4) Selbsterziehung der Massen im Kampf, keine Manipulation.
(5) Die GPKR ist ein Klassenkampf von 95% gegen 5%.
(6) Präzise Unterscheidungen zwischen den zwei verschiedenen Arten von
Widersprüchen. „Widersprüche im Volk“ sind durch Darlegung der Tatsachen, durch
Argumentationen, durch Überzeugung – d. h. mit Worten und nicht mit Waffen- zu
lösen.
292
Dieser Beschluß stellt das Programm der Kulturrevolution dar, der wegen seiner Gliederung
auch unter der Bezeichnung „16 Punkte“ bekannt geworden ist. Er wird hier stichwortartig
zusammengefaßt. Dazu siehe Oskar Weggel: Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert, 252f.
217
(7) Zurückhaltender Umgang mit der Bezeichnung „konterrevolutionär“.
(8) Differenzierung zwischen „guten“, „verhältnismäßig guten“, „umkehrwilligen“ und
„unverbesserlichen“ Kadern. Nur die letzteren seien aufs Korn zu nehmen.
(9) Organisatorisch solle die GPKR von neu zu bildenden Machtorganen, nämlich
den „Arbeitsgruppen der Kulturrevolution“ getragen werden, die sich am Modell der
Pariser Kommune orientieren und die im Danwei-Rahmen zu errichten seien, z. B. in
Schulen, Behörden, Nachbarschaften und Dörfern.
(10) Vereinfachung des Erziehungsprozesses.
(11) Namentliche Kritik in der Presse muss von den KPCh-Gremien genehmigt
werden.
(12) Wissenschaftler und Techniker sollen vom Klassenkampf verschont bleiben.
(13) Die seit 1962 SEB und die GPKR sollen nicht miteinander vermengt werden,
sondern nebeneinander herlaufen.
(14) Kulturrevolution und Produktion sollten sich gegenseitig nicht beeinträchtigen,
sondern im Gegenteil einander ergänzen.
(15) Die GPKR in der VBA erfolgt truppenintern.
(16) Als Kompass der GPKR dienen die Mao Zedong-Ideen. 35 Mio. Exemplare der
„Ausgewählten Werke Maos“ seien neu zu drucken.
218
Programm der Roten Garden von Peking (23. August 1966)
1. Jeder Bürger soll manuelle Arbeit verrichten.
2. In allen Kinos, Theatern, Buchhandlungen, Omnibussen usw. müssen Bilder Mao
Zedongs aufgehängt werden.
3. Überall müssen Zitate Mao Zedongs an Stelle der bisherigen Neonreklamen
angebracht werden.
4. Die alten Gewohnheiten müssen verschwinden.
5. Die Handelsunternehmungen müssen reorganisiert werden, um den Arbeitern,
Bauern und Soldaten zu dienen.
6. Eine eventuelle Opposition muss rücksichtslos beseitigt werden.
7. Luxusrestaurants und Taxis haben zu verschwinden.
8. Die privaten finanziellen Gewinne sowie die Mieten müssen dem Staat
abgegeben werden.
9. Die Politik hat den Vorrang vor allem.
10. Slogans müssen einen kommunistischen Charakter aufweisen.
11. Die revisionistischen Titel haben zu verschwinden.
12. In allen Straßen sollen Lautsprecher aufgestellt werden, um der Bevölkerung
Verhaltensmaßregeln zu vermitteln.
219
13. Die Lehre Mao Zedongs muss schon im Kindergarten verbreitet werden.
14. Die Intellektuellen sollen in Dörfern arbeiten.
15. Die Bankzinsen müssen abgeschafft werden.
16. Die Mahlzeiten sollen gemeinsam eingenommen werden, und es soll zu den
Sitten der ersten Volkskommunen im Jahr 1958 zurückgekehrt werden.
17. Auf Parfüms, Schmuckstücke, Kosmetik und nichtproletarische Kleidungsstücke
und Schuhe muss verzichtet werden.
18. Die Erste Klasse bei Eisenbahnen und luxuriöse Autos müssen verschwinden.
19. Die Verbreitung von Fotografien von sogenannten hübschen Mädchen soll
eingestellt werden.
20. Die Namen von Straßen und Monumenten müssen geändert werden.
21. Die alte Malerei, die nicht politische Themen zum Gegenstand hat, muss
verschwinden.
22. Es kann nicht geduldet werden, dass Bilder verbreitet werden, die nicht dem
Denken Mao Zedongs entsprechen.
23. Bücher, die nicht das Denken Mao Zedongs wiedergeben, müssen verbrannt
werden.
Quelle: Chinas Xinhua Nachrichtenagentur vom 23.8.1966. Deutsche Übersetzung
in: Ostkolleg der Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), VR China
im Wandel, Bonn 1988: 235.
220
Zeittafel (1965-1976)
10.11.1965: An diesem Tag erscheint in der Shanghaier Zeitung Wen Hui Bao eine
Kritik an dem Theaterstück „Die Entlassung des Hai Ruis“. Der Artikel entlarvt das
Theaterstück als versteckte Kritik an Mao Zedong.
2.-10.2.1966: Konferenz über die literarische und künstlerische Arbeit in der Armee
unter Leitung von Maos Ehefrau Jiang Qing.
4.-26.5.1966: Erweiterte Tagung des Politbüros unter der Führung der Maoisten
kritisiert eine Reihe von Parteikadern und erläßt das „Mitteilung vom 16. Mai“, In
diesem Rundschreiben wird zu Säuberungen aufgerufen.
28.5.1966: Gründung der „Gruppe für Konterrevolution beim ZK“ mit Chen Boda,
Kang Sheng, Zhang Chunqiao und Jiang Qing.
1.-12.8.1966: Das 11. Plenum des 8. Zentralkomitees der KPCh erlässt den
„Beschluss des ZK über die Große Proletarische Kulturrevolution“.
1.8.1966: Mao Zedong fordert zum Kampf der Roten Garden gegen die „schwarze
Linie und die schwarze Bande“ auf und tritt damit die Lawine der Bewegung los.
Januar 1967: Mao Zedong fordert die Armee zur Unterstützung der Roten Garden
auf. Gründung des ersten Revolutionskomitees auf Provinzebene in Heilongjiang.
August 1967: „Rebellenorganisationen“ besetzen das Außenministerium und betreiben
„rotgardistische Außenpolitik“.
27.7.1968: „Arbeiterpropagandagruppen“ übernehmen die Leitung an Schulen und
Hochschulen.
5.10.1968: Die Entsendung von Funktionären zum Arbeitseinsatz in „Kaderschulen
des 7. Mai“ beginnt.
13.-31.10.1968: Das 12. Plenum des 8. Zentralkomitees der KPCh beschließt den
Sturz Liu Shaoqis. Der Fall Deng Xiaoping wird durch Maos Eingreifen vom Fall Liu
unterschieden. Deng bleibt Mitglied der Partei.
221
22.12.1968: Die Volkszeitung veröffentlicht die Weisung Maos, wonach Jugendliche
mit Schulbildung sich in den Dörfern niederlassen sollen.
1.-24.4.1969: Der 9. Parteitag bestimmt Lin Biao zum Nachfolger Maos.
12.11.1969: Liu Shaoqi stirbt in der Provinz Henan.
Januuar1970: Geheimabkommen zwischen China und den USA über die
Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen.
23.8.1970: Treffen in Lushan. Mao kritisiert Lin Biao.
13.9.1971: Angeblich scheitert ein seit März 1971 von Lin Biao ausgeheckter Plan
eines „konterrevolutionären bewaffneten Putsches“. Lin Biaos Fluchtflugzeug stürzt
über der Mongolischen Volksrepublik ab.
Februar 1972: Besuch Nixons in Peking. Gemeinsames Kommunique über die
Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und China.
24.-28.8.1973: Der 10. Parteitag bestätigt die Richtigkeit der „politischen und
organisatorischen Linie des 9. Parteitags“. Gleich hinter Mao sind es vier
Kulturrevolutionäre, die von jetzt an das Wort führen, nämlich Jiang Qing, Zhang
Chunqiao, Yao Wenyuan und Wang Hongwen.
27.10.1973: China wird Mitglied der UNO.
Januar 1974: Das neue Führungsquartett lanciert eine „Kampagne zur Kritik an Lin
Biao und Konfuzius“.
10.4.1974: Deng Xiaoping legt der UNO in New York die Auffassung Chinas von den
Drei Welt vor, die politische Grundlage chinesischer Außenpolitik.
222
8.1.1975: Das 2. Plenum des 10. Zentralkomitees der KPCh bereitet den IV.
Nationalen Volkskongress vor und rehabilitiert Deng Xiaoping als Mitglied des
Ständigen Ausschusses des Politbüros. Er wird zum stellvertretenden
Parteivorsitzenden und stellvertretenden Premierminister ernannt.
8.1.1976: Zhou Enlai stirbt und Deng Xiaoping verliert damit seinen wichtigsten
Protektor.
April 1976: Eine Trauerkundgebung für Zhou Enlai auf dem Tiananmen-Platz wird
zu einer Protestbewegung gegen die „Viererbande“. Diese lässt den
„konterrevolutionären Zwischenfall“ unterdrücken. Deng Xiaoping verliert alle seine
Ämter.
30.4.1976: Mao bestimmt Hua Guofeng zu seinen Nachfolger.
9.9.1976: Mao Zedong stirbt. Bereits am 6.10. übernimmt ein antikulturrevolutionäres
Bündnis die Initiative und nimmt die „Viererbande“ gefangen.
7.10.1976: Hua Guofeng wird zum Nachfolger Mao Zedongs gewählt. Rückkehr
Deng Xiaopings nach Peking.
Quellen:
Peter Kuntze, Der Osten ist rot, München 1970: 143-149.
Ostkolleg der Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), VR China im Wandel,
Bonn 1988: 225-228.
Patrick Sabatier, „Der letzte Drache“ Deng Xiaoping in seiner Zeit, Bonn Berlin
1991: 519-523.
Xi Xuan und Jin Chunming, „Wenhua dageming“ jianshi “文化大革命”简史, Beijing:
Zhonggong Dangshi Verl. 2006: 354-407.
Zhonggong Zhongyang Dangshi Yanjiushi (Hrsg.),Zhonggong dangshi dashi
nianbiao 中共党史大事年表,Beijing: Renmin Verl.1981: 142-175.
223
Literaturverzeichnis
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Alemann/Forndran 1985, Ulrich von Alemann und Erhard Forndran, Methodik der
Politikwissenschaft, Stuttgart; Berlin; Köln;Mainz 1985.
Ansprenger 1972. Franz Ansprenger, China und die Welt, Hannover 1972.
Barcata 1967. Louis Barcata, China in der Kulturrevolution, Wien 1967.
Bauer 1980. Edgar Bauer, Ideologie und Entwicklung in der VR China, Bochum
1980.
Bauer 1971. Wolfgang Bauer, China und die Hoffnung auf Glück, München 1971.
Blumer 1968. Giovanni Blumer, Die chinesische Kulturrevolution 1965/67, Frankfurt
am Main 1968.
Chang/Halliday 2007. Jung Chang und Jon Halliday, Mao Das Leben eines
Mannes Das Schicksal eines Volkes, München 2007.
Domes 1967. Jürgen Domes, Kulturrevolution und Armee, Bonn 1967.
Domes 1967. Jürgen Domes, Der Machtkampf in China, in: Europaarchiv, 22. Jg.
1967.
Domes 1971. Jürgen Domes, Die Ära Mao Tse-Tung, Stuttgart 1971.
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