die römische kaiserzeit · 2018. 3. 21. · wunsch hadrians 138 n.chr. einen sohn der mit hadrian...
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304 Seiten mit 20 Abbildungen. Klappenbroschur
ISBN: 978-3-406-66012-2
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http://www.chbeck.de/13088921
Unverkäufliche Leseprobe
© Verlag C.H.Beck oHG, München
Armin Eich Die römische Kaiserzeit Die Legionen und das Imperium
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V. ExpANSIoNSpoLITIK, SEuCHE uND
BÜRGERKRIEG (161–197 N. CHR.)
1. Die wiederaufnahme der Eroberungspolitikund ihr Scheitern (161–180 n. Chr.)
antoninus pius starb am 7. märz 161 n. chr. einen friedlichen todin seinem bett, nachdem er, wie sein biograph sagt, keine einzigeExpedition, es sei denn zu seinen landgütern im Umkreis roms,durchgeführt hatte.68 mit diesen friedlichen zuständen sollte es nunbald ein Ende haben. Wie oben dargelegt, hatte antoninus aufWunsch Hadrians 138 n. chr. einen Sohn der mit Hadrian ver-wandten multimillionärin Domitia lucilla, marcus annius Verus,adoptiert. Gleichzeitig hatte antoninus den gleichnamigen Sohndes im Januar 138 verstorbenen thronkandidaten lucius ceioniuscommodus an Sohnes statt angenommen. als pius starb, war nachden Usancen der römischen nomenklatur eigentlich nur marcusannius Verus durch den 139 n. chr. angenommenen namensteil«caesar» als gewünschter nachfolger ausgewiesen, während derSohn des ceionius commodus gewissermaßen als eine art reservistfür den fall, dass marcus durch krankheit oder tod ausschied, vor-gesehen war. marcus bat jedoch den Senat, für seinen «adoptivbru-der» eine annähernd gleiche machtstellung wie für ihn selbst zuakzeptieren. Der Senat folgte dieser bitte, reservierte allerdings denoberpontifikatfürmarcus.anlässlichdesgemeinsamenHerrschafts-antritts tauschten die beiden jungen männer als zeichen des Einver-nehmens namensbestandteile untereinander aus und übernahmenzusätzlich namensteile ihres adoptivvaters. marcus annius Verusnannte sich fortan marcus aurelius antoninus, sein bruder nahmden namen lucius aurelius Verus an. Vereinfachend sprach manschon in der antike von dem brüderpaar als marcus und Verus.
nur der ältere von beiden, marcus aurelius, hat in der Überlie-ferung ein markantes profil gewonnen: Er ist weit über den kreis
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185Eroberungspolitik und ihr Scheitern
von fachleuten hinaus als «philosophenkaiser» in Erinnerunggeblieben. Die wichtigste rolle bei der Herausbildung dieserSichtweise auf den kaiser spielen die «Selbstbetrachtungen»: einaußergewöhnliches, von ihm selbst verfasstes buch, dem er – vorallem während der Jahre in den donauländischen feldlagern seit170 n. chr. – intime autobiographische und philosophische refle-xionen anvertraut hat. außergewöhnlich ist an diesen «notizhef-ten» (hypomnematia), wie marcus selbst das Werk nannte, dass esnicht für die publikation bestimmt war, so dass der kaiser ohnerücksicht auf äußerliche Wirkung seinen Stimmungen ausdruckverleihen konnte. Wie diese notizen überlebt haben, ist ganz rät-selhaft: Der erste sichere beleg für das Überleben des texts stammtaus dem frühen 10. Jahrhundert. Die Sammlung kurzer reflexio-nen sollte nicht innovativ sein, sondern seinem autor im akt desniederschreibens das Gefühl gewähren, in einer philosophischenlehre aufgehoben zu sein und eine Stütze zu finden. Häufig sinddie Gedanken tief melancholisch:
«In einem Augenblick wirst Du nur Asche oder ein Skelett sein, oder nurnoch ein Name oder nicht mal ein Name. Ein Name – ein leeres Geräusch,ein Echo. Das, was in diesem Leben besonders geschätzt wird – leer,dreckig, armselig, Hunde, die sich in einander verbeißen, Kinder, die sichzanken, die lachen und im nächsten Augenblick heulen.»69
Diesem resignativen zug stehen passagen gegenüber, in denenmarcus die kosmopolitische tradition der Stoa aus innerer Über-zeugung zu ergreifen scheint:
«Wenn die Intelligenz uns allen gemeinsam ist, dann auch die Vernunft,kraft derer wir vernunftbegabte Wesen sind. Wenn dies zutrifft, dann istauch die Einsicht in die Regeln, was zu tun und was zu unterlassen ist, allenMenschen gemeinsam. Also ist das Gesetz für alle das gleiche. Dann sindwir alle Bürger und haben alle an einem Staat Anteil. Und dann ist der Kosmos wie eine einzige Stadt.»70
abschnitte wie diese haben das bild vom philosophenkaiser undseiner ganzen Epoche, die der britische Historiker Edward Gibbonim 18. Jahrhundert die «glücklichste und beste des ganzen men-
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V. Expansionspolitik, Seuche und Bürgerkrieg186
schengeschlechts» genannt hat, wesentlich geformt. in der prak-tischen politik war marcus allerdings ein weitaus konventionellererHerrscher als in seinen philosophischen tagebüchern. im bereichdes Sklavenrechts, dem quantitativ gewichtigsten teil seiner legis-lativen tätigkeit (60 der über 300 erhaltenen Gesetze des marcusbehandeln fragen, die Sklaven oder freigelassene betrafen), habenmarcus und Verus zwar einige Härten abgemildert, aber das lagdurchaus im trend der zeit und ist nicht durch die orientierung aneiner humanen philosophie wie der Stoa zu erklären. Den Erleich-terungen steht zudem eine ganze reihe von Verschärfungen desSklavenrechts gegenüber. normalerweise schützte beispielsweisedas römische recht Sklavenhalter davor, durch unter folter er-zwungene aussagen ihrer eigenen Sklaven einer Straftat überführtzu werden. Doch marcus erlaubte die Sklavenfolter zur belastungvon dessen Herrn ausdrücklich immer dann, wenn die «majestät»des imperators betroffen war, also etwa, wenn der Sklavenbesitzerim Verdacht stand, sich beleidigend gegen den imperator geäußertzu haben. Von der gemeinsamen polis aller menschen, die alle andem einen recht und der einen Vernunft teilhaben, wie sie marcusin seinen privaten notizheften pries, ist hier nichts zu spüren.
Die außenpolitik von marcus und Verus war ebenso wie ihre Ge-setzgebung unbeeinflusst von humanitären ideen und ausschließ-lich an den militärischen und fiskalischen interessen des imperiumsorientiert. Die kaiserlichen brüder gingen davon aus, dass die mitt-lerweile erfolgte konsolidierung der römischen ressourcen dieWiederaufnahme der interventionistischen militärpolitik erlaube.So endete fast gleichzeitig mit ihrem Herrschaftsantritt die nach-traianische Ära einer verhältnismäßig friedlichen außenpolitik desimperiums, die ein knappes halbes Jahrhundert gewährt hatte. Dieerste Etappe der neuen kriegsepoche bildete der partherkrieg von161 bis 166 n. chr.
Der parthische monarch Vologaises iV. hatte, kurz nach demtod von pius, unter Verletzung des abkommens von Rhandeia(64 n. chr., s. oben S. 82) in armenien einen arsakiden mit na-men pakoros eingesetzt, ohne die neuen kaiser zu konsultieren.Übrigens hatte auch antoninus pius zwanzig Jahre zuvor «den ar-
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meniern einen könig gegeben»,71 wie er auf seinen münzen mittei-len ließ. Seinerzeit hatte der imperator offenbar parthische irrita-tionen mit einem offiziellen Schreiben beilegen können. 161 n. chr.reagierte die römische Seite hingegen sofort mit militärischer Ge-walt: aus der provinz kappadokien, die eine gemeinsame Grenzemit dem königreich armenien hatte, ließ der römische militär-gouverneur einen teil der ihm unterstehenden provinzialarmeein armenien einmarschieren. bei Elegeia, nur wenige kilometeröstlich der armenisch-kappadokischen Grenze, erlitt diese inter-ventionsarmee gegen die parther eine vernichtende niederlage.anschließend ließ Vologaises sein Heer in Syrien einmarschieren(vgl. karte S. 189). Die beiden augusti reagierten darauf mit mas-siven truppenverlegungen an die ostfront. Die operationen stan-den unter der alleinigen leitung des jüngeren bruders Verus, dersein Hauptquartier in Antiochia am orontes aufschlug. 163 n. chr.vertrieben römische truppen die parther aus Syrien und nahmendie armenische Hauptstadt Artaxata ein. im folgenden Jahr ließVerus einen romanisierten arsakiden und römischen Senator,Gaius iulius Sohaemus, als armenischen könig einsetzen, für deneine neue Hauptstadt, Kainepolis: die «neustadt», errichtet wurde.165 n. chr. stießen römische Heereskolonnen unter der führungvon Gaius avidius cassius den Euphrat entlang in richtung aufdas ehemalige babylonien, das zentrum des parthischen reiches,vor. Ktesiphon, die auf dem rechten tigrisufer gelegene Hauptstadtdes reiches, wurde genommen und der königspalast zerstört. Diebevölkerung der Großstadt Seleukeia, einer über 450 Jahre alten,ursprünglich griechischen polis auf dem gegenüberliegendenflussufer, öffnete dem römischen Heer die tore. Dennoch wurdedie Stadt geplündert und vollständig niedergebrannt. Die einstmalsblühende, multikulturelle metropole, die im zweiten Jahrhundertnoch 400000 Einwohner gehabt haben soll, erholte sich nie mehrvon diesem Schlag.
als die offiziellen nachrichten über diese aktionen rom er-reichten, billigte der Senat dem imperator lucius Verus einentriumph zu und gestattete ihm, sich zukünftig parthicus maximus(«Größter parthersieger») zu nennen, wodurch seine Erfolge un-
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missverständlich über diejenigen traians gestellt wurden, der116 n. chr. nur zum «einfachen» parthicus erhoben worden war.Vologaises fand sich nach der kette von rückschlägen zu erheb-lichen zugeständnissen bereit. Er erkannte den römischen prä-tendenten auf dem armenischen thron und dessen neue residenz-stadt Kainepolis (Etschmiazin) an. Die kleinstaaten des nördlichenmesopotamiens (vor allem osrhoëne und nisibis) wurden rö-mische klientelstaaten und erhielten römische Garnisonen. Dieparthische karawanenstadt Dura Europos, die einen der wichtigstenÜbergänge über den Euphrat kontrollierte, wurde direkt demrömischen Statthalter Syriens unterstellt und mit einer Garnisonbelegt. auf die Einrichtung neuer provinzen verzichteten die im-peratoren, wahrscheinlich in Erinnerung an die aufstände von116 n. chr. und ihre katastrophalen folgen.
Die triumphfeierlichkeiten für die im osten erkämpften Siegewurden von beiden augusti am 12. oktober 166 in rom abge-halten. zu diesem zeitpunkt war die euphorische Stimmung dervorhergehenden Jahre bereits deutlich getrübt. Ein Grund dafürwar, dass die Soldaten der verischen armee aus mesopotamien einesich epidemisch ausbreitende, tödliche krankheit ins reich undauch nach rom mitgebracht hatten. bis in die Spätantike hielt sichhartnäckig eine in verschiedenen Versionen überlieferte Ge-schichte, der zufolge die Soldaten des Verus während der plünde-rung von Seleukia eine unzugängliche kammer gewaltsam geöffnethätten, aus der ein «urtümliches Verderben» entwichen sei, dassich der mordbrennenden Soldaten bemächtigt habe.72 in diesemmythos drückt sich unverkennbar das schlechte Gewissen der an-greifer aus, möglicherweise bewahrt er aber auch eine authentischeErinnerung an die Ereignisse von 165 n. chr.: Das sumpfige klimader babylonis und die vielen verwesenden leichen hatten jeden-falls günstige bedingungen für den ausbruch der Seuche geboten.
außerdem warf ein neuer, langwieriger krieg seine Schattenvoraus. Die spätantike Vita des marc aurel bemerkt dazu lako-nisch: «Während der parthische krieg noch geführt wurde, ent-stand der markomannische.»73 Die markomannen, ein aus denSueben hervorgegangener Stammesverband, der nördlich von
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V. Expansionspolitik, Seuche und Bürgerkrieg190
noricum und Westpannonien im Gebiet des heutigen böhmenseine Wohnsitze hatte, haben dem großen, durch eine kurze frie-densphase unterbrochenen krieg an der nordgrenze des römi-schen imperiums (166/70–175 und 178–180 n. chr.) eher zufälligden namen gegeben. betroffen war eine ganze reihe von Völkernunterschiedlicher ethnischer zugehörigkeit: neben den römerndie sogenannten «freien Daker» (die außerhalb der traianischenprovinz Dacia geblieben waren), kelten, Germanen wie die Quadi,markomannen, Hermunduren, aber auch sarmatische iraner (iazy-gen, roxolanen) und andere.
Die Quellenlage für diesen epochalen krieg ist wie bei dermehrzahl der kaiserzeitlichen kriege sehr schlecht, vielleicht nochetwas schlechter als gewöhnlich. Die wichtigste bekannte Erzäh-lung, die des cassius Dio, ist nur noch in wenigen Exzerpten erhal-ten. ansonsten existieren noch einige von verschiedenen Schrift-stellern überlieferte anekdoten sowie die unzuverlässigen biogra-phien des marcus, Verus und commodus in der Historia Augusta.Hinzu kommen inschriftliche und archäologische zeugnisse, die inder forschung unterschiedlich gewichtet und eingeordnet werden.aufgrund dieser mangelhaften Quellenlage wird der ablauf derkriegsereignisse in der forschung sehr unterschiedlich dargestellt.an dieser Stelle kann keine rekapitulation der komplexen Diskus-sion mit ihren zahlreichen Verzweigungen erfolgen. Eine kurzebegründung für die Wahl der hier vertretenen Sicht ist jedochunumgänglich:
Die einzige halbwegs zusammenhängende und daher äußersteinflussreiche Darstellung der Ereignisse stammt aus der marcus-biographie der Historia Augusta. Doch diese Erzählung ist zutiefstambivalent, weil sie ganz unterschiedliche und einander widerspre-chende traditionen hinsichtlich der Ursachen der «markomanni-schen» kriege miteinander zu verbinden versucht hat. Die erste,bis heute stark nachwirkende tradition ist vor allem in der rah-menerzählung fassbar. Dort heißt es, dass sich «alle Völker, vomäußersten illyrien (also der westlichen Schwarzmeerküste) bis nachGallien» zu einem gemeinsamen Überfall auf das reich «ver-schworen» hätten.74 mit dieser theorie von der «Verschwörung
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der Völker» verband der autor wirkungsvoll, aber nicht ganzstimmig eine art Dominotheorie, der zufolge die am nordufer derDonau siedelnden Völker durch germanische Wanderbewegungenin nord- und mitteleuropa so stark unter Druck geraten seien, dassihnen die flucht in das imperium als einziger ausweg gebliebensei. Diese Darstellung der Historia Augusta ist seit Jahrhundertenimmer wieder aufgegriffen und in machtvollen Sprachbildern, etwavon den «Sturmfluten» der Völker, die die römischen provinzen«überschwemmten», kolportiert worden.75 in der kollektiven Er-innerung verbindet sich mit diesen bildern die Vorstellung vombeginn der großen, spätantiken Völkerwanderungen. Vermutlichist in der Erzählung der Historia Augusta eine verschwommeneErinnerung an die gotische abwanderung aus dem mittlerenWeichselraum verarbeitet, die sich allerdings – wenn sie aus den ar-chäologischen Quellen richtig rekonstruiert ist – nicht wie eine«lawine» durch Europa wälzte, sondern als langsame, achtzigJahre dauernde Expansionsbewegung vollzog, deren zielgebietauch nicht die mittlere Donau, sondern die region nördlich undnordwestlich des Schwarzen meeres war (siehe kap. Vii).
Doch neben dieser rahmenerzählung von der Völkerverschwö-rung und der Völkerflut gibt es auch eine detaillierte Erzählung,die zweite traditionslinie, der der autor der Historia Augusta in derDarstellung des krieges verpflichtet ist und die mit der ersten nichtharmoniert. in der detaillierten Erzählung hat es das römischeimperium durchaus nicht mit unwiderstehlichen «Völkerfluten» zutun, sondern fast ausschließlich mit seinen nachbarn nördlich derDonau, die am Ende der kriegsereignisse dieselben Siedlungs-räume bewohnen wie zu beginn. Die von norden «großen Druckausübenden» Völker und ihre «Verschwörung» verschwanden indieser Detailerzählung vollkommen, weil sie nicht in die Dar-stellung integriert werden konnten. Die markomannen und ihrenachbarn waren 167, 175 und 180 n. chr. der Historia Augusta zu-folge zu friedensschlüssen auf der basis des Status quo oder zu ver-schlechterten bedingungen bereit. Wie konnten sie das, wenn siedoch von norden aus ihren Siedlungsräumen gedrängt wurden?Unüberwindliche Schwierigkeiten macht dem biographen auch
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der Umstand, dass die Völkerlawine bereits 165/166 n. chr., als derpartherkrieg noch nicht beendet war, losgebrochen sein soll, mar-cus aber vier Jahre, bis 170, brauchte, bis sein Expeditionsheer andie Grenze geführt worden war. in der zwischenzeit sollen dieStatthalter im Donauraum die Völkerflut, so die Historia Augusta,«durch kunst» (arte) aufgehalten haben, was auch immer das be-deuten soll.76
besser als eine künstliche Vereinigung der widersprüchlichenErzählungen erscheint es daher, der plausibleren traditionslinie,also der detaillierten Erzählung zu folgen. Es zeichnet sich dannetwa folgender ablauf der Ereignisse ab: Ende 165 oder anfang166 n. chr. erschien eine etwa 6000 männer, frauen und kinderstarke Wandergruppe aus elbgermanischen obiern und langobar-den an der mittleren Donau, um mit den römischen autoritätenüber einen beitritt zum imperium zu verhandeln. Die Verhand-lungen scheiterten, woraufhin die Gruppe eigenmächtig die Donauüberschritt. Die in der nähe von brigetio (vgl. karte S. 49) statio-nierten Hilfstruppen schlugen jedoch die Germanen rasch undohne größere probleme in die flucht. Die nördlich der Donau sie-delnden Völker wählten in folge der Ereignisse von 166 n. chr.den markomannenkönig ballomarius zum leiter einer Gesandt-schaft, der sich bei dem Statthalter oberpannoniens, iallius bassus,dafür entschuldigen sollte, dass dem langobardisch-obischen Wan-derverband freier Durchzug durch markomannisches Gebiet (böh-men) gewährt worden war. bassus akzeptierte die Entschuldigung,und die alten Verträge zwischen rom und den klientelkönig-tümern nördlich der Donau wurden erneut beeidet.
Darauf folgte seit 167 n. chr. eine massive römische mobilisie-rung an der mittleren Donau. in italien wurden zwei neue legio-nen ausgehoben; mit diesen neuen Einheiten standen für denaufmarsch auf relativ engem raum, abgesehen von Hilfstruppen,sieben legionen zur Verfügung. Die legionen wurden so grup-piert, dass sie die nahezu rechteckige Ebene zwischen Donau undtheiß umschlossen. Hier siedelten seit dem zweiten vorchrist-lichen Jahrhundert die irano-sarmatischen iazygen (vgl. karteS. 191), die aus ihren alten Siedlungsgebieten (im kaukasus?) ihre
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traditionelle reiterkultur mitgebracht und bewahrt hatten. Dassausgerechnet sie objekt des geplanten angriffs werden sollten, istkaum auf konkrete Vergehen der iazygen zurückzuführen, als viel-mehr darauf, dass marcus die alte augusteische Expansionspolitikwieder aufnahm, die im wesentlichen das ziel verfolgte, die lückenzu schließen, die vergangene Eroberungen offen gelassen hatten.Dass an diese politik gerade jetzt im großen Stil angeknüpft wurde,hängt wohl auch damit zusammen, dass marcus sich durch diemilitärischen Erfolge seines jüngeren bruders im partherkrieg inseinem Stolz und Geltungsbedürfnis zurückgesetzt fühlte.
marcus und Verus brachen im frühjahr 168 n. chr. in das auf-marschgebiet auf. in Aquileia, wo sie einen längeren aufenthalt ein-legten, erreichte sie eine gemeinsame Gesandtschaft der Völkernördlich der Donau, die um frieden nachsuchte. lucius Verus sei,dem bericht der Historia Augusta zufolge,77 geneigt gewesen, auf dieangebote einzugehen und den aufmarsch abzubrechen. Dabeispielte wohl – abgesehen davon, dass Verus sich seine militärischenauszeichnungen bereits verdient hatte – eine rolle, dass die nachnorden ziehenden truppen die aus dem orient eingeschlepptetödliche Seuche mitbrachten. Der leibarzt der kaiserlichen brüder,Galen, berichtet in seinen Erinnerungen an diese zeit vom mas-sensterben unter der zivilbevölkerung und den Soldaten. Dochmarcus, der Senior der beiden Herrscher, widersetzte sich einemfriedensabkommen. im lauf des Jahres 168 n. chr. inspizierten diebeiden imperatoren die im aufbau befindliche front, marcus zumlosschlagen drängend, Verus eher widerwillig. im Winter168/169 n. chr. begaben sich die imperatoren auf Verus’ Wunschwieder nach italien. Doch die Epidemie begleitete das zurückver-legte kaiserliche Hauptquartier. als die Seuche Aquileia erreichte,brachen die kaiserlichen brüder in richtung rom auf, doch nachnur kurzer Wegstrecke ereilte Verus 169 n. chr., möglicherweiseim februar, in Altinum der tod durch einen Schlaganfall. marcusgab seinem bruder daraufhin das letzte Geleit in die Hauptstadt, woder Verstorbene vergöttlicht und standesgemäß beigesetzt wurde.
zu diesem zeitpunkt waren die kaiserliche und die Staatskassebereits so stark strapaziert, dass sich marc aurel zu dem spekta-
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195Eroberungspolitik und ihr Scheitern
kulären und öffentlichkeitswirksamen Schritt entschloss, mobiliar,Schmuck und Garderobenstücke aus kaiserlichem privatbesitz zuversteigern, um Geld für die kriegskasse einzunehmen. Die Epi-demie hatte in die Expeditionsarmee unterdessen so enorme lü-cken gerissen, dass sich der imperator entgegen dem Herkommendazu entschloss, unter Sklaven, Gladiatoren und dalmatischen ban-diten Soldaten zu rekrutieren. Doch alle diese Widrigkeiten undrückschläge konnten marcus nicht von dem angriffsplan gegendie iazygen abbringen. Der Historia Augusta zufolge sollte derniederwerfung der iazygen die Unterwerfung und annexion derQuaden und markomannen folgen.78 Doch so weit kam es nicht.Der erste Vorstoß der römischen legionen endete 170 n. chr. alsmisserfolg, mit schweren Verlusten und dem rückzug über dieDonau und die theiß.
nach dem römischen angriff stimmten die betroffenen Völker,vor allem die Quaden, markomannen, iazygen und kostoboken,ihre politik stärker aufeinander ab, und ad hoc gebildete abtei-lungen unternahmen Strafexpeditionen bis tief in imperiales Ge-biet hinein, die römische kräfte banden, aber keine nachhaltigestrategische Wirkung hatten. besonders nachdrücklich in Erinne-rung geblieben ist der Überfall einer markomannisch-quadischenGruppe auf die venetische Stadt Opitergium (oderzo) in nordost-italien, der erste germanische angriff auf eine italische Stadt seitdem kimbernzug 101 v. chr.
Doch noch im lauf des Jahres 171 n. chr. gingen römische Ver-bände nördlich der Donau wieder zur offensive über. Der impera-tor leitete die operationen in unmittelbarer frontnähe von demHauptquartier in Carnuntum (niederösterreich) aus. Die allianzder Gegner erwies sich in der Defensive als brüchig, die römischenangreifer konnten einzelne fürstentümer besetzen, ohne dasswirksame Hilfe von den nachbarn geleistet wurde. bereits Ende171 n. chr. konnten die Quaden wieder in ein separates Vertrags-verhältnis gebracht werden, das ihnen harsche bedingungen auf-erlegte. archäologische und epigraphische funde (lagerreste undinschriften, zum beispiel in trenčin in der westlichen Slowakei)zeigen zudem, dass der ausbau der römischen besatzungsstruktu-
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ren nördlich der Donau entschlossen vorangetrieben wurde. DieQuaden waren offenkundig ausersehen, teil der projektierten pro-vinz Marcomannia zu werden. ihren Versuch, zu den als stammver-wandt angesehenen Semnonen auszuwandern, unterband marcusmit militärischen mitteln.
Die chronologie der folgenden kriegsjahre 172–175 n. chr. istnahezu heillos verwirrt. mehrfach ist in den erhaltenen fragmen-ten aus cassius Dios Geschichtswerk angedeutet, dass die Quadenauch nach 172 ihre endgültige Unterwerfung noch nicht akzeptier-ten und ziel von angriffen wurden. aber das Hauptaugenmerk deskaisers richtete sich in diesen vier Jahren auf die markomannenund die sarmatischen iazygen. in dieser zeit soll marcus einenVölkermord an den iazygen geplant haben,79 der allerdings auf-grund der militärischen kräfteverhältnisse nicht umgesetzt werdenkonnte. 175 n. chr. schloss der imperator mit den iazygen einenfriedensvertrag, der die auslieferung der über 100000 Gefange-nen und Überläufer durch die iazygen vorsah und sie zur Stellungmilitärischer bundeshilfe verpflichtete. Die friedensbereitschaftdes kaisers stellte sich vor dem Hintergrund einer krisenhaftenzuspitzung der politischen Situation im imperium ein. Die wach-senden kriegskosten und der steigende Steuerdruck führten zuSteuerflucht der bevölkerung und zu regionalen rebellionen wiedem sogenannten «Hirtenaufstand» im nildelta (171/172 n. chr.).als im frühjahr 175 n. chr. das Gerücht die runde machte, derimperator sei gestorben, ließ sich avidius cassius, der von marcusmit der bekämpfung der ägyptischen rebellen betraut worden war,von seinen truppen zum imperator ausrufen. Diese Usurpationfand in einem Gebiet, das von Syrien bis Ägypten reichte, undbei sieben legionen anerkennung. Die kriegsgegner des marcusschlossen in dieser Situation bereitwillig frieden mit dem impe-rator, was sie ja bereits sieben Jahre zuvor angeboten hatten. mehrnoch: Sie beteiligten sich aktiv an dem kriegszug gegen avidiuscassius; allein die iazygen stellten 8000 reiter für diesen kriegan der Seite von marcus.
zu größeren kämpfen kam es indes nicht mehr: cassius wurdeim Juli 175 von Soldaten seines Heeres ermordet, woraufhin die
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gesamte rebellion sofort zusammenbrach. Der vorbereitete feld-zug in die ostprovinzen wurde dennoch unter marc aurels lei-tung durchgeführt, zum einen als Strafexpedition gegen die Unter-stützer der «rebellion des ostens», zum anderen um vor augen zuführen, dass der imperator noch lebte. auf die bei solchen Gele-genheiten üblichen Schauprozesse und öffentlichen Exekutionenverzichtete marcus weitgehend und setzte auf Versöhnung. imDezember 176 feierte er einen triumph über Germanen und Sar-maten und konnte damit endlich im Hinblick auf militärischesprestige mit seinem verstorbenen bruder gleichziehen. im Som-mer 177 wurde sein einziger überlebender Sohn – vier oder fünfseiner Söhne waren im kindesalter gestorben –, lucius aureliuscommodus, durch «Senat und Volk» zum augustus und damitzum gleichberechtigten mitherrscher marc aurels ernannt.
Wenige monate später beschloss der imperator, den 175 n. chr.unterbrochenen Eroberungskrieg nördlich der Donau wieder auf-zunehmen und ihn, in den Worten des biographen, «endgültig ab-zuschließen».80 in der christlichen literatur ist die zeit, in der dersogenannte «zweite Germanische feldzug» marc aurels vorberei-tet wurde, als eine phase besonders scharfer antichristlicher re-pression in Erinnerung geblieben. Ein zeitgenosse der Ereignisse,athenagoras von athen, beklagte sich in seiner um 178 n. chr. anmarcus und commodus gerichteten petition, dass die christen nurum ihres namens willen mit kaiserlicher billigung systematisch ge-jagt und misshandelt würden. Der berühmte brief der christlichenGemeinden von Lugdunum (lyon) und Vienna (Vienne), in denendiese ihren Schwestergemeinden in den provinzen Asia und Phrygiavon den extrem gewalttätigen und vom kaiser gestatteten pogro-men gegen die christen von Lugdunum berichten, ist ein weitereszeugnis für den Staatsterror jener Jahre. marc aurel verfuhr offen-bar nach einer trivialen Sündenbock- und ablenkungsstrategie.
Die Gesamtsituation des imperiums war in der tat beängsti-gend. Während der Hochphase der durch die militärbewegungenweit verbreiteten Epidemie mussten jährlich wahrscheinlich zehnbis zwanzig prozent der mannschaftsbestände ersetzt werden.Überall im reich waren rekrutierungsoffiziere unterwegs, um
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V. Expansionspolitik, Seuche und Bürgerkrieg198
junge männer für die Schlachtfelder an der Donau in Dienst zustellen. Um dem stetig steigenden Steuerdruck und den rekru-tierungen zu entkommen, entschlossen sich wahrscheinlich viele,Haus und Hof zu verlassen. aus einem regierungsbezirk in nord-ostägypten ist eine Statistik aus den frühen 170er Jahren erhalten,die die Schrumpfung einzelner Dorfpopulationen gegenüber denalten Steuerregistern festhält: in einzelnen Dörfern des bezirksfehlten über siebzig prozent, in anderen sogar weit über neunzigprozent der ursprünglich ansässigen Steuern zahlenden bevöl-kerung. Die fluchtbewegung und auch die durch die Epidemiebedingte Sterblichkeit können nicht überall so drastisch zutagegetreten sein, aber die krisensymptome sind insgesamt eindeutig:Die «glückseligste zeit des menschengeschlechts» war offenbarnicht angebrochen.
Vor diesem Hintergrund erfolgte am 3. august 178 n. chr. deroffizielle aufbruch der beiden augusti an die Donaufront. in derkurzen zeit, die marcus noch als befehlshaber an der nordfrontbis zu seinem tod am 17. märz 180 verblieb, gelang es, im Sied-lungsgebiet der markomannen und Quaden (vgl. karte S. 191) be-satzungstruppen in der Größenordnung von 20000 mann fest zuetablieren, die an ihren Garnisonsstandorten bereits lagerbädererrichteten – ein deutliches zeichen dafür, dass sich die besatzerdauerhaft einzurichten gedachten. Die römer führten in der for-mulierung eines modernen forschungsartikels einen «rigorosenVernichtungskrieg gegen die dortige bevölkerung und deren Er-nährungsgrundlage».81 «Wäre ihm (marcus) nur ein einziges Jahrmehr vergönnt gewesen, hätte er aus diesen (den markomannen,Quaden und iazygen) provinzen gemacht», schrieb bedauernd derspätantike biograph des marcus aus ferner rückschau.82 Dochder vollkommen erschöpfte imperator verstarb im frühjahr 180in einem feldlager (in Vindobona oder Sirmium), vielleicht an denfolgen einer krebserkrankung oder als opfer der immer nochvirulenten Seuche, die die römischen truppen 15 Jahre zuvor vonden mesopotamischen kriegsschauplätzen in das imperium einge-schleppt hatten. Sein Sohn war nicht bereit, den «Vernichtungs-krieg» nördlich der Donau weiterzuführen.
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