europÄische kommissionvereinbarkeit der auch für ausländische apotheken geltenden...
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EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 13. Juli 2015 Sj.h(2015) 3290389
AN DEN HERRN PRÄSIDENTEN UND DIE MITGLIEDER DES GERICHTSHOFS DER EUROPÄISCHEN UNION
SCHRIFTSATZ
gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union,
eingereicht von der EUROPÄISCHEN KOMMISSION,
Prozessbevollmächtigte: Emmanuel Manhaeve, Attila Sipos und Julian Herkommer, Mitglieder des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission,
Zustellungsanschrift: Merete Clausen, Mitglied des Juristischen Dienstes der Kommission, Bâtiment BECH, L-2721, Luxemburg - der Zustellung aller Verfahrensschriftstücke über e- Curia wird zugestimmt -
in der Rechtssache C-148/15
Deutsche Parkinson Vereinigung e.V.,
- Beklagter und Berufungskläger-
gegen
Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V.,
- Kläger und Berufungsbeklagter -
wegen Vorabentscheidung gemäß Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, beantragt vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland), zur Auslegung der Artikel 34 und 36 AEUV im Hinblick auf die Anwendung eines im nationalen Recht angeordneten einheitlichen Apothekenabgabepreises für verschreibungspflichtige Arzneimittel auf den grenzüberschreitenden Versandhandel.
Ref. Ares(2015)2940434 - 13/07/2015
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Die Kommission beehrt sich, in der vorliegenden Rechtssache wie folgt Stellung zu nehmen:
L SACHVERHALT UND AUSGANGSVERFAHREN
1. Das Ausgangsverfahren betrifft die Auslegung der Artikel 34 und 36 des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Bezug auf eine nationale
gesetzliche Regelung über die Festlegung von Festpreisen für die Abgabe von
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch Apotheken an Verbraucher. Nach den
Angaben im Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf und im
erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts Düsseldorf1 liegt dem Ausgangsverfahren im
Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
2. Die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V., der Beklagte des Ausgangsverfahrens, ist eine
als eingetragener Verein verfasste Selbsthilfeorganisation. Das Ziel dieses Vereins ist es,
die Lebensumstände von Parkinson-Patienten und deren Familien zu verbessern.
3. Mit Schreiben vom Juli 2009 wandte sich der Beklagte an seine Mitglieder und bewarb
eine Kooperation zwischen ihm und einer niederländischen Versandapotheke. Diese
Kooperation umfasste ein Bonussystem, das verschiedene Boni für rezeptpflichtige, nur
über Apotheken erhältliche Parkinson-Medikamente bei deren Bezug durch die
Mitglieder des Beklagten von der niederländischen Versandapotheke vorsieht. Nach
diesem System erhalten Neukunden bei ihrer ersten Bestellung einen einmaligen Betrag
in Höhe von 5 Euro. Zusätzlich erhalten sie bei sämtlichen Bestellungen einen Bonus in
Höhe von 2,50 Euro pro Rezept und einen weiteren Bonus in Höhe von 0,5 % des
Warenwertes des rezeptpflichtigen Arzneimittels.
4. Der Kläger, ein Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, sieht in der Werbung
einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), da das
beworbene Bonusmodell gegen die gesetzlich vorgesehene Festlegung eines
einheitlichen Apothekenabgabepreises verstoße.
Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 26. Juni 2013 - 12 0 411/09 U, abrufbar unter http://openjur.de/u/673 846.html.
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5. Mit Schreiben vom 29. Juli 2009 mahnte der Kläger den Beklagten ab und forderte ihn
erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Danach verfolgte
er sein Begehren im Klagewege vor dem Landgericht Düsseldorf weiter.
6. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und dem Beklagten untersagt, im Rahmen
einer Kooperation mit der niederländischen Versandapotheke deren Bonusmodell zu
empfehlen.
7. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt,
der Beklagte habe mit dem streitgegenständlichen Anschreiben gegen § 3 und
§ 4 Nummer 11 U WG in Verbindung mit § 78 Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie
Absatz 3 Satz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) und § 1 Absatz 1 und 4 sowie § 3
Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) verstoßen. Das Schreiben stelle eine
geschäftliche Handlung des Beklagten dar, die unlauter sei. Das beworbene Bonussystem
sei wettbewerbsrechtlich unzulässig, da es gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung
verstoße. Das Landgericht stützt sich in dem Zusammenhang auch auf § 7 Absatz 2 Nr. 2
Halbsatz 2 Heilmittelwerbegesetz (HWG), wonach Zuwendungen oder Werbegaben in
Form von Geldbeträgen unzulässig sind, soweit sie entgegen der aufgrund des AMG
geltenden Preisvorschriften gewährt werden. Die in Rede stehenden Regelungen hätten
schon im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Handlung auch für Lieferungen der im
Ausland ansässigen Kooperationspartnerin des Beklagten gegolten. Für die Zukunft
ergebe sich dies aus § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG in der Fassung vom 26. Oktober 2012.
8. Gegen das Urteil des Landgerichts legte der Beklagte Berufung vor dem
Oberlandesgericht Düsseldorf ein. Das Oberlandesgericht hat Zweifel an der
Vereinbarkeit der auch für ausländische Apotheken geltenden arzneimittelrechtlichen
Preisbindung mit den Artikeln 34 und 36 AEUV über die Warenverkehrsfreiheit. Nach
Ansicht des Oberlandesgerichts hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von
dieser Frage ab.
9. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat daher mit Beschluss vom 24. März 2015 das
Berufungsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
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"1. Ist Art. 34 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine durch nationales Recht angeordnete Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV darstellt?
2. Sollte der Gerichtshof die Frage zu Nummer 1) bejahen:
Ist die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß Art. 36 AEUV zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt, wenn nur durch sie eine gleichmäßige und flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in ganz Deutschland, insbesondere in den ländlichen Gebieten gewährleistet wird?
3. Sollte der Gerichtshof auch die Frage zu Nummer 2) bejahen:
Welche Anforderungen sind an die gerichtliche Feststellung zu treffen, dass der in Ziffer 2 2. Halbsatz genannte Umstand tatsächlich zutrifft?"
10. Abschließend sei erwähnt, dass die Kommission gegen Deutschland ein
Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, da sie der Auffassung ist, dass die
Anwendung der deutschen AMPreisV auf Versandapotheken in anderen Mitgliedstaaten
gegen die Artikel 34 und 36 AEUV verstößt. Auf das Mahnschreiben der Kommission
vom 20. November 2013 hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit
Mitteilung vom 21. Januar 2014 geantwortet.
11. RECHTLICHER RAHMEN
A. UNIONSRECHT
11. Artikel 34 AEUV lautet:
"Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten. "
Artikel 36 AEUV bestimmt:
"Die Bestimmungen der Artikel 34 und 35 stehen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. "
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Artikel 168 Absatz 7 Sätze 1 und 2 AEUV enthält folgende Regelungen:
"Bei der Tätigkeit der Union wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gewahrt. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten umfasst die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel. "
B. NATIONALES RECHT
12. Nach § 78 Absatz 2 Satz 2 und 3 AMG ist für verschreibungspflichtige
Fertigarzneimittel ein einheitlicher Apothekenabgabepreis zu gewährleisten.2
13. Die Festlegung dieses Apothekenabgabepreises erfolgt auf indirekte Weise.
Ausgangspunkt für die Preisfestlegung ist zunächst § 78 Absatz 3 Satz 1 AMG. Danach
haben die pharmazeutischen Unternehmer einen einheitlichen Abgabepreis
sicherzustellen. Dieser einheitliche Abgabepreis wird für die Berechnung des
Höchstpreises verwendet, den der Großhandel bei der Abgabe im Wiederverkauf an die
Apotheken (§ 2 Absatz 1 Satz 1 und 2 AMPreisV) verlangen darf. Die Apotheken
ihrerseits müssen bei der Abgabe im Wiederverkauf an die Verbraucher auf diesen
Höchstpreis des Großhandels einen Festzuschlag, einen Zuschlag in Höhe von 8,35 Euro,
16 Cent zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes sowie die Umsatzsteuer
hinzuaddieren (§ 3 Absatz 1 und 2 AMPreisV). Daraus resultiert der einheitliche
Apothekenabgabepreis.
14. Am 28. Juli 2008 urteilte das Bundessozialgericht, dass Arzneimittel im Ausland nach
dem völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip nicht der deutschen AMPreisV unterworfen
sind. Als der Bundesgerichtshof 2009 von dieser Rechtsprechung abrücken wollte,
verwies er die Frage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes.4
Dieser entschied am 22. August 2012, dass die AMPreisV auch Anwendung findet, wenn
Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat verschreibungspflichtige
Dasselbe gilt für nicht verschreibungspflichtige, aber apothekenpflichtige Arzneimittel, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden (vgl. dazu § 78 Absatz 2 Satz 3 AMG, § 34 Absatz 1 Satz 2 und 5 SGB (Sozialgesetzbuch) V sowie §129 Absatz 5a SGB V). Diese Vorschriften sind jedoch ausweislich der Fragestellung des Vorlagegerichts nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Juli 2008 - B 1 KR 4/08 R, abrufbar unter https://openjur.de/u/170179. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9. September 2010 -1 ZR 72/08, abrufbar unter https://openjur.de/u/67800.html.
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Arzneimittel im Wege des Versandhandels an Endverbraucher in Deutschland abgeben.5
Am 25. Oktober 2012 wurde dies auch durch eine Ergänzung von § 78 Absatz 1 AMG
um einen Satz 4 ausdrücklich gesetzlich festgelegt.6
15. Die wesentlichen Bestimmungen von § 78 Absatz 1 bis 3 AMG lauten wie folgt:
"(1) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium [für Gesundheit] [...] durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
1. Preisspannen für Arzneimittel, die im Großhandel, in Apotheken oder von Tierärzten im Wiederverkauf abgegeben werden, [...]
festzusetzen. Abweichend von Satz 1 wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium [für Gesundheit] durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den Anteil des Festzuschlags, der nicht der Förderung der Sicherstellung des Notdienstes dient, entsprechend der Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung anzupassen. [...] Die Arzneimittelpreisverordnung, die auf Grund von Satz 1 erlassen worden ist, gilt auch für Arzneimittel, die gemäß § 73 Absatz 1 Satz 1 Nummer la in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden.
(2) Die Preise und Preisspannen müssen den berechtigten Interessen der Arzneimittelverbraucher, der Tierärzte, der Apotheken und des Großhandels Rechnung tragen. Ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Arzneimittel, die vom Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen sind, ist zu gewährleisten. Satz 2 gilt nicht für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden.
(3) Für Arzneimittel nach Absatz 2 Satz 2, für die durch die Verordnung nach Absatz 1 Preise und Preisspannen bestimmt sind, haben die pharmazeutischen Unternehmer einen einheitlichen Abgabepreis sicherzustellen; [...] " [Auslassungen und Ergänzung durch Verfasser]
16. Von der Verordnungsermächtigung in § 78 Absatz 1 AMG wurde durch den Erlass der AMPreisV Gebrauch gemacht.
§ 1 Absatz 1 Nummer 1 und 4 und Absatz 4 AMPreisV lautet:
"(1) Für Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden (Fertigarzneimittel) und deren Abgabe nach § 43 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes den Apotheken vorbehalten ist, werden durch diese Verordnung festgelegt
Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 22. August 2012 - GmS-OGB 1/10, abrufbar unter http://openjur.de/u/617231.html. Vgl. Artikel 1 Nr. 62 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012 (Bundesgesetzblatt vom 25. Oktober 2012, Teil I, Nr. 50, S. 2192, 2212).
7
1. die Preisspannen des Großhandels bei der Abgabe im Wiederverkauf an Apotheken oder Tierärzte (§ 2),
2. die Preisspannen sowie die Preise für besondere Leistungen der Apotheken bei der Abgabe im Wiederverkauf (§§ 3, 6 und 7), [...]
(4) Ausgenommen sind die Preisspannen und Preise von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. " [Auslassung durch Verfasser]
§ 2 Absatz 1 Satz 1 und 3 AMPreisV regelt die Höchstzuschläge des Großhandels:
"(1) Bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, durch den Großhandel an Apotheken oder Tierärzte darf auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ohne die Umsatzsteuer höchstens ein Zuschlag von 3,15 Prozent, höchstens jedoch 37,80 Euro, zuzüglich eines Festzuschlags von 70 Cent sowie die Umsatzsteuer erhoben werden. [...] Der Berechnung der Zuschläge nach Satz 1 ist jeweils der Betrag zugrunde zu legen, zu dem der pharmazeutische Unternehmer das Arzneimittel nach § 78 Absatz 3 oder Absatz 3a des Arzneimittelgesetzes abgibt. " [Auslassung durch Verfasser]
§ 3 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 AMPreisV regelt die Festzuschläge der Apotheken und
die Berechnung des einheitlichen Apothekenabgabepreises:
"(1) Bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, durch die Apotheken sind zur Berechnung des Apothekenabgabepreises ein Festzuschlag von 3 Prozent zuzüglich 8,35 Euro zuzüglich 16 Cent zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes sowie die Umsatzsteuer zu erheben. [...]
(2) Der Festzuschlag ist zu erheben
1. auf den Betrag, der sich aus der Zusammenrechnung des bei Belieferung des Großhandels geltenden Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne die Umsatzsteuer und des darauf entfallenden Großhandelshöchstzuschlags nach § 2 ergibt,
2. bei Fertigarzneimitteln, die nach § 52b Absatz 2 Satz 3 des Arzneimittelgesetzes nur vom pharmazeutischen Unternehmer direkt zu beziehen sind, auf den bei Belieferung der Apotheke geltenden Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ohne die Umsatzsteuer; § 2 Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. " [Auslassung durch Verfasser]
17. § 7 Absatz 1 Nummer 2 des Heilmittelgesetzes (HWG) verbietet es, entgegen der oben
genannten Preisvorschriften Geldrabatte zu gewähren. Nach derselben Vorschrift sind
Mengenrabatte auf apothekenpflichtige Medikamente unzulässig.
18. §§3 und 4 UWG enthalten Verbote unlauterer geschäftlicher Handlungen. Unter den
Begriff der unlauteren Handlung fallen auch Verstöße gegen die oben genannten
Vorschriften der AMPreisV und des HWG. § 8 UWG regelt den Anspruch auf
Unterlassung unlauterer geschäftlicher Handlungen.
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I I I . RECHTLICHE WÜRDIGUNG
A. ERSTE VORLAGEFRAGE
1. Auslegung der ersten Vorlagefrage
19. Das vorlegende Oberlandesgericht Düsseldorf will mit seiner ersten Vorlagefrage
wissen, ob eine durch nationales Recht angeordnete Preisbindung bei
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von
Artikel 34 AEUV darstellt.
20. Für die Kommission ist es wichtig zu betonen, dass es vorliegend nicht um die rechtliche
Prüfung einer solchen Preisbindung an sich geht. Vielmehr soll lediglich geklärt werden,
inwieweit es das Primärrecht zulässt, eine derartige Preisbindung einschließlich
Rabattverbot auch auf den grenzüberschreitenden Versand von Arzneimitteln nach
Deutschland anzuwenden (nachstehend auch als "streitgegenständliche Regelung"
bezeichnet). Insoweit erscheint die Vorlagefrage zu weit formuliert. Die Vorlagefrage
kann sich vor dem Hintergrund des Ausgangsverfahrens auch nur auf den einheitlichen
Abgabepreis der Apotheken beziehen. Auch dies sollte in der Vorlagefrage präzisiert
werden. Die Kommission empfiehlt daher, die Vorlagefrage wie folgt umzuformulieren:
"Stellt eine Regelung eines Mitgliedstaats, die es in anderen Mitgliedstaaten ansässigen
Apotheken verbietet, verschreibungspflichtige Arzneimittel im Wege des
grenzüberschreitenden Versandhandels an Endkunden in diesem Mitgliedstaat unterhalb
des in diesem Mitgliedstaat geltenden einheitlichen Apothekenabgabepreises zu
verkaufen, eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 34 AEUV dar?"
2. Maßnahme gleicher Wirkung
21. Nach ständiger Rechtsprechung ist jede Maßnahme, die geeignet ist, den Handel
zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu
behindern, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige
Beschränkung.7 Die streitgegenständliche Regelung ist geeignet, das Volumen des
Absatzes von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus anderen Mitgliedstaaten
einzuschränken und damit den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zumindest
potentiell zu behindern. Durch die Preisbindung wird den Wirtschaftsteilnehmern
nämlich eine Methode der Absatzförderung genommen. Sie haben nicht die Möglichkeit,
7 Urteil vom 11. Juli 1974, Dassonville, 8/74, EU:C: 1974:82, Rn. 5.
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ihre Preise frei festzulegen und auf den Markt des Einfuhrmitgliedstaates auszurichten.
Sie können auch nicht ihre Wettbewerbsvorteile nutzen.9
22. Bestimmte Verkaufsmodalitäten werden jedoch nicht vom Verbot des Artikels 34 AEUV
umfasst. Verkaufsmodalitäten betreffen nicht die Merkmale eines Erzeugnisses, sondern
nur die Modalitäten unter denen es verkauft werden darf. Dies trifft auf die
streitgegenständliche Preisregelung zu. Die Anwendung des Artikels 34 AEUV auf
Verkaufsmodalitäten ist jedoch nur dann ausgeschlossen, sofern sie für alle betroffenen
Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den
Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten
rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Anderenfalls sind diese
Regelungen geeignet, den Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu
behindern. In einem solchen Falle handelt es sich um eine Maßnahme gleicher
Wirkung.10
23. Vorliegend wird der Absatz der inländischen Arzneimittel und der importierten
Arzneimittel jedoch tatsächlich nicht in gleicher Weise berührt. Durch die
streitgegenständliche Regelung wird der Marktzugang für importierte Arzneimittel de
facto stärker behindert als der Marktzugang für inländische Erzeugnisse.
24. Dies folgt daraus, dass die inländischen Versandapotheken von der
streitgegenständlichen Regelung nicht berührt werden, aber die ausländischen
Versandapotheken die strukturellen Nachteile des grenzüberschreitenden
Versandhandels nicht durch das Angebot wettbewerbsfähiger Preise kompensieren
können. Daher ist von einer Maßnahme gleicher Wirkung auszugehen.
25. Für außerhalb Deutschlands ansässige Apotheken stellen der Versandhandel und
insbesondere der Online-Handel die einzige Möglichkeit dar, direkten Zugang zum
deutschen Markt zu erhalten. Dies liegt daran, dass die meisten dieser Apotheken
8 Vgl. zu diesem Argument Urteile vom 24. November 1993, Keck und Mithouard, C-267/91 und C-268/91, EU:C:1993:905, Rn. 13 und vom 11. August 1995, Belgapom, C-63/94, EU:C: 1995:270, Rn. 11.
9 Vgl. dazu Urteil des Gerichtshofs vom 24. Januar 1978, van Tiggele, 82/77, EU:C:1978:10, Rn. 13/15; Urteil des Gerichtshofs vom 10. Januar 1985, Leclerc/Au blé vert, 229/83, EU:C:1985:1, Rn. 26; Urteil des Gerichtshofs vom 29. Januar 1985, Cullet/Leclerc, 231/83, EU:C:1985:29, Rn. 23.
10 Urteil vom 2. Juli 1987, Levèfre, 188/86, EU:C: 1987:327, Rn. 10, m.w.N.; Urteil vom 24. November 1993, Keck und Mithouard, C-267/91 und C-268/91, EU:C:1993:905, Rn. 16 und 17; Urteil vom 10. Februar 2009, Kommission/Italien, C-l 10/05, EU:C:2009:66, Rn. 36; Urteil vom 30. April 2009, Fachverband der Buch- und Medienwirtschaft/Libro, C-531/07, EU:C:2009:276, Rn. 17.
10
aufgrund ihrer Rechtsform in Deutschland keine Filialapotheke eröffnen dürfen.11 Für
die in Deutschland ansässigen Apotheken stellt der Versand-ZOnlinehandel hingegen
lediglich einen willkommenen zusätzlichen Vertriebsweg dar. Diese unterschiedlichen
Marktzugangsmöglichkeiten der ausländischen und inländischen Apotheken hat auch der
Gerichtshof in der Rechtssache DocMorris12 herausgearbeitet.
26. Grundsätzlich schrecken Verbraucher davor zurück, über das Internet Waren aus dem
Ausland zu bestellen. Um überhaupt eine Chance zu haben, über diesen einzigen
Vertriebsweg Zugang zum deutschen Markt für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu
erlangen, muss es den ausländischen Versandapotheken daher möglich sein,
wettbewerbsfähige Preise anzubieten, die unterhalb des in der AMPreisV geregelten
einheitlichen Apothekenabgabepreises liegen.13
27. Die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Apotheken haben außerdem im Hinblick auf
den Verkauf der verschreibungspflichtigen Arzneimittel in Deutschland bestimmte
Vertriebskosten, die höher sind als bei den in Deutschland ansässigen Apotheken. So
sind die Portokosten für den grenzüberschreitenden Versand in der Regel höher als für
den Inlandsversand. Außerdem können die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen
Apotheken im Gegensatz zu den in Deutschland ansässigen Apotheken grundsätzlich
nicht die Arzneimittel für den Versand nach Deutschland verwenden, die sie in der
Präsenzapotheke vor Ort für ihre Kunden vorhalten. Dies folgt unter anderem daraus,
dass die in Deutschland vertriebenen Arzneimittel aufgrund der derzeitigen deutschen
Gesetzeslage auf Deutsch gekennzeichnet werden müssen und die Packungsbeilage auf
Deutsch verfasst sein muss (vgl. § 10 und § 11 AMG). Die in anderen Mitgliedstaaten
ansässigen Apotheken müssen sich zusätzlicher Lieferketten bedienen, um auch die auf
dem deutschen Markt zugelassenen Arzneimittel anbieten zu können. Dies verursacht
zusätzliche Kosten. Diese entstehen insbesondere daraus, dass die Arzneimittel erst
grenzüberschreitend zur Versandapotheke geliefert werden müssen, was deutlich teurer
ist als eine Belieferung innerhalb Deutschlands. Aufgrund der streitgegenständlichen
Vgl. dazu § 1 Absatz 2 und § 2 Absatz 1 Nummer 3 in Verbindung mit §§7 und 8 Apothekengesetz (ApoG) sowie das Urteil des Gerichtshofs vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes, C-171/07 und C-172/07, EU:C:2009:316, welches die Europarechtskonformität dieser Regelungen bestätigt hat. Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2003, DocMorris, Rs. C-322/01, Rn. 74. Eine ähnliche Erwägung findet sich im Urteil vom 8. März 2001, Gourmet International Products, C-405/98, EU:C:2001:135, Rn. 21, in Bezug auf Werbeverbote, die sich auf (ausländische) Produkte stärker auswirken als auf inländische Erzeugnisse, mit denen der Verbraucher besser vertraut ist.
11
Regelung werden die in den anderen Mitgliedstaaten ansässigen Apotheken daran
gehindert, durch das Angebot günstigerer Preise und Boni genügend Kunden in
Deutschland zu gewinnen, um trotz der genannten höheren Kosten
verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland noch wirtschaftlich absetzen zu
können.14
28. Die Regelungen der AMPreisV bedeuten letztlich auch, dass im Ausland ansässige
Apotheken bestimmte auf rein inländischen Kostenfaktoren beruhende Preisbestandteile
bei der Preisfestsetzung verbindlich zu beachten haben. Dies birgt immer das Risiko in
sich, dass der freie Warenverkehr beeinträchtigt wird.15
29. So muss den Kunden nach § 3 Absatz 1 AMPreisV pro Arzneimittel 16 Cent zur
Förderung der Sicherstellung des Notdienstes in Rechnung gestellt werden. Die
Zuschläge für den Notdienst müssen die Apotheken an den vom Deutschen
Apothekerverband e.V. errichteten und verwalteten Fonds zur Förderung der
Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken abführen.16 Aus diesem Fonds erhalten
die Apotheken für jeden erbrachten Notdienst einen Zuschuss.17 Dadurch sollen
Belastungen für Apotheken insbesondere in dünn besiedelten Gebieten ausgeglichen
werden. Diese haben häufiger Notdienst, wobei die tatsächliche Inanspruchnahme des
Notdienstes oft gering sein mag.18 Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die in
anderen Mitgliedstaaten ansässigen Apotheken Teil dieses - soweit ersichtlich -
territorial auf Deutschland beschränkten Finanzierungs- und Umverteilungssystems
wären. Sie kommen ihren Notdienstverpflichtungen in dem Mitgliedstaat nach, in dem
sie ansässig sind, und zu den dort geltenden finanziellen Rahmenbedingungen. Dies führt
aber dazu, dass die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Apotheken bei ihren Kunden
Beträge in einer bestimmten Höhe geltend machen müssen, ohne dass sie diese Beträge
zweckentsprechend an den Fonds zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von
14 Siehe auch Bericht des Bundeskartellamts über seine Tätigkeit in den Jahren 2009/2010 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet, und Stellungnahme der Bundesregierung in Bundestags-Dmcksache 17/6640, S. 102 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/066/1706640.pdf). Dort wird darauf hingewiesen, dass es sich bei den Bonuszahlungen oder Erstattungen der Zuzahlungsbeiträge durch Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland um eine Art Gegenleistung handele, um die Nachteile des Versandweges bei verschreibungspflichtigen Medikamenten auszugleichen.
15 Vgl. zum Problem der Preisfestsetzung aufgrund der Kostenfaktoren von inländischen Erzeugnissen Urteil vom 19. März 1991, Kommission/Belgien, C-249/88, EU:C:1991:121, Rn. 7 ff.
16 Vgl. § 19 Absatz 1 Apothekengesetz. 17 Vgl. § 20 Absatz 3 Apothekengesetz. 18 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken,
Bundestags-Dmcksache 17/13081, S. 1 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/130/1713081.pdf).
12
Apotheken abführen müssen. Die ausländischen Apotheken müssen daher von ihren
Kunden Beträge geltend machen, denen im Prinzip keine „Gegenleistung"
(Sicherstellung des Notdienstes) gegenübersteht. Sie haben nämlich keine Möglichkeit,
die 16 Cent von ihren Preisen in Abzug zu bringen und die fehlende „Gegenleistung"
auszugleichen. Durch eine solche auf rein inländischen Kostenfaktoren beruhende
Preisfestsetzung werden sie gegenüber inländischen Apotheken benachteiligt.
B. ZWEITE UND DRITTE VORLAGEFRAGE
1. Auslegung der zweiten und dritten Vorlagefrage
30. Mit der zweiten Vorlagefrage will das Oberlandesgerichts Düsseldorf wissen, ob die
Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß Artikel 36 AEUV zum
Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt ist, wenn nur durch
sie eine gleichmäßige und flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in
ganz Deutschland, insbesondere in den ländlichen Gebieten gewährleistet wird. Diese
Frage unterstellt bereits, dass die streitgegenständliche Regelung die einzige Alternative
ist, um die gleichmäßige und flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung
Deutschland sicherzustellen. Ob die Erreichung eines von Artikel 36 AEUV geschützten
Regelungsinteresses nur durch eine bestimmte Maßnahme oder durch andere den freien
Warenverkehr weniger beschränkende Maßnahmen erreicht werden kann, ist jedoch
gerade Gegenstand der nach Artikel 36 AEUV erforderlichen
Verhältnismäßigkeitsprüfung. Eher auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung zielt die dritte
Vorlagefrage mit der das vorlegende Gericht im Ergebnis wissen möchte, ob die
Verhältnismäßigkeit der Preisregelung in tatsächlicher Hinsicht gegeben ist. Die Fragen
sind daher eng verknüpft.
31. Die Kommission empfiehlt daher, die zweite und dritte Vorlagefrage wie folgt in eine
Frage umzuformulieren und dabei auch die unter Randziffer 20 genannten
Präzisierungen vorzunehmen: "Kann die Regelung eines Mitgliedstaats, die es in anderen
Mitgliedstaaten ansässigen Apotheken verbietet, verschreibungspflichtige Arzneimittel
im Wege des grenzüberschreitenden Versandhandels an Endkunden in diesem
Mitgliedstaat unterhalb des in diesem Mitgliedstaat geltenden einheitlichen
Apothekenabgabepreises zu verkaufen, nach Artikel 36 AEUV mit der Begründung
gerechtfertigt werden, dass die Regelung das einzige Mittel ist, um in dem Mitgliedstaat
13
eine gleichmäßige und flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu
gewährleisten?"
2. Rechtfertigung nach Artikel 36 AEUV
2.1. Mögliche Rechtfertigungsgründe
32. Deutschland hält die streitgegenständliche Regelung aus Gründen des
Gesundheitsschutzes für gerechtfertigt. Die entsprechenden einzelnen Gründe lassen sich
unter anderem der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung19 sowie der
Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum Zweiten Gesetz zur ·· ^ ^ Ο Λ Anderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften und anderer Vorschriften entnehmen.
Danach werde durch die streitgegenständliche Regelung der Gefahr eines ruinösen
Preiswettbewerbs unter Apotheken entgegengewirkt. Dadurch werde die im öffentlichen
Interesse gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit
Arzneimitteln sichergestellt.21
33. Durch das Anpreisen günstigerer Preise oder Mengenrabatte bestünde laut
höchstrichterlicher Rechtsprechung und der oben genannten Gesetzesbegründung immer
auch die Gefahr eines Fehl- oder Mehrgebrauchs. Ärzte könnten unter Druck gesetzt
werden und Wunschverschreibungen ausstellen. Der Patient müsse sich außerdem darauf
verlassen können, dass er in jeder Apotheke das Arzneimittel zu demselben Preis
erhalten könne. Er solle nicht in die Situation gelangen, dass er in der besonderen
Situation der Krankheit Preise vergleichen müsse (Schutz des Patienten vor
Überforderung). Die genannten Schutzwirkungen der Regelungen gingen verloren, wenn
die Preisbindung für ausländische Versandapotheken nicht gelten würde.22 Ein weiteres
Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 22. August 2012 -GmS-OGB 1/10 (vgl. Fußnote 5); Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Februar 2014 - I ZR 77/09, Rn. 33, abmfbar unter http://openjur.de/u/685209.html. Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs in der Bundestags-Drucksache 17/9341 (18.4.2012), S. 6667, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/093/1709341.pdf. Das Zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften und andere Vorschriften ergänzte § 78 AMG um die Klarstellung, dass die AMPreisV auch für den Versandhandel aus dem Ausland nach Deutschland gilt (vgl. oben Rz. 14 und 15). Vgl. dazu Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 22. August 2012 -GmS-OGB 1/10 (vgl. Fußnote 5), Rn. 25 und 46 sowie Bundestags-Drucksache 17/9341 (vgl. Fußnote 20), S. 66. Siehe Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Februar 2014 - 1 ZR 77/09 (vgl. Fußnote 19) sowie Bundestags-Drucksache 17/9341 (vgl. Fußnote 20), S. 66-67 sowie Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 22. August 2012 - GmS-OGB 1/10 (vgl. Fußnote 5), Rn. 25 und 46.
14
Ziel der Preisbindung, die Arzneimittelpreise zu senken23, spielt für die im
Ausgangsverfahren gegebene Sachkonstellation (Rabattverbot) gerade keine Rolle.
34. Im Folgenden wird insbesondere auf die Frage eingegangen, inwieweit die
gegenständliche Regelung mit ihrem grenzüberschreitenden Anwendungsbereich nach
Artikel 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen
gerechtfertigt ist, soweit es gerade darum geht, eine flächendeckende und gleichmäßige
Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Weitere
Rechtfertigungsgründe scheint das vorlegende Gericht gerade nicht in Betracht zu
ziehen.24
35. Der Vollständigkeit halber und rein vorsorglich sei dennoch kurz erwähnt, dass die reine
Befürchtung, wonach Patienten Druck auf die Ärzte ausüben, um entgegen dem
ärztlichen Verhaltenskodex therapeutisch unnötige Ver Schreibungen auszustellen, nicht
als Rechtfertigung im Sinne von Artikel 36 AEUV herangezogen werden kann. Bei
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist aufgrund der Verschreibung der Arzneimittel
durch Ärzte nach deren Berufsregeln grundsätzlich gerade keine Gefahr des Fehl- und
Mehrgebrauchs aufgrund verkaufsfördernder Maßnahmen gegenüber Patienten 25 anzunehmen. Die Apotheken sind außerdem an die Verschreibung des Arztes gebunden
und dürfen nicht mehr als die verschriebene Menge an Arzneimitteln abgeben. Für die
weitere abstrakte Befürchtung, dass der Patient als mündiger Verbraucher wegen
unterschiedlicher Preise der Arzneimittel überfordert und zum rechtzeitigen Erwerb von
Arzneimitteln außerstande sein soll, gibt es ebenso keinerlei Anhaltspunkte.
Vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 22. August 2012 -GmS-OGB 1/10 (vgl. Fußnote 5), Rn. 25. Vgl. Vorlagebeschluss, Rn. 20. Urteil vom 22. April 2010, Association of the British Pharmaceutical Industry, C-62/09, EU:C:2010:219, Rn. 39 und 40; Urteil vom 5. Mai 2011, MSD Sharp, C-316/09, EU:C:2011:275, Rn. 37; Urteil vom 5. Dezember 2013, Venturini, verbundene Rechtssachen C-159/12 bis C-161/12, EU:C:2013:791, Rn. 56 und 57.
15
2.2. Sicherstellung der flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln als legitimes Ziel des Gesundheitsschutzes
36. Das Ziel der Gewährleistung einer sicheren und qualitativ hochwertigen Versorgung der
Bevölkerung mit Arzneimitteln kann Beschränkungen der Grundfreiheiten aus Gründen
des Gesundheitsschutzes im Sinne von Artikel 36 AEUV grundsätzlich rechtfertigen.26
37. Die Kommission hat in ihrem Mahnschreiben vom 20. November 2013 an die deutsche
Bundesregierung die Auffassung geäußert, dass es für eine gute Arzneimittelversorgung
in ländlichen Gebieten mit wenigen niedergelassenen Apotheken eher positiv wäre, wenn
die Patienten zusätzlich zu dem Angebot der lokalen Apotheken noch die Möglichkeit
haben, ihre Arzneimittel zu günstigen Preisen im Internet bzw. per Versand zu bestellen.
Durch diese Argumentation soll die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu der
flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln,
welche insbesondere auf den direkten Bezug von Arzneimitteln in örtlicher Nähe
abstellt, jedoch in keiner Weise relativiert werden.27
2.3. Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten und Nachweis der Verhältnismäßigkeit der Regelung
38. Aus Artikel 168 Absatz 7 AEUV folgt, dass bei der Tätigkeit der Union die
Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für
die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gewahrt
wird. Dennoch müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten die
Bestimmungen des AEUV über die Grundfreiheiten beachten.28
39. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Gesundheit der Bevölkerung unter den vom
Vertrag geschützten Gütern und Interessen den ersten Rang einnehmen und dass es
Sache der Mitgliedstaaten ist, in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen zu bestimmen,
auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten
Urteil vom 5. Dezember 2013, Venturini, verbundene Rechtssachen C-159/12 bis C-161/12, EU:C:2013:791, Rn. 42; Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, Rn. 25 m.w.N. Diesbezüglich weicht die Widergabe der Auffassung der Kommission im Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf von der im Mahnschreiben der Kommission tatsächlich vertretenen Auffassung ab (vgl. dazu Rn. 14 des Vorlagebeschlusses). Vgl. dazu Urteil des Gerichtshofs vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland, C-141/07, EU:C:2008:492, Rn. 22 und 23 sowie Urteil des Gerichtshofs vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes, verbundene Rechtssachen C-171/07 und C-l72/07, EU:C:2009:316, Rn. 18 und 19. Diese Urteile sind zu dem weitgehend inhaltsgleichen Artikel 152 Absatz 5 EG erlassen worden.
16
wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll.29 Da sich dieses Niveau von einem
Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, ist den Mitgliedstaaten ein
Wertungsspielraum zuzuerkennen.30
40. Wenn das Vorliegen und der Umfang von Gefahren für die menschliche Gesundheit
ungewiss ist, kann ein Mitgliedstaat Schutzmaßnahmen treffen, ohne abwarten zu
müssen, bis das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargelegt sind. Außerdem
kann der Mitgliedstaat diejenigen Maßnahmen treffen, die eine Gefahr für die
Gesundheit der Bevölkerung, einschließlich der Gefahr für die sichere und qualitativ * * 3 1 hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, weitestmöglich verringern. In
diesem Zusammenhang ist der besondere Charakter der Arzneimittel zu betonen, deren
therapeutische Wirkungen sie substanziell von den übrigen Waren unterscheiden.32
41. Nach Auffassung der Kommission ändert dieser Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten
nichts daran, dass eine den freien Warenverkehr beschränkende Regelung im Hinblick
auf die Verwirklichung eines von Artikel 36 AEUV geschützten Zieles nach ständiger
Rechtsprechung verhältnismäßig sein und der Mitgliedstaat aufzeigen muss, dass die von
ihm beanspruchte Ausnahme vom freien Warenverkehr begründet ist.33 Es obliegt den
nationalen Behörden, nachzuweisen, dass ihre Regelung geeignet ist, das verfolgte Ziel
zu erreichen und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich
ist.34 Der Mitgliedstaat muss geeignete Beweise oder eine Untersuchung zur
Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von ihm erlassenen beschränkenden
Urteil vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland, C-141/07, EU:C:2008:492, Rn. 46 und 51; Urteil vom 9. Dezember 2010, Humanplasma, C-421/09, EU:C:2010:760, Rn. 32; Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, Rn. 26. Vgl. Urteil vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland, C-141/07, EU:C:2008:492, Rn. 51; Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, Rn. 26. Urteil vom 5. Dezember 2013, Venturini, verbundene Rechtssachen C-159/12 bis C-161/12, EU:C:2013:791, Rn. 60, m.w.N. Urteil vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes, verbundene Rechtssachen C-171/07 und C-172/07, EU:C:2009:316, Rn. 31. Urteil vom 19. Juni 2003, C-420/01, Kommission/Italien, EU:C:2003:363, Rn. 30; Urteil vom 7. Juni 2007, Kommission/Belgien, C-254/05, EU:C:2007:319, Rn. 35 und 36; Urteil vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland, C-141/07, EU:C:2008:492, Rn. 50; Urteil vom 9. Dezember 2010, Humanplasma, C-421/09, EU:C:2010:760, Rn. 38; Urteil vom 6. September 2012, Kommission/Belgien, C-150/11, EU:C:2012:539, Rn. 57; Urteil vom 20. März 2014, Kommission/Polen, C-639/11, EU:C:2014:173, Rn. 55; Urteil vom 20. März 2014, Kommission/Litauen, C-61/12, EU:C:2014:172, Rn. 60. Urteil vom 9. Dezember 2010, Humanplasma, C-421/09, EU:C:2010:760, Rn. 38; Urteil vom 20. März2014, Kommission/Polen, C-639/11, EU:C:2014:173, Rn. 55; Urteil vom 20. März2014, Kommission/Litauen, C-61/12, EU:C:2014:172, Rn. 60.
17
3 5 Maßnahme vorlegen sowie genau Angaben zur Stützung seines Vorbringens machen.
Eine bloße abstrakte Berufung auf eines der von Artikel 36 AEUV umfassten
Regelungsziele reicht in dem Zusammenhang nicht aus.36
2.4. Verhältnismäßigkeitsprüfung
42. Was die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Regelung im konkreten Fall angeht,
hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Beurteilung einer Untersuchung der
rechtlichen und tatsächlichen Umstände bedarf, die die Lage in dem betroffenen
Mitgliedstaat kennzeichnen und die durchzuführen das vorlegende Gericht besser in der • 37 Lage ist. Jedoch können dem vorlegenden Gericht trotzdem Hinweise gegeben werden,
die diesem eine Entscheidung ermöglichen.38
43. Aufgrund der ihr vorliegenden Informationen ist die Kommission der Auffassung, dass
die Verhältnismäßigkeit der streitgegenständlichen Regelung nicht aufgezeigt ist.
Vielmehr sprechen gewichtige Argumente gegen ihre Geeignetheit und Erforderlichkeit.
a) Geeignetheit der streitgegenständlichen Regelung
44. Eine beschränkende Maßnahme kann als geeignet angesehen werden, die Erreichung des
angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es
in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.39
45. Die Kommission ist der Auffassung, dass diese Voraussetzung nicht erfüllt ist. Zwischen
der streitgegenständlichen Regelung und dem Ziel der flächendeckenden und
gleichmäßigen Versorgung mit Arzneimitteln besteht nämlich keine ausreichende
Verknüpfung. Außerdem existieren andere entscheidende Faktoren, welche das
Regelungsziel völlig unabhängig von einem bestimmten Preisniveau für
verschreibungspflichtige Arzneimittel nachteilig beeinflussen. Eine Ausschaltung des
Preiswettbewerbs führt nicht dazu, dass diese nachteiligen Faktoren ausgeglichen
würden.
35 Urteil vom 7. Juni 2007, Kommission/Belgien, C-254/05, EU:C:2007:319, Rn. 36. 36 Vgl. dazu Urteil vom 6. September 2012, Kommission/Belgien, C-l 50/11, EU:C:2012:539, Rn. 57. 37 Urteil vom 28. September 2006, Ahokainen, C-434/04, EU:C:2006:609, Rn. 37 und 38. 38 Vgl. Urteil vom 28. September 2006, Ahokainen, C-434/04, EU:C:2006:609, Rn. 39; Urteil vom
13. Februar 2014, Sok€ll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, Rn. 40. 39 Urteil vom 19. Mai 2009, Apotheker kammer des Saarlandes, verbundene Rechtssachen C-l 71/07 und
C-172/07, EU:C:2009:316, Rn. 42; Urteil vom 8. September 2010, Stoß u.a., verbundene Rechtssachen C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07, EU:C:2010:504, Rn. 98; Urteil vom 16. Dezember 2010, Josemans, C-l37/09, EU:C:2010:774, Rn. 70.
18
aa) Keine ausreichende Verknüpfung zwischen Preisregelung und flächendeckender und
gleichmäßiger Versorgung mit Arzneimitteln
46. Es trifft sicherlich zu, dass die streitgegenständlichen Preisregeln und Rabattverbote den
Preiswettbewerb zwischen Apotheken verhindern und für den wirtschaftlichen Erfolg
einiger Apotheken in Deutschland eine wichtige Rolle spielen mögen. Nach
§ 78 Absatz 2 Satz 1 AMG müssen die festgelegten Preise und Preisspannen für
verschreibungspflichtige Arzneimittel den berechtigten Interessen der
Arzneimittel Verbraucher und Apotheken Rechnung tragen. § 78 Absatz 1 Satz 2 AMG
ermöglicht es außerdem, den Festzuschlag, den die Apotheken bei der Abgabe der
verschreibungspflichtigen Arzneimittel erheben müssen, entsprechend der
Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung anzupassen. Und
im Jahre 2013 wurden 80,3 % des Apothekenumsatzes, d.h. der größte Teil des
Umsatzes, durch verschreibungspflichtige Arzneimittel erzielt.40 Deshalb mag es
stimmen, dass die Preisregelung und das Rabattverbot eine höhere Gesamtzahl von
Apotheken in Deutschland zur Folge haben können.
47. Jedoch sagt die reine Anzahl der Apotheken nichts darüber aus, inwieweit eine
flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln
sichergestellt werden kann. So ist zweifelhaft, dass die Ausschaltung des
Preiswettbewerbs einer patientengerechten Verteilung der Apotheken in der Fläche
förderlich ist. So ist für den wirtschaftlichen Erfolg einer Apotheke der Standort, z.B.
wegen der Erreichbarkeit in Stadtzentren oder in der Nähe von Arztpraxen, eine
entscheidende Determinante.41 Eine Steuerung dahingehend, dass sich Apotheken in
unterversorgten ländlichen oder strukturschwachen Gebieten niederlassen würden, kann
mit der Ausschaltung des Wettbewerbs eher nicht erreicht werden. Entsprechend wird im
Gutachten 2014 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im
Gesundheitswesen42 auch davon ausgegangen, dass gerade mehr Preiswettbewerb unter
den Apotheken für die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln förderlich ist. Ein
solcher Preiswettbewerb dürfte sich in mit Apotheken überversorgten Gebieten stärker
40 Vgl. dazu Gutachten 2014 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen/Bedarfsgerechte Versorgung - Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche, Bundestags-Drucksache 18/1940, S. 117, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/019/1801940.pdf; die Zahl beruht auf Angaben der ABDA-Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände.
41 Bundestags-Drucksache 18/1940 (vgl. Fußnote 40), S. 121. 42 Dieses Beratungsgremium ist in § 142 Sozialgesetzbuch V gesetzlich geregelt.
19
als in strukturschwachen ländlichen Regionen entfalten und positive Anreize zur
Niederlassung in mit Apotheken schwach besetzten Gegenden setzen, wo höhere Preise
verlangt werden könnten.43
48. Den Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Gutachten liegt auch eindeutig das
Verständnis zugrunde, dass mehr Preiswettbewerb unter Apotheken nicht geeignet ist,
die flächendeckende und gleichmäßige Arzneimittelversorgung in Deutschland zu
beeinträchtigen.
49. Diese Grundannahme muss erst recht im Hinblick auf den Versand
verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch ausländische Versandapotheken nach
Deutschland gelten. Der Marktanteil ausländischer Versandapotheken beim Verkauf
verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Deutschland ist nämlich äußerst gering. Nach
Angaben des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken wurden im Jahre 2014 3 %
des Umsatzes in Deutschland im Versandhandel erzielt. Nur 17 % von diesem Umsatz
beziehen sich auf den Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente.44
50. Der Versandhandel richtet sich außerdem an ganz bestimmte (technisch versierte)
Verbraucher und lässt dem Verkauf von Arzneimitteln über Präsenzapotheken weiterhin
ausreichend Raum. Viele Patienten, welche die persönliche Ansprache und Beratung in
ihnen vertrauten Apotheken schätzen, werden weiterhin diesen Apotheken verbunden
bleiben und Arzneimittel nicht bestellen.45
51. Der Sachverständigenrat kommt in seinem Gutachten auch zu dem Schluss, dass
angesichts des im quantitativ dominanten Marktsegment der verschreibungspflichtigen
Arzneimittel völlig fehlenden Preiswettbewerbs und des auch in den übrigen Bereichen
schwach ausgeprägten Preis- und Qualitätswettbewerbs Apotheken, die nach einer
effizienteren Produktionsweise streben, solche mit einer suboptimalen Betriebsgröße
nicht vom Markt drängen könnten. Daraus resultiere eine "nicht hinreichend effiziente
Bundestags-Dmcksache 18/1940 (vgl. Fußnote 40), S. 120 und 123. Vgl. Bundesverband Deutscher Versandapotheken, Daten und Fakten zum Arzneimittelversandhandel in Deutschland, abrufbar unter http://www.bvdva.de/home/daten-und-fakten. Ähnlich hatte das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 21. September 2004, 4 U 74/04, Rn. 137, argumentiert (abmfbar unter http://openjur.de/u/l01819.html).
20
und effektive Arzneimitteldistribution", die zum einen zu hohe Kosten verursache und
zum anderen einen "zu geringen Raum für vorteilhafte Spezialisierungen" eröffne.46
52. Der fehlende Wettbewerb zwischen den Apotheken erscheint im Hinblick auf eine
effektive Arzneimitteldistribution, die u.a. Raum für vorteilhafte Spezialisierungen
eröffnet und damit auch qualitativen Anforderungen an die Versorgung Rechnung trägt,
daher gerade kontraproduktiv.
53. Schließlich ist noch anzumerken, dass der Gerichtshof in der Rechtssache DocMorris
den Vortrag des Apothekerverbandes, wonach die Zulassung des grenzüberschreitenden
Verkaufs von Arzneimitteln ohne Preisbindung die deutschen Apotheken in ihrem
Bestand gefährden und damit die Intaktheit des deutschen Gesundheitswesens
beeinträchtigen könnte, für nicht ausreichend gehalten hat, um Beschränkungen des
Warenverkehrs zu rechtfertigen.47 Auch der Gerichtshof scheint daher der Auffassung zu
sein, dass ein ausreichender Zusammenhang zwischen einer fehlenden Preisbindung im
grenzüberschreitenden Versandhandel und einer den Gesundheitsschutz
beeinträchtigende Gefährdung des Apothekenbestandes grundsätzlich nicht gegeben ist.
bb) Andere Faktoren, die sich auf den Bestand von Apotheken und die
flächendeckende und gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln nachteilig auswirken
(Landärztemangel und Bevölkerungsschwund in bestimmten Gegenden)
54. Für die fehlende Eignung der Regelung, die Arzneimittelversorgung gleichmäßig und
flächendeckend zu gewährleisten, spricht schließlich auch die Existenz anderer Faktoren,
welche sich auf die Apothekendichte ganz unabhängig von einem bestimmten
Arzneimittelpreisniveau nachteilig auswirken.
55. So hängt die Apothekendichte in Deutschland eng mit der Ärztedichte in einem
bestimmten Gebiet ab.48 In Gegenden, in denen nur wenige Ärzte niedergelassen sind,
die Arzneimittel verschreiben, gibt es naturgemäß auch weniger (Rezept-)Kunden für die
Apotheken.
Bundestags-Drucksache 18/1940 (vgl. Fußnote 40), S. 121 und 122. Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2003, DocMorris, Rs. C-322/01, Rn. 120 und 123. Vgl. Thünen Working Paper 14 des Thünen Instituts für Ländliche Räume, Modellierung der Erreichbarkeit öffentlicher Apotheken - Untersuchung zum regionalen Versorgungsgrad mit Dienstleistungen der Grundversorgung, Dezember 2013, S. 6, abrufbar unter http://literatur.ti.bund.de/digbib_extem/dn052778.pdf.
21
56. In Deutschland ist die ambulante vertragsärztliche Versorgung aber durch erhebliche
Allokationsprobleme gekennzeichnet. Einerseits besteht eine räumliche Fehlverteilung
der Versorgungskapazitäten, mit zahlreichen Hinweisen auf Überversorgung in
Ballungsräumen und Unterversorgung in strukturschwachen Regionen und andererseits
existieren auch zunehmende Defizite in der Ausgewogenheit des Verhältnisses zwischen
haus- und fachärztlicher Versorgung.49
57. Nach den Angaben der Deutschen Apothekerzeitung ist der Ärztemangel in ländlichen
Gegenden50 für Apotheken und die Arzneimittelversorgung problematisch.51 Es ist
jedoch nicht davon auszugehen, dass die streitgegenständliche Regelung zumindest als
alleinige Maßnahme diesen nachteiligen Faktor ausgleichen kann.52
58. Diese Argumentation gilt im Hinblick auf den Bevölkerungsrückgang in einigen (auch
ländlichen) Gegenden Deutschlands entsprechend. Dieser Bevölkerungsrückgang führt
insgesamt zu einem Rückgang der Angebotsstrukturen. Mit dem Sinken der
Einwohnerzahlen sinkt auch die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen. Viele
herkömmliche Versorgungsangebote sind dadurch nicht mehr tragfåhig. Die Anbieter
ziehen sich dementsprechend aus den dünn besiedelten Gebieten zurück.53 Dies gilt
naturgemäß auch für Apotheken.54 Die Preisbindung reicht zumindest als alleinige
Maßnahme nicht aus, um diese für die Arzneimittelversorgung nachteilige Entwicklung
auszugleichen.
b) Erforderlichkeit der streitgegenständlichen Regelung
59. Im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Maßnahme ist daran zu erinnern, dass
Artikel 36 AEUV eine eng auszulegende Ausnahme vom Grundsatz des freien
Warenverkehrs darstellt. Deshalb haben die nationalen Behörden darzutun und
Bundestags-Drucksache 18/1940 (vgl. Fußnote 40), S. 400 und 402. Bundestags-Drucksache 18/1940 (vgl. Fußnote 40), S. 349. Die Landapotheke: Die Situation von Apotheken in Orten unter 5000 Einwohnern, Deutsche Apotheker Zeitung, Ausgabe vom 12.7.2012, S. 60; vgl. auch Pharmazeutische Zeitung online, Landflucht: Erst der Arzt, dann der Apotheker?, 20.4.2015, abmfbar unter http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=57486. Vgl. diesbezüglich zum Zusammenhang zwischen Ärztedichte, Regulierung des Apothekenbetriebs und der wohnortnahen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln Thünen Working Paper 14 (vgl. Fußnote 48), S. 6. Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung: Von Hürden und Helden - Wie sich das Leben auf dem Land neu erfinden lässt, Berlin, 2015, S. 11, abrufbar unter http://www.berlin-institut.org/fileadmin/üsei'upload/VonHuerdenund Heiden/B IHuerden Und Helđen_Online-I .pdf. Vgl. dazu und zum Verhältnis von Einwohnerdichte zur Anzahl der Apotheken Thünen Working Paper 14 (Fußnote 48), S. 6, 7 und 9.
22
nachzuweisen55, dass die Maßnahme erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu
erreichen, und dass dieses Ziel nicht durch Verbote oder Beschränkungen erreicht
werden kann, die weniger umfangreich sind oder den innergemeinschaftlichen Handel
weniger beeinträchtigen.
60. Selbst wenn man die Anwendung des einheitlichen Apothekenabgabepreises
einschließlich der Rabattverbote auf ausländische Versandapotheken als geeignetes
Mittel ansehen würde, liegen zur Sicherstellung der flächendeckenden und
gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln alternative Mittel auf der
Hand, welche den freien Warenverkehr weniger beeinträchtigen. Die oben erwähnte
Expertise des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im
Gesundheitswesen nennt in diesem Zusammenhang beispielsweise die Einführung einer
pauschalen Apothekertaxe bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur Vergütung
der Dienstleistung der Apotheker mit der Option von apothekenindividuellen
Handelsspannen innerhalb von Obergrenzen oder den Einsatz von Apothekenbussen zur
mobilen Arzneimittelversorgung in ländlichen und strukturschwachen Räumen.56
61. Wie unter Punkt III.A.2) dargestellt behindert die streitgegenständliche Regelung den
Marktzugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Apotheken ganz erheblich.
Faktisch kann sie die weitgehende Abschottung des deutschen Marktes bewirken.
62. In diesem Zusammenhang sei - ohne dass dies angesichts der oben gegen die
Verhältnismäßigkeit der Regelung vorgebrachten Punkte letztentscheidend wäre - auf die
Rechtsprechung des Gerichtshofs hingewiesen, wonach ein Mitgliedstaat vor dem Erlass
von erheblichen Beschränkungen des freien Warenverkehrs sorgfältig zu prüfen hat, ob
nicht auf Maßnahmen zurückgegriffen werden kann, die den freien Verkehr weniger
beschränken, und solche Maßnahmen nur ausschließen darf, wenn ihre Ungeeignetheit
im Hinblick auf den verfolgten Zweck eindeutig feststeht.57 Dafür, dass eine solche
Prüfimg stattgefunden hätte mit dem Ergebnis, dass weniger beschränkende Maßnahmen
nicht in Betracht kommen, ist nichts ersichtlich.
55 Urteil vom 11. September 2008, Kommission/Deutschland, C-141/07, EU:C:2008:492, Rn. 50; Urteil vom 9. Dezember 2010, Humanplasma, C-421/09, EU:C:2010:760, Rn. 38; Urteil vom 20. März 2014, Kommission/Polen, C-639/11, EU:C:2014:173, Rn. 55; Urteil vom 20. März 2014, Kommission/Litauen, C-61/12, EU:C:2014:172, Rn. 60.
56 Bundestags-Dmcksache 18/1940 (Fußnote 40), insbesondere S. 120 und 123. 57 Urteil vom 15. November 2005, Kommission/Österreich, C-320/03, EU:C:2005:684, Rn. 87; Urteil des
Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011, Kommission/Österreich, C-28/09, EU:C:2011:854, Rn. 140.
23
c) Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung
Im Lichte der oben angeführten Argumente ist davon auszugehen, dass die
streitgegenständliche Regelung weder geeignet noch erforderlich ist, um die
flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln
sicherzustellen.
24
IV. ENTSCHEIDUNGSVORSCHLAG
64. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen schlägt die Kommission dem Gerichtshof
vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:
Erste Vorlagefrage
Eine Regelung eines Mitgliedstaats, die es in anderen Mitgliedstaaten ansässigen
Apotheken verbietet, verschreibungspflichtige Arzneimittel im Wege des
grenzüberschreitenden Versandhandels an Endkunden in diesem Mitgliedstaat
unterhalb des in diesem Mitgliedstaat geltenden einheitlichen
Apothekenabgabepreises zu verkaufen, stellt eine Maßnahme gleicher Wirkung im
Sinne von Artikel 34 AEUV dar.
Zweite und dritte Vorlagefrage
Eine Regelung eines Mitgliedstaats, die es in anderen Mitgliedstaaten ansässigen
Apotheken verbietet, verschreibungspflichtige Arzneimittel im Wege des
grenzüberschreitenden Versandhandels an Endkunden in diesem Mitgliedstaat
unterhalb des in diesem Mitgliedstaat geltenden einheitlichen
Apothekenabgabepreises zu verkaufen, kann nach Artikel 36 AEUV nicht mit der
Begründung gerechtfertigt werden, dass die Regelung das einzige Mittel ist, um in
dem Mitgliedstaat eine gleichmäßige und flächendeckende Arzneimittelversorgung
der Bevölkerung zu gewährleisten.
Prozessbevollmächtigte der Kommission
Attila SIPOS Julian HERKOMMER
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