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Schutz von Personen, Umwelt und Material Was kennzeichnet das Gefährdungspotenzial von Industrieanlagen?

Ulrich Hauptmanns

1. Mitteldeutsches Symposium Anlagensicherheit am 22. März 2012 im Kulturhaus Leuna

Woher stammt das Gefährdungspotenzial in der Industrie?

Energie  Physikalisch (z.B. druckverflüssigtes Gas, fallender

Gegenstand, Kernreaktion) Chemisch (z.B. durchgehende Reaktion, brennbares Gas,

Sprengstoff)

Toxizität Chemotoxizität Radiotoxizität

2

Wie kann sich das Gefährdungspotenzial konkretisieren und zur Gefährdung werden?

Brand

Explosion

Toxische Freisetzung

Direkte mechanische Einwirkung

3

Warum und wo können sich Gefährdungs-potenziale konkretisieren?

Durch technisches und/oder menschliches Versagen sowie durch umgebungsbedingte Gefahrenquellen

innerhalb eines Betriebsbereichs als Personen-, Umwelt- und Sachschäden

außerhalb eines Betriebsbereichs als Personen- Umwelt- und Sachschäden

4

Gegenmaßnahmen innerhalb des Betriebsbereichs: Arbeitsschutz (1)

technische Maßnahmen

  Einsatz gefährdungsarmer Technik bzw.

ungefährlicher Stoffe

Änderung der Technologie

Automatisierung    

5

Arbeitsschutz (2)

organisatorische Maßnahmen  

Arbeitsschutzmanagement (Festlegung von Verantwortlichkeiten, Unterweisungen etc.)

Änderung des Arbeitsablaufs, des Arbeitsinhaltes und der Aufgabenverteilung

6

Arbeitsschutz (3)

personenbezogene Maßnahmen  

Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen

Schilder, Warnsignale

Beschäftigte qualifizieren und unterweisen

7

Einschätzung der Wirksamkeit der Maßnahmen – Tödliche Arbeitsunfälle

8

Vergleich: Exponentieller Verlauf - Räuber-Beute Modell

9

M

Arbeitsunfälle in der Chemie: 1970-1988: Sätti-gungswert 18,8; 1990-2003: Sättigungswert 8,6

10

Abschätzung für Haus-halt, Spiel und Freizeit:8,6 je Million Stunden

Nutzen der Modellbetrachtung

Die Modellbetrachtung zeigt, dass

jede Vorgehensweise ihre Grenzen findet,

vor Erreichen der Sättigungsgrenze jeder Zugewinn mit sich steigerndem Aufwand erarbeitet werden muss und

es dann besser ist, über grundlegend neue Vorgehensweisen nachzudenken (Paradigmen-wechsel).

11

Wie sicher ist sicher genug?

Dies ist keine naturwissenschaftlich technische Fragestellung, aber Naturwissenschaftler und Ingenieur müssen sich am Finden der Antwort unbedingt beteiligen.

Hinter dieser Suche nach einem Maßstab verbirgt sich der Wahrscheinlichkeitscharakter des Sicherheitsbegriffs.

Denn: absolute Sicherheit gibt es nicht.12

Abschlussbemerkung vor Übergang zum Schutz Dritter Im Arbeitsschutz geht es in der Regel um direkte

Einwirkungen auf den Menschen und seine Umgebung, da Quelle und Schutzobjekt räumlich nahe beieinander liegen.

Deshalb lassen sich die Folgen relativ gut abschät-zen. Dies gilt für

Dauerbelastungen und Unfallsituationen

13

Fragen zum Schutz Dritter

Geht es um den Schutz Dritter, so stellen sich Fragen wie

Eintrittshäufigkeit von Störfällen Art und Umfang der Exposition Vergleichbarkeit der Auswirkungen Angemessene Abstände

14

Was tut man um Eintrittshäufigkeit und Auswirkungen von Störfällen zu mindern?

Auslegung nach dem Stand der Technik/Sicherheitstechnik

Vermeidung oder Substitution von besonders gefährlichen Stoffen Verringerung der Inhalte von Apparaten und Vermeidung großer

Puffervolumina geschickte Festlegung der Verfahrensparameter, insbesondere

hinsichtlich Druck, Temperatur und Konzentration, so dass Gefährdungspotentiale inaktiv bleiben

geeignete Standortwahl unter Berücksichtigung der Infrastruktur etc.

15

Vierstufiges Sicherheitskonzept- „Mindern“ und „Lindern“

16

Stufe 1 Normaler Betrieb mit Halten der eingestellten Sollwerte

Stufe 2 Störungsbeherrschung mit Alarmierungen und Abschaltungen

Stufe 3 Schadensvermeidung mit Noteingriffen und Schnellabschaltungen zur Vermeidung des Ver-lassens des bestimmungsgemäßen Betriebes

Stufe 4 Gefahrenabwehr mit Maßnahmen der Schadens-begrenzung, falls Stofffreisetzungen eintreten.

Schadensmaßstäbe und Vergleichbarkeit Das „klassische“ Konzept von Grenz- oder Referenz-

werten, z.B. für Druckspitzen, Wärmebelastung, toxische Dosen, ist binär

„akzeptabel“ „nicht akzeptabel“

und deshalb leicht handhabbar, aber realitätsfern.

Unterschiedliche Schadensarten lassen sich nicht miteinander vergleichen.

17

Größere Realitätsnähe durch Anwendung des Probit Konzepts

18

Y 5 2

Schaden

1 xP exp dx Y 5

22

0

0

Y 15,6 1,93 ln p

Y 77,1 6,91 ln p

Platzen des Trommelfells

Tod

Das Probit-Konzept verbindet die Intensität einer Belastung mit der Wahrscheinlichkeit für einen Schadenseintritt

Probit Konzept - Schaden durch Überdruck

19

Probit Konzept - Schaden durch Wärmeenergie

20

Das Störfallrisiko von Industrieanlagen ist direkt (aus Erfahrung) nur schwer abzuschätzen, da

die Zahl der Störfälle erfreulich gering ist.

Setzt man „Störfallanlage“ gleich „Störfallanlage“ so kann man der ZEMA mit Hilfe einer „Nullfehler Bayes-Statistik“ ableiten, dass die erwartete Häufigkeit für eine Störfall mit Todesfolge außerhalb der Anlage etwa 10-6 pro Jahr beträgt.

In der Regel, und um Aussagen über etwaige Schwachstellen zu erhalten, bleibt nur die analytische Risikoermittlung.

21

Ablauf einer analytischen Risikoermittlung

22

Anlagen-techni-sche Unter

-suchung:

Häufig-keit von Freiset-

zungen,

Bränden und

Explo-

sionen

Quell-

terme:

Randbe-

dingun-gen

für toxisc

he Freiset-

zung, Brände

und Explo

-sione

n

Atmos-

phärische Ausbrei-

tung: zeit- und ortsa

b-hängi

ge Konzen-

trationen; Ausbrei-tung von Druc

k-welle

n, VCE, BLEVE

Toxische

Bela-stung, Belastungdurch Druc

k- oder Wärme-

energie:

bedingte

Todes-

wahr-schei

n-lich-keite

n

Häufig-keit und

Scha-densa

us-maß werd

en zum Risik

ozu-

sammen-

gefaßt

Das Risiko besteht mithin aus zwei Elementen

der erwarteten Eintrittshäufigkeit eines Schadensereignisses

und

dem mit dem Schadensereignis verbundenen Schadensumfang.

23

Ereignisabläufe Sowohl für die Abläufe innerhalb der Anlage als auch

für diejenigen außerhalb werden dabei

Szenarien erdacht

Das sind mögliche Entwicklungen der Zukunft, die

aufgrund beobachteter Ereignisse sowie des Wissens und der Vorstellungskraft des Sicherheitsanalytikers erdacht werden.

Sie werden in Ereignisablaufdiagrammen dargestellt.24

Ereignisablaufdiagramm für die Freisetzung einer Dampfwol-ke mit Eintrittswahrscheinlichkeiten für die Verzweigungen

25

0,02

Weglänge < 1000 m

0,98

100<Weglänge<1000 m

Weglänge < 100 m

0,6 Explosion

0,4 Brand/ Feuerball Wolkezzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzz

0,4 Brand/ Feuerball

0,6 Explosion

0,39

0,61

0,02

0,23

0,153

0,358

0,239

Weglänge > 1000 m

Dampfwolkenfreisetzung

Zur Quantifizierung der Ereignisabläufe benötigt man ein Anlagenmodell, um die erwartete Häufigkeit eines

Störfalls abzuschätzen mit

Wahrscheinlichkeiten für die Entwicklung der Störfallfolgen

sowie Eingangsdaten (im wesentlichen aus Beobachtungen).

Modellrechnungen und experimentelle Ergebnisse, um den Schadensumfang abzuschätzen.

26

Explosion oder Gaswolkenfeuer bei Freisetzung von 756 kg Methan aus einer Biogasanlage/Behältervolumen 1500 m3 – Gaswolkenfeuer wahrscheinlicher wegen Drucklosigkeit

27

Abgerissener Rotorflügel (kin. Energie 125,4 MJ; pot. Energie 71,8 MJ) - Trümmerflug

28

Weggesprengter Turbinenläufer - Trümmerflug

29

Ortsbezogenes Risiko aus einer Freisetzung aus dem Behälter einer Biogasanlage (756 kg Methan)

30

Erwartete Häufigkeit für Behälterversagen: 50∙10-6 a-1

Ortsbezogenes Risiko – Freisetzung ca. 100 kg Phos-phin (alle Leckgrößen in einer Leitung DN 80)

31

32

Belegung eines Geländes von 160000 m2 mit Produktionen und Lagern verschie-denen Typs (Bezeich-nungen gemäß 4. BImSchV)

Gesamtes ortsbezoge-nes Risiko im Abstand von 500 m: 1,6.10-5 a-1

Erforderlicher ange-messener Abstand: 950 m bei einem ge-samten ortsbezogenen Risiko von 4,7.10-6 a-1

ChlorAcetylenBenzolEthylenToluol Wasserstoff

Brom, ChlorChlorwasser-stoff, FluorFluorwasser-stoff, Jod

Schwefel-wasserstoff

Maßstäbe für die Beurteilung von Risiken

Vorschlag für Risikogrenzwerte

ortsbezogenes Risiko (entspricht Individualrisiko bei 24h Aufenthalt am betreffenden Ort):

10-6 a-1, wie in den Niederlanden

Kollektiv- oder Gruppenrisiko: Schweiz mit Vergleichsfaktoren für Umwelt- und Sachschäden

33

Risikogrenzwerte für das Kollektiv- oder Gruppenrisiko im Kanton Zürich

34

Beispiel: Störfallwert 0,3

10 Tote50 Millionen SFr0,5 km2 Flusswasseroberfläche0,1 km2 Bodenkontamination

Beispiel: Störfallwert 0,9

1000 Tote5000 Millionen SFr -------- Flusswasseroberfläche100 km2 Bodenkontamination

Bemerkung: 10 Verletzte = 1 Toter

Schlußfolgerungen

Es gibt geeignete Methoden, um Gefährdungspoten-ziale und Risiken von Industrieanlagen abzuschätzen

Vergleiche zwischen chronischen und Unfallrisiken, auch in unterschiedlichen Anlagen, sind möglich

Die Gesellschaft und damit die Politik ist aufgerufen, Bewertungsmaßstäbe zu entwickeln, wie es sie in anderen Ländern bereits gibt.

35

Abschluss

Über den wichtigen Punkt der Unsicherheiten bei der Ermittlung von Risiken habe ich bewusst nicht gesprochen, damit ein interessanter und wichtiger Punkt für die Diskussion bleibt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf Fragen und Diskussionsbeiträge.

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