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Starke Kinder – starke Jugendliche:
Der Weg in die Selbstständigkeit
Britta Sievers
Bonn, 28.05.2019
Britta Sievers, britta.sievers@igfh.dewww.igfh.de / Projekte
Starke Kinder – starke Jugendliche:
Der Weg in die Selbstständigkeit
Erwachsenwerden heute
Stationäre Hilfen / Zahlen
Lebenslagen von Care Leavern
Care Leaver Projekte IGfH / Uni Hildesheim
Was brauchen Care Leaver? - Hearing im BMFSFJ 2016• Erziehungshilfe als Lebensort
Übergangsvorbereitung
• Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit
• Recht auf Bildung
• Recht auf finanzielle Sicherheit
Was kann der Vormund / die Vormund*in tun?
Erwachsenwerden heute
Ausdehnung der Jugendphase durch längere schulische und
berufliche Qualifizierungswege
Die Jugendphase lässt sich nicht mehr entlang standardisierter
Altersgrenzen kennzeichnen. Es gibt keinen „typischen“ Endpunkt.
Der fließende Übergang zwischen Jugend und jungem
Erwachsenenalter ist durch zahlreiche Unsicherheiten geprägt.
Junge Menschen müssen mit der Ungewissheit leben, dass diese
Lebensphase nicht oder nicht unmittelbar in einen gesicherten
Erwachsenenstatus mündet (Walther/Stauber 2013).
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Erwachsenwerden heute
Veränderung der Jugendphase
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(Abb. Barbara Stauber & Andreas Walther (2002): Junge Erwachsene. In: Schröer, W./Struck,
N./Wolff, M.: Handbuch Kinder- und Jugendhilfe. Weinheim und München 2002, S. 114.)
Zahlen: Junge Erwachsene in den Hilfen zur
Erziehung (ambulant und stationär)
Kaum Beachtung der Veränderungen des Jugendalters in den Hilfen zur Erziehung
Beendigungen von Hilfen zur Erziehung oft mit Erreichen der Volljährigkeit
Zahlen: Hilfe zur Erziehung außerhalb
des Elternhauses am 31.12.2016
0
5.000
10.000
15.000
20.000
25.000
30.000
35.000
40.000
45.000
15 -18 18 - 21 über 21
Heimerziehung, sonstige betreute Wohnformen gem. § 34 SGB VIII
Vollzeitpflege gem. § 34 SGB VIII
§ 34 SGB VIII:
0-27: 95.582
15-18: 42.532
18-21: 16.746
Über 21: 979
§ 33 SGB VIII:
0-27: 74.120
15-18: 13.869
18-21: 4.225
Über 21: 494
Quelle: www.destatis.de
2524
18,5
0
5
10
15
20
25
30
Männer Frauen stationäreHilfen
Durchschnittsalter beim Auszug
in Deutschland
Lebenslagen von Care Leavern
Die meisten Care Leaver wachsen bereits vor der Hilfe
in Armut und sozial prekären Lebenslagen auf.
Care Leaver im Vergleich zu ihren Peers:
• haben häufiger besondere gesundheitliche
Einschränkungen und psychische Belastungen
• häufiger von Wohnungslosigkeit bedroht und betroffen
• erhöhte Raten an aktuellen eigenen Opfererfahrungen
• häufiger mit dem Gesetz im Konflikt
• häufiger frühe (ungewollte) Elternschaft
8
Care Leaver = überproportional häufig von
sozialer Benachteiligung & Exklusion betroffen
15. Kinder- und Jugendbericht (2017)
Praxis der Antragstellung auf Hilfen für junge Volljährige als formales ‚Nadelöhr‘
Unzureichende Information von Care Leavern über ihre Rechte auf Unterstützung in der Kinder- und Jugendhilfe sowie nachgehender Dienste
Fehlende bedarfsgerechte Hilfe- und Übergangsstruktur für Care Leaver
Regional disparate Hilfepraxis
Care Leaver – eher „Bittsteller“
als Anspruchsberechtigte?
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Care Leaver Projekte
IGfH / Uni Hildesheim
„Was kommt nach der stationären Jugendhilfe?“
(2012 - 2014)
• Bestandsaufnahme der Ausgangssituation
für den Übergang aus stationären Hilfen
• Fokus: Handeln der Fachpraxis in der Begleitung der jungen Menschen
• Recherche von Beispielen guter Praxis im In- und Ausland
„Rechte im Übergang - Begleitung und Beteiligung
von Care Leavern“ (2014 - 2016)
• Fokus: die Perspektive der jungen Menschen selbst
• Interviews, Beteiligungsworkshops, Hearing
• Erarbeitung der Infobroschüre „Durchblick“ und der Internetseite
www.careleaver-online.de unter Beteiligung der Adressat_innen
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Care Leaver Hearing im Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016
Forderungen der Care Leaver:
Erziehungshilfe als Lebensort
Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit
Recht auf Bildung
Recht auf finanzielle Sicherheit
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Erziehungshilfe als Lebensort
Für Fachkräfte ist es ein „Fall“, „Unterbringung“ oder „Maßnahme“.
Für die jungen Menschen wird die Jugendhilfe zum Lebensort, an
dem sie Beziehungen eingehen.
Sie möchten:
als individuelle Persönlichkeiten gesehen werden, denn alle sind
unterschiedlich!
ein Zusammenleben, in dem ihre Bedürfnisse zählen,
sich in ihren Wünschen gehört und ihren Fähigkeiten gesehen fühlen
ein Lebensumfeld, in dem sie auch nach der Hilfe noch willkommen
sind,
Rückhalt…….
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Erziehungshilfe als Lebensort
Was ist wichtig?
Partizipation als Teil der Selbständigkeitsentwicklung und Fähigkeit
zur Verantwortungsübernahme fördern
Freiräume für Zuwachs an Verantwortung ermöglichen
Abschiede vorbereiten und Abschiedsprozess begleiten
Beziehungen ermöglichen und erhalten:
Ehemaligenarbeit/ Patenschaften institutionalisieren
Orte des Zurückkommens
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Übergangsvorbereitung und -begleitung
Wohnen
Unterschiedliche Settings des betreuten Wohnens als Kern der
„Verselbständigung“, z.B.
eigene Verselbständigungs-Wohngruppen des Trägers
„Trainingswohnung“ / „Einliegerwohnung“
im Haus des Trägers
Betreuung in angemieteten Wohnungen
Betreute Wohn- oder Hausgemeinschaften
Finanzierung gemäß § 34 SGB VIII (i.V.mit § 41 SGB VIII) oder
als ambulante Hilfe
Aber: Gewährungszeitraum und Stundenumfang sehr
unterschiedlich
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Übergangsvorbereitung und -begleitung
Kompetenztrainings / Gruppenangebote
Kompetenztrainings
Hauswirtschaftliche Fertigkeiten
Finanzen, Umgang mit Geld, eigenes Konto
Körperhygiene/Gesundheit
Umgang mit Behörden
Vorstellung / Infos über nachgehende Hilfsangebote
Gruppenangebote
Vernetzung der Jugendlichen untereinander
Ehemalige in die Übergangsvorbereitung einbinden
Aber: keinerlei einheitliche Standards der Übergangsvorbereitung/
keine verpflichtenden Konzepte in Einrichtungen
Wichtig: neben lebenspraktischen Fähigkeiten die emotionale
Stabilität und Reife in allen Lebensbereichen im Blick haben!
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Übergangsvorbereitung und -begleitung
Beziehungsarbeit
Wer bleibt wenn die Hilfe endet?
Beziehungskontinuität herstellen und erhalten:
z.B. Weiterbetreuung durch den bisherigen Bezugserzieher im
betreuten Wohnen / Nachbetreuung
Klärung der Beziehungen bei Beendigung einer Vollzeitpflege
Entwicklung von Netzwerken des jungen Menschen
Arbeit mit der Herkunftsfamilie: Stärkung der Ressourcen und Klärung
der Familienbeziehungen
Gruppenarbeit und Freizeitaktivitäten, die das Ziel haben die Netzwerke
des jungen Menschen zu stärken
Förderung der gegenseitigen Unterstützung von Care Leavern z.B. im
Rahmen des betreuten Wohnens.
Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit
Stimmen der jungen Menschen
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§ 41 soll kein
Ausnahmefall sein,
denn der Staat
übernimmt eine
Elternrolle und die
Elternschaft ist
schließlich auch nicht
mit dem 18.
Geburtstag zu Ende.
Ich will doch nur
Abitur machen,
soll ich jetzt
Drogen nehmen,
damit ich weiter
Hilfe bekomme ?
Auch wir haben ein
Recht auf Durchhänger
und Krisen, ohne gleich
rausgeschmissen zu
werden.
Der Druck ist
groß mit 18
auszuziehen,
oder man
braucht eine
Diagnose.
Bei guter oder schlechter Entwicklung
– egal: wir müssen aus der
Jugendhilfe raus. Entwickeln wir uns
positiv, gilt die Hilfe als nicht mehr
notwendig. Wenn es nicht so gut läuft,
wird mangelnde Mitwirkung unterstellt.
Das ist unfair.
Wir wünschen uns
flexible und gesicherte
Übergänge – ich
möchte auch mal ein
Auslandsjahr machen!
Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit
Was ist wichtig?
Umfassende Übergangsvorbereitung
Netzwerke des jungen Menschen stärken
Hilfen über das 18. Lebensjahr hinaus gewähren
Bedarfsgerechte, individuelle und flexible Gestaltung des
Weges in das eigenständige leben – keine „Standardwege“
Jugendhilfe muss zuständig bleiben: Coming-back-Option
Begleitung nach dem Auszug sichern und regeln (Dauer,
Umfang, Person)
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Recht auf Bildung
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Care Leaver sind in ihren Bildungschancen benachteiligt:
Verlassen der Schule mit einem geringeren oder keinem Abschluss
häufiger arbeitslos, von Arbeitslosigkeit bedroht
sehr selten im tertiären Bildungssektor vertreten
Bildungsverläufe weniger stetig/länger: „slowtrack“
Eintrittsalter in eine Berufsausbildung derzeit im
Bevölkerungsdurchschnitt bei 19,9 Jahren (1993: 18,5 Jahre)
Übergang aus stationärer Erziehungshilfe als Risiko für
Bildungserfolg?
21Quelle: BMAS; Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2019, S. 179
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Recht auf Bildung
Was ist wichtig?
Individuelle Bildungswege und den höchstmöglichen
Bildungsabschluss fördern
Frühzeitige und kontinuierliche Kooperation HzE und Schule
Begleitung bei Berufsorientierung und Ausbildungsplatzsuche
Wichtig: Überblick über Ausbildungsmarkt / Kontakte/
Netzwerk-Kompetenz
Übergänge begleiten, z.B. Schnittstelle zur Agentur für Arbeit /
Jobcenter
Übergang in Ausbildung begleiten
Nicht mehrere Übergänge parallel
Recht auf finanzielle Sicherheit
Die erste Zeit war ein bisschen schwierig, halt gerade mit dem Geld
so. Ich habe das Schülerbafög und das Kindergeld, das sind jetzt
insgesamt 600 Euro, kein großes Budget, wo man sagen kann:
„Hey, jetzt jedes Wochenende feiern!“ … Gerade als Jugendlicher ist
es ja echt schwierig, nicht Geld auszugeben (lacht).
Also, der erste Monat war total gut, ich war so sparsam und ich habe
nie geheizt, weil ich hatte eine Gasheizung und habe ganz wenig
Licht angemacht. Ich habe lieber abends mit Kerzen dagesessen,
weil ich immer Angst hatte. Man hat kein Gefühl dafür, man weiß:
ich bezahle 30 Euro Strom, aber wann sind diese 30 Euro
verbraucht?
Ich dachte mir so: „Hm, ich will ja nicht zu viel Strom ausgeben, ja
nicht zu viel Wasser, ja nicht zu viel Heizung, dass ich halt nie was
drüber bezahlen muss.“
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Existenzsicherung nach Hilfeende
Einkommenspuzzle
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Beispiel 1: Betriebliche Ausbildung Beispiel 2: Schulische Ausbildung
Recht auf finanzielle Sicherheit
Was ist wichtig?
Ansparmöglichkeiten schaffen / Kostenbeteilig abschaffen
Lückenlose Finanzierung sicherstellen! D.h. Jugendhilfe darf
erst enden, wenn der Lebensunterhalt aus anderen
Finanzquellen gesichert ist
Beratungsangebote für junge Menschen
Begleiter_innen und Lotsen im Übergang bereitstellen
Rechtskreisübergreifende Beratungsangebote / Infrastruktur für
Hilfen aus einer Hand verbessern bzw. nutzen
Notfallfonds und zinsfreie Kredite
Schuldenproblematik angehen
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Nachbetreuung und Rückbezug
Nachbetreuung hat eine Schlüsselfunktion für das
Ankommen in einer gefestigten Situation als junger
Erwachsener – emotionaler Rückhalt und konkrete Hilfe
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Selbstorganisation von und für
Care Leaver – der Careleaver e.V.
Ziele:
auf die Situation von Careleavern aufmerksam machen
gegenseitige Unterstützung in einem Netzwerk
Austausch untereinander
https://www.careleaver.de/
Was kann der / die Vormund*in tun?
Den jungen Menschen über seine / ihre Rechte informieren, z.B.:
§ 41 SGB VIII
Anspruch auf Beistand gem. § 13 (4) SGB X bei Behörden
Bei Hilfebedarf und Wunsch des jungen Menschen Antrag auf
Hilfe nach § 41 SGB VIII rechtzeitig vorbereiten:
Mit dem jungen Menschen seinen Hilfebedarf herausarbeiten und
konkret benennen und Antrag formulieren
Ggf. ergänzende Gutachten einholen (Schule, Therapeut_in,
andere…)
Im letzten HPG vor der Volljährigkeit Antrag stellen
Ggf. weitere Hilfen anregen / organisieren
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Exkurs: § 41 SGB VIIIHilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung
(1) Einem jungen Volljährigen soll Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung
und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden,
wenn und solange die Hilfe auf Grund der individuellen Situation des
jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur
Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen
soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden.
(2) Für die Ausgestaltung der Hilfe gelten § 27 Absatz 3 und 4 sowie die §§
28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 entsprechend mit der Maßgabe, dass an
die Stelle des Personensorgeberechtigten oder des Kindes oder des
Jugendlichen der junge Volljährige tritt.
(3) Der junge Volljährige soll auch nach Beendigung der Hilfe bei der
Verselbständigung im notwendigen Umfang beraten und unterstützt
werden.
Was kann der / die Vormund*in tun?
Finanzielle Sicherheit:
Ansparmöglichkeiten für Kaution, eigene Wohnung, Führerschein etc.
unterstützen
Spielraum für Reduzierung der 75% Kostenbeteiligung gem. § 94
SGB VIII Absatz 6 ausloten:
„Es kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der
Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen
aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient.“
Lückenlose Finanzierung sicherstellen! Dafür eintreten, dass die
Jugendhilfe erst dann endet, wenn der Lebensunterhalt aus
anderen Finanzquellen gesichert ist
Unterstützung mit Anträgen und Formularen
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Was kann der / die Vormund*in tun?
Eine kontinuierliche stützende Beziehung anbieten – ggf. über
verschiedene Hilfestationen hinweg
Als Interessenvertreter_in dem jungen Menschen Gehör
verschaffen, z.B. im Prozess der Hilfeplanung
Vorausschauend vor dem 18. Geburtstag ein stützendes
Netzwerk um den jungen Menschen herum aufbauen
Patenschaften, Lotsen, ehemalige Pflegeeltern…
Einen positiven Abschiedsprozess aus der Kinder- und
Jugendhilfe unterstützen
……..
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Materialien aus den Projekten:
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Materialien aus den Projekten:
Homepage:www.careleaver-online.de
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Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit !
Britta Sievers
Britta.sievers@igfh.de
www.igfh.de / Projekte
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