analyse von innovationsprozessen im kontext von e-government; micropolitical innovation arenas as a...

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1 E-Government als Schlu ¨ssel zur Modernisierung der Arbeitsebene Die Modernisierung der Verwaltung hat alle Verwaltungsebenen erreicht [JBBB04], die Effizienzerwartungen haben sich bislang aber nur unzureichend erfu ¨ llt. Ein Grund hierfu ¨ r mag sein, dass die Modernisierung der Steuerung fokussiert wird. Ein neues Produktionsregime in den „Amtsstuben“ ist dagegen noch nicht in Sicht [BrRo ¨ 03]. E-Government ko ¨ nnte zum Schlu ¨ ssel fu ¨r eine weitreichende Modernisierung der Ar- beitsebene [GeIn00] werden, wenn es ge- lingt, die organisatorischen Potenziale der IT sta ¨rker als bisher fu ¨ r die Entwicklung neuer Produktionsmodelle zu nutzen. So verstanden ist E-Government vor allem ein organisatorisches Thema [Lenk04]. Aber warum werden die organisatori- schen Potenziale der IT mal mehr und mal weniger stark beru ¨cksichtigt? Warum wird eine E-Government-Lo ¨ sung nicht genutzt, obwohl das Vorhaben lehrbuchhaft geplant und beteiligungsorientiert durchgefu ¨ hrt wurde? Diese Fragen zeigen die Bedeutung des Entwicklungsprozesses: Technik allein ist kein Innovationsagent [Kuhl99; OECD01]. Erst durch das Handeln der be- teiligten Akteure entstehen aus abstrakten Technikpotenzialen konkrete Anwendun- gen. Das in diesem Beitrag vorgestellte Ana- lyseraster ermo ¨ glicht die Rekonstruktion solcher Entwicklungsprozesse. Es wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts 1 entwickelt, das sich mit den Potenzialen von E-Government fu ¨ r die Organisations- gestaltung bescha ¨ftigt, und in sechs Fallstudien („Leuchtturmprojekte“ in ko- operationsintensiven Aufgabenfeldern 2 ) angewendet. Auf Basis des Modells wur- den die Innovationsverla ¨ufe von der ersten Idee bis zum (Anfang 2005) erreichten Anwendungsstatus durch Interviews mit Projektakteuren und Nutzern der entstan- denen Anwendung (innerhalb und außer- halb der Verwaltung) erhoben. Leitfragen waren: 1. Wie und aus welchen Gru ¨ nden haben Akteure jeweils Einfluss auf den Entste- WIRTSCHAFTSINFORMATIK 47 (2005) 5, S. 347 355 Die Autoren Martin Bru ¨ggemeier Angela Dovifat Doreen Kubisch Prof. Dr. Martin Bru ¨ggemeier Dipl.-Kffr. (FH) Angela Dovifat Fachhochschule fu ¨r Technik und Wirtschaft Professur fu ¨r Betriebswirtschaftslehre und Public Management Treskowallee 8 10318 Berlin {M.Brueggemeier | dovifat}@fhtw-berlin.de Dipl.-Verw.Wiss. Doreen Kubisch Universita ¨t Potsdam Kommunalwissenschaftliches Institut Am Park Babelsberg 14 14482 Potsdam [email protected] Analyse von Innovationsprozessen im Kontext von E-Government Ein mikropolitisches Arenenmodell Kernpunkte E-Government erfordert technische und organisatorische Innovationen. Eine konkrete E-Go- vernment-Entwicklung entsteht in einem kontingenten, organisationsspezifischen Prozess. Um die hiermit verbundene Komplexita ¨t systematisch analysieren zu ko ¨nnen, wurde ein auf mikropolitischen Annahmen basierendes Arenenmodell entwickelt und empirisch erprobt. Dieses Vorgehen zeigte: & Innovationsverla ¨ufe von E-Government-Anwendungen ko ¨nnen durch eine mikropolitisch angeleitete Analyse erkla ¨rt werden. & Das mikropolitische Analyseraster kann dazu dienen, das aufeinander bezogene Han- deln der Akteure nicht nur ex post, sondern auch in einem laufenden Projekt nachzuvoll- ziehen. Die Ergebnisse ko ¨nnen fu ¨r das weitere Change-Management genutzt werden. & Bestehende Handlungsempfehlungen fu ¨r das Projekt- und Change-Management im E-Government sind kritisch zu hinterfragen und ggf. neu zu justieren. Stichworte: Innovationsprozess, Analyseraster, Change-Management, Mikropolitik, Aus- handlungssituation, E-Government-Anwendungsentwicklung, Erfolgsfaktoren des E-Govern- ment WI – Schwerpunktaufsatz

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Page 1: Analyse von Innovationsprozessen im Kontext von E-Government; Micropolitical innovation arenas as a tool for analyzing innovation processes in the context of electronic government;

1 E-Government alsSchlussel zur Modernisierungder Arbeitsebene

DieModernisierung der Verwaltung hat alleVerwaltungsebenen erreicht [JBBB04], dieEffizienzerwartungen haben sich bislangaber nur unzureichend erfullt. Ein Grundhierfur mag sein, dass die Modernisierungder Steuerung fokussiert wird. Ein neuesProduktionsregime in den „Amtsstuben“ist dagegen noch nicht in Sicht [BrRo03].E-Government konnte zum Schlussel fureine weitreichende Modernisierung der Ar-

beitsebene [GeIn00] werden, wenn es ge-lingt, die organisatorischen Potenziale derIT starker als bisher fur die Entwicklungneuer Produktionsmodelle zu nutzen. Soverstanden ist E-Government vor allem einorganisatorisches Thema [Lenk04].Aber warum werden die organisatori-

schen Potenziale der IT mal mehr und malweniger stark berucksichtigt? Warum wirdeine E-Government-Losung nicht genutzt,obwohl das Vorhaben lehrbuchhaft geplantund beteiligungsorientiert durchgefuhrtwurde? Diese Fragen zeigen die Bedeutungdes Entwicklungsprozesses: Technik alleinist kein Innovationsagent [Kuhl99;OECD01]. Erst durch das Handeln der be-teiligten Akteure entstehen aus abstraktenTechnikpotenzialen konkrete Anwendun-gen.

Das in diesem Beitrag vorgestellte Ana-lyseraster ermoglicht die Rekonstruktionsolcher Entwicklungsprozesse. Es wurdeim Rahmen eines Forschungsprojekts1

entwickelt, das sich mit den Potenzialenvon E-Government fur die Organisations-gestaltung beschaftigt, und in sechsFallstudien („Leuchtturmprojekte“ in ko-operationsintensiven Aufgabenfeldern2)angewendet. Auf Basis des Modells wur-den die Innovationsverlaufe von der erstenIdee bis zum (Anfang 2005) erreichtenAnwendungsstatus durch Interviews mitProjektakteuren und Nutzern der entstan-denen Anwendung (innerhalb und außer-halb der Verwaltung) erhoben. Leitfragenwaren:1. Wie und aus welchen Grunden haben

Akteure jeweils Einfluss auf den Entste-

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 47 (2005) 5, S. 347–355

Die Autoren

Martin BruggemeierAngela DovifatDoreen Kubisch

Prof. Dr. Martin BruggemeierDipl.-Kffr. (FH) Angela DovifatFachhochschule fur Technik und WirtschaftProfessur fur Betriebswirtschaftslehre undPublic ManagementTreskowallee 810318 Berlin{M.Brueggemeier|dovifat}@fhtw-berlin.de

Dipl.-Verw.Wiss. Doreen KubischUniversitat PotsdamKommunalwissenschaftliches InstitutAm Park Babelsberg 1414482 [email protected]

Analyse von Innovationsprozessenim Kontext von E-GovernmentEin mikropolitisches Arenenmodell

Kernpunkte

E-Government erfordert technische und organisatorische Innovationen. Eine konkrete E-Go-vernment-Entwicklung entsteht in einem kontingenten, organisationsspezifischen Prozess.Um die hiermit verbundene Komplexitat systematisch analysieren zu konnen, wurde ein aufmikropolitischen Annahmen basierendes Arenenmodell entwickelt und empirisch erprobt.Dieses Vorgehen zeigte:

& Innovationsverlaufe von E-Government-Anwendungen konnen durch eine mikropolitischangeleitete Analyse erklart werden.

& Das mikropolitische Analyseraster kann dazu dienen, das aufeinander bezogene Han-deln der Akteure nicht nur ex post, sondern auch in einem laufenden Projekt nachzuvoll-ziehen. Die Ergebnisse konnen fur das weitere Change-Management genutzt werden.

& Bestehende Handlungsempfehlungen fur das Projekt- und Change-Management imE-Government sind kritisch zu hinterfragen und ggf. neu zu justieren.

Stichworte: Innovationsprozess, Analyseraster, Change-Management, Mikropolitik, Aus-handlungssituation, E-Government-Anwendungsentwicklung, Erfolgsfaktoren des E-Govern-ment

WI – Schwerpunktaufsatz

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hungsprozess einer innovativen E-Gov-ernment-Anwendung genommen?

2. Lasst sich der (Miss-)Erfolg einerE-Government-Losung, d. h. die Nut-zung im Arbeitsalltag, mit einer akteurs-orientierten Herangehensweise erkla-ren?

3. Sind verallgemeinerungsfahige Implika-tionen fur E-Government-Innovations-prozesse abzuleiten?

Die folgende Darstellung knupft an empi-rische Studien zur Analyse von Innovati-onsverlaufen an. Dann werden die mikro-politischen Grundannahmen und dieStruktur des Arenenmodells beschrieben.Im Mittelpunkt des Beitrags steht seineexemplarische Anwendung im Rahmen ei-ner Fallstudie. Abschließend werden ersteImplikationen der Modellanwendung furein Change-Management im Kontext vonE-Government aufgezeigt.

2 Empirische Studienzu Veranderungsprozessen

Studien zur Entwicklung und Einfuhrungtechnischer Systeme in Organisationen fo-kussieren haufig Methoden und Verfahrender Softwareentwicklung und -implemen-tierung [KEKS94; WaVH95; RuPR99]. DieImplementierung wird vor allem mit or-ganisatorischen Aktivitaten (Dokumenta-tion, Anwenderschulung u. �.) verbunden[StHa05, 213]. Die Phase des tatsachlichenSoftwareeinsatzes wird vor allem mit Be-zug auf die Systempflege und Folgeent-wicklungen betrachtet [BKBP01]. Der Ent-scheidungsprozess bei der Entwicklungoder die Auswirkungen einer Software aufdas Nutzerverhalten werden seltener the-matisiert.Dabei zeigte eine vergleichende Betrach-

tung des Verlaufs und Projektmanagementsverschiedener Softwareprojekte von Weltz/Ortmann bereits zu Beginn der 1990er Jah-re, dass Software in einem „Doppelprozessaus Technikgestaltung und Arbeitsstruktu-rierung“ entsteht [WeOr92, 13ff.]. Nebentechnischen Aspekten ist somit auch diebetriebspolitische Situation zu berucksich-tigen. Die Studie ergab eine interessante In-terdependenz: Zu Projektbeginn ist derKonsens zwischen den Beteiligten eherhoch, weil die Auswirkungen des kunfti-gen Technikeinsatzes noch abstrakt undunklar sind. Der Wissensstand ist unein-heitlich. Am Projektende ist der Wissens-stand homogener, auf Grund der nun deut-lichen Veranderungen hat der Konsensgradjedoch abgenommen [WeOr92, 138 ff.].

Die realen Entwicklungsentscheidungenwerden sowohl durch den Interessensaus-gleich zwischen den Beteiligten als auch dieAngleichung ihres Wissensstandes beein-flusst. Empfohlen wird, diese gegenlaufi-gen Entwicklungen im Sinne eines dyna-mischen Projektmanagements durch einekontinuierliche „inkrementelle Entschei-dungsfindung“ (anstelle eines einmalverabschiedeten Entwicklungsplans)[WeOr92, 176ff.] zu synchronisieren.Einen ereignisorientierten Ansatz ver-

folgten Orlikowski/Hofman Mitte der1990er Jahre. Sie analysierten die Einfuh-rung einer Groupware in einem US-ame-rikanischen Softwareunternehmen undidentifizierten drei unterschiedliche Ver-anderungstypen im Prozessverlauf[OrHo97]:& Intendierte Veranderung: Diese Veran-

derungen sind geplant und gewunscht(z. B. Verlagerung von telefonischerKommunikation auf E-Mail-Kommuni-kation durch ein E-Mail-System).

& Gelegenheitsbasierte Veranderung: Die-se Veranderungen sind vorab nicht ge-plant, im Verlauf der Implementationjedoch erstrebenswert. Sie werden syste-matisch in den Implementationsplan in-tegriert (z. B. Einbindung eines zusatz-lichen Bereichs an ein E-Mail-System).

& Nichtintendierte Veranderungen: DieseVeranderungen treten spontan und un-geplant auf und entsprechen meist nichtder mit der Systemeinfuhrung ange-strebten Intention (z. B. Spam-Verbrei-tung durch das E-Mail-System).

Diese �nderungstypen zeigen sich in kon-kreten Fallen in unterschiedlicher Kom-bination und Abfolge und veranschau-lichen so jeweils den individuellenInnovationsverlauf [OrHo97].Nilsson/Ranerup prazisierten in ihrer

Studie zur Groupware-Einfuhrung in einerschwedischen Kommunalverwaltung denTypus der „intendierten Veranderung“[NiRa02]. Sie unterscheiden intendierteVeranderungen, die wahrend des Innovati-onsprozesses nicht eintreten, aber weiter-hin angestrebt werden, und intendierteVeranderungen, die zum „Zeitpunkt desAusbleibens“ auch nicht weiter erwunschtsind. Ein Teil der mit einer Technologieein-fuhrung ursprunglich angestrebten Orga-nisationsveranderung wird also mit demzeitlichen Fortschritt des Veranderungs-prozesses unwichtig.Diese Studien lieferten ein besseres

Verstandnis fur die Dynamik von Veran-derungsprozessen im Kontext technisch-organisatorischer Innovationen. Inno-vationen erscheinen als Abfolge von mehr

oder weniger geplanten Zustanden, die vonden Akteuren jeweils bewertet werden.Der Prozessfortschritt basiert dann auf die-sen „Urteilen“. Die Nutzbarmachung die-ser Befunde fur konkrete Projekte scheintallerdings schwierig. Wie lassen sich derEinfluss einzelner Akteure oder Akteurs-gruppen auf die Systementwicklung syste-matisch analysieren und die Erkenntnisseggf. in die weitere Projektdurchfuhrung in-tegrieren?Betrachtet man die verschiedenen Ereig-

nisse durch eine mikropolitische Brille,kann man eine „Logik in den Modernisie-rungsprozessen“ [BoKi98] erkennen. DieVerwaltungsmodernisierung wurde bereitsmikropolitisch interpretiert [Brug98; Bo-Ki98; Gobe99]. Auch fur ein reflektiertesChange-Management in E-Government-Projekten kann Mikropolitik als praxisrele-vante theoretische Basis dienen [DKBL04].Daher basiert das hier vorgestellte Ana-lysemodell auf den Annahmen der Mikro-politik, die im Folgenden erlautert werden.

3 Mikropolitik alsorganisationstheoretischerBezugsrahmen

Mikropolitik ist ein organisationstheoreti-sches Konzept, das das gesamte reale Ge-schehen in und zwischen Organisationenkonsequent aus einer Akteursperspektiveerklart [BrFe92]. Die Akteure verfolgen(fachliche, wirtschaftliche, personliche)Interessen, die mehr oder weniger mit-einander verwoben sind und sich auch ver-andern konnen. Die Interessen sind u. a.gepragt von individuellen Erfahrungen,Werten oder der Qualifikation.Eine (Verwaltungs-)Organisation kann

als „Arena“ interpretiert werden, in derdiese Akteure aufeinander treffen [Wind99,151]. Arenen sind somit Orte der Aus-einandersetzung und Aushandlung. DieAkteure sind jeweils in vielfaltige Macht-beziehungen mit unterschiedlichen Macht-verhaltnissen eingebunden. Macht ist nichtnur an die hierarchische Stellung gebun-den. Auch z. B. Expertenwissen, Informa-tionszugang bzw. -kontrolle innerhalb undaußerhalb der Organisation oder die Kon-trolle spezifischer Ressourcen stellenMachtquellen dar. Solange ein Akteur et-was von anderen Akteuren benotigt, dasdiese ihm zumindest teilweise vorenthaltenkonnen, ist er zwangslaufig auch „Mikro-politiker“. Mikropolitik wird somit kon-zeptual verstanden und nicht auf eine in-formale Erscheinung reduziert, die man als

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spezifische Handlungskategorie begreift[Kupp04, 863].In jeweils aufeinander bezogenen Hand-

lungsstrategien, die einer subjektiven, be-grenzten Rationalitat folgen, entstehen inder „Organisationsarena“ miteinander ver-bundene Spiele mit eigenen Regeln. Furalle gilt: Man will unter moglichst guns-tigen Bedingungen im Spiel bleiben. Somitsind auch die Bedingungen der anderen zu-mindest teilweise zu akzeptieren [Neub95,210 f.]. In ihrem Handeln beziehen sich dieAkteure auf die Strukturen (formale undinformale Regelsysteme, die die Machtver-haltnisse formal oder informal kanalisie-ren), die zugleich durch das Handeln ent-stehen, reproduziert und/oder modifiziertwerden. Im konzeptualen Verstandnis vonMikropolitik werden somit die Strukturenimmer mitgedacht [BrFe92; KuFe00].Mikropolitisch entspricht eine organisa-

torische Innovation einer Veranderung derSpielregeln und damit auch der Strukturen[OWBS90, 54 ff.; KlNu03, 94 ff.]. Eine ein-gespielte Arbeitsroutine mit einem von al-len akzeptierten Regelwerk ist ein „Routi-nespiel“. Die Spieler „gewinnen“ durch diespezifische Art, wie sie ihre Aufgaben er-fullen [OWBS90, 58]. Eine Veranderungdieser Spielregeln geschieht durch ein „In-novationsspiel”. Verspricht sich z. B. einAkteur von anderen Spielregeln einen gro-ßeren Nutzen, verandert er sein Handeln.Reagieren andere Akteure auch mit Verhal-tensanderungen, konnten eingespielteHandlungsmuster aufgebrochen werden.Hieraus kann sich – als „Metaspiel“[OWBS90, 59] – ein Innovationsspiel ent-wickeln, das zu neuen Regeln fuhrt unddas Routinespiel verandert.Die Anwendung des Arenenmodells

fuhrt nicht zu allgemein gultigen Hand-lungsempfehlungen. Die Handlungsstrate-gien der Akteure und ihre Spiele sind stetskontingent, d. h. sie sind zwar durch einenspezifischen Kontext bedingt, waren aberauch anders moglich. Es gilt daher, dieseKontingenz im jeweiligen Prozess zu iden-tifizieren, um Schwierigkeiten oder gluck-liche Wendungen nachvollziehen zu kon-nen. Hierzu wurde das mikropolitischeArenenmodell entwickelt.

4 Das Arenenmodellals Instrument zur Analysevon „Innovationspfaden“

Orientiert an einem Phasenkonzept[Lenk98] ergeben sich in einem E-Govern-ment-Projekt unterschiedliche Aushand-

lungssituationen, die jeweils als mikropoli-tische Arenen interpretiert werden konnen(Bild 1). In jeder dieser Arenen treffen Ak-teure in jeweils neuer Zusammensetzungmit unterschiedlichen Interessen, Macht-basen und Handlungsrationalitaten auf-einander. Die sich jeweils herausbildenden„Spiele“ beeinflussen die konkrete Gestaltder jeweiligen E-Government-Losung undihren Fortschritt. Folgende Arenen lassensich gegeneinander abgrenzen:& Auslosung (Anstoß des E-Government-

Projekts oder einzelner Teilschritte): We-sentlichste Frage fur die beteiligten Ak-teure ist, wie sie ihre Chancen (bzw. auchdie Chancen der von ihnen ggf. vertrete-nen Akteursgruppe) fur ein „Mitspielen“im weiteren Prozess sichern konnen.

& Konzeption (Entstehung des Sollkon-zepts fur die Projektdurchfuhrung unddie Anwendung): Bereits erfolgte Ziel-setzungen werden von den Akteurenentsprechend der eigenen Interessen in-terpretiert, ggf. in Frage gestellt odermodifiziert.

& Implementation (technische und organi-satorische Umsetzung des Konzeptes;erstes Vertrautmachen spaterer Anwen-der): Die Wirkungen einer E-Govern-ment-Anwendung werden fur die Ak-teure deutlicher. Fur sie gilt es, Vorteile

zu identifizieren bzw. Nachteile abzu-wenden.

& Routinisierung (�berfuhrung der imple-mentierten E-Government-Losung inden Arbeitsalltag [Yin79, 139 ff.])3: Inder Routinisierungssituation sind alleBeschaftigten sowie ggf. Verwaltungs-kunden „Akteure“. Der Nutzen einerAnwendung fur die eigene Arbeitssitua-tion wird an- oder aberkannt, indem dieLosung in die eigenen Arbeitsablaufeintegriert wird – oder eben nicht.

Das E-Government-Projekt wird von ver-schiedenen externen Faktoren beeinflusst,z. B.:& IT- und/oder Modernisierungsleitbilder,

die einer bestimmten (selektiven) Wahr-nehmung der informationstechnischenPotenziale und der mit ihnen verbunde-nen Gestaltungsoptionen entsprechen(z. B. „Online-Selbstbedienung“, vgl.zur Funktion von IT-Leitbildern z. B.[Rolf98, 26 ff.]),

& Technikmythen, -moden oder -angste(z. B. „Daten auf Knopfdruck“, „derglaserne Mitarbeiter“), die (oft unreflek-tiert) die Grundhaltung von Individuenund Akteursgruppen beeinflussen,

& Propagierte Best-practice-Falle, denen(mehr oder weniger) unkritisch nach-geeifert wird,

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Bild 1 Das mikropolitische Arenenmodell zur Analyse von E-Government-Projekten

Auslöserarena:Ziele setzen und

Vorgabeninterpretieren

Implementations-arena:

Vorteile sichern

Routinisierungs-arena:

Nutzen (an)er-kennen

E-Government-Projekt

Modernisierungspotenziale

Chancenwahren

Konzeptionsarena:

Moden

Chancen

Ängste

Potenziale der ITRechtsrahmen

Best Practice

Risiken

IT-Leitbilder

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& Planungen vorgeordneter Verwaltungs-ebenen oder anderer Kommunen,

& Unsicherheiten und Lucken bei derrechtlichen Regelung des elektronischenGeschaftsverkehrs.

Diese vielfaltigen Faktoren konnen sich imZeitablauf verandern und sind somit nichtnur zu Beginn eines E-Government-Vor-habens bedeutsam, sondern wirken auf dieverschiedenen Aushandlungssituationenein. Entscheidend ist, wie sie jeweils vonbestimmten Akteuren wahrgenommen, ausihrer Interessenperspektive eingeordnetund in konkreten Handlungsstrategien ge-nutzt werden. Ansatzpunkte fur die Ana-lyse der Vorgange in den einzelnen Arenensind:& die jeweils handelnden Personen (Ak-

teure) und deren Interessen,& ihre Beziehungen zueinander (Akteurs-

konstellation),& ihre Machtquellen (was haben sie, was

andere brauchen),& ihre sich aus der jeweils subjektiven Ein-

schatzung der Situation ergebendenHandlungsstrategien (Wie setzen sie ihreMachtquellen ein? Welche Argumentenutzen sie?),

& ggf. erkennbare Spiele (Wie agieren dieAkteure in den einzelnen Arenen? Gibtes aufeinander bezogene typische Aktio-nen und Reaktionen? Welche Regelngelten jeweils?).

An dieser Darstellung sind folgendeAspekte hervorzuheben:1. Wurden die „Veranderungssituationen“

als Phasen im Sinne einer zeitlichen Ab-folge aufgefasst, konnte dies die Annah-me implizieren, dass eine Phase jeweilszu einem (erkennbaren) Zeitpunktabgeschlossen ist und erst dann dienachste beginnt. Wir interpretiereneinen E-Government-Prozess dagegensituationsorientiert als einen dyna-mischen Innovationsdiskurs. Die be-nannten Situationen sind Aushand-lungsanlasse, die mehr oder wenigerhaufig vorkommen und den weiterenProjektverlauf jeweils beeinflussen. Je-des „Arenenergebnis“ kann andere Aus-handlungssituationen tangieren odervon diesen beruhrt werden. Die Ergeb-nisse konnen Art und Grad der mitE-Government einhergehenden Veran-derung insgesamt entscheidend beein-flussen (Bestatigung oder Infragestel-lung eines Routinespiels).

2. Die Aufmerksamkeit wird systematischsowohl auf die fruhen als auch auf diespaten Verlaufsphasen eines Projekts ge-lenkt. Bereits mit dem ersten Auftau-chen einer E-Government-Idee erfolgen

Weichenstellungen fur die weitereEntwicklung (z. B. Offenhalten bzw.Erschweren bestimmter Optionen;zu verschiedenen Ausgangssituationen[WeOr92, 19–29]). Die Analyse endetnicht mit der Systemfreigabe, sondernberucksichtigt die letztlich entscheiden-de Situation: In der taglichen Routinezeigt sich, ob und wie die neue Technikin die Arbeitsablaufe integriert wird undwelche Wirkung sie tatsachlich entfaltet.

3. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehendie in den einzelnen Situationen jeweilserfolgenden Aushandlungen und Ent-scheidungen und die daraus resultieren-den Pragungen fur den weiteren Pro-zessverlauf (Innovationspfade). Dabeiwerden nicht nur die Interessen, Macht-quellen und Strategien der Einzelakteu-re, sondern auch die Akteurskonstella-tionen betrachtet, die sich in denverschiedenen Arenen bilden und diesich jeweils verandern konnen.

Im Folgenden werden mogliche Charakte-ristika der einzelnen Arenen und die An-wendung des Analyserasters anhand eineranonymisierten Fallstudie verdeutlicht.

5 Exemplarische Fallstudie:Entwicklung einer Kooperations-plattform zur Unterstutzungeines kommunalen Forder-prozesses

5.1 Die untersuchteE-Government-Konzeption

Die Fallstudie beschreibt die Entwicklungeiner Kooperationsplattform in einer dani-schen Kommune, mit der die Antragser-arbeitung fur einen Forderprozess unter-stutzt und eine digitale Antragstellungermoglicht wird. Vorteilhaft ist die struktu-rierte Datenhaltung, auf die alle an der Ent-scheidungsfindung Beteiligten bzw. von ihrBetroffenen nach entsprechender Rechte-zuweisung zugreifen konnen. �nderungenwerden automatisiert an alle Prozessbetei-ligten gemeldet; hierdurch sind alle Betei-ligten zeitgleich auf demselben Informati-onsstand. Durch die modulare Konzeptionkonnte die Plattform uber entsprechendeSchnittstellen mit unterschiedlichen Fach-verfahren verbunden und somit relativeinfach in anderen Kontexten eingesetztwerden.Die Plattform wurde als innovativ einge-

schatzt, da sie explizit auf die Unterstut-zung kooperationsintensiver Prozesse aus-

gerichtet ist. Die Untersuchung zeigte, dassdie Routinisierung bislang nicht erfolgte,obwohl das Produkt seit gut einem Jahrtechnisch weitgehend ausgereift ist. Wielasst sich diese negative Entwicklung unterAnwendung des „mikropolitischen Are-nenmodells“ erklaren?

5.2 Die Ausgangslage

Das Vorhaben ist Teil einer mehrere Kom-munen umfassenden Landesinitiative: InPilotkommunen sollen E-Government-Anwendungsbeispiele entwickelt und er-probt werden, um deren Nutzlichkeit furdie kommunale Verwaltungsarbeit zu pru-fen. Der Burgermeister der betrachtetenKommune steht im Wahlkampf um seineWiederwahl. Die Initiative passt zu seinemWahlkampfthema „Moderne Verwaltung“.Er bewirbt sich mit seiner Stadt als Pilot-kommune und hat Erfolg.Das E-Government-Projekt in der

Kommune wird somit durch die „Imple-mentationsarena“ der ubergeordneten Lan-desinitiative ausgelost und durch derenZielsetzung beeinflusst. Die Projektergeb-nisse sollen auch ubergreifend genutzt wer-den.Zur Durchfuhrung des Projektes wird

ein Projektteam gebildet, dem neben frei-gestellten Mitarbeitern der Stadt Mitarbei-ter von Forschungsinstituten angehoren.Die stadtischen Mitarbeiter sollen denKontakt in die Stadtverwaltung aufrecht-erhalten.

5.3 Die Ausloserarena

Zum Zeitpunkt der Initiierung der Koope-rationsplattform ist die Halfte der Projekt-laufzeit bereits vorbei. Die Konkretisie-rung einzelner Projekte ist nach wie vorschwierig. Bei den stadtischen Akteuren(Vertreter verschiedener �mter) entwickel-te sich nach anfanglicher Kooperations-bereitschaft (der einige kleine, wenig inno-vative Anwendungsbeispiele entstammen)die Befurchtung, zur Entwicklung vonRationalisierungsanwendungen beizutra-gen und fur die Kooperation mit einemStellenabbau „belohnt“ zu werden. Sie nut-zen daher ihre „Machtquelle“, die Kontrol-le uber Personalressourcen und Anwen-dungs-Know-how, um die Konzeptionweiterer Beispielanwendungen zu bremsen.Dass die Amtsvertreter die „Verbindungs-leute“ in der Projektgruppe als faktisch„nicht mehr zur Stadtverwaltung gehorig“eingestuft haben, die verwaltungsinterneArbeitsprobleme nicht mehr verstehen,

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verscharft die Situation. Die Vermittlungzwischen Projekt und Verwaltung fehlt.Die Projektgruppe steht zunehmend un-

ter Zugzwang, eine Innovation vorzuwei-sen. Der „Veranderungsvermeidungsstrate-gie“ der stadtischen �mter kann sie aberkein wirksames Machtmittel entgegenset-zen. Zwar hat sie die Ruckendeckung desBurgermeisters, der sich jedoch nach seinerWiederwahl – von verbalen Kooperations-aufforderungen abgesehen – nicht in dasProjekt einmischt. Die Situation ist in ei-nem „Konzeptionsblockadespiel“ fest-gefahren.Dann wird offenbar, dass die Ressourcen

eines Forschungsinstituts bislang kaum ab-gerufen wurden. Von dort wird vor-geschlagen, einen Prozess auszuwahlen,der sich vorrangig an Wirtschaftsakteurerichtet. Das Konzept beinhaltet – demKnow-how des Instituts entsprechend –insbesondere kooperationsunterstutzendePotenziale der IT. Fur die Projektgruppeist dieser Ansatz im Vergleich mit den bis-herigen Entwicklungen deutlich innovati-ver. Der Vorschlag zielt zudem auf einenVerwaltungsbereich, fur den die Projekt-akteure durch berufliche oder private Er-fahrungen eine gewisse Beurteilungskom-petenz beanspruchen.Der in der Stadtverwaltung fur diese

Forderprozesse zustandige Bereich hat sichwiederholt als modernisierungsorientiertgezeigt (z. B. Pilotbereich fur eine Ge-schaftsprozessoptimierung). Die Bereichs-leiterin hat durch eine kooperative Haltungdie Chance, sich beim Burgermeister, aberauch bei den Amtsleitern als Problemlose-rin zu profilieren, da sie den Veranderungs-druck auf ihren Bereich zieht.Im Ergebnis steht die Entscheidung fur

die Entwicklung einer kooperationsorien-tierten Anwendung im ausgewahltenVerwaltungsbereich. Der durch das „Kon-zeptionsblockadespiel“ steigende Erfolgs-druck forderte die Bereitschaft der Projekt-gruppe, den neuen Vorschlag schnell zuakzeptieren. Die Interessen der Akteure(Projektgruppe, Bereichsleiterin und For-schungsinstitut) sind homogen und zielenauf die schnelle, mit wenig Ressourcenauf-wand zu bewaltigende Entwicklung einerinnovativen Losung. Dies fuhrt zu einerstabilen Akteurskonstellation.

5.4 Die Konzeptionsarena

Das Forschungsinstitut prasentiert eineGrobkonzeption, die nach seinen Angabenstrikt aus Sicht potenzieller Anwender ent-wickelt wurde – allerdings ohne diese sys-tematisch einzubeziehen. Die Nutzeranfor-

derungen wurden auf Basis eigenerErfahrungen, die sich mit der Einschatzungder Projektgruppe weitgehend decken, an-tizipiert.In dem fur die Forderprozesse zustandi-

gen Bereich wird der Vorschlag zunachstabgelehnt, da er mit einer Ablosung deseingesetzten Fachverfahrens verbunden zusein scheint. Folgende Aspekte begrundendiese Haltung: Die bisherigen Erfahrungender anderen �mter mit dem Gesamtprojektwirken fort (Programmierung neuer Fach-verfahren). Die kurzlich erfolgte Ge-schaftsprozessoptimierung war fur dieMitarbeiter des Bereichs eine erheblicheZusatzbelastung. Die Bereichsleiterinmochte weitere Belastungen abwenden.Zudem hat der gesamte Bereich durch dieGPO den Eindruck, die internen Prozesseseien optimal. Erst als die Konzeption da-hin gehend konkretisiert wird, dass diekonzipierte Plattform „außen“ an dasVerfahren ansetzt und amtsintern keine�nderungen zu erwarten sind, beginnt dieBereichsleiterin, das Vorhaben zu unter-stutzen und stellt eigene Personalressour-cen zur Verfugung. Ihre „Veranderungs-kontrollstrategie“ hat somit Erfolg.Aus Zeit- und Ressourcenschonungs-

grunden wird von einer Neuentwicklungabgesehen und stattdessen ein Produkt re-cherchiert, das zu den skizzierten Vorstel-lungen passt. Hierdurch wird das Risikoeiner Eigenentwicklung umgangen. DiesesVorgehen kann als „Misserfolgsvermei-dungsstrategie“ interpretiert werden. Alsneuer Akteur betritt ein Softwareherstellerdie Arena, fur den der offentliche Sektorein interessanter Markt ist. Er verfugt mitdem Einbringen der technischen Grund-struktur uber eine starke Machtquelle, diedie weitere Entwicklung dominiert. DieKonzeptionsarena wird somit schnell ge-schlossen. Ihr Ergebnis ist ein Prototyp derAnwendung.Auch diese Akteurskonstellation ist rela-

tiv stabil. Die Interessen von Projektgrup-pe (schneller Erfolg), Forschungsinstitut(Ressourcen schonende Arbeit), Bereichs-leiterin (Vermeiden interner �nderungen)und Softwarehersteller (schneller Markt-zugang) bundeln sich in einem „Nutzen-antizipationsspiel“: Man bestatigt sich aufBasis der jeweils eigenen Erfahrungen ge-genseitig, dass die Konzeption sinnvoll ist,ohne die Zielgruppe einzubinden.

5.5 Die Implementationsarena

Erst nach Fertigstellung des Prototypswerden potenzielle Nutzer mit der An-wendung konfrontiert. Als Testanwender

werden ein in der Kommune ansassigesGroßunternehmen und wenige kleine Be-triebe gewonnen. Insgesamt ist das Interes-se aber gering. Gegenargumente sind die(eine digitale Prozessabwicklung noch aus-schließende) Rechtslage und die hieraus re-sultierende Doppelarbeit.

An der Forderentscheidung zu betei-ligende Stellen werden in die Testlaufenicht systematisch einbezogen, sondern er-halten die Funktionsweise der Plattform inKurzschulungen erlautert. Somit konnensie die Auswirkungen der Plattformnut-zung auf ihre Arbeitsprozesse nur schwerabschatzen. Sie merken kritisch an, dassder Arbeitsprozess nicht fur eine aus-schließlich medienbruchfreie Abwicklunggeeignet ist. Es sei schwierig, alle Inhalte(u. a. technische Zeichnungen von Anla-gen) ausschließlich uber den Bildschirm zuerfassen.Die Losung erweist sich in den wenigen

Testlaufen als technisch stabil. Alle Test-anwender weisen aber auf die Unwirt-schaftlichkeit „paralleler Welten“ hin: Daandere Behorden analog verfahren, mussenzwei Workflows vorgehalten werden. Zu-dem wird ein nennenswerter Bereich derPlattform, die kooperative Antragsvor-bereitung, nicht genutzt. Der Mehrwertdieses Bereichs wird von den Anwendernals gering eingeschatzt. Lediglich die digi-tale Antragstellung gilt (nach Einschatzungder Testanwender aber vor allem fur dieverwaltungsinternen Prozesse) als sinnvoll.Da sich die internen Prozesse aber nichtandern, wird dies von der Bereichsleiterinund der Projektgruppe anders beurteilt.Das „Nutzenantizipationsspiel“ wird pro-jektintern weitergespielt.Der Burgermeister propagiert die Kon-

zeption offentlich. Dies wird von der Pro-jektgruppe begrußt, weil damit auch ihreReputation steigt, erhoht jedoch intern denErfolgsdruck. Auch dies fuhrt dazu, dassdie aufkeimenden Zweifel am tatsachlichenNutzen der Anwendung nicht „gehort“werden.Die kritischen Stimmen neuer Akteure

(Testanwender) in der Akteurskonstellati-on werden durch die weiterhin stabile„Nutzenantizipationskonstellation“ ne-giert. Ein Infragestellen der Konzeption zudiesem Zeitpunkt wurde den vom (erneutin einer Arena auftauchenden) Burgermeis-ter bereits vermarkteten Projekterfolg ris-kieren.

5.6 Die Routinisierungsarena

„Offiziell“ bedingt durch die fehlendeRechtsanderung erfolgt nach den Testlau-

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Analyse von Innovationsprozessen im Kontext von E-Government 351

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fen kein weiterer Einsatz der Plattform.Um den Regelbetrieb finanzieren zu kon-nen, wird mit der Entwicklung eines Fi-nanzierungsmodells begonnen, das von derNutzungsintensitat abhangige Entgelte furdie Anwender vorsieht. Auch der Soft-warehersteller drangt zunehmend auf eineRegelung der dauerhaften Finanzierung.�berlagert wird die Entwicklung des Ge-schaftsmodells durch die Ergebnisse einerim Rahmen eines anderen Forschungspro-jektes durchgefuhrten Wirtschaftlichkeits-untersuchung: Die Studie zeigt sowohl furdie Kommune als auch fur die Kundenseitenennenswerte Einsparpotenziale durch diedigitale Prozessabwicklung. Diese Er-kenntnisse setzen ein „Nutzenzuschrei-bungsspiel“ in Gang, das sich bereits in derImplementationsarena angedeutete: DieVertragspartner (Projektgruppe/stadt. Amtauf der einen, die Kunden auf der anderenSeite) versuchen, die jeweils andere Seitedavon zu uberzeugen, dass sie den große-ren Nutzen der Anwendung hat und dieKosten des Betriebs tragen sollte.Diese Pattsituation verhindert ein wei-

teres Ausprobieren der Plattform. Keinerder Akteure ist auf Grund der ungeklartenKostensituation daran interessiert, denNutzen der Plattform fur die eigenenArbeitsprozesse zu beweisen. Obwohl dasProjekt als Erfolg vermarktet wird, wirddie Plattform nicht genutzt. Die Konzep-tion droht zu scheitern.

5.7 Abschließende Beurteilung

In diesem Projekt ist es nicht gelungen, einInnovationsspiel in Gang zu setzen, durchdas interne Arbeitsroutinen in der Stadt-verwaltung und bei potenziellen Anwen-dern verandert werden. Der skizzierte In-novationsverlauf ist von Erfolgs- undZeitdruck gepragt. Auffallig ist das schnelleSchließen der Konzeptionsarena: Dierelativ homogene Wissensbasis bei allenProjektakteuren fuhrt zu einer Vernachlas-sigung der Endanwender bei der Konzepti-on. Bedingt durch die Absicherung wah-rend des Projektzeitraums wird die Frageder Finanzierung des Regelbetriebs relativspat aufgeworfen. Tabelle 1 zeigt das Un-tersuchungsraster und die Spezifika derArenen fur diese Fallstudie im �berblick.Das Ausbleiben des Innovationsspiels

lasst sich wie folgt erklaren:1. Wesentliche „Routinisierungsakteure“

(Verwaltung, Betriebe) haben in einemInnovationsspiel keine zusatzlichen Ge-winnchancen entdeckt. Die innerstadt-ischen Routineprozesse scheinen durchdie GPO optimal. Weitere Prozess-

veranderungen beinhalten dagegen dasRisiko einer Verschlechterung. Fur dieBetriebe besteht das Risiko einer zu-satzlichen Kostenbelastung, die poten-ziellen Einsparungen sind unsicher.

2. Wird als Folge eines ausbleibenden In-novationsspiels ein Bestandsrisiko furdie eigene Organisationseinheit ver-mutet, fordert dies bei den „bedrohten“Akteuren die Bereitschaft, sich auf In-novationsspiele einzulassen [BoKi98].Eine solche Verknupfung mit einem Be-standsrisiko liegt fur den stadtischenBereich nicht vor. Im Gegenteil: DerPlattformeinsatz ermoglicht z. B. einendirekten Kontakt zwischen Antragstel-ler und an der Entscheidung zu betei-ligenden Stellen. Die Relevanz einer in-termediaren Einheit wurde gemindert.Das Bestandsrisiko wird durch die In-novation somit nicht gesenkt, sondernmoglicherweise sogar verstarkt.

3. Auch formale Positionsmacht wirdnicht eingesetzt, um ein Innovations-spiel zu fordern. Der Burgermeisterzieht bereits aus der bisherigen Ent-wicklung einen Imagevorteil. Durchden tatsachlichen Einsatz der Plattformwurde fur ihn durch die ungeklarte Fi-nanzierung des Regelbetriebs dagegenmittelfristig ein Finanzierungsrisikoentstehen. Die eingesetzten Mittel muss-te er ggf. gegenuber dem Stadtrat legiti-mieren.

6 Die Anwendung desModells im Change-Manage-ment fur E-Government

Das Arenenmodell kann in Veranderungs-prozessen zu verschiedenen Zeitpunktennutzlich sein: im Vorfeld und bei der Pro-jektdurchfuhrung. Im Folgenden werdenAnwendungsmoglichkeiten aufgezeigt undImplikationen fur das Change-Manage-ment beschrieben, die sich aus der verglei-chenden Betrachtung aller Fallstudienana-lysen [BrDo04; BDKL06] ergeben haben.

6.1 �berlegungen im Vorfeldvon E-Government-Projekten

Ex ante konnen auf Basis des Arenenmo-dells die Innovationsbedingungen in einemPolitikfeld oder fur einen konkreten Leis-tungsprozess analysiert werden. Zunachstsind die Hauptakteure zu identifizierenund das zentrale Problem in diesem Be-reich zu beschreiben. Wie konsensfahig ist

die Problemsicht? Wer ist hauptsachlichvon diesem Problem betroffen, und welcheEinflussmoglichkeiten hat dieser Akteur?Wer ist „Gewinner“ im bisherigen Routi-nespiel, und wer hat evtl. Interesse an einerVeranderung? Wer verfugt uber Durchset-zungs-, wer uber Verhinderungsmacht? Istein Außendruck erkennbar (z. B. poten-zielle Rechtsanderungen), und welche Re-aktionsmoglichkeiten haben die Akteuredarauf? Wer wird voraussichtlich in derRoutinisierungsarena mitspielen und wiestellen sich mogliche E-Government-Lo-sungen aus Sicht dieser Akteure dar? DieseFragen durften fur verschiedene Aufgaben-felder sehr unterschiedlich beantwortetwerden. Die Antworten haben unmittel-bare Konsequenzen auf die Gestaltung unddas Management des Reorganisationspro-zesses (Argumentationslinien, Projektorga-nisation, Gestaltung der Informationswegeu. a. m.).Unsere Untersuchungen ergaben weitere

Aspekte, die im Vorfeld eines Projekts rele-vant sind:& Jede E-Government-Konzeption ent-

steht in einem spezifischen Kontext. Dieoft geforderte �bernahme sogenannter„Best-practice-Losungen“ kann fehl-schlagen, wenn damit organisatorischeWeichenstellungen verbunden sind, diezu den Gegebenheiten vor Ort nichtpassen.

& Kritische Erfolgsfaktoren [DIFU02]sind wirklich „kritisch“– allerdings an-ders als bislang eingeschatzt. Zweifellosist es nutzlich, besonders zu berucksich-tigende Aspekte zu benennen. Empfeh-lungen fur einen „One-best-way“ sindjedoch zu hinterfragen. Was in einerKommune sinnvoll war, kann woandersauf Grund anderer Akteurskonstellatio-nen die Veranderung behindern. (Zu)detaillierte Zielvorgaben konnen z. B.neue Denkwege – und damit eine wirk-liche Innovation – versperren. Dies istbesonders gefahrlich, wenn Entscheiderdie technischen und organisatorischenPotenziale (noch) nicht beurteilenkonnen, durch ihre Entscheidung aberdie anderen Arenen determinieren[WeOr92, 138 ff.].

& Ergebnisse ubergeordneter (Pro-jekt-)Arenen konnen neue Projekte aus-losen, also zum „Input“ fur eine Aus-loserarena werden. Fur das Verstandnisder Ablaufe „vor Ort“ ist die Kenntnisdieser vorgeordneten bzw. parallel ge-offneten Arenen ggf. entscheidend, weilz. B. Spielregeln von außen bestimmtund Interessen bereits vorab kanalisiertsein konnen.

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Tabelle 1 Das mikropolitische Arenenmodell: Fallstudie „Forderprozess“

Analyse-kriterium

Ausloserarena Konzeptionsarena Implementationsarena Routinisierungsarena

Akteure/Interessen

1. Projektgruppe:Anwendungsidee finden(Erfolgszwang)

2. Stadtische �mter:Anwendungsidee verhin-dern

3. Forschungsinstitut:Anwendungsidee finden

4. Burgermeister:Wahlkampf gewinnen

1. Projektgruppe:Konzeption muss schnellErfolg haben

2. Forschungsinstitut:Ressourcen schonendeEntwicklung

3. Bereichsleiterin:interne Veranderungenvermeiden

1. Projektgruppe:Konzeption muss Erfolg haben

2. Forschungsinstitut:sukzessiver Ruckzug aus dem Projekt

3. Bereichsleiterin:interne Veranderungen vermeiden

4. Softwarehersteller:einfacher Marktzugang

5. Betriebe:realer Anwendungsnutzen ohne zusatz-liche Belastung

6. Burgermeister: Projekterfolg propagieren

1. Projektgruppe:Erfolg sichern

2. Bereichsleiterin:interne Veranderungenvermeiden

3. Softwarehersteller:Gewinne realisieren

4. Betriebe:neue Kosten vermeiden

Akteurs-konstel-lationen

Projektgruppe und stadt.�mter blockieren sich ge-genseitig, Forschungsinstitutwird zum Problemloser

Bereichsleiterin wegen Kon-trolle des Anwendungsfeldesrelevant fur alle; Forschungs-institut Problemloser fur dieProjektgruppe

Burgermeister forciert Erfolgsdruck, Software-hersteller signalisiert schnelle Produktadap-tion, daher stabile „Nutzenantizipationskoali-tion“ trotz kritischer Stimmen derTestanwender; das Großunternehmen kannEntgegenkommen bzgl. Datenstandards errei-chen

Konflikt um Anwendungs-nutzen zwischen Projekt-gruppe/Bereichsleiterinund Betrieben; Software-hersteller allein wg.Gewinnerwartung,

Macht-quellen

1. Projektgruppe:Unterstutzung durch Ver-waltungsfuhrung

2. Stadtische �mter:Kontrolle uber potenzielleAnwendungsbereiche

3. Forschungsinstitut:innovatives Know-how

4. Burgermeister:formale Macht

1. Projektgruppe:Beurteilungskompetenz,

2. Forschungsinstitut:innovatives Know-how,personliche Erfahrungenim Anwendungsbereich

3. Bereichsleiterin:Kontrolle und Know-howuber Anwendungs-bereich

1. Projektgruppe:Verbindung zur Verwaltungsfuhrung (inte-ressant fur Softwarehersteller)

2. Forschungsinstitut:Know-how uber Konzeption

3. Bereichsleiterin:Kontrolle und Know-how uber Anwen-dungsbereich

4. Softwarehersteller:Produktkontrolle (Problemloser fur Projekt-gruppe)

5. Betriebe:Anwendungs-Know-how auf Kundenseite,(Großunternehmen: Arbeitgeberposition inder Kommune)

6. Burgermeister: formale Macht

1. Projektgruppe:Verbindung zur Ver-waltungsfuhrung

2. Bereichsleiterin:Kontrolle des Einsatz-bereiches

3. Softwarehersteller:Rechte am Vorprodukt

4. Betriebe:Kontrolle des Einsatz-bereiches

subjektiveEinschat-zung derSituation/Handlungs-strategien

1. Projektgruppe:riskante Projektsituation,die endlich Erfolg erfor-dert! plausiblen An-satz schnell nutzen

2. Stadtische �mter:Anfangliche Koopera-tion, wegen HH-KriseAngst vor „E-Gov-Ratio-nalisierungspotenzial“ !Rationalisierungenverhindern

3. Forschungsinstitut:Profilierung in der Regionmoglich ! gute Arbeitzeigen

4. Burgermeister:weitere Ressourcen furpolitischen Erfolg ! mo-bilisieren, aber aufgrundunklaren Ausgangs nichtzu sehr fest legen

1. Projektgruppe:Ansatz erfolgverspre-chend, Beurteilungskom-petenz uber den Anwen-dungsbereich vorhanden! schnell vorantreiben

2. Forschungsinstitut:Know-how uber den An-wendungsbereich ausrei-chend ! Profilierungkann durch schnelle Ar-beit gesichert werden

3. Bereichsleiterin:Modernisierungswillenzeigen, aber intern mog-lichst wenig �nderungen! Veranderung kontrol-lieren

1. Projektgruppe:Projektgefahrdung ohne positive Reso-nanz der Zielgruppe! externe Anwenderuberzeugen

2. Forschungsinstitut:Arbeit ist geleistet, weitere Entwicklungevtl. riskant ! keine weitere Einflussnahme

3. Bereichsleiterin:Eigenes Know-how in die Anwendung im-plementiert, guter Kontakt zu Endnutzern!intermediare Stellung behaupten; Nutzenfur die externen Anwender herausstellen

4. Softwarehersteller:Interessanter neuer Markt ! investieren

5. Betriebe:Digitale Antragstellung wurde Geld sparen– aber das gilt fur die Verwaltung genauso! wegen ungeklarter Kostenfrage kein zugroßes Interesse zeigen

6. Burgermeister:endlich erfolgversprechende Konzeption,die das Engagement legitimiert! pro-pagieren

1. Projektgruppe:eigene gute Arbeit sollbekannt werden !�f-fentlichkeit uberzeugen

2. Bereichsleiterin:Produktentwicklungzieht sich hin ! Enga-gement reduzieren, umRessourcen (MA) zuschonen

3. Softwarehersteller:Durchsetzung am Marktnoch nicht erfolgt !Gewinnmitnahmenrealisieren

4. Betriebe:Gefahr zusatzlicher fi-nanzieller Belastung !keine weitere Test-anwendung

Spiele „Konzeptionsblockade-spiel“

„Nutzenantizipationsspiel“/Ankundigung „Nutzenzuschreibungsspiel“ „Nutzenzuschreibungs-spiel“

Analyse von Innovationsprozessen im Kontext von E-Government 353

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& Wirtschaftlichkeitsberechnungen sindex ante insbesondere dann schwierig,wenn mithilfe der Technik umfassendeOrganisationsanderungen realisiert wer-den [StHa05, 249 f.]. Das Ergebnis derRoutinisierung ist schon organisations-intern vorab kaum verlasslich ein-zuschatzen, bei organisationsubergrei-fenden Anwendungen erhoht sich derSchwierigkeitsgrad betrachtlich. Diessoll nicht heißen, dass auf Wirtschaft-lichkeitserwagungen verzichtet werdenkann. Aber die Unwagbarkeit derKonzeptubernahme in die Arbeitspro-zesse sollte weitestmoglich in dieMethodik einfließen bzw. bei der Be-urteilung der Ergebnisse berucksichtigtwerden.

6.2 �berlegungen wahrenddes Projektverlaufs

Auch in laufenden Projekten kann dasArenenmodell nutzen. Die Frage nach denHauptakteuren und ihren jeweiligen Inte-ressen ist gleichermaßen relevant. Interes-sant ist zudem, welche Arenen bereits ge-offnet waren, in welcher Arena aktuellgespielt wird und welches Spiel sich zeigt.Es gilt, die Machtkonstellationen und-quellen zu erkennen und die Bedingungenfur ein Innovationsspiel abzuklopfen. Lasstsich Durchsetzungsmacht mobilisieren? IstAußendruck erkennbar und ist dieser eherauf einen Innovations- oder einen Projekt-erfolg gerichtet? Auch die eigene Positionim Projekt kann reflektiert werden. Aufdieser Basis konnen projekt- und arenen-spezifische Handlungsstrategien entwickeltwerden.Daruber hinaus haben die empirischen

Analysen der Verfasser folgende Erkennt-nisse ergeben, die wahrend des Projektver-laufs berucksichtigt werden sollten:& Projektgruppen bringen ihre Eigenin-

teressen (z. B. Profilierungswunsche,Problempriorisierungen) in die Arenenein. Bei der Entwicklung von Anreiz-strukturen fur die Projektgruppen istdies zu berucksichtigen. Eine Pramie beiprojektplankonformer Umsetzung kanndazu fuhren, dass an einmal getroffenenEntscheidungen festgehalten wird, auchwenn der zunehmende Erkenntnis-gewinn Veranderungen eigentlich alssinnvoll erscheinen lasst.

& Die bereits angesprochenen ubergeord-neten (Projekt-)Arenen sind auch beider Projektdurchfuhrung zu beruck-sichtigen. Auch der Implementations-druck eines woanders entstandenen

Konzepts kann den Projektverlauf be-einflussen. Darf ein Projekt nicht schei-tern, kann dies den mikropolitischen„Preis“ fur den Projekterfolg in dieHohe treiben.

& Der Innovationsgrad eines Konzeptskann durch eine „Schere im Kopf“, al-so das Antizipieren der Durchsetzbar-keit einer Losung in den verschiedenenArenen, beeintrachtigt werden. Das Er-kenntnisniveau der Akteure ist dannhoher als das Handlungsniveau. Furdie Routinisierung ist es besonders kri-tisch, wenn von den Entwicklungs-akteuren die Handlungsrationalitat derAnwender falsch eingeschatzt wird.Die Perspektive der Verwaltungskun-den ist systematisch in die Entwick-lung einzubinden, um die Routinisie-rungschancen der Anwendung zuerhohen. Diese Forderung ist nichtneu [Lenk02; Lenk04], wird aberdurch die Analyseergebnisse deutlichunterstrichen.

& Situationsadaquate Geschaftsmodellekristallisieren sich als weiterer Erfolgs-faktor fur E-Government heraus. EineGesamtinnovation kann „volkswirt-schaftlich“ nutzlich, betriebswirtschaft-lich (also aus Sicht eines einzelnen Ak-teurs) aber nur wenig oder gar nichtsinnvoll sein. Die Konzeption des Ge-schaftsmodells hat ggf. uber alle Pro-zessbeteiligten hinweg zu erfolgen undmuss sinnstiftend fur jeden Partner sein[Petr03].

7 Fazit und Ausblick

Der Ansatz des mikropolitischen Arenen-modells zur Analyse von Innovationsver-laufen eroffnet zahlreiche weitere For-schungsperspektiven. Ein Ansatzpunkt istdie Prufung, ob, und wenn ja, welcheE-Government-typischen Regelmaßigkei-ten sich zeigen (typische Akteurskonstella-tionen, arenenspezifische Spiele und derenVerzahnung) und ob sich auf dieser Basisz. B. Innovationsverlaufe typisieren lassen.Diese Prufung kann in verschiedenenDimensionen erfolgen: Ausloserorientiert(intern/extern initiierte Projekte, potenzial-getriebene/problemgetriebene Projekte),konstellationsorientiert (organisations-interne/-ubergreifende Projekte, Projekteauf verschiedenen Verwaltungsebenen, reinoffentliche oder offentlich-private Projek-te), aufgabenorientiert (Entwicklung in ein-zelnen Politikfeldern, bei unterschiedlichenVerwaltungsaufgaben), technikorientiert(Einfuhrung von DMS, CSCW-Anwen-dungen u. a. m.) oder auch erfolgsorientiert(erfolgreiche/gescheiterte Projekte).Zu prufen ist daruber hinaus die

�bertragbarkeit des Arenenmodells aufVeranderungsprozesse außerhalb desEGovernment-Kontexts (z. B. Fusionen,Outsourcingprojekte).Das Arenenmodell kann dazu beitragen,

die hohe Komplexitat von Innovationspro-zessen besser zu erfassen und zu bewalti-gen. Es regt dazu an, das Change-Manage-

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Abstract

Micropolitical Innovation Arenas as a Tool for Analyzing Innovation Processes in the Con-text of Electronic Government

E-Government requires technical and organizational innovation. Research has alreadyshown that the respective innovation process is complex and contingent upon specific orga-nizational structures. Managing such innovation processes successfully is difficult. Drawingon assumptions of micropolitical behavior, a framework of innovation arenas is proposed. Itsupports the analysis of ongoing E-Government projects as well as the ex post investigationof successful or failed projects. Testing this framework in case studies already demonstratesits usefulness for individual actors making strategic choices about change management.Furthermore, the results indicate that many commonly held assumptions about successfulchange management have to be reconsidered.

Keywords: Innovation Process, Analytical Framework, Change Management, Micropolitics,Bargaining Situations, Application Engineering of E-Government, Success Factors forE-Government

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ment jenseits von rein normativen Betrach-tungen als strategische Herausforderungzu betrachten und die Realisierung vonE-Government-Innovationen als „mikro-politisches Geschaft“ zu betreiben. Dennletztlich ist entscheidend, was angesichtsder verschiedenen mikropolitischen Are-nen tatsachlich „unten“ – also auf der Ar-beitsebene – ankommt.

Anmerkungen

1 Das Projekt „Organisatorische Gestal-tungspotenziale durch Electronic Go-vernment (org-e-gov)“ wird von derHans-Bockler-Stiftung gefordert. Es isteine Forschungskooperation der Univer-sitat Oldenburg (Prof. Dr. Lenk), derUniversitat Potsdam (Prof. Dr. Reichard)und der FHTW Berlin (Prof. Dr. Brug-gemeier). Nahere Informationen:http://www.orggov.de.

2 Fallstudienbereiche waren die Bauver-waltung, die Wirtschaftsforderung, per-sonenbezogene soziale Dienstleistungen,der Katastrophenschutz, eine Mehrebe-nenkooperation zur Entwicklung ver-schiedener E-Government-Anwendun-gen sowie ein Mitarbeiterportal alsBeispiel fur „internes E-Government“.

3 An die Routinisierung schließt sich eineErfolgskontrolle an [Lenk98]. Mit demModell soll der Verlauf bis zur Einbin-dung einer technischen Konzeption indie Arbeitsroutine rekonstruiert und er-lautert werden. Daher wird die Erfolgs-kontrolle nicht betrachtet.

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