antikoagulation bei vorhofflimmern...
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Altersmedizinische FortbildungsreiheDer alternde Mensch im Blickpunkt der Medizin
Antikoagulation bei VorhofflimmernUpdate 2007
Wigand BürgenerZentrum für Innere Medizin
Klinik IKlinikum Bremen-Nord
14.03.07
Epidemiologie und Bedeutung
• Häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung des Menschen• Prävalenz 0,4 - 1 % der Gesamtbevölkerung,
8 % bei über 80-jährigen• Häufig assoziiert mit strukturellen Herzerkrankungen oder
Diabetes• 4,5 Millionen Menschen in der EU leiden an
Vorhofflimmern• > 3 % der Ausgaben im Gesundheitswesen
Jährliche Kosten 3000 € / Patient, insgesamt 13,5 Milliarden € / Jahr in der EU
Pathophysiologie des Vorhofflimmerns
2 Hypothesen:
Bei Persistieren des Vorhofflimmerns • elektrisches Remodeling (stabilisiert Vorhofflimmern)• kontraktiles Remodeling (Vorhofthromben, Vorhofdilatation)• strukturelles Remodeling (atriale Fibrose)
Klassifikation des Vorhofflimmerns
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
Prognose
Schlaganfallrisiko 2-7 - fach
Mortalität 2 - fach
Vorhofflimmern in 24,6 % der ischämischenSchlaganfälle (n = 3530)Marini et al., Stroke 2005;36:1115
Hämodynamische Konsequenzen
• Verlust der atrialen Kontraktilität, Verminderung der ventrikulären diastolischen Füllung (problematisch besonders bei vorbestehender Herzinsuffizienz)
• Tachy-Kardiomyopathie
Herzinsuffizienz
Häufigkeit der diastolischen Herzinsuffizienz
• Bei 44 % der Patienten mit Herzinsuffizienz isolierte diastolische Dysfunktion (normale EF)
• Mortalität der diastolischen Herzinsuffizienz ebenso hoch wie der systolischen Herzinsuffizienz
Bursi et al., JAMA 2006; 296:2209-2216
Ätiologie und
prädisponierende
Faktoren
Therapeutische Möglichkeiten
• Rhytmuskontrolle (Kardioversion)– medikamentös– elektrisch
• Frequenzkontrolle • Antikoagulation• Katheterablation (Erfolgsrate bis 80 - 90 %)• Maze-Prozedur (in Verbindung mit herzchirurgischen
Eingriffen, Erfolgsrate 70 - 90 %)
Rhythmuskontrolle versus Frequenzkontrolle
Wyse et al., N Engl J Med 2002;347:1825-33 (AFFIRM-Studie)
Konsequenzen aus der AFFIRM-Studie
• Keine Überlegenheit der einen oder anderen Strategie bezüglich Mortalität oder Schlaganfallrisiko
• Entscheidung bezüglich Kardioversion abhängig von Symptomatik, Vorhofflimmeranamnese, Patientencharakteristika
• Bei Patienten mit hohem Schlaganfallrisiko Antikoagulation unabhängig von gewählter Strategie
• Antiarrhythmische Therapie unbefriedigend hinsichtlich Erhalt des Sinusrhythmus (nach 1 Jahr unter Amiodaron34 % Rezidiv, unter Klasse I-Antiarrhythmika 55 %)
Gelder et al., Arch Intern Med 1996; 156: 2585-92Roy et al., N Engl J Med 2000; 342: 913-920 (CTAF-Studie)
Rezidive von Vorhofflimmern nach elektrischer Kardioversion
Vor- und Nachteile von Frequenzkontrolle und Rhythmuskontrolle
RhythmuskontrolleVorteile:• Weniger Symptome• Bessere Belastbarkeit• Bessere Hämodynamik• Weniger Antikoagulation ?Nachteile:• AA-Nebenwirkungen• Schlechter Effekt der AA• Hohe Rezidivrate• Teuer• Mehr Krankenhausaufnahmen
FrequenzkontrolleVorteile:• Keine AA• Gute Wirksamkeit der Medikamente• Weniger Krankenhausaufnahmen• Kostengünstiger• Schlaganfallrisiko ähnlich Rhythmuskon.• Mortalität ähnlich RhythmuskontrolleNachteile:• Risiken der Antikoagulation• Risiko der Tachykardiomyopathie• Symptome persistierender Arrhythmie• Atriales Remodeling (permanent)
Nach Iqbal, M B. et al. BMJ 2005;330:238-243
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
Risikofaktoren für Hirninfarkt oder systemische arterielle Embolie bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
Risikostratifikation mit dem CHADS2-Score:Welcher Patient muss antikoaguliert werden?
Gage BF et al., JAMA 2001; 285: 2864-2870
Walraven WC et al., Arch Int Med 2003; 163: 936-43
Echokardiographische Parameter erhöhten Thromboembolierisikos
• linksatriale Spontanechos
• Thrombus im linken Vorhofohr
• Reduzierte linksventrikuläre Funktion
Thrombus im linken Ventrikel bei schlechter Pumpfunktion
Risiko von Hirninfarkt und Hirnblutung in Abhängigkeit von der Intensität der Antikoagulation
Hylek and Singer, Ann Intern Med 1994; 120, 897 - 902
Schlaganfallprävention durch orale Antikoagulantien
Risikoreduktion 62 %(ischämische und hämorrhagische
Schlaganfälle)
Hart et al., Ann Intern Med 1999: 131; 492 - 501
Evidenzlage und Wirksamkeit von empfohlenen Maßnahmen in der Primärprävention des Schlaganfalls
Leitlinie Primär- und Sekundärprävention der zerebralen Ischämie, Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2005
Antithrombotische Therapie bei Patienten mit Vorhofflimmern
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
Risikobasierte antithrombotische Therapie bei Vorhofflimmern
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
Antikoagulation bei Kardioversion
• Bei Vorhofflimmern > 48 h Dauer Antikoagulation INR 2,0 - 3,0 mindestens 3 Wochen vor und 4 Wochen nach Kardioversion.
• Bei Notwendigkeit sofortiger Kardioversion Heparininfusion(PTT 1,5 - 2-fach), anschließend orale AK INR 2,0 - 3,0.
Niedermolekulare Heparine sind möglicherweise eine Alternative zu UFH (aber weniger Daten).
• Nach Thrombusausschluss durch TEE kann Kardioversion nach Einleitung einer Antikoagulation sofort durchgeführt werden.
• Bei Vorhofflimmern < 48 h Dauer Antikoagulation vor und nach Kardioversion nach individuellem Risiko des Patienten.
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
Absolute Kontraindikationen der oralen Antikoagulation
• Erkrankungen mit erhöhter Blutungsbereitschaft– z.B. hämorrhagische Diathesen, Leberparenchymerkrankungen, Niereninsuffizienz,
Thrombopenie
• Fixierte und therapierefraktäre Hypertonie (>200/105 mm Hg)• Erkrankungen mit Läsion des Gefäßsystems
– z.B. Magen-Darm-Ulcera, Schlaganfall, Traumen/Operationen am ZNS, Retinopathie mit Blutungsrisiko, Hirnarterienaneurysma, dissezierendesAortenaneurysma, Endokarditis, Perikarditis
• Bekannte Überempfindlichkeit gegenüber Phenprocoumon• Ausgedehnte offene Wunden / nach Operationen• Kavernöse Lungen-Tbc
• Schwangerschaft• Nach urologischen Operationen mit Makrohämaturie
Relative Kontraindikationen der oralen Antikoagulation
• Zerebrales Anfallsleiden• Chronischer Alkoholismus• Neprolithiasis• Mangelnde Compliance des Patienten• Stillzeit
Probleme der oralen Antikoagulation bei älteren Patienten
• Blutungsrisiko• Arteriosklerotische Encephalopathie• Gangstörungen mit Neigung zu Stürzen• Kognitive Beeinträchtigungen• Mangelnde Compliance• Interaktionen mit anderen Medikamenten
Ist bei alten Menschen ggf. auch eine geringere Antikoagulation vertretbar?
Unter Umständen ja (INR 1,6 - 2,5, Ziel-INR 2,0) , wenn es sich um Primärprävention von Hirninfarkten und systemischen Thromboembolien handelt, bei
• Patienten > 75 Jahre mit erhöhtem Blutungsrisiko (aber ohne klare Kontraindikation für orale AK)
• Patienten mit mäßigen Risikofaktoren für Thromboembolien, bei denen eine sichere Antikoagulation im Standardzielbereich (INR 2,0 - 3,0) nicht durchführbar ist
• Wirksamkeit etwa 80 % einer intensiveren AKAber: Empfehlung der Klasse II b, Evidenzgrad C
Altersabhängiges Schlaganfallrisiko ohne Antikoagulation
Atrial Fibrillation Investigators, Arch Intern Med 1994; 154: 1449-1457
Besteht im Alter ein besonders hohes Blutungsrisiko?
• Ja, das Blutungsrisiko (intrakranielle und extrakranielleBlutungen) steigt im höheren Lebensalter
• Aber, das Blutungsrisiko wird durch sorgfältig überwachte Antikoagulantientherapie nicht wesentlich erhöht
Untersuchung an 13559 Patienten
Fang MC et al., JAGS 2006; 54: 1231-1236
Copyright ©2005 BMJ Publishing Group Ltd.
Ruiz Ortiz, M et al. Heart 2005;91:1225-1226
Effektivität und Sicherheit der oralen Antikoagulation bei Patienten > 75 Jahre mit Vorhofflimmern
Ereignisfreiheit von Embolien oder schweren Blutungen
Vorgehen vor elektiven diagnostischen Eingriffen oder Operationen
• Unterbrechung der Antikoagulation bis zu 1 Woche ohne Heparinsubstitution möglich
(Ausnahme: Patienten mit künstlichen Herzklappen)• Bei erforderlicher Unterbrechung von >1 Woche oder bei
Hochrisikopatienten Gabe von unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin
(Nutzen nicht durch Studien belegt)
ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation
Welchen Einfluss haben Patientenentscheidungshilfen(Decision Aid) auf die antithrombotische Behandlung?
McAlister, F. A. et al. CMAJ 2005;173:496-501
Copyright ©2005 CMA Media Inc. or its licensors
McAlister, F. A. et al. CMAJ 2005;173:496-501
Wie sieht es tatsächlich aus mit der antithrombotischen Therapie bei Vorhofflimmern?
1812 Patienten mit Vorhofflimmern nach Krankenhausentlassung (mittleres Alter 79 Jahre)
• 56 % antithrombotische Medikamente– 29 % Antikoagulantien– 22 % Thrombozytenaggregationshemmer– 5 % beides
• Einfluss auf die Entscheidung zur Verordnung hatten:– höheres Lebensalter (OR 0,93)– COPD (OR 0,77)– Malignome (OR 0,57)– frühere Einnahme von antithrombotischen Med. (OR 4,56)
Monte S et al., Eur Heart J 2006; 18: 2217-2223
Wie war der Nutzen der antithrombotischen Therapie?
• Niedrigere Mortalität (HR 0,36)– Antikoagulantientherapie (HR 0,23)– Thrombozytenaggregationshemmer (HR 0,66)
• Reduktion thromboembolischer Ereignisse (HR 0,52)• Keine erhöhte Morbidität durch schwerwiegende Blutungen
Monte S et al., Eur Heart J 2006; 18: 2217-2223
Gibt es Alternativen zur oralen Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten
beim Vorhofflimmern?
Evidenzbasiert und zugelassen:
Nein
Ist in Zukunft mit Alternativen zu rechnen?
Wahrscheinlich
Was würden wir uns wünschen?
• Fixe Medikamentendosierung• Fehlen regelmäßiger Gerinnungskontrollen mit
Dosisanpassung• Fehlende Interaktion mit Medikamenten • Fehlende Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme
Koagulation und Antikoagulation -Möglichkeiten der Antikoagulation
Schrör, Internist 2005; 46:873-881
Anti-FXa
Anti-FIIa
Faktor Xa-Inhibitoren
• Fondaparinux (Arixtra, 1 x täglich s.c.)
• Idraparinux (1 x wöchentlich s.c.)
• BAY 59-7939 (Phase II-Studien, 2 x täglich oral)
Direkte Thrombininhibitoren
Di Nisio M. et al., N Engl J Med 2005; 353:1028 - 40
Bivalirudin (Angiox) Megalatran
Exanta
Lepirudin (Refludan)
Desirudin (Revasc)
Vergleich Ximelagatran vs. Warfarinin der Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern
• SPORTIF III (n = 3410, open label)– Ximelagatran Schlaganfallereignisse 1,6 % / Jahr
Blutungen 25,8 % / Jahr– Warfarin Schlaganfallereignisse 2,3 % / Jahr n.s.
Blutungen (alle) 29,8 % / Jahr sign.
• Sportif V (n = 3922, doppelblind)– Ximelagatran Schlaganfallereignisse 1,6 % / Jahr
Blutungen 37 % / Jahr– Warfarin Schlaganfallereignisse 1,2 % / Jahr n.s.
Blutungen (alle) 47 % / Jahr sign.
Sportif III Investigators, Lancet 2003;362:1691-98
Sportif V Investigators, JAMA 2005;293:690-698
Probleme bei Ximelagatran
• Transaminasenanstiege in 6 %, daher in USA keine Zulassung durch FDA.
• Zulassung in Deutschland vorübergehend für Thromboembolieprophylaxe bei Hüft- oder Kniegelenksersatz-OP (empfohlene Behandlungsdauer 8 -11 Tage), dann wieder zurückgezogen.
Dabigatran
• Phase 3-Studie Thromboembolieprophylaxe bei Knie-TEP:
Wirkung und Blutungskomplikationen vergleichbar Enoxaparin
American Society of Hematology December 2006
Zusammenfassung antithrombotische Therapie bei Vorhofflimmern
• Bei allen Patienten mit Vorhofflimmern (außer: „lone atrialfibrillation“, Kontraindikationen)
• Wahl des Antithrombotikums (ASS oder Vitamin K-Antagonist) nach individuellem Risiko
– ASS bei Niedrigrisikopatienten oder Kontraindikationen für orale AK– Orale AK bei Patienten mit mehr als 1 mäßigen Risikofaktor
• Trotz höheren Blutungsrisikos profitieren auch ältere Patienten von einer Antikoagulation, weil sie ein besonders hohes Schlaganfallrisiko haben
• INR unter oraler AK 2,0 - 3,0 (bei künstlichen Herzklappen > 2,5)• In Einzelfällen (ältere Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko, sichere
Antikoagulation im Standardzielbereich nicht durchführbar) Ziel-INR 2,0 akzeptabel
Nutzen und Risiken der Antikoagulation müssen im
Einzelfall gegeneinander abgewogen werden
Aber...