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AR CHI VAR 03 62. Jahrgang G 4914 Juli 2009 Heft Herausgeber Landesarchiv Nordrhein-Westfalen VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. Zeitschrift für Archivwesen Archive in Regensburg Das Metadatenkonzept des „Digitalen Archivs“ des Bundesarchivs Seamless Flow of the Public Records. Spread of the Electronic Records Management System of Korea In eigener Zuständigkeit. Der Deutsche Bundestag hat eine neue Archivordnung Zeitschrift für Archivwesen ARCHIVAR 03/09 62. Jahrgang

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Zeitschrift für Archivwesen

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ARCHIVAR

0362. Jahrgang G 4914

Juli 2009 Heft

Herausgeber Landesarchiv Nordrhein-Westfalen VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V.

Zeitschrift für Archivwesen

Archive in Regensburg

Das Metadatenkonzept des „Digitalen Archivs“

des Bundesarchivs

Seamless Flow of the Public Records. Spread of

the Electronic Records Management System of

Korea

In eigener Zuständigkeit. Der Deutsche

Bundestag hat eine neue Archivordnung Zei

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 03 Juli 2009

EDITORIAL 237

AUFSÄTZE 238

Archive in Regensburg 238

Das Metadatenkonzept des „Digitalen Archivs“ des Bundesarchivs 248

Seamless Flow of the Public Records. Spread of the Electronic Records

Management System of Korea 255

In eigener Zuständigkeit. Der Deutsche Bundestag hat eine neue

Archivordnung 260

ARCHIVTHEORIE UND PRAXIS 265

Die Lagerung von Karten im Archiv . www.kirchenportal.de goes to ICARus. Start der

internationalen ökumenischen Pilotphase im März 2009 . Vertrauenswürdige digitale

Archive – Ergebnisse und Perspektiven der nestor/DIN AG · „1989-1990: Wende-Zeiten“.

Das neue Internetangebot des Deutschen Rundfunkarchivs (DRA) . „Was macht

eigentlich ... das Parlamentsarchiv?“ . 18. Süddeutscher Kirchenarchivtag in Karlsruhe

LITERATURBERICHTE 280

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES LANDESARCHIVS NRW 291

Die Erschließung elektronischer Sachakten 291

Neuordnung der Siegelsammlung in der Abteilung Rheinland 298

Expertenanhörung zum Kölner Archiveinsturz und den Konsequenzen 301

Phasen der Bergung und Erstversorgung des Archivguts aus dem

historischen Archiv der Stadt Köln 305

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA 314

25 Jahre Archiv der Deutschen Frauenbewegung 314

80. deutscher Archivtag 2010 – Call for Papers 316

5. Tag der Archive 2010 317

Personenstandsunterlagen und Archive 318

PERSONALNACHRICHTEN 322

NACHRUFE 323

KURZINFORMATIONEN UND VERSCHIEDENES 327

VORSCHAU/IMPRESSUM 328

INHALT

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 03 Juli 2009

EDITORIALLLiebe LLeserinnen uund LLeser, lliebe KKolleginnen uund KKollegen,

vier Monate sind inzwischen seit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs vergangen. Immer noch ist es zu früh, dieAuswirkungen der Katastrophe in ihrem ganzen Ausmaß zu ermessen. Trotzdem lassen sich erste fachliche Konsequenzen aus dem Archiveinsturz von Köln ziehen. Zu diesem Zweck haben das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen und die Stadt Köln am 24. Juni eine Expertenanhörung veranstaltet. Mehr als 160 Teilnehmer kamen inKöln zusammen. Die Expertenanhörung wurde vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Dr. JürgenRüttgers und vom Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma eröffnet; sie beriet in zwei Plenumsveranstaltungenund drei Arbeitsgruppen über Bauvorschriften für Archive, über Notfallvorsorge und -logistik sowie überStrategien zur Verfilmung und Digitalisierung von Archivgut. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnissefinden Sie im vorliegenden Heft; eine ausführlichere Dokumentation, die neben den Abstracts der Vorträge undeiner Zusammenfassung der Diskussionen auch zentrale Beiträge im Volltext enthält, bereitet das LandesarchivNordrhein-Westfalen für den Deutschen Archivtag vor. Schwerpunktthema der vorliegenden Ausgabe des „Archivar“ ist der Zugang zu Archivgut im digitalen Zeitalter.Neben einem Beitrag von Kathrin Schroeder und Karsten Huth über das Metadatenkonzept des „Digitalen Archivs“ im Bundesarchiv und von Jörn Brinkhus über „Die Erschließung elektronischer Sachakten“ bietet JeongKwag mit ihrem Aufsatz über den „Seamless Flow of the Public Records“ einen Blick über den Tellerrand desdeutschen Archivwesens hinaus. In Südkorea entstehen inzwischen in den zentralen Verwaltungsstellen etwa 98 % aller Unterlagen in elektronischer Form. Um diese Menge archivisch zu bewältigen, hat das National Archives of Korea für über 3 Mio. US-Dollar ein elektronisches Records-Management-System entwickelt und inBetrieb genommen, das nach dem Lifecycle-Modell eine Verwaltung elektronischer Dokumente von ihrerEntstehung über die Aussonderung bis hin zur dauerhaften OAIS konformen Archivierung erlaubt. Die

weitgehende Orientierung an internationalen Standards macht das koreanische Beispiel auch für deutsche Leserinteressant. Die Botschaft lautet: Die Langzeitsicherung und spätere archivische Bereitstellung digitaler Unterlagenist möglich; sie verlangt eine enge Kooperation zwischen Archiv und Verwaltung und von der Politik die Bereitstellung ausreichender Ressourcen.Wie in jedem Jahr so stellen sich auch diesmal im Juli-Heft des „Archivar“ die Archive am und um den Standortdes Deutschen Archivtags vor. Beiträge über das Stadtarchiv Regensburg, das Bischöfliche Zentralarchiv, das Archivder St. Katharinenspitalstiftung, das Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv, das Universitätsarchiv Regensburg unddas Staatsarchiv Amberg zeugen von der dichten Archivlandschaft in der Oberpfalz. Sie machen uns gespannt aufden Archivtag im September.Bis dahin wünschen wir Ihnen einen schönen Sommer und eine erholsame Urlaubszeit.

Herzlichst, Andreas Pilger in Verbindung mit Robert Kretzschmar,

Wilfried Reininghaus, Ulrich Soénius, Martina Wiech und Klaus Wisotzky

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kowitz-Störnstein) sowie auf die im ehemaligen Nordgau ge le -genen pfalz-neuburgischen Ämter, Herrschaften und Hofmarken.Die Bestände des Staatsarchivs, die im Hauptgebäude in Ambergund in der Außenstelle in Sulzbach-Rosenberg lagern, umfassengegenwärtig rund 2,9 Millionen Archivalieneinheiten im Umfangvon etwa 23.300 laufenden Metern aus der Zeit von 1043 bis indie Gegenwart. Die Masse des Archivguts machen etwa 2,85Millionen Akten und Amtsbücher aus, hinzu kommen rund24.100 Urkunden, 11.600 Karten und Pläne, 1.760 Plakate, den Restbilden Nachlässe, Fotos, Presseausschnitte und Druckschriften.Als Behörde mit Dienstleistungscharakter sieht das Staatsarchivseine Aufgabenschwerpunkte in der Erschließung und Zugäng-lichmachung von Archivgut für die Verwaltung und für privateForschungsvorhaben. Neben der Formierung und Verzeichnungder Altbestände (insbesondere der im Zuge der Beständebereini-gung aus München nach Amberg zurückgegebenen Überlieferun-gen der oberpfälzischen Klöster sowie der Territorien OberePfalz, Pfalz-Sulzbach und Leuchtenberg) gilt ein besonderesAugenmerk dem Kontakt zur modernen öffentlichen Verwaltungund der Sicherung archivwürdiger Unterlagen aus den Registra-turen der im Regierungsbezirk ansässigen Behörden und Gerich-te. In gleicher Weise wie für andere staatliche Archive stellen hierauch für das Staatsarchiv Amberg die fortschreitende Digitalisie-rung der Schriftgutverwaltung durch Einführung von elektroni-schen Vorgangsbearbeitungssystemen und die dadurch erforderli-chen Vorkehrungen für die Langzeitsicherung eine große Heraus-forderung dar. Im Rahmen der kommunalen Archivpflege berät das Staatsarchivdie Städte und Gemeinden in der Oberpfalz, deren Archive nichthauptamtlich verwaltet werden. Dabei wird es durch 13 ehren-amtliche Kreisarchivpfleger unterstützt. Zur Fortbildung derArchivpfleger und Gemeindearchivare veranstaltet das Staats -archiv regelmäßige Archivpflegertagungen und bietet in Zusam-menarbeit mit der Bayerischen Verwaltungsschule Regionalsemi-nare zum Thema Registratur- und Archivwesen in den Gemein-den an. Einen weiteren Schwerpunkt stellt schließlich die historischeBildungsarbeit dar. Zu diesem Zweck finden vor allem Ausstel-lungen zu historischen Themen, Archivführungen (u. a. fürhistorische Vereine und Arbeitskreise, für Studierende der Univer-sität Regensburg) sowie Aktivitäten im Rahmen des Projekts„Archiv und Schule“ statt. 2007 veranstaltete das Staatsarchiv einZeitzeugengespräch, das sich mit den Auseinandersetzungen umdie in den 80er Jahren nahe Wackersdorf (Landkreis Schwandorf)geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage beschäftigte undgroße Resonanz fand. Das Staatsarchiv suchte sich damit nichtnur als Kompetenz- und Erlebnisort für Geschichte, insbesondereauch die Zeitgeschichte, zu präsentieren, sondern wollte zugleichauf die in seinem Haus verwahrte, überwiegend allerdings noch

AUFSÄTZE

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ARCHIVE IN REGENSBURG

STAATSARCHIV AMBERG – REGIONAL -ARCHIV FÜR DIE OBERPFALZ

Das Staatsarchiv Amberg ist das für den bayerischen Regierungs-bezirk Oberpfalz zuständige staatliche Regionalarchiv. In dieserFunktion versteht es sich als „Speicherplatz oberpfälzischerGeschichte“. Dass das Staatsarchiv für die Oberpfalz sich inAmberg befindet und nicht in Regensburg, am Sitz der Bezirksre-gierung, hat historische Gründe: Es ist als Institution aus demArchiv und den Registraturen der Regierung Amberg hervorge-gangen. Die Regierung Amberg war Verwaltungsmittelpunkt desehemaligen wittelsbachischen Fürstentums der Oberen Pfalz, dasvon 1329 bis 1621 unter der Botmäßigkeit der Kurfürsten von derPfalz stand und mit dem Herrschaftsübergang an den bayeri-schen Herzog und nachmaligen Kurfürst Maximilian I. 1621/28kurbayerisch wurde. Bald nach dem wittelsbachischen Hausver-trag von Pavia von 1329 hatten die Pfalzgrafen für die ihnenzugeschlagenen nordgauischen Gebiete (diese wurden zunächstals „das Land der Pfalz zu Bayern“ bezeichnet, bis sich seit dem16. Jahrhundert der Name „Obere Pfalz“ einbürgerte) das Viz-tumamt Amberg errichtet, das sich später „Regierung Amberg“nannte. Wahrscheinlich bereits seit dem 14. Jahrhundert verfügtedie Kanzlei dieser Mittelbehörde über ein Briefgewölbe, in demvor allem Urkunden, aber auch andere rechtsrelevante Aufzeich-nungen wie Kopialbücher, Register und Urbare verwahrt wurden.Erstmals urkundlich erwähnt wird dieses Archiv freilich erst1436. Untergebracht war es wohl zunächst in der Alten Veste amEichenforst, nach 1417 im neu erbauten Schloss. 1547 erfolgte derUmzug in das neue Gebäude der Regierungskanzlei. Seit 1910 hatdas Staatsarchiv seinen Sitz an der Archivstraße in einem damalsaus Platzgründen neu errichteten Archivzweckbau. Zur Behebungerneuter Raumprobleme, die zu Aktenauslagerungen in provisori-sche Depots zwangen, wurden 1984 bis 1987 Um- und Erwei-tungsbauten im Magazin- und Öffentlichkeitsbereich durchge-führt und in der sog. Klosterkaserne in der (14 km von Ambergentfernt liegenden) Stadt Sulzbach-Rosenberg 1988 eine Außen-stelle mit zusätzlichen Magazinflächen eingerichtet. Der moderne Zuständigkeitssprengel des Staatsarchivs Ambergist durch den 1837 entstandenen Regierungsbezirk Oberpfalzdefiniert. Auf dieser Grundlage übernimmt es archivwürdigeUnterlagen von Behörden, Gerichten und sonstigen staatlichenStellen, soweit diese ihren Sitz in der Oberpfalz haben. Im Hin-blick auf historisches Schriftgut aus der Zeit des Alten Reichserstreckt sich seine Zuständigkeit auf das Fürstentum der OberenPfalz einschließlich der in ihm gelegenen Klöster (z. B. Waldsassen,Speinshart, Michelfeld, Kastl, Ensdorf, Seligenporten), das Fürsten-tum Pfalz-Sulzbach, die Landgrafschaft Leuchtenberg, mehrerereichsunmittelbare Herrschaften (z. B. gefürstete Grafschaft Lob -

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„Reichsstadt Regensburg“ das Almosenamt, dem das städtischeFürsorgewesen seit 1532 unterstand, mit einer Vorläuferüberliefe-rung seit 1299. Äußerst ungewöhnlich, wenn nicht unikal dürftendie sogenannten Stamm- und Wappenbücher verschiedenerreichs städtischer Ämter (1500-1800) sein, die „offizielle“ Portraitsder jeweils nominierten Räte für die einzelnen Ämter enthalten.Andere zentrale Archivaliengruppen bilden die Ratswahlbücher(1500-1801), etliche Chroniken, so etwa die „Bauamtschronik“des Matthias Kern (1600-1787), die Bürgeraufnahmebücher (1419-1569, 1620-1869), die Siegelprotokolle (1508-1522, 1564-1807), dieursprünglichen Regesten später Abschriften von Urkunden überLiegenschaftstransaktionen enthalten, und der Bestand „Ecclesia-stica“, eine Teilüberlieferung des reichsstädtischen Konsistori-ums, die Archivalien zur Einführung der Reformation in Regens-burg mit Briefen von Philipp Melanchthon und Martin Luthersowie Schriftgut über die Regensburger Klöster, Spitäler undStiftungen und zum frühen Schulwesen enthält. Eine wichtigeQuellengruppe, die aus der reichsstädtischen Zeit bis ins 19. Jahr -hundert reicht, bildet die Überlieferung des Hansgrafenamtes(Reichsstadt Regensburg, Bestände „Cameralia“ und „Politica I“).Ergänzt wird dieses Material durch die Bestände „Handels-stand“, das Handwerkerarchiv, das bis 1530 zurückreichendSchriftgut verschiedener Regensburger Zünfte beinhaltet und denBestand „Kramerinnung“ (1321-19. Jh.).Für die Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts finden sich für fast alleFragestellungen Informa tionen im Bestand „Zentralregistratur“.Das Schriftgut stammt aus der 1977 aufgelösten zentralen Regi-stratur der Stadt und kam in drei Wellen ins Archiv. Das Schrift-gut wurde abgabeweise verzeichnet und damit drei Teilbestände(ZR 1-3) gebildet. Für Personenforschungen stehen ca. 164.000Familienbögen aus der Zeit des späten 18. Jahrhunderts bis etwanach dem 2. Weltkrieg sowie ca. 150 Kartons Meldekarteien zurVer fügung. Für Personenforschungen aber auch wirtschaftlicheFragestellungen geben die „Alten Polizeiakten“ Auskunft. Sieenthalten Ansässigmachungen, Bürgerrechtsverleihungen, Verehe-lichungen und Konzessionierungen. Über die Geschichte dereingemeindeten Umlandgemeinden Regensburgs geben deren imStadtarchiv verwahrte und durch Findbücher gut erschlosseneArchivalien Auskunft.Der Bereich Nachlässe und Sammlungen enthält v. a. Schriftgutverschiedener bedeutender Regensburger Persönlichkeiten.Besonders erwähnenswert ist dabei der umfangreiche Nachlassdes in Aschaffenburg geborenen Politikers Georg Heim, „Bauern-doktor“ genannt, der Nachlass des Christian Wilhelm vonDohm, der ein Tagebuch mit der Beschreibung der französischenBesetzung Straßburgs 1789 enthält, und die TheatersammlungBlank, die als Hauptquelle des Regensburger Theaterwesens seitseiner Frühzeit angesehen werden kann.Das städtische Vereinswesen wird durch das Schriftgut einerReihe von Vereinen doku mentiert, deren Aktivitäten das kulturel-le Leben der Stadt repräsentieren, so etwa durch die Registratu-ren des Denkmalbauvereins, der Hauptschützen und Schützenzum Großen Stahl, Gärtnervereins, Ge sangsvereins, Kunst- undGewerbevereins, Liederkranzes, Literarischen Vereins, Turner -vereins u. v. m. Seit 1996 wird die Bibliothek und der umfangrei-che Archivalienbestand des Historischen Vereins für Oberpfalzund Regensburg im Stadtarchiv aufbewahrt und verwaltet.Außerdem verwahrt das Stadtarchiv die Archive der Gräflich vonDörnberg’schen Waisenfondsstiftung und der RegensburgerTurnerschaft.

mit Schutzfristen belegte Überlieferung zur Geschichte der WAAund zum Widerstand der Bürgerinitiativen aufmerksam machen.Seit 2006 führt das Staatsarchiv jährlich einen „Tag der Heimat-forschung“ durch. Ziel dieser neuen Veranstaltungsreihe ist es,den Heimatforschern als der zahlenmäßig stärksten Gruppeinnerhalb der persönlichen Benutzer, aber auch allen sonstigenInteressierten Hinweise und Empfehlungen für die praktischeQuellenarbeit zu geben. Unter wechselnden Schwerpunktthemenwerden objektnah und praxisbezogen Informationen zu Fragenund Möglichkeiten der Forschung im Archiv, über Hilfsmittelund Arbeitstechniken sowie einschlägige Quellengruppen zurOberpfälzer Lokal- und Regionalgeschichte vermittelt.

Dr. Maria Rita SagstetterStaatsarchiv AmbergArchivstraße 392224 Amberg

STADTARCHIV REGENSBURG

Das Stadtarchiv Regensburg bildet heute eine Abteilung des Amtsfür Archiv und Denkmalpflege der Stadt Regensburg und ist demKulturreferat unterstellt. Die Struktur der Regensburger städtischen Archivüberlieferungist seit dem Ende des Alten Reichs gespalten: Das Archiv derfreien Reichsstadt Regensburg, dessen Einrichtung in die Zeit desStädtekriegs 1388 fällt, wurde 1803 Bestandteil des Archivs desKurerzkanzlerstaates Carl Theodors von Dalberg (1803-1810) undspäter, als Regensburg ab 1810 bayerische Landstadt bzw. freieKreisstadt wurde, zu einem Bestandteil der königlich bayerischenArchivverwaltung. Jetzt erfolgte die Trennung des reichsstädti-schen Schriftguts in „städtisch-administratives“ und „reichsstäd-tisch-hoheitliches“ und die Übernahme des letzteren im Herbst1824 ins Allgemeine Reichsarchiv, heute Bayerisches Hauptstaats-archiv, Abteilung I. Der Umfang des damals von Regensburg weg -gebrachten Materials umfasst deutlich mehr als 14.000 Urkunden(1101-1800), rund 850 Amtsbücher (14.-19. Jh.), an die 7.000 Testa-mente, Reichstagsakten und den Gemeinerschen Nachlass imUmfang von 46 Kartons. Dies führte und führt zu der Situation,dass Forschungen über Regensburg durch die räumliche Tren-nung stark erschwert werden. Die Regensburger Archivüberliefe-rung wurde noch weiter stark beeinträchtigt durch die Vernich-tung großer Aktenmassen bei einem Makulaturverkauf derköniglichen Regierung der Oberpfalz und von Regensburg 1851,dem nahezu das gesamte Archivkonservatorium Regensburg mitumfangreichen Aktenbeständen verschiedener reichsstädtischerBehörden, aber auch säkularisierter katholischer Klöster undStifte, zum Opfer fiel, so dass heute vergleichsweise nur nochwenige Akten aus der Zeit vor dem 19. Jh. vorhanden sind.Trotzdem verwahrt das Stadtarchiv, das Mitte des 19. Jahrhun-derts eingerichtet wurde, noch eine ganze Reihe bedeutenderArchivalien reichsstädtischer Provenienz: Alles überragend dasRuntingerbuch, das ‚Hauptbuch‘ der zeitweise reichsten FamilieRegensburgs um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert, unddamit eine Ikone der mittelalterlichen WirtschaftsgeschichteDeutschlands. Weiterhin erwähnenswert ist dabei im Bestand

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AUFSÄTZE

Seit Mitte der 80er Jahre wird im Stadtarchiv Regensburg mitdigitalen Medien experimentiert. Inzwischen ist der größte Teilder Repertorienbestände in einer Datenbank erfasst (Access).Konventionelle Abgabelisten bei Aktenaussonderungen gibt esnicht mehr. Die Abgabedatenbanken werden im städtischen Netzbearbeitet und bereits während der Erstellung durch das Archiv-personal kontrolliert. Mangels Personals werden die im Lesesaalöffentlich zugänglichen elektronischen Repertorien zurzeit nichtim Internet präsentiert.Neben dem archivarischen Tagesgeschäft wurde im StadtarchivRegensburg stets die Präsentation städtischer Archivalien imInternet versucht, um wenigstens virtuell den Stand der Überlie-ferung darstellen zu können. Der Grund hierfür liegt in der starkdislozierten Reichsstädtischen Überlieferung. Wie bereits obenfestgestellt, gibt es vier größere Bestände des ReichsstädtischenArchivs an drei Standorten: Regensburg (Stadtarchiv und Archivdes Historischen Vereins für Oberpfalz), München (BayerischesHauptstaatsarchiv) und Nürnberg (Archiv des GermanischenNationalmuseums). Da eine Zusammenführung der Bestände amWiderstand des Freistaats Bayern gescheitert ist, versuchte undversucht das Stadtarchiv über die Digitalisierung von altenBeständen und deren Präsentation im Rahmen der Fontes Civita-tis Ratisponensis, die in Zusammenarbeit mit der UniversitätGraz bis zum heutigen Tag fortgeführt wird, im Internet einerbreiteren Öffentlichkeit die Regensburger Überlieferung zugäng-lich zu machen. Das als Expertensystem zur digital gestütztenErstellung von Editionen in den 80er Jahren entworfene Editions-system Fontes Civitatis Ratisponensis wird derzeit für die Benutz-barkeit durch Laien überarbeitet, um es dann vor allem mit denumfangreichen städtischen Digitalisaten weiter zu befüllen. EineIntegration archivischer Metainformationen ist grundsätzlichgeplant.In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsbibliothek inMünchen (BLO), dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv München,der Stadt Abensberg und anderen Bibliotheken wird die Digitali-sierung und die Internetpräsentation der Handschriften Aventinsund seiner Publikationen durchgeführt. Im Rahmen der FontesCivitatis Ratisponensis soll eine vom Lagerort der Archivalienunabhängige Plattform geschaffen werden, die die verschiedenenÜberlieferungsorte auch mit entsprechenden Metadaten koordi-niert und zugänglich macht.Öffnungszeiten: Mo.-Do. 9-12 Uhr, 14-16 Uhr, Fr. 9-12 Uhr.Benutzungsbedingungen und Gebüh ren richten sich nach derStadtarchivsatzung vom 20.6.1988 und der Stadtarchiv-Gebühren -satzung vom 20.6.1988, zuletzt angepasst am 01.03.2003.

Dr. Heinrich WanderwitzStadtarchiv RegensburgKeplerstr. 193047 RegensburgTel. 0941-507-1452Fax 0941-507-4458

DAS BISCHÖFLICHE ZENTRALARCHIVREGENSBURG

Nach seiner Gründung im Jahre 739 war das Bistum Regensburglange in Personalunion mit dem Kloster St. Emmeram verbundenund hatte mit diesem ein gemeinsames Archiv. Als St. Emmeram975 einen eigenen Abt erhielt, blieben die Urkunden und Traditi-onsbücher des Hochstiftes im Archiv des Klosters. Erst danach istdie Entstehung eines eigenen Bistums- bzw. Hochstiftsarchivsanzusetzen. Offiziell ist von einem solchen erst bei einer Diöze-sansynode 1650 die Rede. Dessen erster Betreuer war 1657-1660der Prokurator Franz Koch. 1757 entschloss sich die Bistumslei-tung zur Bestellung „eines besondern Archivarii“, nämlich vonDr. theol. Georg Sebastian Dillner. Eine systematische Ordnungvon Archiv und Registratur unternahm freilich erst 1780-87 derfrühere Registrator und spätere Konsistorialsekretär Josef Hecken -staller, auf den auch ein Aktenplan und eine Hofrats- und Kanz-leiordnung zurückgehen und der die älteste erhaltene Bistums-karte erstellt hat.1803 wurden Hochstift und Reichsstadt Regensburg an Fürstpri-mas von Dalberg übertragen, 1810 an Bayern. Diese Umbruchszeitmit den wechselnden Tendenzen der staatlichen Verwaltung, demMangel an ausreichenden und geeigneten Räumlichkeiten undkompetenten Kräften, bewirkte eine weitgehende Verwirrung derRegensburger Archivbestände und große Verluste durch Makulie-rungen. Die in Regensburg erst nach 1810 durchgeführte Säkula-risation beließ dem Bistum wesentlich mehr Archivalien alsanderen Diözesen 1803. Der Staat zog in erster Linie solchesSchriftgut ein, das als besonders wertvoll eingeschätzt wurde, vorallem Urkunden. Schriftgut geistlichen Betreffs wurde demBistum natürlich eher belassen als solches, das die weltlicheHerrschaft (Hochstift) des Bischofs tangierte.Infolge der Säkularisation musste das Diözesanarchiv mehrmalsseinen Standort wechseln. 1821 landete es schließlich im ehemali-gen Damenstift Niedermünster, wo inzwischen das Ordinariatuntergebracht war. Dort führte es trotz des kontinuierlichenAnwachsens der Bestände über ein Jahrhundert lang ein Schat-tendasein. Die Errichtung eines eigenen, mit einem hauptamtli-chen Betreuer versehenen Diözesanarchivs war daher ein drin-gendes Anliegen auf der Regensburger Diözesansynode von 1928.Zwei Jahre später wurde von Bischof Michael Buchberger derhistorisch interessierte und erfahrene Geistliche Johann BaptistLehner zum Domvikar und bischöflichen Archivar ernannt. Umdem immer drückender werdenden Platz- und Personalmangelabzuhelfen, ließ Bischof Dr. Dr. Rudolf Graber 1971 im renovier-ten Obermünstergebäude und einem Anbau das BischöflicheZentralarchiv installieren. Die Bauarbeiten standen unter Leitungvon Archivdirektor Msgr. Dr. Paul Mai, der in der Folgezeit auchfür einen fachgerechten Ausbau der Personalstruktur sorgte. Eswar nun Raum geschaffen für die Zentralisierung zahlreicherArchivbestände. Derzeit umfasst das Bischöfliche Zentralarchivannähernd 20.000 Urkunden, ca. 600 laufende Meter an Bändenund über 4.000 laufende Meter an Akten.Die Ordinariatsregistratur gab bisher ihren allgemeinen Bestandsowie ihre Pfarr- und Klosterakten vor 2002 an das Archiv ab. Einzweiter Kernbestand des Bischöflichen Zentralarchivs neben demArchiv des Ordinariats bzw. des ehemaligen Bischöflichen Kon-sistoriums, welches im Wesentlichen bis ins 15. Jahrhundert zu -rück reicht, ist das des Domkapitels, das heute infolge eines unter -schiedlichen Schicksals in zwei Teile („Altes Domkapitel’sches

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Archiv“ = ADK und „Bischöfl. Domkapitel‘sches Archiv“ = BDK)zerfällt, wobei für einen, nämlich das ADK, der Staat ein Mitei-gentum beansprucht. Über das Archiv des Domkapitels liegenschon im Mittelalter Nachrichten vor. Es wurde damals in derDomsakristei aufbewahrt und unterstand der Leitung des Dom-kustos. Daneben sind in erster Linie die Archive der nicht säkula-risierten Stifte bzw. Klöster Regensburgs Alte Kapelle, St. Johann,St. Jakob und St. Klara mit ihren reichen Urkundenbeständen zuerwähnen. Pfarrarchive sollen jedenfalls dann im BischöflichenZentralarchiv deponiert werden, wenn die betreffende Seelsorge-stelle nicht mehr besetzt oder kein geeigneter Raum für dasArchiv vorhanden oder dasselbe wegen Umbaumaßnahmengefährdet ist. Derzeit sind bereits nahezu 200 Pfarrarchive einge-bracht. Auch etwa 140 Nachlässe, darunter einige von Bischöfen,sowie verschiedene Verbands- und Vereinsarchive sind unter denBeständen. Nicht zuletzt legte das Archiv verschiedene Sammlun-gen, etwa von Stichen, Plänen, Plakaten, Siegeln, Münzen, Medail-len und Banknoten an. Die höchste Benützerfrequenz, insbeson-dere durch Familienforscher, haben die insgesamt 6.616 Bände anälteren Pfarrmatrikeln – größtenteils aus der Zeit vor 1875 –, dieseit langem vollständig im Bischöflichen Zentralarchiv deponiertsind, aus konservatorischen Gründen freilich nur in Form vonMikrofiches vorgelegt werden können.Die finanzielle Situation des Bistums wird es in Zukunft er -schweren, genügend Personal für das Archiv bereitzustellen, umdessen vielfältige Aufgaben voll bewältigen zu können. DieGrund struktur ist jedoch so gefestigt, dass den Herausforderun-gen der Zu kunft mit Zuversicht entgegengesehen werden kann.Der Bistums leitung ist die Bedeutung des Archivs bewusst.Kürzlich genehmigte sie dessen räumliche Erweiterung.

Msgr. Dr. Paul MaiBischöfliches ZentralarchivSt. Petersweg 11-1393047 RegensburgE-Mail: [email protected]: www.bistum-regensburg.de/borPage000840.asp

DAS ARCHIV DER ST. KATHARINENSPITALSTIFTUNG INREGENSBURG

Das Archiv des St. Katharinenspitals in Regensburg bildet seinerGenese nach einen kommunalen Teilbestand und blieb bis zumheutigen Tag im Eigentum der gleichnamigen Stiftung. SeinerRechtsform nach ist das St. Katharinenspital eine rechtsfähigeöffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts und untersteht derAufsicht der Regierung der Oberpfalz. Von alters her bilden dieMitglieder des Spitalrats und der Spitalmeister die Stiftungsorga-ne. Mit 5.000 Urkunden, 4.500 Bänden, Tausenden von Akten,Sammlungsgut und Kunstgegenständen reicht das Archiv, begin-nend mit einzelnen Textfragmenten, bis ins 9. Jahrhundert zu -rück. Mit der Verwaltung neuerer Akten und digitaler Unterlagenübernimmt es zudem Aufgaben im Bereich records managementund Langzeitarchivierung. Die aus der Fusion von Dom- und Brückenhospital hervorgegan-gene Stiftung wurde im Jahre 1226 von dem damaligen Bischof

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Abb. 1: Ehemaliges Infirmeriegebäude mit Spitalarchiv, 13. Jhd

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AUFSÄTZE

und Stadtherrn Konrad IV. neu geordnet und als Bürgerspitalkonstituiert – ut semper dicatur hospitale Ratisponensium civium.Mit Privilegien von Kaisern und Päpsten ausgestattet, versorgtedas ursprüngliche Johannes- und spätere Katharinenspital imMittelalter bis zu 400 Personen, vor allem Kranke, Arme undPilger. Die so genannte Verfassungsurkunde aus dem Jahre 1226bildet noch heute die wesentliche Rechtsgrundlage für die Stif-tung. Seit dem Übertritt der Reichsstadt Regensburg zur Refor-mation im Jahre 1542 wurde das St. Katharinenspital de factound seit 1649 de jure zu einer konfessionell-paritätischen Einrich-tung. Nach dem staatsrechtlichen Übergang Regensburgs anBayern im Jahre 1810 gingen die Aufsichtsrechte über das St.Katharinenspital an das Königreich und den späteren FreistaatBayern. Die konfessionelle Parität endete im Jahre 1891 bei gleich-zeitiger Übertragung wesentlicher Teile des Stiftungsvermögensan die ebenfalls in Regensburg ansässige Evangelische Wohltätig-keitsstiftung. Archiv und Kunstgegenstände des Spitals verbliebenlaut Vertrag bei der St. Katharinenspitalstiftung. Von überregio-naler Bedeutung ist der Altbestand des Spitalarchivs, der sich aufdie gesamte Oberpfalz und die angrenzenden Gebiete Niederbay-erns und Oberbayerns bezieht. Ebenso gilt dies für das Samm-lungsgut, unter dem insbesondere ein Tafelbild Albrecht Altdor-fers mit dem Titel „Die beiden hl. Johannes“ hervorzuheben ist.In Kriegs- und Krisenzeiten wurde das Archivgut an vermeintlichsichere Standorte gebracht, etwa zu Zeiten der Bauernunruhen1525, im Dreißigjährigen Krieg und letztmals im Zweiten Welt-krieg.

Die Archivierung der Rechts- und Verwaltungsdokumente desSpitals lässt sich über die Nennung von Urkundentruhen, Archiv-gewölben und Archivschränken bis ins 14. Jahrhundert zurück-verfolgen. Das Urkundenarchiv lag im Mittelalter bei einzelnenRäten der Reichsstadt und zeitweilig im städtischen Ungeldhaus.Die Kanzlei des St. Katharinenspitals wird seit 1230 über Rech-nungslegung und Urkundenproduktion greifbar. Neue Akzente inder Schriftgutverwaltung setzte nach 1412 der SpitalschreiberUlrich Obser. In der Schreibstube sollten Amts- und Rechnungs-bücher – vormals Register genannt – untergebracht werden:sunder dy vier puecher, auch dy briefpuecher und alle register sullenherinn beleiben und von nyemantz hindan nit getragen werden indhain weis.Die älteste Amtsbuchführung des St. Katharinenspitals kann überdie Salbücher des 15. Jahrhunderts erschlossen werden. Dort wirdauf Einträge in einem Buch aus Pergament (pergamenen buch)und in einem Alten Briefbuch verwiesen. Das so genannte Perga-mentbuch war ein Kopialbuch des 13. oder 14. Jahrhunderts mitAbschriften von Privilegien und Besitztiteln und kann bis 1692 inder Spitalkanzlei nachgewiesen werden. Das Alte Briefbuch warder Vorläufer des 1414 angelegten Neuen Briefbuchs und ist amehesten als Ein- und Auslaufregister zu klassifizieren. Das NeueBriefbuch und die vier Salbücher sollten den gesamten Schrift-verkehr des St. Katharinenspitals erfassen.Die Salbücher des Ulrich Obser wurden von seinen Nachfolgernmit nachlassender Sorgfalt geführt und finden in der allmählichum 1500 einsetzenden Aktenführung des St. Katharinenspitals

Abb. 2: Rechnungsbuch mit Pilzbefall, 1371 (Spitalarchiv Regensburg)

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eine Fortsetzung. Diese Aktenregistratur war nach Sach- undOrtsbetreffen aufgebaut und folgte den tradierten Verwaltungs-strukturen. Ein Teil des mittelalterlichen Schriftverkehrs wurdenur begrenzte Zeit aufbewahrt. Es handelt sich um Briefe, Quit-tungen, Notizen, Teilrechnungen, von denen einige – mehr oderminder zufällig – in den Rechnungsbüchern überliefert sind.Am 4. Juli 1538 gaben Domkapitel und Stadtrat von Regensburgein Urkundenrepertorium in Auftrag. Demnach war der Urkun-denbestand auf zwei Schränke verteilt. Der eine war in 110 Ladengegliedert und durchnummeriert, der andere in 13 große Ladenvon A bis N eingeteilt. Der erste Schrank enthielt die kaiserlichen,königlichen und fürstlichen Privilegien sowie die bischöflichenBegnadigungen, ebenso die Besitztitel und Leiheurkunden alpha-betisch nach Ortsbetreffen. Der zweite Urkundenschrank warnach Sach- und Ortsbetreffen gegliedert. In der Lade F lag derbereits erwähnte Pergamentband mit den Privilegien und Frei-heitsbriefen des Spitals, in der Lade L die Urfehden und in derLade K die gesamten Ablassbriefe der Päpste, Kardinäle undBischöfe. Wiederholte Revisionen des Urkundenbestandes datie-ren in die Jahre 1745, 1811, 1867 und 1898. Das Urkundenrepertori-um des Jahres 1745 trägt den sprechenden Namen Dic mihi, wasso viel bedeutet wie „Sag mir [,wo die Urkunden liegen]“. Dieserungewöhnliche Repertorientitel hat sein Vorbild in einem gleich-namigen Findmittel der domkapitelschen Kanzlei von Regens-burg. Zum Urkundenfonds des St. Katharinenspitals gehörennachweislich die ältesten Urkunden des Bestandes „ReichsstadtRegensburg“ im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, darunter Papst-,Kaiser-, Königs- und Bischofsurkunden. Die charakteristischenRückvermerke ebenso wie inhaltliche Kriterien machen sie alssolche kenntlich.Die Aktenregistratur des St. Katharinenspitals lag im 18. Jahrhun-dert in vier Kästen, über die Johann Christoph Püchelberger jeeinen Katalog anfertigte. Nach Aussage Püchelbergers vom 31.Dezember 1772 lagen die Acta, Schriften und Documenta in großerUnordnung und waren seit 150 oder mehreren Jahren nicht mehrgeordnet worden. Als der oberste bayerische Archivar, FranzJoseph von Samet, das Spitalarchiv am 2. Oktober 1812 besuchte,stellte er begeistert fest: Wider alle Vermuthung entdekte sichdarinn ein wahrer Schaz von Dokumenten aus dem 10. und 11.Jahrhundert etc., die bisher selbst dem Regensburgischen Kroniken-schreiber aus dem Grunde ganz unbekannt geblieben sind, weil dievormals aufgestellte Administration aus zweyerley Religions-Ver-wandten bestanden hat, die wahrscheinlich aus religiöser Eifersuchtjedem die nähere Einsicht derselben zu hin dern gesucht haben.Bereits 1813 übertrug das Reichsarchiv dem vorgenannten Chro-nisten, nämlich Landesdirektionsrat und Archivar Carl TheodorGemeiner, die Oberaufsicht über das Spitalarchiv mit der Begrün-dung: da es ein wesentlicher bestandteil des zu bildenden Kommu-nalarchivs seiner Natur nach werden muß. Gemeiner ordnetejedoch den Verbleib des Schriftguts im Archivgewölbe des Spitalsan. Mit dieser Entscheidung rettete er den Archivbestand voreinschneidenden Kassationen, die das reichsstädtische Archiv im19. Jahrhundert erlitt. Nicht etwa die Neuorganisation des Ar-chivwesens zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts, sondern dieBegehrlichkeiten von Historikern und Archivaren führten bis weitins 20. Jahrhundert zur Entfremdung von Archivgut. Mit derGründung der Universität Regensburg wuchs schließlich daswissenschaftliche Interesse an dem für Stadt und Region bedeu-tenden Archivbestand. Darauf reagierte der Spitalrat. Um dasSpitalarchiv für zukünftige Generationen zu erhalten und der

Forschung zugängig zu machen, richtete dieser 1971 Magazin-und Benutzungsräume ein.

Literatur Artur Dirmeier, Das Archiv des St. Katharinenspitals zu Regensburg, in: Mittei-lungen für die Archivpflege in Bayern 31 (1989), S. 57-69; ders., Ein wahrer Schatzan Dokumenten. Spitalüberlieferung in Regensburg, in: Peter Schmid (Hg.), Re-gensburg im Spätmittelalter (Forum Mittelalter-Studien 2), Regensburg 2006, S.107-122; ders., Das Spitalarchiv in Stichworten(www.spital.de/archiv/stichworte.php, letzter Zugriff 27.05.2009).

Dr. Artur DirmeierArchiv der St. KatharinenspitalstiftungAm Brückenfuß 1-393059 RegensburgE-Mail: [email protected]: www.spital.de/archiv/index.php

DAS FÜRST THURN UND TAXISZENTRALARCHIV IN REGENSBURG

Geschichte

Das Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv in Regensburg unter derTrägerschaft des Fürstenhauses Thurn und Taxis1 zählt zu dengrößten privaten Herrschaftsarchiven in Süddeutschland. Seit derÜbersiedelung der aus Cornello nördlich von Bergamo stammen-den Adelsfamilie Taxis/Tassis um 1500 nach Mechelen undBrüssel in die Spanischen Niederlande finden sich bei ihremFamiliensitz erste Ansätze einer zentralen Verwaltungsstelle fürdas Postwesen. Im ältesten noch erhaltenen Archivrepertorium2

aus der Brüsseler Zeit um 1690 sind sowohl die Familienpapiereals auch die Akten und Urkunden über das thurn und taxisschePostimperium in Europa detailliert verzeichnet. Zumindest seitdem 17. Jahrhundert befindet sich das Familienarchiv samt derVerwaltungsregistratur bzw. Archiv über ihre Reichspostanstaltund das spanisch-niederländische Postgeneralat nachweislichimmer am Hauptwohnsitz der Familie. Dies änderte sich auchnicht, als im Zuge des Spanischen Erbfolgekriegs die Familie auspolitischen Gründen ihren Wohnsitz nach Frankfurt am Mainverlegte. Nun wurden von dort aus das Reichspostgeneralat unddas nun Österreichisch-Niederländische Postgeneralat verwaltet,zusammen mit den ersten, zu Beginn des 18. Jahrhunderts vorallem in Schwaben erworbenen adeligen Herrschaften.Der Ruf Kaisers Franz I. 1748 an Fürst Alexander Ferdinand vonThurn und Taxis, am Immerwährenden Reichstag zu Regensburgdas ehrenvolle Amt des kaiserlichen Prinzipalkommissars zuübernehmen, machte die Verlagerung der Residenz samt Verwal-tungsstellen von Frankfurt in die Donaustadt notwendig. Indieser Zeit war das Archiv zusammen mit der Bibliothek in dem1777 vom Hofkavalier Baron Freydl angekauften Zanthaus, einermittelalterlichen Patrizierburg, untergebracht.Mit dem Ende der Reichsstadt Regensburg 1803, der gleichzeiti-gen Gründung des Kurerzkanzlerstaates unter dem Fürstprimas

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1 Zur Geschichte der Familie zuletzt Wolfgang Behringer: Thurn und Taxis. DieGeschichte ihrer Post und ihrer Unternehmen, München u. Zürich 1990.

2 Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv, Haus- und Familiensachen 790.

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AUFSÄTZE

Karl Theodor von Dalberg auf dem Territorium der Reichsstadtund des Hochstiftes Regensburg, dem Reichsende 1806 mit demVerlust des kaiserlichen Reichspostgeneralats und des oberschwä-bischen Fürstentums „Thurn und Taxis“, letzteres an das neueKönigreich Württemberg, und schließlich dem Übergang derEnklave Regensburg an Bayern 1810 kam es dazu, dass das HausThurn und Taxis seine endgültige Residenz im 1810 säkularisier-ten Reichsstift St. Emmeram fand. Als Entschädigung für denVerlust der Postrechte in Bayern 1806/1808 hatten nämlich KönigMax I. von Bayern und sein Minister Graf Montgelas dem Fürs-tenhaus Thurn und Taxis 1812 die leerstehenden Räume diesesKlosters als künftige Hauptresidenz übergeben. Im Zuge desUmbaus dieses klösterlichen Gebäudeensembles zur prachtvollenFürstenresidenz im 19. Jahrhundert fanden auch das zwischen -zeitlich stark angewachsene Geheime Archiv und die prachtvolleHofbibliothek ihren endgültigen Standort in St. Emmeram: dieBibliothek mit heute ca. 220.000 Bänden im und um den ehema-ligen, 1737 von Cosmas Damian Asam ausgemalten barockenKlosterbibliothekssaal, das Archiv als eine der Zentralbehördender fürstlichen Verwaltung innerhalb des weitläufigen Schloss-komplexes.Seit dem 19. Jahrhundert – vor allem seit dem Zusammenschlussvon Archiv und Bibliothek – wurde schließlich das Fürst Thurnund Taxis Zentralarchiv von promovierten Historikern undGermanisten, zuletzt von Facharchivaren des höheren Dienstesgeleitet, darunter Persönlichkeiten wie Dr. Cornelius Will, Dr.Joseph Rübsam, Dr. Rudolf Freitag, Dr. Georg Stail und Prof. Dr.Max Piendl. Hofbibliothek und Zentralarchiv sind heute mitihren Büros, Lesesälen und Magazinen in den ehemaligen Klos-tergebäuden um den mittelalterlichen Kreuzgang untergebracht.Das Haus Thurn und Taxis sah bis in die jüngste Zeit aus derJahrhunderte langen Tradition der Familie und dem allgemeinenSelbstverständnis des Adels gegenüber seiner Geschichte undKultur den fachgerechten Unterhalt seiner kulturellen Einrich-tungen als vornehme Verpflichtung gegenüber der Gesellschaftan. Hier trat bedauerlicherweise in jüngster Zeit ein Umdenkenein. Seit Februar 2004 betreut der Freistaat Bayern über dieUniversität Regensburg, vertreten durch das Universitätsarchivund die Universitätsbibliothek, die Fürst Thurn und Taxis Hof-bibliothek und das Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv, umlängerfristig die moderne Erschließung der Bestände und derenfachgerechte Nutzung durch die Öffentlichkeit zu sichern.

Bestände

Bei diesem kurzen Abriss der Geschichte des Zentralarchivs3 istvor allem die enge Verzahnung nach der Verwaltungsreform 1828bis 1833 zwischen Registratur und Archiv hervorzuheben, die sichin der Gesamtgliederung der Bestände und in der inneren Struk-tur der Repertorien beider Institutionen zeigt. Unter dem Archi-var Dr. Karl August Schmid ab den 60er Jahren des 19. Jahrhun-derts erhielten die wichtigsten Hauptbestände des Zentralarchivsihre jetzige Form. Die Zugänge seit 1956 wurden mit wenigenAus nahmen nach dem Provenienzprinzip erschlossen. Eineausführliche Bestandsübersicht im Internet ist in Vorbereitung.Das Zentralarchiv gliedert sich heute in die Hauptabteilungen A.Familie – B. Herrschaft – C. Post – D. Selekte – E. Sammlungen -Dokumentation – F. Nachlässe – G. Fremdrepertorien – H.Hilfsmittel – K. Münzen und Medaillen des Zentralarchivs – L.Postarchiv – Postalische Sammlung.Die Abteilung A umfasst in erster Linie den Pertinenzbestand

„Haus- und Familiensachen“. In deren erster Hauptgruppe„Hauspolitische Angelegenheiten“ sind Akten und Urkunden u.a. über die Standeserhöhungen, Erbliche Würden, Hausgesetze,usw. zusammengefasst, während die zweite Hauptgruppe „Fami-lienangelegenheiten“ die persönlichen und vermögensrechtlichenUnterlagen zu den einzelnen Familienmitgliedern bzw. zumAdelsgeschlecht Thurn und Taxis in seiner Gesamtheit, ein-schließlich der genealogischen und hausgeschichtlichen For-schungen, beinhaltet. Ergänzt wird der Urkunden- und Aktenbestand dieser Abteilungdurch die Akten des Hofmarschallamtes mit den dort integriertenSchlösserverwaltungen, den Unterlagen zum Prinzipalkommissa-riat, zum Reichs- und Kreistag sowie durch die Nachlässe vonFamilienmitgliedern und den Urkunden zu den taxisschen Neben -linien in Italien, Tirol, Deutschland, Frankreich und Belgien.Die Abteilung B gliedert sich in zwei Untergruppen, von denendie erste die Bestände der thurn und taxisschen Zentral-, Mittel-und Unterbehörden umfasst, die zweite die nach der bis 1918geltenden Archivfolge alle taxisschen Erwerbungen von Herr-schaften und Säkularisationsobjekten zum Inhalt hat.Die zentralen Verwaltungsstellen des Fürstenhauses für seineTerritorialherrschaften und dem übrigen Grundbesitz waren inder zeitlichen Abfolge ab dem beginnenden 18. Jahrhundert„Geheime Kanzlei – Geheimer Rat“, „Immediatbureau“, „Domä-nenkammer“ und zuletzt „Gesamtverwaltung“, daneben „Ge-richt“, „Generalkasse“, „Archiv“ und „Bibliothek“. Auf dermittleren Ebene findet man zwischen 1787 und 1810 die Regie-rung als Institution, gefolgt im 19. und 20. Jh. von den Rentkam-mern in Bayern, Württemberg, Preußen/Provinz Posen, Böhmenund Kroatien. Auf der untersten Ebene gliederte sich die fürstli-che Verwaltung in zahlreiche Rent-, Kameral- und Forstämter zurVerwaltung des umfangreichen Grundbesitzes in Bayern, Würt-temberg, Tirol, Belgien, Frankfurt/Main, Böhmen, Polen undKroatien, der 1895 insgesamt rund 125.000 Hektar, etwa dieGesamtfläche des Fürstentums Lippe, umfasste.Einen ähnlich umfangreichen geographischen Rahmen weisendie z. T. bis in das Hochmittelalter zurückreichenden Archive dervom Haus Thurn und Taxis seit dem Anfang des 18. Jahrhundertserworbenen Herrschaften und säkularisierten Stifte auf. Alszweites Standbein neben den Einkünften aus dem Dienstleis-tungsunternehmen „Post“ kaufte man zunächst im nördlichenWürttemberg, in der Grenzregion zum bayerischen Ries, Herr-schaften verarmter Ritter- und Adelsfamilien auf, so z. B. Reichs-herrschaft Eglingen (1723), Markt Dischingen mit dem SchlossTrugenhofen, ab 1819 genannt Schloss Taxis, später die Herrschaf-ten Duttenstein, Ballmertshofen und Dunstelkingen. DieserHerrschaftskomplex wurde 1803 mit dem SäkularisationsobjektKloster Neresheim abgerundet, von dem aber nur ein kleiner Teilvon Auswahlarchivalien (Urkunden, Akten, Amtsbücher) im 19.Jahrhundert in das Zentralarchiv gelangte. Der überwiegende Teilder Klosterakten befindet sich heute im Archiv des 1921 von FürstAlbert I. von Thurn und Taxis wiederbegründeten KlostersNeresheim.In Oberschwaben begann der Territorialerwerb 1786 mit derGrafschaft Friedberg nebst den Herrschaften Scheer, Dürmentin-gen und Bussen vom Gesamthaus der Truchsessen von Wald-burg; Diesem Ankauf folgte der Erwerb der HerrschaftenGrunds heim (1789), Göffingen und Heudorf (1790). Den größtenGebietszuwachs brachte in Oberschwaben der Reichsdeputati-onshauptschluß 1803 mit den Entschädigungslanden für die ver -

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lorenen linksrheinischen Posteinkünfte, nämlich mit dem Erhaltdes gefürsteten Damenstiftes Buchau, der Reichsabtei Marchtalund des Amtes Ostrach des Klosters Salem am Bodensee.Die Aktenbestände dieser zuletzt genannten oberschwäbischenBesitzungen gelangten nur z. T. innerhalb der Pertinenzbestände„Schwäbische Akten“, „Schwäbische Rechnungen“ und „Schwä-bische Standbücher“ in das Zentralarchiv, während die Masse derAkten heute als Depot 30/Thurn und Taxissches Archiv Ober-marchtal unter Eigentumsvorbehalt im Staatsarchiv Sigmaringenverwahrt wird.4 Aufgeteilt zwischen dem Zentralarchiv in Regens-burg, dem Staatsarchiv Sigmaringen und dem Hauptstaatsarchivin Stuttgart sind in der Regel auch die Urkunden dieser genann-ten oberschwäbischen Besitzungen.Um die neue Residenz Regensburg erwarb das Haus Thurn undTaxis im 19. Jahrhundert ebenfalls systematisch zahlreiche Herr-schaften5 im bayerischen Umland nördlich und südlich derDonau, unter denen das Archiv der Grafen von Königsfeld mitdem Zentrum Alteglofsheim herausragt. Aus diesem Archiv sinddie staatsrechtlich-politischen Unterlagen des ReichsvizekanzlersJohann Georg von Königsfeld unter Kaiser Karl VII. zusammenmit den Urkunden vor 1250 und Teilen des Postarchivs in dieListe des national wertvollen Archivgutes eingetragen. Mit demErwerb von Güter- und Herrschaftskomplexen in West- und Ost -böhmen ab 1822 kamen u. a. Reste des Klosterarchivs der Prä-monstratenserinnen von Choteschau bei Pilsen nach Regensburgin das Archiv, dessen Urkundenbestand und ein Urbar einige derältesten Dokumente in tschechischer Sprache enthalten.Das C. Postarchiv innerhalb des Zentralarchivs umfasst mitAbgabenlücken die Archive der kaiserlichen Reichspost (1500 –1806), des niederländischen Postgeneralats (1506 – 1792), derFürstlich Thurn und Taxisschen Lehenpost des 19. Jahrhundertsin verschiedenen deutschen Bundesstaaten (1815 – 1867) undUnterlagen über das Postwesen der Rheinbundzeit (1806 – 1815).Mit seinen ca. 270 lfm Akten, untergliedert in 10.000 Faszikel,und mit seinen über 1.000 Urkunden vom Staatsvertrag mit deneuropäischen Potentaten, den Postabkommen mit vielen deut-schen Reichsterritorien bis zur einfachen Bestallungsurkunde fürdas Postpersonal bildet es eines der größten Wirtschafts- oderDienstleistungsarchive der Neuzeit. Detailliert überliefert sindsowohl die „Innere Einrichtung“ des Unternehmens „thurn undtaxissche Post“ als auch die postalischen Verhältnisse nachAußen; einen umfangreichen Aktenbestand innerhalb diesesPostarchivs bilden die sogenannten Stationsakten, die Unterlagenzu den insgesamt fast 2.000 Poststationen der taxisschen Postan-stalten umfassen.Innerhalb der Abteilung D. Selekte sind die Karten- und Plan-sammlungen, die Personalakten (seit dem 17.Jh.), die Gerichtsak-ten und die Notariatsurkunden über die Erwerbungen vonGrund und Boden bis zur Gegenwart (ca. 14.000 Urkunden)zusammengefasst.Unter der Abteilung E. Sammlungen - Dokumentation findetman die verschiedenen, bis in das Ende des 19. Jahrhundertszurückreichenden Zeitungsausschnittsammlungen und Doku-mentationen in Kopien oder Originaldokumenten bzw. Graphi-ken zur Hausgeschichte, Postgeschichte sowie zu Regensburg undder Oberpfalz. Dies gilt auch für die umfangreichen Fotosamm-lungen allein mit über 150 Fotoalben zur Familie, mit einerumfangreichen Sammlung von Glasplattennegativen undEktachromen. Erwähnenswert wären hier noch die über 900Siegeltypare aus dem Bereich Fürstenfamilie, Post und Verwal-

tung – eine der größten Sammlungen in Bayern – sowie dieMünz- und Medaillensammlung, ebenfalls zur Fürstenfamilieund zur Reichsstadt Regensburg. Das Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv in Regensburg verwahrtinsgesamt etwa 3,5 Kilometer Akten und ca. 15.000 Urkunden vor1900. Dazu kommen noch die wertvollen Archive der StifteMarchtal, Buchau und des Kloster Salemschen Amtes Ostrach(vor 1803) sowie der Herrschaft Friedberg-Scheer (vor 1787) mitca. 600 lfm Archivalien im Staatsarchiv Sigmaringen. Von Umfangher ist das Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv auch mit einemkleinen Staatsarchiv ohne weiteres vergleichbar, von der geogra-phischen Streuung der dort verwahrten Archive über weite TeileMitteleuropas hinaus, übertrifft es meist sogar die Sprengel derStaatsarchive.

Dr. Martin DallmeierFürst Thurn und Taxis ZentralarchivEmmeramsplatz 593047 Regensburg(betreut von der Universität Regensburg)Tel. 0941-5048-132Fax 0941-5048-173E-Mail: [email protected]

UNIVERSITÄTSARCHIV REGENSBURG

Geschichte

Mit Gesetz vom 18. Juli 1962 wurde vom bayerischen Landtagbeschlossen, in Regensburg eine neue Universität als 4. bayeri-sche Landesuniversität mit voll ausgebautem Forschungs- undLehrbetrieb zu errichten. Schon im April 1964 nahm die Univer-sitätsbibliothek ihre Arbeit auf. Am 1. Oktober 1964 wurde derKanzler, am 9. Oktober 1964 der Gründungsrektor der Universitätberufen. Der am 24. Mai 1965 konstituierte Strukturbeirat berietden Staatsminister für Unterricht und Kultus in allen organisato-rischen und fachlichen Fragen. In seiner Empfehlung Nr. 25 zurBibliotheksorganisation sah der Strukturbeirat auch die Einrich-tung eines Universitätsarchivs, verbunden mit der dortigen Hand -schriftensammlung, vor. Mit Beginn des Wintersemesters 1967/68 eröffnete die Universitätden Studienbetrieb. Jedoch unterblieb für die folgenden 20 Jahredie vom Strukturbeirat empfohlene Einrichtung eines Univer-sitätsarchivs. Erst zum 25-jährigen Gründungsjubiläum bzw. zum20-jährigen Jubiläum des Vorlesungsbeginns (1987) wurden für

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3 Zum Archiv vgl. Max Piendl: Die Archive des Fürsten Thurn und Taxis. In: Ar-chive Geschichte – Bestände – Technik. Festgabe für Bernhard Zittel. Mittei-lungen für die Archivpflege in Bayern, Sonderheft 8, München 1972, S. 105–117; Kurzübersicht über die Bestände, in: Handbuch der bayerischen Archive,hrsg. vom Bayerischen Archivtag, München 2001, S. 421–423.

4 Zum Fürstlich Thurn und Taxisschen Archiv Obermarchtal vgl. Franz Herber-hold: Das fürstliche Haus Thurn und Taxis in Oberschwaben. Ein Beitrag zurBesitz-, Verwaltungs- und Archivgeschichte, in: Zeitschrift für württembergi-sche Landesgeschichte 13 (1954) S. 262–300.

5 Einzelheiten bei Piendl (wie Anm. 3) und bei Martin Dallmeier: Die Grunder-werbspolitik des Hauses Thurn und Taxis in und um Regensburg bis zur Mit-te des 19. Jahrhunderts, in: Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bay-erns und des Katholizismus. Festschrift zum 65. Geburtstag von DieterAlbrecht, Kallmünz 1992, S. 219–236.

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AUFSÄTZE

die Vorbereitung einer Ausstellung zur Gründungsgeschichtedieser 4. bayerischen Landesuniversität und eines historischenBeitrags in der Universitätszeitung zwei Historiker, Dr. Hart-mannsgruber und Dr. Miedaner, auf ein bzw. ein halbes Jahrbefristet eingestellt, die neben der Sichtung von Dokumenten zurAusstellung auch die Akten aus der Registratur der Zentralver-waltung bis 1982 unausgeschieden verzeichneten und in einemKellerraum im Verwaltungstrakt lagerten. Nach deren Ausschei-den diente dieses Magazin bis zum Neubeginn 2004 verschiede-nen Verwaltungsstellen zur Lagerung von Altakten, reponiertemRegistraturgut und Rechnungsbelegen. Erst im Zuge der Betreuung des Fürst Thurn und Taxis Zentralar-chivs durch die Universität Regensburg ab dem 1. Februar 2004und des Wechsels des bisherigen Leiters, Dr. Martin Dallmeier,zur Universität beschloss die Hochschulleitung, ihn mit demAufbau des Universitätsarchivs Regensburg zu beauftragen.Grundlage seiner Arbeit bildet die Ordnung für das Archiv derUniversität Regensburg vom 8. Juli 2004. Danach sind alle Ein-richtungen der Universität in § 3 zur Abgabe ihrer archivwürdi-gen Unterlagen an das Universitätsarchiv verpflichtet.

Bestände

Aufgrund dieser Verordnung wurde in den letzten fünf Jahrenbegonnen, ein für Verwaltung und Forschung in gleichem Maßefunktionierendes Universitätsarchiv aufzubauen. Derzeit sind dieBestände in der noch im Entwurfsstadium befindlichen Bestän-deübersicht folgendermaßen strukturiert:A. Zentrale VerwaltungDarunter findet man die Abgaben aus der Zentralregistratur zuRektorat, Senat und Kanzleramt, zu dem Strukturbeirat, Kurato-rium und Hochschulrat, zu den Prüfungsämtern, Studentenkanz-lei und universitären Kommissionen sowie zu den weiterenzentralen Einrichtungen der Universität. Erste, z. T. bis vor 2004zurückgehende Abgaben an das Archiv sind neben den Aktenbe-ständen der Zentralregistratur die ca. 21.000 Personalakten vonder Verwaltung, die ca. 60.000 Stammblätter (bis ca. 1995) derStudentenkanzlei und die universitären Prüfungsakten bis 2004.Daneben unterhält das Universitätsarchiv ein Zwischenarchiv fürneuere universitäre und staatliche Prüfungsunterlagen.B. Fakultäten, FachbereicheMan muss hier offen aussprechen, dass durch das Fehlen einesfunktionellen Universitätsarchivs bis 2004 gerade die Altregistra-turen der Fakultäten und Institute gegenwärtig große Lückenaufweisen; z. T. wurden wichtige Unterlagen zwischenzeitlicheigenmächtig vernichtet, z. T. werden solche Registraturteile der -zeit noch in eigenen „Archiven“ (Altregistraturen) unsachgemäßverwahrt. Eine Übernahme der Fakultäts-, Fachbereichs- undInstitutsregistraturen in das Archiv wird dieses noch die nächstenJahre intensiv beschäftigen. Aus personellen Gründen konnte mitder systematischen Aussonderung bisher nicht begonnen werden. D. Vorgänger-InstitutionenZwar nicht in rechtlicher Hinsicht, aber in der Praxis war diePhilosophisch-Theologische Hochschule Regensburg eine Vorläu-ferinstitution der Universität. Ihr Archiv wurde 1988 an dasUniversitätsarchiv abgegeben; neben den ca. 500 Verwaltungsak-ten aus dem 20. Jahrhundert umfasst dieser Aktenbestand auchdie Personalakten des Lehrkörpers und die Studentenmatrikelaus der Nachkriegszeit (1947 – 1967). Von der PädagogischenHochschule Regensburg der Universität München gelangtenhingegen nur die Studentenmatrikelbögen aus den 60er-Jahren

des 20. Jahrhunderts in das Universitätsarchiv Regensburg,während die übrigen Verwaltungsakten sich zuständigkeitshalberim Archiv der LMU München befinden. Kleinere Aktenbeständesind in diesem Zusammenhang auch von den Lehrerbildungsan-stalten Amberg (1946-1958) und Straubing (1945-1957) in dasUniversitätsarchiv abgegeben worden. Als Sonderfall ist einkleiner Aktenbestand des Kreisverbandes Regensburg des BLLV(Bayerischer Lehrer und Lehrerinnen Verband) im Archiv zubetrachten.Die ersten konkreten Bestrebungen, in Regensburg eine Univer-sität zu gründen, fallen in die Nachkriegszeit. Neben der Leitungder damaligen Philosophisch-Theologischen Hochschule wardabei der am 20. Januar 1948 gegründete „Verein der Freunde derUniversität Regensburg“ federführend. Dem Universitätsarchivgelang es 2005, dessen Vereinsarchiv mit den wichtigsten Unterla-gen zur Frühgeschichte der Regensburger Universitätsgründungfür das Universitätsarchiv als Depot zu erwerben. E. Nachlässe – SchenkungenLaut § 7 der Archivordnung steht es dem Universitätsarchiv frei,seine Bestände durch Nachlässe bzw. Abgaben von Privatperso-nen zu ergänzen. Hierbei wurde vor allem Schriftgut zur Univer-sitätsgründung erworben, z. B. vom LandtagsabgeordnetenWilhelm Gastinger, vom Leiter der Abteilung Bildungspolitikbeim Bayerischen Rundfunk, Herrn Manfred Brauneiser, odervom Universitätsbeauftragten der Stadt Regensburg, Herrn Dr.Franz Schmidl.Aus den Nachlässen des Regensburger Universitätslehrpersonalskonnten in letzter Zeit einige wichtige Unterlagen für das Univer-sitätsarchiv erworben werden. Zu nennen wäre u. a. hierbei derNachlass des Anglisten Prof. Dr. Heinz Göller († 2009), desKunsthistorikers Prof. Dr. Jörg Traeger († 2005), des Sprachfor-schers Prof. Herbert Brekle, des Theologen Prof. Dr. Beinert undder Juristen Prof. Dr. Richardi und Prof. Dr. Hans-Jürgen Becker.F. Sammlungen – DokumentationInnerhalb dieser Gruppe muss man vorrangig die umfangreicheFlugblattsammlung ab 1967, die Pressedokumentationen zurUniversität, zum Universitätsklinikum und zur Stadt Regensburgebenso nennen wie die sich noch im Aufbau befindliche Plakat-sammlung. Ein Schwerpunkt der Archivarbeit in der Zukunftwird auch der Auf- und Ausbau der Fotosammlung bzw. dieErschließung des audiovisuellen Materials, vor allem aus derGründungsepoche der Universität Regensburg, sein müssen. Das Universitätsarchiv Regensburg, das derzeit noch kein eigenesfunktionelles Domizil an der Universität hat, sondern innerhalbder Universitätsbibliothek verankert und mit den drei Magazinenauf mehrere Gebäudekomplexe räumlich verteilt ist, kann mitdem derzeitigen Personalstand nur die dringendsten Arbeiten anden Altbeständen durchführen. Nicht nur für eine zukunftswei-sende langfristige Sicherung des immer häufiger angebotenenelektronischen Materials, sondern auch für die fachgerechteErschließung und Dokumentation der klassischen Archivbestän-de muss die Universität als Träger des Universitätsarchivs künftiggrößere Investitionen tätigen.

Martin DallmeierUniversitätsarchiv RegensburgUniversitätsstraße 3193053 RegensburgTel. 0941-943-3909, Fax: 0941-943-3947E-Mail: [email protected]

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ARCHIV DES HISTORISCHEN VEREINSFÜR OBERPFALZ UND REGENSBURG

Geschichte

Der 1830 gegründete Historische Verein für den Regenkreis, seit1837 als Historischer Verein für Oberpfalz und Regensburgfirmierend, hat sein Entstehen dem Wunsch König Ludwigs I.von Bayern zu verdanken, der als eine der drei wesentlichenSäulen der Bildung neben Religion und Kunst auch die Geschich-te ansah.6 Diese für jeden kgl. bayerischen Regierungskreis insLeben gerufenen Historischen Vereine sollten die Kenntnis derVaterländischen Geschichte verbreiten, dadurch das Geschichts-bewusstsein der Bevölkerung stärken, also bildungspolitisch zumWohle des Staates und des Herrscherhauses wirken. In derVereinssatzung war zunächst die Einrichtung eines eigenenArchivs nicht vorgesehen, da es sich um einen neu gegründetenVerein handelte, in dem keine älteren Archive oder Altregistratu-ren aufgegangen waren . Erst die Satzung vom 1. Mai 1973, § 2Abs. 2, regelt den Unterhalt einer Bibliothek und eines Archivsdurch den Verein, deren Bestände den Mitgliedern kostenlos zurVerfügung gestellt werden sollen. Bei dem genannten „Vereinsarchiv“ muss man aber eher von den„Archivaliensammlungen“ des Vereins sprechen, da es sich beiden dort verwahrten Archivalien hauptsächlich um Ankäufe oderSchenkungen des 19. und 20. Jahrhunderts handelt. Denn eine derLeistung des Vereins auf dem Gebiet des Archivwesens bestandim 19. Jahrhundert vor allem darin, dass er als Auffangbecken fürherrenloses Archivgut aus der Region Oberpfalz diente undsomit viele mittelalterliche Archivalien auch durch Ankäufe vorihrer Vernichtung in den Papiermühlen rettete. Vor allem archiva-lisches Strandgut der Säkularisation von den staatlichen Stellenfand Aufnahme in der Archivaliensammlung des Vereins. Soerwarb dieser bei einer Archivalienausmusterung in Amberginsgesamt 32 Zentner 59 Pfund meist mittelalterliches Schriftgut.Neben diesen Ankäufen wuchsen die Archivaliensammlungendurch Schenkungen unterschiedlichster Provenienz. Während inden ersten 50 Jahren der Vereinsbibliothekar auch das Archivbetreute, wurde ab 1878 das Amt des 1. Vereinsarchivars imAusschuss geschaffen. Und da der Verein zudem in seiner 175-jährigen Geschichte niemals über ein eigenes Gebäude mitausreichenden Räumlichkeiten für Archiv, Bibliothek und Samm-lungen verfügte, musste bis 1995 auch das Vereinsarchiv in unzu-reichenden Räumen und an verschiedenen Standorten unterge-bracht werden, zuletzt im Historischen Museum der Stadt Re-gensburg. Durch einen Vertrag vom Oktober 1994 mit der StadtRegensburg fand schließlich der Verein ein geeignetes Domizilmit Geschäftszimmer und Magazinen im Stadtarchiv Regens-burg. Die Benutzung der Bestände durch Dritte erfolgt entwederdirekt im Geschäftszimmer des Vereins oder über den Lesesaaldes Stadtarchivs.

Bestände

Die Archivaliensammlungen des Historischen Vereins werden inUrkunden – Akten – Manuskripte – Rechnungen/Amtsbücherunterteilt; die Akten wiederum in die Pertinenzbestände „Archiv-akten Regensburg“, „Archivakten Oberpfalz“, „ArchivaktenBayern“. Die Urkunden der Sammlung hingegen sind in einereinzigen chronologischen Reihe erfasst, wobei jene bis 1680durch ein gedrucktes Findbuch7 mittels Kurzregesten erschlossen

sind. Durch weitere gedruckte Findbücher sind die Bestände„Manuskripte Oberpfalz“8 und „Manuskripte Regensburg“9

zugänglich. Bei diesen Beständen handelt es sich um historischeManuskripte, Quellenexzerpte und Abhandlungen zu Orten derOberpfalz und Regensburgs oder zu geschichtliche Ereignissen inder Region; die dort zahlreichen, von Geistlichen und Lehrernverfassten Chroniken zu Oberpfälzer Ortschaften stammenvorwiegend aus dem 19. Jahrhundert.Eine weitere Archivaliensammlung „Rechnungen I – V “, von derbis zum Sommer 2009 ein gedrucktes Findbuch vorliegen wird,umfasst bei den Archivalien nicht nur explizit die Rechnungsbän-de im engeren Sinne, sondern auch alle Amtsbücher des Vereins-archivs, d. h. u. a. auch Lehen-, Kopial-, Salbücher und Urbare,ferner Stammbücher und Kalender. Ergänzend dazu befinden sich im Archiv die Nachlässe desOberpfälzer Sagen- und Märchensammlers Franz Xaver vonSchönwerth, des Numismatikers Schratz und des Malers RupertD. Preißl. Als Depot liegt im Historische Verein außerdem dasArchiv des Oberpfälzer Kulturbundes, eines Vereins, der aufregionaler Ebene „Oberpfalz“ das gesamte geschichtliche undvolkskundliche Kulturspektrum abdeckt, regionale Veranstaltun-gen organisiert und die kulturellen Aktivitäten vor Ort fördert.Abschließend sei noch der umfangreiche Bestand „Altregistratur“des Vereins erwähnt, der die Vereinsakten von 1830-1995 umfasst.Neben reinen vereinsgeschichtlichen Belangen finden sich dortvor allem Unterlagen über die Aktivitäten des Vereins zur lokalenGeschichtsforschung, zur Denkmalpflege, zur Vor- und Frühge-schichte und zu den wertvollen Vereinssammlungen, die ohneArchiv und Bibliothek 1933 an die Stadt Regensburg als Grund-stock für ein erstes Regensburger Stadtmuseum abgegebenworden waren. Denn vor der Gründung der Staatlichen Denk-malpflege in Bayern 1909 lag die ehrenamtliche Denkmalpflegeund die regionale Geschichtsforschung in Bayern fast ausnahms-los in den Händen der Historischen Vereine.

Dr. Martin Dallmeier1. VorsitzenderKeplerstraße 1 (Stadtarchiv)93047 RegensburgTel. 0941-5674684Fax 0941-5047993E-Mail: [email protected]: www.hvor.de

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6 Zur Geschichte des Vereins vgl. Georg Völkl: Werden und Wirken des Histo-rischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 1830-1955, in: VHVO 96 (1955)S. 7-92; Paul Mai: 150 Jahre Historischer Verein für Oberpfalz und Regensburg,in: VHVO 120 (1980) S. 7-24; Martin Dallmeier, Regionale Geschichtsforschungmit Zukunft? – Gedanken zum Jubiläum 175 Jahre Historischer Verein fürOberpfalz und Regensburg, in: VHVO 145 (2005) S. 215-231.

7 Archivrepertorien II. Teil: Urkunden Heft 1: Urkundenregesten von 1180 bis1680, bearb. von Wilhelm Volkert, Regensburg 1996.

8 Archivrepertorien I. Teil: Manuskripte Heft 1: Manuskripte Oberpfalz, bearb.unter Mitwirkung von Georg Köglmeier von Wilhelm Volkert, Regensburg1992.

9 Archivrepertorien I. Teil: Manuskripte Heft 2: Manuskripte Regensburg, be-arb. unter Mitwirkung von Emma Mages und Jürgen Nemitz von WilhelmVolkert, Regensburg 1999.

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AUFSÄTZE

EINLEITUNGLange bevor die technische Infrastruktur aus Hard- und Softwarefür das „Digitale Archiv“ entwickelt werden konnte, befasste mansich am Bundesarchiv mit dem Metadatenkonzept für die elektro-nische Archivierung. Für ein digitales Archiv ist die hundertpro-zentige Kontrolle über alle verschiedenen Typen von Metadatenunverzichtbar, sind sie doch das Mittel zur langfristigen Bewah-rung von Archivobjekten.Da die Erfassung von qualitativ hochwertigen Metadaten sehraufwändig ist und die dauerhafte Erhaltung der Daten mitdenselben Problemen kämpft wie die Erhaltung digitaler Archiv-objekte, ist ein schlüssiges Konzept zur dauerhaften Erhaltungder Metadaten notwendig. Das Bundesarchiv hat sich deshalb füreine redundante Speicherung entschieden.Der vollständige Metadatensatz zu einem Archivobjekt wird mitdem Objekt gemeinsam in einem Paket gespeichert und ausge-wählte Metadaten werden in Datenbanken übertragen. Die Meta -daten im Speicher sind genauso geschützt wie die Archivobjekte.Die Verknüpfung zwischen dem Archivobjekt und der dazu-gehörigen Beschreibung ist auf einfache, nachvollziehbare Weisedauerhaft gegeben. Im Notfall kann auf diesen vollständigenMetadatensatz zugegriffen werden. Falls das Datenbanksystemkomplett ausfällt, können neue Datenbanken erstellt werden (s. Abb. 1). Die Metadaten in der Datenbank hingegen dienen der Verzeich-nung, der Recherche und dem Zugriff auf die Archivobjekte.Diese Methode hat sich in vielen digitalen Archiven als praktika-bel erwiesen. In ähnlicher Weise verfahren auch die Staats- undUniversitätsbibliothek in Göttingen und die Deutsche National-bibliothek1. Im Bereich der Archive gehen das LandesarchivBaden-Württemberg2 und das Stadtarchiv in Stuttgart diesenWeg.

FACHLICHE ANFORDERUNGEN –EVALUATION VON STANDARDSDie Anforderungen an das Metadatenkonzept für das „DigitaleArchiv“ waren von Anfang an sehr komplex. Da zwischen denMetadaten und den Objekten, die sie beschreiben sollen, eineenge Beziehung besteht, sich im digitalen Bereich die Objekteaber schnell wandeln oder neue Objekttypen entstehen, kann dasKonzept nicht vollkommen statisch angelegt sein. Es muss offenfür Erweiterungen und notwendige Anpassungen sein. VieleProzessschritte des Ingests (Eingangsbearbeitung) haben dieAufgabe, Metadaten der abgegebenen Objekte zu übernehmen.Deshalb muss vor der Einführung einer technischen Infrastruk-tur zur Übernahme das Metadatenkonzept fertig ausgearbeitetvorliegen.Bei aller notwendigen Flexibilität und den gegebenen Abhängig-keiten muss das Metadatenkonzept allerdings auch genügendStabilität und Gültigkeit haben, dass es über Jahre hinweg inmöglichst einheitlicher Form im Archiv verwendet werden kann.Zumindest die logische Grundstruktur sollte für einen größerenZeitraum und über mehrere Versionen eines Konzepts hin gültigbleiben. Ständiges Anpassen des Konzepts an neue Anforderun-gen und die Erhaltung der grundlegenden Logik sind Antagonis-ten, zwischen denen immer wieder Kompromisse geschlossenwerden müssen.Vor dem ausgearbeiteten Konzept stand die Frage, ob ein Metada-tenschema in Eigenregie entwickelt, oder ob Standards verwendetwerden sollen. Der Vorteil einer Eigenentwicklung liegt in dergroßen Freiheit, die Metadaten eng an die vorhandenen Beständeund Gegebenheiten im Bundesarchiv anzupassen. Der großeNachteil einer Eigenentwicklung liegt darin, dass sie aufwändigund ggf. nicht von externen Institutionen nachnutzbar ist. DieBeziehungen und Ebenen von digitalen Objekten, die alle inner-

DAS METADATENKONZEPTDES „DIGITALEN ARCHIVS“DES BUNDESARCHIVS

von Kathrin Schroeder und Karsten Huth

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halb der Metadaten verzeichnet und berücksichtigt werdenmüssen, sind vielfältig und kompliziert. Um dieser Komplexitätgerecht zu werden, braucht man Erfahrung im Umgang mitvielfältigem digitalem Material. Das Risiko, ein Metadatenkon-zept zu entwickeln, das sich zu eng an den Eigenheiten derbereits dem Archiv vorliegenden digitalen Objekte oder an dentheoretischen Annahmen über die zukünftigen digitalen Objekteorientiert, ist groß. Ein solcher Ansatz würde häufig grundlegen-de Revisionen erforderlich machen.Standards haben den Vorteil, dass sie von einem großen Exper-tenkreis entwickelt und geprüft wurden. Der Nutzer profitiertvon diesem Wissen und kann sich sicher sein, dass der Standard,insoweit er sachgemäß verwendet wird, keine groben logischenDenkfehler enthält. Natürlich ist ein Standard immer ein Kom-promiss und eine Verallgemeinerung. Er deckt einen breitenAnwenderkreis ab, ist dafür aber weniger speziell auf einzelneBestände im Archiv zugeschnitten. Bevor sich ein Archiv fürlängere Zeit an einen Standard bindet, sollte dieser evaluiert undgetestet werden. Da das „Digitale Archiv“ des Bundesarchivs konform zum OAIS-Standard3 konzipiert wurde und dieser ISO-Standard die Ablagevon Digitalen Archivobjekten in logischen Informationspaketenvorschreibt, stand am Anfang des Metadatenkonzeptes die gene -rische Vorlage des „Archival Information Package“ (AIP) (s. Abb 2).Die unterschiedlichen Typen von Information, die das OAIS fürein AIP vorschreibt, sind so allgemein gehalten, dass sie auf alleArten von digitalen Objekten zutreffen. Diese allgemeine Blau-pause muss nun mit konkreten Metadatenelementen befüllt wer den. Da das Digitale Archiv zunächst im Hinblick auf dieÜbernahme und die Archivierung von elektronischen Akten aus Vor gangsbearbeitungssystemen unter Berücksichtigung desDOMEA-Aussonderungsmoduls4 entworfen wurde, ist das AIPfolgendermaßen vorkonzipiert:

Bei den vielfältigen Ebenen von Informationen, die für ein voll-ständiges AIP verwendet werden müssen, war von Anfang an klar,dass ein einziger Metadatenstandard, der alle nötigen Bereicheabdeckt, noch nicht verfügbar war. Somit mussten für die unter-schiedlichen Ebenen auch jeweils passende Metadaten evaluiertwerden. Für alle Metadaten, die den elektronischen Vorgang und dieenthaltenen Objekte inhaltlich beschreiben und die aus demVorgangsbearbeitungssystem in das „Digitale Archiv“ übernom-men werden, stellte sich der XDOMEA 1.05 Standard als geeignetheraus. Entworfen als Austauschformat für Metadaten von E-Akten zwischen Vorgangsbearbeitungssystemen enthält XDO-MEA-Elemente wie z. B.

• Vorgangskennzeichen,• Vorgangsbetreff,• Laufzeiten,• Vertraulichkeitsstufen,

die geeignet sind, um elektronische Akten innerhalb eines Archiv-systems zu bilden, zu erhalten und zu recherchieren. Mit XDO-MEA lassen sich alle elektronischen Unterlagen beschreiben, dienach den Ebenen Akte/Vorgang/Dokument geordnet sind.

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Abb. 1: Redundante Erhaltung der Metadaten Abb. 2: Darstellung eines AIP

1 Objektspezifikation des Kopal-Projekts http://kopal.langzeitarchivierung.de/in-dex_objektspezifikation.php.de; letzter Zugriff: 15.05.2009.

2 Christian Keitel: Die Archivierung elektronischer Statistiken durch das Lan-desarchiv Baden-Württemberg, In: Statistisches Monatsheft Baden-Württem-berg 6/2008, S. 53; www.statistik.baden-wuerttemberg.de/Veroeffentl/Mo-natshefte/PDF/Beitrag08_06_11.pdf; letzter Zugriff: 15.05.2009.

3 ISO 14721:2003 – Reference Model for an Open Archival Information System(OAIS) – Space Data and Information Transfer Systems.

4 DOMEA Konzept – Organisationskonzept 2.0 – Erweiterungsmodul zum Or-ganisationskonzept 2.0 Aussonderung und Archivierung elektronischer Akten– Schriftenreihe der KBSt 66, Oktober 2004.

5 Andrea Hänger; Andrea Wettmann: Das DOMEA-Konzept – eine Zwischenbi-lanz aus archivischer Sicht, In: Der Archivar 60 (2007), H. 1, S. 26.

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AUFSÄTZE

Komplizierter war die Suche nach einem Metadatenschema,welches die anderen Bereiche nahezu vollständig abdeckenkonnte. Dazu benötigte man einen Standard, der möglichst engam AIP-Modell des OAIS entwickelt wurde. Der Metadatenstan-dard PREMIS wurde genau auf dieser Grundlage erstellt. DerStandard umfasst einen Kernsatz von Metadaten zur Archivie-rung von digitalen Objekten. Die Arbeitsgruppe, die PREMISveröffentlichte, verfügte über Kenntnisse bestehender Verfahrenzur digitalen Archivierung und führte diesbezüglich auchflächendeckend Umfragen bei führenden Institutionen durch. Aber selbst im Zusammenwirken dieser beiden Standards wardas Metadatenmodell für ein AIP noch nicht vollständig. Deshalbmussten Eigenanpassungen die verbleibenden Lücken füllen.Dies betrifft vor allem einen speziellen administrativen Bereich,der sowohl die Herkunft eines Vorgangs aus einer bestimmtenProvenienzstelle wie auch den gesamten technischen Prozess derÜbernahme dokumentiert. In diesem Bereich können auchReferenzen auf die passenden Aktenpläne einer Behörde angege-ben werden. Neben dem Metadatenschema für ein AIP wurden noch Schema-ta für besondere Teile des Übernahmeprozesses erstellt. So wurdedas Schema XARCHIV als Übernahmeformat von Behördenme-tadaten konzipiert, nach dem Anbietungslisten und Aussonde-rungsverzeichnisse einheitlich von Schnittstellen eines Vorgangs-bearbeitungssystems erstellt werden sollten. Die Vorgaben vonXARCHIV sind in den neuen Standard XDOMEA 2.0 integriertworden, so dass XDOMEA 2.06 nicht nur für den Austausch vonE-Akten und Daten aus Fachverfahren zwischen Behörden,sondern auch zur Aussonderung von E-Akten zwischen Behör-den und Archiven verwendet werden kann.Ziel von XBARCH (XML-Schema des Bundesarchivs – BArch)ist die langfristige Speicherung von digitalem Archivgut in selbstbeschreibenden Container-Einheiten. Diese Einheiten enthaltensowohl das digitale Archivgut, als auch die dazugehörigen Meta -daten, die wesentliche Informationen über das digitale Archivgutvorhalten. Diese Strategie ist abgeleitet aus dem ISO Standard14721, der ein generisches Modell zum Aufbau eines „ArchivalInformation Package“ vorgibt.

Mit XBARCH können die nachfolgend aufgeführten Informati-onskategorien (nach ISO 14721) strukturiert erschlossen undabgelegt werden:• Information zur technischen Darstellung und Interpreta-

tion (representation information, umfasst Informationen zuDateiformaten und den technischen Umgebungen bestehendaus Hardware und Software, in denen das digitale Archivgutfür das menschliche Auge lesbar dargestellt werden kann)

• Information zur Inhaltsbeschreibung eines elektronischenDokuments (reference information, umfasst Betreffsinformatio-nen, Angaben zum Dokumenttyp usw.).

• Informationen zur Herkunfts- und Verlaufsgeschichteeines elektronischen Dokuments (provenance information,umfasst Informationen zu den technischen Veränderungen amDateiformat eines elektronischen Dokuments und zu denVerwaltungsschritten wie Posteingang und Ausgang, Daten zurAnbietung, Aussonderung und Übername in den Archivspei-cher).

• Informationen zum Kontext eines elektronischen Doku-ments (context information, umfasst Angaben zur Akten- undVorgangszugehörigkeit eines Dokuments sowie zu weiterenDokumenten des selben Vorgangs).

• Informationen zur technischen Integrität eines elektroni-schen Dokuments (fixity information, umfasst Angaben zuHashwerten und gegebenenfalls elektronischen Signaturen).

STRUKTUR VON XBARCH Nach der Evaluations- und Entwicklungsphase folgte eine zeitin-tensive Weiterentwicklung anhand der Erfahrungen aus derPilotprojektphase Ende 2006 und im Rahmen des Projekts zurEinführung des Produktivsystems im Jahr 2008. Im Vordergrundstanden dabei eine effektive automatische Verarbeitung vonXML-Strukturen, welche nach XBARCH gemappt werden sowieSicherheit (Fehlerfreiheit) für die Generierung der AIPs bieten.Das Ergebnis ist ein relativ einfaches, in einer flachen Strukturgehaltenes XML-Schema. Das XML-Schema besteht aus einer

Abb. 3: AIP für E-Akten Abb. 4: AIP und Standards

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einzigen Datei. Externe XML-Schemata oder Namenspaceswerden nicht referenziert; auf Wertelisten wurde verzichtet. Eswurden Standardelementtypen definiert. Das Schema beinhalteteinen administrativen, technischen und inhaltlichen Teil. Vominhaltlichen Teil wird auf den technischen Teil verwiesen, welcherdie technischen Eigenschaften der Dokumente sowie die Migrati-onshistorie beschreibt. XBARCH ist wie ein „Baum“ strukturiert: Beginnend mit derWurzel „XBARCH“ als „Root-Element“ schließen sich Veräste-lungen mit sechs Unterelementen an, die sich weiter verzweigen.

• Archivsignatur• Administrative_Daten• Aktenplan• Technische_Daten• XDOMEA_XBARCH• Platzhalter_Datenstrukturen

In der Abbildung (s. Abb. 5) ist das „Root-Element“ mit seinensechs Unterelementen dargestellt.

Element „Archivsignatur“Das Element „Archivsignatur“ beinhaltet eine eindeutige Archiv-signatur für das gesamte AIP. Über die Archivsignatur erfolgt dieVerknüpfung von Applikation und dem AIP im Speichersystem.Eine Benutzeranfrage erfolgt über die Archivsignatur zum AIP.

Die Archivsignatur wird über alle Migrationsstufen konstantbleiben.

Element „Administrative_Daten“Das Element „Administrative_Daten“ beinhaltet organisatorischeInformationen, die bei jedem Datentransfer benötigt und fürPlausibilitätsprüfungen verwendet werden. Diese werdenwährend des Archivierungsprozesses in dem elektronischenLaufzettel (te-Datei) dokumentiert und nach XBARCH übernom-men. Damit wird die Übertragungshistorie des elektronischenDokuments nachgewiesen. In der nachfolgenden Grafik sind dieUnterelemente dargestellt.

Element „Aktenplan“Um einen zum Zeitpunkt der Aussonderung gültigen Aktenplanreferenzieren zu können, wurde die Elementgruppe „Aktenplan“definiert. Diese beinhaltet folgende Unterelemente:

– Aktenplanbezeichnung– Aktenplan_Gueltigkeit– Aktenplan_Status

Abb. 5: Darstellung des Root-Elements „XBARCH“ mit den Unterelementen Abb. 6: Element „Administrative_Daten“

6 XDOMEA 2.0 www.koopa.de/produkte/xdomea2.html; letzter Zugriff:15.05.2009.

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AUFSÄTZE

– Aktenplan_Typ– Aktenplan_Anzahl_Hauptgruppen– Aktenplan_Aufbau

Element „Technische_Daten“Dieses Element beinhaltet die technische Beschreibung vonDaten bzw. Objekten in einer Aussonderungsdatei sowie dietechnische Beschreibung von Dateiformaten, die Beschreibungenvon Hardware- und Softwareumgebungen, mit denen die Objektefür das menschliche Auge interpretierbar dargestellt werdenkönnen und Beschreibungen von technischen Maßnahmen,welche die Archivobjekte verändern oder betreffen. Die vierElemente entsprechen dem PREMIS Metadatenstandard:

– Objekt– technische Umgebung– Ereignis– Agent

Die Referenz zur technischen Beschreibung wird in den XDO-MEA_XBARCH-Daten in der Elementgruppe „IdentifikationVer-knuepftesObjekt“ angegeben.

Element „XDOMEA_XBARCH“Die Elementgruppe „XDOMEA_XBARCH“ ist aus dem XDO-MEA abgeleitet, aber für die Bildung von AIPs angepasst. Die

Elemente „Akte“, „Vorgang“ und „Dokument“ wurden hierar-chisch angeordnet. Das Element „Akte“ ist obligatorisch unddarf nur einmal vorkommen. „Akte“ muss das Element „Vor-gang“ beinhalten. Das Element „Vorgang“ muss mindestens einElement „Dokument“ enthalten.

Element „Platzhalter_Datenstrukturen“Dieses Element dient als Platzhalter für weitere Datenstrukturenoder Daten aus Fachverfahren wie z. B. Geschäftsverteilungspläneoder statistische Daten.

WIE ENTSTEHT EINE XBARCH-DATEI?

Die Prozesssicht

Disparate Produzentensysteme der Behörden sorgen für eineVielfalt der Metadatenstrukturen. Diese sehr unterschiedlichenMetadatenstrukturen werden in das Archivierungsformat XB-ARCH während des Archivierungsprozesses schrittweise über-führt. Die Ausgangsstruktur kann z. B. in einer CSV- (CommaSeparated Value) oder XML-Struktur vorliegen.Gleich zu Beginn des Archivierungsprozesses werden XBARCH-Hüllen bereits für die zu archivierenden AIPs angelegt und

Abb. 7: Element „XDOMEA_XBARCH“

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schrittweise mit Metadaten wie z. B. technischen Informationengefüllt. Das hat folgende Vorteile. Die Daten werden einemZwischenformat zugewiesen, wodurch eine einheitliche Darstel-lung der Daten der Eingabemaske für eine Vorbewertung in derWorkflowkomponente ermöglicht wird. Bei der Verarbeitung des„Submission Information Packages“ (SIP) kann damit einebessere Performance erzielt werden, da die XBARCH-Hüllenbereits vorhanden sind und technische Informationen aus demSIP ergänzt werden müssen. Abbildung 8 veranschaulicht diesenProzess. Ungenutzte Hüllen für AIPs, welche mit „V“ bewertetwurden, werden nach Abschluss des Archivierungsprozessesautomatisch gelöscht.Auf der linken Seite der Abbildung sind die Ausgangsdaten einerabgebenden Stelle dargestellt. Auf der rechten Seite sind die fürdie Bewertung aufbereiteten Daten im Bundesarchiv dargestellt.Die Ausgangsdaten liegen in einer CSV-Struktur vor. Im Bundes-archiv wird die Bewertungsentscheidung durch Anklicken einerCheckbox durchgeführt. Die Bewertungsentscheidung wird als„A“ (Archivieren) oder „V“ (Vernichten) interpretiert und denAusgangsdaten aus der Behörde zugefügt. Die abgebende Stelleerstellt ein SIP. Nach der technischen Eingangsprüfung wie z. B.ein Integritätscheck im Bundesarchiv werden die Daten denvorbereiteten AIP-Hüllen zugeordnet und für eine Qualitätskon-trolle aufbereitet.

Die Informationsquellen

XBARCH entsteht sukzessive im Verlauf des Archivierungsprozes-ses. Metadaten aus Behördensystemen umfassen überwiegendinhaltliche Metadaten, aber nur sehr wenige technische Informa-tionen über die Primärdaten. Häufig liegt nur der Dateiname vor.Diese Information ist für eine Langzeiterhaltung elektronischerDaten nicht ausreichend. Es werden weitere Informationenbenötigt wie z. B. das verwendete System in der Behörde oder dieSystemumgebung. Diese werden in einem Behördenprofil imBundesarchiv hinterlegt. Die Informationen werden in Informati-ons- und Beratungsgesprächen ermittelt. Es werden weiterhineindeutige und zuverlässige Kennzeichner für die Bezeichnungder Dateiformate benötigt. Diese werden über den Einsatz vonFormaterkennungstools wie z. B. DROID ermittelt. Falls eineFormatkonvertierung durchgeführt wird, werden die Informatio-nen des neuen Objekts in XBARCH dokumentiert. Die Abbil-dung 9 zeigt die Informationsquellen, die erforderlich sind, umeinen vollständigen XBARCH-Metadatensatz gemäß dem OAIS-Referenzmodell zu erzeugen.Nach Abschluss der Qualitätskontrolle der AIPs durch die Kolle-ginnen und Kollegen in den Fachreferaten liegt die finale Versioneiner XBARCH-Datei vor. Die AIPs einer Lieferung werden derArchivierungslösung übergeben. Ein Teil der Metadaten wird ineiner Datenbank recherchierbar gemacht. Das vollständige AIP

Abb. 8: XBARCH-Zwischenformat während des Übernahmeprozesses

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AUFSÄTZE

wird auf dem Massenspeicher, einer HSM-Lösung (hierarchischesStoragemanagement), revisionssicher gespeichert. Zukünftig werden die Metadaten in BASYS (Bundesarchiv IT-System = Integrierte Archivverwaltungssoftware) exportiert. InBASYS erfolgt die archivische Erschließung und Klassifikation.

FAZIT Ein Metadatenschema für die Archivierung elektronischer Datenzu entwickeln, ist ein langwieriger Prozess. Die Entwicklung vonXBARCH ist ein Gemeinschaftsprojekt aller Projektbeteiligten.Das Metadatenschema wurde in einem mehrjährigen Prozess, deretwa 2006 begonnen hat und mit Einführung des Produktivsys-tems im Oktober 2008 zu Ende gegangen ist, realisiert. DasXML-Schema bietet Spielraum für Weiterentwicklungen, die fürneue elektronische Objekte erforderlich sind. Direkt einsehbar istdas XML-Schema unter www.bundesarchiv.de/aktuelles/fachinformation/00054/index.html.Insgesamt war die Eigenentwicklung eines Metadatenschemas –trotz aller importierten Standards – für das „Digitale Archiv“ desBundesarchivs aufwändig.

THE METADATA CONCEPT FOR THE DIGITAL ARCHIVEOF THE BUNDESARCHIV

The Digital Archive of the Bundesarchiv in Koblenz is ready totake over electronic records out of records management systems ofgovernmental agencies. The archive was built conforming to theOAIS standard and the DOMEA concept. The first step towardsthe Digital Archive was the development of the metadata conceptconcerning the OAIS standard. This concept includes the construc-tion plan of an Archival Information Package (AIP) for electronicrecords and the draft of the XML schema XBARCH. XBARCH isthe backbone of the AIP and contains all information necessary todescribe, to reuse and to verify the integrity and authenticity of theelectronic record. The concept also includes the transfer of metada-ta into a database for retrieval and preservation planning.

Kathrin Schroeder / Karsten HuthBundesarchivPotsdamer Str. 156075 Koblenz Tel. 0261-505212, Fax 0261-505295E-Mail: [email protected]

Abb. 9: Informationsquellen für XBARCH

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INTRODUCTION The National Archives of Korea (NAK) had established Informati-on Strategy Planning (ISP) from September 2005 to February2006 to implement a digital records management scheme. Duringthe period, the NAK benchmarked the Electronic recordsManagement Systems (ERMS) of the U.S., the U.K., and Australia,

and studied relevant standards such as ISO 15489 and 14721.Based on the results, the NAK developed in 2006 the ERMSfor government ministries and agencies to manage electronicrecords and the Central Archival Management System (CAMS) tomanage permanent records. In 2007, as the two systems werelinked to each other, the on-line digital records managementscheme was established to automate the lifecycle management ofpublic records of the Korean Government. On the strength ofthese developments, central government agencies began to opera-te the ERMS in earnest last year. This presentation is to introducemain features and achievements of the ERMS being promoted inKorea as a case of national endeavor to cope with the digitalenvironment. I will share main issues raised in the course withother member countries of the ICA.

CHANGE TO DIGITAL PUBLICENVIRONMENT

The Korean government has made continuous efforts since 1987when it began to set up databases of key administration informa-tion. The promotion of e-government made progress from 2003toward strengthening public services and innovating how publicofficials work. In order to innovate on work practices, the govern-ment executed a series of projects to electronically managedocuments over the whole processes from document creation and

circulation to preservation. It also reengineered works to classifydocuments systematically and manage them on-line.Thanks to these efforts, government organizations have come toproduce 98 % of documents in electronic form, shifting thepublic environment from a paper-based one to a digital one. Themove has not been confined to an electronic documents manage-ment system (EDMS). Other systems for the jobs common acrossgovernment agencies like HR, finance, and audit, have beendeveloped to handle them electronically. In 2005 in particular, theBusiness Processing System (BPS) was developed to enhancegovernment’s transparency and responsibility and it is currentlyin service in 43 central government agencies. The distribution ofBPS has made a fundamental shift in how public officials workand, as a result, handling process as well as the final approveddocuments themselves is also in record. The change in publicadministration paradigm to e-government has brought about theneed of management measures for digital records.Second, the Korean government introduced Enterprise Architec-ture (EA) and implemented one of the reference models, theBusiness Reference Model (BRM), for efficient management ofinformation resources. Previously, government functions werebroken off at each organization, but the BRM integrated themnationally and classified systematically from 2005. The Koreangovernment surveyed government functions for 3 years andestablished a classification system based on the result. TheKorean BRM categorizes government functions into 6 levels. Thelowest one goes down to define the minimum work unit con-ducted by one public official. Currently the BRM system isconnected to the BPS of all central government agencies andsome of local governments and documents are being classifiedaccording to it. The changes in the record creation stage requireda shift in the record management stage to business-based mana-gement.

SEAMLESS FLOW OF THEPUBLIC RECORDS

SPREAD OF THE ELECTRONICRECORDS MANAGEMENTSYSTEM OF KOREAby Jeong Kwag

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AUFSÄTZE

INFORMATION STRATEGY PLANNINGFOR RECORDS MANAGEMENTINNOVATION

In order to accommodate the changes originating from the digitalpublic environment, the NAK executed “Information StrategyPlanning for Records Management Innovation” (ISP) in 2005 andestablished a basic system in accordance with the Planning. Andit reflected this to the Act on the Management of Public Archives.ISP first suggested that the paper-based legacy process and systemshould be replaced by a digital records management scheme. Tothat end, the NAK reengineered all records management proces-ses so that they would agree with the electronic records manage-ment and suggested functions of the ERMS and the CAMSrequired to reflect the change. In the process, the NAK designed amodel that links on-line the records creation system, the ERMSand the CAMS, to implement a digital records managementscheme that covers the lifecycle of records.Second, ISP suggested a business-based records managementscheme under which activities are recorded electronically andsearched quickly according to a business classification scheme,closely linking activities and records management. The NAKadopted the BRM for the implementation of records classification.Third, ISP mapped out a long-term preservation strategy thatguarantees authenticity, reliability and integrity of electronicrecords in order to meet the international standards. The NAKhad carried out studies about long-term preservation for 3 years.Based on the findings of the study, the NAK defined long-term

preservation format and developed a software program to convertand a verification system.Fourth, ISP suggested records management standardization ofcentral governments, local governments, the legislature and thejudicature by making national standards with the elementscommonly required in records management. The NAK establis-hed the metadata standard for records management that includeselectronic records and the functional specification of the electro-nic records management system. The NAK recommends allpublic organizations to apply these standards so that interopera-bility of records information and consistency of records manage-ment can be guaranteed.

SPREAD OF THE ELECTRONICRECORDS MANAGEMENT SYSTEM

Following the results of ISP, the NAK developed the electronicrecords management system as a standard system for the govern-ment in two phases from 2006 to 2007. The ERMS is a systemmanaging records created in each public organization. A total ofUSD 3,200,000 (KRW 3.3 billion) was invested. The first phasefocused on developing basic functions. In the second phase, itwas linked to 6 relative systems including the CAMS and waslaunched on a pilot basis in four central government agencies. One of the characteristics of the ERMS is that it is linked tovarious other systems as shown in figure 2. First, it is linked tovarious creation systems like the BPS and the EDMS used by

Figure1: Record manage-ment system of Korea

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government organizations and captures electronic records. Thesystem is also linked to the Korean Public Information DisclosureSystem (PIDS) and the National Archives Portal to serve recordsto the general public and public officials. Not only that, it islinked to the BRM system that manages government functions ina standardized manner and to the Digital Signature Long-TermVerification System operated by the NAK. The ERMS is linked tothe CAMS at the last step and serves as the hub for electronicrecords creation and permanent preservation.To introduce key functions, the classification and the manage-ment of retention period would come first. In order to implementa business-based electronic records management system sugge-sted by ISP, the ERMS receives classification information from theBRM and uses it as classification scheme. When a unit task at thelowest level of BRM is created, a retention period of the functionis set and it is applied to the creation system, too. As it is definedin advance, a retention period is automatically given as soon as arecord is created under the relevant unit task.Second, the capture function using online link. The ERMSimports a large quantity of electronic records from creationsystems like the BPS and the EDMS every one or two years asshown in figure 3. The BPS is a system for government organizati-ons to handle works there electronically and has been commonlyused by central government agencies since 2007. The EDMS is anelectronic document creation and management system widelyused by pubic organizations across the nation. Electronic recordscaptured over in this manner are saved after virus scan and

validity check following the metadata standards for recordsmanagement. Third, conversion to a preservation format. This function trans-forms documents into PDF/A-1 and XML formats as shown infigure 4. This conversion module was developed in 2006 by theNAK at “Test Bed for the Application of Permanent PreservationTechnology for Electronic Records” and applied to the system.PDF/A-1 is a format suitable for a long-term preservation of thecontents and the form of a document and was defined as astandard document preservation format in Korea. XML is aformat that is based on the notion of the information preservati-on package suggested by ISO 14721 (OAIS Reference Model) andencapsulates the original file, PDF/A-1, metadata, and a digitalsignature. Among the documents transferred to the recordsmanagement system, those requiring a long-term preservation areconverted to the preservation format and saved. This format isalso applied when documents are transferred to the NAK.Fourth, a verification function for certification information toconfirm integrity of electronic records as shown in figure 5. Thelong-term preservation format includes the digital signature andits validation can be verified from the Korean Government PublicKey Infrastructure (GPKI) center for 27 months only. To solve thisproblem, the NAK developed the Digital Signature Long-TermVerification System to ensure validity check after the period. TheERMS is designed to prove integrity of electronic records byconfirming validity of the digital signature in connect with thissystem.

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Figure 2: On-line model

Figure 3: Capture using on-line link

Figure 4: Concept ofpreservation format

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AUFSÄTZE

Fifth, records information supply function. Following the PublicInformation Disclosure Act, public officials of the Korean govern-ment decide the disclosure level (disclosure, non-disclosure,partial disclosure) of a document when it is created. In order tomake sure that documents of non-disclosure or partial disclosureclass would not stay in the classes after the reason for the originaldesignation expires, the Korean government stipulated reviewrequirement in the Public Records Management Act. Under theAct, non-disclosed or partial disclosed documents are reviewedevery 5 years and disclosed to the general public. The ERMSsupports the review of non-disclosed records and services thedocument decided on the disclosure. The Public InformationDisclosure System (PIDS) is one that is accepts access requests forrecords of government organizations from the general public andprovides the information. The ERMS delivers an inventory list tothe PIDS regularly and provides requested documents in PDF/A-1format. The ERMS also provides information of current andsemi-current records in link with the National Archival Portalrun by the NAK.

MAIN ISSUESVarious issues have been raised in the course of the RMS deve-lopment. First, which information in the system for businessactivities has to be managed as records? In most business systems,various information supporting specific works and records aremixed together. It was practically difficult for officials to selectrecords as the evidence of their activities. To resolve this problem,the NAK analyzed provenance and business process of keybusiness systems and defined which information should besubjected to the records management. Still, it left unresolved thelimitation that business boundaries are determined arbitrarily. Second, how electronic records are to be captured while the datalink structure in the business system is maintained? Electronicrecords, in many cases, have a complicated internal link structure

with other information as well as the information shown throughapplications. This intricate structure cannot be maintainedfollowing the NEO (NAK Encapsulated Object) method. Todetour this problem, link information was acquired, but the linksin business systems are somewhat distorted in the ERMS.Third, when the information newly added or revised by businesssystems should be captured? Electronic records in general areeasy to revise and delete. To secure work flexibility and betterutilization, business systems allow continuous adding, revisingand deleting of certain information without closing. As for thiscase, the NAK decided to capture original source including alladditions and changes once a year because the appropriate timingfor capturing to the ERMS can be missed. As a result, the wholeelectronic records are captured uniformly without considerationof the circumstance of each record.Fourth, how can non-document formats be preserved? TheERMS designated PDF/A-1 as the long-term preservation format.However, this format can be applied only to text documents andis inapplicable to other formats like multi-media files andspreadsheets. As a result, those kinds of documents had to beencapsulated into XML in their original formats and the migrati-on problem of those formats remaines. Fifth, how can authenticity of electronic records be verified pastthe 27 month threshold? Long-term verification of certificationinformation was also pointed out as problematic. Since thecertificates used by the Korean Government expire in 27 months,a verification method of the certificate after the period is needed.The digital signature long-term verification system was develo-ped to resolve that problem. However, no country has verifiedthis system so far. It would be decades before trustworthy resultsof this experiment are released. Sixth, the processing speed of electronic records in large volume.It took quite long when electronic records are captured in lumpsum from work systems each year, when those records are storedin archiving storage, and when they are transformed into the pre -

Figure 5: Concept of the digitalsignature long-term verification

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servation format. The data volume will only increase exponential-ly in the future. The speed issue would pose a big hurdle to allrecords management systems for electronic records management.

ACHIEVEMENTS AND FUTURE OF THEERMS

The ERMS is in full operation at 41 central government agencies.In particular, the system is going to get on-line records of 10 TBfrom July, starting from 281,410,000 records created by the EDMS.Not only that, permanent records saved in the ERMS are to beelectronically transferred to the CAMS. Since the same ERMSapplication developed by the NAK was commonly introduced toall organizations, each organization could not have a customizedrecords management system that best suit their individual situati-on. Nevertheless, a meaningful achievement of the developmentof the ERMS can be found in that a scheme to transfer to theNAK important electronic records of government agencies, hasbeen established. Still, more importantly, the lifecycle of recordsmanagement can be processed by the system.The NAK completed the development of the electronic recordsmanagement system in 2007 and it moved onto a new phase inthe spread of the system. It marks a significant turning pointindicating a closure of paper-oriented record management andthe start of the migration to a new electronic records manage-ment system suitable for the digital environment. The ERMS isone that enables business-based records management emphasi-zed by international standards and reflects essential requirementsof maintenance, management and long-term preservation ofelectronic records. The NAK is to distribute the ERMS across thenation and to lay the foundation for a proper management ofelectronic records that are rapidly increasing in volume. The goalof the system also includes that national records should not belost and be retained with their authenticity secured so that they

can continuously serve as the evidence of the state administration.The NAK plans to distribute the ERMS to local governments. Byfully utilizing its experiences in introducing the system to centralgovernment agencies, it would make sure that the system isimported to local governments in phases and settles down well.In particular, the NAK would focus this year on turning thesystem into a universal one applicable to various organizationswith different environments. The NAK is to keep the system opento changing needs and requirements of users through continuedmaintenance.

DAS ELEKTRONISCHE RECORDS-MANAGEMENT-SYSTEM DES NATIONAL ARCHIVES OF KOREA (NAK)

Seit Ende der 1980er Jahren vollzieht sich in der südkoreanischenVerwaltung ein Übergang zur elektronischen Dokumentenverwal-tung. Etwa 98 % aller Unterlagen entstehen gegenwärtig inelektronischer Form. Um diese Menge archivisch zu bewältigen,hat das National Archives of Korea (NAK) in den Jahren 2006und 2007 ein elektronisches Records-Management-System ent-wickelt und in Betrieb genommen, das nach dem Lifecycle-Modelleine Verwaltung elektronischer Dokumente von ihrer Entstehungüber die Aussonderung bis hin zur dauerhaften OAIS konformenArchivierung erlaubt. Der Artikel beschreibt die grundlegendenstrategischen Weichenstellungen, die Funktionsweise und dieweiteren Entwicklungsperspektiven dieses Systems.

Jeong KwagArchivist of Access Management & Service DivisionNational Archives of KoreaMinistry of Public Administration & SecurityE-Mail: [email protected]

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Figure 6: cases of using records information

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AUFSÄTZE

EINE NACHTRÄGLICHEGEBURTSURKUNDE

„Der Deutsche Bundestag unterhält ein Parlamentsarchiv“. Mitdiesem Satz hat der Deutsche Bundestag 2008 die seit 59 Jahrenin Ausübung seines Selbstorganisationsrechtes praktizierteUnterhaltung eines eigenen Parlamentsarchivs nunmehr aus-drücklich in seiner neu erlassenen Archivordnung1 bestätigt.Zuvor konnte nur indirekt aus der Geschäftsordnung des Deut-schen Bundestages2, der Archivordnung für das Parlamentsarchiva. F.3, aber auch aus dem „Stasi-Unterlagen-Gesetz“4 auf dieExistenz eines Bundestagsarchivs geschlossen werden. DasBundesarchivgesetz deutet ebenfalls nur vage die Möglichkeiteigener Parlamentsarchive bei Bundestag und Bundesrat an: “Diegesetzgebenden Körperschaften entscheiden in eigener Zustän-digkeit, ob Unterlagen anzubieten und zu übergeben sind.“5 Mitdieser Formulierung wurde seinerzeit im Gesetzgebungsverfah-ren zum Bundesarchivgesetz nach entsprechender Interventionder Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat deren Selbstor-ganisationsrecht berücksichtigt.6

In Hinblick auf die eher spärliche Fachliteratur zu Fragen derAussonderung, Anbietung und Benutzung von Archivgut inParlamenten bzw. in deren Archiven sollen nachfolgend dieentsprechenden neuen Regelungswerke des Deutschen Bundesta-ges – Archivordnung7 mit Benutzungsordnung8, die hausinterneAbgaberichtlinie, die Kostenübersicht9 und die korrespondieren-den Regelungen für den Deutschen Bundestag – in ihrem Zusam-menspiel erläutert sowie im Einzelnen vorgestellt werden. Dieserfolgt meist streiflichtartig; ein umfassender Kommentar istinsbesondere dort entbehrlich, wo sich vergleichbare Formulie-rungen in anderen Archivsatzungen oder auch den Archivgeset-zen des Bundes/der Länder finden und die bei der Erarbeitungdieser Archivordnung dankbar aufgegriffen wurden. AusführlicheDarstellung erfahren lediglich einzelne Festlegungen, die keinen,selten oder in abweichender Form Eingang in vergleichbareRechtsgrundlagen gefunden haben.

DER LANGE WEG ZU EINER NEUENORDNUNGDas Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages existiert seitden Anfängen der Bundestagsverwaltung. Mit der Archivordnungvon 1976 wurde durch die Präsidentin des Deutschen Bundesta-ges erstmals ein Regelungswerk für die Arbeit des Archivs inKraft gesetzt, das bis 2008 unverändert galt.Bereits strukturell wies diese Archivordnung Mängel auf. Beste-hend aus 11 Paragraphen, bezogen sich bis auf den ersten („Zu-ständigkeit und Aufgaben des Parlamentsarchivs“) alle anderenBestimmungen ausschließlich auf die Benutzung. Somit handeltees sich eher um eine Benutzungsordnung. Hinweise auf dieAnbietungs- oder Abgabepflicht an das Parlamentsarchiv fehltenhier gänzlich.10

Deutlicher Handlungsbedarf für eine neue Archivordnung ergabsich aber auch aufgrund jüngerer Rechtsvorschriften zum Daten-schutz und zu den Rechten Betroffener, in Hinblick auf dasUrheberrecht sowie das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes.Des Weiteren waren die neuen Informationstechnologien undMedien11 sowie die neuen Serviceangebote des Archivs wie der„Digitale Bilderdienst/Bildarchiv“ in den Regelungskreis einzu-beziehen.Erste konkrete Vorüberlegungen für die Erarbeitung einer neuenArchivordnung wurden bereits 2005 angestellt. Vorangegangenwar eine Neubearbeitung des für die Bundestagsverwaltunggrundlegenden Regelwerkes, der AD-BTV. Eine 2005 konstituierteArbeitsgruppe des Parlamentsarchivs legte innerhalb eineshalben Jahres den Entwurf einer neuen Archivordnung vor. Diesebestand aus einem Hauptwerk und vier Ausführungsbestimmun-gen zur Anbietung, zu den Schutzfristen, der Benutzung sowie zuden Kosten. Zu diesem Zeitpunkt waren der Umfang und dieIntensität der darauf folgenden internen Abstimmungsgesprächenicht absehbar. Sie zogen sich über zwei Jahre hin, ohne dass dieArbeit jemals längere Zeit stockte. Im Laufe der Abstimmung undinsbesondere durch die enge Zusammenarbeit mit Unterabtei-

IN EIGENERZUSTÄNDIGKEIT

DER DEUTSCHE BUNDESTAG HATEINE NEUE ARCHIVORDNUNG

von Angela Ullmann

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lungsleitung „Bibliothek und Dokumentation“ (ID), der dasArchiv organisatorisch angehört12, sowie dem Justitiariat desDeutschen Bundestages haben die zunächst stark durch diearchivische Fachsicht geprägten Vorlagen mehrere Metamorpho-sen vollzogen und dabei deutlich an Qualität gewonnen.Nunmehr wird die neue Archivordnung ergänzt durch eineAnlage „Benutzungsordnung“. Hinzu kommt eine neugefassteund eigenständige Kostenübersicht. Die Abgaberegeln sind in einehausinterne „Richtlinie für die Anbietung und Abgabe vonUnterlagen an das Parlamentsarchiv“ als Anlage 26 zur AD-BTVsowie in eine Fortschreibung des Leitfadens für die Durchführungvon IT-Projekten beim Deutschen Bundestag eingeflossen.Basierend auf der Benutzungsordnung des Archivs erfuhren auchdie Benutzungsordnungen für die Bibliothek und die Pressedoku-mentation des Deutschen Bundestages jeweils eine Neufassung.Die Beschlussfassung im Ältestenrat erfolgte am 26. Juni 2008,nachdem die Kommission für Innere Angelegenheiten des Ältes-tenrates am 20. Juni 2008 die Novellierungen der Archivordnungund der Benutzungsordnungen für das Archiv, die Bibliothek unddie Pressedokumentation zustimmend zur Kenntnis genommenund diese dem Ältestenrat zur Beschlussfassung empfohlen hatte.Bereits am 27. Juni 2008 setzte dann der Präsident des DeutschenBundestages alle vier Regelungswerke in Kraft. Vorausgegangenwar am 6. Mai 2008 die Inkraftsetzung einer neuen „Kostenüber-sicht für die Vervielfältigung von Archivgut im Parlamentsarchivdes Deutschen Bundestages“ durch die Unterabteilungsleiterin ID.Parallel zur Archivordnung erschien am 2. Juni 2008 als Hausver-fügung des Direktors beim Deutschen Bundestag die neue Anlage26 zur AD-BTV mit den Bestimmungen zur Anbietung undAbgabe.

ALLE STATIONEN DES LEBENSWEGESBERÜCKSICHTIGTNunmehr ist der gesamte Regelungskreis von der Entstehung überden vorarchivischen Bereich der Bearbeitung, Registratur undAltregistratur über die Aussonderung bis hin zum Zwischenar-chiv, dem Endarchiv oder der Vernichtung geschlossen.Für die Entstehung und Verwaltung von Unterlagen ist zunächst§ 42 „Aussonderung und Archivierung“ des Allgemeinen Teils derAD-BTV in Verbindung mit der Schriftgutanweisung als Anlage 5zur AD-BTV maßgeblich. In Letzterer finden sich alle Bestimmun-gen zur Gestaltung von Schriftstücken, zum Geschäftsgang, zurVergabe von Aktenzeichen, zu aktenführenden Stellen etc. Diesewird ergänzt durch den ständig aktualisierten Aktenplan derVerwaltung des Deutschen Bundestages. Alle Aktenplanpositionensind bereits mit einer Aussonderungsart und damit einer archivi-schen (Vor-)Bewertungsentscheidung belegt.Für digitale Unterlagen gilt die Anlage 5 zur AD-BTV entspre-chend. Als einschlägige Vorschrift tritt § 3 „Elektronische Unter-lagen und Daten“ der Abgaberichtlinie (Anlage 26 zur AD-BTV)hinzu.Alle Aspekte der Aussonderung und Archivierung sind in derAbgaberichtlinie behandelt.Für das im Parlamentsarchiv verwahrte Archivgut gilt die Archiv-ordnung, in der auch die Schutzfristen für die Einsichtnahmegeregelt sind. Die Benutzung von Archivgut, Dokumentationenund Sammlungsgut vollzieht sich somit auf Grundlage derArchiv-, aber auch der Benutzungsordnung für das Parlamentsar-chiv. In diesen ist eine Harmonisierung mit der Einsichtnahme

nach dem Informationsfreiheitsgesetz hergestellt. Die bei derVervielfältigung von Archivgut anfallenden Kosten ergeben sichaus der Kostenübersicht.

DIE ARCHIVORDNUNG Neben dem bereits eingangs zitierten Satz, der in Abs. 1 des § 1„Aufgaben und Geltungsbereich“ festgeschrieben ist, verdeutlichtAbs. 2 den institutionellen Rahmen. So ist das Parlamentsarchivvorrangig Dienstleister für seinen Archivträger, den DeutschenBundestag, aber darüber hinaus auch offen für jeden Interessierten.Die Absätze 3 bis 5 treffen Aussagen zu Aufgaben und Zuständig-keit des Archivs, definieren den Begriff „Unterlagen“, nehmenBezug auf den hier maßgeblichen § 42 der AD-BTV und ergänzendie dort nicht erwähnten Netzressourcen wie Intranet, Internetund sonstige Webprojekte.Die ausschließliche Zuweisung des Bewertungsprivilegs

„Mit der archivfachlichen Bewertung entscheidet das Parla-mentsarchiv, ob Unterlagen ein bleibender Wert zukommt.“13

erwies sich in doppelter Hinsicht als notwendig. Zunächst be -durfte es einer solchen Feststellung in Hinblick auf andere Organi-sationseinheiten des Hauses. Zum anderen aber ist auch von außendem Parlamentsarchiv die Bewertungskompetenz abgesprochenworden, so durch Klaus Oldenhage und Siegfried Becker, „weil dieUmwidmung von Unterlagen zu Archivgut eine Übergabe an dasBundesarchiv voraussetzt“14. Diese Tendenz hat leider auch derProfessorenentwurf zum Bundesarchivgesetz (ArchG-ProfE) auf -gegriffen15, ohne das verfassungsrechtlich garantierte Selbstorgani-sationsrecht der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesratsowie die Existenz zweier Parlamentsarchive zu berücksichtigen,geschweige denn zu würdigen. Vor diesem Hintergrund war eine

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1 Archivordnung für den Deutschen Bundestag vom 26. Juni 2008, in Kraft ge-setzt durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages am 27. Juni 2008.

2 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) § 6 Abs. 4 sowie §116 Abs. 3.

3 Archivordnung für das Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages von 1976.4 Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen

Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – StUG) in derFassung der Bekanntmachung vom 18. Februar 2007 (BGBl. I S. 162), § 20 Abs.3 Satz 2 sowie § 21 Abs. 3 Satz 2.

5 Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundes-archivgesetz – BArchG) vom 6. Januar 1988 (BGBl. I S. 62) zuletzt geändertdurch das Informationsfreiheitsgesetz vom 5. September 2005 (BGBl. I S. 2722,2724), hier § 2 Abs. 2.

6 Dokumentation zum „Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archiv-gut des Bundes – Bundesarchivgesetz vom 6. Januar 1988“. PA-DBT 4000, XI/31,Nr. 19.

7 Abrufbar unter URL www.bundestag.de/wissen/archiv/oeffent/Archivord-nung.pdf.

8 Abrufbar unter URL www.bundestag.de/wissen/archiv/oeffent/Benutzungs-ordnung.pdf.

9 Abrufbar unter URL www.bundestag.de/wissen/archiv/benutz/agb_nutzungs-entgelte.pdf.

10 Diese waren in der Allgemeinen Dienstanweisung für die Bundestagsverwal-tung (AD-BTV) sowie in diversen Hausverfügungen des Direktors beim Deut-schen Bundestag und der späteren Schriftgutanweisung enthalten.

11 Vgl. auch J. Friedrich Battenberg. Die Novellierung des Hessischen Archivge-setzes. In: Archivar 61 (2008), H, 3, S. 263-268. Friedrich Schoch. Modernisie-rung des Archivrechts in Deutschland. In: Die Verwaltung 39 (2006) H. 463-491, hier S. 471-472.

12 Diese Unterabteilung umfasst neben dem Archiv auch die Bibliothek, die Pres-sedokumentation sowie das Sach- und Sprechregister (Parlamentsdokumen-tation).

13 Archivordnung für den Deutschen Bundestag § 1 Abs. 1 Satz 2.14 Siegfried Becker, Klaus Oldenhage. Bundesarchivgesetz. Handkommentar. Ba-

den-Baden 2006, S. 35 Rn 29. Auf einen Kommentar soll an dieser Stelle ver-zichtet werden, da er den thematischen Rahmen dieses Aufsatzes sprengen wür-de.

15 Friedrich Schoch, Michael Klopfer, Hansjürgen Garstka. Archivgesetz (ArchG-ProfE). Entwurf eines Archivgesetzes des Bundes. Berlin 2007.

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AUFSÄTZE

entsprechende Klarstellung nötig. Immerhin „gilt die Feststellungder Archivwürdigkeit von Unterlagen als Kernbereich der archivari-schen Aufgaben“16, wie der ArchG-ProfE zutreffend festhält.Der § 2 der Archivordnung weist auf die grundsätzliche Anbie-tungspflicht aller Organisationseinheiten der Bundestagsverwal-tung und auf die weiteren Detailregelungen in der Anlage 26 zurAD-BTV (Abgaberichtlinie) hin. Die in § 3 aufgenommenen Rechts -ansprüche Betroffener sind die in den meisten Archivgesetzenfestgeschriebenen, allerdings ergänzt um einen weiteren Absatz 4:

„Die Frage, ob und inwieweit einem Antragsteller der Statuseines/einer ‚Betroffenen‘ zukommt, ist jeweils im Einzelfalldurch das Parlamentsarchiv zu prüfen.“

Er berücksichtigt, dass es mehrere Betroffene mit teils widerstrei-tenden Interessen geben kann. Hier muss eine Abwägung getroffenwerden, wessen Ansprüche das höhere Rechtsgut darstellen.Bei der Anwendung der Archivordnung hinsichtlich der RechteBetroffener wird sich in absehbarer Zeit die Notwendigkeit erge-ben, Gegendarstellungen in digitale Unterlagen aufzunehmen.Dieser Fall ist bislang m. K. nach in den Archiven weder konzeptio-nell vorgesehen, noch praktisch erprobt. Zumindest für das Webar-chivsystem des Deutschen Bundestages wurde nunmehr einAnsatz für die inhaltliche und technische Umsetzung der Aufnah-me von Gegendarstellungen in archivierte Netzressourcen ent-wickelt.17

Hinsichtlich der Benutzung wird in der Archivordnung lediglichauf die Benutzungsordnung verwiesen. Detailliert geregelt sindhingegen die Schutzfristen in § 5. Dieser greift die in der Geschäfts-ordnung des Bundestages enthaltenen Regelungen zu den Proto-kollen und Drucksachen auf. Die Abgrenzung zur Einsichtnahmenach dem Informationsfreiheitsgesetz ist in Absatz 4 getroffen:

„Unterlagen der Verwaltung des Deutschen Bundestages unter-liegen, soweit sie jünger als 30 Jahre sind und nach dem 1. Januar2006 an das Parlamentsarchiv abgegeben wurden, dem Gesetzzur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Infor-mationsfreiheitsgesetz – IFG) in der jeweils gültigen Fassung.Kosten für die Vervielfältigung dieser Unterlagen bemessen sichnach der Informationsgebührenverordnung (IFGGebV).“

Unterlagen der parlamentarischen Arbeit sind bereits im Informati-onsfreiheitsgesetz explizit aus dessen Geltungsbereich ausgenom-men.18

Hinsichtlich der Schutzfristen für personenbezogene Unterlagensowie für allgemeine Verwaltungsakten lehnt sich die Archivord-nung an die im BArchG fixierten Fristen an. Dabei wurde die injüngster Zeit vieldiskutierte, aber für den Bund bis auf weiteresgültige 30-Jahresfrist nicht unreflektiert, sondern bewusst über-nommen.Die §§ 6 und 7 regeln den Erlass von Ausführungsbestimmungenund das Inkrafttreten.

DIE BENUTZUNGSORDNUNG Die Benutzungsordnung trifft zunächst eine Abgrenzung zwischender mandatsbezogenen bzw. dienstlichen Nutzung des Archivsdurch Mitglieder des Deutschen Bundestages, deren Mitarbeiter/-innen, Fraktionsangestellte sowie Angehörige der Bundestagsver-waltung einerseits und weiteren Benutzern andererseits.Die Berechtigung der Abgeordneten, jederzeit in „alle Akten einzu -sehen, die sich in der Verwahrung des Bundestages oder einesAusschusses befinden“, wurde nicht aufgenommen. Diese ist inder Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages niedergelegt19

und bedurfte daher keiner Bestätigung in der Archivordnung.Im § 2 finden sich die üblichen Festlegungen zu Benutzungsantragund -genehmigung. Abs. 3 fixiert den Entscheidungsvorbehalt desAusschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnungzur Einsicht in Unterlagen, die Verfahren nach Artikel 46 desGrundgesetzes (Indemnität und Immunität der Abgeordneten) und§ 44 c des Abgeordnetengesetzes (Überprüfung auf Tätigkeit oderpolitische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/ Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demo-kratischen Republik) betreffen.Hinsichtlich der Arten der Einsichtnahme legt § 3 fest, dass eineAusleihe von Unterlagen nur an die jeweiligen Registraturbildneroder deren Nachfolger möglich ist. Jede andere Benutzung – mitAusnahme der Bereitstellung von Kopien – vollzieht sich aus-schließlich im Lesesaal.Die Abbildung von Archivgut in Veröffentlichungen ist wie allge-mein üblich nur mit Zustimmung des Archivs möglich. Eine solcheGenehmigung enthebt den Benutzer nicht der Pflicht, darüberhinaus bestehende Urheber- oder ähnliche Rechte Dritter zubeachten („§ 2 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.“20)Obwohl das Belegexemplarrecht in neuester Zeit umstritten ist,wurde es dennoch in § 4 Abs. 3 aufgenommen21, jedoch nur„soweit dies zumutbar ist“. Die Verfasser waren sich zwar darüberim Klaren, dass diese weiche Formulierung wenig Rechtsklarheitschafft, wollten jedoch auf die Aufforderung zur Abgabe einesBelegexemplars nicht verzichten. Die Formulierung als Bitte an denBenutzer hätte sich weder stilistisch noch in den Charakter derBenutzungsordnung eingefügt.Fragen der Haftung und Verantwortlichkeit behandelt § 5. Hierun-ter fallen das Verbot zustandsverändernder Maßnahmen amArchivgut, die Ausschlussmöglichkeit von der Benutzung beiVerstoß gegen die Festlegungen sowie bewusst herausgehoben derHinweis auf die Einhaltung der „Publizistischen Grundsätze desDeutschen Presserates“ (Pressekodex).Die Bestimmungen zu den Vervielfältigungen (§ 6) dürften sichweitgehend mit der Verfahrensweise in anderen Archiven decken.Eigene Paragraphen treffen Festlegungen sowohl für den Umgangmit Benutzerkopien von Ton-/Videoaufzeichnungen sowie für dieNutzung des „Digitalen Bilderdienstes / Bildarchivs“. Diese Nut-zungsbedingungen stellten vor der neuen Benutzungsordnungjeweils eigene Regelungswerke dar22. Nunmehr sind sie in dieBenutzungsordnung integriert und in diesem Zusammenhangauch geringfügig überarbeitet worden.In § 7 „Digitaler Bilderdienst/Bildarchiv“ wurde gegenüber deralten Fassung ein neuer Abs. 1 als Einleitung aufgenommen. Einewichtige Ergänzung fand der neue Abs. 4 (alter Abs. 3), der nun-mehr ausdrücklich die dienstliche Verwendung „durch die Abge-ordneten des Deutschen Bundestages für Zwecke ihrer Mandats-ausübung sowie durch die Mitarbeiter der Abgeordneten, derFraktionen und der Verwaltung des Deutschen Bundestages“heraushebt. Hinsichtlich der Nutzungszwecke für Jedermannwurden zwei wesentliche Erweiterungen vorgenommen: DerBegriff „parlamentarische Berichterstattung“ wurde ersetzt durch„politische Berichterstattung“. Eine Nutzungsfreigabe erfolgt nunauch für „private nichtgewerbliche Zwecke sowie für nichtgewerb-liche Zwecke im Bereich der politischen Bildung“. Ausgeschlossenbleiben weiterhin eine kommerzielle Nutzung und eine Nutzungfür Werbung. Für diese Zwecke muss auch künftig auf Bilder vonBildagenturen und freien Fotografen zurückgegriffen werden, wasangesichts der kostenfreien Nutzung sicher nachvollziehbar ist.

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Gestrichen wurde die Ablieferungspflicht eines Belegexemplars.Dies ist eine Erkenntnis jahrelanger Praxis, infolge derer unzähligeBelegexemplare vom Comic über berufsständische Magazineinsbesondere für Ärzte hin bis zum Schulbuch vorliegen. DerenNutzen im Archiv ist eher fraglich, zumal die Verwaltung derBelegexemplare unnötig Kapazitäten bindet. Der scheinbareWiderspruch zum weiterhin bestehenden Belegexemplarwunschfür die Benutzung sonstiger Quellen löst sich bei näherem Hinse-hen auf, da die bildlichen Quellen fast ausschließlich zur Illustrati-on im weitesten Sinne dienen, während sprachliche/textlicheQuellen interpretiert werden und hier Veröffentlichungen oftmals„unverzichtbare Erschließungshilfen für das Archiv“23 darstellen.Die in § 8 niedergelegten Nutzungsbedingungen für Ton-/Videoko-pien ähneln weitgehend denen für das Angebot „Digitaler Bilder-dienst/Bildarchiv“.

DIE KOSTENÜBERSICHT Die in der Kostenübersicht fixierten Entgelte für die Vervielfälti-gung von Archivgut im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundesta-ges betreffen zwei Hauptpositionen:

– die Ausführung reprographischer Arbeiten und– Benutzungskopien von Ton-/Videoaufzeichnungen.

Für die Nutzung von Bilddateien und Digitalisierung von Bildernwerden keine Kosten fällig. Diese Festlegung erfolgte im Rahmendes Projektes „Digitaler Bilderdienst / Bildarchiv“. Allerdingswerden Bilder entsprechend § 7 Benutzungsordnung wie bereitsausgeführt nur für eine nichtkommerzielle Nutzung bereitgestellt.Die Ausführung reprographischer Arbeiten schlug nach der altenKostenübersicht für DIN A 4-Kopien mit 0,08 € und auf DIN A 3mit 0,16 € zu Buche. Im Zuge der Harmonisierung der Archivord-nung mit dem Informationsfreiheitsgesetz wurden auch die Kostenfür die Vervielfältigung von Archivgut an die Sätze der Informati-onsgebührenverordnung (IFGGebV) angeglichen. Sie betragennunmehr 0,10 € für Kopien auf DIN A 4 und 0,15 € für Kopien aufDIN A 3. Diese Angleichung gilt auch für die Bibliothek und diePressedokumentation des Deutschen Bundestages.Gegenstand des zweiten und weitaus umfangreicheren Teils derKostenübersicht sind Benutzerkopien von Ton-/Videoaufzeichnun-gen. Die (überholte) Intention der zuvor geltenden Kostenregelungwar eine Unterscheidung zwischen „professionellen“ und „nicht-professionellen“ Nutzern. Der Satz für die Überspielung aufdigitale Träger und BetacamSP (also für „professionelle“ Nutzer)belief sich auf 50 € pro angefangene halbe Stunde Abspieldauer.Dagegen kostete die Kopierung auf analoge Träger (außer Betacam-SP) lediglich 15 € für die gleiche Zeit.Die Nutzungsentgelte wurden in Zusammenhang mit dem Neu-entwurf der Archivordnung grundsätzlich überprüft. Erstmalsfand hierfür eine Markterkundung statt, in der ein Überblick überdie Gebühren bzw. Entgelte bei den öffentlich-rechtlichen Rund-funkanstalten, beim Bundesarchiv sowie bei privaten Kopierdiens-ten zusammengestellt und diese miteinander verglichen wurden.Die Kosten haben nunmehr eine völlige Neustrukturierungerfahren. Die nicht mehr zeitgemäße Unterscheidung zwischenanaloger und digitaler Kopie wurde aufgehoben. Lediglich dieSätze für die Trägermedien unterscheiden sich. Die „Taktzeit“wurde von bislang 30 auf 15 Minuten verkürzt.Berechnungen haben zwar ergeben, dass sich die Einnahmendurch die neue Kostenstruktur etwas verringern. Dies erscheintjedoch aus Sicht des Parlamentsarchivs vertretbar, da eine wirkli-

che Kostendeckung in diesem Bereich ohnehin nicht erzielt werdenkann. Zudem ist das Parlamentsarchiv die einzige Stelle, die einengeschlossenen Bestand der Aufzeichnungen aller Plenardebatten,öffentlichen Ausschusssitzungen und Sonderveranstaltungen desDeutschen Bundestages verwahrt. Daraus ergeben sich einerseitsdas große Interesse der Öffentlichkeit an diesen oftmals einmaligenAufzeichnungen sowie andererseits die Verpflichtung des Deut-schen Bundestages, das Material in Form von Kopien und imRahmen der verfügbaren Kapazitäten bereitzustellen. Viele externeAufträge werden zurückgezogen, nachdem über die damit verbun-denen Kosten informiert wird. Damit sind die Kosten in gewisserWeise auch ein Steuerungsinstrument, um nur wirkliche Kopierbe-dürfnisse erfüllen zu können.24 Gleichzeitig soll jedoch durch dieHöhe der Gebühren nicht die private Nutzung von vornhereinausgeschlossen werden. Dies würde nicht nur gegen die Verpflich-tung des Bundestages verstoßen, Transparenz und Nachvollzieh-barkeit parlamentarischen Handelns zu gewährleisten, sondernauch gegen den Anspruch des Parlamentsarchivs als öffentlichesArchiv.Die neue Kostenstaffelung ist Ergebnis der Orientierung an denüblichen Marktpreisen und bringt zudem eine übersichtliche undrechnerisch einfach zu handhabende Staffelung und die Platzie-rung im Mittel der Kostenspanne für derartige Dienstleistungen.

DIE ABGABERICHTLINIE UND KOR RESPONDIERENDE REGELUNGEN Die Abgaberichtlinie besteht aus insgesamt 5 Paragraphen. Nachdem in § 1 definierten Geltungsbereich, der gemäß § 42 AD-BTValle Organisationseinheiten des Deutschen Bundestages einbeziehtund somit auch die Unterlagen der Gremien und Ausschüsseerfasst, folgen vier spezielle Paragraphen, die jeweils einzelneÜberlieferungsformen betreffen:

– Papiergebundene Akten,– Elektronische Unterlagen und Daten,– Fotografien und Bilder,– Ton-/Videoaufzeichnungen und Filme.

In den ersten Entwürfen war darüber hinaus ein eigener Abschnittfür elektronische Akten vorgesehen. Da aber bislang für die gesam-te Bundestagsverwaltung ausschließlich papiergebundene Aktenals rechtsverbindlich anerkannt sind, wurde dieser Abschnitt nachGesprächen mit dem Organisationsreferat und der UnterabteilungIT wieder herausgelöst.

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16 ArchG-ProfE, S. 132 Rn 8.17 Für wertvolle Anregungen danke ich Herrn Dr. Christian Keitel (Landesarchiv

Baden-Württemberg).18 Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG.- Vgl. hierzu auch Heribert Schmitz,

Serge Daniel Jastrow. Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes. In: Neue Zeit-schrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2005 H. 9, S. 984-995, hier S. 987-988.

19 GO-BT § 16 Abs. 1 Satz 1.20 BenO PA-DBT § 4 Abs. 1 Satz 2.21 Vgl. hierzu auch die hilfreichen Ausführungen im ArchG-ProfE, S. 222-224.22 Im Webarchiv des Deutschen Bundestages sind die alten Fassungen der Nut-

zungsbedingungen abrufbar: für Ton-/Videokopien unter URL http://webar-chiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=567&id=1074 sowie für den „Di-gitalen Bilderdienst / Bildarchiv“ unter URL http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=568&id=1074.

23 ArchG-ProfE, S. 224 Rn 8.24 Dabei darf nicht übersehen werden, dass alle Plenarreden seit dem 26. Okto-

ber 1998 sowie viele sonstige Veranstaltungen im Internetangebot des Deut-schen Bundestages kostenlos angesehen, wenn auch nicht heruntergeladen wer-den können.

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AUFSÄTZE

Grundlage für die Aktenaussonderung ist die archivische Vorbe-wertung der jeweiligen Aktenplanposition. Danach richtet sich dasAussonderungsverfahren. Es wird unterschieden zwischen A[rchiv-würdig], A-Bsp. [beispielhafte Archivierung], K (Frist) [Vernich-tung nach Ablauf einer definierten Aufbewahrungsfrist] sowie K(direkt) [sofortige Vernichtung]. Alle Festlegungen in § 2 spiegelndie seit Jahren geübte Praxis wider.Völlig neu dagegen sind die Regelungen des § 3 „ElektronischeUnterlagen und Daten“. Diese sollen daher im kompletten Wort-laut wiedergegeben und erläutert werden:

„(1) Zur archivischen Sicherung von elektronischen Dokumen-ten und Unterlagen wird das Parlamentsarchiv an IT-Projektennach den geltenden Verfahrensregeln beteiligt.“

Die geltenden Verfahrensregeln sind im sogenannten „IT-Projekt-leitfaden“ niedergelegt. Dieser schreibt zwingend vor, dass bei derInitiierung eines IT-Projektes zunächst die Stellungnahmen ver-schiedener Organisationseinheiten und Stellen des Hauses einzu-holen sind. Hierzu zählen u. a. der Datenschutzbeauftragte, die IT-Sicherheit und jetzt auch das Parlamentsarchiv. Dieses Verfahrenwurde bereits in der Praxis erprobt. Das Parlamentsarchiv hatdadurch die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung, zu jedemneuen IT-Projekt eine Stellungnahme abzugeben. Aus dieser istersichtlich, ob das Projekt archivische Belange berührt und dasParlamentsarchiv daher an der Projektgruppe zu beteiligen ist.

„(2) Die Entscheidung über die Archivwürdigkeit von Unterla-gen und Daten aus elektronischen Informationssystemen,Datenbanken und Webangeboten trifft das Parlamentsarchiv.Eine Archivierung kann bereits erfolgen, wenn die Systeme fürdie laufende Aufgabenerfüllung noch benötigt und die Datenweiter fortgeschrieben oder verändert werden.“

Diese mit der Unterabteilung IT abgestimmte Formulierungschafft nunmehr eine Grundlage dafür, auch Zeitschnitte ausDatenbanken, Informationssystemen oder Webangeboten zu über -nehmen. Organisatorisch und technisch kann das jedoch nur inAbsprache und Zusammenarbeit erfolgen. Diesem Umstand trägtder Abs. 3 Rechnung:

„(3) Zur archivfachlichen Bewertung von Informationssystemen,Datenbanken und Webangeboten wird dem ParlamentsarchivEinsicht in die zugehörigen Dokumentationsunterlagen ge-währt. Das konkrete Verfahren der Archivierung wird zwischendem Parlamentsarchiv und der für die inhaltliche und / odertechnische Pflege zuständigen Organisationseinheit vereinbart.“

Die Abgabe von Fotografien, Bildern, Diapositiven und Negativendarf gemäß § 4 nicht ohne ein Mindestmaß an Begleitinformatio-nen erfolgen. Fotografien ohne Metadaten gelangen somit nichtmehr ins Archiv. Bilddateien sollen möglichst direkt in die Bildda-tenbank eingestellt und unter Anwendung der vom Parlamentsar-chiv herausgegebenen „Eingaberichtlinie für den Digitalen Bilder-dienst / Bildarchiv“ beschrieben werden.Auch Ton- und Videoaufzeichnungen sowie Filme sind mit dennötigen Beschreibungsangaben zu versehen. Die Übergabemoda-litäten wurden dabei bewusst offen gelassen, um angesichts dertechnischen Entwicklung den Gestaltungsspielraum des Archivsnicht unnötig zu beschränken.

WAS FOLGT ODER DIE MÜHEN DEREBENE Auch wenn die Archivordnung nicht den Anspruch erhebt, einJahrhundertwerk zu sein, so stellt ihre Inkraftsetzung doch zwei-

felsfrei einen Höhepunkt in der Arbeit des Parlamentsarchivs dar.Nicht zuletzt manifestiert sich hier die Ankunft des Archivs imInformationszeitalter. Bei der Erarbeitung der Archivordnungergaben sich viele Gelegenheiten, archivische Belange und Bedürf-nisse gegenüber verschiedenen Stellen des Hauses, aber auchgegenüber Abgeordneten darzulegen und zu erläutern. Insofern hatdieser Entstehungsprozess einen unübersehbaren Mehrwert. Nichtzuletzt bestätigte sich hierbei auch die stark gewachsene Wert-schätzung, die das Parlamentsarchiv bei seinem Archivträger, demDeutschen Bundestag, genießt.Was nun folgt, sind die Mühen der Ebene. Die Archivordnung, dieBenutzungsordnung, die Kostenübersicht, die Abgaberichtlinie, dieneuen Bestimmungen im IT-Projektleitfaden sind in der Praxisanzuwenden. Teilweise müssen neue Arbeitsweisen und Zuständig-keiten eingeübt werden – sowohl im Archiv, als auch bei den ab -gebenden Stellen. Infolge der technologischen Entwicklung werdensich in den nächsten Jahren wohl insbesondere bei den konkretenVerfahrensweisen der Anbietung und Abgabe Änderungen erge-ben. Nicht alles wird mehr physisch übergeben, sondern nur nochvirtuell und über eine Änderung der Zugriffshoheit ins Archivgelangen. Aber auch im Bereich der Benutzung zeichnen sichkünftig deutliche Änderungen ab. Sowohl für die aktuellen Bedin-gungen als auch die Entwicklungen der nächsten Jahre solltenjedoch die Archiv- und Benutzungsordnung sowie die korrespon-dierenden Regeln einen geeigneten und verlässlichen Rahmenabgeben. Der Deutsche Bundestag verfügt somit über ein aktuellesund umfassendes Netz von Bestimmungen, die den gesamtenLebensweg von Unterlagen begleiten und letztlich für eine fachge-rechte Archivierung Sorge tragen. Er hat damit die aus seinemSelbstorganisationsrecht erwachsene Verantwortung für dengesamten vorarchivischen und archivischen Bereich entsprechendausgestaltet.

AUTONOMY FORT THE PARLIAMENTARY ARCHIVES

On 27 June 2008, the President of the German Bundestag broughtinto force the new Archive Regulations of the German Bundestag,which have been complemented by new rules on the use of thearchives, a new list of charges, and a new “directive on the makingavailable and return of documents from the parliamentary archi-ves”. Through these regulations, the German Bundestag hasestablished a comprehensive framework of autonomy for itsdocuments and archive holdings and safeguarded the existence ofits own parliamentary archives. The essay presents the individualregulatory documents and explains how they are applied inconjunction with each other.

Angela UllmannDeutscher Bundestag Ref. ID 2 - ParlamentsarchivSachgebietsleiterin DV-Koordination und Audiovisuelle MedienPlatz der Republik 1, 11011 BerlinTel. 030-227-35662, Fax 030-227-36749E-Mail: [email protected]

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EINLEITUNG

Karten, Risse und Pläne sind bildliche Darstellungen eines Rau -mes. Sie haben zum einen Recht sichernden Charakter und sindzum anderen maßstäblich-bildliche Darstellungen. Überdies han -delt es sich bei handgefertigten Karten um Kunstwerke von z. T.hoher Präzision. Karten sind „unersetzliches Quellmaterial fürdie Geschichte der Zivilisation und der Naturwissenschaften.“1

Die Erhaltung und Lagerung von Karten stellten und stellenArchive vor große Herausforderungen, lassen sich doch dieKartenformate nicht in Aktenschränke einpassen. Abhilfe wurdemit dem Einsatz von Spezialmöbeln (z. B. Kartenplanschränken)geschaffen, die jedoch auch nur bis zu bestimmten Kartenforma-ten genutzt werden können. Die Bestände werden infolge derDigitalisierung in den Vermessungsverwaltungen und Übergabeder Originalkarten an die Archive erheblich anwachsen, so dassdie gängige Lagerungspraxis an ihre Grenzen stoßen wird. ZurRestaurierung und zur Konservierung von Karten und Plänenexistieren nur sehr grobe Empfehlungen, die so weit gefasst sind,dass den Einrichtungen ein sehr großer Spielraum für die Umset-zung bleibt.2 Dies hat zur Folge, dass der Umgang mit Kartenund Plänen in den verschiedenen Archiven erheblich differiert.

BEGRIFFSBESTIMMUNG In der Archivwelt werden vielfach die Begriffe „Riss“ und „Plan“synonym für die „Karte“ benutzt. Alle drei unterscheiden sichjedoch erheblich in ihrer Definition, Darstellung und ihrem Ver -wendungszweck.„Eine Karte ist das maßstäbliche, verkleinerte, eingeebnete unddurch Schrift und Signaturen erläuterte [Ab-]Bild eines Teils derErdoberfläche.“3 Von Karten wird ab einem Maßstab von 1:5.000gesprochen (Ausnahmen hierfür bilden jedoch die Katasterkar-ten). Die Örtlichkeiten werden in generalisierter Form, d. h. durchvereinfachte Signaturen, dargestellt. Ein Plan kann auf Grundlage einer Karte erstellt worden sein. Erbeinhaltet, meist in einem großen Maßstab (z. B. 1:250), Pla-nungs- und Projektierungseintragungen (oft auch infrastruktu-relle Eintragungen wie Wasser- und Stromleitungen). Der Maß-stab ist zweckgebunden. Ein Plan strebt im Gegensatz zur Kartekeine Vollständigkeit an, sondern beschränkt die inhaltlicheDarstellung auf einen bestimmten Zweck.Für den Riss gibt es mehrere begriffliche Bestimmungen. DieGeodäten verstehen unter ihm die geometrisch richtige Darstel-

lung der Örtlichkeit. Eine maßstäbliche Abbildung ist jedochnicht zwingend erforderlich (Feldriss). Im Bereich der Technikwird unter einem Riss die Darstellungsmethode des technischenZeichnens beschrieben, bei welcher der abzubildende Gegen-stand maßstäblich in bestimmte Ebenen projiziert wird.Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal von Karten gegenüberanderen Dokumentationsformen ist die Bildlichkeit. Schrift-stücke sind aus einzelnen Bausteinen, den Buchstaben, zusam-mengesetzt. Die Gestaltung des Schriftbildes ist für den Inhalteines Schriftstückes belanglos. „Die Karte ist dagegen mit allihren Einzelheiten eine geschlossene Einheit, ist an einen Maß-stab gebunden und kann ohne Beeinträchtigung ihres Inhaltsnicht aufgelöst werden.“4

DER PLANLEGUNGSPROZESS UNDDESSEN AUSWIRKUNG AUF DENINFORMATIONSTRÄGER

Bei dem größten Teil der überlieferten Zeichenträger von Kartenin den Archiven handelt es sich um Papier. Um eine einheitlicheund gleichmäßige Planlegung des Papiers zu erreichen, wird dieFeuchtmethode angewandt. Das Papier durchläuft hierbei einigeVeränderungen, die am Beispiel der Planlegung mittels Feuchtig-keit in zwei Schritten kurz dargestellt werden.

Schritt 1 – Zuführung von Feuchtigkeit

Hauptbestandteil von Papier bildet ein Vlies von Cellulosefasern,in dem Füllstoffe, Leimsubstanzen und Additive eingebettet oderaufgetragen sind. Das hygroskopische Verhalten der Cellulosefa-sern, d. h. das Aufnahme- und Abgabeverhalten in Abhängigkeitzur Umgebungsluftfeuchte und -temperatur, zieht Dimensions-veränderungen nach sich. Wird dem Zeichenträger Papier Feuchtigkeit zugeführt (Klima-kammer, Sprühnebel etc.), so nehmen die Cellulosefasern diese

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UND PRAXIS

DIE LAGERUNG VON KARTEN IM ARCHIV

1 Bagrow, Leo: Meister der Kartographie. 6. Aufl. Berlin 1994. S. 17.2 Vgl. Empfehlungen zur Restaurierung und Konservierung von Archiv- und Bi-

bliotheksgut. Blaubeurener Empfehlungen. In: Der Archivar 44 (1991) H. 4, Sp.565.

3 Hagebusch, Alfred: Fachkunde für Vermessungstechniker. Köln u. a. 1998. S.95.

4 Blaschke, Karlheinz: Zur Theorie archivalischer Kartenbestände. In: Archiv-mitteilungen. 7 (1957) H. 2, S. 42 ff.

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ARCHIVTHEORIE

UND PRAXIS

Feuchtigkeit auf, d. h. das Papier quillt und dehnt sich aus. DieVerbindungen zwischen den Cellulosefasern werden minimiertoder zerfallen. Der Quellprozess des Papiers vollzieht sich un-gleichmäßig (Längs- und Querrichtung der Faser) und, sofern essich um maschinell hergestelltes Papier handelt, in Laufrichtungweniger stark als quer zur Laufrichtung. Man spricht vom ani-sotropischen Verhalten des Papiers. „Äquivalent zur Quellunggeschieht der Vorgang des Einschrumpfens, verstärkt im Faser-durchmesser und nur schwach in Faserlänge.“5 Des Weiterenhaben die Papierart, das Papieralter (Papierabbau) und dieGleich mäßigkeit des Feuchtigkeitseintrages wesentliche Auswir-kungen auf die Intensität der Dimensionsveränderung.

Schritt 2 – Trocknung des Papiers

Zur Trocknung von Papier werden verschiedene Verfahren in dereuropäischen Praxis angewandt:

• Lufttrocknung,• Druckverfahren und• Spanntrocknung.

Die Lufttrocknung wird meist nur von Restauratoren zur Über-prüfung der Ergebnisse einer Wässerung angewendet, da hierbeierhebliche Verwerfungen am Papier entstehen. Man spricht auchvon einer „freien Trocknung“. Vor dieser Art der Trocknung istsehr abzuraten, denn die Originalmaße des Papiers werden in -folge des Schrumpfprozesses erheblich unterschritten.6

Die Drucktrocknung ist die am weitesten verbreitete Technik zurTrocknung von Papier. Hierbei wird die Feuchtigkeit im Papiermittels Faserfliesen (Löschkarton u. a.), die infolge des Anpress-druckes gleichmäßig am Papier anliegen, abtransportiert. Je nachGrad der Verwerfung des Papiers wird zur Planlegung die Hart-oder die Weichtrocknung benutzt. Durch die Einwirkung vonDruck auf den Zeichenträger Papier werden neue Faser-Faser-Bindungen aufgebaut. Der Verzug des Papiers wird zwar verrin-gert, kann jedoch nicht verhindert werden. Folgt man den Aus-führungen von M. Mentjes, so ist die Drucktrocknung in derrestauratorischen Praxis umstritten, da hierbei durch die Art derTrocknung die Oberflächenstruktur verändert wird, was einemVerlust der Authentizität gleichkommt. Das letzte Verfahren ist die Spanntrocknung. Diese kommt u. a.bei Planlegung von Überformaten und kunstvollen Drucken zumEinsatz und wird seit den 1930er Jahren im europäischen Raumangewandt. Das Verfahren beruht auf dem Prinzip der Quellungund Schrumpfung von Papier. Im befeuchteten Zustand wird daszu bearbeitende Papier fixiert (Rahmen, Glasplatte oderReißbrett), das sich bei der Schrumpfung wieder zusammenziehtund somit wieder spannt.„Da das Schrumpfen der Cellulosefasern im Faserdurchmesserzehn bis zwanzigmal stärker auftritt als in der Faserlänge, hängtdie Richtung, in die sich ein Papier während der Trocknungzusammenzieht, von der Ausrichtung der Fasern im Papiervliesab. Weist das Papier eine Laufrichtung auf, vollzieht sich dasEinschrumpfen überwiegend in der Querrichtung, wohingegendie Papierdimension in der Maschinenrichtung weitgehend stabilbleibt. Der Grad des Schrumpfens des Papiervlieses ist abhängigvom Ausmaß der beim Wassereintrag verursachtenQuellung/Ausdehnung und von der Art der Trocknung. Je stärkersich Papier bei der Wasseraufnahme gedehnt hat, desto stärkerschrumpft es bei der Trocknung.“7 Der Verzug des Papiers kanndurch die o. g. Trocknungsarten verringert, aber nicht abgewen-det werden.

NACHWEIS UND AUSWIRKUNGENDER DIMENSIONSVERÄNDERUNG DESPAPIERSProfessionelle Kartennutzer standen seit jeher vor der Aufgabe,für ihre präzisen Berechnungen genaue Ausgangsdaten der Kartezu entnehmen (graphische Ermittlungen). Da schon geringfügigeDimensionsänderungen erhebliche Auswirkungen auf Ergebnissevon Berechnungen und örtliche geodätische Arbeiten haben,musste der Blattverzug beim Auslesen der Karten ermittelt unddiese Werte in die Berechnungen mit einfließen. Die Bestimmungdes Blattverzuges war um so wichtiger, je kleiner die Abbildungwar.Eine Dimensionsveränderung einer Karte lässt sich nachweisen,indem man mit Stechzirkel und dem Maßstab Abstände zwi-schen Referenzpunkten in der Karte oder dem Plan misst. Die Artder Referenzpunkte unterscheidet sich nach Kartenart. Hiereinige wichtige Beispiele:

• genormter Blattrand (bei Rahmenkarten),• Quadratnetzpunkte (genormte Abstände, die bei Kartenan-

fertigung aufgetragen wurden),• Strecke zwischen zwei weit auseinanderliegenden Punkten,

deren Entfernung bekannt ist.Liegt z. B. ein Plan mit aufgebrachten Gitternetz- bzw. Quadrat-netzpunkten vor, haben diese einen fest genormten Abstandzueinander, die bei der Anfertigung des Planes mit aufgetragenwurden. Der Abstand der Quadratnetzpunkte ist abhängig vomMaßstab und liegt i. d. R. zwischen 50 bis 500 m. Um den Zei-chenträger auf Blattverzug zu überprüfen, werden die größtmög-lichen Entfernungen zwischen den Gitternetzpunkten gemessenund mit dem Sollwert verglichen. Der ermittelte Unterschiedzwischen Soll- und Istwert fließt nunmehr in die weiteren Be-rechnungen mit ein. An einem frei gewähltem Beispiel soll anhand fiktiver Grundvor-aussetzungen die Auswirkung des Blattverzuges auf die Mess-/Berechnungsergebnisse für eine Flächenberechnung verdeutlichtwerden.8 Grundlage für das Beispiel bildet eine Karte im Maß-stab 1:1.000 (1 mm in der Karte entspricht 1 m in der Örtlichkeit).Aus dieser Karte wurde eine Fläche (F’) von 6.520 qm graphischermittelt. Zur Ermittlung des Blattverzuges wurde der Abstandzwischen Quadratnetzpunkten in Ordinatenrichtung9 und inRichtung der Abszisse10 in der Karte gemessen. Die ermitteltenWerte wurden mit den Sollwerten verglichen und der Unter-schied in Richtung der Abszisse (p) und in Richtung der Ordina-te (q) in % angegeben. Für das Beispiel ergeben sich nun folgendeAusgangswerte:

• gemessene Länge des Quadratnetzes in Richtung der Abszis-se 499,5 m (Soll = 500 m); entspricht Blattverzug in Abszis-senrichtung = 0,5 mm

• gemessene Länge des Quadratnetzes in Richtung der Ordi-nate 999 m (Soll = 1.000 m); entspricht Blattverzug inRichtung der Ordinate = 1 mm

Berechnung des Flächeninhaltes unter Einbezug des ermitteltenBlattverzuges:Verzug des Papiers in Richtung der Abszisse (p)500 m - 499,5 m = 0,5 m = 0,1 %Verzug des Papiers in Richtung der Ordinate (q)1.000 m - 999 m = 1 m = 0,1 %

F = F´(1 + ) = 6.520 x (1 + ) p + q100

0,1+ 0,1100

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F = 6.520 x 1,002F = 6.533,04 qm (Unterschied von 13,04 qm)

Das Ergebnis bleibt jedoch nur ein Näherungswert, da die er -mittelten Werte und die anschließende Berechnung von einemgleichmäßigen Verzug des Zeichenträgers ausgehen. Der Unter-schied von 13,04 qm auf eine mittlere Flächengröße in einer Kartemit einem kleineren Maßstab verdeutlicht die Tragweite desBlattverzugs. Bei einer Katasterkarte im Maßstab 1:2.500 (die fürFeldfluren übliche Größe) würde eine gemessene Abweichung inder Karte von 1 mm in der Örtlichkeit 2,5 m bedeuten. Für das o.g. Beispiel würde der Flächeninhalt mit Einrechnung des Blatt-verzuges nun um 32,6 qm auf 6.552,6 qm steigen. Allgemein lässtsich konstatieren, dass, je größer das Abbildungsverhältnis, destogrößer sind die Verzerrungen der Abbildung, d. h. die Auswirkun-gen des Blattverzuges.11

NACHWEIS DER DIMENSIONS -VERÄNDERUNG AN EINEM PLAN IMSÄCHSISCHEN STAATSARCHIV,STAATSARCHIV LEIPZIGNach erfolgter Trockenreinigung wurden weit auseinanderliegende Referenzpunkte wie Weggabelungen, jeweils in Laufrich-tung und quer zur Laufrichtung des Papiers festgelegt. DieStrecken wurden in verschiedenen Stadien des Planlegungspro-zesses graphisch ermittelt (siehe Tabelle).

Eine gleichmäßige Wasseraufnahme (Quellung) und eine gleich-mäßige Wasserabgabe (Schrumpfung) konnten nicht festgestelltwerden, was eine Verzerrung der Abbildung sowie eine großeMaßungenauigkeit zur Folge hat. Die restauratorischen Maßnah-

men am Plan führten zu einem nicht umkehrbaren inhaltlichenEingriff in den Plan. Die Geometrie sowie die Maßhaltigkeit derAbbildung ist nicht mehr gegeben.

VERSCHIEDENE LAGERUNGS -METHODEN ÜBERFORMATIGERKARTEN, RISSE UND PLÄNE

In der Archivpraxis wird eine plane Lagerung von Karten undPlänen favorisiert und angestrebt. Dies schließt auch die überfor-matigen Karten und Pläne mit ein. Zur Lagerung überformatiger Karten und Pläne sollen hier zweiangewandte alternative Methoden kurz dargestellt werden. Eshandelt sich hierbei um die vertikale Lagerung und die gerollteLagerung in Köchern.

Vertikale Lagerung

Diese Lagerung ist mit einer Hängeregistratur zu vergleichen. Aufeiner Metallschiene werden die Karten/Pläne mittels Klemmsys-tem befestigt. Die Karten/Pläne können frei oder auch verpacktausgerollt und Platz sparend gelagert werden. Man unterscheidetbei dieser Methode zwei Varianten, die durch die Größe desArchivale bestimmt werden:12

• hängende Aufbewahrung in Kartenschränken bis zumFormat A0,

• hängende Lagerung von überformatigen Karten/Plänen ander Magazindecke.

Die hängende Lagerung in vertikalen Kartenschränken bestichtdurch eine wesentlich höhere Kapazitätsauslastung gegenüber derplanen Lagerung. Die Archivalien hängen frei und unterliegenkeinen äußeren mechanischen Einflüssen. Das Ausheben und dasReponieren einzelner Karten und Pläne erfolgt unabhängig vonden übrigen Karten und Plänen, dass wiederum das Risikomechanisch verursachter Schäden stark reduziert. Die vertikaleLagerung von brüchigem und stark abgebauten Papiers solltejedoch vermieden werden.Die vertikale Lagerung an der Magazindecke von überformatigenKarten und Plänen ist aus Erhaltungsgründen zu vermieden, dadie Archivalien schutzlos vor äußeren Einwirkungen im Raumhängen. Weiterhin birgt das Eigengewicht und die daraus resul-tierenden Zugspannungen auf das Papier das Risiko von Papier-bruch und Rissen.

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5 Mentjes, Meike: Untersuchung des Trocknungsverhaltens von Papier bei derAnwendung von Trocknungstechniken aus der Papierrestaurierung. Kon-struktion und Anwendung des Karibari-Trocknungspaneels (Weiße Reihe desInstituts für Museumskunde an der Staatlichen Akademie der BildendenKünste Stuttgart, 22). München 2006. S. 26 ff.

6 Vgl. ebd., S. 47.7 Ebd.8 Vgl. Hagebusch (wie Anm. 3), S. 121.9 Ordinatenachse ist die vertikale Achse des rechtwinkligen Koordinatensystems.10 Abszissenachse ist die horizontale Achse im rechtwinkligen Koordinatensy-

stem.11 Auswirkungen des Blattverzuges auf graphische Strecken- und Winkelmessun-

gen. Vgl. Häßler, Johann; Wachsmuth, Herbert: Formelsammlung für den Ver-messungsberuf. 5. Aufl. Korbach 1994. S. 302.

12 Vgl. Cordshagen, Hugo: Zur Unterbringung und Lagerung von Karten in denStaatsarchiven der DDR. In: Archivmitteilungen 21 (1971) H. 5, S. 183 f.

Referenzstrecken

A – B (quer zurLaufrichtung)

C – D (inLaufrichtung)

E – F (inLaufrichtung)

Vor Bearbeitung(a)

565,5 mm 439,2 mm 244,9 mm

Wässerung (b) 577,2 mm 440,9 mm 246,5 mm

Δ = b-a 11,7 mm 1,7 mm 1,6 mm

Nach der Druck-trocknung (c)

576,3 mm 440,5 mm 246,5 mm

Δ = c-a 10,8 mm 1,3 mm 1,6 mm

Lufttrocknung 2h (d)

575,7 mm – –

Δ = d-a 10,2 mm – –

Lufttrocknungnach fünf Tagen(e)

574,4 mm 440,0 mm 246,5 mm

Δ = e-a 8,9 mm 0,8 mm 1,6 mm

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ARCHIVTHEORIE

UND PRAXIS

Horizontale Lagerung in Köchern

Die gerollte Lagerung in Köchern oder Schachteln aus alterungs-beständigen Materialien ist eine weitere Möglichkeit der Lage-rung von groß- und überformatigen Karten. Bei dieser Variantebleiben die Archivalien in ihrem gerollten Zustand und werden indie o. g. Behältnisse eingelegt. Sie sind somit vor äußeren Einflüs-sen geschützt. Weiterhin ist eine effiziente Kapazitätsauslastungin den Magazinen realisierbar, da diese Behältnisse begrenztstapelbar sind. Inhaltliche Eingriffe in die Archivalien entfallenbei dieser Methode.

Zusammenfassung

Angesichts der gewachsenen und noch weiter ansteigendenKartenbestände müssen Archive den Umgang mit ihren Kartenund Plänen von Grund auf überdenken. Eine Karte oder ein Plansind viel mehr als reine Abbildungen. Sie stellen die Örtlichkeit ineinem genau vorher festgelegten Verhältnis dar und einige sindBestandteil von Rechtsverhandlungen. Der praktische Wert, dermeist nach sehr langer Aufbewahrung im Archiv nicht erloschenist, wird dabei oft außer Acht gelassen. Die nicht zeitgemäßePlanlegung von groß- und überformatigen Karten fußt nur aufErfahrungswerten der Archive und der Kenntnis der Restaurato-ren. Die kartographische, geodätische und die allgemeine Nutzer-sicht lassen beide jedoch außer Acht. Die gerollte Lagerung in Köchern sowie die vertikale Lagerungvon überformatigen Karten stellen eine Alternative zur planenLagerung dar; sie haben keinen Einfluss auf den Inhalt desArchivale, sind Platz sparend und schützen das Archivale voräußeren Einflüssen.Die gerollte Lagerung von überformatigen Archivalien in Köchernhat z. T. ein höheres Kapazitätsvolumen als die vergleichbareplane Lagerung. Der eventuelle Mehraufwand für die Anschaf-fung amortisiert sich aber, da die Kosten für die Planlegungsar-beiten entfallen.

Jegliche Anwendungen mit Feuchtigkeit ziehen hygroskopischeund anisotropische Wirkungen des Zeichenträgers nach sich.Eine Verzerrung der Abbildung ist unabdingbar und somit derVerlust des Abbildungsverhältnisses. Der Blattverzug kann zwarannähernd ermittelt werden, jedoch ist eine exakte Bestimmungdesselben nicht möglich, da sich der Zeichenträger nicht gleich-mäßig verzieht. Nach der Definition handelt es sich somit nichtmehr um eine Karte oder einen Plan, sondern nur noch um einekartenähnliche/planähnliche Abbildung. Zwar waren Karten undPläne seit ihrer Anfertigung permanenten klimatischen Schwan-kungen ausgesetzt, jedoch waren diese Prozesse von langwierigerNatur und haben bei Weitem nicht die Auswirkungen auf denZeichenträger nach sich gezogen wie der direkte Eingriff. Mit denPlanlegungsarbeiten und den daraus resultierenden Verzerrun-gen, d. h. dem Blattverzug, kommt es zu einer Veränderung desInhalts der Karte. Dies widerspricht dem grundsätzlichen An-spruch der Archive, Archivalien zu erhalten, ohne den Inhalt zuverändern oder zu zerstören.13

Die mit der Planlegung oftmals verbundene, in der Fachwelt abersehr umstrittene Praxis der Zerteilung von überformatigenKarten und Plänen wird immer noch als ein mögliches Mittel derLagerung angesehen und diskutiert, obwohl es einer Zerstörungdes Archivale und seiner Informationen gleichkommt. Die An-wendung dieser Methode entspricht nicht den gültigen Archivge-setzen und darf nicht mehr zur Ausführung gelangen. Alternati-ven zur konsequenten Planlegung haben z. T. weniger Platzbedarfals Kartenplanschränke und haben sich auch schon in der Praxisbewährt.14

Sinnvoll wäre es, die überformatigen Karten in der überliefertenForm zu belassen, diese für die Benutzung auf Microfiche zuverfilmen und nur in Ausnahmefällen die Direktbenutzung desoriginalen Archivale zu gestatten.

Sven Lautenschläger, Lindenberg

13 Vgl. Archivgesetzgebung. Hier: Gesetz über die Sicherung und Nutzung vonÖffentlichem Archivgut im Land Brandenburg. Brandenburgisches Archivge-setz - BbgArchivG vom 7. April 1994. GVBl. I S. 94 ff.

14 Vgl. Cordshagen (wie Anm. 12), S. 183 f.

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EIN NEUES KIRCHENBUCHPORTAL

Der Verband kirchlicher Archive beteiligt sich an der Schaffungund Entwicklung eines internationalen ökumenischen Online-Portals für Kirchenbücher. Die Pilotphase begann im März 2009und wird Ende Februar 2010 nach einjähriger Testzeit mit einerEvaluation enden. Die Organisation und IT-Administration liegtbeim International Center for Archival Research (ICARus). Mitdem seit 2002 im Internet präsenten Urkundenportal Monasteri-um (www.monasterium.net) verfügt ICARus über eine fundierteErfahrungskompetenz, die in das Pilotprojekt eingebracht wird.Von deutscher Seite sind an dem Kirchenbuchportal der Verbandkirchlicher Archive (derzeit vertreten durch die landeskirchlichenArchive in Kassel, Speyer, Darmstadt, Berlin, Bielefeld und Nürn-berg) und zwei Bistumsarchive (derzeit Passau und Hildesheim)beteiligt (Stand: März 2009). Auch das Diözesanarchiv in St.Pölten und das Mährische Landesarchiv in Brünn (MoravskyZemsky Archiv, Brno) sind Projektpartner. Unter „www.matricu-la.findbuch.net“ stehen zunächst 726.000 Seiten (Stand: April2009) in einer ersten Betaversion seit Ende Februar 2009 online.Die jetzt ins Werk gesetzte Kooperation ist das erfolgreicheErgebnis einer Informationsreise nach Tschechien und Öster-reich, die Vertreterinnen und Vertreter deutscher evangelischerund katholischer Kirchenarchive am 19./20. Februar 2009 unter-nahmen. Die Delegation des Verbandes kirchlicher Archivebestand aus Rainer Gritzka (EKD), Werner Jürgensen, M. jur. utr.(Landeskirchliches Archiv Nürnberg), Dr. Gabriele Stüber (Zen-tralarchiv Speyer) und Dr. Bettina Wischhöfer (Vorsitzende desVerbandes kirchlicher Archive, Landeskirchliches Archiv Kassel).Seitens der Bundeskonferenz der kirchlichen Archive in Deutsch-land nahmen Dr. Thomas Scharf-Wrede (Bistumsarchiv Hildes-heim) und Dr. Herbert Wurster (Vorsitzender der Bundeskonfe-renz, Bistumsarchiv Passau) teil. Am 19. Februar 2009 trafen sichdie beteiligten Delegationen auf Einladung von Dr. ThomasAigner (Präsident von ICARus, Diözesanarchiv St. Pölten) in Brnoim Moravsky Zemsky Archiv. Dr. Jindra Emmerova und TomasCernusak demonstrierten dort ausführlich die Kirchenbuch-Plattform „www.actapublica.cz“, die aktuell online geschaltetworden war. Die tschechischen Kollegen boten an, ihre bereitssehr ausgereifte Datenbank im Rahmen einer Kooperation mit

ICARus für eine Applikation zur Verfügung zu stellen.Der zweite Tag der Informationsreise war einem Besuch beiICARus in Wien gewidmet. Ergebnis einer ausführlichen Diskus-sion aller Beteiligten ist die Durchführung der oben geschildertenPilotphase.1

DER WEG ZU EINEM DEUTSCHENKIRCHENBUCHPORTAL Die Anfänge eines deutschen Kirchenbuchportals liegen bereitsim Jahre 2006. Den Ausgangspunkt bildete die Durchführungeiner Fachtagung zum Thema „Kirchenbuchnutzung in Zeitenvon Digitalisierung und Internet“, die der Verband kirchlicherArchive in Kooperation mit der Evangelischen Kirche Deutsch-land am 25. September 2006 in Hannover organisierte. 55 Teil-nehmende – Vertreterinnen und Vertreter aus evangelischen,katholischen, staatlichen und kommunalen Archiven ebenso wieJuristinnen und Juristen – diskutierten die wachsenden Begehr-lichkeiten nach einem schnellen und umfassenden Zugriff aufKirchenbücher, der zentralen Quelle für den attraktiven Marktder Genealogie.2

„Hier entsteht das Kirchenbuchportal der deutschen Kirchenar-chive.“ So ist seit Ende Juni 2007 unter „www.kirchenbuchpor-tal.de“ zu lesen. Die zentrale Verfügbarkeit von Informationen zuden deutschen Kirchenbuchbeständen über das Internet ist einseit langem geäußertes Bedürfnis vieler Genealoginnen undGenealogen und deren Interessenvertretungen. Die an diesemKirchenbuchportal beteiligten Archive wollen mit der Vernetzungihrer Informationen das Angebot für die Familienforschung unddie wissenschaftliche Forschung nachhaltig verbessern. DasPortal informiert in einer ersten Stufe über den Bestand anKirchenbüchern in deutschen kirchlichen und staatlichen Archi-ven. Derzeit sind 30 sogenannte Visitenkarten mit Basisinforma-tionen eingestellt. In Stufe 2 werden dann detaillierte Kirchen-

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WWW.KIRCHENBUCHPORTAL.DEGOES TO ICARUS

START DER INTERNATIONALENÖKUMENISCHEN PILOTPHASE IMMÄRZ 2009

1 Das Landeskirchliche Archiv der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Wal-deck und das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz sind seit März2009 Mitglied im Konsortium.

2 Dort gehaltene Vorträge von Bertram Fink, Bettina Joergens und Werner Jür-gensen sind abgedruckt in: Aus evangelischen Archiven (2007) Nr. 47, S. 64-126; im Internet auch unter: „www.ekd.de/archive/dokumente“.

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buchnachweise (Metadaten der Kirchenbücher) aufgenommen.Diese Informationen sind allen Interessierten unentgeltlichzugänglich (Open Access).3 In Stufe 3 sollen digitalisierte Kir-chenbücher in das Netz gestellt werden. Da für dieses Angeboterhebliche Investitionen zu leisten sind, wird der Zugang zudiesen Informationen voraussichtlich kostenpflichtig sein. Daspotenzielle Volumen des Portals umfasst rund 200.000 Kirchen-bücher evangelischer Kirchengemeinden in Deutschland undnach vorsichtigen Schätzungen etwa 120.000 Kirchenbücherkatholischer deutscher Kirchengemeinden. In der Pilotphase mitICARus werden Stufe 2 und 3 am Markt getestet.Verantwortlich für das Portal „www.kirchenbuchportal.de“zeichnet der Verband kirchlicher Archive in der Arbeitsgemein-schaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche(AGABevK), ein Zusammenschluss von 65 evangelischen Kir-chenarchiven. Die Bistumsarchive Augsburg, Hildesheim, Lim-burg, Paderborn, Passau, Regensburg und Speyer sind auf katho-lischer Seite vertreten. Auch Staatsarchive zeigen Interesse aneiner Zusammenarbeit, so das Landesarchiv Speyer.

Am Kirchenbuchportal beteiligte Archive (Stand: April 2009):• Archiv des Bistums Augsburg• Evangelisches Zentralarchiv in Berlin (EZA)• Evangelisches Landeskirchliches Archiv in Berlin• Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel• Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von West-

falen (Bielefeld)• Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland – Evangelische

Archivstelle Boppard• Domstiftsarchiv und -bibliothek Brandenburg

• Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau(Darmstadt)

• Archiv der Lippischen Landeskirche (Detmold)• Landeskirchenarchiv der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens

(Dresden)• Landeskirchenarchiv der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen

(Eisenach)• Landeskirchliches Archiv der Pommerschen Evangelischen

Kirche (Greifswald)• Landeskirchliches Archiv der Ev.-Luth. Landeskirche Hanno-

vers/Kirchenbuchamt Hannover• Bistumsarchiv Hildesheim• Archiv der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth• Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Landeskirche in

Baden, Karlsruhe• Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche von Kur-

hessen-Waldeck (Kassel)• Nordelbisches Kirchenarchiv in Kiel• Archiv des Bistums Limburg• Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen

(Magdeburg)• Landeskirchliches Archiv der Ev.-Luth. Kirche in Bayern

(Nürnberg)• Erzbistumsarchiv Paderborn im Erzbischöflichen Generalvika-

riat• Archiv des Bistums Passau• Bischöfliches Zentralarchiv Regensburg• Landeskirchliches Archiv der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklen-

burgs (Schwerin)• Archiv des Bistums Speyer

Besuch bei ICARus in Wien, 20. Februar 2009. Von links nach rechts: Dr. Thomas Aigner (ICARus), Dr. Thomas Scharf-Wrede (Bistumsarchiv Hildesheim), Dr. KarlHeinz (ICARus), Dr. Bettina Wischhöfer (Landeskirchliches Archiv Kassel, Verband kirchlicher Archive EKD), Rainer Gritzka (EKD), Dr. Gabriele Stüber (ZentralarchivSpeyer), Dr. Herbert Wurster (Bistumsarchiv Passau, Bundeskonferenz der kirchlichen Archive in Deutschland), Werner Jürgensen, M. jur. utr. (Landeskirchliches ArchivNürnberg).

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• Landesarchiv Speyer• Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz (Speyer)• Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Landeskirche in

Württemberg (Stuttgart)• Landeskirchliches Archiv der Ev.-Luth. Landeskirche in Braun-

schweig (Wolfenbüttel)

„Open Access“ oder auch „Open Source“ sind seit geraumer Zeitauch im deutschsprachigen Raum archivpolitische Begriffe. DerAnspruch hinter diesen Begriffen nährt sich aus der Regel, dassjede Person, die ein berechtigtes Interesse vorträgt, das Archivgutnutzen darf, wie es entsprechend den Bestimmungen der staatli-chen Archivgesetzgebung auch in den kirchlichen Archivgesetzenformuliert ist. Grundsätzlich ist die Nutzung gebührenpflichtig;die Ausnahmen von der Gebührenpflicht sind aber in der Praxisfast zur Regel geworden. Die Forderung nach einem „OpenAccess“ ist angesichts der hohen Investitionskosten für die Ge-währleistung der digitalen Zugänglichkeit von Archivgut eineHerausforderung nicht nur für kirchliche Archive. Im Hinblickauf die allerorts zu beobachtende „Vergoogelung der Informati-onsbeschaffung, angesichts der Erwartung an frei zugänglicheOnline-Informationen“4 muss stets auch die Frage nach demAufwand für eine Aufbereitung der Digitalisate im Netz gestelltwerden (etwa auch im Hinblick auf eine Kosten-Leistungs-Rechnung). Ob der vereinfachte Zugang zu den Kirchenbuchda-ten stets auch kostenlos sein kann, wird daher die Zeit zeigen.

KIRCHLICHE IDENTITÄT WAHREN –NUTZUNGSRECHTE SICHERN Angesichts leistungsstarker Anbieter auf dem Markt der Kirchen-buchdaten im Internet ist es für die Kirchenarchive unverzichtbar,sich in diesem Markt zu positionieren und sich des politischenRückhalts ihrer jeweiligen Träger zu versichern. Es besteht Kon-sens unter den deutschen Kirchenarchiven beider Konfessionendarüber, dass die Nutzungsrechte an Kirchenbüchern in kirchli-cher Hand verbleiben müssen. Insofern ist eine Zusammenarbeitmit gewerblichen Anbietern keine Option. Dabei gilt es zu be -denken, dass Kirchenbücher wie kaum eine andere Quellechristliche Traditionen dokumentieren und einen hohen kirchli-chen Identifikationswert besitzen.5 Insofern kommt einem vonKirchenarchiven betriebenen Kirchenbuchportal auch eineeminent kirchen- und archivpolitische Bedeutung zu. Die überJahrzehnte praktizierte und häufig ohne staatliche Mittel reali-sierte Sicherungsverfilmung der Kirchenbücher ist in fast allenLandeskirchen inzwischen abgeschlossen. Der Schritt in diedigitale Welt unter Wahrung der kirchlichen Nutzungsrechte istdie konsequente Fortsetzung dieses Großprojekts. Zu einer Teil -nahme sind auch alle die Institutionen eingeladen, die aufgrundder historischen Entwicklung Kirchenbücher aufbewahren.Eine der wichtigsten geneaologischen Informationsquellen ist dasPortal „www.familysearch.org“ der Genealogical Society of Utah(The church of Jesus Christ of latter-day Saints), nach eigenerAussage „the largest collection of free family history […] andgenealogy records in the world“.6 Die Veröffentlichung dergewonnenen Stammbäume und Familiengeschichten auf eigenenWebsites der Familienforscher liegen im Internet vernetzt vor. DieMormonen selbst sprechen von dem weltweit größten frei zu-gänglichen genealogischen Informationsdienst. Die Daten sindweitgehend kostenlos verfügbar, daraus hervorgegangene Ab-

schriften indessen häufig mit Fehlern behaftet, wie die Erfahrungmit rückfragenden Benutzerinnen und Benutzern in Kirchenar-chiven zeigt.Das größte kommerzielle genealogische Netzwerk firmiertneuerdings unter „The Generations Network“.7 Das Unterneh-men mit Sitz in Utah, USA, umfasst u. a. Myfamily.com,ancestry.com und genealogy.com. Die Nutzung der genealogi-schen Datenbanken ist kostenpflichtig. Mit über fünf MilliardenNamen und 4.000 durchsuchbaren Datenbanken ist www.ance-stry.com eine der größten Online-Quellen zur Genealogie.8 DasUnternehmen ist auf die Bereitschaft von Archiven und genealo-gischen Vereinigungen angewiesen, ihre personengeschichtlichenQuellen und Literaturbestände für die Aufbereitung zur kosten-pflichtigen Bereitstellung auf der Website von Ancestry zurVerfügung zu stellen und sich der eigenen Nutzungsrecht weitge-hend zu entäußern.Die Rahmenbedingungen und Verfahrensabläufe der Koopera-tionsprojekte regelt jeweils ein Vertrag. Den Archiven entstehenfür die Digitalisierung und Indexierung ihrer genealogischenQuellen keine Kosten, was zunächst attraktiv erscheint. Für dieDurchführung der Digitalisierung besitzt das Unternehmen eineeigene Tochterfirma, die in der Lage ist, bis zu 3,5 MillionenSeiten monatlich von Mikrofilmen zu scannen und durch Part-nerschaftsverträge mit Unternehmen u. a. in Bangladesh undChina über 21 Millionen Seiten monatlich zu indexieren. LesbareDigitalisate werden auch von mikroverfilmten Quellen erstellt,die dann mit dem Index verknüpft und für die Recherche imInternet aufbereitet werden. Das Unternehmen übernimmt auchdas Hosting der Daten, beansprucht für diesen Service indessendie ausschließliche Vermarktung von Index und Images imInternet. Die Archive erhalten in der Regel keinen Anteil an denEinnahmen aus dem Online-Portal. Die Zusammenarbeit sowohlmit den Mormonen als auch mit dem Unternehmen Ancestry istunter Archivarinnen und Archivaren sehr umstritten. „Turningarchival databases into goldmines“ – zu diesem Ergebnis jeden-falls kam die Generaldirektion Informationsgesellschaft derEuropäische Kommission in einer kleinen Fallstudie im Rahmendes DigiCULT-Reports über kommerzielle genealogische Unter-nehmen im Internet.9

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3 „Open Access“ (englisch: freier, kostenloser Zugang) bezeichnet das Ziel,wissenschaftliche Literatur und Materialien frei zugänglich zu machen. Un-ter diesem Stichwort hat sich inzwischen eine internationale Bewegung gebil-det. In einem weiteren Sinn spricht man aber auch von „Open Access“, wennes um den freien Zugang zu wissenschaftlich wichtigen Daten oder zu digita-len Reproduktionen von Kulturgut in Archiven, Bibliotheken und Museen geht.Weitere Informationen siehe unter „de.wikipedia.org“.

4 Siehe ausführlich dazu Joergens, Bettina, Open Access zu Personenstands-büchern – Digitalisierungsprojekte des Landesarchivs NRW, in:www.ekd.de/archive/dokumente/Joergens.pdf, abgedruckt in: Aus evangeli-schen Archiven, (2007) Nr. 47, S. 97-107, hier S. 98; auch online unter„www.ekd.de/archive/dokumente/Joergens.pdf“.

5 Siehe dazu: Wischhöfer, Bettina, Vom Umgang mit dem kulturellen Erbe Kir-chenbuch und andere „Archivgeschichten“ – Tätigkeitsbericht des Landes-kirchlichen Archivs Kassel 2007 (Schriften und Medien des LandeskirchlichenArchivs Kassel, 24), Kassel 2008, S. 7-9 und S. 21 f.

6 „www.familysearch.org“.7 Früher MyFamily.com, Inc. („www.myfamilyinc.com“).8 Siehe Fink, Bertram, Familienforschung zwischen archivischer Dienstleistung

und Kommerzialisierung. Indexierung und Digitalisierung der Kirchenbücherauf Kooperationsbasis – eine Perspektive für kirchliche Archive? Zum Down-load unter „www.ekd.de/archive/dokumente/Fink.pdf“.

9 European Commission, Directorate General Information Society, The Digi-CULT-Report, Technological Landscapes for Tomorrow’s Cultural Economy.Unlocking the Value of Cultural Heritage. Full Report, January 2002, S. 162-174, „www.digicult.info/downloads/html/6/6.html“. Die Studie beschäftigtsich vor allem mit „MyFamily.com“, heute “„The Generations Network“.

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UND PRAXIS

FAZIT

Angesichts der Herausforderung, die das Medium Internet für dieArchive aller Sparten darstellt, und angesichts der gewerblichenund nicht gewerblichen Anbieter auf dem Markt der Personenda-ten sind die Kirchenarchive aufgerufen, unter Wahrung vonRechten an ihren Quellen und Digitalisaten eigenständig tätig zu

werden. Hinter dem Informationsmedium Kirchenbuch muss dasjeweilige Archiv erkennbar bleiben. Die Pilotphase des neueninternationalen ökumenischen Kirchenbuchportals ist mithin einwichtiger Meilenstein auf dem Weg zu diesem Ziel.

Gabriele Stüber, SpeyerBettina Wischhöfer, Kassel

Umfragen bringen es ans Licht: Archive gelten der Bevölkerungals ausgesprochen vertrauenswürdige Institutionen. Bekanntlichist aber auch nichts leichter zu fälschen als ein digitales Doku-ment. Wie also können die Archive das ihnen geschenkte Vertrau-en in künftigen Zeiten erhalten? Im vorarchivischen Bereich diskutieren Archivarinnen undArchivare seit einigen Jahren über elektronische Signaturen. AlsZwischenstand aus dieser Diskussion kann berichtet werden,dass Signaturen nach der Übergabe ans Archiv zwar dokumen-tiert, aber nicht mehr im Rechtssinne gepflegt, d. h. regelmäßigübersigniert werden. Die rechtliche Glaubwürdigkeit des Archivskann vielleicht mit dem aus den Rechtswissenschaften derFrühen Neuzeit stammenden Instrument des „ius archivi“begründet werden. Trotzdem stellt sich die Frage, welche Mitteldie Archive ergreifen müssen, um digitale Archivalien so vorlegenzu können, dass künftige Benutzerinnen und Benutzer ihnenGlauben schenken. Sollte dieses Ziel in größerem Umfang nichterreicht werden, kann die Sinnhaftigkeit der digitalen Archivie-rung insgesamt bezweifelt werden. Die Frage ist zentral für denBetrieb digitaler Archive, und sie stellt sich nicht nur den Archi-ven, sondern in demselben Umfang den Bibliotheken, Museenund allen anderen Einrichtungen, die über sehr lange Zeiträumedigitale Unterlagen authentisch aufbewahren müssen. Es lag aufder Hand, die damit zusammenhängenden Probleme in einer dieeinzelnen Gedächtnisinstitutionen übergreifenden Arbeitsgruppeim nestor-Projekt zu behandeln. Die Arbeitsgruppe hat den 2006erstmals vorgestellten „Kriterienkatalog vertrauenswürdigedigitale Langzeitarchive“ in einer zweiten, überarbeiteten Versionim Jahr 2008 vorgestellt, vgl. [1]. Auch sie wird ins Englischeübersetzt. Es ist geplant, daraus eine DIN-Norm im Rahmen desDIN-Ausschusses NABD 15 zu erarbeiten.

VERTRAUENSWÜRDIGE DIGITALEARCHIVE – ERGEBNISSE UND PERSPEKTIVENDER NESTOR/DIN-AG

HERAUSFORDERUNGEN BEIMAUFBAU DIGITALER ARCHIVE Im Gegensatz zu früheren Existenzformen kultureller Objekte,die immer an ein physisches Trägermedium wie Papier, Ton o. ä,gebunden waren, sind digitale Objekte ganz anderen Gefahrenausgesetzt. Diese können sowohl technischer als auch organisato-rischer Art sein. Der rasante technologische Wandel, menschli-ches Versagen sowie der unsachgemäße Umgang mit Technologieoder Unvorsichtigkeit, aber auch Naturkatastrophen oder Terror-angriffe stellen große Risiken für die Existenz digitaler Archiveund der darin befindlichen Objekte dar. Besonders der langfristi-ge Erhalt der Interpretierbarkeit der dadurch repräsentiertenInformationen stellt eine große Herausforderung dar. Anders alsbisher können diese Informationen nicht dauerhaft auf ihrenoriginalen Trägermedien erhalten werden.Die Analyse der Risiken und Bedrohungen bei der Sicherung derdigitalen Objekte und ihrer Eigenschaften muss Gegenmaßnah-men hervorbringen, in deren Wirksamkeit die Nutzer entspre-chendes Vertrauen besitzen. Diese Eigenschaft, Vertrauen zuevozieren, nennt man dann auch vertrauenswürdig. Vertrauens-würdigkeit in Bezug auf die Langzeitarchivierung digitalerObjekte bedeutet, dass ein digitales Langzeitarchiv Maßnahmenorganisatorischer und technischer Art bereit stellt, die bei denNutzern Vertrauen in die Verfahren induzieren. Dazu gehört dieNutzung von Standards in Bezug auf die Hardware, die Speicher-formate der digitalen Objekte, die Beschreibung mit angemesse-nen Metadaten sowie der Einsatz standardisierter Verfahrenswei-sen bei der Migration oder der Emulation digitaler Objekte.

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DIE NESTOR-ARBEITSGRUPPEVERTRAUENSWÜRDIGE ARCHIVE Ihre Arbeit hat die nestor-Arbeitsgruppe „VertrauenswürdigeArchive“ bereits im Jahr 2004 aufgenommen. Mitglieder warendabei zum einen die Vertreter der drei großen Gedächtnisinstitu-tionen, also von Archiven, Bibliotheken und Museen, aber auchMitarbeiter von Forschungsdatenzentren und von Hochschulen.Im Zuge eines intensiven Diskussionsprozesses konnten sich dieMitglieder auf den nun in der zweiten Version vorliegenden„Kriterienkatalog vertrauenswürdige digitale Langzeitarchive“einigen. In ihn sind zunächst die Reaktionen der Fachwelt einge-flossen, die über einen Aufruf zur Kommentierung des Katalogs,einen Workshop zu seiner Vorstellung oder in Form von Reaktio-nen auf einzelne Vorträge im In- und Ausland eingeholt werdenkonnten. Selbstverständlich wurden auch Anregungen von denbeiden vergleichbaren internationalen Projekten DRAMBORAund TRAC eingeholt. Die aktuelle Trustworthy Repositories Audit & Certification(TRAC) Criteria and Checklist vgl. [3], bildet zusammen mitdem nestor Kriterienkatalog und dem OAIS-Framework die Basisfür aktuelle ISO-Standardisierungsbemühungen, die innerhalbder Familie der OAIS-Standards durch das Consultative Commit-tee for Space Data Systems (CCSDS) im ISO-Strang ISO TC20/SC13 umgesetzt werden, siehe [4].Das DCC/DPE-Digital Repository Audit Method Based on RiskAssessment (DRAMBORA) toolkit [5] basiert auf theoretischenKonzepten zur Risikoanalyse und soll interne Überprüfungen(audits) der digitalen Langzeitarchive erleichtern, indem es einMittel an die Hand gibt, um ihre Fähigkeiten einschätzen, ihreSchwachstellen identifizieren und ihre Stärken erkennen zukönnen. 2007 haben die drei Initiativen nestor, TRAC und DRAMBORAzehn gemeinsame Prinzipien für vertrauenswürdige digitaleLangzeitarchive formuliert, vgl. [6].

DER KRITERIENKATALOG VERTRAU-ENSWÜRDIGE DIGITALELANGZEITARCHIVE

Die primäre Zielgruppe des vorliegenden Katalogs bilden inerster Linie Gedächtnisinstitutionen. Für diese kann der Katalogauf allen Stufen der Entwicklung zur Selbstkontrolle eingesetztwerden. Zunehmend erkennt die Arbeitsgruppe ein starkesInteresse von Datenzentren sowie IT-Unternehmen, die Archivie-rungssoftware bereitstellen oder Dienstleistungen im Bereichdigitale Archivierung anbieten. Da das Spektrum der bestehenden und im Aufbau befindlichendigitalen Langzeitarchive sehr groß ist, müssen Kriterien zurBewertung einer Vertrauenswürdigkeit relativ allgemein undabstrakt sein. Bei der Anwendung des Kriterienkatalogs kommt es darauf an,die Grundprinzipien: • Angemessenheit, • Dokumentation, • Transparenz und Offenlegung, • Überprüfbarkeit und Bewertbarkeitder eingesetzten Verfahren und Technologien in die Praxis umzu-setzen.

Die eigentlichen Kriterien sind in drei Bereiche gegliedert: (A) Ziele und Organisation (Organisatorischer Rahmen):

Hier werden Anforderungen an den organisatorischen Rah-men gestellt, innerhalb dessen das digitale Langzeitarchivoperiert, d. h. seine Zielsetzung, die rechtlichen Bedingungensowie die personellen und finanziellen Ressourcen, dieOrgansationsform.

(B) Umgang mit Objekten: Hier finden sich die Kriterien, diealle objektbezogenen Anforderungen während des Lebenszy-klus der Objekte im digitalen Langzeitarchiv spezifizieren.Ausgangspunkt sind die im OAIS-Referenzmodell definiertenHauptphasen des Objektzyklus: Aufnahme (Ingest), Archiv-ablage (Archival Storage, inklusive Umsetzung der Langzeiter-haltungsmaßnahmen) und Nutzung (Access).

(C) Infrastruktur und Sicherheit: Die Kriterien in diesemAbschnitt betrachten die technischen Aspekte des Gesamtsys-tems sowie die Aspekte der Sicherheit, wie diese vom Bundes-amt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) formu-liert wurden, vgl. [7], [8].

DER WEG ZUM VERTRAUENSWÜRDI-GEN DIGITALEN LANGZEITARCHIV Ein digitales Langzeitarchiv entsteht als komplexer Gesamtzu-sammenhang. Die Umsetzung der einzelnen Kriterien muss stetsvor dem Hintergrund der Ziele des Gesamtsystems gesehenwerden. Sowohl die Realisierung des digitalen Langzeitarchivs alsGanzes als auch die Erfüllung der einzelnen Kriterien läuft alsProzess in mehreren Stufen ab:1. Konzeption2. Planung und Spezifikation3. Umsetzung und Implementierung4. Evaluierung Diese Stufen sind nicht als starres Phasenmodell zu betrachten.Vielmehr müssen sie im Zuge der ständigen Verbesserung regel-mäßig wiederholt werden. Das Qualitätsmanagement überwachtdiesen Entwicklungsprozess, vgl. [1].

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Abbildung 1: Gliederung der Kriterien für vertrauenswürdige Archive

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UND PRAXIS

PERSPEKTIVEN: VON NESTOR ZU DIN 2008 stellte sich den Mitgliedern der nestor-AG die Frage, wie esmit der Aufgabe nach Abschluss der Projektförderung, also abSommer 2009, weitergehen solle. Formal wurde beim DeutschenInstitut für Normung (DIN) ein Dach gefunden, das die weiterenZiele angemessen unterstützt. Die Arbeitsgruppe arbeitet künftigbeim Normausschuss Archive, Bibliotheken und Dokumentation15, kurz NABD 15, und konnte bereits neue Mitglieder willkom-men heißen. Inhaltlich haben sich die Mitglieder darauf verstän-digt, den Kriterienkatalog überprüfbar zu machen und als Normoder Fachbericht beim DIN zu veröffentlichen. Die AG wirdregelmäßig ihre Ergebnisse mit den internationalen Standardisie-rungsbemühungen von TRAC koordinieren. Aus verschiedenenGründen erschien es jedoch sinnvoll, gleichzeitig den Kriterienka-talog inhaltlich weiterzuentwickeln. Mit dieser inhaltlichen Fest -legung fand auch eine lange Kontroverse innerhalb der nestor-Arbeitsgruppe einen von allen Mitgliedern getragenen positivenAbschluss. Während nämlich die Vertreter der schon seit langemexistierenden Gedächtnisinstitutionen tendenziell eine Selbsteva-luierung durch diesen Katalog anstrebten (so auch der Ansatzvon DRAMBORA), war eine Zertifizierung durch eine externeExpertengruppe das Ziel, das die aus jüngeren Institutionen ent -sandten Mitglieder eher verfolgten (so der Ansatz von TRAC).Ähnlich unterschiedliche Positionen konnten auch bei kürzlichdurchgeführten Anwenderinterviews festgestellt werden. Letztlichkann aber beiden Zielen gedient werden, wenn der bereits beste-hende Kriterienkatalog in den einzelnen Kriterien überprüfbarwird. Es steht zu hoffen, dass die künftige Norm dann beidenAnforderungen gerecht wird: zum einen den Zertifizierungsan-forderungen und zum anderen den Anforderungen an eineSelbstevaluierung einzelner Archive. Damit ist die Richtungvorgegeben, in der sich die nun beim DIN angesiedelte Arbeits-gruppe in den nächsten Jahren bewegen wird.

Christian Keitel/Susanne Dobratz, Stuttgart/Berlin

Literatur

[1] nestor - Materialien 8: nestor - Kompetenznetzwerk Langzeitarchivierung /Arbeitsgruppe Vertrauenswürdige Archive – Zertifizierung: nestor-Kriteri-en, Kriterienkatalog vertrauenswürdige digitale Langzeitarchive, Version 2,2008, Frankfurt am Main: nestor c/o Deutsche Nationalbibliothek, URL: www.nbn-resolving.de?urn:nbn:de:0008-2008021802

[2] CCSDS (Consultative Committee for Space Data Systems) (2002): Referen-ce Model for an Open Archival Information System (OAIS). Blue Book. URL: www.ccsds.org/docu/dscgi/ds.py/Get/File-143/650x0b1.pdf entsprichtISO 14721:2003

[3] Trustworthy Repositories Audit & Certification (TRAC) Criteria and Check-list. URL: www.crl.edu/PDF/trac.pdf

[4] vgl. dazu die Entwicklungen auf http://wiki.digitalrepositoryauditandcer-tification.org (29.04.2009)

[5] DCC/DPE Digital Repository Audit Method Based on Risk Assessment(DRAMBORA), www.repositoryaudit.eu/download

[6] OCLC/RLG-NARA Task Force on Digital Repository Certification; CLR;DCC; DPE und nestor: Core Requirements for demonstrating trustworthi-ness, www.crl.edu/content.asp?l1=13&l2=58&l3=162&l4=92, Januar 2007

[7] Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (2005): CommonCriteria V 2.3. (ISO/IEC 15408:2005), www.bsi.de/cc/index.htm

[8] Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (2005): IT GrundschutzKataloge. URL: www.bsi.bund.de/gshb/index.htm

[9] Gutzmann, Ulrike: Anmerkungen des VDA – Verband deutscher Archivarin-nen und Archivare e. V. zum „Kriterienkatalog vertrauenswürdige digitaleLangzeitarchive“ (version 1, Juni 2006, nestor-materialien 8) – in: Archivar60 (2007), Heft 2, S. 185-187

[10] Huth, Karsten: Drei Jahre nestor – Projektergebnisse aus Sicht der Archive.– in: Archivar 59 (2006), Heft 4, S. 360-362

[11] Jehn, Mathias / Huth, Karsten: Von der nationalen Kooperation zum spezi-ellen Angebot – Was bietet das Kompetenznetzwerk nestor den Archiven? –in: Archivar 60 (2007), Heft 4, S. 301-306

[12] Keitel, Christian: Literaturbericht zu Pauline Puppel, Überlegungen zur Ar-chivierung elektronisch signierter Dokumente – in: Archivar 61 (2008),Heft 4, S. 434-435

Abbildung 2: Der Kriterienkatalogim nationalen und internationalenKontext

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Wissenschaft und der interessierten Öffentlichkeit als primäreZielgruppe des Webauftritts definiert wurden.

DAS ANGEBOT DER WEBPRÄSENZ Am 18. Februar 2009 ist die Website „1989 – 1990: Wende-Zeiten.Bilder, Töne, Kommentare aus dem DDR-Fernsehen“ mit rund300 Archivnachweisen, 15 Themendossiers, 16 Videos und 30Audios online gegangen. Dem User wird in dem Internetangebotüber verschiedene Zugangswege ein Rückblick auf den Mauerfallund seine Vor- und Nachgeschichte 1989 gewährt und es wirdvorgestellt, was das Fernsehen der DDR über die Ereignisse desJahres gesendet hat. Eine Zeitleiste bietet dem Internetnutzer dreithematische Chroniken an: zur Politik, zum DDR-Fernsehen undzum Sport. Über die Zeitleiste können Geschehnisse der Wende-Zeit über Monate und einzelne Tage angesteuert werden. Unterdem 9. November findet sich etwa die berühmte Pressekonferenzmit Günter Schabowski zur 10. Tagung des SED-Zentralkomitees,die zur Grenzöffnung führte. Diesem und anderen Chronik-Einträgen ist eine einzelne Sendung oder eine kleine Auswahl ausden DRA-Beständen zugeordnet. Es gibt allerdings auch zahlrei-che Ereignisse, über die das DDR-Fernsehen nicht berichtet hat,wie über das letzte Opfer des Schießbefehls an der Mauer, ChrisGueffroy, der in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar bei einemFluchtversuch starb.Unter dem Navigationspunkt Themendossiers werden derzeit 15Texte aus dem Bereich „Politik“ oder „DDR-Fernsehen“ präsen-tiert, denen jeweils eine Auswahl von Archivnachweisen beigefügtist. Neben Dossiers zum Mauerfall, den Montagsdemonstratio-nen oder der Bürgerbewegung finden sich auch spezifische Textezum DDR-Fernsehen, die sich mit Sendereihen aus der Wende-Zeit oder den Veränderungen in der Berichterstattung des DDR-Fernsehens beschäftigen. In einem Dossier wird die Berichterstat-

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Jubelnde Menschen vor dem Brandenburger Tor, DDR-Bürger,die in ihren Trabbis die Grenze passieren und Mauerspechte, diesich Erinnerungsstücke aus den Grenzanlagen schlagen – dieBilder des Mauerfalls gingen um die Welt und haben sich imkollektiven Gedächtnis der Deutschen festgesetzt. 2009 jährt sichdie friedliche Revolution in der DDR zum 20. Mal. Für dasDeutsche Rundfunkarchiv (DRA) bietet dieses Jubiläum denAnlass, ausgewählte Archivbestände der breiten Öffentlichkeit zupräsentieren. 1992 hat das DRA das Programmvermögen desRundfunks und Fernsehens der DDR übernommen, das sich seitdem Jahr 2000 am Standort Babelsberg auf dem Gelände desRundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) befindet.

ZIELSETZUNG DES WEBAUFTRITTS Traditionell bietet das Deutsche Rundfunkarchiv, die ältesteGemeinschaftseinrichtung der ARD, gedruckte Publikationenund Onlinedienste zu Jubiläen und historischen Themen an.Schon Ende 2007 begann das DRA mit den Planungen für einenneuen Termindienst. Über ein Webangebot sollten die umfangrei-chen Bestände am Standort Babelsberg zur friedlichen Revoluti-on in der DDR einem großen Nutzerkreis digital zugänglichgemacht und damit die besonderen Möglichkeiten des MediumsInternet genutzt werden. Mit dem Webauftritt zum Mauerfallwollte das Deutsche Rundfunkarchiv auch dem zu erwartendenerhöhten Nutzungsaufkommen bei diesem Jubiläum begegnen. Grundkonzept des Onlineangebots (http://1989.dra.de) ist es,beim Rückblick auf die Zeit der so genannten Wende,1 die beson-dere Sichtweise des DDR-Fernsehens auf die Ereignisse zu reflek -tieren. Es soll gezeigt werden, was die DDR-Bürger im heimi-schen Programm zu sehen bekamen und welche Ereignisse nichtin diesem Medium stattfanden. Der Titel des Webauftritts „1989 -1990: Wende-Zeiten“ bezieht sich deshalb sowohl auf die friedli-che Revolution als auch auf den Wandel der Berichterstattung,den das Fernsehen der DDR 1989/90 vollzog. Die Idee ist, demThema friedliche Revolution aus einer neuen Perspektive zubegegnen und die Internetpräsenz dadurch neben den zahlrei-chen anderen Angeboten zum Mauerfall im Jubiläumsjahr zupositionieren. Die Bestände des Deutschen Rundfunkarchivsstehen im Mittelpunkt des Angebotes. Die Hauptklientel desDRA Babelsberg bilden Fernsehjournalisten, weshalb dieseNutzer auch neben Besuchern aus kulturellen Einrichtungen,

„1989 - 1990: WENDE-ZEITEN“.DAS NEUE INTERNETANGEBOTDES DEUTSCHENRUNDFUNKARCHIVS (DRA)

1 Der Begriff „Wende“ wurde am 18. Oktober 1989 erstmals von Egon Krenz imZusammenhang mit den Ereignissen in der DDR im Herbst 1989 verwendet.In seinem Ausspruch „Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende ein-leiten (...)“ bezog Krenz den Begriff nur auf eine Wende in der Politik der SED.Die Bezeichnung „Wende“ für die friedliche Revolution in der DDR wird da-her und wegen der Ungenauigkeit des Begriffs von verschiedenen Stellen kri-tisch betrachtet. Nach wie vor steht im allgemeinen Sprachgebrauch „Wende“jedoch wie kein anderer Begriff für die Revolution in der DDR. Deshalb fin-det der Begriff mitunter auch im Webangebot „1989 - 1990: Wende-Zeiten. Bil-der, Töne, Kommentare aus dem DDR-Fernsehen“ Verwendung.

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UND PRAXIS

tung der DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ (AK) imOktober 1989 den Beiträgen der „Tagesschau“ gegenübergestellt.Während die Montagsdemonstrationen beispielsweise längstzum Thema im Westfernsehen geworden waren, vermeldete die„Aktuelle Kamera“ erstmals am 9. Oktober, dass diese Demons-trationen in Leipzig stattfanden. DDR-Kommentator Olaf Dietzebezeichnete die Demonstranten in der AK als „Randalierer“: „Essteht fest, dass die Randalierer, zumal ferngesteuert, hier nieman-den repräsentieren, allenfalls sich selbst; insofern werden siekeine Chance haben.“ Zitate wie diese können in den Texten vonden Nutzern direkt als Audio-Angebot abgehört werden. Unterdem Navigationspunkt „Ton- und Videoarchiv“ sind die bisherverfügbaren Hörzitate aufgelistet.Über die „Schnellsuche“ in der Navigationsleiste und die „Erwei-terte Suche“ können zudem die mittlerweile über 400 Verweiseauf die DRA-Archivbestände von den Nutzern eigenständigdurchsucht werden. Alle vorgestellten Sendungen und auchAusschnitte lassen sich über den Internetauftritt direkt bestellen– für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Privatnutzer,Produktionsfirmen, kommerzielle Unternehmen, Bildungsein-richtungen, Wissenschaft oder Kultur zu unterschiedlichenBedingungen.

AUDIOVISUELLES SAMMLUNGSGUTIM INTERNETAls audiovisuelles Medienarchiv ist es dem DRA ein Anliegen,das gesammelte Kulturgut in Ton und Bewegtbild der Öffentlich-

keit auch digital verfügbar zu machen. Doch sind dieser Zugäng-lichmachung durch das Urheberrecht Grenzen gesetzt. Audioswerden auf der Website deshalb in Form von kurzen Ausschnit-ten als Hörzitat angeboten. Als Bewegtbild stehen 16 Videos ausVolkskammersitzungen online, die nach UrhG § 48 Abs. 1 Nr. 2unter die Schranken des Urheberrechts fallen. Der am häufigstenangeklickte Ausschnitt ist darunter die erste und einzige Redevom Minister für Staatssicherheit Erich Mielke vor dem DDR-Parlament am 13. November 1989. Schon zu Beginn verunsichert,spricht er nach der Aufforderung eines Abgeordneten, nichtimmer wieder das Wort „Genossen“ zu gebrauchen, die oftzitierten Worte: „Das ist doch eine formale Frage. Ich liebe, ichliebe doch alle, alle Menschen. Na ich liebe doch, ich setze michdoch dafür ein!“

Relaunch

Das Internetangebot „1989 – 1990: Wende-Zeiten. Bilder, Töne,Kommentare aus dem DDR-Fernsehen“ umfasst thematischderzeit überwiegend das Jahr 1989. Gegenwärtig werden dieThemendossiers nach inhaltlichen Gesichtspunkten bis zum Tagder deutschen Einheit 1990 erweitert. Mitte des Jahres wird derWebauftritt durch einen Relaunch neben einer verändertenOptik, neuen Themenrubriken, Chroniken, Hörzitaten undVideos zum Jahr 1990 auch insgesamt über 700 Archivnachweiseaus dem Deutschen Rundfunkarchiv online präsentieren können.

Alexandra Luther, Potsdam-Babelsberg

„Aktuelle Kamera“ vom 09.10.1989

11. Tagung der 9. Volkskammer vom 13.11.1989, Erich Mielke

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EIN KURZFILM GIBT AUSKUNFT Einer stehenden Redewendung zufolge sagt ein Bild mehr alstausend Worte – wie viel Aussagen lassen sich dann erst überbewegte Bilder in 10 Minuten transportieren, die durch einenSprecher begleitet werden und welche Möglichkeiten ergebensich daraus für die archivische Öffentlichkeitsarbeit?Die Idee zu einem Film über das Parlamentsarchiv ist schoneinige Jahre alt. Gute Anregungen im Vorfeld boten der Film überdie Dokumentation und Archive des Westdeutschen Rundfunks(WDR)1 und „Der Blick auf Mannheim – Ihr Stadtarchiv“2.In Kooperation mit dem Parlamentsfernsehen des DeutschenBundestages konnte der Kurzfilm über das Archiv als Teil derReihe „Was macht eigentlich …?“ realisiert werden. Die vomParlamentsfernsehen produzierte „Sendereihe ‚Was macht eigent-lich...?’ wirft einen Blick hinter die Kulissen des Bundestages undzeigt, wie viele verschiedene Aufgaben […] im Parlament zusätz-lich erledigt werden.“3 Mit dem Archiv wird in dieser Reihe nunerstmals eine Organisationseinheit der Bundestagsverwaltungvorgestellt. Während alle bislang erschienenen Teile als aus-schließliche Studioproduktionen in Interviewform gestaltet sind,besteht der Beitrag über das Parlamentsarchiv aus zwei Teilen:einem Interview und einem Rundgang durch das Archiv.Das Interview mit dem Leiter des Parlamentsarchivs, MatthiasMeitzel, führt in das Thema ein. Grundgedanke des Interviewtex-tes war, mit einigen Zahlen die Dimensionen des im Archivverwahrten Bestandes zu skizzieren und mit kurzen, prägnantenFragen und allgemeinverständlichen Antworten ohne Fachbegrif-fe Neugierde zu wecken. Über die Einschaltung eines neutralenSprechers und einen Außenschwenk der Kamera folgen dann derPerspektivenwechsel und der Rundgang durch das Archiv begin-nend mit dem öffentlich zugänglichen Bereich der Benutzung.Wichtige inhaltliche Verbindungen und Bezugspunkte innerhalbdes Films sind das Spannungsverhältnis zwischen Benutzungund Erhaltung und die hierzu unerlässlichen Maßnahmen, dieKoexistenz konventioneller und digitaler Überlieferung, dieVielfalt der archivarischen Aufgaben sowie die Dienstleistungso-rientierung und der „Einzug der Moderne“ in das Archiv. In jederSzene und in jedem Bereich sind Mitarbeiter zu sehen, die ihreralltäglichen Arbeit nachgehen. Es gibt kaum Einstellungen ohneMenschen. Die Aufnahmen sind authentisch; es wurde nichtsauf- oder umgeräumt. Auch Schwachstellen wie die vielen nochumzubettenden Ordner werden nicht „versteckt“, um die Ar-beitsfülle zu verdeutlichen und zu zeigen, dass das Parlamentsar-chiv noch vor großen Herausforderungen steht.

Die letzte Szene arbeitet mit einer festen Kameraeinstellung, dieden eingangs interviewten Leiter des Archivs in seinem Büroarbeitend zeigt. Die durch das Fenster sichtbare Kuppel desReichstagsgebäudes wird während der Ausführungen des Spre-chers zur Gedächtnisfunktion des Parlamentsarchivs immernäher herangezoomt. Dieses Bild spielt mit zwei Aussagen:Erstens hat das Parlamentsarchiv bei seiner Arbeit seinen Archiv-träger - den Deutschen Bundestag - immer im Blick. Die zweiteEbene bildet die Assoziationskette Kuppel – Kopf – Gedächtnis.Der Film endet mit dem Blick auf das Westportal des Reichstags-gebäudes. Da das Westportal gleichzeitig als Besuchereingangdient, stellt dieses Bild wiederum den Bezug Öffentlichkeit –offen zugängliches Archiv her.Der Film ist der Versuch einer unkonventionellen, aber dennochprofessionellen und fachlich fundierten Darstellung von Archiv-arbeit. Das Archiv übernahm daher die Gesamtleitung für dasProjekt. Hier wurde die Konzeption entwickelt, das Treatment,das Drehbuch, das Interview und der Erzählertext verfasst sowiedie Schnittliste anhand des vorliegenden Rohmaterials angefer-tigt. Die Kameraführung, die Ausleuchtung, den Schnitt, dieToneinspielung und die endgültige Fertigstellung hat das Parla-mentsfernsehen übernommen.Ein wichtiger, aber nicht zu unterschätzender Nebeneffekt einessolchen Films ist über die Außendarstellung hinaus die Motivati-on der Mitarbeiter und deren Identifikation mit ihrem Arbeits-platz, die in einem Film zeigen können, was sie tagtäglich – undmeist im Verborgenen – tun.Der Film wird gemäß seiner Zweckbestimmung im Parlaments-kanal ausgestrahlt. Dieser kann im Deutschen Bundestag, aberauch im Kabelnetz Berlin-Brandenburg empfangen werden.Daneben ist der Vertrieb als DVD und als Video-on-Demand imInternetangebot des Deutschen Bundestages per Modem undDSL geplant.

Angela Ullmann, Berlin

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„WAS MACHT EIGENTLICH … DAS PARLAMENTSARCHIV?“

1 Das Gedächtnis für unser Programm. Eine Produktion der Aus- und Fortbil-dungsredaktion Radio Fernsehen Internet und der Auszubildenden Medien-gestalter Bild und Ton des Westdeutschen Rundfunks. O. J.

2 Der Blick auf Mannheim – Ihr Stadtarchiv. © Stadtarchiv Mannheim – Insti-tut für Stadtgeschichte 2007.

3 URL: www.bundestag.de/aktuell/tv/vod/wme_alle.html (März 2009).

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ARCHIVTHEORIE

UND PRAXIS

Das Landeskirchliche Archiv Karlsruhe war vom 18. bis 19. Mai2009 Gastgeber des 18. Süddeutschen Kirchenarchivtags desVerbandes kirchlicher Archive, der im Evangelischen Oberkir-chenrat Karlsruhe, dem Verwaltungssitz der Badischen Landes-kirche, stattfand. Die Tagung stand nicht unter einem vorgegebe-nen Thema, sondern berührte verschiedene Aspekte archivari-scher Arbeit.Archivdirektorin Dr. Gabriele Stüber vom Zentralarchiv derEvangelischen Kirche der Pfalz in Speyer sprach zum Thema„Kirchenbuchportal – Erfolge, Probleme, Perspektiven“. In ihremReferat stellte sie den Stand der Arbeit am Kirchenbuchportaldar, das den Zugriff auf etwa 300.000 Kirchenbücher evangeli-scher und katholischer Provenienz aus dem deutschsprachigenRaum in digitalisierter Form zum Fernziel hat. In diesem seitdem Jahre 2006 laufenden Projekt sind in einem ersten SchrittVisitenkarten der bislang 30 beteiligten Archive auf der eigensdafür eingerichteten Homepage „www.kirchenbuchportal.de“veröffentlicht worden. Ein weiterer Schritt wird der Zugang zuden Bestandsdaten der Archive sein. Die Einstellung von Digitali-saten wird im Verbund mit dem Projekt „www.icar-us.eu“ be-schritten werden, einer Internetplattform, mit der ein internatio-nales und ökumenisches Kirchenbuchportal zustande kommensoll, das nun in eine Pilotphase getreten ist. Dieses Portal hatseine Zentrale in Wien, die Verantwortung liegt aber dezentral beiden Eigentümern der Kirchenbücher. Bis zum Juli 2009 wirddafür ein Rahmenvertrag abgeschlossen werden. In der an -schließenden Diskussion kamen Fragen der Normierung, Rechts-und Marktfähigkeit dieses Projekts sowie der Verweis auf diekirchlichen Nutzungsrechte der Kirchenbücher und deren hoherkirchen- und archivpolitischer Wert zur Sprache. Frau Dr. Stüberbetonte in diesem Zusammenhang, dass in diesem Portal DFG-Standards zur Geltung kommen sollen – außerdem sei nicht anein Gewinn bringendes Arbeiten gedacht, sondern an ein Systemder Refinanzierung der laufenden Kosten.Kirchenrat Dr. Udo Wennemuth, Leiter des LandeskirchlichenArchivs in Karlsruhe, griff mit seinem Referat „Auswirkungen derStrukturveränderungen in der Landeskirche auf das kirchlicheArchivwesen – am Beispiel Badens“ eine Problematik auf, mit dersich alle landeskirchlichen Archive angesichts der seit längererZeit stattfindenden kirchlichen Reformprozesse auseinanderset-zen müssen. Er zeigte in seiner Darstellung die Konsequenzen

dieses Prozesses für die archivarische Arbeit auf unterschiedli-chen Ebenen, nämlich der der Kirchengemeinden, Kirchenbezir-ke, Verwaltungs- und Diakonieverbände, Großstädte, von charis-matischen Gemeinden und ökumenischen Einrichtungen. An-hand von Fallbeispielen aus der Arbeit der Badischen Landeskir-che wurde die Problematik konkret erörtert, wobei das Beispielder Gemeinde Mannheim-Neckarstadt besonders eindrücklichwar: Im Laufe der letzten Jahre wurden sechs von sieben Ge-meinden zusammengelegt und somit fast wieder der Ausgangs-punkt des Jahres 1888 erreicht, als dieses Stadtgebiet die erstenParochialteilungen erfuhr. Als Fazit dieser Ausführungen und derDiskussion wurden die Wichtigkeit der präventiven Arbeit derArchive (beratende Archivpflege vor Ort) sowie deren Verantwor-tung gegenüber historischen und/oder gefährdeten Beständenhervorgehoben.Im folgenden Referat „Archivneubau – Anforderungen und ihreUmsetzung in Karlsruhe“ stellten Dr. Udo Wennemuth undMareike Ritter die Planung und Durchführung des Magazinneu-baus des Landeskirchlichen Archivs Karlsruhe vor, der im Herbst2008 seine Grundsteinlegung feierte, nun seiner Fertigstellungentgegensieht und planmäßig im Frühjahr 2010 bezogen werdensoll. Dabei wurden auf die konkreten Anforderungen vor Orteingegangen und deren Auswirkungen auf die Konzeption undbautechnische Umsetzung sowie die Finanzierung erläutert.Dieses Thema stieß bei den Teilnehmern auf großes Interesse,weil jedes Archiv die Frage nach der Kapazität und fachgerechtenLagerung der Archivalien beantworten muss. Durch die sichanschließende Führung durch die alten und neuen Magazinräu-me konnte das zuvor Gehörte vor Augen geführt und konkreti-siert werden.Dieser Tag fand im Badischen Brauhaus durch ein gemeinsamesAbendessen auf Einladung der Badischen Landeskirche seinenAbschluss.Der zweite Sitzungstag begann mit der Teilnahme an der Hausan-dacht des Evangelischen Oberkirchenrats, die von OKR JohannesStockmeier gemeinsam mit dem Sekretär des Reformierten Welt -bundes, Dr. Douwe Visser, der als Gast des Hauses die Auslegungdes Wochenspruches übernahm, gehalten wurde.Hans-Günther Kessler vom Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen (Eisenach) stellte mit seinemReferat den Bezug zur archivpädagogischen Arbeit her, indem er

18. SÜDDEUTSCHERKIRCHENARCHIVTAG IN KARLSRUHE

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das durch ihn in diesem Frühjahr durchgeführte Projekt „Spuren-suche – Persönlichkeiten in Eisenach“ vorstellte: Mit Schülernder 5. und 6. Klassen des benachbarten Evangelischen Martin-Luther-Gymnasiums begab er sich im Rahmen einer Projektwo-che auf Spurensuche von Persönlichkeiten der Stadtgeschichte (u. a. Bach, Luther), indem man gemeinsam Gedenktafeln foto-grafierte und dokumentierte und sich so deren Bedeutung vorAugen führte. Dabei diente das Archiv als Arbeitsort, dessenInnenleben und Arbeitsweise den Schülern nahe gebracht werdenkonnten. Diese Projektwoche erlebte ihren Abschluss im Rahmeneines Tages der offenen Tür und erfuhr durch die positivenReaktionen der Lehrer, Schüler und Eltern sowie der Tagespresseeine bemerkenswert große Resonanz. Auch durch die anregendenDiskussionsbeiträge wurde die Bedeutung archivpädagogischerAktivitäten deutlich, die Hans-Günther Kessler mit seinen Erfah-rungen auf den Punkt brachte: „Schüler von heute können dieImpulsgeber von morgen sein.“Im Anschluss hielt Ruth Pabst vom Evangelischen Zentralarchivin Berlin ihr Referat zum Thema „Praktikanten und Hilfs kräfteim Archiv“. Dabei berichtete sie von den überwiegend positivenErfahrungen, die sie als eigens eingesetzte Betreuerin mit denPraktikanten und Hilfskräften macht: Trotz des hohen Betreu-ungsaufwandes und der anfallenden Nacharbeiten ist derenEinsatz zu einer wichtigen Stütze des EZA Berlin geworden. Sokonnten vor allem Serienakten der EKD-Behördenbestände

bewertet, umgebettet, metallisiert werden. Zudem stellt sichheraus, dass diese Arbeitskräfte zu Multiplikatoren der Öffent-lichkeitsarbeit werden können, indem z. B. Studenten in denSeminaren über ihre Praktika im EZA berichten. In der Diskussi-on wurde vor allem die Frage nach der Bezahlung der Hilfskräfteund Praktikanten gestellt.Das abschließende Referat hielt wiederum Dr. Udo Wennemuthzum Thema „Strukturierung von Akten und Kassationsentschei-dungen“. Er berichtete von dem Vorhaben der „AG Kassation“des Verbandes kirchlicher Archive, Kassationsrichtlinien für allelandeskirchlichen Einrichtungen zu sammeln und als Datenbankim Internet zugänglich zu machen. In diesem Zusammenhangwurden auch Standardisierungen von drei Aktentypen (Bau-,Personal- und Veranstaltungsakte) formuliert. Das Ziel diesesVorhabens ist eine Differenzierung der Ablage schon im Prozessder Aktenbildung, die leicht durchzuführende Bewertungsprozes-se ermöglicht. Dieses Vorhaben soll im Herbst 2009 zum Ab-schluss kommen und für die Anwendung bereit stehen.Eine Schlussbesprechung und die Möglichkeit einer Führungdurch die Restaurierungswerkstatt des Landeskirchlichen ArchivsKarlsruhe bildeten den Abschluss dieser Tagung. Im Mai 2010wird das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen undNassau Gastgeber des 19. Süddeutschen Kirchenarchivtags sein.

Heinrich Löber, Karlsruhe

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LITERATURBERICHTE

AUS DEN SCHÄTZEN DES HESSISCHEN STAATSARCHIVS MARBURG Hrsg. von Steffen Arndt und Andreas Hedwig. Hessi-sches Staatsarchiv Marburg, Marburg 2009, XII, 171 S.zahlr. Abb., geb. 20,- €. ISBN 978-3-88964-200-4(Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg 20)

In der Nachfolge der 2000 zusammen mit den anderen größerenhessischen Archiven von der Sparkassen-Kulturstiftung herausge-gebenen Schrift: „Akte Documente … sind umso lieber als Gold.Kostbarkeiten aus hessischen Archiven“ hat das Hessische Staats-archiv Marburg jetzt einen eigenen Zimelienband herausgegeben,an dem sich die Sparkassen-Kulturstiftung wiederum finanziellbeteiligt hat.Bücher dieser Art bereiten nicht nur Archivaren Freude, sondernverankern die Archive im Bewusstsein einer breiten Öffentlich-keit. Dies ist auch in einer Zeit der Fall, in der sich die Archivareund – zeitlich folgend auch die Benutzer – zunehmend mehr mitÜberlieferungen auseinandersetzen müssen, die man nichteinmal mehr anfassen kann und die auch keinen ästhetischenReiz verbreiten. Ein solcher Band wie der vorliegende ist natürlich nur eineAuswahl, hier von der Karolingerzeit bis ins 20. Jahrhundert, zuderen Bearbeitung eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen ausMarburg mit zum Teil überraschenden Funden beigetragenhaben. Nicht nur Urkunden, Amtsbücher und Akten, Pläne,Bilder und Siegel samt Petschaften werden vorgestellt, sondernauch politische Propaganda wie Schmähbriefe mit drastischenDarstellungen, Kassiber in Form von Zetteln und Schiefertäfel-chen des Landgrafen Philipp des Großmütigen aus dessen Haftnach dem Schmalkaldischen Krieg in den Niederlanden, ein miteinem Adelsarchiv übergebenes Richtschwert, Kerbhölzer zurRechnungsführung, ein Zepter des Fuldaer Jesuitenkollegs, einModell eines Deutschordenskreuzes für Komture, Stoffproben fürUniformen und der Hammer zur Grundsteinlegung für dasStändehaus in Kassel. Den Herausgebern und Autoren ist ein schönes Buch mit gutenReproduktionen und passenden Texten gelungen, das man immerwieder gerne in die Hand nimmt, das sicher eine große Verbrei-tung findet und dem Marburger Staatsarchiv neue Freundebescheren wird.

Konrad Schneider, Frankfurt a. M.

COLLEGE AND UNIVERSITY ARCHIVES Readings in Theory and Practice. Edited by Christo-pher J. Prom and Ellen D. Swain. Society of AmericanArchivists, Chicago 2008. 357 S., kart. 54,95 US-$.ISBN 1-931666-27-X

Der als Publikation der Society of American Archivists (SAA)erschienene Band verfolgt den Anspruch, einen Überblick zumStand der Arbeit US-amerikanischer College- und Universitätsar-chive zu geben. Vor dem Hintergrund einer ähnlichen Publikati-on des Jahres 1979 ist verständlich, dass die in vier Abschnitteeingeteilten dreizehn Beiträge einen Schwerpunkt bei aktuellen

Themen setzen. Ein europäischer Archivar kann aus dieserPublikation jedoch mehr Gewinn als nur eine Orientierungdarüber ziehen, was Kollegen in den USA als ihre gegenwärtigenHerausforderungen ansehen. Zu den grundlegenden Auskünftengehört etwa, dass die an Colleges und Universitäten arbeitendenArchivare die größte Gruppe innerhalb der SAA stellen, dass ihreArchive gewöhnlich in enger Verbindung mit Bibliothekenarbeiten und dass sie die Aufgabe der Überlieferungsbildungweiter fassen als viele deutsche Kollegen.Der erste Abschnitt ist mit seinem programmatischen Titel„Redefining the Role of College and University Archives“ vorallem den Auswirkungen der Informationstechnologie gewidmet.Einmal mehr wird in den Beiträgen von „Nicholas C. Burckel,Helen R. Tibbo und Robert P. Spindler“ das Bild eines Archivarsgezeichnet, der extrovertiert ist, auf potenzielle Unterstützer undZielgruppen zugeht, die Veränderungsprozesse der Gegenwartaufgreift und sich an der Einführung von Dokumentenmanage-mentsystemen beteiligt. Der elektronischen Aktenführung gilt dieAufmerksamkeit zu einem wesentlichen Teil, daneben erscheintals ein für deutsche Universitätsarchive eher ungewöhnlichesArbeitsfeld der Umgang mit elektronischen Publikationen(Spindler). Natürlich wird in diesem Abschnitt auf den Gebrauchdes Erschließungsstandards Encoded Archival Description(EAD) sowie die Online-Präsentation von Findmitteln undArchivgut eingegangen. Auch die digitale Langzeitarchivierungwird zum Arbeitsprogramm der Archive von Colleges undUniversitäten gerechnet (v. a. Tibbo, The Impact of InformationTechnology on Academic Archives in the Twenty-first Century).Teilaufgaben digitaler Langzeitarchivierung werden aufgefächert.Die Beiträge des Abschnitts sind programmatisch gehalten, undsie benennen eher Aufgabenstellungen und Problemfelder, alsdass sie von Best-Practice-Beispielen oder der Durchsetzung vonStandards berichten. Es entsteht somit der Eindruck, dass sichauch die US-amerikanischen College- und Universitätsarchivehinsichtlich der Informations- und Kommunikationstechnik ineiner Phase der Aneignung befinden.Besonders anregend und informativ ist der Abschnitt zur Überlie-ferungsbildung (Capturing Campus Histories). Hier schlägt sicheine dokumentarische Ausrichtung nieder, die mehr als nur jenesMaterial erfasst, das durch Aktenanbietungen und traditionelleSammlungstätigkeit in den Blick des Archivars gerät. Ellen D.Swain beschreibt ein Oral-History-Projekt zur Dokumentationstudentischer Lebensbedingungen. Sie gibt dabei praktischeHilfen zur rechtssicheren Abfassung von Interviewvereinbarun-gen und geht auf die Möglichkeiten digitaler Aufzeichnung undPublikation von Interviews ein. Sehr interessant ist ihr Erfah-rungsbericht zu den positiven Nebenresultaten des Projekts, diein einem erhöhten Bekanntheitsgrad des Archivs und auch inÜbernahmen von Archivgut bestehen. Kathryn M. Neal verfolgteinen Ansatz der gezielten Überlieferungsbildung zu als unterre-präsentiert angesehenen Teilen der Gesellschaft, nicht zuletztethnischen Gruppen. Ziel ist es, die Diversität (diversity) derGesellschaft angemessen abzubilden und dabei Überlieferungs-defizite zu verhindern oder auszugleichen, die aus der Benachtei-ligung einzelner Gruppen entstanden sind. Das Projekt ist ausdem multiethnischen Charakter der US-amerikanischen Gesell-schaft und vor dem Hintergrund ihrer Emanzipationsprozesseverständlich. Für ein deutsches Fachpublikum gibt die Lektüreneben der Anregung durch den eigentlichen Gegenstand auchGelegenheit, über die Chancen und Risiken inhaltsbezogener

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Bewertungsansätze zu reflektieren. Eine Gemeinschaftsarbeit vonTom Hyry, Diane Kaplan und Christine Weideman widmet sichder Bewertung von Unterlagen, die bei den Lehrenden entstehen(faculty papers) und damit jenem Bereich, der in deutschenHochschularchiven zumeist in der Kategorie der Nachlässe er -scheint. Die Autoren stellen – nicht ohne kritische Tendenz – denUmgang mit einem Konzept zur Nachlassbewertung vor, das vonWirtschaftsarchivaren übernommen wurde (Minnesota Method).Der in Auseinandersetzung mit dem Konzept entwickelte Haupt-grundsatz, vor einer Besichtigung angebotenen Schriftgutszunächst einmal zu beurteilen, ob das Wirken des Erzeugers denfür eine Übernahme gesetzten Bedingungen entspricht, gehtparallel mit den Empfehlungen zur Nachlassbewertung im jüngstvon deutschen Archivaren entwickelten „Dokumentationsprofilfür Archive wissenschaftlicher Hochschulen“.1

Der Abschnitt „Managing Efficient Programs“ fasst drei Beiträgezur systematischen Gestaltung des Archivbetriebs zusammen.Während zwei davon mit Erschließung und Dokumentenmana-gement geläufige Segmentierungen betreffen, ist der Beitrag„Perspectives on Outreach at College and University Archives“von Tamar G. Chute nicht ganz so einfach mit einem hiesigenPendant in Deckung zu bringen. Abweichend zumindest vomlandläufigen Begriff der Öffentlichkeitsarbeit umfasst das Kon-zept von „outreach“ auch die in individualisiertem Service odergezielter Ansprache (z. B. Webpräsentationen oder Beteiligung anLehrveranstaltungen) bestehende Hinwendung zu Gruppen, diedem Archiv nutzen können, seien dies nun Studierende oder dienichtarchivische Führungsebene. Zusätzlich zur Übersicht derHandlungsmöglichkeiten versucht der Beitrag Leitlinien für eineressourcen- und bedürfnisorientierte Konzeption der erweitertenÖffentlichkeitsarbeit zu geben. Die von Christopher J. Prom ver -fasste Studie zur Erschließungssituation in College- und Univer-sitätsarchiven liefert mit dem Befund, dass größere Archive effi -zienter erschließen können als kleine, zwar keine Überraschung,gleichwohl aber interessante Informationen. So wird deut lich,dass sich die Erstellung von Findmitteln nach den Strukturstan-dards MARC und EAD aufgrund des hiermit ver bundenen Auf -wands bislang nur mäßig hat durchsetzen können, nicht zuletztweil in kleineren Archiven Kapazitäten fehlen. Der Befund wirftein Schlaglicht auf die Tatsache, dass der technologische Fort-schritt in den kleinen und kleinsten Einheiten des Archivwesensnicht unbedingt eine Effizienzrendite zeitigt, sondern schlichteinen höheren Personalaufwand erfordert – und damit zuweilenblockiert ist. Wesentliche Ergebnisse Proms sind sein Plädoyerfür eine im Einzelfall wohlüberlegte Einstellung der Erschlie -ßungs tiefe und die Entwicklung von Vorgehensweisen, die „Ein -zel kämpfern“ helfen können. Unter dem Titel „Reframing Re-cords Management in Colleges and Universities stellt Nancy M.Kunde“ ihr Thema als Gebiet vor, in dem sich das Archiv als einfür die Erlangung von Zielen seines Trägers wichtiger Dienstlei-ster sicht bar machen kann. Dabei wird einerseits deutlich, dassdie Beteiligung von Archivaren an der Organisation von Verwal-tungsunterlagen der amerikanischen Colleges und Universitätendurchaus geläufig, dass aber die häufige Anbindung an dieBibliothek als ein potenzielles Hindernis dieser Querschnittfunk-tion gesehen wird. Natürlich wird auch hier die Einführungelektronischer Medien als ein Anlass gesehen, der eine frühzeitigeBeteiligung des Archivars erfordert. Neben der allgemeinenBeratungskompetenz des Archivs in Sachen Schriftgutverwaltungwird hier auch der langfristige Erhalt digitaler Unterlagen als

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Möglichkeit zur Profilierung genannt. Ein Hauptaugenmerk liegtaber auf der Positionierung des Managements papiergebundenerwie elektronischer Unterlagen in der Führungsstruktur derUniversität. Kunde schlägt vor, sich um eine hochrangige Beteili-gung an dem Thema, etwa in Gestalt des Chief InformationOfficers, zu bemühen und durch Bildung einer Arbeitsgruppeeine breitere Abstimmung zu erreichen. Der letzte Abschnitt gilt dem Zugang zu Archivgut. Zwei von TimPyatt und Kenneth D. Crews stammende Beiträge handeln vonden US-amerikanischen Rechtsgrundlagen der Archivbenutzung,wobei zwischen personenbezogenen Daten (Pyatt) und derThematik des „Copyrights“ (Crews) unterschieden wird. DieArbeit von Pyatt ist eine eindrucksvolle Schilderung der Situati-on ohne Archivgesetze, in der sich Archivare nach allgemeinerenRechtsnormen für verschiedene Arten von personenbezogenenInformationen zu richten haben. Crews zunächst führt in dieThematik des Copyrights ein, um dann Fragen der Nutzung zuerörtern. Beide Autoren streben nach einer sorgfältigen Balancezwischen den Rechten der Betroffenen und der Nutzer, wobei dasInteresse an einer Benutzung des Archivguts den Antrieb liefert.Es fällt auf, dass bei personenbezogenen Unterlagen in Betrachtgezogen wird, Benutzern den Zugang zu eröffnen, wenn diese dieVerantwortung für eine rechtmäßige Verwendung der Datenübernehmen und den Archivträger von der Haftung freistellen.Für vom Copyright betroffenes Material wird nach Wegen ge-sucht, die Nutzung ohne vorherige Zustimmung des Autors zueröffnen. Eine zentrale Rolle spielt hier der Begriff des „fair use“,einer auf den Einzelfall abgestellten Nutzung, die begründete,auch gerade wirtschaftliche Interessen des Copyrightinhabersberücksichtigt.Richard V. Szary lotet aus, welchen Einfluss die konsistenteStrukturierung und die Online-Präsentation von archivischenFindmitteln haben, wie sie unter Verwendung des StandardsEncoded Archival Description (EAD) erfolgen (Encoded FindingAids as a Transforming Technology in Archival Reference Service).Neben der archivübergreifenden Vereinheitlichung von Findmit-teln nennt er als einen wesentlichen Aspekt die durch Einfüh -rung der Volltextrecherche bedingte Auflösung des traditionellen,hierarchischen Rechercheweges von der Beständeübersicht zumFindmittel für einzelne Bestände. Seine Prognose begründet dieForderung, einander über- und untergeordnete Findmittel zueinem konsistenten Ganzen zu verknüpfen, das unterschiedlicheRechercherichtungen unterstützt. Eine Online-Präsentation derFindmittel könne Archivare zwar von einem Teil des Beratungs-aufwandes für einzelne Benutzungen entlasten, erfordere aberInvestitionen in die Vermittlung zusätzlicher Kompetenz an Be -nutzer. Diese würden nun verstärkt bei ihren außerhalb desArchivs begonnenen Recherchen mit Nachweisen einzelnerArchivalien konfrontiert, womit der Anteil der Benutzer ohneadäquate Kompetenz zunehme. In dieser Situation würde einbesonderer Aufwand nötig, um die verfügbaren Informationenverständlich zu machen. Der letzte Beitrag von Elisabeth Yakelbefasst sich mit den unterschiedlichen und nicht immer realisti-schen Erwartungen von Benutzern. In Fallbeispielen beschreibtYakel, wie Archive durch die verständnisvolle Auseinandersetzungmit Studierenden oder familien- und lokalgeschichtlich Interes-

1 Thomas Becker u. a.: Dokumentationsprofil für Archive wissenschaftlicherHochschulen. Eine Handreichung. Saarbrücken 2009.

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LITERATURBERICHTE

sierten neue Nutzer gewinnen könnten. Der Beitrag fällt vorallem durch seine konsequent nutzerfreundliche Grundhaltungauf, die auch an anderen Beiträgen dieses Bandes abzulesen ist.Es ist beeindruckend, welche Anspruchshöhe von den ArchivarenUS-amerikanischer Colleges und Universitäten vorgetragen wird.Dies gilt besonders für die Reflexion der eigenen Rolle innerhalbder Trägerinstitution, das Streben nach erhöhter Nutzung, besse-rer Unterstützung und stärkerer Beteiligung am akademischenLeben. Auch wenn dies mittlerweile als selbstverständlich er-scheinen mag, ist doch hervorzuheben, dass die vollständigeIntegration der mit den neuen Informationstechnologien erwach-senen Herausforderungen in den archivischen Aufgabenkanon alsProgramm einer Archivsparte vorgetragen wird, in der dies auf -grund der zumeist sehr knappen Ressourcen besonders schwierigist. Kaum erwähnt wird allerdings das Thema der Bestandserhal-tung. Sofern dies einer ähnlichen Mangelsituation geschuldet ist,wie sie an deutschen Hochschularchiven besteht, wäre dies alsDefizit bei der Zusammenstellung der Beiträge zu vermelden.Insgesamt aber ist dieser Band eine lohnende Lektüre auch füreuropäische Kollegen. Insbesondere Archivare von Hochschulenund Universitäten können hier Anregungen sowohl zu Teilenihres Aufgabenfeldes wie auch Anstöße zu einer umfassenderenReflexion ihrer Rolle und zur Gewichtung ihrer Aktivitäten imstets knappen Zeitbudget erhalten.

Klaus Nippert, Karlsruhe

DEUTSCHE SCHRIFTKUNDE DER NEUZEITEin Übungsbuch mit Beispielen aus bayerischen Archiven. Bearb. von Elisabeth Noichl und ChristaSchmeißer. Generaldirektion der Staatlichen ArchiveBayerns, München 2006. 160 S., 65 Abb., geb. 10,- €.ISBN 3-921634-94-2 (Sonderveröffentlichungen derStaatlichen Archive Bayerns Nr. 5)

Obwohl die institutionelle Situation der Historischen Hilfswis-senschaften unverändert zu langfristiger Sorge Anlass gibt und,damit zusammenhängend, für die methodische Weiterentwick-lung dieser Fächergruppe kaum eine Perspektive besteht, ist dasAufkommen an Neuerscheinungen beachtlich. Dabei wachsenoffenbar Bewusstsein und Bereitschaft unter den archivarischenFachkollegen, in der Pflege des methodischen Rüstzeugs zurInterpretation der ja nicht zum Selbstzweck in den Magazinenverwahrten Archivalien soweit möglich eine Lücke schließen zumüssen. Die Historischen Hilfswissenschaften weisen unverän-dert große Desiderate für die Hauptmasse der neuzeitlichenArchivalien auf, denkt man etwa an den vielfältigen Bereich deraudiovisuellen Unterlagen; von den immer stärker als bedeutsamund überlieferungswert erkannten Zeugnissen aus der elektro-nisch-digitalen Informationswelt ganz zu schweigen. Selbst inanerkannten Kerndisziplinen wie der Aktenkunde und derSchriftkunde fehlen Untersuchungen und Darstellungen zu denQuellenzeugnissen der Moderne. Dies gilt insbesondere für denumfangreichen Bereich der Geschäftsschriften der Neuzeit.Umso verdienstvoller ist das vorliegende Übungsbuch, hervorge-gangen aus dem Lehrmaterial der Bayerischen Archivschule für

den mittleren Archivdienst, das in überwiegend hervorragenderAbbildungsqualität und in nicht allzu starker Verkleinerung alsBeispielsammlung Aktenschriftstücke aus den Jahren 1608 bis1940 zusammenstellt. Die ausgewählten Schriftstücke decken denZeitrahmen sehr ausgeglichen ab. Jeder Abbildung ist eine Trans-kription im Sinne einer zeilengenauen paläographischen Ab-schrift mit einem inhaltsangebenden Kopfregest, einer akten-kundlichen Einstufung und der Archivaliensignatur gegenüber-gestellt. Die paläographische Wiedergabe hat sich dabei – wiestets – nicht eindeutig unterscheidbaren Befunden v. a. in derGroß- und Klein- wie der Zusammen- und Getrenntschreibungder Vorlage zu stellen.Die 65 Beispiele betreffen – von der üblichen Verwendung vonAntiquabuchstaben zu Auszeichnungszwecken abgesehen –ausschließlich Schriften der gotisch-deutschen Kursive und dabeiganz überwiegend Reinschriften. Die Beispiele sind typischgewählt, so dass sich ihre Zusammenstellung als Übungsbuch fürArchivbenutzer ausgezeichnet bewähren wird. Die Kennzeich-nung des jeweiligen Beispiels im Zusammenhang des Kopfregestserfolgt allerdings nur nach groben aktenkundlichen Kriterien(„Reinschrift“, „Kopie“, „Amtsbuch“, „Konzept“); eine schriftge-schichtliche Bestimmung, die den Stand der jeweiligen Schriftartund ihrer Anwendungsform im Zusammenhang der Schriftent-wicklung deutlich machen könnte, fehlt leider – ein gewisserKontrast zum Titel des Buches.Ein Gesamtverzeichnis der 65 Schrifttafeln stellt Datierung undProvenienz zusammen. Eine zusätzliche Inhaltsangabe hätte deminteressierten Leser auch eine thematische Übersicht ermöglichenkönnen, zumal die Beispiele gerade auch wegen ihres Inhalts dasInteresse der breiteren Leserschaft durchaus verdienen undwecken dürften, denkt man beispielsweise an den Polizeiberichtvon 1797 über verbotenes Glücksspiel in einem Münchner Kaffee-haus (Nr. 39), die amtliche Festlegung der Schreibweise desNamens Bayern von 1825 (Nr. 49) oder an die Korrespondenz mitdem bekannten Heraldikers Otto Hupp aus den Jahren 1930 und1940 (Nrn. 64 und 65). Drei weitere Zusammenstellungen bietennicht unerhebliche Hilfsmittel: ein Verzeichnis der in Bayernüblichen Abkürzungen und Fachausdrücke in der Kanzleisprachedes 17. bis 20. Jahrhunderts (6 Seiten), eine Kurzzusammenstel-lung der Abkürzungen von Maß- und Münzeinheiten und einVerzeichnis grundlegender Literatur (3 Seiten), das sich auf diegängigen Lehrbücher, Lexika und Einführungen bezieht unddaher leider gerade die zumeist in Aufsatzform publizierteLiteratur zur Entwicklung der Schrift in der Neuzeit vermissenlässt.Dem Band ist eine Einführung zur Schriftgeschichte vorange-stellt, die Grundlagen des Schreibens, der Schriftentwicklungund des Entzifferns zusammenstellt. Dass unter den Beschreib-stoffen Wachstafeln und Papyrus aufgenommen sind und dieDarstellung der Schriftentwicklung zur Hälfte den Schriftartenvon der römischen Kapitale bis zum Ende des Mittelalters, alsoaußerhalb des dann folgenden Beispielkorpus, gewidmet ist, magder Vollständigkeit des Überblicks geschuldet sein. Ein deutliche-rer und konkreterer Bezug auf die Entwicklung im eigentlichenUntersuchungszeitraum wäre für den Nutzer sicher hilfreicher –eine zugegebenermaßen angesichts des Forschungsstandes nichtleichte Aufgabe. Nützlich für den Einstieg in der Beschäftigungmit den Schriftquellen sind dagegen Hinweise und Lesehilfen zurVerwendung von Groß- und Kleinbuchstaben, zu Abkürzungen,besonderen Zeichen und Zahlen.

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Die verdienstvolle Zusammenstellung und Kommentierung derausgewählten Schriftbeispiele wird Heimat- und Familienfor-schern wie Lernenden auf dem Gebiet der Geschichte beim Zu -gang zu den historischen Quellen gute Dienste leisten. Aber aucheinem Übungsbuch darf man einen stärkeren methodisch-didak -tischen Einführungsteil wünschen.

Lorenz Friedrich Beck, Potsdam

ANTJE DIENER-STAECKLING, DER HIMMEL ÜBERDEM RAT Zur Symbolik der Ratswahl in mitteldeutschen Städ-ten. mdv Mitteldeutscher Verlag, Halle 2008. 256 S.,geb. 44,- €. ISBN 978-3-89812-477-5 (Studien zurLandesgeschichte 19)

Auf eine knappe Einleitung (S. 9-24), die die Vorgehensweise desBuches schildert und die ausgewerteten Quellen charakterisiert,folgen im ersten Hauptteil auf den Seiten 27-168 zwölf Fallstudi-en zu einzelnen Städten. Schon die Zwölfzahl der untersuchtenStädte ist ein Hinweis auf die vielfach in den darstellenden Teilenzu konstatierenden symbolisch aufgeladenen Phänomene. Beiden Städten handelt es sich um Mühlhausen, Nordhausen,Goslar, Erfurt, Naumburg an der Saale, Leipzig, Halberstadt,Aschersleben, Quedlinburg, Zerbst, Wittenberg und Weimar.Ausschlaggebend für die Auswahl der Städte war neben der geo -graphischen Lage eine aussagekräftige Quellengrundlage. Dane-ben sollte die territoriale und herrschaftliche Einbindung derStädte und die Auswirkung derselben auf ihre jeweiligen Verfas-sungen berücksichtigt werden, sodass zwischen Reichsstädten(Mühlhausen, Nordhausen und Goslar), „freien“ Städten (Erfurt,Naumburg und Leipzig) und Territorialstädten (Halberstadt,Aschersleben, Quedlinburg, Zerbst, Wittenberg und Weimar)unterschieden werden kann. Für den die ganze Arbeit durchzie-henden Aspekt der religiösen Legitimation weltlicher Herrschaftist zudem die Unterscheidung von weltlichen und geistlichenStadtherren von Bedeutung.Der Verzicht auf eine künstliche Epochengrenze zwischen Mittel-alter und früher Neuzeit zeichnet das Buch, das sich nicht alsdezidierten Beitrag zur mitteldeutschen Landesgeschichte ver-steht, ebenso aus wie die Berücksichtigung neuer Forschungen zuRaum und Ritual; insbesondere sind die Forschungen vonDietrich W. Poeck1 als Vorbild zu erwähnen. Die Studie bedientsich zudem behutsam aus dem soziologischen Theorieangebot,insbesondere bei Niklas Luhmann.Die verwendeten Quellen beschränken sich nicht auf Urkunden,Amtsbücher und Chroniken; auch Sachzeugnisse, die zur Aus-stattung von Rathäusern und Kirchen dienten, werden herange-zogen und überzeugend neu interpretiert. Eine besondere Her-vorhebung verdient hier die in einigen Städten bezeugte Rats-wahlmusik, die z. B. für die Stadt Leipzig kein geringerer alsJohann Sebastian Bach komponierte.Die den einzelnen Städten gewidmeten Studien im ersten Haupt-teil der Arbeit stellen überblicksartig die jeweilige Stadtverfas-sung dar, insbesondere wird die Entstehung des Rates vorgestellt;da nicht zuletzt aus Platzgründen auf eine allgemeine Darstel-lung der jeweiligen Stadtgeschichte verzichtet werden musste,

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können die Studien nicht als Handbuch der mitteldeutschenStadtgeschichte benutzt werden; vielmehr setzen sie diese Kennt-nisse beim Leser voraus.Besonderes Augenmerk wird auf die genaue Beschreibung derWahlzeremonie im weiteren Sinne gelegt. Ein Verdienst dervorliegenden Arbeit besteht darin, die für sich genommen un-spektakulären Einzelphänomene gesichtet und in einen denursprünglichen Sinn rekonstruierenden Zusammenhang gebrachtzu haben. Der Fortschritt gegenüber den älteren, meist aus dem19. Jahrhundert stammenden Darstellungen besteht einerseits inder Berücksichtigung des Raumes, da die Untersuchung derräumlichen Verteilung, insbesondere von Rathaus und Kirchenund den dazwischen sich abspielenden Prozessionen, vielfältigeEinblicke in das Selbstverständnis der an den Wahlen beteiligtenWähler und der (viel zahlreicheren) Zuschauer ermöglicht.Andererseits in dem Nachweis, dass es sich bei den oft beobach-teten und selten verstandenen Gebräuchen (sprich: Ritualen)nicht um leere Formeln handelt, sondern um ein entschlüsselba-res und erschließenswertes Phänomen, das weitreichende Aussa-gen über die vormoderne Stadt erlaubt.Der zweite Hauptteil systematisiert die verschiedenen Beobach-tungen aus den Detailstudien. Dabei werden so unterschiedlichePhänomene wie die Auswahl der verschiedenen Termine für dieEreigniskette der Ratswahl, die eingesetzten Wahlverfahren unddie schwer zu rekonstruierende Ausstattung von Rathäusern undKirchen thematisiert. Ein besonderes Gewicht erhält das Kapitelüber die Auswirkungen der Reformation auf die Ratswahl, da diegrundlegende Umwertung und Veränderung der Welt durch dieReformation nicht die Ratswahl und ihre Rituale als Ganzesaußer Kraft setzte, sondern sich dieses Instrumentes flexibel undmit veränderter Interpretation von einzelnen Aspekte bedienenkonnte.Durch die äußerst unpraktische Verwendung von Endnotenanstelle der gebräuchlichen Fußnoten verhindert der Verlag diewissenschaftliche Benutzbarkeit des Buches in hohem Maße, dadie erfreulich dicht belegten Argumente nur durch umständlichesBlättern mit den zugrunde liegenden Quellen verglichen werdenkönnen; dadurch wird die Möglichkeit der Auseinandersetzungmit den zahlreichen interessanten Ergebnissen der Arbeit er-schwert.Die zahlreichen Abbildungen des Bandes liegen – mit Ausnahmedes farbigen Titelbildes – leider nur schwarz-weiß vor, doch gebensie einen genügenden Einblick in die Thematik und könnenmehrfach als Quelle und nicht bloß als reine Illustration dienen.An der Auswahl der Karten ist hingegen zu bemängeln, dassjeweils nur Teile der Städte gezeigt werden, zudem noch ohneMaßstab! So werden nur die jeweiligen Ensembles von Rathäu-sern und Kirchen oder Kapellen deutlich, die Verortung in derStadt kann nicht nachvollzogen werden.Aus Sicht des Archivars bleibt an dieser innovativen Arbeithervorzuheben, dass sie gezeigt hat, dass auch ein so vermeint-lich gut erforschtes Thema wie die Stadtgeschichte von intensiverQuellenarbeit und der Heranziehung nicht oder unzureichendausgewerteter Archivalien profitieren kann.

Tobias Crabus, Greven

1 Dietrich W. Poeck, Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Rats-setzung in Europa (12.-18. Jahrhundert) (Städteforschung Reihe A 60), Köln,Wien, Weimar 2003.

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LITERATURBERICHTE

GERHARD SCHMID. ARCHIVAR VON PROFESSION Wortmeldungen aus fünfzig Berufsjahren. Hrsg. vonFriedrich Beck. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin2008. 602 S. 56,- €. ISBN 978-3-86650-643-5 (Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Pots-dam, Bd. 11)

Die Publikation erschien aus Anlass des 80. Geburtstages, denGerhard Schmid 2008 begehen konnte. Den Herausgebern istsehr zu danken, dass sie diese hoch verdiente Würdigung deraußerordentlichen Lebensleistung des Jubilars ermöglicht haben.In der biografischen Einführung zeichnet Friedrich Beck ein an -schauliches, die Persönlichkeit Gerhard Schmids und die dienstli-chen und politischen Umstände seines Wirkens in der DDR undim vereinten Deutschland treffend erfassendes Lebensbild undnennt die wichtigsten Etappen seiner beruflichen und wissen-schaftlichen Tätigkeit: Ein Leben als Archivar: 17 Jahre im Deut-schen Zentralarchiv Potsdam und 23 Jahre im Goethe- undSchiller-Archiv Weimar, nach der Wende als dessen Direktor; im„Ruhestand“ die überaus produktive Zeit seiner Tätigkeit als„freischaffender“ Wissenschaftler; „nebenbei“ – seine beruflicheArbeit begleitend und befruchtend – Hochschullehrer der Histo-rischen Hilfswissenschaften mit dem Spezialgebiet der Quellen-/Aktenkunde (vgl. auch das Curriculum vitae, S. 591 f.).Diese wenigen Stichworte bieten den biografischen Rahmen fürGerhard Schmids vielseitiges Lebenswerk, das der vorliegendeBand in wichtigen Teilen dokumentiert und auf das er verweist:Arbeiten zur Aktenkunde, Quellenkunde, Edition; Archivtheorieund Archivpraxis; Literaturwesen, Literaturwissenschaft; Archiv-und Wissenschaftsgeschichte der DDR (vgl. auch das 86 Titelumfassende Schriftenverzeichnis, S. 593 ff.). Die publiziertenArbeiten zeugen von Gerhard Schmids besonderer Begabung, dieEinheit von Theorie und Praxis zu wahren und deren Wechsel-wirkung zum Vorteil beider Bereiche zu beachten. So waren z. B.die Ordnung und Verzeichnung von Archivgut für ihn nie nur„technische“ Tätigkeiten, die es „irgendwie“ zu erledigen galt,sondern rationell und grundsätzlich durchdacht zu realisierende,inhaltlich verbundene Arbeitsgänge. Andererseits strebte er stetsdie Verallgemeinerung und wissenschaftliche Darstellung der ausdieser Arbeitspraxis erworbenen Erkenntnisse zum Nutzen deseigenen Archivs und darüber hinaus an. Hierbei zeichnete ihn diewichtige – und seltene – Fähigkeit aus, eine systematische, theore-tisch fundierte und auf die größeren Zusammenhänge orientierteDenk- und Handlungsweise mit der akribischen Beachtung allernotwendigen Einzelheiten zu verbinden. Schmids in diesem Sinne aus der Praxis eines Staats- und einesLiteraturarchivs resultierende Arbeiten nehmen einen großenRaum ein. Hingewiesen sei auf seine wesentlichen Beiträge zurBewertung, Erschließung und Auswertung staatlichen undnichtstaatlichen Archivgutes, beginnend in den 1950er/1960erJahren, u. a. auch im Rahmen seiner maßgeblichen Mitarbeit anden „Ordnungs- und Verzeichnungsgrundsätzen für die staatli-chen Archive der DDR“, und in der Folgezeit fortgesetzt vorwie-gend für die Belange der Literaturarchive.1 Gerhard Schmid bliebim Übrigen bei der archivarischen Arbeit im engeren Sinne niestehen. Seine Vorstellung vom qualifizierten Archivar war immermit der Überzeugung verbunden, dieser müsse, „um der For-schung mit seiner Arbeit dienen zu können, selbst auch in derForschung stehen [und] ihre Interessen und Probleme aus eigenerErfahrung kennen“ (S. 141). Er ist für sich dieser Forderung in

hohem Maße nachgekommen. Dies belegen einschlägige Aufsätzeund anspruchsvolle Editionsvorhaben, wie sie ihm z. B. mit derFaksimileausgabe von Georg Büchners „Woyzeck“ (1981) und –zusammen mit Irmtraut Schmid – mit der Publikation undaufwändigen Kommentierung der „Amtlichen Schriften“ Goe-thes (1999) gelungen sind.Gerhard Schmid war und ist ein politisch denkender Mensch mitwachem Interesse an den über das Archiv hinausgehendengrößeren Zusammenhängen seines gesellschaftlichen Umfeldes.Als Vorsitzender des im Frühjahr 1990 gebildeten Verbandes derArchivare der DDR prägte er dessen kurzzeitiges Wirken undleistete seinen engagierten Beitrag zur Zusammenführung derArchivare aus Ost und West in der dann gemeinsamen Bundesre-publik. Ende 1990 veröffentlichte er im „Archivar“ die zu Rechtviel zitierten „Prolegomena zur Archivgeschichte der DDR“, dieer als „Wortmeldung zur Einheit im deutschen Archivwesen“verstanden wissen wollte (S. 543-564). Er hat hierbei so sachlich,wie es Betroffenen nur irgend möglich war, Leistung und Versa-gen, systembedingte Faktoren und subjektive Aspekte, die zumTeil schwierige Verknüpfung der „Täter-Opfer-Probleme“ usw.dargestellt, immer in der gelungenen Absicht, die alte Schwarz-Weiß-Malerei nicht durch eine neue zu ersetzen (vgl. auch seinenAufsatz: Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassi-schen deutschen Literatur in Weimar. Gewinn und Verlust von 35Jahren „Erbepflege“ in der DDR S. 567- 580). Zur „Aufarbeitung“der Vergangenheit muss noch manches getan werden; aber auchhier hat Gerhard Schmid wichtige Denkanstöße und weiter-führende Anregungen gegeben.

Hermann Schreyer, Potsdam

1 Vgl. G. Schmid (Hrsg.): Bestandserschließung im Literaturarchiv. Arbeits-grundsätze des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar. K.G. Saur, München,New Providence, London, Paris 1996. 277 S. (Literatur und Archiv, Bd. 7).

ANDREAS HANSLOK, MUSEOLOGIE UND ARCHIV -WISSENSCHAFT IN DER DDRAbgrenzung und Annäherung zweier Nachbarwissen-schaften. Tectum Verlag, Marburg 2008. 206 S., 9 Abb.,Paperback. 24,90 €. ISBN 978-3-8288-9581-2

Der vorliegende Band von Andreas Hanslok greift ein Thema auf,das bislang von der Forschung weitgehend unberücksichtigtgeblieben ist. Das Museums- und Archivwesen der DDR besitztjedoch einen besonderen Reiz, da hier theoretische Diskursegeführt wurden, die in der BRD so nicht stattgefunden haben.Darauf weist auch der Autor in der Einleitung dezidiert hin.Vorab gebührt ihm bereits deshalb Dank, weil er sich demGegenstand seiner Untersuchung mit akribischer Genauigkeitwidmet und sich vor allem das Ziel setzt, eine Annäherungzwischen Museologie und Archivwissenschaft durch die gründli-che Aufarbeitung der jeweiligen Wissenschaftsgeschichte zuermöglichen (S. 12). Er deutet damit die Schnittstellen undSynergieeffekte der beiden Disziplinen an, die auch gegenwärtigimmer größere Bedeutung gewinnen.

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Zunächst bietet der Autor einen kurzen aber informativen histori-schen Rückblick zum Museums- und Archivwesen generell. Inden folgenden Kapiteln geht er auf die ideologische Prägung derMuseologie und Archivwissenschaft zu DDR-Zeiten ein. Unterdem Aspekt der Abgrenzungsdebatte benennt und erläutertHanslok Schlagwörter wie die zeitgeschichtliche Sammlung alsAbgrenzungskriterium und erwähnt nicht zuletzt die Kontrover-sen zwischen Klaus Schreiner und Zbynek Stránský, dem Begrün-der der wissenschaftlichen Museologie. Zum einen löst Hanslokden Anspruch ein, die unterschiedlichen Positionen zur Archiv-wissenschaft und Museologie seit den 1950er Jahren in der DDReingehend zu beschreiben. Anhand von Forschungsbeiträgen, dieauszugsweise im Textanhang nachzulesen sind, skizziert er dieThesendiskussion und Kontroversen einer DDR-internen Debat-te. Zum anderen hebt er aber auch den gesellschaftlichen Theo-rie- und Methodendiskurs von zwei Arbeitsfeldern hervor, dienicht nur in Abgrenzung zueinander, sondern auch in Verbin-dung miteinander betrachtet werden müssen. Andreas Hanslokagiert auf dieser Ebene als Archivar und Historiker, d. h. ernimmt die Innenperspektive aber auch die Außenperspektive, d.h. die Nutzersicht, bei seiner Betrachtung ein. Er beleuchtet dabeiwesentliche Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse, die imDetail einen neuen Blick auf diesen Bereich der DDR-Geschichteermöglichen. Schwerpunkt dieses Bandes ist jedoch die Hervorhebung der Ver -bindung von zwei Arbeitsfeldern, die auch aktuell vor neuenHerausforderungen stehen. Insbesondere bei ihren Ausstellungs-aktivitäten können Archive von Museen profitieren. D. h. Archivesollten nicht nur Handlanger, sondern Akteure im Bereich derHistorischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit sein, die beideBerufsfelder gleichermaßen betrifft. Hanslok verweist deshalbauch auf die Entstehung der Berufsgruppe Museumsarchivar inden USA, die letztlich „das Ergebnis einer disziplinübergreifen-den Verständigung zwischen Museologen und Archivwissen-schaftlern“ war (S. 138). Besonders hervorzuheben ist in diesemZusammenhang das Kapitel „Archive und Museen – NeueNutzungsanforderungen und die Folgen“. Hanslok erwähnterfolgreiche Beispiele für den Zusammenschluss von Archivenund Museen wie das Haus der Geschichte in Bochum. In denNiederlanden ist die Praxis von historischen Zentren vorbildlichhinsichtlich der Nutzung von Synergieeffekten. Der Autor gehtjedoch noch weiter, indem er hinsichtlich der Ausbildung überdie integrative Verknüpfung der Studiengänge Archiv, Bibliothekund Dokumentation im Fachbereich Informationswissenschaftender FH Potsdam hinaus die Einrichtung eines zusätzlichenStudiengangs Museum bzw. zumindest Kooperationsbeziehungenmit den einschlägigen Ausbildungseinrichtungen im Museums-wesen in Berlin und Leipzig anregt (S. 147). Ein interessanterGedanke, dem zu gegebener Zeit noch einmal nachzugehen wäre. Insgesamt verbindet Hanslok in seinem Band die Theoriediskus-sion zur DDR-Zeit mit den aktuellen Erfordernissen unserer Zeit.Er tut dies fachkundig, indem er unter angemessener Berücksich-tigung der ideologischen Prägung eines marxistisch-leninisti-schen Geschichtsbildes realistische Ansätze der Kooperation vonArchiven und Museen in den Vordergrund rückt. Dass dasGeschichtsmuseum in der DDR vorrangig der Auftragserfüllungdes von der SED geprägten Geschichtsbildes diente, ist ebensounumstritten wie die strukturellen Ähnlichkeiten der Institutio-nen in den Museen, Archiven und Bibliotheken als Dokumentati-onszentren (S. 86 f.). Der verstärkte Aufbau zeitgeschichtlicher

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Sammlungen in den Archiven führte in der DDR deshalb zurinhaltlichen Ausweitung des Archivgutbegriffs durch die Archiv-wissenschaft (S. 151). Und noch bevor die Historische Bildungsar-beit und Archivpädagogik in den Archiven der BRD Einzug hielt,wurden die Archivar/innen in der DDR Mitträger der histori-schen Forschung und Geschichtsvermittlung. Abgesehen von denstaatlich vorgegebenen Leitlinien ist dies angesichts der Zu-kunftsperspektive stetig wandelnder Berufsbilder und neuerTätigkeitsbereiche im Archivwesen als fortschrittlich anzusehen.Denn in der Öffentlichkeit werden Archive, auch wenn sie sichverstärkt als Erinnerungsorte profilieren, nach wie vor nicht indem Maße als Einrichtungen der Geschichtskultur anerkannt wiedas bei Museen der Fall ist. In der DDR wurden bezüglich derVerbindung von Archiven und Museen bei der Bildung vonGeschichtsbewusstsein durchaus progressivere Ansätze verfolgt.Allerdings muss einschränkend hinzugefügt werden, dass diesein der Regel nur Theorie blieben. Die unterschiedlichen verwal-tungstechnischen und rechtlichen Unterstellungsverhältnisseverhinderten eine konstruktive Kooperation und einen intensivenwissenschaftlichen Austausch der beiden Disziplinen. Mit derVeränderung der politischen Rahmenbedingungen könnten imwiedervereinigten Deutschland nun neue Kooperationsformengefunden werden. Hanslok bietet hierfür mit seinem Band eine Plattform, die esweiter zu bespielen gilt. Zu bemängeln ist lediglich die Kleinschrittigkeit der Kapitel,deren Überschriften manchmal mehr erwarten lassen. Hier wäreteilweise eine Zusammenführung einzelner Abschnitte zu größe-ren Einheiten wünschenswert gewesen. Insgesamt handelt es sichjedoch um eine Pionierleistung der Forschungen zur DDR-Geschichte, die inzwischen durch andere Publikationen ergänztwird. In diesem Zusammenhang wäre auf den Mitte April 2009öffentlich vorgestellten Band von Hermann Schreyer: „Dasstaatliche Archivwesen der DDR“ hinzuweisen. Schreyer lieferteine Überblicksdarstellung zum Auf- und Ausbau des staatlichenArchivwesens in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR,die komplementär zu der Publikation von Hanslok einen weite-ren Baustein zur angemessenen Würdigung eines bislang nochrelativ unbeachteten Themas beiträgt.

Susanne Freund, Potsdam

RAINER HOFMANN, HANS-JÖRG WIESNER,BESTANDS ERHALTUNG IN ARCHIVEN UND BIBLIO-THEKEN Beuth Verlag, Berlin 2007. III, 268 S., brosch. 48,- €.ISBN 978-3-410-16536-1

„Normung ist auch Bestandsschutz“, – so bringt Rainer Hof-mann (Bundesarchiv) als ausgewiesener Fachmann für archivi-sche Bestandserhaltung in seiner Einleitung die Zielstellung desvorliegenden Bandes auf den Punkt: „Ein genormtes Verfahren istein erprobtes Verfahren, das der Archivar oder Bibliothekar weit -gehend unbedenklich auf seine ‚Schätze‘ anwenden kann“ (S. 7).Zum 80. Jahrestag seines Bestehens hat der NormenausschussBibliotheks- und Dokumentationswesen (NABD) im DIN Deut-sches Institut für Normung e. V., wie der Vorsitzende Hans-Jörg

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LITERATURBERICHTE

Wiesner in der Einleitung erläutert, ein „Praxishandbuch zurBestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken“ vorgelegt unddamit versucht, „jenen Praktikern eine Handreichung zu geben,die sich einen Überblick über einschlägige bauliche und sicher-heitstechnische Festlegungen für Archive und über wichtige, aufdie langfristige Erhaltung von Archivgut bezogene Normenverschaffen möchten“ (S. 1).Der Band versammelt insgesamt 16 nationale und internationaleNormen, darunter die für die Alltagspraxis so wichtige DIN ISO11799 Anforderungen an die Aufbewahrung von Archiv- undBibliotheksgut und die noch zu wenig beachtete DIN ISO 11798Alterungsbeständigkeit von Schriften, Drucken und Kopien aufPapier. Die DIN 33902 Anforderungen an das Binden von Biblio-theks-, Archiv- und anderem Schriftgut bzw. Druckerzeugnissenaus Papier zum Gebrauch in Archiven und Bibliotheken bedarfdringend einer Überarbeitung, eine zeitgemäße internationaleNorm für Archivboxen und Schriftgutverpackungen (ISO/DIS16245: Boxes, file covers and other enclosures, made from cellulo-sic materials, for storage of paper and parchment documents)liegt inzwischen in einer Entwurfsfassung vor und wird in diezweite Auflage des Buches aufgenommen, die für Mai 2009angekündigt wurde.Abgedruckt sind die bei der Materialbeschaffung regelmäßigkonkurrierenden Normen DIN ISO 9706 und DIN 6738 zumAlterungsverhalten von Papier. Obgleich beide Normtexte beto-nen, dass sie „weder im Ansatz noch in der Methode vergleich-bar“ sind, bezieht das „Nationale Vorwort“ der DIN ISO 9706 inder für den Band leicht überarbeiteten Fassung nun deutlicherStellung: „Mit dem Auftrag von Archiven, Bibliotheken undMuseen wäre es nicht vereinbar, wenn bereits zum Zeitpunkt derHerstellung des Papiers für Bücher, Akten oder andere Unterlagenvon bleibendem Wert deren begrenzte Lebensdauer, und sei esauch in der Größenordnung einiger hundert Jahre, feststehenwürde“ (S. 33). Immer wieder hilfreich ist der umfassende, drei-sprachige (deutsch, englisch, französisch) Begriffskatalog derDIN 6730 Papier und Pappe – Begriffe, der mit rund fünfzigSeiten ein Fünftel des Buches ausmacht (von „absolut trocken“bis „Zwischenlage“). Eine Übersicht über die zahlreichen Nor-men zur Mikroverfilmung und Fotografie, welche die Sammlungnicht enthält, gibt eine Titelliste im Anhang.An den Anfang des Bandes, der angesichts der beträchtlichenEinzelpreise der abgedruckten Normen erfreulich günstig ist,haben die Autoren den einzigen neuen, dafür umso wichtigerenText der Sammlung gestellt, eine „Empfehlung zur Prüfung desBehandlungserfolgs von Entsäuerungsverfahren für säurehaltigeDruck- und Schreibpapiere“, die erstmals Standards, Untersu-chungstechniken und einheitliche Dokumentationsverfahrenfestlegen soll, um den Behandlungserfolg von Entsäuerungendurch nachprüfbare Messmethoden belegen zu können. Empfoh-len und definiert werden anhand von standardisierten „Test-büchern“ und „Testpapieren“ zum einen eine „Verfahrenskon-trolle“ zum Nachweis der grundsätzlichen Wirkung eines Ent-säuerungsverfahrens und zum anderen regelmäßige, wenigeraufwändige „Routinekontrollen“, um die Wirksamkeit währendder Durchführung einzelner Aufträge nachweisbar zu dokumen-tieren. Die „Testpapiere“ können von der Firma Klug-Conservati-on unter den Markennamen „NOVO 1“ und „NOVO 2“ bezogenwerden.Das doppelte Kontrollverfahren prüft die chemisch-mechanischeWirksamkeit eines Verfahrens, wie den ph-Wert, die Gleich-

mäßigkeit der Entsäuerung, die alkalische Reserve und dieBruchkraft nach Falzung. Kriterien zur Bewertung der „Neben-wirkungen“ einzelner Verfahren gibt der Text den Archiven undBibliotheken ausdrücklich nicht an die Hand. Ein Entsäuerungs-verfahren kann somit den Qualitätsanforderungen der „Empfeh-lung“ voll genügen, auch wenn es in erheblichem Maße – gemäßder dortigen Definition von „Nebenwirkungen“ – „nachteiligeVeränderungen der Optik, Haptik oder des Geruchs von Behand-lungsgut“ mit sich bringt.Trotz dieser Beschränkung und auch wenn der Empfehlungstextaus technisch-formalen Gründen nicht in den Rang einer „DIN“gelangen konnte, bietet er doch eine fachlich fundierte, metho-disch standardisierte und gut erläuterte Mess- und Kontrollanlei-tung, die vor allem durch die beauftragten Dienstleister anzu-wenden sein wird. Es liegt nun bei den Archiven und Bibliothe-ken, diesen lange geforderten Qualitätsstandard zur Richtschnurihrer Entsäuerungsmaßnahmen zu machen und die dort defi-nierten Kontrollen als verbindliche Anforderung in Ausschrei-bungen und Leistungsbeschreibungen aufzunehmen.

Mario Glauert, Potsdam

GERALD KREUCHER, DIE URKATASTERAUFNAHME INWESTFALEN Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2008.46 S., 26 farb., 1 s/w Abb., brosch. 5,- €. ISBN 978-3-932892-23-3 (Veröffentlichungen des LandesarchivsNordrhein-Westfalen 20)

„Karten im Archiv“ – ganz offensichtlich ein Thema, das Archiva-re in vielfältiger Form beschäftigt. Papritz hat der „Kartentitelauf-nahme im Archiv“ eine eigene und mehrfach aufgelegte Abhand-lung gewidmet, der 2002 eine baden-württembergische Transfer-arbeit folgte; ein Modell für die Klassifikation von Karten undPlänen wurde 2007 im „Archivar“ am Beispiel des Landeshaupt-archivs Schwerin vorgestellt; die Lagerung erfordert von denBestandserhaltern spezielle Lösungen; bei Ausstellungen ist dieIntegration aussagefähiger und vor allem farbiger Karten unver-zichtbar. So wird auch der Abschluss eines Kartenverzeichnungs-projekts meist stolz der archivischen Öffentlichkeit verkündet.Ganz neue Herausforderungen für die Zunft stellen die digitalenKarten, Topografiedaten und Geoinformationssysteme dar.Vielfältig sind jedoch nicht allein die archivfachlichen Herausfor-derungen, sondern auch die Auswertungsmöglichkeiten derunterschiedlichen Karten, die aussagefähiges Material u. a. zurhistorischen Geographie, zur Siedlungsgeschichte und zur Ent-wicklung der Kulturlandschaft liefern. Eine jüngst von einem Mitarbeiter des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen verfasste Broschüre behandelt einen besonderenKartentypus: die für den neuen preußischen Landesteil Westfalenals Grundstücksverzeichnisse zum Zweck der Besteuerungerstellten Urkatasterkarten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-derts. Damit wird ein gewisser regionalspezifischer Trend fortge-setzt, sind in den letzten Jahren doch – wie ein Blick in dieBibliothekskataloge zeigt – besonders die Urkatasterkarten desRheinlands und Westfalens Gegenstand landes- und lokalge-

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schichtlicher Studien gewesen, zuletzt 2008 jene von Dülmen imMünsterland.Diese preußischen Urkatasteraufnahmen in Westdeutschland zuBeginn des 19. Jahrhunderts, welche die von der französischenVerwaltung begonnenen trigonometrischen Parzellarvermessun-gen zielstrebig fortsetzten und abschlossen, stellen einen wichti-gen Meilenstein in der Geschichte der Kartographie und derSteuerverwaltung dar.Kreucher bietet dem Leser deshalb zuerst eine Definition undeinen geschichtlichen Abriss des Katasters, wobei er besondersdie gesetzlichen Grundlagen der preußischen Urkatasteraufnah-me von 1810 bis 1839 ausführlich darlegt. Die Abbildungenerläutern v. a. die technischen Aspekte der Kartographie. Derdritte Abschnitt der Broschüre über die „Quellenkunde derUrkatasteraufnahme“ (S. 22-37) ist der umfangreichste – nichtohne Grund, sind doch die einzelnen Quellen nur in Bezugaufeinander voll verständlich. Die bei der Urkatasteraufnahmeentstandenen und nicht immer einfach zu durchschauendenUnterlagen – Gemeindekarte, Flurkarten, Flurbuch, Register derGrundeigentümer, Handrisse und Berechnungshefte, Protokolle,Güterverzeichnis, Mutterrollen sowie die Beschwerden derGrundeigentümer – werden dem Leser vorbildhaft mit ihrenQuerbezügen vorgestellt. Veranschaulicht wird dies durch Abbil-dungen entsprechender Archivalien einer ausgewählten Gemein-de. Der vierte Abschnitt (S. 38-41) stellt die zuvor vorgestelltenUnterlagen der Urkatasteraufnahme als Quellen für die Orts-und Familiengeschichte dar, wodurch mit den Genealogen einewichtige Klientel der Archive angesprochen wird. Wie und inwelcher Form Informationen zur Geschichte des Grundbesitzesaus den Akten und Karten eruiert werden können, wird hier kurzskizziert. Dieser Abschnitt hätte im Hinblick auf die zu erwarten-den Fragen der Genealogen vielleicht etwas ausführlicher ausfal-len können. Hilfreich sind diese Hinweise zur Recherche aber aufjeden Fall. Im Anhang finden sich als weitere Hilfe für die Nutzerdie zur Zeit der Urkatasteraufnahme gebräuchlichen Maße undGewichte sowie Literaturhinweise.Die vorliegende Broschüre bietet den heimat- und familienge-schichtlich interessierten Nutzern, aber auch den in Fragen desKatasters vielleicht nicht immer umfassend kundigen Archivareneine wertvolle Einstiegshilfe in ein meist nur von Spezialistenbehandeltes Thema und in die Recherche von komplexen, nunaber besser verständlichen Quellen.

Stefan Sudmann, Dülmen

STEFAN NICOLAY, ALTE MAUERN ZU NEUEM LEBENERWECKT Zur Geschichte des Duisburger Hofes und dessenUmnutzung zu Archivzwecken. Selbstverlag desBistumsarchivs Trier, Trier 2005. 84 S., 80 z. T. farb.Abb., geb. 12,75 € (Veröffentlichungen des Bistumsar-chivs Trier, Bd. 40)

Zwischen den beiden Trierer Vororten Eitelsbach und Ruwer undan gleichnamigem Fluss liegt umgeben von Weinbergen einHofgut, dessen ältester erhaltener Gebäudeteil aus dem 14. Jahr -

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hundert stammt. Seit dem 19. Jahrhundert gehört der DuisburgerHof zu den Besitzungen des Bischöflichen Konvikts.In den 1960er Jahren wurde die landwirtschaftliche Nutzungaufgegeben und nur noch in einem Teil des Gebäudekomplexesdie große Kelteranlage der Bischöflichen Weingüter betrieben.Teile des Gebäudes standen fortan leer und drohten immer weiterzu verfallen.Wie viele Archive, hatte auch das Archiv des ältesten deutschenBistums an seinem Standort in der Jesuitenstraße in Trier großeRaumprobleme. Da hier im Bereich des Bischöflichen Priesterse-minars in der Trierer Innenstadt keine weiteren Magazinkapazitä-ten zur Verfügung standen, wurde in Zusammenarbeit mit derBistumsleitung eine Ausweichmöglichkeit für das Archiv gesucht.Für alle Beteiligten ist mit den in den Jahren 1993 bis 1995 erfolg-ten Sanierungs- und Baumaßnahmen des Duisburger Hofes eineErfolgsgeschichte geschrieben worden. Einerseits konnte dasBistum Trier ein in seinem Eigentum stehendes kulturhistorischwertvolles Gebäude vor dem weiteren Verfall bewahren und einersinnvollen Nutzung zuführen. Andererseits erhielt das Bistumsar-chiv Trier eine Dependance, die nach modernen archivtechni-schen Prinzipien ausgebaut wurde. Gleichzeitig spielt diesesAusweichmagazin für die Entwicklung des Bistumsarchivs einewichtige Rolle. Die damalige Entscheidung ist umso bedeutender,da gerade in jüngerer Zeit mit der Auflösung und dem Zusam-menschluss zahlreicher Pfarreien im Bistum Trier die Möglichkeitder Lagerung der Pfarrarchive im Gebäude Duisburger Hofgegeben ist. Den damals Verantwortlichen gebührt noch heuteAnerkennung für ihren Weitblick.Dabei kennt der Autor der vorliegenden Veröffentlichung dieEntwicklung aus seiner Tätigkeit als Archivar am BistumsarchivTrier selbst am besten.Zunächst schildert er die wechselvolle Geschichte des Hofgutes,das in schriftlichen Quellen erstmals im 16. Jahrhundert erwähntwird und die Bezeichnung Thebestburg hatte. Die Namensge-bung ist nicht eindeutig geklärt. Es gibt Hinweise auf einenPersonenbezug. Eine Beziehung zur Stadt Duisburg ist nichtbelegt. Die umfassende und präzise Darstellung der Geschichtedes Gebäudes wird mit zahlreichen auch farbigen Abbildungensehr gut ergänzt.Das gilt ebenso für den zweiten Teil des Buches, in dem sichStefan Nicolay mit den Planungs- und Umbauarbeiten desHofgutes beschäftigt. Zunächst zeigt er den Zustand bei Beginnder Umbauarbeiten in Wort und Bild auf. Dann berichtet erkenntnisreich über den Umbau, die Ausstattung bis hin zurInbetriebnahme und Einlagerung der ersten Bestände, mit dergleichzeitig eine moderne Restaurierungswerkstatt eingerichtetwurde.Ebenso wie die erfolgreichen Umbaumaßnahmen des DuisburgerHofes und die Umnutzung eines historischen Gebäudes fürheutige Archivzwecke ist die Dokumentation von Stefan Nicolayhervorragend gelungen. Sie zeigt den Kolleginnen und Kollegenanderer Archive und Verantwortlichen die Möglichkeiten auf, diein solch beispielhaftem Handeln liegen.

Bernhard Simon, Trier

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LITERATURBERICHTE

LEOPOLD SCHÜTTE, WÖRTER UND SACHEN AUSWESTFALEN 800 BIS 1800Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2007.703 S., geb. 29,80 €. ISBN 978-3-932892-22-6 (Veröf-fentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen17)

Rund 5.000 Begriffe aus Quellen des nordwestdeutschen Raumeszwischen 800 und 1800 werden in diesem Glossar aufgeführt undgrundlegend erläutert. Es handelt sich um lateinische undniederdeutsche Begriffe, deren Bedeutung entweder verlorengegangen ist, weil der mit ihnen bezeichnete Gegenstand unge-bräuchlich geworden ist bzw. nicht mehr existiert, oder sichverändert bzw. verschoben hat. Das Glossar dient damit derrichtigen Interpretation der historischen Quellen. Ziel des Glossars soll sein: „Eine Bereitstellung von Material zuProblemen der nordwestdeutschen Rechts-, Verfassungs-, Sozial-,Wirtschafts-, (in engen Grenzen auch) Sprach-Geschichte imMittelalter, belegt mit Quellen aus Westfalen und gelegentlichdarüber hinaus aus dem Gebiet zwischen Somme und Stecknitz,zugleich eine Handreichung und Anregung zu Forschungen inproblematischen Fällen“ (S. 9).Jeder, der sich mit niederdeutschen Quellen des Spätmittelaltersund frühen Neuzeit beschäftigen musste, weiß um die Schwierig-keiten, die dort verwandten Begriffe und beschriebenen Sachver-halte erst einmal zu verstehen und dann so adäquat und ver-ständlich wiederzugeben, dass auch blutige Laien sich eineeinigermaßen deutliche Vorstellung von dem machen können,was sich hinter den Begriffen verbirgt. Wer ein in den Quellengefundenes niederdeutsches Wort für identisch hält mit einemgleichen oder ähnlichen hochdeutschen Wort und es auch sobenutzt, mag bezüglich des Wortes selbst richtig liegen, hinsicht-lich der Bedeutung des Wortes ergeben sich aber meistens grund-legende Wandlungen, die zu einer häufig interpretierenden Be -zeich nung oder Umschreibung führen müssen.Auf dem schwierigen Terrain der Wort- und Bedeutungsgeschich-te ist der Verfasser der richtige Führer, dessen Forschungen vor -nehmlich in diesem Feld angesiedelt sind und der in jahrzehnte-langer Tätigkeit am Staatsarchiv Münster eine umfassendeQuellen kenntnis erworben hat. Das Interesse an Erscheinungender mittelalterlichen Rechts-, Verfassungs-, Wirtschafts- undSozialgeschichte und ihrer Terminologie, das sich im Quellen-und Literaturverzeichnis beeindruckend niederschlägt, gepaartmit einem unverdrossenen, über Jahrzehnte hinweg betriebenenSammeln von Quellenbegriffen, findet sein Ergebnis in diesemHilfsmittel, das jedem Archivbenutzer, auch dem Archivar, nütz -liche Dienste leistet.Das Glossar ist geordnet nach den in den Quellen gefundenenBegriffen, denen die Übersetzungen und Erläuterungen folgen. Esist damit einerseits ein Wörterbuch, das eine knappe Überset-zung oder Entsprechung in hochdeutscher Sprache bietet, stelltaber andererseits die in den Quellen gefundenen Begriffe häufigin ihren Kontexten vor und macht sie damit wirklich verständ-lich. Im Bereich der ländlichen Verfassungsgeschichte, zu der derVerfasser grundlegende Beiträge geliefert hat, kommt es nichtselten zu mehrseitigen Erläuterungen, z. B. bei den Begriffenburgericht, friheid, hovesrecht, schulte und teged, die weit überWestfalen hinausführen und auch Nachbarregionen einbeziehen.Wichtig ist ferner die Zusammenstellung zu den Maßen (mate) S. 442-466, die bisherige gleichartige ersetzt.

Vergleicht man dieses Glossar mit anderen Hilfswörterbüchernzur Geschichte oder Glossaren wie Brinckmeiers Glossariumdiplomaticum, dem Haberkern/Wallach oder Demandts Latercu-lus Notarum, so ist dieses Werk zwar regional gebunden, dochvielleicht gerade deswegen auch deutlich ausführlicher undinhaltsreicher. Insbesondere für volkssprachliche westfälischeQuellen ist es künftig zusammen mit Schiller/Lübbens mittelnie-derdeutschem Wörterbuch die wichtigste Hilfe zum Verständniseben dieser Quellen.Dass die Sammlung von erläuterungsbedürftigen Quellenbegrif-fen mit dem Erscheinen dieses Glossars nicht abgeschlossen ist,sondern nur eine Etappe erreicht wurde, ist auch dem Bearbeiterklar, der weitere Ergänzungen sammelt, womit sich eine künftigeund erweiterte Ausgabe abzeichnet.

Wolfgang Bockhorst, Münster

KELVIN SMITH, PLANNING AND IMPLEMENTINGELECTRONIC RECORDS MANAGEMENTS A practical guide. Facet Publishing, London 2007. X,220 S., geb. £ 39,95. ISBN 978-1-85604-615-2

Wer bereits Projekte zur Einführung der elektronischen Akten-führung realisiert hat oder mitten in der Umsetzung steckt, kenntdie Schwierigkeiten sowie die Komplexität solcher Vorhaben.Records Management ist eben nicht nur ein Thema von vieleninnerhalb öffentlicher Institutionen oder Unternehmen, sondern,wie bereits Peter M. Toebak in seinem Buch aufzeigte,1 das Herz-stück einer Organisation, die eine effiziente und rechtssichereAufgabenerfüllung durchsetzen will. Kelvin Smith liefert mit seinem Buch „Planning and implemen-ting electronic records management“ einen praxisbezogenenLeitfaden, wie ein solches Projekt geplant und realisiert werdensollte. Er benennt die fachlichen Rahmenbedingungen ebensowie praktische Vorgehensmodelle oder Hinweise zum Projektma-nagement sowie der Systembeschaffung. Aufgrund der Herkunftdes Autors – er ist Leiter der Accessions Management Unit undRecords Management Consultant im Records Management andCataloguing Department der National Archives in Kew/UK –beruht das Buch, Natur der Sache, auf der englischsprachigenTerminologie – die wichtigsten Termini werden im Buch erläu-tert. Dies mindert nicht die Praxistauglichkeit auch für deutscheAnwender, sollte jedoch bei der Nutzung unbedingt berücksich-tigt werden. So ist zur Nutzung des Buches ein tieferes Verständ-nis der englischsprachigen Terminologie und Praxis notwendig,resp. sollte entsprechende Fachliteratur hinzugezogen werden.Basierend auf einer fachlichen Einführung, die der Autor treffendals „Preparation“, d. h. Vorbereitung bezeichnet, werden diegrundlegenden Anforderungen an den Beginn eines RecordsManagement-Projekts beschrieben. Dazu zählen grundlegendePrinzipien wie die logische Verknüpfung von Dateien (docu-ments) zu records (Dokumente entspr. DOMEA®-Konzept), dieNutzung von File Plans, die Notwendigkeit zur Bewertung vonAufzeichnungen hinsichtlich ihrer Aufbewahrungswürdigkeitsowie die Regulierung des Zugriffs auf records. Die Bewertungwird im Werk aus mehreren Sichten betrachtet, sowohl hinsicht-

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lich der Aufbewahrung von Unterlagen aus rechtlichen oderregulatorischen Gründen als auch mit Blick auf die Bewertungim archivischen Sinn. Hinzu kommen strategische, organisatori-sche und rechtliche oder regulatorische Anforderungen an dasRecords Management sowie die Notwendigkeit der Erhaltungelektronischer Aufzeichnungen. Daneben beschreibt Smith dasErfordernis eines Business Case für das künftige ElektronischeRecords Management System (ERMS), um die Anforderungenund Ziele genau definieren und schlussendlich auch umsetzen zukönnen. Dieses Musterszenario umfasst neben der fachlichenBetrachtung eine Wirtschaftlichkeitsanalyse sowie Aspekte desProjekt- und Risikomanagements. Diese ganzheitliche Sicht,orientiert am Dokumentenlebenszyklus durchzieht das gesamteBuch und ist insofern beispielhaft. Anhand der aus Sicht des Autors wichtigsten Aspekte zur Be-schreibung des einzuführenden Records Management Systems(Anforderungen, Metadaten und notwendige Policy für die An -wendung des Systems in der jeweiligen Organisation) wird dieVorgehensweise zum fachlichen Design der Lösung beschrieben.Smith erwähnt explizit die Notwendigkeit einer grundlegendenIst-Analyse, erläutert sowohl das Erfordernis eines File Plans, derMethoden zur Beurteilung der Aufbewahrungspflicht und Archiv-würdigkeit elektronischer Unterlagen sowie der Langzeitspeiche-rung und Archivierung als auch zu berücksichtigende Rahmen-bedingungen beim Zugang. In letztere Thematik fallen bspw.Aspekte des Datenschutzes oder der Informationssicherheit.Im logischen Zusammenhang des gesamten Buches, das Schrittfür Schritt ein beispielhaftes Vorgehen zur Planung und Ein-führung eines Elektronischen Records Management Systemsdarstellt, steht auch das Kapitel „Implementierung“. Es werdendie wichtigsten Aspekte als faktische Erfolgsfaktoren, so bspw. derauch in deutschen Projekten schwierige Umgang mit hybridenUnterlagen oder E-Mails erläutert. Darauf folgend schildert derAutor praxisnah die Anforderungen an das Projektmanagementsowie die Systembeschaffung oder die für den Projekterfolg en t-scheidende Frage: Was wird wie bei der Einführung eines ERMSin der Organisation verändert? Und vor allem: Wie wird dieerforderliche Akzeptanz bei den Anwendern geschaffen? Insbe-sondere diese weichen Faktoren beeinflussen auch deutscheDMS/VBS-Projekte erheblich.Das Buch stellt einen praktischen Leitfaden für Organisatoren,Entscheider, Records Manager und Archivare dar. Speziell dievom Autor dargestellten Beispiele und Muster bieten sehr gutePraxishilfen. Einschränkend sind die fachlichen Unterschiedezwischen dem englischen Records Management, fokussiert aufrecords (entspricht faktisch dem DOMEA®-Terminus des Doku-ments und weniger auf files oder folder, (faktisch das Äquivalentzur deutschen Akte). Hinzu kommt der statische Aspekt desRecords Managements, das zwar eine Prozessunterstützung auf -grund der gezielten Wiederauffindung von Records in ERMSermöglicht, dynamische Aspekte wie die Geschäftsgangvermerkeder deutschen Vorgangsbearbeitung jedoch nicht grundständigbesitzt. Ähnliches gilt für den File Plan, der mehr einer auf kon -trolliertem Vokabular basierenden Taxonomie entspricht, denneinem deutschen Aktenplan. Andererseits umfasst der Records-Begriff nicht nur dokumentbasierte Unterlagen und ist insofernumfassender. Diese fachlichen Unterschiede sind vor der Nut-zung des Buches zu berücksichtigen.Gleichzeitig machen gerade die fachlichen Differenzen den Reizdes Buches aus. Sie ermöglichen einen tiefen Einblick in die

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Praxis des Records Managements im UK und so die gezielteNutzung von Synergien; spiegelt sich die britische Sichtweisebezgl. Records Management doch unmittelbar in verschiedeneninternationalen Standards wider und seien es nur die europäi-schen MoReq 2. Von besonderem Interesse sind zudem die amSchluss des Buches benannten fachlichen Anforderungen anRecords Manager, die sich deutlich von denen des klassischenRegistrators unterscheiden. Insofern wirft das Buch auch dieFrage auf, inwieweit es in Deutschland der Profession des RecordsManagers bedarf – neben derjenigen des Archivars.

Steffen Schwalm, Berlin

BEATE STURM, SCHÜLER INS ARCHIV!Archivführungen für Schulklassen. Verlag BibSpider,Berlin 2008. 134 S., Paperback. 22,- €. ISBN 978-3-936960-29-7

Nicht nur die ältere Generation der Familienforscher stellt aktuellfür die Archive eine wichtige Kundschaft dar, auch die jüngsteGeneration der Schüler gewinnt als wachsende Benutzergruppeimmer mehr an Bedeutung. Noch vor wenigen Jahren hätteniemand wirklich an das Archiv als „außerschulischen Lernort“gedacht, heute ist er aus den modernen Lehrplänen und aus demGeschichtsunterricht nicht mehr wegzudenken. Ein Potential inder archivischen Öffentlichkeitsarbeit, das die Archive nichtungenutzt lassen sollten. Beate Sturm möchte mit ihrem kleinenBuch „Schüler ins Archiv! Archivführungen für Schulklassen“dabei behilflich sein. Direkt zu Beginn wird klar gesagt, was dasBuch sein möchte: Eine „Handreichung für Archivare undArchivpädagogen, die Schülerführungen anbieten“. Unabhängigvon der Archivform soll die Handreichung für die individuelleGestaltung einer Führung einsetzbar sein.Um Empfehlungen geben zu können, muss zunächst eine Be-standsaufnahme erfolgen, welche Angebote zu Schülerführungenes bisher in den verschiedenen Archivsparten gibt. Eine solcheUmfrage hat Beate Sturm im Rahmen Ihrer archivischen Ex-amensarbeit im Herbst 2007 durchgeführt. Auf ihren Ergebnissenbasieren die Empfehlungen und Ausführungen zu den Schüler-führungen. Angeschrieben wurden nach zentralen Auswahlkrite-rien1 verschiedene Archivtypen; gefragt wurde nach Stellenwert,Quantität, Umfang und Inhalt der Führungen. Dabei war Sturmdurchaus bewusst, dass „Ein-Mann-Archive“ hier natürlich nichtso viel leisten können wie große Staatsarchive. Über die Ziele(jede gute Umfrage sollte zunächst Ihre Zielvorstellungen formu-lieren) und die Ergebnisse dieser Umfrage kommt die Verfasserinschließlich zum zentralen Punkt des Buches: Die Konzepte fürSchülerführungen im Archiv. Hier beweist Beate Sturm nicht nurarchivische, sondern auch pädagogische Kompetenz. Am Anfangder grundsätzlichen Überlegungen zu der Struktur der Führun-gen stellt die Autorin das Ziel der Kompetenzenförderung. Mitdiesem Ziel vor Augen geht sie danach auf die Inhalte und

1 Vgl. Peter M. Toebak. Records Management. Ein Handbuch. Baden 2007.

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LITERATURBERICHTE

Vermittlungsarten bei den Führungen ein. Dabei wird deutlich,dass es in jedem Fall eine Frage der guten Kommunikationzwischen Archivar und Lehrer ist, die die Planung einer Führungzum Erfolg führt. Darüber hinaus wird das Problem des nachlas-senden Interesses seitens der Schüler während der Führung ange -sprochen: Was kann getan werden, um ein bestimmtes Inter -essen level zu halten? Welche Perspektiven und Vorgehensweisensind hier wichtig? Als „Herz“ des Buches folgt ein umfangreicherModulkatalog für Schülerführungen. Hier kann jeder Interessier-te finden, was er sucht: Nach Themen, aber auch nach Zeitauf-wand gegliedert, lassen sich die Module kombinieren und soindividuell auf das eigene Archiv anpassen. Schließlich verdientnoch der gut recherchierte Anhang Erwähnung. Er bietet ein sehrausführliches und aktuelles Literaturverzeichnis, eine Checklistefür die Lehrkraft und einen Workflow für das Archiv, um dennötigen Austausch zwischen Lehrern und Archivaren anzuregenund zu bekräftigen.

Fazit: Ein kleiner und kompakter Führer aus dem Bereich derArchivpädagogik. Angesichts der wachsenden Bedeutung derSchüler als Zielgruppe für die Archive ein wichtiger Beitrag, dergewiss von anderer Seite eine Fortführung erfahren wird. Anwenigen Stellen hätte man sich ausführlichere Ausführungengewünscht. Allerdings handelt es sich hier in erster Linie um einNachschlagewerk, mit dem man sich kurz und bündig informie-ren möchte. Andere Bücher zum Thema Schülerführungen wer -den folgen, aber dieses kleine Buch wird in der Zukunft auskeiner Dienstbibliothek eines Archivs wegzudenken sein.

Antje Diener-Staeckling, Düsseldorf

1 Genutzt wurden die Adressenliste der Archivpädagogen: www.archivpaedago-gen.de/content/view/34/46/. Außerdem die Archive in Baden-Württemberg:www.archive-bw.de/sixms/detail.php?template=home.

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I. DIE ELEKTRONISCHE AKTE UND IHRZUSAMMENHANG Bevor man ein komplexes Thema wie die Erschließung elektroni-scher Akten behandelt, ist es unerlässlich, einige Begriffe zuklären. Unter elektronischen Akten möchte ich Unterlagen ver -stehen, die sowohl dem (Sach-)Aktenbegriff entsprechen1 alsauch nur in elektronisch-digitaler Form vorliegen. Die Datenwerden also digital kodiert und elektronisch gespeichert, wes -wegen zur Interpretation, Veränderung und Löschung der Datender Einsatz von moderner IT unumgänglich ist. Die Bewertung,die Erschließung, die Bestandserhaltung, die Magazinierung unddie Benutzung können folgerichtig nur in Form von Datenver -arbeitungs-Prozessen stattfinden, bei denen alle Entscheidungendes Archivars über eine Benutzerschnittstelle weitergegebenwerden, während eine IT die notwendigen Arbeitsschritte, bei-spielsweise die Löschung von Kassanden, vollzieht.Elektronischen Akten ist also ein qualitativer Unterschied gegen -über den Unterlagen zu eigen, deren Struktur und Erschließungdie Fachdiskussion in den letzten Jahren erörtert hat, nämlich dieOrdnung und Verzeichnung von Papierunterlagen, welche mitHilfe von Dokumentenmanagement- und Vorgangsbearbeitungs-systemen (DMS/VBS) verwaltet werden.2 Von elektronischenAkten (wie ich sie oben definiert habe) unterscheiden sich diesekonventionellen Behördenunterlagen mit elektronischer Registra-tur in einem entscheidenden Punkt: Die eigentlichen Unterlagen,also die Primärdaten, liegen noch in analoger Form vor. In Fragender Bestandserhaltung und der Magazinierung stellen dieseAkten deswegen die gleichen Anforderungen wie andere Papier-unterlagen auch. Lediglich die zu ihrer Benutzbarkeit angelegtenDatensätze, also die Metadaten, werden in IT-Systemen vorgehal-ten, sind in diesen recherchierbar und können von dem Archivarnachgenutzt werden. Solche elektronischen Registraturhilfsmittelerleichtern sicherlich die Bewertung ebenso wie die Erschließung. Sollte allerdings bei einem dieser archivischen Arbeitsschritteeine Aktenautopsie notwendig sein, so handelt es sich dabei umeinen physischen Vorgang (konkret: das Lesen der Akte und dasAuswerten der darin enthaltenen Informationen), der sich innichts von der Nutzung einer Akte aus der Zeit vor der Ein-führung der IT unterscheidet. Auch werden diese Akten in her-kömmlicher Weise erschlossen, also in Findbüchern mit Aktenti-tel, Laufzeiten usw. verzeichnet, die mit Hilfe von Systematikengegliedert sind. Der Benutzer schließlich, der diese Akte in denHänden hält, kann die Unterschiede zwischen dieser Form von

Papierüberlieferung und den Akten aus einer komplett konventio-nellen Schriftgutverwaltung nicht feststellen. Elektronische Aktenwerden hingegen nur mit IT-Anwendungen, sogenannten Vie-wern, im Lesesaal nutzbar sein.Gleichwohl kann die Arbeitsmethodik, die für die Erschließungder durch DMS verwalteten Papierunterlagen entwickelt und ineiner Beispielstudie erprobt wurde,3 auch gewinnbringend für dieOrdnung und Verzeichnung elektronischer Unterlagen genutztwerden. Die Praxis hat gezeigt, dass viele Metadaten schon deninhaltlichen Kern einer vollwertigen archivischen Erschließungenthalten. Dieselben Metadatenfelder, mit deren Hilfe ein DMSeine Papierüberlieferung verwaltet, werden verwandt, um dieBenutzung und Recherche von elektronischen Akten zu ermögli-chen. Der Metadatensatz zur Verwaltung von elektronischenAkten enthält nämlich im Kern die gleichen Kategorien wie derMetadatensatz zur Verwaltung von Papierunterlagen. Allerdingssind die zur Verwaltung von elektronischen Akten angelegtenDaten um eine Reihe von Informationen zur technischen Be-handlung der Primärdaten erweitert und deswegen wesentlichausführlicher. Auf diesen Aspekt wird unten genauer einzugehensein, wenn dieser Aufsatz die Arbeitsschritte bei der Erschließungvon elektronischen Akten behandelt.Doch der Begriff der elektronischen Akte soll nicht nur in seinemUmfang begrenzt und von ähnlichen Phänomenen abgegrenzt,sondern auch ausdifferenziert werden. In der jetzigen Phase dertechnischen Entwicklung und der archivischen Diskussion ist essinnvoll, zwischen Dokumentenmanagementsystemen und Vor -gangsbearbeitungssystemen zu unterscheiden. DMS dienen ledig -lich der Verwaltung von elektronischen Unterlagen, also deneinzelnen Dateien, die zu einer bestimmten Akte und den in ihrenthaltenen Vorgängen gehören. VBS bieten darüber hinaus dieMöglichkeit, alle Formen von Ingangsetzung, Bearbeitung, Mit-und Schlusszeichnung zu dokumentieren und diese mit denPrimärdaten zu verknüpfen. Damit enthalten VBS wesentlichumfangreichere Metadatensätze. Diese Ausführlichkeit gestattetes aber auch, das Verwaltungshandeln umfassend zu steuern, da

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE

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DIE ERSCHLIEßUNG ELEKTRONISCHER SACHAKTEN

1 Vgl. Gerhard Schmid: Akten, in: Friedrich Beck (Hg.): Die archivalischen Quel-len, Weimar 1994, S. 51-85.

2 Thekla Kluttig: Akten, Vorgänge, Dokumente. Tendenzen in der behördlichenSchriftgutverwaltung, in: Der Archivar 53 (2000), S. 53-56.

3 Vgl. Mathis Leibetseder: Metadaten aus elektronischen Bürosystemen alsGrundlage für die Erschließung im Archiv, in: Frank M. Bischoff (Hg.): Benut-zerfreundlich – rationell – standardisiert. Aktuelle Anforderungen an archi-vische Erschließung und Findmittel, Marburg 2007, S. 135-160.

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alle Arbeitsschritte geplant und kontrolliert werden können. VBSprotokollieren somit den Prozess des Verwaltungshandelns unddokumentieren nicht nur seine Zwischenstationen, die in Formvon Eingaben, Vermerken, Bescheiden usw. ihren Niederschlaggefunden haben.Gleichzeitig haben sich die Archive – mit allen Vor- und Nachtei-len – darauf einzustellen, umfangreiche Metadatensätze parallelzu den Primärdaten zu übernehmen und nutzbar zu machen, danicht nur den Primärdaten, sondern auch den Metadaten derStatus von Archivgut zukommt.4 Es handelt sich dabei nicht umHilfsinformationen, wie es beispielsweise Abgabelisten sind, diezur schnellen und effizienten Verzeichnung genutzt werden, dieaber keinen darüber hinaus gehenden Wert haben und die in denDienstregistraturen verbleiben oder vernichtet werden können.Metadaten enthalten vielmehr die Wissensbestände, aus denensich Abgabelisten erstellen lassen, die aber auch auf andereThemen hin ausgewertet werden können. Ihre Komplexität hatzugenommen. Sie erfüllen weit mehr Funktionen als Metadatenfrüherer Zeit, die einheitlich strukturierte Datensätze aus gleich-förmigen Verwaltungsverfahren dekodieren und die aus Gründender späteren Benutzbarkeit aufbewahrt werden.5 Im Unterschieddazu setzen sich Sachakten aus Vorgängen zusammen, die je nachGeschäftsvorfall einen eigenen Ablauf aufweisen. Metadaten ausVBS bilden diesen ab und enthalten damit nicht nur technischeInformationen, sondern sie dokumentieren auch den ablauforga-nisatorischen Rahmen, in dem die Primärdaten mit den eigentli-chen inhaltlichen Informationen in der Form von eingehendenoder ausgehenden Schreiben, Vermerken usw. einzuordnen sind.Aus diesem Grund sollte eine Archivierung von elektronischenAkten immer beides in den Blick nehmen: die dauerhafte Siche-rung und Nutzbarmachung der Primär- ebenso wie die derMetadaten.Abschließend ist auf den die archivwürdige elektronische Akteumgebenden Zusammenhang einzugehen, nämlich das elektroni-sche Archiv oder die elektronische Altregistratur. Ein maßgebli-cher konzeptioneller Vorschlag liegt hier mit dem Open ArchivalInformation System (OAIS)-Modell vor, das seit 2003 als ISO-Norm 14721/2003 anerkannt ist.6 Die darin enthaltenen Begriffeund die mit ihnen eingeführten Unterscheidungen könnengenutzt werden, um die hier vorgestellte Idee von der Erschlie -ßung elektronischer Unterlagen zu entfalten. Ich werde mich andieser Stelle allerdings darauf beschränken, die für das Themades Aufsatzes wesentlichen Aspekte des Modells zu rekonstru-ieren.7 Das OAIS-Modell unterscheidet zunächst zwischen derForm, in der die Daten in der Behörde und im Archiv vorliegen.Die Abgabe aus der Behörde wird als Submission InformationPackage (SIP) bezeichnet, die Daten in archivierter Form alsArchival Information Package (AIP). Diese Unterscheidung betrifftneben Fragen der Speicherung, der Dateiformate usw. auch dieErschließung im digitalen Archiv. In einem weiteren Schritt konzipiert das OAIS-Modell die Um-wandlung von SIPs und die Erschließung, Verwaltung und Be -nutzung der AIPs in Form von mehreren, miteinander verzahntenFunktionsbereichen (functional entities). Die Übernahme (ingest)meint in erster Hinsicht die Umwandlung von SIPs in AIPs; siesieht allerdings auch die Erstellung von Erschließungsinformatio-nen (descriptive information) in dieser Phase vor. Dem OAIS-Modell zu Folge vollzieht sich diese Erschließung in Form derExtraktion und Komprimierung von Metadaten, die um Informa-tionen aus anderen Quellen zu ergänzen sind. Die so gewonne-

nen Erschließungsinformationen werden von der Unterlagenver-waltung (data management) in eine Datenbank eingepflegt undstehen den Benutzern zur Verfügung. Die eigentliche Speicherungund Speicherverwaltung (archival storage) ist davon konzeptionellgetrennt. Zwar stößt jede Übernahme auch in diesem Funktions-bereich Prozesse an, da der bisherige Datenbestand um die über -nommenen AIPs erweitert wird. Aber dieser Bereich, der Aufga-ben der Magazinverwaltung und der Bestandserhaltung fürdigitale Unterlagen vereint, ist von der inhaltlichen Verwaltungder Unterlagen zu unterscheiden. Lediglich die Funktion derBenutzung (access) greift auf die von ihm benötigten Informatio-nen aus den Funktionsbereichen der Unterlagenverwaltung undder Speicherverwaltung zurück.

II. DOMEA-KONZEPT Elektronische Akten bilden sicherlich keine eigene Archivalien-gattung, die auf gleicher Ebene neben die Typen der Sachakteund der Serienakte tritt. Denn die Verwaltungsmodernisierungwird in den Versuch münden, jede Variante von papierner Akte ineine elektronische Form zu bringen und damit überflüssig zumachen oder durch Fachverfahren zu ersetzen, in der die gleichenWissensbestände niedergelegt, gespeichert, recherchiert undausgewertet werden können. Dabei lassen sich die Charakteristi-ka der Papierüberlieferung nicht 1:1 abbilden. Vielmehr besitztdie elektronische Überlieferung im Allgemeinen und die elektro-nische Akte im Speziellen Besonderheiten, die sie von der analo-gen Überlieferung unterscheiden und die auch bei der Er schlie -ßung dieser Unterlagen eine wichtige Rolle spielen.Da die Aktenbildung sich in den meisten deutschen Behördenam DOMEA-Konzept ausrichten soll, entwickelt sich dieses samtdes daraus abgeleiteten Austauschformats XDOMEA zu einemQuasi-Standard für die öffentliche Verwaltung.8 Besonderheitender elektronischen Überlieferung lassen sich an Hand dieses Kon -zepts aufzeigen und auf ihre Bedeutung für die archivische Arbeitbefragen. Auf drei Aspekte des DOMEA-Konzepts, das die Beson-derheiten elektronischer Sachakten darstellt, möchte ich an dieserStelle hinweisen:• Jede nach dem DOMEA-Konzept funktionierende elektroni-

sche Registratur muss über einen Aktenplan verfügen, dereinen Ordnungsrahmen für die einzelnen Akten bildet. DieStruktur des Aktenplans ist von der Haupt- bis zur Unter -gruppe sowie bis zu den einzelnen Betreffseinheiten hierar-chisch gegliedert.

• Jede Akte verfügt über einen eigenen Aktentitel, der nicht mitdem Namen der Betreffseinheit im Aktenplan identisch seindarf. Die Sachakte gliedert sich in Vorgänge, denen einzelneDokumente untergeordnet sind. Im Einzelfall kann auch aufdie Bildung von Vorgängen verzichtet werden.

• Bei der elektronischen Aktenführung ist die Bildung vonAktenbänden nicht notwendig, da die Akte kein „natürliches“Ende hat, wie es von der Papierakte bekannt ist. Die Folge ist,dass in der Regel keine ganzen Akten ausgesondert werden (essei denn, diese wurden ausdrücklich geschlossen). Die Aufbe-wahrungsfristen beziehen sich vielmehr auf zdA-verfügte unddamit geschlossene Vorgänge.

Betrachtet man DOMEA aus archivischer Sicht, so sind es diesedrei Merkmale, die der Behandlung elektronischer Akten ihrbesonderes Gepräge geben. Die Eingliederung in den Aktenplan,die vorgangsweise Dokumentenverwaltung und die Unbegrenzt-

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heit der elektronischen Sachakte greifen ineinander und kenn-zeichnen DMS und VBS, die dem DOMEA-Konzept folgen.Insbesondere die unbegrenzte Lebensdauer ist eine Besonderheit,die die digitale Überlieferung von der analogen unterscheidet. Ichmöchte den Dreiklang aus den Kernelementen Aktenplan, Vor-gangsgliederung und unbegrenzter Lebensdauer einer Akte indiesem Aufsatz deswegen als DOMEA-Grundstruktur bezeich-nen. Auf die Auswirkungen dieser Grundstruktur für die archivi-sche Erschließung wird an gegebener Stelle zurückzukommensein.Denn zuvor soll auf einen wichtigen Aspekt hingewiesen werden.Bei DOMEA handelt es sich lediglich um ein Organisationskon-zept, das der Entwicklung von IT-Lösungen einen Rahmen setzt,indem es Anforderungskataloge bereithält und durch ein Zertifi-zierungsverfahren zur Qualitätssicherung beiträgt.9 Um eineDOMEA-Zertifizierung zu erhalten, müssen IT-Produkte nichtalle in dem Konzept niedergelegten Strukturen und Funktionenumfassen, sondern nur einen Großteil. Darüber hinaus steht esjeder Behörde frei, in ihren Anforderungsspezifikationen an IT-Lösungen vom DOMEA-Konzept abzuweichen, auf bestimmteFunktionen zu verzichten, andere zu implementieren oder ihrDMS im Laufe der Jahre verändern zu lassen.10

So ist es beispielsweise nicht allen auf dem Markt befindlichenDMS zu Eigen, ihre Metadaten in XDOMEA oder in einemanderen XML-basierten Datenformat zu exportieren. Die bisheri-gen Erfahrungen mit der Einführung von DMS bestätigen dieVermutung, dass DOMEA ein Quasi-Standard ist, aber eine ge -wisse Bandbreite von untereinander abweichenden Lösungentoleriert und sogar fördert. So wird in manchen Behörden dieChance genutzt, um mit der Einführung des DMS wieder eineSachaktenordnung zu etablieren, allerdings unter Vermeidung derVorgangsbildung. Andernorts wird an der bisherigen Traditionder vorgangsweisen Ablage festgehalten und ganz bewusst auf dieAktenbildung verzichtet.11

Auf Grund der Heterogenität der verwendeten DMS-Lösungenerscheint es nicht zweckmäßig, von „DOMEA-Akten“ zu spre-chen, da DOMEA im strengen Sinne kein Standard ist. Vielmehrwird der Archivar, wenn er sich im Zuge von Behördenbetreuungund Übernahme mit elektronischen Registraturen auseinander-setzt, eine mehr oder weniger große Deckungsgleichheit zwi-schen der in der Behörde genutzten IT-Lösung und den in denDOMEA-Dokumentationen formulierten Vorgaben feststellen.Unter der Perspektive einer Konformität mit dem DOMEA-Konzept lassen sich Gemeinsamkeiten und Abweichungen klarbenennen und auf ihre Auswirkungen für die archivarischeBehandlung der Unterlagen analysieren. Insbesondere Unter-schiede von der oben skizzierten DOMEA-Grundstrukturverdienen Beachtung, da sie die Möglichkeiten begrenzen, Meta-daten für eine inhaltliche Erschließung der Unterlagen zu nutzen.Betreibt eine Behörde beispielsweise ein DMS ohne Aktenplan, sofehlt dem Archivar nicht nur die vom DOMEA-Aussonderungs-konzept vorgesehene Schnittstelle, um Bewertungsentscheidun-gen treffen und diese in das IT-gestützte Aussonderungsverfahrender Behörde einbringen zu können. Ebenso bricht die Möglich-keit weg, diesen Aktenplan als vorläufige Klassifikation desFindbuchs zu verwenden. Ein weiteres Beispiel ist der Verzichtauf eine Aktenbildung als übergeordnete Einheit von Vorgängen,was die Erschließung solcher Unterlagen verändert. Probleme wiediese sollte der Archivar im Hinterkopf behalten, wenn er – undauch dieser Beitrag beschränkt sich darauf – davon ausgeht, dass

elektronische Sachakten im Prinzip dem DOMEA-Konzeptfolgen.Doch wie gelangen die für die Erschließung hilfreichen Metada-tensätze in das Archiv, um dort für Ordnungs- und Verzeich-nungsarbeiten genutzt zu werden? Als allgemeine Austausch-schnittstelle ist hierfür im Auftrag des für die Koordinierung vonIT-Verfahren in der öffentlichen Verwaltung zuständigen KoopAADV der Austauschsstandard XDOMEA 2.0 entwickelt worden.XDOMEA soll es erlauben, alle relevanten Daten über die Akten,Vorgänge und Dokumente, die ein DMS oder VBS exportierenkann, so zu ordnen und zu speichern, dass diese problemlos voneiner anderen Anwendung – beispielsweise einer Archivsoftware– eingelesen und weiterverarbeitet werden können. Da diesesFormat auf XML als universeller Auszeichnungssprache basiert,sind die Daten mit Hilfe des dazugehörigen XML-Schemas undeines webfähigen Browsers hardware- und plattformübergreifenddarstellbar. Zudem bietet XDOMEA eine strukturierte Ablagevon Metainformationen zu Akten, Vorgängen und Dokument an,so dass ein erheblicher Teil der Metadaten (beispielsweise Infor-mationen zu den inhaltlichen Betreffen und Bezügen) mitübertra-gen wird.Die management summary stellt den Kern von XDOMEA 2.0 wiefolgt dar:„Der Standard betrachtet die folgenden Prozesse im Verwaltungs-handeln: Information austauschen, Geschäftsgang durchführen,Abgabe durchführen, Aussonderung durchführen, Aktenplanaustauschen, Fachverfahrensdaten austauschen. XDOMEA 2.0definiert in den oben genannten Prozessen Nachrichten, diezwischen Kommunikationspartnern über Systeme (Vorgangsbear-beitungssysteme, Dokumentenmanagementsysteme, Archiv -

4 Rodrigo Readi Nasser und Karl-Ernst Lupprian: Ein Modell für die elektro-nische Darstellung hybrider Verwaltungsakten in Archiven, in: ArchivalischeZeitschrift 85 (2003), S. 147-173.

5 Diesen begrenzten Begriff von Metadaten hat Bettina Martin-Weber ent-wickelt, wobei die Beispiele, auf die sich der Aufsatz stützt, aus der elektroni-schen Überlieferung der DDR stammen. Bettina Martin-Weber: Erschließungund Nutzbarmachung digitaler Unterlagen im Bundesarchiv, in: Karl-ErnstLupprian (Hg.): Virtuelle Welten im Magazin, München, S. 69-76.

6 „The OAIS Reference Model is designed as a conceptual framework in whichto discuss and compare archives.“ (CCSDS: Open Archival Information System,o. O. 2002, S. 1-3).

7 Das OAIS-Modell als Ganzes ist ausführlich beschrieben bei Uwe Borghoff u.a.: Langzeitarchivierung. Methoden zur Erhaltung digitaler Dokumente, Hei-delberg 2003, S. 25-31 und in den Materialien des nestor-Kompetenznetzwerks(www.langzeitarchivierung.de). Eine Auswertung aus archivischer Sicht hat NilsBrübach: Das „Open Archival Information System“. Ein Referenzmodell zurOrganisation und Abwicklung von Unterlagen aus digitalen Systemen, Ms.,Dresden 2002 vorgelegt.

8 Grundlegend für das Archiv sind das Organisationskonzept und das Erwei-terungsmodul zur Aussonderung und Archivierung elektronischer Akten:KBSt: DOMEA-Erweiterungsmodul: Aussonderung und Archivierung elek-tronischer Akten, Bonn 2004 und KBSt: DOMEA-Organisationskonzept 2.1.,Bonn 2005.Vgl. als Kommentare aus facharchivischer Sicht: Barbara Hoen: Dasneue DOMEA-Konzept. Ein Standard und die Praxis, in: Peter Worm (Hg.):Handlungsstrategien für Kommunalarchive im digitalen Zeitalter, Münster2006, S. 57-63 und Andrea Hänger und Andrea Wettmann: Das DOMEA-Kon-zept aus archivischer Sicht – eine Zwischenbilanz, in: Der Archivar 60 (2007),S. 24-28. Bisher beschränkte sich das DOMEA-Konzept darauf, die moderneSachakte in elektronischer Form abzubilden. Die für die Verwaltung dieses Ak-tentypus genutzte Struktur ist aber auch für die Behandlung moderner Pro-tokollserien, Korrespondenzserien usw. nutzbar. Anders verhält es sich mit demFall des massenhaft gleichförmigen Einzelschriftguts, dass in der IT häufig inForm von Fachverfahren abgebildet wird.

9 Hänger und Wettmann (Anm. 8), S. 24 f.10 Nasser und Lupprian (Anm. 4), S. 148 f.11 Christoph Popp: Der eigene Schreibtisch papierarm? Erfahrungen aus einem

Jahr elektronischer Vorgangsbearbeitung im Stadtarchiv Mannheim, in: DerArchivar 60 (2007), S. 313-321 und die Erfahrungsberichte aus dem Bundes-archiv (Vorgangsbearbeitungssysteme in Bundesministerien, Koblenz 2007).

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systeme, Fachverfahren) im Rahmen von Teilprozessen, z. B.‚Information übergeben’, ausgetauscht werden. Die Nachrichtenenthalten wiederverwendbare Bausteine, die in unterschiedlichenKontexten eingesetzt werden können. So kann z. B. ein Doku-ment als Anschreiben zu einer Nachricht oder als auszusondern-des Schriftgutobjekt in einer Nachricht verwendet werden.“12

Bei XDOMEA 2.0 handelt es sich um einen Standard, der hierar-chische Zuordnungen mit einer modularen Zusammensetzungverbindet. Von einem hierarchischen Aufbau kann gesprochenwerden, weil es eine klare Gruppe von Prozessen gibt, denenTeilprozesse nachgeordnet sind. Teilprozesse wiederum sindGruppen von Nachrichten, während sich jede Nachricht ausmehreren Bausteinen zusammensetzt und umgekehrt jederverwendete und mit Metadaten gefüllte Baustein zu einer undnur zu einer Nachricht gehört. Von den Prozessen bis zu denBausteinen ergibt sich so eine klare Kette von Über- und Unter-ordnung. Modular ist diese Organisation von Metadaten, weilder Verfasser einer Nachricht eine Reihe von Bausteinen nutzenkann, aber nicht muss, so dass eine Nachricht gleichen Typs sichaus unterschiedlichen Bestandteilen zusammensetzt. Ebensokönnen bestimmte Typen von Bausteinen in unterschiedlichenTypen von Nachrichten verwendet werden. Die Dokumentationvon XDOMEA 2.0 spricht in diesem Zusammenhang von „einerobjektorientierten und nachrichtenbasierten Struktur“.Am Beispiel einer Aussonderung lässt sich dieses Zusammenwir-ken von Objekten und Nachrichten gut zeigen: Das XDOMEA-Konzept fasst die Nachrichten, die im Zuge einer Aussonderunggenutzt werden können, in der Nachrichtengruppe „Aussonde-rung Durchfuehren“ zusammen. Dank des modularen Aufbausvon XDOMEA deckt diese Gruppe sowohl das zweistufige alsauch das vierstufige Aussonderungsverfahren ab. Dabei werdenBausteine genutzt, die im DMS oder VBS der Behörde vorhandensind. Um ein Anbietungsverzeichnis zu erstellen, das dem Archivdie Auswahl der archivwürdigen Unterlagen ermöglicht, muss dieaussondernde Behörde zwingend den Aktenplan übersenden.Darüber hinaus ist es in das Benehmen von Archiv und Behördegestellt, ob „die Nachricht auch die Metadaten auf Dokument-ebene bzw. der untergeordneten Ebene enthalten soll.“Diese Wahlmöglichkeiten bei der Auswahl der Komponentenzeigt sich ebenso bei der Übergabe der Aussonderungsdatei. Soist es der Entscheidung von Behörde und Archiv überlassen„Metadaten aus[zuwählen], die ausgesondert werden sollen.“13

Welche Objekte aus den Metadatensätzen zu einer Aussonde-rungsdatei zusammengestellt werden, ist damit nicht im Detaildurch XDOMEA geregelt. Vielmehr schreibt XDOMEA nur vor,dass alle diese Objekte zwingend der Nachricht „Aussonderung“zugerechnet werden müssen. Die Möglichkeiten, die der modula-re Aufbau von Aussonderungsdateien eröffnet, verändert also ineinem Punkt die bisherigen Arbeitsabläufe im Archiv: Die Er-schließung elektronischer Unterlagen beginnt mit dem Zeitpunktihrer Übernahme. Denn es obliegt dem Archivar, der abgebendenBehörde mitzuteilen, welche Unterlagen er zur Ordnung undVerzeichnung der übernommenen Vorgänge benötigt.

III. WEGE DER ERSCHLIEßUNG ELEKTRONISCHER UNTERLAGEN Das OAIS-Modell erlaubt es, Möglichkeiten der Erschließung vonelektronischen Unterlagen zu konzeptionalisieren. Die archivischeErschließung ist dem OAIS-Funktionsgebiet des „data mange-

ment“ zuzurechnen, denn hier werden die zu jedem AIP gehören-den „package descriptions“ erstellt, verwaltet und aktualisiert.Das OAIS-Modell hebt darauf ab, dass die Umwandlung der SIPsin AIPs und die Erstellung von „package descriptions“ währendder ingest-Phase parallel ablaufen sollen. Darüber hinaus könnenje nach Archiv und Bestand sehr unterschiedliche Erschließungs-maßnahmen stattfinden, von der automatischen Übernahmebestimmter Metadaten bis hin zu einer komplett eigenständigenErschließung durch einen Archivar. Die „package desciptions“schließlich bilden einen Grundstock von Erschließungsinforma-tionen, die in Form von Findmitteln (finding aids) organisiertsind und die Benutzung (access) ermöglichen. Diese differenzier-te Sicht gestattet es, zwei Wege der Erschließung elektronischerAkten voneinander zu unterscheiden: Einerseits können IT-Lösungen entwickelt werden, die alle Funktionsbereiche desModells abdecken. Andererseits können die verschiedenenfunktionalen Anforderungen auf verschiedene, miteinanderkommunizierende Anwendungen verteilt werden. Mit dem OAIS-Modell lassen sich beide Wege in Form von „flow charts“ model-lieren14, und beide Ansätze werden in Form von Pilotanwendun-gen in Deutschland verwirklicht, die im Folgenden kurz vorge-stellt werden sollen.Das Bundesarchiv geht mit seinem digitalen Archiv den Weg, einSystem zu entwickeln, das alle wesentlichen Anforderungen(Übernahme, Langzeitspeicherung, Erschließung und Bereitstel-lung) erfüllen soll und damit dem OAIS-Standard entsprechenwird.15 Als Komplettlösung deckt es alle Schritte der archivischenBetreuung digitaler Unterlagen ab. Auch das Softwareunterneh-men Capreolus GmbH, die deutsche Tochter der niederländi-schen Firma de Ree (Mais-Flexis), arbeitet nach eigenen Angabenan einer ganzheitlichen IT-Lösung, die neben der Erschließungund Benutzung auch zur Übernahme und digitalen Langzeitar-chivierung genutzt werden soll.Parallel dazu reagieren auch die anderen auf dem Markt vertrete-nen Anbieter von Archivverwaltungsprogrammen, indem sie ihreIT-Lösungen um Funktionalitäten erweitern, die nur der Er-schließung und Darstellung von digitalen Daten dienen, abernicht das Ziel einer Komplettlösung anstreben, sondern die Frageder digitalen Langzeitarchivierung bewusst ausklammern. Dabeiwerden – in diesem Punkt gleichen sich alle Anwendungen – diebisherigen Möglichkeiten zur Einbindung von Digitalisaten undzum Datenimport mit dem Ziel verändert, mit diesen Instrumen-ten auch die Herausforderung elektronischer Unterlagen zubewältigen. Die Einbindung von Dateien mit unterschiedlichenFormaten ist eine Selbstverständlichkeit, wobei das ProgrammFaust mit 240 Formaten hervorsticht. Für die Nachnutzung vonMetadaten werden die bestehenden Schnittstellen zum Importvon Findmitteln so ausgebaut, dass sich diese Behördeninforma-tionen mit Hilfe eines Mappings kontrolliert in die entsprechen-den Datensätze und Datenfelder des Verzeichnungsprogrammsüberführen lassen. Das Programm ACTApro der Firma Startextzeichnet sich dadurch aus, dass es Metadaten zu bestimmtenDateiformaten automatisch extrahiert und anzeigt. Schließlichberücksichtigen die Produzenten auch die etablierten Standards:Anbieter wie Scope und Augias verweisen hier explizit auf OAISund XDOMEA als technische und konzeptionelle Referenzen. Dieanderen Unternehmen planen, ihre Lösungen in dieser Hinsichtweiterzuentwickeln.Mit dem Ansatz, schon verbreitete Archiv-Software „fit zu ma-chen“ für die Erschließung elektronischer Unterlagen, reagieren

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die Softwareanbieter auf eine Konsequenz, die sich aus derUmsetzung des DOMEA-Konzepts ergeben wird. Dieses siehtvor, dass die elektronische Sachaktenführung nicht in allenBehörden nach dem top-down-Verfahren für die gesamte Schrift-gutverwaltung einer Behörde implementiert werden muss. AlsAlternative dazu können und sollen nur einzelne Organisations-einheiten ihre Schriftgutverwaltung auf eine komplett digitaleRegistratur umstellen, während andere Abteilungen, Referateoder Dezernate nach wie vor mit Papierakten arbeiten. Es ist sehrwahrscheinlich, dass viele Behörden diesen Weg gehen werden,um sich die Mühen zu ersparen, ihre Arbeitsprozesse auf allenTätigkeitsfeldern und in einem Zug zu verändern.16 Vielmehrwerden einige Organisationseinheiten als Piloten ausgewählt, umerste Erfahrungen zu sammeln und zu einem späteren Zeitpunktdie IT-Lösung in der gesamten Behörde einzuführen.Die Konsequenzen aus Sicht des Archivars wie auch des Benut-zers der Unterlagen liegen auf der Hand: Auf absehbare Zeit wirdeine Papierüberlieferung parallel zur digitalen Überlieferunglaufen. Damit stellt sich die Frage, • ob es sinnvoll ist, die Informationen zur Papierüberlieferung in

einem anderen Erschließungssystem vorzuhalten als dieOrdnungs- und Verzeichnungsinformationen zur digitalenÜberlieferung,

• oder ob versucht werden sollte, beide Überlieferungsstränge ineinem Findmittel zu erschließen.

Der Ansatz, elektronische Unterlagen mit einer herkömmlichenIT-Lösung zu erschließen, verspricht, keine Lücke zwischen derpapierenen und elektronischen Überlieferung entstehen zulassen. Vielmehr können die konventionellen und die elektroni-schen Unterlagen nach einem gleichen Muster verzeichnet, ineine gleiche Systematik integriert und schließlich auch auf demselben Weg recherchiert werden. Demgegenüber zeichnet sich derAufbau eines eigenständigen digitalen Archivs durch die funktio-nale Geschlossenheit einer einzigen IT-Lösung aus. Es erübrigtsich eine aufwendige Verzahnung von zwei miteinander kommu-nizierenden IT-Systemen, nämlich zwischen einem Verzeich-nungsprogramm und einer Anwendung zur digitalen Langzeitar-chivierung.

IV. ORDNUNG ELEKTRONISCHERSACHAKTEN Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, wie elektronischeSachakten archivisch so zu ordnen sind, dass sie eine herkömmli-che archivische IT-Lösung erschließen kann. Die drei Aspekte derDOMEA-Grundstruktur geben dabei einen Rahmen vor, also:• die Einbindung der Akten in den Aktenplan• die Gliederung in Vorgänge• und die unbegrenzte Lebensdauer der elektronischen Akte.Um sich die Erschließung zu erleichtern und die Entstehung derArchivalien in ihrem Zusammenhang abzubilden, nutzen Archi-vare im Regelfall vorarchivische Ordnungs- und Findmittel derRegistraturbildner. Dies trifft insbesondere auf den Aktenplanzu: Es ist gängige archivische Praxis, die Klassifikation einesFindbuchs an dem Aktenplan zu orientieren.17 Denn die Über-nahme der vorarchivischen Ordnung gestattet es nicht nur, dieEntstehungszusammenhänge in der Behörde abzubilden unddamit der quellenkritischen Forschung einen Dienst zu leisten.Zusätzlich lassen sich spätere Ablieferungen der Behörde mitwenig Aufwand in das überkommene Ordnungsschema integrie-

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ren und finden damit die richtige formale und inhaltliche Stelleim Bestand, ohne dass der Archivar viel Mühe darauf verwendenmuss.Allerdings eignen sich Aktenpläne im Regelfall nicht 1:1 alsFindbuchklassifikationen, sondern sie werden gemäß des regulie-renden Registraturprinzips zu diesem Zweck abgewandelt. In derPraxis versucht eine Klassifikation, die aus dem Aktenplan derabgebenden Behörde entwickelt wurde, zwei Ansprüchen gerechtzu werden, nämlich einerseits den Bestand so zu ordnen, dass erdurch neue Ablieferungen erweiterbar ist, und andererseits eineBenutzung zu erleichtern. Ein Änderungsbedarf ergibt sichinsbesondere an folgenden Punkten: Die Aktenplanpositionen, zudenen kein archivwürdiges Schriftgut entsteht, sind aus derKlassifikation auszusondern und brauchen nicht abgebildet zuwerden. Ebenso kann es sinnvoll sein, mehrere Aktenplanpositio-nen zu einem Klassifikationspunkt zusammenzufassen oder aufeine weitere Unterteilung zu verzichten. Das wichtigste Hilfsmit-tel für diese Umarbeitung des Aktenplans in eine Klassifikationwird der bei der Behörde hinterlegte Bewertungskatalog sein.Dieser hält fest, welche Aktenplanpositionen archivwürdig sind,welche durch Autopsie zu bewerten und welche als komplettkassabel erscheinen. Der Bewertungskatalog liefert damit eineSkizze, welche Teile der Registratur überhaupt ihren Weg in dasArchiv finden werden. XDOMEA 2.0 verfügt über Komponenten, um genau dieseInformationen abzubilden.18 Die Basiskomponente „Aktenplan“und ihre Unterkomponenten erfassen nicht nur die einzelnenAktenplaneinheiten mit ihren Kennzeichen und Beschreibungensowie das hierarchische System, in dem diese eingegliedert sind.XDOMEA enthält ebenso Metadaten über den Zeitraum, in demder Aktenplan gültig war, sowie unter dem Metadatum „Ausson-derungsart“ die Anweisung, ob die der Aktenplaneinheit zuge-ordneten Akten, Vorgänge und Dokumente zu archivieren, zubewerten oder zu vernichten sind. Aus diesen Informationenkann der Archivar, wenn er die Ordnung des Bestandes konzi-piert, eine Negativliste von Aktenplanpositionen erstellen, zudenen keine archivwürdigen Akten übernommen werden und diedeswegen in der Systematik keine Berücksichtigung zu findenbrauchen.Eine weitere Frage ergibt sich aus der Besonderheit der Aktenbil-dung gemäß der DOMEA-Grundstruktur: Wie sind vorgangs-und nicht mehr aktenweise strukturierte Akzessionen für diearchivischen Verzeichnungsarbeiten vorzubereiten? Wie kann die

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12 S. Koop ADV: XDOMEA, S. XV.13 S. ebd., S. 233, 235.14 So stellt das OAIS-Modell zwar die Bedingung, dass während des ingest die

Daten von archival storage und data management aktualisiert und synchro-nisiert werden sollen, spricht aber eindeutig von zwei getrennten Datenbestän-den (CCSDS: OAIS, S. 4-50).

15 Vgl. Karsten Huth: Elektronische Archivierung. Die Suche nach einem geeig-neten Metadatenschema, in: Barbara Hoen (Hg.): Planungen, Projekte, Perspek-tiven. Zum Stand der Archivierung elektronischer Unterlagen, Düsseldorf 2007,S. 94-104. Der folgende Abschnitt stützt sich auf Selbstauskünfte der Anbietervon Archivsoftware (Stand: März 2009).

16 Im Geschäftsbereich des Senators für Wirtschaft und Häfen, dessen Überlie-ferung ich betreue, werden die Unterlagen zur Beteiligung des SWH an denVerhandlungen der Deputationen (eine mit den Landtagsausschüssen in denübrigen Bundesländern vergleichbare Einrichtung) sowie zur Teilnahme an derWirtschaftsministerkonferenz in einer elektronischen Registratur aufgebaut.

17 Zur Diskussion über die Anwendung des Registraturprinzips vgl. Gerhard En-ders: Archivverwaltungslehre, Leipzig 1962, S. 104-106 und Wilfried Reining-haus: Erschließen, in: Evelyn Kroker u. a.: Handbuch für Wirtschaftsarchive,München 1998, S. 145-175, hier: S. 167-169.

18 Vgl. KoopADV: XDOMEA2.0.1, o.O. 2008, S. 85-91.

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Dreistufigkeit in Akte – Vorgang – Dokument abgebildet werden?Um die Zuordnung von Vorgängen zu Akten als Struktur derDOMEA-Schriftgutverwaltung abzubilden, soll auf das bewähr-te Verfahren der Bildung von Bandserien zurückgegriffen werden.Pro Sachakte wird eine Bandserie angelegt. Informationen, diesich auf eine aus einem DOMEA-konformen DMS oder VBSübernommene Akte als Ganzes beziehen, sind demnach der denBänden übergeordneten Serie zuzuweisen und im Titel und Ent -hält-Vermerk zu präsentieren. Erschließungsangaben hingegen,die sich nur auf einzelne Vorgänge beziehen, sollen in die derSerie untergeordneten Bände einfließen. Signaturtragende Ver-zeichnungseinheiten sind also die einzelnen Vorgänge. Die Ver -zeichnung von digitalen Sachakten greift so auf ein von Papierak-ten bekanntes Ordnungsverfahren zurück. Außerdem kann derArchivar der schon bestehenden Serie jederzeit neue Bändehinzufügen. Dem dritten Aspekt der DOMEA-Grundstruktur –nämlich der Unbegrenztheit der elektronischen Akte – wird soRechnung getragen.Dieses Verfahren kann durchaus verfeinert werden. Es ist mög-lich, dass einzelnen Akten sehr viele Vorgänge zugeordnet sind,die Obergrenze wird nur durch das jeweilige DMS oder VBSvorgegeben. Um hier Übersichtlichkeit zu schaffen, kann sich derArchivar dafür entscheiden, mehrere Vorgänge zu einem Schnittzusammenzuziehen und in einem Serienband zu vereinigen, derals signaturtragende Verzeichnungseinheit fungiert. An Soft-warelösungen zur digitalen Langzeitarchivierung kann also – umes mit dem Fachvokabular von OAIS auszudrücken – der An-spruch gestellt werden, mehrere SIP, also die einzelnen Vorgänge,zu einem AIP zusammenfassen zu können, das eine Signaturträgt und dann inhaltlich erschlossen werden kann.19 Da dieseAktenbände erst im Archiv gebildet und zu einer Serie zusam-mengeführt werden, entscheidet der Archivar darüber, wie vieleVorgänge einer Akzession jeder Band umfassen soll und er kannso ein Maß finden, dass gut zu verzeichnen und für den Benutzerüberschaubar ist. Wenn der Umfang es gestattet, sollten alle zueiner Akte gehörenden Vorgänge, die innerhalb einer bestimmtenAkzession übernommen wurden, einen Aktenband bilden.

V. VERZEICHNUNG ELEKTRONISCHERSACHAKTEN Der hier vorgestellte Vorschlag zur Erschließung elektronischerSachakten orientiert sich eng an der in deutschen Archiven ge -übten Erschließungspraxis: Die Gliederung eines Bestandes mitHilfe einer Klassifikation, in welcher die signaturtragendenArchiv einheiten ihren sachlich zutreffenden Ort finden, wird da -bei ergänzt um eine genauere Erschließung der einzelnen Archiv-einheiten. Im Regelfall bildet der Archivar einen Verzeichnungs -titel, stellt die Laufzeit fest, übernimmt das Aktenzeichen undformuliert gegebenenfalls noch einen Enthält-Vermerk.20 Für dieseeinzelnen Elemente einer Verzeichnung können jeweils Meta datenaus dem Baukasten von XDOMEA 2.0 genutzt werden.Die Basis für eine Verzeichnung elektronischer Sachakten sind dieder Basiskomponente Akte und der Basiskomponente Vorgangzugeordneten Elemente, von denen bis zu 13 verwendet und mitDaten befüllt werden können.21 Im Folgenden möchte ich dieElemente vorstellen, die sich zur inhaltlichen Erschließung derAkte in Form einer Bandserie von Vorgängen eignen, bevor ichauf einige Aspekte der Verzeichnung elektronischer Akten aus-führlicher eingehe.

Element „Allgemeine Metadaten“/Metadatum „Betreff“ – DiesesMetadatum soll eine Akte inhaltlich charakterisieren und so vonden anderen Akten der Registratur abgrenzen. Ebenso wie bei derErschließung von konventionellen Papierunterlagen dient derAktenbetreff in den meisten Fällen als eine vorläufige Inhaltsbe-schreibung der Akte, die im Zuge der archivischen Verzeichnungdurch Informationen aus anderen Quellen gegebenenfalls einzu-schränken oder zu erweitern sowie inhaltlich und formal zukorrigieren ist.• Element „Allgemeine Metadaten“/Metadaten „Kennzeichen“

und „Aktenplaneinheit“ – Das Element „Allgemeine Metada-ten“ kann sich aus mehreren Unterelementen zusammenset-zen, von denen zumindest „Kennzeichen“ und „Aktenplanein-heit“ für die Verzeichnung von Interesse sind. In das Metada-tum „Kennzeichen“ wird das Geschäftszeichen eingetragen,das die Identifikation der Akte ermöglicht. Das Metadatum„Aktenplaneinheit“ gibt die Position der Akte innerhalb desOrdnungsgefüges des Aktenplans an.

• Element „Typ“ – Die Akte wird einer bestimmten Gattung vonAkten zugeordnet, beispielsweise „Bauakte“ oder „Personalak-te“. Im Zusammenhang mit dem Element „Aktenbezeich-nung“ beschreibt dieses Metadatum die Tätigkeit der Behörde,aus der heraus dieses Schriftgut angelegt wurde und gibtAufschluss über Zweck und Inhalt der Akte.

• Element „Laufzeit“ – Wenn eine Akte geschlossen und mitallen zugehörigen Vorgängen in das Archiv übernommen wird,kann auch dieses Metadatum ausgewertet werden. Erfährt dieAkte noch Zuwachs in der Behörde, wird sich dieses Metada-tum kaum sinnvoll nutzen lassen, da es nur das Anlagedatumder Akte enthält. Für das Enddatum der archivischen Bandse-rie müssen die Laufzeiten der Serienbände ausgewertet wer-den.

• Die Metadaten zu den einzelnen Vorgängen sind analog zu denMetadaten der gesamten Akten aufgebaut. Das heißt, in einemElement „Allgemeine Metadaten“ sind unter anderem derVorgangsbetreff, die Federführung und die Vertraulichkeitsstu-fe als Elemente aus dem Baukasten enthalten und können mitDaten versehen werden. Ergänzend liefert das Element „Typ“eine Charakterisierung des Vorgangs, beispielsweise als Geneh-migungsverfahren, Widerspruchsverfahren usw. Auch sind denMetadaten des Vorgangs Informationen zu den einzelnen inihm enthaltenen Schriftstücken angehängt.

Eine Verzeichnung von elektronischen Sachakten kann sich somitauf einen substantiellen Bestand von Metadaten stützen unddiese zumindest teilweise in Form eine Mappings automatisch indie Datenbank der Erschließungssoftware übernehmen. Für dieMetadaten „Kennzeichen“ und „Aktenplaneinheit“ ist ein sol-ches Vorgehen unproblematisch, da diese Daten ohnehin ungeän-dert in den Findmitteln wiedergegeben werden sollen. Gleichesgilt für das Element „Laufzeit“ im Fall von geschlossenen Akten. Anspruchsvoller gestaltet sich die Übernahme des Metadatums„Aktenbetreff“ als Verzeichnungstitel für die zugehörige Bandse-rie. Ein Mapping kann dieses Metadatum automatisch in dasentsprechende Datenfeld eintragen, wo es als vorläufiger Verzeich-nungstitel fungiert. Aber die Erfahrung zeigt, dass der Archivardiesen Aktentitel – gerade im Fall von nicht massenhaft gleichför-migem Schriftgut – häufig umformuliert, um den Anforderungeneiner zufriedenstellenden Verzeichnung zu genügen, näm licherschöpfend, korrekt und allgemein verständlich zu sein. Eingrif-fe in die Formulierung wie die Auflösung von Abkürzungen oder

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die Modernisierung veralteter Schreibweisen verstehen sich vonselbst. Zusätzlich ist, um Gegenstand und Art der Ver -waltungstätigkeit angemessen aufschlüsseln und beschreiben zukönnen, ein Blick in den Aktenplan, in die einschlägigen Rechts-vorschriften oder die Verwaltungsgeschichte der entsprechendenBehörde nicht selten unerlässlich.22 Hierfür werden im Regelfallkeine Metadaten benötigt.Um indessen die Gewähr dafür zu übernehmen, dass der Ver-zeichnungstitel der Bandserie den Inhalt der als Bände aufgestell-ten einzelnen Vorgänge korrekt umschreibt, ist eine Metadaten-autopsie anzuraten. Hierfür kann der Archivar zum einen diesonstigen, einer Akte zugeordneten Angaben heranziehen, die inder Aufstellung oben ausgelassen wurden. Eventuell sind dieMetadaten „Federführung“ oder „Vertraulichkeitsstufe“ sowiedie im Element „Interner Geschäftsgang“ enthaltenen Angabenzu den Verfügungen (Unterelement „Bearbeitungsschritt“) schonaufschlussreich genug, um eine weitere Analyse zu erübrigen. Inmanchen Fällen wird der Archivar aber nicht umhin können, diezu den einzelnen Vorgängen, gegebenenfalls auch die zu einzel-nen Dokumenten, abgelegten Metadaten auszuwerten und an -schließend den Titel der Bandserie zu überprüfen sowie dessenInhalt und Formulierung zu ergänzen, zu präzisieren oder zukorrigieren. Auf die Metadatensätze, die zu einzelnen Vorgängenangelegt wurden, muss ohnehin zurückgegriffen werden, wenn(wie ich es oben vorgeschlagen habe) Bände zu der Serie angelegtwerden. Wenn jeder Vorgang einen eigenen Serienband bildet,dann sind mindestens die Informationen zu der Laufzeit unddem Aktenzeichen zu übernehmen, um den einen Vorgang voneinem anderen zu unterscheiden und diese in einer chronologi-schen Reihenfolge zu ordnen, während auf die Übernahme sowieUmformulierung eines eigenen Verzeichnungstitels bei der Er -schließung von Bänden verzichtet werden kann. Neben dem Titel der Verzeichnungseinheit (in diesem Fall: derBandserie) kann der Archivar auch einen Enthält-Vermerkformu lieren, um den Verzeichnungstitel zu ergänzen.23 Dabeikann sich der Enthält-Vermerk einerseits auf die gesamte Bandse-rie beziehen. So können Informationen an den Leser des Find-mittels weitergegeben werden, die durch Auswertung der zu deneinzelnen Vorgängen vorhandenen Metadaten gewonnen wur-den. Vermutlich handelt es sich um einen „Enthält u. a.“– oder„Enthält v. a.“-Vermerk, der die Struktur und Funktion der Akteund alle darin enthaltenen Vorgänge näher kennzeichnet. Wennbeispielsweise in einer Akte fast ausschließlich Genehmigungs-verfahren enthalten sind und sich diese Zusammensetzung auchim Inhalt des Metadatums „Vorgangstyp“ niederschlägt, dannkönnte ein Vermerk für die gesamte Bandserie lauten: „Enthält v.a.: Genehmigungsverfahren“.Andererseits kann ein Enthält-Vermerk auch genutzt werden, umeinen einzelnen Serienband näher zu erschließen. Dies ist insbe-sondere dann empfehlenswert, wenn Dokumente dieses Vorgangsoder der Vorgang als Ganzes entweder in inhaltlicher oder for -maler Hinsicht den Verzeichnungstitel durchbrechen. Im Regelfallwird ein „Enthält auch“- oder „Enthält nur“-Vermerk formuliertwerden. Wenn (um beim oben erwähnten Beispiel zu bleiben)ein Vorgang nur den das Genehmigungsverfahren abschließen-den Bescheid enthält, könnte folgender Vermerk im Findmittelniedergelegt werden. „Enthält nur: Bescheid“. Eine solche For-mulierung bringt die Besonderheit dieses einzelnen Vorgangszum Ausdruck und zeigt klar den Unterschied zu den anderenVorgängen auf, die ebenso zu der Akte gehören und in denen die

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Genehmigungsverfahren im ganzen Umfang dokumentiert sind.Mag sich ein solches Vorgehen auf den ersten Blick sehr arbeits-reich ausnehmen, so möchte ich auf einen Vorteil gegenüber derVerzeichnung von Papier-Unterlagen hinweisen: Die Analyse wirdsich in den meisten Fällen auf eine summarische Auswertungvon einheitlich und gut strukturierten Metadatensätzen be-schränken. Die Metadatenautopsie wird in den meisten Fällendie Primärdatenautopsie erübrigen. Denn wenn die Behörden dieMöglichkeiten von XDOMEA 2.0 zur Gänze ausschöpfen, werdensich die Archive mit einer Fülle von Informationen konfrontiertsehen, die den Inhalt der elektronischen Sachakte beschreibenund damit erschließen. Auch zu einzelnen Dokumenten kann einDMS und VBS Metadaten vorhalten. Diese Ausführlichkeit er -laubt damit die Erstellung von Findmitteln, die hinsichtlich derErschließungstiefe das Niveau von analytischen Findbüchern undInventaren erreichen können.24

Damit kehrt sich das bisher praktizierte archivarische Vorgehenin mancher Hinsicht um. Bei Papierüberlieferungen erweisen sichdie von der Registratur zur Verfügung gestellten Hilfsmittel häu -fig als wenig umfangreich und inhaltlich dürftig, so dass eineAktenautopsie in vielen Fällen unerlässlich ist, um die durch dieBehörde formulierten Aktentitel zu überprüfen, zu ergänzen oderzu korrigieren. Bei elektronischen Akten kann der Archivar denAnforderungen ausgesetzt sein, stattdessen die ihm in struktu-rierter Form vorliegenden Metadaten inhaltlich zu komprimierenund formal zu vereinheitlichen, um so die elektronische Sachaktezusammenfassend, erschöpfend und korrekt durch Aktentitel undEnthält-Vermerk zu verzeichnen. Die Hauptaufgabe des Archivarswird dann darin bestehen, die wichtigen Metadaten auszu -wählen, diese zu sortieren und zu verdichten, damit am Ende desProzesses nicht nur verlässliche, sondern auch übersichtlicheFindmittel stehen, auf die der Benutzer, die Behörde und nichtzuletzt das Archiv selbst zurückgreifen kann25.

Jörn Brinkhus, Bremen

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19 Vgl. CSSDS: OAIS, S. 4-49.20 Dabei möchte ich verzichten, auf die Frage einzugehen, wie Metadaten für eine

Stufenverzeichnung nach ISAD(G) genutzt werden können.21 Vgl. KoopADV: XDOMEA, S. 80.22 Vgl. Leibetseder (Anm. 3).23 Es ist hier nicht der Raum, auf die unterschiedliche Benutzung des Enthält-

Vermerks zusammen mit seinen diversen Attributen („unter anderem“, „vorallem“, „nur“ usw.) einzugehen. Ich möchte hier den OVG (Potsdam 1964, S.52 f., 64-67) folgen, die empfehlen, den Enthält-Vermerk nur in Ausnahmefäl-len zur Korrektur von beibehaltenen Aktentiteln zu nutzen.

24 Vgl. Enders (Anm. 17), S. 156 und Reininghaus (Anm. 17) , S. 152 f. über ana-lytische Inventare.

25 Dieses stellt Kluttig (Anm. 2), S. 25 f. schon für die aus Registraturprogram-men gewonnen Informationen fest.

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MAßNAHMEN In einem ersten Schritt ging es zunächst darum, die Benutzbar-keit der beiden Bestände zu verbessern. Mangels vorliegenderFindmittel war das im Fall der abgefallenen Siegel zunächstdurch eine entsprechende Erschließung zu erreichen. Von Juni bisDezember 2004 wurden zumindest die ca. 350 voridentifiziertenStücke im neuangelegten V.E.R.A.-Findbuch 190.02.00 abschlie-ßend verzeichnet und dabei auch das Signaturschema durchUmstellung auf fortlaufende arabische Zählung entsprechendvereinfacht. Im März 2007 signierte eine Praktikantin unterAnleitung die Siegelstempel um. Bei der Aktion wurden auchweitere Fehlstücke im Findbuch notiert.Das Problem der Unterbringung blieb jedoch weiterhin ungelöst.Nachdem man jahrelang vergeblich versucht hatte, Gelder für dieAnschaffung passender Schränke zu erhalten, standen Anfang2007 erstmals Mittel zur Verfügung, die es erlaubten, sich aufdem Markt nach adäquaten Unterbringungsmöglichkeiten zuerkundigen. Zunächst folgte die ernüchternde Feststellung, dasses regelrechte „Siegelschränke“ nicht gibt. Stattdessen musstenAlternativen gefunden werden. Bei der Suche ließ man sich vonbestimmten Auswahlkriterien leiten. So war besonders auf dieSchubladenhöhen zu achten – schließlich sollten auch Überfor-mate (z. B. große Siegel in Wachsschüsseln, Siegelstempel mitlangen Holz- oder Metallgriffen) hineinpassen. Es schien wichtig,ausreichende Fachunterteilungen zu haben, um so das Hin- undHerrutschen der Siegel beim Herausziehen der Schubladen unddadurch bedingte Beschädigungen zu vermeiden. Auch spieltenwirtschaftliche Überlegungen (möglichst platzsparende Unter-bringung; angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis) eine wichtigeRolle.Zunächst waren Flachablage- bzw. Archivierungsschränke imGespräch, wie sie im Hause bei der Kartenaufbewahrung Ver-wendung finden. Im Frühjahr 2007 wurden entsprechendeHerstellerfirmen angeschrieben. Daraufhin ging eine Reihe vonAngeboten ein. Jedoch ergaben sich Probleme. Für die Schubla-den standen i. d. R. nur zwei Normmaße zur Auswahl, die ausge-hend von der reinen Nutzhöhe möglicherweise nicht alle Siegelhätten aufnehmen können. Auch bot keine der Firmen in demerforderlichen Umfang Fachteiler an. Die Restauratorin desArchivs, Frau Ern, war bereit, für die Inneneinteilung der Schrän-

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AUSGANGSLAGE Die Abteilung Rheinland des Landesarchivs Nordrhein-Westfalenverfügt über eine recht ansehnliche Siegelsammlung, darunterüber 500 Siegelstempel unterschiedlichster Herkunft aus der Zeitdes Spätmittelalters bis in die Moderne sowie einige hundertlose, i. d. R. von eigenen Urkunden stammende, auf Grundunsachgemäßer Reponierung abgefallene Originalsiegel, die nichtmehr zugeordnet werden konnten oder auf deren Wiederanbrin-gung aus verschiedenen Gründen verzichtet wurde. Sowohl der Verzeichnungszustand wie auch die Art der Unter-bringung der Siegel ließen lange Zeit sehr zu wünschen übrig: Zuden Siegelstempeln lag als einziges Findmittel ein handschriftli-ches Repertorium aus dem Jahr 1876 vor, das die einzelnenStücke nur sehr flach verzeichnet und in ein wenig überzeugen-des Klassifikationsschema eingeordnet hatte. Der Bestand warumständlich in mehrere Unterbestände – an der Klassifikationorientierte, 3-4-stellige Zahlen- und Buchstabenkombinationen –unterteilt. Die Benutzung wurde dadurch erschwert, dass dasFindbuch durch handschriftliche Nachträge von verschiedenerHand – Zeugnisse über Erwerbungen, Abgaben und Verluste inspäterer Zeit – inzwischen recht unübersichtlich geworden war.Hinzu kam die erschreckende Tatsache, dass man Fehlstückeoffenbar nicht immer festgehalten hatte, so dass im Grundeniemand genau wusste, was tatsächlich noch vorhanden war. DieStempel waren in braune, zumeist schon sehr abgegriffeneMusterbeutel eingelegt, in den Archivkartons viel zu eng, dadurchauch unübersichtlich aneinandergestellt und durch Herausrut-schen aus den Beuteln und falsche Rücksortierung stellenweisedurcheinandergeraten. In einem schlimmeren Zustand befanden sich die abgefallenenSiegel. Die diversen Blei-, Wachs- und Lackabdrücke waren in 17Kartons untergebracht. Die Stücke in den ersten 10 Kartonswaren durchnummeriert, grob voridentifiziert und nach Siegler-typen (= Unterbestände I-V) geordnet, jedoch bisher in keinemFindmittel erschlossen und damit für die Benutzung kaumzugänglich. Sie lagen in gebrauchten Briefumschlägen, die denBriefmarken und Poststempeln nach noch aus der unmittelbarenNachkriegszeit (!) stammten, dementsprechend abgenutzt undsicherlich alles andere als säurefrei waren. Die Siegel in denübrigen 7 Kartons erwiesen sich als noch völlig unbearbeitet.

NEUORDNUNG DERSIEGELSAMMLUNG IN DERABTEILUNG RHEINLAND

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Siegelstempel vor der Neuordnung Siegelstempel nach der Neuordnung

Abgefallene Siegel vor der Neuordnung Abgefallene Siegel nach der Neuordnung

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ke durch selbstverfertigte Pappeinlagen zu sorgen, doch hätte diesfür die personell ohnehin unterbesetzte Werkstatt eine Menge anzusätzlicher Arbeit bedeutet. In der Hoffnung, geeignetereSchränke zu finden, wurde die Anschaffung zunächst zurückge-stellt, um unnötige Mehrarbeit und Personalkosten zu vermei-den. Es gab Überlegungen, Münzschränke zu kaufen, da derenSchubladen stets Fachteiler aufweisen. Doch war hier das Ange-bot begrenzt, und besonders im Hinblick auf die Größenmaßeund das Preis-Leistungs-Verhältnis erfüllte keines der ermitteltenProdukte die Erwartungen. Im Oktober 2007 wurde man schließlich fündig. Der Katalogeines bekannten Herstellers von Betriebs- und Ladeneinrichtun-gen aus dem Bergischen Land bot sogenannte Schubladenschrän-ke an, die, eigentlich für die Aufbewahrung von Werkzeug undkleinen Elektronikbauteilen gedacht, durchaus auch als „Siegel-schrank“ geeignet schienen. Innerhalb der Leergehäuse war dieZahl und Höhe der Schubladen relativ frei wählbar. Für dieInnengestaltung wurden versetzbare Fachteiler in verschiedenenMaßen sowie Moosgummieinlagen als Polster gegen das Hin-und Herrutschen angeboten. Nachdem die Finanzierung durchEinstellung in den Haushalt gesichert war, konnten zwei solcherSchränke gekauft werden, die in den Maßen 1015 x 700 x 1530mm mit jeweils 16 Schubladen (Höhe: 1 x 60, 15 x 90 mm),reichlich Fachteilern und Moosgummieinlagen gewählt wurden.Nach der Anlieferung im Dezember 2007 erfolgte in der 1. Hälftedes neuen Jahres die Bestückung der Schränke. Als Verpackungfür die Siegelstempel entschied man sich für die bewährtenMusterbeutel 95 x 240 mm, wobei die alten stets gegen neueausgetauscht wurden. Mit Signaturen versehen wurden dieeingetüteten Stücke nach und nach in die Schubladen eingelegt.Für die Schubladenunterteilung reichten senkrechte Fachschie-nen völlig aus, da Verpackung und Moosgummieinlagen für eingewisses Maß an Polsterung sorgten und ein Verrutschen derSiegelstempel bei der Bewegung der Schubladen verhinderten.Um Platz zu sparen, wurden die Abstände zwischen den Schienenmöglichst eng gehalten. Letztendlich konnte jede Schublade

durchschnittlich jeweils ca. 30 Archiveinheiten aufnehmen.Damit waren der erste Schrank – bis auf die oberste, flachereSchublade, die freigelassen wurde – vollständig und vom zweitenSchrank die unterste Lade gefüllt.Bei der im Anschluss an die Umbettungsaktion erfolgten Überar-beitung der Verzeichnung wurde die Klassifikation geändert undnur noch die vorhandenen Stempel aufgenommen. Damit sinddie Findmittel beider Bestände – Siegelstempel und abgefalleneSiegel – in V.E.R.A. datenbankmäßig erfasst.Es blieb noch die Einsortierung der abgefallenen Siegel. Ange-sichts des zumeist sehr geringen Durchmessers konnte dünneresund kleineres Verpackungsmaterial verwendet werden. Die Wahlfiel auf Pergamintüten 80 x 115 mm, die sogar noch hinreichendPlatz für Etiketten boten. Nur bei überformatigen Siegeln griffman gelegentlich auf größere Pergamintüten (145 x 190 mm) unddie vorgenannten Musterbeutel, in einigen wenigen Fällen auchauf DIN-A5-Briefumschläge zurück. Trotzdem konnten dieSchubladen im Regelfall enger bepackt werden, so dass sich einedurchschnittliche Belegung mit ca. 40 Archiveinheiten ergab.

FAZIT Die Siegel sind nunmehr gut untergebracht, auf die Stücke lässtsich – auch aufgrund der neuen Findmittel – schneller undzielgerichteter zugreifen. Derzeit steht noch die Sichtung von 7 Kartons mit losen Wachs-und Lacksiegeln aus, die es zu identifizieren und zu verzeichnengilt. Deren anschließende Unterbringung ist bisher ungeklärt,doch lässt sich wohl ein Teil in den Schränken verstauen. Nachder Befüllung mit ca. 875 Archiveinheiten sind neben den zweiobersten, schmaleren Schubladen, über deren Verwendung bishernicht ernsthaft nachgedacht wurde, noch 5 normalgroße Schub-laden frei, die Platz für weitere ca. 150-200 Siegel (30-40 Siegel-stempel und 120-160 abgefallene Siegel) bieten.

Jörg Franzkowiak, Düsseldorf

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EXPERTENANHÖRUNG ZUMKÖLNER ARCHIVEINSTURZ UNDDEN KONSEQUENZEN

Gemeinsam mit der Stadt Köln hat das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen am 24. Juni eine Expertenanhörung zum KölnerArchiveinsturz veranstaltet. Die Resonanz auf dieseExpertenanhörung war innerhalb des deutschen Archivwesensund darüber hinaus groß. Mehr als 160 Teilnehmer kamen inKöln zusammen, um aus angemessenem zeitlichen Abstand überdie Konsequenzen aus dem Unglück für die Archive und derenTräger zu beraten.

Eröffnet wurde die Veranstaltungen mit einer Rede desMinisterpräsidenten Jürgen Rüttgers. In einem sehr persönlichenRückblick schilderte Rüttgers seine Erinnerungen an dasUnglück von Köln. Der Einsturz des Stadtarchivs habe der StadtKöln eine tiefe Wunde geschlagen; die Menschen würden Zeitbrauchen, um das Ereignis zu verarbeiten. Rüttgers würdigte denEinsatz der vielen Helfer in Köln, die inzwischen 80 % desArchivguts haben retten können. Er forderte deshalb dazu auf,den Blick nach vorne zu richten und aus der Katastrophe zu ler-nen. Die Fehler beim U-Bahn-Bau in Köln müssten Anlass zueiner Überprüfung der Bauaufsicht geben. Rüttgers sprach sichfür eine Trennung von Bauaufsicht und -durchführung aus undkündigte an, die notwendigen organisatorischen und finanziellenMittel dafür bereitzustellen. Auch der Kölner OberbürgermeisterSchramma betonte die Notwendigkeit, aus dem Unglück zu ler-nen und die Katastrophe als Chance zu begreifen, dieSicherheitsstandards für Archive zu verbessern. In Köln solle mitdem Neubau des Stadtarchivs Europas modernster und sichersterArchivbau entstehen.Zu Beginn der ersten Plenumsveranstaltung schildertenKulturdezernent Georg Quander und die Leiterin desHistorischen Archivs der Stadt Köln Bettina Schmidt-Czaia nocheinmal den Unglückshergang und den Verlauf der bisherigenBergungsmaßnahmen, die noch bis Ende August andauern wür-den. Mittelfristig sei das Kölner Stadtarchiv bemüht, seinereguläre Arbeit wieder aufzunehmen, indem es in zunächst pro-visorischen Räumlichkeiten eine Möglichkeit zur Benutzung derdigitalisierten Sicherungsfilme und der geborgenen und restau-rierten analogen Unterlagen und der Dienstbibliothek schaffe.Als langfristige Perspektive kündigte Schmidt-Czaia an, dass dasStadtarchiv künftig aus den Erfahrungen im Umgang mit denFolgen des Archiveinsturzes jährlich ein Kolloquium zu Fragender Restaurierung veranstalten wolle.Hartmut Weber, Präsident des Bundesarchivs, griff in seinemGrundsatzreferat unter dem Titel „Die Kölner Katastrophe alsChance für die Bestandserhaltung“ bereits zentrale fachlicheFragestellungen der anschließenden Arbeitsgruppensitzungenauf. Die Realität der Katastrophe müsse ein Anstoß sein, umtheoretisches Wissen in die Praxis umzusetzen. Es müsstenMaßnahmen ergriffen werden, um in anderen Fällen ähnlichkatastrophale Folgen zu verhindern – durch eine Ertüchtigung

Abbildung 1: Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bei der Eröffnung derExpertenanhörung (Foto: Kristian Peters/Landesarchiv Nordrhein-Westfalen)

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geeignete Maßnahmen erforderlich, wie sie mit derLandesinitiative Substanzerhalt erfolgreich durchgeführt werden.6. Nach dem gegenwärtigen Stand der Technik müssen Verfahrender Sicherungs reprographie nach wie vor auf dem MediumMikrofilm basieren. Mit der weiteren technischen Entwicklungkann die Digitalisierung als Medium der Sicherung an Be -deutung gewinnen; bereits digital entstandene (born-digital)Dokumente können überhaupt nur digital gesichert werden.7. Digitalisierungsmaßnahmen spielen eine große Rolle, um dieBenutzbarkeit be schädigter oder zerstörter Bestände rasch wiederherzustellen. Hierzu hat das Land Mittel der Soforthilfe bereitge-stellt, um Sicherungsfilme besonders wertvoller Archiv beständedes Historischen Archivs zu digitalisieren. Im Falle von Kölnwird angeregt, die Bemühungen um eine digitale Rekonstruktiondes Stadtarchivs unter Beteiligung eines fachlichen Beirats ausVertretern der Forschung zu unterstützen.

BAUVORSCHRIFTEN FÜR ARCHIVE

Mit der DIN ISO 11799 „Anforderungen an die Aufbewahrungvon Archiv- und Bib liotheksgut“ existiert eine Norm, die wesent-liche Rahmenbedingungen für die Errich tung von Archivbautenabsteckt. An dieser Norm besteht auch nach den Erfahrungenaus Köln kein grundsätzlicher Änderungsbedarf. Da aber die

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der Sicherheit der Archivgebäude, durch Verbesserung desSchutzes von Archivgut in den Magazinen, durch Überdenkenvon Strategien zur Erhaltung von Information in Ersatzformenwie Mikrofilm und durch ein besseres Vorbereitetsein auf mög-liche oder wahrscheinliche Katastrophen.In einem Block, der den Internationalen Perspektiven gewidmetwar, ging zunächst der Generalsekretär des International Councilon Archives (ICA) David Leitch in einem Vortrag auf dieAktivitäten des ICA und des International Committee of the BlueShield (ICBS) auf dem Gebiet der Notfallprävention ein.Anschließend schilderte Hans Rütimann (Senior Advisor to theAndrew W. Mellon Foundation) an Beispielen aus den USA, wieStiftungen trotz der Wirtschaftskrise helfen können,Maßnahmen für Bestandserhaltung in Archiven zu unterstützen.Anna E. Bülow erläuterte am Ende des Auftaktplenums dieDigitalisierungsstrategie des Londoner National Archives undbetonte in diesem Zusammenhang den hohen Stellenwert derDigitalisierung für die Bestandserhaltung.In drei Arbeitsgruppen berieten die Teilnehmer am Nachmittagüber1. Bauvorschriften für Archive,2. die Prävention und Notfallvorsorge in Archiven und3. Strategien zur Verfilmung und Digitalisierung von Archivgut.Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Diskussionen, die in einerzweiten Plenumsveranstaltung zusammengetragen und erneutzur Diskussion gestellt wurden, werden im folgenden zunächst inForm von sieben Thesen zusammengefasst und anschließend fürjeden Themenkomplex noch einmal ausführlicher erläutert.

DIE ERGEBNISSE DEREXPERTENANHÖRUNG IN SIEBENTHESEN

1. Die Normen zum Bau von Archiven benötigen keinegrundsätzliche Änderung oder Ergänzung, sondern eineKonkretisierung im Einzelfall. Dazu zählen insbesondere stan-dort- und gebäudespezifische Risikoanalysen. Die Bewertungvon Risiken für Archivbauten und Schäden am Archivgut sindeine Daueraufgabe.2. Nach dem Vier-Augen-Prinzip muss die Einhaltung baufachli-cher Normen bei der Errichtung von Archivgebäuden sowohldurch den Bauherrn (unter Einbeziehung von Bauexperten) alsauch durch eine unabhängige Bauaufsicht überwacht werden.3. Als Konsequenz aus den Kölner Archiveinsturz ergeben sichwichtige Hinweise für die Fortentwicklung der Notfallplanungund -logistik, beispielsweise im Hinblick auf denOrdnungsverlust und die Fragmentierung von Archivgut.4. Dem Beispiel einzelner Regionen und Städte folgend, bedarf esvielerorts noch der Zusammenarbeit von Kultureinrichtungen inNotfallverbünden. Hierbei müssen die Archive nicht nur kon-zeptionell, sondern auch in der praktischen Umsetzung (Not -fallübungen) weiter voranschreiten.5. Obwohl Katastrophen wie die von Köln in großem Ausmaßzur Schädigung und teilweise auch zum Totalverlust vonArchivgut führen, sind auf die Gesamtheit gese hen dieUnterlagen in Archiven durch die „schleichende Katastrophe“eines Zerfalls aus materialbedingten Gründen stärker betroffen.Zur Vorbeugung und Behebung solcher Schäden sind weiterhin

Abbildung 2: Präsident des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, WilfriedReininghaus (Foto: Kristian Peters/Landesarchiv Nordrhein-Westfalen)

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Norm nicht alles im Detail regelt und regeln kann, bedarf es im Einzelfall stets einer Konkretisierung. Für jeden Archivbau musseine standort- und gebäudebezogene Risikoana lyse erstellt wer-den, deren Erkenntnisse den Bauprozess steuern und über dieFer tigstellung hinaus fortgeschrieben werden müssen. DenEinheits-Archivbau nach dem Muster von Bahnhofsbauten im 19.Jahrhundert kann es deshalb, wie der Prä sident desBundesarchivs, Hartmut Weber, betonte, nicht geben. Vor allembei Ziel konflikten, die z. B. zwischen den normativenForderungen der DIN ISO 11799 und dem berechtigten Wunschder Archive nach guter Erreichbarkeit bestehen, gilt es zu prüfen,welche Sicherheitsmaßnahmen im konkreten Fall zu ergreifensind. Bei je dem Gebäude ist darüber hinaus im Sinne einer nach-haltigen Kontrolle durch regel mäßige Inspektionen der Zustandzu überprüfen und die Bausicherheit auf diese Weise dauerhaftzu garantieren. Dabei gibt die DIN-ISO-Norm sowohl für dieBau planung als auch für das fortlaufende Monitoring nicht deneinzigen Maßstab ab. Christian Schramm, Vizepräsident derArchitektenkammer NRW, wies darauf hin, dass erst in derZusammenschau der DIN-ISO-Norm mit denLandesbauordnungen und weiteren Sonderbestimmungen ein„enges Regelgeflecht für die Sicherheit von Gebäuden“ vorliegt.Verantwortlich dafür, dass dieses Regelwerk eingehalten wird, istzunächst der Bauherr. Er muss sich, um seine Aufgabe verant-wortungsvoll wahr nehmen zu können, der Hilfe „qualifizierterPlaner“ bedienen. Dies sind Architekten, Fachingenieure undnicht zuletzt die Bauleiter, denen nach den Worten von Schrammbesondere Bedeutung zukommt. Heinrich Bökamp, Präsident derIngenieur kammer NRW, forderte, dass bei der Sicherheitsprüfung

von Archivbauten der Gesichtspunkt fachlicher Qualität diehöchste Priorität haben muss. Leistung müsse vor Preis gehen.Unabdingbar ist nach Aussagen Bökamps zudem, dass dieEinhal tung der baufachlichen Standards nicht nur von Seiten desBauherrn, sondern nach dem Vier-Augen-Prinzip zusätzlich auchdurch eine unabhängige Bauaufsicht über prüft wird. Wer sichanmaßt, sich selbst überwachen zu können, sei, so Bökamp, aufeinem verhängnisvollen Irrweg.

PRÄVENTION UNDNOTFALLVORSORGE IN ARCHIVEN

Für Archive, Bibliotheken, Museen und andereKultureinrichtungen gibt es zahlreiche Handreichungen,Praxisberichte und Empfehlungen zur Notfallprävention. Der Be -standserhaltungsausschuss der Archivreferentenkonferenz desBundes und der Länder hat seine umfassenden Empfehlungenzur „Notfallvorsorge in Archiven“ zu letzt im August 2007 aktua-lisiert. Ein Unglück wie das von Köln ist in diesen Emp -fehlungen bislang allenfalls am Rande berücksichtigt, weilKriege, Terroranschläge oder Erdbeben, die bislang als auslösen-de Faktoren für ein Unglück dieses Ausma ßes in Betracht gezo-gen wurden, im Vergleich zu Havarien, Hochwasser oder Brän -den nur eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit haben. Indiesem Punkt besteht nach den Erfahrungen aus KölnFortschreibungsbedarf für die Empfehlungen, vor allem bei denFragen der Verpackung und Ordnung von Archivgut sowie bei

Abbildung 3: Sitzung der Arbeitsgruppe 2: Prävention und Notfallvorsorge (Foto: Kristian Peters/Landesarchiv Nordrhein-Westfalen)

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der Pla nung von Handlungsabläufen im Notfall. Archivgut mussmöglichst robust verpackt und fest formiert gelagert werden; dasVerpackungsmaterial sollte säurefrei, alte rungsbeständig und inForm und Farbe wasserstabil sein. Wegen des Ordnungsver lustesund der Fragmentierung von Archivgut ist nach den Erfahrungenvon Köln be sonderer Wert darauf zu legen, die Ordnung desArchivguts auch nach einem Ka tastrophenfall transparent undrekonstruierbar zu halten. Findhilfsmittel und Lage rungsüber-sichten müssen zu diesem Zweck besonders gesichert werden(durch Ein beziehung in die Sicherungsverfilmung undRetrokonversion); die innere Ordnung von Beständen mussnachvollziehbar sein, ggf. durch Einführung von Mehrfach-Identifikatoren, die über eine Signatur auf dem Aktendeckel hin-ausgehen. Für den betrieblichen Ablauf der Notfallvorsorge istder weitere Aufbau von Notfallverbünden mit fest abgestimmtenKommunikations- und Kompetenzstrukturen unerlässlich. DieseAufgabe müssen die Archive nicht nur konzeptionell, sondernverstärkt auch in der praktischen Umsetzung angehen. Um dieWirksamkeit von Präventionsmaßnah men zu erhöhen, ist zudemdie regelmäßige Übung wichtig. Dass alle Mitarbeiterin nen undMitarbeiter sowie die Benutzer das Kölner Stadtarchiv rechtzeitigverlassen konnten, ist nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken,dass eine Evakuierung des Gebäudes kurz vor dem Einsturzgeprobt worden war.Trotz vieler wichtiger Erfahrungen aus der Kölner Katastrophekann es keine Pa tentlösung zur Notfallvorsorge geben. Diejeweils besondere Situation der einzelnen Archive erfordert nichtnur beim Bau, sondern auch in der Notfallvorsorge individuelle

Risikoprofile, an denen sich das Risikomanagement als laufendeAufgabe orientieren kann.Festgehalten werden muss schließlich noch: Alle Maßnahmender Notfallvorsorge sind für den Fall plötzlich eintretenderKatastrophen ausgelegt. Diese stehen auch im Zentrum deröffentlichen Wahrnehmung. Dass es daneben auch „schleichendeKa tastrophen“ wie den Zerfall und die Zersetzung durchschlechte Inhaltsstoffe in Pa pier gibt, darauf haben sowohl AnnaHaberditzl vom Landesarchiv Baden-Württem berg als auch AnnaE. Bülow und Hartmut Weber hingewie sen. Als präventiveMaßnahme ist deshalb die Einhaltung eines geeigneten Klimasund Sauberkeit in den Magazinen der Archive besonders wichtig.Dort, wo bereits Schädigungen eingetreten sind, müssenKonservierungsmaßnahmen ergriffen wer den. DieLandesinitiative Substanzerhalt in Nordrhein-Westfalen wurde indiesem Zusammenhang vom Präsidenten des Bundesarchivs aus-drücklich hervorgehoben.

SICHERUNGSVERFILMUNG UNDDIGITALISIERUNG

Eine Sicherung von Archivgut durch Reprographie bietet dieGewähr dafür, dass im Falle einer Beschädigung oder gar einesVerlusts der Originale zumindest der Infor mationsgehalt derUnterlagen relativ rasch wieder verfügbar und zugänglichgemacht werden kann. Nach heutigem Stand der Technik müssen

Abbildung 4: Mittagsimbiss im Innenhof des Kölner Rathauses (Foto: Kristian Peters/Landesarchiv Nordrhein-Westfalen)

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Verfahren der Sicherungs reprographie auf dem Medium desFilms basieren. Digitalisierungsmaßnahmen für Zwecke derBenutzung können von diesen Filmen ihren Ausgang nehmen.Insofern bilden Sicherungsverfilmung und Digitalisierung keineGegensätze, sondern ergän zen einander. Strategische Überlegun-gen zur Planung von Digitalisierungsprojekten müssen entlangeiner Priorisierung erfolgen. Das Interesse der Forschung, dieNut zungsfrequenz und die Gefährdung des Bestandes durchendogenen Zerfall können Kriterien für eine solche Priorisierungsein. Die Sondersituation in Köln, wo fast alle Originale überlängere Zeit nicht benutzbar sein werden, macht zwangsläufigbeson dere und spezifische Ansätze der Digitalisierung notwen-dig. Diese Situation bietet auch eine Chance, neue Wege auf die-sem Feld zu erproben. Das von Andreas Rutz (Universität Bonn)und anderen initiierte „Digitale Historische Archiv Köln“, in dasBe nutzer selbst Reproduktionen von Kölner Archivgut onlineeinstellen können, ist ein Beispiel, wie schon innerhalb wenigerTage nach dem Unglück von Köln, digitali sierte Archivalien unddigitalisierte Sekundärüberlieferung im Internet zugänglichgemacht wurden. Durch die Einbeziehungen von Web 2.0-Funktionalitäten bietet dieses „Digitale Archiv“, das mit demKölner Stadtarchiv inzwischen einen Kooperati onsvertrag abge-schlossen hat, die Möglichkeit einer engen Zusammenarbeit zwi -

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schen Archiven und der nutzenden Forschung. Dieser kooperati-ve Ansatz könnte weiter ausgebaut werden zu einem fachlichenBeirat, der den Wiederaufbau und die digitale Rekonstruktiondes Historischen Archivs der Stadt Köln langfristig begleitet. Aufdiese Weise böte sich eine Chance, die zuletzt gelockerteVerbindung von Archi ven und Geschichtswissenschaft wieder zufestigen und auch Mittel aus der For schungsförderung, z. B. derDeutschen Forschungsgemeinschaft, für die Archive nutzbar zumachen.Eine ausführlichere Dokumentation, die neben den Abstracts derVorträge und einer Zusammenfassung der Diskussionen auchzentrale Beiträge im Volltext enthält, wird das Landesarchiv zumDeutschen Archivtag in Regensburg (22.-25. September 2009)vorlegen. Parallel dazu beabsichtigt das Landesarchiv, eineAnregung aus dem Plenum aufgreifend, gemeinsam mit demVerband deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) die zen-tralen Erkenntnisse aus der Expertenanhörung thesenhaft inForm einer Kölner Erklärung zusammenzufassen, die ebenfallsauf dem Deutschen Archivtag vorgestellt werden soll. Der VdAhatte ohnehin eine Resolution für die Mitgliedersammlung inder Sache vorgesehen.

Andreas Pilger, Düsseldorf

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PHASEN DER BERGUNG UNDERSTVERSORGUNG DESARCHIVGUTS AUS DEMHISTORISCHEN ARCHIV DERSTADT KÖLNDie ersten Fachbeiträge zum Einsturz des Historischen Archivsder Stadt Köln sowie zur Bergung und Erstversorgung des gebor-genen Archivguts, geben im Wesentlichen einen bestimmtenStand der Arbeitsabläufe wieder.1 Im Mittelpunkt des vorliegen-den Aufsatzes steht die Vorstellung der wesentlichenEntwicklungen und Phasen des Aufbaus der Erstversorgungs-logistik bis zum Stand Anfang Juli 2009 in ihrer chronologischenAbfolge. Daraus sind – über den konkreten Fall Köln hinaus –wichtige Anregungen für eine Überprüfung bestehender oderErarbeitung neuer Notfallpläne2 insbesondere im Hinblick aufmassenhaft zu bergendes Archivgut abzuleiten.An der Entwicklung der Erstversorgungslogistik waren unter

Federführung der Vertreter des Historischen Archivs der StadtKöln insbesondere Mitglieder des Arbeitskreises der NRW-

1 Bettina Schmidt-Czaia/Ulrich Fischer/Max Plassmann: Zum Einsturz desHistorischen Archivs der Stadt Köln. In: Archivar 2 (2009) S. 148-152. UlrichFischer/Max Plassmann/Nadine Thiel: Die Katastrophe von Köln: Bergung –Erstversorgung – Zwischenbilanz. In: Journal of PaperConservation – IADAReports – Mitteilungen der IADA 10 (2009) Nr. 2, S. 8-14. Beiträge von AndreasHedwig (Hilfe aus Köln für Hessen), Astrid Krüger (Was haften bleibt …)sowie Peter Maresch/Mario Schäfer/Ulrike Vogel (Von der Theorie in diePraxis – Marburger Archivschule hilft nach dem Unglück im StadtarchivKöln) in: Archivnachrichten aus Hessen Nr. 9/1 (2009) S. 2-7. Marcus Stumpf:Der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln – Eine Katastrophe undihre Konsequenzen. In: Archivpflege in Westfalen-Lippe 70 (2009) S. 2 f.2 Vgl. www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/25/Empfehlung.pdf.

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Archivguts aus den Magazinen unter den rückwärtigenGebäudeteilen, die nicht unmittelbar vom Einsturz betroffenwaren, dann auch aus einem Ausweichlager im gegenüber liegen-den Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Akten und Amtsbücherwurden überwiegend in Umzugskartons verpackt oder in großeAluminium- und Kunststoffcontainer gelegt, die dann eineSpedition in umliegende Lagerhallen transportierte. Die ebenfallsmit maßgeblicher Unterstützung von Technischem Hilfswerk,Berufs- und freiwilliger Feuerwehr in ihrem Ordnungszustandsamt Aufhängungssystem aus den Schränken geborgenenUrkundenbestände (Abb. 2) wurden in einer benachbartenTurnhalle zunächst ausgelegt, dann in großer Eile von denStangen genommen und der Inhalt mehrerer Stangen zugleichvon verschiedenen Seiten in solche Container gelegt undzunächst abtransportiert; 15-20 Stangen à ca. 100 Urkunden proContainer. Wenige Stunden später fiel die Entscheidung, dassu. a. die Urkundenbestände zunächst in Vorratsflächen derjüngst erneuerten Magazine im Archiv des Erzbistums Köln ein-gelagert werden. Auch wenn die Urkunden und Siegel durch dieArt der Bergung nur in ganz seltenen Ausnahmefällen Schadengenommen haben (einzelne gebrochene Siegel), wurde doch derOrdnungszustand dadurch so nachhaltig gestört, dass dieSortierung, bei der das erzbischöfliche Archiv unterstützt, nuneinen enormen Aufwand bedeutet. In die Notfallplanung solltendaher zukünftig Überlegungen einbezogen werden, wie bestimm-te Schriftguttypen oder Lagerungsarten nach Möglichkeit gebor-gen werden sollten. Sprich: Wenn man in einem Katastrophenfalldie Möglichkeit hat, bestimmte Magazinbereiche noch koordi-niert zu bergen, wie soll dann z. B. mit Großformaten inPlanschränken, bei hängender Aufbewahrung von Urkunden undKarten oder bei stehend aufbewahrten Amtsbüchern umgangenwerden, um den Ordnungszustand möglichst zu erhalten, undwer hätte in einem Notfallverbund üblicherweise dieMöglichkeit, „Spezialformate“ kurzfristig unterzubringen?Bezieht man solche Fragestellungen in die Planung von Szenariennicht ein, drohen aus einer Kurzschlussentscheidung in einerAtmosphäre von Betroffenheit und Aktionismus Lösungen, diezu erheblichem Mehraufwand im Nachgang führen. Wie diemeisten Bereiche der Notfallplanung gehören freilich auch solcheFragen im Sinne eines kontinuierlichen Risikomanagementsimmer wieder auf den Prüfstand.

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Papierrestauratoren aus dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe/Archivamt für Westfalen, den Stadtarchiven Dortmundund Neuss, der Fachhochschule Köln sowie dem TechnischenZentrum des Landesarchivs NRW beteiligt. Als fachliche Beraterbei der Bergungskoordination setzte die Stadt Köln Prof. Dr.Robert Fuchs, Fachhochschule Köln – Institut fürRestaurierungs- und Konservierungswissenschaft – sowie denAutor dieses Beitrags in seiner Funktion als Leiter des DezernatsGrundsatzfragen der Bestandserhaltung – Technisches Zentrumdes Landesarchivs NRW ein.

ERSTE PHASE: BERGUNG DESARCHIVGUTS AUS DEN VOMEINSTURZ NICHT BETROFFENENGEBÄUDEN AN DER SEVERINSTRAßE(3./4. MÄRZ 2009)

Seit dem Abend des 3. März erfolgte zunächst unter sehr hohemZeitdruck wegen des bevorstehenden Abrisses die Bergung des

Abb. 1: Workflow Archivgutbergung, erste Phase (3./4. März 2009)

Abb. 2: Bergung vonUrkundenbeständen ausdem Historischen Archivder Stadt Köln (Foto:Matthias Frankenstein/Landesarchiv NRW)

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Im konkreten Kölner Fall hätte man mit geringem handwerkli-chen Aufwand durch Stangen oder Latten eine provisorischeHängungsmöglichkeit in der Turnhalle, in einemTransportcontainer oder andernorts in der Nähe schaffen kön-

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nen, um die Urkunden in ihrem Ordnungszustand bis zu einer(zeitnahen) Klärung der vorläufigen Unterbringung aufzubewah-ren.

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Abb. 3: Workflow Archivgutbergung, zweite Phase (5.-13./14. März 2009)

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 03 Juli 2009

ZWEITE PHASE: ARCHIVGUTBERGUNGUNTER DEM PRIMAT DERPERSONENBERGUNG: AUFBAU UNDUMZUG DESERSTVERSORGUNGSZENTRUMS (5.-13./14. MÄRZ 2009)

Die Bergung von Archivgut aus den eingestürzten Bereichenerfolgte seit dem 5. März unter dem Vorrang der Suche nach denbeiden vermissten Personen zunächst punktuell und angesichtsder ausgesprochen schwierigen Situation vor Ort notwendiger-weise diskontinuierlich. Die noch am Nachmittag des 4. Märzüber weite Teile des Einsturzortes gelegte Plane und der sukzessi-ve Aufbau des Schutzdaches haben am Ort der Katastropheselbst wesentlich dazu beigetragen, dass trotz beginnendenRegens das Archivgut bestmöglich vor weiteren Schädengeschützt war. An der Severinstraße selber wurden die vonFeuerwehr und THW geborgenen Unterlagen zunächst grob indie Kategorien „nass“, „feucht“ und „trocken“ geordnet und inUmzugskartons bzw. Container gelegt. Während trockeneUnterlagen zunächst noch direkt in die Lagerhallen einerSpedition verbracht wurden, musste insbesondere für die feuchtbzw. nass geborgenen Archivalien eine Erstversorgungslogistikgewissermaßen „aus dem Boden gestampft“ werden.Dies begann am Mittag des 5. März zunächst in einer mit einemZeltdach überspannten Halle in Porz-Urbach, wohin auch derSchutt von der Einsturzstelle mit Baufahrzeugen transportiertund auf (fragmentiertes) Archivgut bzw. Utensilien der miteinge-stürzten Nachbarhäuser hin durchsucht wurde. Bis zum Abenddes 5. März entstanden in dieser Halle provisorischeArbeitsplätze im Kern für zwölf Dreierteams für grobeOberflächenreinigung, Stretchen feuchter/nasser Unterlagen undGroberfassung. Zählt man Zusatzkräfte für die Bereitstellungund den Abtransport von Gitterboxen, Ansprechpartner fürrestauratorische oder archivfachliche Fragen hinzu, setzte dieStruktur auf eine Besetzung von ca. 45 Personen pro Schichtzuzüglich der Personen (zeitweise bis zu 30 Kräfte), die dieSchuttdurchsuchung selbst machen (anfänglich durch Feuerwehrund THW, nach Abschluss der Personenbergung durchMitarbeiter eines Kölner Beschäftigungskonsortiums).Bei der Einrichtung der Erstversorgungslogistik zeigte sich, dassdie typischen Instrumente der Notfallplanung bei einemGroßschadensfall ergänzungsbedürftig sind. Zwar reichten dieeilends aus dem Notfallverbund Münster zusammengetragenenNotfallboxen für eine „Erstausstattung“ aus, vieleVerbrauchsmaterialien waren aber binnen weniger Stunden auf-gebraucht. Nun wird man nicht sinnvoll bei der NotfallvorsorgeMaterialien für die Bergung eines ganzen Archivs vorzuhaltenbrauchen, geschweige denn können. Köln lehrt uns aber, zumin-dest aktualisierte Listen von Ansprechpartnern zu erstellen, dieim Katastrophenfall in die Lage versetzen, schnell größereMaterialmengen bereitzustellen. In Köln half die Unterstützunganderer Stellen und Einrichtungen über manche Klippe hinweg.Die Feuerwehr besorgte Tische, aus Landesmitteln für dieNotfallhilfe Köln konnten über das Landesarchiv ersteBestellungen für Gitterboxen, Industriepapier, Stretchfolie undAbroller angestoßen werden, das Rheinisch-Westfälische

Wirtschaftsarchiv koordinierte die Bereitstellung von Regalen fürdie Zwischenlagerung von Archivgut im Erstversorgungszentrumsowie durch eine dort bekannte Firma weiterer 100 Gitterboxenusw.Nicht zu ersetzen war beim Aufbau der Logistik die Erfahrungder Mitglieder des Arbeitskreises Nordrhein-WestfälischerPapierrestauratoren, die nicht nur ihr Know-how aus derEinrichtung von Werkstätten einbrachten, sondern insbesondereseitens der Kolleginnen und Kollegen des Archivamts fürWestfalen auch die Ideen aus dem Notfalleinsatz beimElbehochwasser. So wurden kurzerhand Tischbeine oderPlastikkisten und ein alter Besen zu Folienabrollern umfunktio-niert (Abb. 4).Den Verantwortlichen vor Ort war bewusst, dass bei derFormulierung von Arbeitsanweisungen und eines Workflows beider Erstversorgung angesichts der zu erwartenden Massen flache

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Standards angelegt werden mussten, um ein schnelles und zuver-lässiges (Ein-)Arbeiten stark fluktuierender Personengruppen zugewährleisten. Von daher wurden nur zwei Kategorien gebildet,nämlich „trocken“ und „feucht/nass“. Zweifelsfälle sollten derKategorie „feucht/nass“ zugeordnet werden.

Kategorie 1: „trocken“

Vorgehen:1. grobe Oberflächenreinigung (außen) mit Bürsten/Handfegern2. bei losem Archivgut, soweit Zusammenhang erkennbar:

Umwickeln mit Industriepapier3. flach in (nummerierte) Gitterboxen legen4. Eintragung des Archivguts auf Bestands- bzw. Zugangsebene

auf einer Liste

Kategorie 2: „feucht/nass“

Vorgehen:1. grobe Oberflächenreinigung mit Bürsten/Handfegern; Entfer-

nung nasser Stehordner2. vorsichtig glatt-/„in-Form-“streichen („planlegen“)3. in Stretchfolie einwickeln

a. jede erkennbare Einheit gesondertb. lose Unterlagen maximal 8-10 cm hoch

Abb. 4: Folienabroller aus Plastikkisten und einem alten Besen (Foto: ArturFriske/Landesarchiv NRW)

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c. in eine Richtung (breite Seite)d. mindestens zweimal umwickeln

4. flach in (nummerierte) Gitterbox legen5. Eintragung des Archivguts auf Bestands- bzw. Zugangsebene

auf einer ListeDie Unterscheidung dieser beiden Kategorien erfolgte v. a. nachdem Kriterium, durch Schockgefrieren und anschließendeGefriertrocknung feuchter und nasser Archivalien das Risiko fürein Verkleben der Seiten durch Austritt der Papierleimung bzw.Mikroorganismenbewuchs (Schimmel) zu verhindern oder zuminimieren. Mit dem Angebot des LandschaftsverbandsWestfalen-Lippe im Rahmen der Notfallhilfe bis zu einerbestimmten Summe die Gefriertrocknung im Archivamt fürWestfalen durchführen zu lassen, fiel auch die Entscheidung fürein Kühlhaus in der Nähe von Münster (Everswinkel), zu demseitens des Archivamts für Westfalen Kontakte bestanden. Dienoch einige Wochen nach dem Kölner Einsturz kühle Witterungerlaubte es, (nach Bedarf mehrere) Fahrten mit normalenTransportern (keine Kühltransporter) auf die Strecke nachEverswinkel zu schicken. Bereits am 5. März erfolgte der ersteTransport, am 12. März begann die Gefriertrocknung in Münster.Ausgewählte (Pergament-) Handschriften wurden zudem in derGefriertrocknungsanlage der Fachhochschule Köln behandelt.Intensiv diskutiert wurde die Umstellung des Workflows vom 6.auf den 7. März dahingehend, dass „klammes“ oder nur punktu-ell nasses Archivgut von diesem Zeitpunkt an nicht mehr inGitterboxen zur anschließenden Schockgefrierung, sondern mitden „trockenen“ Archivalien zusammen in stapelbareKunststoffwannen gelegt wurde (Abb. 5), um es später an derLuft bzw. in einem „Klimazelt“ zu trocknen.

Kategorie 1: „trocken/klamm“

Kriterium: trocken bzw. punktuelle Feuchteschäden ausschließ-lich an der Objektoberfläche bzw. an den Rändern (außen)

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Vorgehen wie vorher Kategorie 1 „trocken“ nur statt Gitterboxennunmehr stapelbare Kunststoffwannen.

Kategorie 2: „nass“

Kriterien: Feuchtigkeit/nass ganzflächig an der Oberflächeund/oder im InnerenVorgehen wie vorher Kategorie „feucht/nass“Zudem wurde – nicht zuletzt aus Versicherungsgründen – fürPergamente, Handschriften, Handschriften-Fragmente usw. eineSpezialstation eingerichtet, der sich restauratorisches und archivi-sches Fachpersonal zuwendete. Foto und Filmmaterial in derKategorie 1 wurde im normalen Workflow mitbehandelt, in derKategorie 2 ebenfalls vom Spezialteam weiter behandelt. Im Sinnemöglichst reibungsloser Arbeitsabläufe zeigte die Praxis, dass dieZahl der Sonderfälle möglichst begrenzt bleiben sollte.Ein Hauptargument für die Zuweisung der leichtfeuchten/„klammen“ (Papier )Unterlagen zu den trockenen wardie mögliche Schädigung der Objekte durch die Schockgefrie-rung und Gefriertrocknung. Die Bedenken der im Erstversor-gungszentrum anwesenden Mitglieder des Arbeitskreises Nord-rhein-Westfälischer Papierrestauratoren und des Landesarchivsgegen die Umstellung des Workflows zu diesem Zeitpunktrichteten sich dagegen, dass noch keine Möglichkeit für einesystematische Trocknung bestand oder konkret absehbar war(diese wurde erst innerhalb der folgenden zwei Wochen am Ortdes späteren Erstversorgungszentrums aufgebaut). Durch dasZusammenlegen von leicht feuchten/„klammen“ Unterlagen inden stapelbaren Kunststoffwannen stieg das Risiko für Schim-melwachstum und die Kontaminierung trockenen Archivguts.Tatsächlich entstand bis zur Fertigstellung der „Trockenstraße“ein Rückstau von ca. 600-700 Kunststoffwannen durchmischtertrockener und feucht/„klammer“ Materialien. In einzelnenWannen war bei der späteren Bearbeitung ein deutlicher aktiverSchimmelbewuchs erkennbar.

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Abb. 5: Lagerung von trockenem bzw. klammem Archivgut in Kunststoffwannen (Foto: Matthias Frankenstein/Landesarchiv NRW)

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Für die Planung einer Notfalllogistik lässt sich daraus ableiten:Grundsätzlich ist es richtig, dass man objektbezogen alternativeTrocknungsverfahren jenseits der Gefriertrocknung in Erwägungziehen sollte. Die eher „akademische“ Trennung von „nass“ und„klamm/feucht“ hat sich aber in der Vermittlung an die Unter-stützungskräfte als schwer erklärbar herausgestellt (Was ist nochklamm und was ist schon nass?). Die vor Ort tätigen Kräftewaren durch die Umstellung der Verfahren binnen weniger Tagedurchaus verunsichert, was zu vermehrten Rückfragen führteund zu Fehlentscheidungen. Solange eine Alternative (z. B. mit-hilfe eines „Trocknungszeltes“) nicht besteht, sollte der Workflow„nass/feucht“ einerseits und „trocken“ andererseits konsequentverfolgt werden, um neue Schäden zu vermeiden, zumal dieGefriertrocknung nur leicht feuchter/„klammer“ Materialiensehr schnell, sicher, schonend und kostengünstig erfolgt.

Um für die Erstversorgung angemessene Arbeitsverhältnisse zuschaffen, musste sie von der Schuttsortierung räumlich getrenntwerden. Dafür bot sich nur wenige Kilometer entfernt einemehrgeschossige Lagerhalle an. Mit dem Umzug dorthin imlaufenden Bergungsbetrieb, der zeitlich zusammenfiel mit demAuffinden des zweiten Vermissten, ging die zweite Phase derBergung in eine dritte über.

DRITTE PHASE: INTENSIVBERGUNGUND ABARBEITUNG VONRÜCKSTÄNDEN AUS PHASE 2, NEUE RÜCKSTÄNDE (16. MÄRZ-3. APRIL 2009)

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Abb. 6: Workflow Archivgutbergung, dritte Phase (16. März-3. April 2009)

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Nachdem die zweite am Unglücksort vermisste Person gefundenwar, nahm die Intensität der Bergung an der Severinstraßeerheblich zu. Zum Rückstau der trocken/„klammen“ Unterlagenaus der zweiten Bergungsphase kamen nun also noch erheblichgrößere Mengen nass, feucht und trocken geborgenen Archivgutsin das Erstversorgungszentrum. Auch zu diesem Zeitpunkt warnoch kein kontinuierlicher Helfereinsatz gewährleistet (starkschwankende Besetzungen des Zweischichtbetriebs), und die inPorz-Lind (nach dem Vorbild von Porz-Urbach, jedoch mitgrößtenteils professionellerem Mobiliar und besserer Ausstat-tung) errichteten provisorischen Arbeitsplätze reichten beiWeitem nicht aus, um dem Zustrom neu geborgenen Archivgutsgerecht zu werden.Höchste Priorität musste der Trocknung der ca. 600-700 Kunst-stoffboxen Rückstände aus der 2. Phase zugemessen werden. DieArbeiten im neuen Erstversorgungszentrum in Porz-Lind kon-zentrierten sich also zunächst auf den Aufbau einer „Trocken-straße“, die sukzessive bis zum 20. März auf einer Fläche vonrund 500 m2 in vier Segmenten mit Abtrennungsplanen, hochlei-stungsfähigen Ventilatoren und Industrieentfeuchtern errichtetwurde. Für das Ausbreiten des Archivguts in diesen „Trockenzel-ten“ wurden und werden Koletten (Etagenwagen) mit entspre-chenden Böden ausgestattet und rotierend bestückt. Die Ent-

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scheidung, wie lange das Archivgut in den „Trockenzelten“bleibt, liegt bei den „Restauratorinnen vom Dienst“.Die getrockneten Archivalien werden schließlich in einer „Pack-station“ in Archivkartons umgelagert, auf Paletten gelegt und vondort in angebotene Magazinflächen anderer Archive („Asylmaga-zine“) transportiert. Nachdem der komplette Workflow lief,konnten bei Vollauslastung und entsprechender Schichtbesetzungzeitweise bis zu 200-250 lfd. m täglich im EVZ bearbeitet werden.Während der etwa zehntägigen Trocknung des Rückstaus aus der2. Phase wurden vorübergehend die leicht feuchten/„klammen“Unterlagen wie die nassen in die Schockgefrierung und an-schließende Gefriertrocknung gegeben. Eindeutig trockenesArchivgut wurde, soweit man es nicht sofort verarbeiten konnte,zunächst in ein Hochregallager derselben Halle eingestellt. DerRückstand an trockenen, nicht vorrangig und sofort behand-lungsbedürftigen Objekten im Hochregallager stieg bis zum Endeder Phase auf über 5 km an.

4. PHASE: VOR-ORT-BEHANDLUNGDES NASSEN ARCHIVGUTS(4. APRIL - MITTE MAI 2009)

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Abb. 7: Workflow Archivgutbergung, vierte Phase (4. April - Mitte Mai 2009)

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Vor allem angesichts der steigenden Außentemperaturen und derdamit wachsenden Gefahr, feuchtes Archivgut mit Schimmelbe-wuchs zu bergen, wurde der Workflow im Hinblick auf Arbeits-und Gesundheitsschutz Anfang April dahingehend geändert,dass seitdem (stark) nasses oder verschimmeltes Archivgut direktvor Ort an der Severinstraße nach den Abläufen der Kategorie 2(„nass“) behandelt und dann auf dem Weg über das EVZ in einKühlhaus transportiert wird. Folglich fallen im EVZ nur noch inäußerst begrenztem Umfang Objekte für die Gefriertrocknungan. Die meisten dorthin transportierten Archivalien durchlaufendie Behandlung nach Kategorie 1 (trocken/“klamm“): Grobreini-gung, ggf. Trocknung sowie anschließendes Verpacken in Archiv-kartons und auf Paletten.Für die Gefriertrocknung ergab sich Anfang April noch einzweiter Standort bei der Archäologie des LandschaftsverbandsRheinland in Bonn. Die für die dortige Gefriertrocknung vorgese-

henen Unterlagen wurden in einem Kühlhaus in Troisdorf-Spichgefrostet, um auch hier die Transportwege möglichst kurz zuhalten.Die Bergung des Archivguts aus den Bereichen oberhalb desGrundwassers war Mitte Mai weitgehend abgeschlossen.

5. PHASE: BERGUNG AUS DEMGRUNDWASSERBEREICH (SEIT MITTEMAI 2009)

Seit Ende Mai/Juni läuft nun die schwierige und diskontinuierli-che Bergung aus dem Grundwasserbereich im Trichter unterhalbdes ehemaligen Magazingebäudes. Die Bergung dort stellt eine

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DES LANDESARCHIVS NRW

Abb. 8: Workflow Archivgutbergung, fünfte Phase (seit Mitte Mai 2009)

besondere logistische Herausforderung dar. Seit Mitte Maiwerden auch Archivalien verschlammt aus dem Grundwasserbe-reich geborgen. Diese werden vor Ort zunächst abgebraust, bevordie Behandlung entsprechend der Kategorie 2 „nass“ erfolgt.Im Erstversorgungszentrum steht nunmehr die Abarbeitung dertrocken ins Hochregallager eingebrachten Archivalien im Mittel-punkt. Die Arbeiten dort sollen bis August/September abge-schlossen sein. Daneben besteht auch weiterhin die Schuttsortie-rung in Porz-Urbach.

ERSTE ERKENNTNISSEAus der fachlichen Begleitung der Bergung und Erstversorgungdes durch den Einsturz geschädigten Archivguts aus dem Stadtar-chiv Köln ergeben sich vielfältige Erkenntnisse, von denen hiernur einige zentrale kurz umrissen seien:

Die Bedeutung geeigneter Archivkartonagen hat sich zusätzlichzu den bekannten Vorteilen auch im Fall massiver mechanischerBelastungen als „Einheit“ bei der Bergung und zum Erhalt von„Mikro-Ordnungsstrukturen“ bewährt.Bewährt hat sich des Weiteren die Lagerung von Großformatenin (Karten)Schränken.Für das Erkennen von Zusammengehörigkeiten und die Wieder-herstellung von Ordnungszusammenhängen hat sich die Foliie-rung samt Archivsignatur, wie sie beispielsweise bei der Vorberei-tung für die Einzelblattentsäuerung auf jedes Blatt gedrucktwird, bewährt (Mehrfachidentifikationen in einer Akte).Wie auch bei vorausgegangenen Katastrophen ergeben sich „nachKöln“ Fragen für die Weiterentwicklung der Notfallplanung.Insbesondere sind Modifikationen im Hinblick auf Großscha-

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densfälle stärker einzubeziehen. Zu überlegen wäre eine Spezifi-zierung im Hinblick auf unterschiedliche Objektarten und -formate und deren Bergungsart. Neben der Sondierung in Fragekommender Kühl- und Gefriertrocknungsmöglichkeiten sollteman auch in die Notfallplanung einbeziehen, wo in der Nähe desArchivs geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, um ineinem größerem Schadensfall eine Erstversorgungslogistikaufbauen zu können. Im Katastrophenfall sind klare Kompeten-zen und verlässliche Kommunikationswege unentbehrlich. Diesesollten – einschließlich der Rolle anderer Einrichtungen imNotfallverbund – prospektivisch geklärt werden, um Kompetenz-gerangel in einer Atmosphäre von Betroffenheit und Aktionismuszu vermeiden.Von großer Bedeutung ist die rasche Koordinierung von Hilfsan-geboten nach einem Katastrophenfall, insbesondere des Personal-einsatzes. Hierzu zählt auch eine hinreichende Transparenz beimHilfskräfteeinsatz, um die grundsätzliche Hilfsbereitschaft nichtaufs Spiel zu setzen. Die Koordinierung des Hilfskräfteeinsatzesgehört beispielsweise zu den Aufgaben, die auch eine andereEinrichtung im Notfallverbund organisieren kann. Standardisier-te Rückmeldungen mit einem Hinweis auf die laufende Koordi-nierung der Hilfsangebote und einen Zeitraum, in dem sich derEinsatz klärt oder mit einem Einsatz zu rechnen ist, sind zurErhaltung der Motivation der Hilfsbereiten wichtig. Um Zustän-digkeiten und Ansprechpartner für die Helfer „aus aller Welt“schnell erkennbar zu machen, haben sich in Köln übrigensfarbige T-Shirts mit gut erkennbarer Aufschrift „Archivar vomDienst“ (rot) oder „Restaurator vom Dienst“ (grün) bewährt.

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Auch die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Archivserhielten einheitliche T-Shirts (blau), die eine schnelle Identifika-tion erleichtern.Die Erstversorgung bei einer Katastrophe eines Ausmaßes wie inKöln über Monate mit „Freiwilligen“, Kolleginnen und Kollegenaus dem Archivwesen, Ausbildungseinrichtungen u. ä. m. zustrukturieren und aufrecht zu erhalten, bedeutet einen hohenRessourceneinsatz für die Einarbeitung immer neuer Kräfte.Grundsätzlich hat sich der Einsatz organisierter Gruppen wie derArchivschule Marburg oder von Fachhochschulstudenten be-währt. Zu bevorzugen wären Gruppen mit fester Organisations-und Führungsstruktur, wie z. B. der Bundeswehr. Die herausra-gende Rolle von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk in Kölnbei der Bergung und anfänglich auch bei der Erstversorgung istzurecht in den Medien hervorgehoben worden.Für die Erstversorgung haben sich flache Arbeitsanweisungenbewährt, um Helfer schnell und sicher einzuarbeiten. Solangeandere Trocknungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen,sollten nur die Kategorien „trocken“ und „feucht/nass“ unter-schieden werden. Die oben geschilderten wenigen Arbeitsschrittebei den beiden Kategorien haben sich als gut vermittelbar heraus-gestellt. Eingeführte Workflows sollten stabil beibehalten undnur in begründeten Ausnahmefällen modifiziert werden undzwar erst dann, wenn die Voraussetzungen für den neuen Arbeits-ablauf geschaffen sind. Die Bildung von „Sonderfällen“ sollte aufdas fachlich nötigste Maß begrenzt bleiben.

Johannes Kistenich, Münster

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Abb. 9: Erstversorgung von geborgenem Archivgut. Tischbeine dienen als Folienabroller (Foto: Matthais Frankenstein/Landesarchiv NRW)

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Wie in anderen Ländern auch, formierte sich in Deutschland abMitte des 19. Jahrhunderts eine Frauenbewegung. Frauen forder-ten Bildungsmöglichkeiten und das Recht auf Erwerbsarbeit, siekämpften für das Wahlrecht und setzten sich für die rechtlicheGleichstellung auch in vielen anderen Bereichen ein. Die Ge-schichte der Frauenemanzipation ist von Teilerfolgen, Niederla-gen und Neuanfängen geprägt, von gemeinsamen Kämpfenebenso wie von Spaltungen und Abgrenzungen. Anfang der 1980er Jahre entstand mehr und mehr ein Bewusst-sein darüber, dass diese Geschichte in Vergessenheit zu geratendrohte, weil die Quellen der Bewegung nur rudimentär bewahrtwurden. Zu dieser Zeit gab es Archive einiger größerer Frauenver-bände (Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband, Deutscher Evange-lischer Frauenbund und Katholischer Deutscher Frauenbund)und als Bestand im Landesarchiv Berlin das Helene-Lange-Archiv, in dem Akten und Nachlässe rund um den alten Dachver-band der bürgerlichen Frauenbewegung, den Bund DeutscherFrauenvereine bewahrt werden; Teile zur proletarischen Frauen-bewegung fanden sich im Archiv der sozialen Demokratie. Auchfür die Neue Frauenbewegung, die ab den 1970er Jahren aktivwar, hatten sich erste Archive gegründet (z. B. das SpinnbodenLesbenarchiv und das FFBIZ in Berlin). Ein Archiv aber, dasflügelübergreifend alles zur Alten Frauenbewegung und ihrenProtagonistinnen sammelte, seien sie nun bürgerlich oder soziali-stisch, konfessionell gebunden oder nicht, „radikal“ oder„gemäßigt“, existierte nicht. 1984 gründete deshalb eine Gruppevon Frauen in Kassel den Verein „Archiv der deutschen Frauen-bewegung“ (AddF) mit dem Ziel, die Geschichte der Frauenbe-wegung umfassend zu dokumentieren und zu erforschen; seit2004 ist das AddF eine Stiftung.Aus der kleinen Initiative ist inzwischen ein Forschungs- undDokumentationszentrum geworden, in dem die Frauenbewegungund das Alltagsleben von Frauen zwischen 1800 und 1967 (und inTeilbereichen darüber hinaus) dokumentiert und erforschtwerden. Neben Aktenbeständen von Frauenorganisationen undNachlässen bedeutender Frauen, einem Fotoarchiv und einerPressedokumentation wurde ein umfangreicher Bibliotheksbe-stand aufgebaut. Die Umsetzung des Sammelprofils, alle Flügelder Bewegung einzubeziehen, zeigt sich beispielsweise darin, dasshier sowohl der Nachlass der sozialdemokratischen Politikerin

Elisabeth Selbert („Mutter des Grundgesetzes“, 1896-1986) liegtals auch das Gesamtarchiv des Deutschen Evangelischen Frauen-bundes (1899 bis heute) sowie diverse Bestände der Frauenfrie-densbewegung aus den 1940er und 1950er Jahren. Über dieSammeltätigkeit hinaus werden Forschungsprojekte durchge-führt; vielfältige Veranstaltungen machen ein breites Publikummit der Geschichte der Frauenbewegung vertraut.

Einige Ergebnisse des Schaffens aus 25 Jahren:• 420 laufende Regalmeter Nachlässe und Aktenbestände;• Bildarchiv mit ca. 3.000 Abbildungen;• 26.000 Buch- und mehr als 1.000 Zeitschriftentitel in der

Spezialbibliothek; • Gesamtwert der Archiv- und Bibliotheksbestände ca. 1,8 Mio.

Euro; • 23 größere Forschungs- und Erschließungsprojekte;• 55 Ausgaben der archiveigenen Zeitschrift „Ariadne. Forum für

Frauen- und Geschlechtergeschichte“;• 14 Bände in der „Schriftenreihe des Archivs der deutschen

Frauenbewegung“;• über 250 Veranstaltungen, 10 Ausstellungen und 75 frauenge-

schichtliche Stadtführungen;• 3 thematische Websites zu Archivierungsfragen in Frauenverei-

nen und zur Geschichte der Frauenbewegung (www.FrauVerA.de; www.FrauVerA-erzaehlt.de;www.bpb.de/themen/KYOE75,0,Frauenbewegung.html)

• Führungen durch die Bestände für ca. 4.000 Personen;• über 10.000 Nutzerinnen und Nutzer.

Zum Jubiläum lud der Oberbürgermeister der Stadt Kassel,Bertram Hilgen, am 8. März 2009 zu einem Empfang ins KasselerRathaus ein. Dort bestätigten Rednerinnen und Redner der Stadtund des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst inihren Würdigungen, was wenige Monate zuvor bei der Verleihungdes Hessischen Archivpreises an das AddF formuliert wordenwar: es sei „eine aus kleinsten ehrenamtlichen Anfängen erwach-sene Archivinstitution mit professionellem Niveau“, die dazubeigetragen habe, dass „das allgemeine Bewusstsein für die Be -deutung von Quellen, die nicht automatisch in Archive gelangen,deutlich gewachsen“ sei.

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

25 JAHRE ARCHIV DER DEUTSCHEN FRAUENBEWEGUNG

Von Cornelia Wenzel

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25 Jahre nach der Gründung ist das AddF als Institution zurSicherung der kulturellen Überlieferung anerkannt und in derdeutschen Archivlandschaft fest verankert. Die Bestände wach-sen, erste Findbücher sind über die Website (www.addf-kassel.de)zugänglich. Dies alles gilt es auszubauen und über eine stabilereGestaltung der bedauerlicherweise noch immer höchst unzurei-chenden finanziellen Ressourcen abzusichern.

„Collage Archiv“

Cornelia WenzelArchiv der deutschen FrauenbewegungGottschalkstraße 5734125 KasselTel. 0561-98936-70E-Mail: [email protected]

Liebe Kolleginnen und Kollegen im VdA,

der neue Arbeitskreis des VdA zu den Überlieferungen der neuensozialen Bewegungen (vgl. Archivar Heft 3/2008, S. 331), der sichzum Jahresanfang konstituiert hat, möchte im Archivar regel-mäßig aus der Arbeit einzelner Archive mit entsprechendenBeständen zu berichten. Den Anfang macht in der vorliegendenAusgabe Cornelia Wenzel mit einem Beitrag zum Archiv derdeutschen Frauenbewegung. Matthias Manke informiert über zwei Veranstaltungen des VdA-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern zum neuen Perso-nenstandsrecht.Wie ich in einer Mitgliedermail schon mitgeteilt habe, wurde vonder Mitgliedschaft des VdA für den TAG DER ARCHIVE 2010das Motto „Dem Verborgenen auf der Spur“ ausgewählt. Wieaktuell und vor allem auch wie zutreffend für die Recherche -möglichkeiten im Archiv dieses Motto ist, hat im Frühsommerdieses Jahres die Entdeckung der Stasi-Akte zu Karl-Heinz Kurrasgezeigt, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorgerschossen hat. Der Aufruf zum TAG DER ARCHIVE 2010 mitersten Hinweisen zu den Gestaltungs möglichkeiten findet sich indiesem Heft. Der Vorstand des VdA erhofft sich natürlich eine

breite Beteiligung. Bitte nutzen Sie diese Möglichkeit, die Auf-merksamkeit der Öffentlichkeit für die Archive und ihre Anliegenzu erhöhen. Der VdA wird hierbei auch erneut den Einsturz des StadtarchivsKöln thematisieren. Für den nächsten Archivtag bereiten wir eineResolution dazu vor.Die Vorbereitungen für den 79. Deutschen Archivtag vom 22. bis25. September 2009 in Regensburg laufen in diesen Tagen aufHochtouren. Wer sich noch nicht angemeldet hat und teilnehmenmöchte, sollte dies möglichst bald erledigen. Die wunderschöneWelterbestadt Regensburg erwartet Sie mit einem interessantenProgramm. In den Fachgruppensitzungen am 23. Septem ber undin der Mitgliederversammlung am 24. September stehen imÜbrigen Wahlen für den Vorstand und den Vorsitz an. NähereInformationen zum Antrag auf Erhöhung des Mitgliedsbeitrags,der in der Mitgliederversammlung auf der Tagesordnung steht,erhalten Sie auf der Homepage des VdA. Eventuelle Fragen dazubeantworten wir selbstverständlich gerne. Ich wünsche Ihnen schöne Sommerwochen und grüße Sie herz-lich!

Ihr Robert Kretzschmar Vorsitzender des VdA

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Vom 29. September bis 2. Oktober 2010 findet in Dresden der 80.Deutsche Archivtag statt. Der Vorstand des VdA hat sich für dasfolgende Rahmenthema entschieden:

ARCHIVBAU UND -LOGISTIK Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs hat in dramatischer Weisedie öffentliche Aufmerksamkeit auf die Unterbringung vonArchiven gelenkt. In der Fachdiskussion hat das Thema „Archiv-bau- und logistik“ schon seit längerem wieder Konjunktur – zumeinen wegen zahlreicher Neubauten und Adaptionen, die in denletzten Jahren abgeschlossen wurden oder derzeit gerade im Baubzw. in der Planung sind, zum anderen aber auch angesichtsveränderter Erwartungen der Öffentlichkeit an die Archive imZeitalter der Digitalisierung und Medialisierung. Auf dem 80. Deutschen Archivtag sollen jüngste Erfahrungenausgetauscht, aber auch grundsätzliche Überlegungen angestelltwerden. Welche Anforderungen bestehen heute an Archivgebäu-de und ihre Ausstattung? Was ist bei der Planung und Durch-führung aus archivischer Sicht besonders zu beachten? Alle Kolleginnen und Kollegen sind eingeladen, sich mit praxis-nahen Beiträgen zu beteiligen, um ihre Erfahrungen, Beobach-tungen, Ansichten, Reflexionen und Anregungen einzubringen.Vorgesehen sind wiederum vier Sektionen, die im Folgendennäher skizziert sind. Dabei sind auch die Sektionsleiter angege-ben, an die jeweils Vorschläge für Beiträge zu richten sind. DieVorschläge sollten neben dem Titel auch eine kurze inhaltlicheErläuterung von maximal einer Schreibmaschinenseite umfassen.Bitte geben Sie auch Ihren vollständigen Namen, Ihre Wirkungs-stätte und Ihre Kontaktdaten an.

Sektion 1: Rahmenbedingungen und Faktoren inPlanungsprozessen

Von der Erkenntnis, dass die Unterbringung nicht mehr bedarfs-gerecht ist, bis zur Einweihung einer zukunftsweisenden bauli-chen Lösung des langfristigen Bedarfs vergehen meist mehrereJahre. Mit welchen Zeiträumen muss man realistischerweiserechnen? Wem haben Archivare auf welchem Weg die Aufgabeund ihre Dringlichkeit nahe zu bringen? Welche Faktoren wirkenauf die Planungen positiv und negativ ein? Kann die Fachseite siebeeinflussen? Welche Rolle spielen Standortfragen? WelcheKoope rationen beeinflussen in welcher Weise die Durchsetzungder fach lichen Anliegen? Welche Rolle spielt die Umstellung auf e-govern ment und Digitalisierung für Unterbringungsfragen deranalogen Überlieferung? Welche internen Vorbereitungen sindzur Antragstellung und Umsetzung nötig?

Vorbereitung und Leitung der Sitzung: Dr. Jürgen Rainer Wolf,Direktor des Sächsischen Staatsarchivs; Tel. 0351/5643740; Fax:0351/5643439; E-Mail: [email protected]

Sektion 2: Erfahrungen mit Adaptionen

Nur wenige Archive haben die Möglichkeit, ihre fachlichen An -forderungen an einen Archivbau im Rahmen einer Neubaupla-nung zu verwirklichen. Reicht etwa der bestehende Platz imallgemeinen Verwaltungsgebäude nicht mehr aus, heißt es für diemeisten Archive, eine neue Unterkunft zu suchen bzw. leerstehen-de Gebäude auf ihre Tauglichkeit hin zu prüfen. Die Bandbreiteder angebotenen Immobilien ist mittlerweile bei zunehmendenLeerständen immens: Klöster, Schulen, Turnhallen, ehemalsgewerblich genutzte Gebäude etc. Die Umwidmung von Gebäu-den für Archivzwecke stellt eine große Herausforderung dar. Inder Sitzung soll anhand konkreter Umsetzungsprojekte verschie-densten Fragestellungen nachgegangen werden: Wie könnenarchivfachliche Standards durchgesetzt werden? Wird notwendi-gen Sicherungskonzepten (Brandschutz etc.) genügend Bedeutungbeigemessen? Architektenvisionen contra Archivfachlichkeit?Werden Archive am neuen Standard anders bzw. besser in derÖffentlichkeit wahrgenommen?Vorbereitung und Leitung der Sitzung: Katharina Tiemann,LWL-Archivamt für Westfalen, Münster; Tel. 0251/591-5778; Fax:0251/591-269; E-Mail: [email protected]

Sektion 3: Archivbauten als „Kinder ihrer Zeit“

Archivneubauten können und sollten stets als Zeugnisse undBotschaften von archivarischem Selbstverständnis und gesell-schaftlicher Wahrnehmung gedeutet werden. Gerade in denletzten Jahrzehnten vollzog sich ein Funktionswandel der Archivedurch eine stärkere Hinwendung zur breiteren Öffentlichkeit. Esist grundsätzlich zu fragen, ob und – falls ja – wie sich gewandelteAnforderungsprofile auf die Planung und die bauliche Ausstat-tung von Archivzweckbauten ausgewirkt haben bzw. auswirken.In den Blick genommen werden sollen externe wie interne Verän-derungen: Welche Forderungen werden z. B. zu Standorten, zumäußeren und inneren Erscheinungsbild, zum Raumprogramm,zur Funktionalität oder zur technischen Ausstattung erhoben?Welche Kompromisse sind möglich, wenn die Anforderungen derArchive als Nutzer und die Erwartungen der Archivträger alsBauherren erheblich voneinander abweichen? Welche Chanceneröffnen neue technische oder organisatorische Lösungen wie z. B. gemeinsame Bauvorhaben mehrerer Archive oder Baukoope-rationen mit verwandten Institutionen wie Bibliotheken oderMuseen? Was bedeuten dabei neue Finanzierungsmodelle (z. B.durch Investoren)?

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

80. DEUTSCHER ARCHIVTAG 2010 CALL FOR PAPERS

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Gefragt wird nach vergleichenden Betrachtungen und einerAnalyse des aktuellen Wandels ggf. unter Einbeziehung einerhistorischen Perspektive für die letzten Jahrzehnte. Vorbereitung und Leitung der Sitzung: Dr. Clemens Rehm,Landesarchiv Baden-Württemberg; Tel. 0711/212-4288; Fax:0711/212-4283; E-Mail: [email protected]

Sektionssitzung 4: Ausstattung und Barrierefrei-heit in Archiven

Die Funktionsfähigkeit eines Archivbaus ist abhängig von mehre-ren Komponenten. Vor allem die Ausstattung ist hierbei vonbesonderer Bedeutung und muss bestmöglich mit den baulichenVoraussetzungen abgestimmt sein. Bei der Wahl der Ausstattungsind zahlreiche archivfachliche und funktionale Gesichtspunktezu bedenken. Zudem müssen die Archivausstattungen auch allenAnforderungen an die Arbeitssicherheit und den Arbeitsschutzgenügen. Interessant wäre u.a., welche Erfahrungen bei jüngerenNeuausstattungen gemacht wurden, welche Anforderungen andie Ausstattung gestellt wurden und gegebenenfalls welche Zieledamit verbunden waren. Konnten durch neue Ausstattungen z. B.Fortschritte im Bereich der Bestanderhaltung und bei der Ar-beitssicherheit erzielt oder auch Arbeitsprozesse besser unter-stützt werden? Barrierefreiheit ist für eine gleichberechtigte Teilhabe aller Men-schen am gesellschaftlichen Leben unverzichtbar. GrundlegendeVoraussetzungen dafür müssen bereits bauseitig geschaffen

werden und durch geeignete Ausstattungen unterstützt werden.Bei Neubauten können entsprechende Vorkehrungen von vorn-herein eingeplant werden. Eine Herausforderung stellen dagegendie Nachrüstungen von Altbauten dar. Auch zu diesem relativjungen Thema des Archivbaus und der Archivausstattung sinderste Erfahrungen oder auch Planungen gefragt, die für andereArchive Anregung sein können. Vorbereitung und Leitung der Sitzung: Raymond Plache,Sächsisches Staatsarchiv – Staatsarchiv Chemnitz; Tel.: 0371/3347910; Fax: 0371/3347922; E-Mail: [email protected] Für die Referate sind jeweils 20 Minuten vorgesehen. Als Themenkönnen zunächst auch nur Arbeitstitel vorgeschlagen werden, diedann in Abstimmung mit den Sektionsleitern noch modififziertwerden können. Die Sektionsleiter stehen für Rückfragen gernezur Verfügung. Abgabeschluss ist der 1. Oktober 2010. Der Programmausschuss wird aus den Vorschlägen eine Auswahlunter dem Gesichtspunkt treffen, dass möglichst vielfältigeAspekte in den Sektionen angesprochen werden. Die Beiträgesollen dann auch wieder in einem Tagungsband publiziertwerden. Dazu erhalten die Referentinnen und Referenten späternähere Informationen. Über eine breite Resonanz würden wir uns sehr freuen.

Robert Kretzschmar, Vorsitzender des VdA

Der VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare ruftalle Archive auf, sich am 6. und/oder 7. März 2010 am 5. TAGDER ARCHIVE zu beteiligen.Durch den Einsturz des Kölner Stadtarchivs hat sich die Wahr-nehmung der Archive in der Öffentlichkeit deutlich verstärkt.Gerade vor diesem Hintergrund sind jetzt viele Menschen daraninteressiert, ein Archiv einmal von innen zu sehen. Wie beim letzten TAG DER ARCHIVE soll es an zwei Tagenmöglich sein, im Rahmen einer konzentrierten deutschlandwei-ten Aktion diesem Bedürfnis gerecht zu werden und ein breiteresPublikum mit spannenden Angeboten in die Archive zu locken.Dies kann an einem der beiden Tage oder an beiden geschehen, jenachdem, wie es sich für die örtlichen Verhältnisse empfiehlt.Mit dem von der Mitgliedschaft im Frühjahr 2009 ausgewähltenMotto „Dem Verborgenen auf der Spur“ ist für den 5. TAG DERARCHIVE in besonderer Weise die Möglichkeit gegeben, über einattraktives Programm die Bedeutung der Archive herauszustellen.Archive aller Fachgruppen können unter diesem Motto mitPräsentationen aller Art (z.B. „Funden“, „Geschichten“) denBlick auf die Kernfunktionen der Archive lenken.Da das Motto für 2010 nicht auf besondere Themen oder Inhalteausgerichtet ist, kann es mit einer besonders großen Gestal-tungsfreiheit umgesetzt werden. Erste Ideen und Hinweise zur

Ausgestaltung des Themas finden sich auf der Webseite des VdA(www.tagderarchive.de) und im nebenstehenden „Kasten“. Im Vorstand wird die Vorbereitung und Durchführung des TAGSDER ARCHIVE von einer Arbeitsgruppe (Ansprechpartner: Dr.Clemens Rehm – [email protected]) koordiniert.Selbstverständlich steht es wie immer jedem Archiv offen, sichunabhängig vom Motto am TAG DER ARCHIVE zu beteiligen,um lokale Rahmenbedingungen zu berücksichtigen oder andereAnlässe bzw. Kooperationen damit zu verbinden.Als zentrale Werbemittel zur Unterstützung eines bundesweitenvisuellen Gesamteindrucks ist wiederum ein Plakat vorgesehen,das als Datei zum Herunterladen und zur Weiterbearbeitung indas Internet-Angebot des VdA eingestellt werden wird. Beimgedruckten Plakat wird der VdA den bei den letzten beidenMalen bewährten – und kostensparenden – Weg über regionaleVerteilerstellen im Bundesgebiet nutzen. Das Angebot soll imDezember 2009 im Internet zur Verfügung stehen. Wir werdenauf unserer Homepage darüber berichten.Der VdA würde sich sehr freuen, wenn sich 2010 wieder mög-lichst viele Archive am TAG DER ARCHIVE beteiligen. Diebisheringen Erfahrungen haben gezeigt, dass im Vorfeld derPressearbeit große Bedeutung zukommt. Ziel aller regionalenund überregionalen Aktivitäten bleibt, den TAG DER ARCHIVE

5. TAG DER ARCHIVE 2010

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im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, um einem breiterenPublikum und nicht zuletzt den Trägern der Archive die Bedeu-tung archivischer Arbeit zu vermitteln. Die Wirkung des 5. TAGSDER ARCHIVE wird maßgeblich von der Zahl der teilnehmen-den Archive und vom Engagement vor Ort bestimmt sein. Jedesteilnehmende Archiv ist eine Antwort auf das öffentliche undpolitische Interesse.

Schon jetzt gilt unser herzlicher Dank allen, die sich einbringenwerden! Sollten Sie besondere Anregungen haben, mailen Sie unsbitte. Viel Freude bei der Vorbereitung und viel Erfolg!

Robert Kretzschmar, Vorsitzender des VdAClemens Rehm für die Arbeitsgruppe „TAG DER ARCHIVE 2010“

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

DEM VERBORGENEN AUF DER SPUR IDEEN UND HINWEISE Da das Motto zum 5. TAG DER ARCHIVE keine inhaltlich-thematische Fokussierung beinhaltet, ist eine große Gestaltungs-freiheit gegeben. Erste Ideen und Hinweise für Möglichkeiten zurAusgestaltung des Themas sind hier zusammengestellt.

Motto „wörtlich“

Vom Motto kann der Begriff „Verborgen“ (im Sinn von denBlicken entzogen) als Ausgangspunkt genommen werden: Ge-heimdiplomatie, Geheimbünde, Verträge, Verschwörungen, Tresore,Schätze, Schließanlagen/Schlösser, Bergbau/Mineraliensuche,Kanalsysteme und Wasserleitungen, Höhlen, Friedhöfe, Särge, Grüfteund Krypten, Keller, überbaute und überformte Architektur, histori-sche Grundrisse, unterirdische Gangsysteme und Fluchtwege,Bunkersysteme, Verliese, Kerker, Gefängnisse, Folterkammern ...

Motto als Thema

Vom Motto kann über den Begriff „Verborgen“ auch das ‚Suchen‘und ‚Entdecken’ als Thema verwendet werden: Entdeckungsrei-sen, Forscher, Familienforschung, Wissenschaft, Raritätenkammern,verborgene und verlorene Lebenswelten, verdeckte Wurzeln z.B. vonreligiösen Minderheiten, Provenienzforschung…

ZWEI VERANSTALTUNGEN DES VDA-LANDESVERBANDES MECKLENBURG-VORPOMMERN Personenstandsrecht ist en vogue, seitdem die Hoffnungen, diedie Attraktivität der Personenstandsunterlagen bei verschiedenen

PERSONENSTANDSUNTERLAGENUND ARCHIVE Von Matthias Manke

Wissenschaftszweigen hervorruft, infolge der Reform des Perso-nenstandsgesetzes auf ihre Erfüllung zusteuern. Bevor das tat -sächlich flächendeckend der Fall sein wird, scheint auch inMecklenburg-Vorpommern, dessen Bemühungen zur Umsetzungdes Personenstandsrechtsreformgesetzes in Landesrecht frühzeitigeine Vorbildrolle attestiert wurde,1 bisweilen noch erheblicher

Ebenso ist die Verfolgung von menschlichen Schicksalen denk-bar: Minderheiten, Verbrechensopfer, Zwangsarbeiter, Kriegsgefange-ne, Auswanderer, vermisste Erben…Und archivtechnisch: Suche nach Schadenverursachern (Schim-melpilze etc.)…

Motto und Präsentationsform

Das Motto kann unabhängig von der inhaltlichen Umsetzung inPräsentationsformen umgesetzt werden: Öffnung verborgenerMagazine (Führung), jede Form von Recherche, Spurensucheinszenieren („Schatzsuche“), Stadt-/Dorfralley um unbekannte Ortezu entdecken (hist. Pläne, Fotos), Bilderrätsel, Preisausschreiben,Raritätenkabinett des Archivs (Ausstellung), historische Methodendes Verbergens wie Gewölbe, Fluchtkisten, Schlösser…

Motto und Quellenkunde

Über das Motto kann der Vorgang des historischen Arbeitens mitquellenkundlichen Präsentationen verdeutlicht werden: Ent-deckungen am Original/Fälschungen, eine Quelle exemplarischinterpretieren (Quellenkritik), Geheimschriften, Codes, Ver schlüssel -lungen...

Arbeitsgruppe TAG DER ARCHIVE 2010 Hans Ammerich, Ralf Jacob, Clemens Rehm

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Klärungsbedarf zu bestehen. Aus diesem Grund initiierte derVdA-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern im 1. Quartal2009 zwei Veranstaltungen. In Kooperation mit der Archivschule Marburg, deren Engage-ment außerhalb ihres Standortes ein Novum darstellte, fand am23./24. Februar in Rostock die Fortbildung „Archivierung vonPersonenstandsunterlagen in Kommunalarchiven“ statt. Etwa dieHälfte der 21 Teilnehmer an der ursprünglich v. a. für die Mitglie-der des VdA-Landesverbandes gedachten Fortbildung kam ausanderen Bundesländern; Archivare, Standesbeamte und Mitarbei-ter von Kommunalverwaltungen waren in etwa gleichrangigvertreten. Nach einem Überblick über personstandsrelevanteQuellen vor dem Reichspersonenstandsgesetz von 1875 (Dr.Matthias Manke, Landeshauptarchiv Schwerin) hörten sie Vorträ-ge über Auswirkungen der Gesetzesreform auf die Archive (EvaDrechsler, Staatsarchiv Hamburg), die Rechtsumsetzung inMecklenburg-Vorpommern (Dr. Thekla Kleindienst, KommunaleArchivberatung Mecklenburg-Vorpommern) und anderen Bun-desländern, über Archivierungs- und Bewertungsfragen (UlrichBartels, Kommunale Archivberatung Hessen) sowie die Benut-zung von Personenstandsunterlagen (Dr. Christian Reinicke,Staats- und Personenstandsarchiv Detmold). Aufgrund der sounterschiedlichen berufsspezifischen Erfahrungshorizonte derTeilnehmer erwiesen sich insbesondere die – ohne den Referen-ten zu nahe treten zu wollen – an die Vorträge anschließendenDiskussionen als ausgesprochen spannend und fruchtbar.In Kooperation mit dem Landesverband Mecklenburg-Vorpom-mern des Bundes der Standesbeamten (BDS) folgte am 18. Märzebenfalls in Rostock ein Forum mit dem Titel „Anbietung,Archivierung und Benutzung von Personenstandsunterlagen –neue Herausforderungen für Standesämter und Archive“. Dieetwa 150 Teilnehmer des Forums, unter denen Standesbeamteund Mitarbeiter von Kommunalverwaltungen wiederum sehrzahlreich vertreten waren bzw. von denen die Archivare nur gutein Fünftel stellten, stammten abgesehen von zwei Ausnahmenaus Mecklenburg-Vorpommern. In Gegenwart der im Bildungs-ministerium für das Archivwesen und im Innenministerium fürdas Personenstandswesen zuständigen Referentinnen Dr. MarliesCarstensen und Corinna Teichner wurden sie über Herausforde-rungen und Probleme bei der Anbietung von Personenstandsun-terlagen (Gerhard Bangert, Akademie für PersonenstandswesenBad Salzschlirf), behördliche Aussonderung und archivischeBewertung (Dr. Matthias Manke), den Umgang mit Personen-standsunterlagen (Ingrid Hohmeyer, Standesamt Malchow) sowieerste Benutzungs- und Beauskunftungserfahrungen (UlrikeMüller und Gerd Giese, Stadtarchive Neubrandenburg undWismar) informiert. Auf die Ausführungen der Referenten folgtenwiederum rege Diskussionen, die sich in beiden Veranstaltungenim Wesentlichen auf die gleichen Problemkreise konzentrierten. Da ist zunächst die Frage nach dem zuständigen öffentlichenArchiv, an das die Standesämter die Personenstandsunterlagennach Ablauf der jeweiligen Fortführungsfristen anbieten müssen.Dabei ist relativ unstrittig, dass es sich in Mecklenburg-Vorpom-mern sowohl für die Erst- als auch für die Zweitbücher, so letzte-re aufgrund eines Anlagestopps bzw. Vernichtungsgebots von1981 überhaupt vorhanden sind, und die Sammelakten immerum ein Kommunalarchiv handeln muss. Eher unproblematischgestaltet sich die Situation in den kreisfreien und einigen kreisan-gehörigen Städten mit etabliertem Kommunalarchiv, an dem es in

1 Josef Heinzelmann: Zur Reform des Personenstandsgesetzes, in: Archiv für Familiengeschichtsforschung 11 (2007) H. 3, S. 164-169, hier S. 168 f.

der überwiegenden Mehrzahl der Gemeinden und Ämter aller-dings fehlt. Das Landesarchivgesetz Mecklenburg-Vorpommern erhebt dieArchivierung zwar zur Pflichtaufgabe kommunaler Selbstverwal-tung (§ 12 Abs. 1), deren Ausgestaltung eindeutig definiert ist unddie bei kostenteiliger Abgabe des kommunalen Schriftgutes andas Kreisarchiv endet (Abs. 2 Nr. 3). Im Vordergrund muss jedochdie kommunale Eigen- oder zumindest Gemeinschaftsarchivie-rung stehen, zu deren Durchsetzung die staatliche Kommunal-aufsicht mehr denn je gefordert ist - es geht nicht allein um dieSicherung der Personenstandsunterlagen, sondern der Blick mussauch auf die Überlieferung des allgemeinen Verwaltungsschrift-gutes der Gemeinden und Ämter gerichtet sein. Zudem verkör-pert ein nicht am eigenen Standort angesiedeltes Kommunalar-chiv für manchen Standesbeamten offenbar ebenso ein mentalesProblem wie der Statuswandel der Personenstandsunterlagen beiihrer Umwidmung zu Archivgut. Dabei entfallen Fortführungs- und Berichtigungspflicht der Per -sonenstandsregister, es werden keine Urkunden mehr darausausgestellt, das Zugangsrecht ändert sich und vor allem lässt derGesetzgeber eine archivische Bewertung insbesondere der zu-gehörigen Sammelakten zu. Diesbezüglich entscheiden die Archi -vare, ob die Sammelakten zu allen Registerarten über alle Zeitenhinweg der Archivierung wert sind oder ob dies nur für bestimm-te Sammelakten aus bestimmten Zeiten zutrifft. Für mancheStandesbeamte ist das noch unvorstellbar und wird wohl auchnur dann begreifbar, wenn sie sich des geänderten Charaktersund des geänderten Zwecks der Unterlagen bewusst werden.Trotz bisweilen gegenteiliger Auffassung bestand am Ende einegewisse Einigkeit, den begonnenen Dialog fortzuführen und indessen Ergebnis Lösungen für die bestehenden Probleme zufinden.

Dr. Matthias MankeStellv. Vorsitzender des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern im VdA

c/o Landesamt für Kultur und DenkmalpflegeLandeshauptarchiv SchwerinPF 111 25219011 SchwerinTel.: 0385-59296-55E-Mail: [email protected]

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PERSONALNACHRICHTEN

PERSONALNACHRICHTEN

STAATLICHE ARCHIVE

BUNDESARCHIV

EingestelltWissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Sylvia Rogge-Gau(15.3.2009).

ErnanntArchivrat z.A. Daniel Jost zum Archivrat (29.4.2009) – Archiv -inspektorin z.A. Carolin Kolbe zur Archivinspektorin(29.3.2009) – Archivrat z.A. Dr. Horst Henning Pahl zumArchivrat (29.4.2009).

In den Ruhestand getreten Referatsleiter Dr. Günter Fetzer (31.5.2009) – Archivdirektor Dr. Josef Henke (28.2.2009) – Wissenschaftlicher MitarbeiterAndres Imhof (30.4.2009) – Leitender Archivdirektor Dr. ErnstRitter (31.3.2009) – Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. IreneStreul (28.2.2009).

DIE BUNDESBEAUFTRAGTE FÜR DIE UNTER -LAGEN DES STAATSSICHERHEITSDIENSTES DER EHEMALIGEN DDR

EingestelltArchivarin Sandy Apelt (1.8.2008) – Archivarin KatharinaBöhm (1.8.2008) – Archivarin Maxi-Sophie Eichhorn(15.12.2008) - Referatsleiter Dr. Karsten Jedlitschka M.A.(1.11.2007) – Archi var Florian Kohlrusch (1.9.2008) – ArchivarinAnja Leh mann (1.9.2008) - Archivar Andreas Loder (1.6.2008) –Archivar Dominik Mosch (1.8.2008) – Referatsleiter BenediktPraxen thaler M.A. (1.12.2007) – Archivarin Ruth Zimmer mann(14.4.2008).

ErnanntLeitende Archivdirektorin Birgit Salamon zur Abteilungs präsi -dentin (5.2.2008).

BADEN-WÜRTTEMBERG

ErnanntMichael Habersack M.A. beim Landesarchiv Baden-Württem -berg, Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart, zum Archiv -referendar (1.5.2009) – Mathias Kunz beim Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Hauptsstaatsarchiv Stuttgart, zumArchivreferendar (1.5.2009) – Andreas Neuburger M.A. beimLandesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Hauptstaatsarchiv

Stuttgart, zum Archivreferendar (1.5.2009) – Eva Rödel M.A.beim Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Haupt staats -archiv Stuttgart, zur Archivreferendarin (1.5.2009).

AusgeschiedenArchivreferendarin Dr. Jeannette Godau M.A. beimLandesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung HauptstaatsarchivStuttgart, nach bestandener Laufbahnprüfung (30.4.2009) –Archivreferendar Dr. Stefan Lang M.A. beim LandesarchivBaden-Württemberg, Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart, nachbestandener Lauf bahnprüfung (30.4.2009) – ArchivreferendarinDr. Judith Matzke M.A. beim Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart, nachbestandener Laufbahnprüfung (30.4.2009).

BAYERN

ErnanntArchivrat z.A. Dr. Julian Holzapfl M.A. beim BayerischenHauptstaatsarchiv zum Archivrat (1.4.2009) – Archivrätin z.A.Nicola Humphreys M.A. beim Staatsarchiv Bamberg zurArchivrätin (1.4.2009) – Archivrat z.A. Dr. Thomas ParingerM.A. beim Staatsarchiv München zum Archivrat (1.4.2009) –Archivrat z.A. Michael Puchta M.A. beim Bayerischen Haupt -staatsarchiv zum Archivrat (1.4.2009) – Archivrat z.A. TillStrobel beim Bayerischen Hauptstaatsarchiv zum Archivrat(1.4.2009) – Archivrat z.A. Dr. Michael Unger M.A. bei derGeneraldirektion der Staatlichen Archive Bayerns zum Archivrat(1.4.2009).

In den Ruhestand getretenArchivamtsrat Klaus Fischer beim Staatsarchiv München(30.4.2009).

HESSEN

EingestelltDr. Lars Adler als Leiter der Archivberatungsstelle beimHessischen Staatsarchiv Darmstadt (1.5.2009).

ErnanntBarbara Hammes M.A. beim Hessischen Staatsarchiv Marburgzur Archivreferendarin (1.5.2009) – Archivrat z.A. Dr. VolkerHirsch bei der Archivschule Marburg zum Archivrat (26.3.2009)– Bastian Gillner M.A. beim Hessischen Staatsarchiv Marburgzum Archivreferendar (1.5.2009) – Claudius Kienzle M.A. beimHessischen Staatsarchiv Marburg zum Archivreferendar(1.5.2009).

Zusammengestellt vom

VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V.

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AusgeschiedenArchivreferendarin Dr. Regina Maier beim HessischenStaatsarchiv Marburg nach bestandener Laufbahnprüfung(30.4.2009) - Archivreferendarin Dr. Katrin Marx-Jaskulskibeim Hessischen Staatsarchiv Darmstadt nach bestandenerLaufbahnprüfung (30.4.2009) – Archivreferendar Dr. StephenSchröder M.A. beim Hessischen Staatsarchiv Marburg nachbestandener Laufbahnprüfung (30.4.2009).

VerstorbenFachreferent Friedrich Boss beim Hessischen StaatsarchivDarmstadt im Alter von 63 Jahren (26. 5. 2009)

Archivschule Marburg15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 42. wissenschaftlichenLehrgangs haben am 30.4.2009 erfolgreich ihre Ausbildungbeendet:Dr. Lars Adler (Hessen), Dr. Jeannette Godau M.A. (Baden-Württemberg), Dr. Astrid Küntzel (Nordrhein-Westfalen), Dr.Stefan Lang (Baden-Württemberg), Dr. Yvonne Leiverkus(Nordrhein-Westfalen), Dr. Regina Maier (Hessen), Dr. KatrinMarx-Jaskulski (Hessen), Dr. Judith Matzke M.A. (Baden-Württem berg), Aleksandra Pawliczek M.A. (GeheimesStaatsarchiv Preußischer Kulturbesitz), Dr. Tobias Schenk(Nordrhein-Westfalen), Dr. Stephen Schröder M.A. (Hessen),Dr. Söhnke Thalmann M.A. (Niedersachsen), Dr. DannyWeber (Nordrhein-Westfalen), Dr. Hendrik Weingarten(Niedersachsen), Katrin Wenzel M.A. (Thüringen).

MECKLENBURG-VORPOMMERN

EingestelltDipl.-Archivar Stefan Schramm beim Landesarchiv Mecklen -burg-Vorpommern, Archiv Schwerin (1.1.2009).

NIEDERSACHSEN

ErnanntDaniel Baumann beim Niedersächsischen Landesarchiv, Staats -archiv Osnabrück, zum Archivreferendar (1.5.2009) – IsabelleGuerreau beim Niedersächsischen Landesarchiv, StaatsarchivOsnabrück, zur Archivreferendarin (1.5.2009) – ArchivreferendarDr. Söhnke Thalmann M.A. beim NiedersächsischenLandesarchiv, Staatsarchiv Oldenburg, zum Archivassessor(1.5.2009) – Jörg Voigt beim Niedersächsischen Landesarchiv,Staatsarchiv Osnabrück, zum Archivreferendar (1.5.2009) –Archiv referendar Dr. Hendrik Weingarten beimNiedersächsischen Landesarchiv, Staatsarchiv Bückeburg, zumArchivassessor (1.5.2009).

NORDRHEIN-WESTFALEN

ErnanntStaatsarchivinspektor z.A. Martin Brinkhoff beim LandesarchivNordrhein-Westfalen zum Staatsarchivinspektor (1.4.2009) –Wissenschaftliche Archivbeschäftigte Dr. Antje Diener- Staeck ling beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen zur

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Staatsarchiv rätin (1.4.2009) – Regierungsinspektorin z.A.Christiane Hibbeln beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalenzur Regierungsinspektorin (1.4.2009) – Dr. Thomas Notthoffbeim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen zum Staatsarchiv -referendar (1.5.2009) – Karoline Riener M.A. beimLandesarchiv Nordrhein-Westfalen zur Staatsarchivreferendarin(1.5.2009) – Michael Ruprecht M.A. beim LandesarchivNordrhein-Westfalen zum Staatsarchivreferendar (1.5.2009) –Staatsarchiv inspektor z.A. Ralf Schuhmacher beimLandesarchiv Nord rhein-Westfalen zum Staatsarchivinspektor(1.4.2009) – Thorsten Unger M.A. beim LandesarchivNordrhein-Westfalen zum Staatsarchivreferendar (1.5.2009).

AusgeschiedenStaatsarchivreferendarin Dr. Astrid Küntzel beim LandesarchivNordrhein-Westfalen nach bestandener Laufbahnprüfung(30.4.2009) – Staatsreferendarin Dr. Yvonne Leiverkus beimLandesarchiv Nordrhein-Westfalen nach bestandener Laufbahn -prüfung (30.4.2009) – Staatsarchivreferendar Dr. Tobias SchenkM.A. beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen nach bestandenerLaufbahnprüfung (30.4.2009) – Staatsarchivreferendar Dr.Danny Weber beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen nachbestandener Laufbahnprüfung (30.4.2009).

RHEINLAND-PFALZ

ErnanntArchivoberinspektorin Maria Elisabeth Beck beim Landes -haupt archiv Koblenz zur Archivamtfrau (18.5.2009) – Ober -archivrätin Dr. Beate Dorfey beim Landeshauptarchiv Koblenzzur Archivdirektorin (18.5.2009) – Oberarchivrat Dr. WalterRummel beim Landesarchiv Speyer zum Archivdirektor(18.5.2009) – Archivinspektorin Ruth Schmitt-Schäfer beimLandeshauptarchiv Koblenz zur Archivoberinspektorin(18.5.2009) – Archivoberinspektorin Marion Voigt beimLandeshauptarchiv Koblenz zur Archivamtfrau (18.5.2009).

SACHSEN

EingestelltDr. Judith Matzke M.A. beim Sächsischen Staatsarchiv,Abteilung Staatsarchiv Chemnitz, als Referentin (4.5.2009).

ErnanntArchivoberrat Dr. Peter Wiegand beim Sächsischen Staats -archiv, Abteilung Hauptstaatsarchiv Dresden, zum Archivdirektor(7.4.2009).

SACHSEN-ANHALT

ErnanntArchivrat Dr. Andreas Erb beim Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau, zum Archivoberrat (16.4.2009) –Archivinspektorin Christine Ulrich beim LandeshauptarchivSachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, zur Archivober inspek -torin (24.3.2009).

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PERSONALNACHRICHTEN

THÜRINGEN

ErnanntArchivdirektor Dr. Bernhard Post beim ThüringischenHauptstaatsarchiv Weimar zum Leitenden Archivdirektor undzum Direktor des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar(1.4.2009) – Christian Reuther beim Thüringischen Haupt -staatsarchiv Weimar zum Archivreferendar (1.5.2009) – Archiv -assessor Dr. Stephen Schröder M.A. beim ThüringischenHaupt staats archiv Weimar zum Archivrat zur Probe (1.5.2009).

In den Ruhestand getretenArchivangestellter Gunther Appelmann beim ThüringischenHauptstaatsarchiv Weimar (30.4.2009).

KOMMUNALE ARCHIVE

Kreisarchiv EsslingenKreisarchivoberinspektor Dipl.-Archivar (FH) André Kayserwurde zum Kreisarchivamtmann ernannt (1.5.2009).

Stadtarchiv Baden-BadenDipl.-Archivarin (FH) Dagmar Kicherer trägt den Familien -namen Rumpf (15.5.2009).

Stadtarchiv und Stadthistorische Bilbiothek BonnDr. Yvonne Leiverkus wurde zur Städtischen Archivrätinernannt (1.6.2009).

Stadtarchiv ErlangenArchivoberrat Dr. Andreas Jakob wurde als Leiter bestellt(1.3.2009).

Historisches Archiv der Stadt KölnDipl.-Archivarin (FH) Tanja Chlebna wurde eingestellt(1.11.2008) - Dipl.-Archivar (FH) Marcel Oeben wurde eingestellt(2.3.2009) - Wissenschaftlicher Archivar Dr. Max PlassmannM.A. wurde eingestellt (16.2.2009).

KIRCHLICHE ARCHIVE

Provinzarchiv der Karmeliten, BambergProvinzarchivar P. Matthäus Hösler O. Cam. ist im Alter von71 Jahren verstorben (23.4.2009).

ARCHIVE DER PARLAMENTE, POLITISCHEN PARTEIEN, STIFTUNGEN UND VERBÄNDE

Parlamentsarchiv des Deutschen BundestagesDipl.-Archivar (FH) Steffen Schwalm wurde als Sachbearbeitereingestellt (1.5.2009).

ARCHIVE DER HOCHSCHULEN SOWIE WISSENSCHAFTLICHER INSTITUTIONEN

Universitätsarchiv LeipzigStellvertretender Archivleiter Dr. Jens Blecher wurde Direktordes Universitätsarchivs Leipzig (1.4.2009).

Universitätsarchiv WürzburgUniversitätsarchivar Dr. Marcus Sporn M.A. wurde zumArchiv rat ernannt (15.5.2009).

GEBURTSTAGE

90 JahrePräsident der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg a. D.Prof. Dr. Eberhard Gönner (10.12.2009).

85 JahreGemeindearchivar Joachim Schrape, Oldenburg (20.10.2009).

80 Jahre Fürstlicher Archivoberamtsrat i. R. Erwin Probst, Regensburg(29.12.2009) - Archivdirektor a. D. Dr. Fritz Reuter, Worms(4.11.2009).

75 Jahre Archivangestellter i. R. Gundmar Blume, Braunschweig(9.12.2009) – Dr. iur. Christoph Gieschen, Hannover(28.11.2009) – Archivleiter i. R. Hans Hofmann, Freiberg(24.10.2009) – Ministerialrat a. D. Dr. Otto Merker, Hannover(14.11.2009) – Dr. Hans Nordsiek, Minden (20.12.2009) –Leitender Landesarchivdirektor a. D. Dr. Kurt Schmitz,Leichlingen (16.10.2009).

70 JahreArchivdirektor a. D. Prof. Dr. Toni Diederich, Köln (16.11.2009)– Kreisarchivdirektor a.D. Dr. Rolf Dieter Kohl, Neuenrade(2.12.2009) – Generalsekretär i.R. Dr. Martin Schuhmacher,Bonn (17.11.2009).

65 JahreArchivoberrat Dr. Heinz-Ludger Borgert, Freiburg (24.11.2009)– Stadtarchivar Peter Christian Müller M.A., Bad Säckingen(16.10.2009) – Archivamtsrat Dr. Klaus Schwabe, Schwerin(10.12.2009) – Staatsarchivdirektor Dr. Rainer Stahlschmidt,Düsseldorf (27.10.2009) – Hans Eberhard Zorn, München(26.11.2009).

60 JahreReferentin Marion Bähr, Leipzig (13.11.2009) – Marian Freiherrvon Gravenreuth, Affing (27.10.2009) – Archivoberrätin Dr.Christiane Heinemann, Wiesbaden (24.10.2009) – Archiv amt -frau Elisabeth Hunerlach, Heidelberg (7.12.2009) – ArchivratVolker Kahl, Berlin (17.10.2009) – Archivdirektor Prof. Dr. GertKollmer-von Oheimb-Loup, Stuttgart-Hohenheim (20.11.2009)– Archivar Horst-Dieter Krus, Höxter (23.12.2009) – Archiv -direktor Frieder Kuhn, Ludwigsburg (8.10.2009) – ArchivamtfrauJohanna Marschall-Reiser, Berlin (5.12.2009) – ArchivoberratMichael Sander, Saarbrücken (13.12.2009) – Archivleiter Dr.Winfried Schultze, Berlin (20.10.2009) – Stadtarchivar Fried -helm Sommer, Rüthen (18.10.2009) – Amtsrat Horst Vogel,Bremen (30.10.2009) – Archivdirektor Dr. Heinrich WanderwitzM.A., Regensburg (27.12.2009).

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323NACHRUFE

HEINZ BOBERACH †

Geb. 21.11.1929 KölnGest. 21.8.2008 Koblenz

Dem als Sohn eines Kaufmanns am 21. November 1929 in Kölngeborenen Heinz Boberach stand bereits während seiner Schul-zeit der Archivarsberuf als Ziel vor Augen – eine Ausstellung vonZimelien des Stadtarchivs hatte ihn im Herbst des Jahres 1946dazu angeregt. Im Sommer 1950 nahm er an der Universitätseiner Heimatstadt das Studium der Geschichte und der lateini-schen Philologie auf, zu seinen akademischen Lehrern zähltenGerhard Kallen, Heinz Planitz und Karl Dietrich Erdmann. Nachdem 1956 abgelegten Staatsexamen promovierte ihn TheodorSchieder Anfang 1957 mit einer Dissertation über Wahlrechtsfra-gen im Vormärz und die Entstehung des Dreiklassenwahlrechtsim Rheinland. Seine Doktorarbeit wurde von der Kommissionfür die Geschichte des Parlamentarismus und der politischenParteien im Jahre 1959 veröffentlicht. Nach kurzer Zeit im Archivdes Deutschen Bundestags erhielt er am 1. April 1957 die Ernen-nung zum Archivreferendar im Bundesarchiv und absolvierte den4. wissenschaftlichen Lehrgang der Archivschule Marburg.Boberachs weiteres Leben verlief in zwei zeitlich fast gleichlangen Abschnitten: sein aktiver, aus gesundheitlichen Gründenim Sommer 1985 aufgegebener Dienst im Bundesarchiv währte28 Jahre, ihm folgten 23 Jahre eines von intensiver wissenschaftli-cher Arbeit geprägten Ruhenstands. Ohne in den zahlreichenKommissionen, Gelehrten Gesellschaften, Vereinen, denen erangehörte, je eine förmliche Funktion übernommen zu haben,wurde er zu einem der in der breiteren, zeitgeschichtlich interes-sierten Öffentlichkeit bekanntesten Archivare seiner Generation.Dazu trug seine lebhafte, mitteilungsfreudige Persönlichkeit bei,die keiner Diskussion ihn berührender Fragen auswich, dievielfältige Anregungen vermittelte und frühzeitig offene methodi-sche Probleme aufgriff. Vor allem aber verdankt sich sein Anse-hen der Reihe wichtiger Quelleneditionen zur Geschichte des NS-Staates wie seinen zahlreichen weitergreifenden Veröffentlichun-gen, u. a. auch zur Landesgeschichte und zur kirchlichen Zeitge-schichte.Im Frühjahr 1959 fand sich der junge Archivassessor Boberach imBundesarchiv mit dem Referat der archivischen Aufgaben fürInneres, Kultus und Unterricht betraut, dem im Oktober 1962auch jene im Bereich der Justiz zugeordnet wurden. Damit war erder erste Ansprechpartner für die im Rahmen der Verfolgung vonVerbrechen der NS-Diktatur seit Ende der 50er und zu Beginnder 60er Jahre vermehrt ermittelnden Staatsanwaltschaften,Landeskriminalämter und nicht zuletzt der Zentralstelle derLandesjustizverwaltungen in Ludwigsburg geworden – eineHerausforderung, der er sich mit ganzer Hingabe widmete. SeineErschließungsarbeiten, aber auch die gemeinsam mit Hans

Booms und Friedrich Facius vorbereitete erste Auflage der Über-sicht über die Bestände des Bundesarchivs (1961) hatten ihmrasch eine intime Kenntnis der zu jener Zeit noch bruchstückhaftvorhandenen Überlieferungen der NS-Zeit vermittelt. Für Staats-anwaltschaften und die Gerichte wurde er bei der Verfolgung vonNS-Verbrechen zu einem wichtigen Experten, zu mehreren Ver -fahren wurde er als Sachverständiger herangezogen. Von Vorteilfür die Interessen des Bundesarchivs wirkte sich aus, dass Bobe-rach bei den in Zeiten des fortdauernden Kalten Krieges schwieri-gen Kontakten der Justizbehörden mit archivischen Einrichtun-gen und Dokumentationszentren der DDR und Polens beteiligtwar. Gezielt sammelte er Informationen über kriegsbedingt ver -lagerte Überlieferungen deutscher Provenienz und bereitete ersteVerabredungen über den Erwerb von Kopien und Mikrofilmauf-nahmen vor.Im Sommer des Jahres 1969 war Boberach zusätzlich mit denQuerschnittsaufgaben der Erschließung, der Benutzung, derBewertung und der Archivtechnik im Bundesarchiv beauftragtworden. Nach einem kurzen Zwischenspiel seiner Leitung derAbteilung Staatliches Schriftgut von Ende 1972 bis Frühjahr 1974übernahm er dann die Grundsatzabteilung des Hauses. Mitdieser Aufgabe war zugleich die Vertretung des Präsidenten HansBooms verbunden, beide Funktionen übte er bis zu seinem durchseine Herzerkrankung bedingten vorzeitigen Eintritt in denRuhe stand aus. Nicht erst in jener Zeit entwickelte er erste Kon -zepte für die Nutzung der Elektronischen Datenverarbeitung imArchiv, erprobte diese in unterschiedlichen Projekten, für die esihm gelang, Sondermittel einzuwerben. Die zu Beginn der 70erJahre nicht zuletzt von der Bundesregierung geförderte Aufbruch-stimmung für die Entwicklung des Dokumentationswesens mitumfassenden Datenbanken und deren Vernetzung trachtete er, fürdie Archive zu nutzen. Mit Engagement widmete er sich dem Auf -bau eines Fachinformationssystems Geschichtswissenschaft imRahmen des Förderprogramms Information und Dokumentation(IuD) des Bundesministeriums für Forschung und Technologie.Allen Rückschlägen bei der Planung zum Trotz entwickelte sichdaraus die Projekt- und Literaturdokumentation der Geschichts-wissenschaft der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer For-schungseinrichtungen in München, deren Jahrbuch der histori-schen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland er von 1978bis 1992 mitherausgab.Boberachs Ideenreichtum wurde über das Haus hinaus vonparlamentarischen Gremien wie in der Ministerialbürokratiegeschätzt. So konnte er u. a. Anliegen der in den frühen 80erJahren begonnenen Vorbereitungen auf die Archivgesetzgebungdes Bundes und der Länder früh auf den Weg bringen, zugleichaber auch Nachteile für die Archivbenutzung bei der Umsetzungder Datenschutzgesetzgebung vermeiden und Missverständnisseausräumen helfen. Aus der Reihe seiner vielfältigen im Bundesar-chiv realisierten Projekte sei an dieser Stelle noch der Aufbau der„Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen

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Geschichte“ in Rastatt hervorgehoben. Diese hatte Bundespräsi-dent Heinemann angeregt, der die von Boberach vorbereiteteDauerausstellung am Ende seiner Amtszeit noch einweihenkonnte. Sie wurde bis zum Jahre 1999 gezeigt. Daneben hatteBoberach seit Mitte der 60er Jahre das „Gedenkbuch: Opfer derVerfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewalt -herrschaft in Deutschland 1933 bis 1945“ vorbereitet, dessen ersteAuflage 1985 erschien.Noch in den Jahren seines aktiven Dienstes widmete sich Bobe-rach mit schier unerschöpfbarer Arbeitskraft der Edition wichti-ger Quellen aus der NS-Zeit. Erinnert sei an seine Herausgabeder „Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen und Kir-chenvolk in Deutschland 1934 bis 1944“, Mainz 1961, an die„Richterbriefe. Dokumente zur Beeinflussung der deutschenRechtsprechung 1942 bis 1944“, Boppard 1975, und an die „Mel-dungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicher-heitsdienstes der SS 1938 bis 1945“, die in 17 Bänden nebst Regi-sterband 1984 und 1985 erschienen. Der rheinischen Landesge-schichte blieb er eng verbunden, im Jahre 1976 legte er den 2. Teilvon Band II der „Rheinischen Briefe und Akten zur Geschichteder politischen Bewegung 1830-1850“ für die Zeit von April bisDezember 1848 vor.Im Jahre 2004 veröffentlichte Boberach Erinnerungen an seineLehrjahre 1950 bis 1959, an seine Dienstzeit 1959 bis 1984 und inknapper Zusammenfassung an seinen fortdauernden „Unruhi-gen Ruhestand“: „Archivar zwischen Akten und Aktualität“, 241S., Norderstedt (Books on Demand). Er hatte diese als Rechen-schaftsbericht konzipiert, so gab er dem Band ein Schriftenver-zeichnis bei, das von der beeindruckenden Produktivität desArchivars und Historikers zeugt: unter den Monographien,Aufsätzen und Beiträgen zu Sammelwerken sind 107 Titel nachge-wiesen, das Verzeichnis der Rezensionen und Bibliographienumfasst weitere 444 Nummern. Die Erinnerungen sind bei allerdem autobiographischen Schrifttum innewohnenden Subjekti-vität ein für die Geschichte des Bundesarchivs während der erstendrei Jahrzehnte seines Bestehens wichtiges Zeugnis. Sie spiegelnaber auch noch einmal die Persönlichkeit des Archivarskollegen,belegen sein phänomenales Gedächtnis, seine Freude an derzugespitzten Formulierung, eher konstatierend als fragend ge -äußert, nicht eben selten auch provozierend gemeint, schließlichseinen berechtigten Stolz auf seine wissenschaftliche Lebensleis-tung. Unverkennbar bleibt, dass er dafür auch Opfer brachte, dieihm selbst möglicherweise weniger bewusst waren: Im Grundelebte er, von der Bindung an seine Familie abgesehen, relativeinsam. Unter den zahlreichen Persönlichkeiten im Netzwerkseiner dienstlichen und wissenschaftlichen Kontakte finden sichnur wenige wirkliche ihm enger verbundene Freunde. Erst in denspäteren Jahren seines Ruhestandes zeichnete ihn Gelassenheitaus, fand er ihm wichtige Gesprächskontakte in seiner Evangeli-schen Kirchengemeinde. Heinz Boberachs eigengeprägte Persön-lichkeit bleibt unverwechselbar im Gedächtnis aller haften, dieihm begegneten, nicht wenige unter ihnen bewahren ihm einedankbare Erinnerung.

Friedrich P. Kahlenberg, Boppard

L. ANTON DOLL †Geb. 21.9.1919 GodramsteinGest. 19.2.2009 Speyer

Im 90. Lebensjahr stehend, verstarb der lange Jahre, zuletzt alsdessen Leiter am Staats-, dann Landesarchiv Speyer tätig gewese-ne Archivdirektor L. Anton Doll, der auch im Ruhestand demOrt seines beruflichen Wirkens treu geblieben war. Bis zuletztwidmete er sich – wenn auch unter starken gesundheitlichenEinschränkungen – seinen wissenschaftlichen Interessen. SeinBerufsweg – er war der Letztlebende des ersten Kurses der Mar-burger Archivschule – spiegelt die Entwicklung des staatlichenArchivwesens im Westdeutschland der Nachkriegszeit wider,nach den durch die NS-Diktatur verursachten materiellen undmoralischen Einbußen geprägt durch Neuanfang und -aufbau indem aus der französischen Besatzungszone hervorgehendenBundesland Rheinland-Pfalz. Ohne dass er je ein Aufhebendavon gemacht hätte, legte eine im November 1943 an der Ost-front erlittene schwere Verwundung mit Verlust des rechten Armsin seiner Person auch physisch Zeugnis ab vom Schicksal derKriegsgeneration. Er ertrug diese kräftezehrende Behinderungmit bewunderungswürdigem Gleichmut; seine Lebensleistungist daher umso höher zu schätzen. Als Sohn eines Steuerbeamten in Bad Bergzabern aufgewachsen,wechselte er mit der Familie 1930 nach Speyer über, wo er 1939am Humanistischen Gymnasium die Reifeprüfung ablegte. NachAbsolvierung des Arbeitsdienstes widmete er sich ab Oktober1939 an den Universitäten München und Tübingen drei Trimesterlang Studien in den Fächern Philosophie, Germanistik, Geschich-te, Kunstgeschichte und Theologie. Dem NS-Regime innerlichfernstehend, hatte er ab Oktober 1940 als einfacher Soldat seinerWehrpflicht zu genügen. Nach Ausheilung seiner schwerenKriegsbeschädigung nahm er ab dem Sommersemester 1944 seineStudien, nunmehr mit dem Schwerpunkt Geschichte und unterEinbeziehung von Französisch, in Freiburg wieder auf, um siewegen der Luftkriegszerstörungen in Tübingen fortzusetzen.Nach Gründung seiner Familie wurde er im Oktober 1945 alsAnwärter für den gehobenen Archivdienst am Staatsarchiv Speyerzugelassen. Sein Mentor dabei war dessen reaktivierter frühererDirektor Dr. Albert Pfeiffer, ein vor 1933 hoch angesehen gewese-ner Archivar alter bayerischer Schule. Nach schwierigen Jahrenmit berufsbegleitendem Studium an der jungen UniversitätMainz wurde Anton Doll im Mai 1948 dort durch HeinrichBüttner mit einer sehr guten Arbeit über Weistumsfälschungenpromoviert, was ihm, inzwischen apl. Archivinspektor, denWechsel in die Ausbildung zum höheren Archivdienst gestattete.Nach Bestehen der Staatsprüfung in Marburg konnte er seitNovember 1950 als Assessor, ab Mai 1954 endlich als Staatsarchiv-rat und seit Oktober 1965 als Oberarchivrat am Speyerer Staatsar-chiv der ihm gemäßen Tätigkeit nachgehen. Von ihm in gutemSinn vornehmlich als Kärrnerarbeit verstanden, war sein Wirkendort bestimmt und geprägt von der Erschließung der Bestände,der Schaffung einer Tektonik, der Organisation gemeindlicherArchivpflege und der Einführung technischer Neuerungen. Von1949 bis 1964 betreute er außerdem nebenamtlich das SpeyererStadtarchiv und stand diesem darüber hinaus als Berater zurVerfügung. Als vorwiegend am Mittelalter interessierten Histori-kerarchivar mag ihn geschmerzt haben, dass die Urkundenüber-lieferung für die Zeit vor 1400 in Bayern zentralisiert worden, also

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in Speyer nicht verfügbar war; wenigstens durfte er noch denAnkauf des Gatterer-Apparats 1996 und die Rückführung der aufdie Pfalz entfallenden Akten des Reichskammergerichts 2003erleben. In seine Dienstzeit als Direktor (1972-1984) fielen dieAnfänge der sich einem breiteren Publikum öffnenden Aktivitä-ten, an denen er sich nach Kräften beteiligt hat, z. B. an derDokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung. Zunennen sind auch archivpädagogische Handreichungen undnatürlich Ausstellungsaktivitäten, gipfelnd in der 1982 in seinerVerantwortung durchgeführten Ausstellung zur 150. Wiederkehrdes Hambacher Festes. Schon früh sann er angesichts der Raum-not im Archivgebäude am Domplatz auf eine neue Unterbrin-gung des ihm anvertrauten Archivguts. Für die Lösung, zusam-men mit der Landesbibliothek einen neuen Gebäudekomplex imWesten der Stadt zu errichten, war er einer der Urheber, wenn-gleich ihm die 1986 vollendete Verwirklichung dieses Projektsdann nicht recht behagen wollte. Für sein engagiertes Wirken alsArchivar und Historiker erhielt er zahlreiche Ehrungen, vondenen das Bundesverdienstkreuz und die Verdienstmedaille derStadt Speyer eigens hervorgehoben werden sollen. Die Aufbauarbeit, die es nach 1945 zu leisten galt, erstreckte sichfür ihn wie selbstverständlich auch auf die Organisation vongeschichtswissenschaftlichen Aktivitäten. Als Mitbegründerbekleidete er Ämter in der Gesellschaft für mittelrheinischeKirchengeschichte (1947) und der Arbeitgemeinschaft für ge-schichtliche Landeskunde am Oberrhein (1960). Der PfälzischenGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften diente er alsVorstandsmitglied, ebenso dem Historischen Verein der Pfalz, beidem er zudem den – mit der Herausgabe der Zeitschrift „Mittei-lungen des Historischen Vereins der Pfalz“ verbundenen – Vorsitzder Wissenschaftlichen Kommission von 1976 bis 1986 innehatte.Zu nennen sind auch seine Mitgliedschaften in der Kommissionfür geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, in derHessischen Historischen Kommission Darmstadt und im Süd-westdeutschen Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung. Ent-sprechend thematisch gestreut waren auch seine zahlreichenhistorischen Arbeiten, die stets in engem Bezug zu seiner Tätig-keit als Archivar entstanden. Sie galten selbstverständlich derLandesgeschichte der Pfalz, insbesondere aber der Stadtgeschich-te Speyers, weiterhin auch rechtshistorischen und hilfswissen-schaftlichen Gegenständen. Im Vordergrund stand jedoch dieKirchengeschichte. Für immer mit seinem Namen verbundenbleiben wird die nach Vorarbeiten von Karl Glöckner 1979 vorge-legte mustergültige Edition der ältesten und wohl auch ehrwür-digsten Quelle des Landesarchivs Speyer, des Traditionscodex desKlosters Weißenburg i. E. Bis zuletzt war Anton Doll um denFortgang der Bearbeitung des von F. X. Glasschröder schon seit1892 ins Auge gefassten Projekts einer Kirchen- und Pfründebe-schreibung der Pfalz in vorreformatorischer Zeit bemüht, derenerste Bände dank seiner Beharrlichkeit ab 1988 erscheinen konn-ten; diese in ihrer Art in Deutschland einmalige „Palatia sacra“ist unter seiner Leitung und auch Mitwirkung auf fünf Bändeangewachsen. Dass er dieses Werk unvollendet zurückließ, wirddie wissenschaftliche Öffentlichkeit mehr schmerzen als ihnselbst; denn Richtigkeit bis hin zum Skrupulösen ging ihm überalles. Sich selbst immer in hohem Maße fordernd, war er bestim-mend und prinzipientreu, dabei bescheiden und gütig. Eine ausseinem Lebensschicksal herrührende Abgeklärtheit und seinunbedingtes Gespür für Qualität wirkten zusammen zugunsteneiner noblen, unaufdringlichen Vorbildhaftigkeit, die heutzutage

ihresgleichen zu suchen pflegt. Anton Doll verkörperte den aufaltem Kulturboden tätigen und sich in lange Traditionslinienhistorisch-kulturellen Bewussteins stellenden Archivar, der sichin erster Linie als Diener seiner Quellen sowie ihrer Erschließungund Vermittlung begreift. Gerade deshalb verdankt ihm dasArchivwesen der Nachkriegszeit in Deutschland viel.

Volker Rödel/Paul Warmbrunn, Karlsruhe/Speyer

HERIBERT ROSAL †

Geb. 8.5.1913 BrandenburgGest. 11.2.2009 Berlin

Allen, die ihn kannten, wird Kanonikus Rosal als Kompendiumder Berliner Bistumsgeschichte in Erinnerung bleiben. Am 8. Mai 1913 wurde er in Brandenburg an der Havel geborenund vier Tage später in der Dreifaltigkeitskirche getauft. RosalsVater Willy war Kaufmann; seine Mutter Maria geb. Gebhardtwar Hausfrau und stammte aus Lehnin. Seine beiden Geschwi-ster verstarben früh. Nach dem Besuch der Katholischen Volks-schule kam Heribert Rosal 1922 auf das v. Saldernsche Reform-Realgymnasium. Als Oberschüler trat er dem Bund Neudeutsch-land bei. 1931 übernahm er die neudeutsche Gruppe St. Gode-hard vom bisherigen Leiter Werner Mölders. Im darauffolgendenJahr bestand auch Rosal die Reifeprüfung an der renommierten„Saldria“. Nach einem kaufmännischen Volontariat fand er zumPriestertum und studierte Theologie an der Universität in Bres-lau. 1934 wurde er in die Landsmannschaft Brandenburgiaaufgenommen, die sich unter dem Gleichschaltungsdruck desNS-Regimes in einen „Priestermeßbund“ umwandelte. BischofKonrad Graf von Preysing weihte ihn am 25. März 1939 in derBerliner St.-Hedwigs-Kathedrale zum Priester. Seine pastoralen Lehrjahre absolvierte Rosal in der BerlinerGroßstadtseelsorge. Er wurde Kaplan in Schöneberg und Char-lottenburg. Erste selbständige Aufgaben übernahm er als Lokal-kaplan in Reinickendorf. 1947 stellte er sich ganz für die Diaspo-raseelsorge zur Verfügung. Gleichsam aus dem Nichts baute er inLenzen an der Elbe eine katholische Seelsorgestation auf. Hierhatte er vor allem Heimatvertriebene in den umliegenden Dör-fern zu betreuen, die er zunächst mit dem Fahrrad und später miteinem Motorrad aufsuchte. Nach einem schweren Verkehrsunfallwurde Rosal 1954 Hausgeistlicher im St.-Hedwigs-Krankenhausin Berlin. 1960 übernahm er dann für fast zwei Jahrzehnte diePfarrei St. Antonius in Berlin-Oberschöneweide. Aufwendig ließer den Altarraum seiner Pfarrkirche umgestalten. Zeitweilig warer in Personalunion auch noch Erzpriester, Diözesan-Direktor derUnio Apostolica und Geistlicher Beirat der Vinzenzkonferenzen. In seiner Freizeit widmete er sich mit Verve der Erforschung derBistumsgeschichte. Er publizierte im St. Hedwigsblatt, veröffent-lichte maschinenschriftlich vervielfältigte „KirchengeschichtlicheHandreichungen“ (unter den Bedingungen des DDR-Regimes:„nur für innerkirchlichen Gebrauch“), referierte auf Dekanatsta-gen und Priesterkonventen und leitete von 1968 bis 1986 dieKirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft im Ostteil des Bis -tums. Sein Spezialgebiet war die Presbyterologie. Nahezu allePriester, die hier seit der Reformation tätig waren, hat er akribischerfaßt. In Würdigung seiner kirchengeschichtlichen Verdienste

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wurde Rosal 1973 Geistlicher Rat und 1982 Ehrendomherr der St.Hedwigs-Kathedrale.Den sehr rüstigen Ruheständler betraute Bischof Joachim Meis-ner 1980 mit einer neuen Aufgabe. Rosal wurde erster „Leiter derArbeitsstelle des Archivs des Bistums Berlin im Ostteil derDiözese“ mit dem Titel „Bischöflicher Archivar“. Damit besaß dieBistumsverwaltung, die nach dem „Mauerbau“ an der „Nahtstel-le der Systeme“ in zwei Ordinariate zerfallen war, auch in Ost-Berlin ein eigenes Archiv im Bernhard-Lichtenberg-Haus. Rosalintegrierte die Bibliothek des Bischöflichen [Ost-]Ordinariats inseine Dienststelle und übernahm erste Abgaben aus der Zentral-registratur. Als „Jäger und Sammler im Weinberg des Herrn“kümmerte er sich um die Sicherstellung von Nachlässen undlegte eine Presseausschnittsammlung an. Seine Reisefreiheit alsRentner nutzte er – über den „Eisernen Vorhang“ hinweg – nichtzuletzt zur persönlichen Kontaktpflege mit den Fachkollegen inWest-Berlin oder auch der Kölner Kirchenprovinz. Die von ihmimmer erhoffte und deshalb freudig begrüßte „Wende“ beflügelte

ihn zu weiteren Vorhaben. Tatkräftig war er 1995 dabei, als es galt,die beiden Archive des Erzbistums (seit 1994) in den erweitertenRäumlichkeiten des Diözesanarchivs in Berlin-Tempelhof zusam-menzuführen. Ein Jahr später trat er dann endgültig in denRuhestand. Seine Forschungen setzte er weiter fort. Und ebensobereitwillig stellte er sich für die Seelsorge an seinem Wohnort alsSubsidiar zur Verfügung. Heribert Rosal war reisefreudig und gesellig. Mit dem Herz amrechten Fleck war er als humorvoller Gastgeber sehr geschätzt.Unterstützt wurde er dabei von seiner Haushälterin GertraudeBrosch, die ihm 49 Jahre lang zur Seite stand. In den beidenletzten Lebensjahren war aber sein Aktionsradius zusehendseingeengt. Doch konnte er in seiner Wohnung in Berlin-Buchholzbleiben. Er verstarb am 11. Februar 2009 und wurde acht Tagespäter nach einem Pontifikalrequiem in der St.-Hedwigs-Kathe-drale auf dem Alten Domfriedhof St. Hedwig (Liesenstraße) inder Grabstätte des Metropolitankapitels beigesetzt. R.i.p.

Gotthard Klein, Berlin

ANDREAS SCHNEIDER †

Geb. 27.10.1933Gest. 17.1.2009

Andreas Schneider war Archivar mit Herz und Seele und ausPassion. Nein, er war kein Marburger oder Münchener Absolventund hatte natürlich als Urrheinländer auch nicht die Humboldt-Universität besucht. Und wenn er die berufliche Leidenschaftseines Lebens auch erst spät, nach seinem Eintritt in denRuhestand, entdeckte und pflegen konnte, sie brachte ihmErfüllung und verschaffte ihm Anerkennung und Ansehen in sei-ner geliebten Vaterstadt Bonn; doch davon später.Zunächst ist zu berichten von Andreas, dem Dokumentar, demMann, der viele Jahre im Bonner Presseamt eine lebendeInformationszentrale war; dem Mann, der jedem weiterhalf, derder Hilfe bedurfte, und der seine Informationsbestände stetsaktuell und bestens geordnet vorhielt. Dort, im Presseamt, warunser Kollege seit Mitte der 70er Jahre tätig, nachdem er vorher25 Jahre als Rundfunktechniker gearbeitet hatte.All das, was ihm in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als er jungwar, verwehrt blieb, holte er mit Fleiß und Engagement nach:Andreas Schneider war einer der Ersten, die die von MarianneEnglert initiierte und unter ihrer Leitung entwickelte postgra-duale Aus- und Fortbildung für Medienarchivare durchlief. Diegesamte Seminarreihe hat Andreas absolviert, dazu eine großeZahl von Veranstaltungen zu speziellen beruflichen und fachli-chen Problemen und Entwicklungen. Natürlich war er stolzerBesitzer des Zertifikates, das ihm den erfolgreichen Abschluss sei-ner Teilnahme attestierte.Über viele Jahrzehnte hat uns Andreas Schneider berufsständischbegleitet, war regelmäßiger Teilnehmer der Frühjahrstagungenund vieler Fachveranstaltungen des Deutschen Archivtages. Vieleseiner Fotos, die er mit großem Aufwand und viel Freude machteund bearbeitete, dokumentieren die Fachveranstaltungen ininfo7. Nein, es war nicht so, dass Andreas Schneider kein erfülltesund ihn befriedigendes Berufsleben gehabt hätte; im Gegenteil!Und dennoch: Seine wirkliche Passion entdeckte und pflegte er

erst nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst der StadtBonn. Die Todesanzeige dokumentiert das: Andreas Schneiderwar der Archivar des Festausschusses Bonner Karneval. Dass dasHerz des Urbönnschers am Karneval hing, war zu erwarten,nicht unbedingt jedoch, dass er die ungeordnete und in einerdesolaten Verfassung sich befindende Überlieferung des BonnerZentralorgans auf Vordermann bringen würde. Das aber genautat er mit Leidenschaft und großem Engagement, Aktivitäten, diebewundernswert waren und ihm großes Renommee eintrugen;die Bezüge zum früheren Mainzer Stadtarchivchef FriedrichSchütz, leider auch viel zu früh verstorben, und dessen Fast-nachtsarchiv sind unübersehbar. Und so hinterlässt unser Kollegeund Freund, unser langjähriger Weggefährte einen geordnetenBestand an originärem Quellenmaterial rheinischen Brauchtumsund des gesellschaftlichen Lebens in seiner Vaterstadt.Andreas Schneider war ein offener und fröhlicher Mensch, man-che würden ihn vielleicht eine rheinische Frohnatur nennen; dasaber würde seinem oft hintergründigen Humor, über den er ver-fügte, keineswegs gerecht. Seine rheinische Mentalität und seineGelassenheit halfen ihm aber auch gut über kleineEnttäuschungen hinweg: So wurmte es ihn schon ein wenig, dasser, der sich so eng mit der Fachgruppe der Medienarchivare ver-bunden fühlte, nicht auf eine Mitwirkung im Ortskomitee derFrühjahrstagung in Bonn 2006 angesprochen worden war. Dazusagte er mir am Rande der Bonner Tagung „Das ist der Lauf derWelt, dass Du bald, kaum bist Du aus dem Berufsleben ausge-schieden, vergessen bist“.Selbst seine schwere Krebserkrankung konnte ihm seinen sprich-wörtlichen Humor nicht ganz nehmen: Im Herbst des vergange-nen Jahres berichtete er mir in einem Brief über die Folgen einerChemotherapie, dass ihm alle Haare seiner „Löwenmähne“abhanden gekommen seien und kommentierte das so: „Besser enPlaat, wie jar keen Hoar“ (Besser eine Glatze als gar keineHaare); dann schloss er an: „Um einen geraden Scheitel braucheich mir jedenfalls keine Sorgen mehr zu machen“.Leb´ wohl, Andreas Schneider, Mensch, Freund und Weggefährte.Du warst im besten Sinne des Wortes ein guter Kamerad, „..einenbessern findst du nit“.

Heiner Schmitt, Ingelheim

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8. EUROPÄISCHE KONFERENZÜBER DIGITALE ARCHIVIERUNG INGENF, SCHWEIZ (28. – 30. APRIL 2010)

CALL FOR PAPERS

Die Europäische Regionalvereinigung und die Sektion derBerufsvereinigungen des Internationalen Archivrats (ICA)sowie das Schweizerische Bundesarchiv laden Sie ein, für die8. Europäische Konferenz über digitale Archivierung Vor-schläge für Konferenzpräsentationen zu einem der folgendenThemenschwerpunkte einzureichen:

1. Fachliches Profil: professionelle Kompetenzen im digitalenZeitalter

2. Bewertung: die Informationsgesellschaft abbilden 3. E-Archivierung: Neugestaltung von Prozessen und Ge-

schäftsmodellen 4. Online-Zugang: Lösungen und Implikationen

Alle Abstracts können ab 1. Mai 2009 online eingereichtwerden. Ein Online-Formular sowie weitere Informationenzur Konferenz, Präsentationsformen und Auswahlkriterienfinden Sie unter: www.bar.admin.ch/eca2010.

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ADRESSÄNDERUNGEN

Der Internetauftritt des Politischen Archivs des AuswärtigenAmts ist ab sofort zu erreichen über:

www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/AAmt/PolitischesArchiv2009/Uebersicht.html.

KURZINFORMATIONEN UND VERSCHIEDENES

8„ARCHIVFÜHRER KREISSTEINFURT“ ERSCHIENEN

Auf 135 Seiten stellt der Archivführer die 24 Stadt- undGemeindearchive und das Kreisarchiv Steinfurt mit An-sprechpartnern, Adressen und Öffnungszeiten vor. Nebenden Archivbeständen sind auch Informationen zu Nachläs-sen, zu Sammlungsgut wie Zeitungen-, Bild- und Tonsamm-lungen zu finden. Der Archivführer enthält eine kurzeEinführung in die Geschichte und eine Literaturauswahlzum jeweiligen Ort, darüber hinaus ein Glossar zu archiv-fachlichen Begriffen, eine Schrifttafel und die Wappen der

Städte und Gemeinden und des Kreises Steinfurt. Der mit200 Abbildungen reich illustrierte Archivführer ist gegen eineSchutzgebühr von 1,00 € in jedem Stadt- und Gemeinde-archiv im Kreis Steinfurt und Kreisarchiv Steinfurt erhält-lich. Sie können den Führer auch beim Kreisarchiv Steinfurt(Tel. 02551/692086, E-Mail: [email protected])bestellen. Eine Online-Version kann im Internet auf denSeiten www.archive.nrw.de (unter „Aktuelles“) oder unterwww.kreis-steinfurt.de heruntergeladen werden.

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VORSCHAUIm nächsten Heft lesen Sie unter anderem:

Neubauvorhaben des Bundesarchiv am Standort Berlin-Lichterfeldevon Sebastian Barteleit

Der Magazinneubau für das Hauptstaatsarchiv Dresden von Peter Hoheisel, Bernd Scheperski und Petra Sprenger

Der Erweiterungsbau für das Generallandesarchiv Karlsruhevon Clemens Rehm und Jürgen TreffeisenDer Neubau des Archivs des Landschaftsverbandes Rheinlandvon Wolfgang Franz Werner

Herausgeber: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, VdA -Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Wörthstr. 3, 36037 Fulda

Redaktion: Andreas Pilger in Verbindung mit Robert Kretzschmar, Wilfried Reininghaus, Ulrich Soénius, Martina Wiech und Klaus Wisotzky

Mitarbeiter: Meinolf Woste, Petra Daub

ISSN 0003-9500

Kontakt: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, Tel. 0211/159238-800 (Redaktion), -201 (Andreas Pilger), -802 (Meinolf Woste), -803 (Petra Daub), Fax 0211 /159238-888, E-Mail: [email protected]

Druck und Vertrieb: Franz Schmitt, Kaiserstraße 99-101, 53721 Siegburg, Tel. 02241/62925, Fax 02241/53891, E-Mail: [email protected], Bankverbindung: Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500

Gestaltung: ENGEL UND NORDEN, Wuppertal, Mitarbeit: Ruth Michels, www.engelundnorden.de

Bestellungen undAnzeigenverwaltung: Verlag Franz Schmitt (Preisliste 21, gültig ab 1. Januar 2008)

Zuständig für Anzeigen: Sabine Schmitt im Verlag Franz Schmitt

Die Verlagsrechte liegen beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Amtliche Bekanntmachungen, Mitteilungen und Manuskriptebitten wir, an die Redaktion zu senden, Personalnachrichten und Veranstaltungshinweise dagegen an die Geschäftstelle des VdA. Fürunverlangt eingesandte Beiträge übernehmen wir keine Haftung, unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare werden nicht zurück-gesandt. Zum Abdruck angenommene Arbeiten gehen in das unbeschränkte Verfügungsrecht des Herausgebers über. Dies schließtauch die Veröffentlichung im Internet ein. Die Beiträge geben die Meinungen ihrer Verfasser, nicht die der Redaktion wieder.

Der „Archivar“ erscheint viermal jährlich. Der Bezugspreis beträgt für das Einzelheft einschl. Porto und Versand 8,- EUR im Inland, 9,-EUR im Ausland, für das Jahresabonnement im Inland einschl. Porto und Versand 32,- EUR, im Ausland 36,- EUR.

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