arndt, andreas_widerstreit und widerspruch

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  • Andreas Arndt

    Widerstreit und Widerspruch.Gegensatzbeziehungen in frhromantischen Diskursen

    The protagonists of early German romanticism already in their own time werenotorious for their paradoxes and contradictions. But what seemed, and stillseems today, to be a frivolous play of a hypertrophic I in fact receives its motivation from within a problematic initiated by Kant and is not the mark of willful unfettered subjectivity. This essay details, first, the point of departurefor romanticism in Kant and his direct successors. Kant distinguishes betweenlogical, real, and dialectical oppositions, whose relation to one another cannot bedetermined in pure formal terms. The question of what this means objectivelyfor the form of contradiction, therefore, belongs to the stock inventory of post-Kantian philosophy. The discourse of early German romanticism makes its Kantian beginning with the claim that contradictory form in thinking of the un-conditional is unavoidable, where the unconditional, or the Absolute, is under-stood as absolute identity, following Jacobi and Fichte. This fundamental positionis investigated in more detail along three lines. First, the Fichte-Studien of Fried-rich von Hardenberg (Novalis) and its central theorem of the ordo inversus aretreated. Second, the essay considers Friedrich Schlegels conception of dialecticalphilosophy and his conception of irony. Last, the essay discusses Adam MllersLehre vom Gegensatz, which deploys opposition as a principle but which leadsback into identity philosophy.

    Man kann jetzt im Gebiete der Philosophie in Deutschland allen mglichenUnsinn geltend machen, wie Schelling, Bardili u.s.w. die besten Beweise geben, womanche Leute noch glauben wunder was fr Weisheit dahinter steckt. [] Jetztliest auch Friedrich Schlegel hier Transcendentalphilosophie und hat nicht belangefangen, die gesunde Vernunft zu ohrfeigen; gestern war er albern genug zusagen, der Satz des Widerspruchs und des zureichenden Grundes wren durchausnicht von absoluter Gltigkeit, sie sind nur praktisch, gelten nur in einer gewissenSphre; die Philosophie besteht in nichts als einer unendbaren Reihe von Wider-sprchen, und das glauben denn eine Menge hiesiger Studenten mit grter Leich-tigkeit, als ob sie sich wirklich etwas dabei denken knnten.1

    Solche Klage fhrte Jakob Friedrich Fries, der sich wie brigens auch Hegel in Jena aufhielt, als Friedrich Schlegel im Winter 1800/01 ber Transzendental-philosophie las. Mit Fries waren auch andere Zeitgenossen besorgt ber das,was die frhromantischen Philosophen ber Gegensatzbeziehungen sagten und

    1 Henke, 1937, S. 73 f. Vgl. Behler, 1993.

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  • mit welcher Hingabe sie sich in Paradoxien zu ergehen schienen. So schriebKarl Leonhard Reinhold in seiner 1805 erschienenen Rezension zu Adam Ml-lers Lehre vom Gegensatze (1804):

    Die Nichtidentitt des Identischen und des Nichtidentischen, unter dem Namendes Gegensatzes an die Spitze der Philosophie zu stellen, ist aufs wenigste umnichts paradoxer und befremdlicher als diesen Rang der Identitt des Nicht-identischen und des Identischen auszuweisen, die absolute Identitt von Allen Gott zu nennen, und die Nichtidentitt fr den Abfall von Gott, fr den Snden-fall zu erklren, oder aber die Nichtidentitt, vermittelst des Nichtichs, durch dasIch, mit Fichte, producirt werden zu lassen; oder aber dieselbe, mit den Kantia-nern, unter dem Namen des Mannichfaltigen zur Ausfllung der leeren Form derSpontaneitt, welche theils in der Identitt, theils in der Synthesis bestehen soll,gegeben seyn zu lassen.2

    Bemerkenswert hieran ist, dass Reinhold die Verirrungen Adam Mllers mitHegel (Identitt des Identischen und Nichtidentischen), Schelling (Abfallvon Gott), Fichte und auch mit Kants ursprnglicher Einheit der Apperzep-tion in eine Reihe stellt. Tatschlich lsst sich, so meine im folgenden darzu-legende These, von Kant her wenn auch in einem ganz anderen Sinne, alsReinhold dies meinte die Problematik bestimmen, die in der nachkantischenPhilosophie und so auch in den frhromantischen Diskursen das Denken vonGegensatzbeziehungen zu einem zentralen Thema macht. Auf diesen Problem-hintergrund komme ich im ersten Teil meiner Ausfhrungen zu sprechen, umdann auf die Behandlung von Gegensatzbeziehungen bei Novalis, FriedrichSchlegel und schlielich Adam Mller einzugehen.

    1. Widerstreit und Widerspruch im Ausgang von Kant

    Fr Kant ist Widerstreit ein amphibolischer Reflexionsbegriff, dem entweder(1) eine logische Opposition zugrundeliegt, also ein Widerspruch, oder aber (2) eine reale Opposition, in der die Entgegensetzung ohne Widerspruch soll ge-dacht werden knnen.3 Dieser Unterscheidung liegt die Auffassung zugrunde,denkbar sei berhaupt nur etwas, was sich nicht widerspreche, und insofern seider Widerspruch das negative Kriterium der Wahrheit. Nun gibt es fr Kantaber darber hinaus auch noch Oppositionen, die weder als logische noch alsreale verstanden werden knnen: die (3) dialektischen Oppositionen. Diese sind

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    2 Reinhold, 1805, Sp. 237.3 Vgl. Kant: AA, Bd. 2, S. 171: Einander entgegengesetzt ist: wovon eines dasjenige

    aufhebt, was durch das andre gesetzt ist. Diese Entgegensetzung ist zwiefach: ent-weder logisch durch den Widerspruch, oder real, d. i. ohne Widerspruch. Vgl., auchzum folgenden, Wolff, 1981, Anghern, 2004, Arndt, 2003.

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  • nicht logischer Natur im herkmmlichen Sinne, denn sie beruhen auf keinemDenkfehler, sondern entstehen notwendig durch den Vernunftgebrauch, dersich auf ein Unbedingtes richtet, das wir an sich nicht zu erkennen vermgen.Es handelt sich deshalb auch um keine realen Oppositionen, denn der theoreti-sche Vernunftgebrauch in Ansehung des Unbedingten ist berhaupt zu keinemobjektiv gltigen Wissen fhig, dem das Prdikat real im Sinne empirischerRealitt zukommen knnte.4

    Von diesen Entgegensetzungen begrndet nur die logische einen echten,kontradiktorischen Widerspruch. Die dialektischen Oppositionen erscheinenzwar der Form nach als Widerspruch, sind dies jedoch nach Kants Auffassung nur zum Schein. Dieser Schein beruhe darauf, dass wir einen Vernunftgegen-stand statuieren, dem die widerstreitenden Bestimmungen flschlich an sichzugeschrieben werden. In dialektischen Oppositionen knnen beide entgegen-gesetzten Urteile falsch sein, darum, weil eines dem andern nicht blo wider-spricht, sondern etwas mehr sagt, als zum Widerspruche erforderlich ist.5 Die-ses mehr, durch welches sich der Widerspruch als scheinbar erweist, ist dieHinsicht auf ein und denselben Gegenstand, von dem etwas zugleich bejaht undverneint wird. Ein solcher Gegenstand, wie er fr das Vorliegen eines kontra-diktorischen Widerspruchs erfordert ist, kann jedoch in den dialektischenOppositionen gar nicht unterstellt werden. Vielmehr ist es gerade die Unterstel-lung eines solchen Gegenstandes, welche den dialektischen Schein erzeugt. Ent-gegengesetzte Urteile ber die Unendlichkeit und Endlichkeit der Welt etwasetzen voraus, dass die Welt ein Ding an sich selbst sei, von dem solche Aus-sagen gemacht werden knnten. Nehme ich aber diese Voraussetzung, oderdiesen transzendentalen Schein weg, und leugne, da sie ein Ding an sich selbstsei, so verwandelt sich der kontradiktorische Widerstreit beider Behauptungenin einen blo dialektischen.6 Beide Urteile sind falsch, weil sie Aussagen beretwas treffen, was uns nicht als ein Gegenstand gegeben sein kann. Mithin fehlees auch an der Voraussetzung eines wirklichen Widerspruchs der Vernunft mitsich selbst, wie Kant rckblickend feststellt.7

    Dagegen sind die realen Oppositionen nicht einmal scheinbare Wider-sprche, sondern nur ein Widerstreit positiver Bestimmungen. Gleichwohl ver-halten sich diese zueinander in einem Negationsverhltnis besonderer Art, demder Privation:

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    4 Vgl. KrV B 397: Nun beruhet wenigstens die transzendentale (subjektive) Realittder reinen Vernunftbegriffe darauf, da wir durch einen notwendigen Vernunftschluauf solche Ideen gebracht werden. Also wird es Vernunftschlsse geben, die keineempirische Prmissen enthalten, und vermittelst deren wir von etwas, das wir kennen,auf etwas anderes schlieen, wovon wir doch keinen Begriff haben, und dem wirgleichwohl, durch einen unvermeidlichen Schein, objektive Realitt geben.

    5 KrV B 532.6 KrV B 533.7 KrV B 768.

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  • Bewegkraft eines Krpers nach einer Gegend und eine gleiche Bestrebung ebendesselben in entgegengesetzter Richtung widersprechen einander nicht und sindals Prdicate in einem Krper zugleich mglich. [] Die Folge davon ist auchNichts, aber in einem andern Verstande wie beim Widerspruch (nihil privativum,repraesentabile).8

    Whrend die Negation im logischen Widerspruch die Aufhebung des Gegen-standes zur Folge hat, gilt dies nicht fr reale Oppositionen. In dieser Hinsichtwiederum kommen die dialektischen Oppositionen mit den realen darin ber-ein, dass sich Vertrglichkeitsbedingungen angeben lassen, durch welche sienicht einfach ein negatives Resultat haben: die Aufhebung des Vernunftgegen-standes oder der Vernunft selbst. Whrend sich in der realen Opposition diePrdikate widersprechen und gegenseitig in ihren Folgen aufheben (z.B. dasgleichzeitige Bewegtwerden eines Krpers in entgegengesetzte Richtungen so,dass Stillstand die Folge ist), aber der Gegenstand (das logische Subjekt) vondem Widerspruch nicht betroffen ist, so ist in den dialektischen Oppositionender Widerspruch der entgegengesetzten Prdikate nur Schein, weil sie in Wahr-heit gar nicht auf einen Gegenstand bezogen, d.h. nicht als in einem logischenSubjekt vereint gedacht werden knnen.

    Die Problematik der Kantischen Unterscheidungen kann hier nicht weitererrtert werden. Zu verweisen ist nur auf elementare begriffliche Schwierigkei-ten, die dadurch entstehen, dass Kant den Begriff des Widerspruchs rein analy-tisch bestimmt. Logische und dialektische Oppositionen erscheinen aber beide,worauf Kant offenbar Wert legt, unter der Form des Widerspruchs, denn sonstbedrfte es gar nicht der Auflsung des Scheins dialektischer Oppositionen,wodurch sie berhaupt erst als dialektische bestimmt werden. Das aber heit,dass die Form des Widerspruchs selbst amphibolischen Charakter annimmt undganz verschiedene Sachverhalte bezeichnen kann. Auf nur analytischem Wege,d.h. blo von der Form her, lsst sich daher ber das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen eines Widerspruchs gar nicht entscheiden und folglich auch derBegriff des Widerspruchs nicht rechtfertigen. Dies gilt auch im Blick auf die realen Oppositionen. Kants Argument dafr, dass diese ohne Widerspruchseien, beruht einzig und allein darauf, dass Negation hier etwas anderes be-deute als im logischen Widerspruch. Dort heben sich die entgegensetzten Prdi-kate gegenseitig und damit auch den Gegenstand auf, der zum nihil negativumwird. In der realen Opposition dagegen heben sich die Folgen von Bestimmun-gen (z.B. 100 Taler aktives und 100 Taler passives Vermgen) so auf, dass dieFolge als Null gleichwohl etwas Reales ist, nmlich das Resultat dieses Auf-hebens, ein nihil privativum. Auch hinsichtlich der Unterscheidung logischerund realer Negationen gilt daher, dass die Form der Negation nur als inhaltlichbestimmte und nicht als bloe Form einen Unterschied zwischen kontradikto-risch und nicht-kontradiktorisch zu machen vermag.

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    8 Kant: AA 2, S. 171 f.

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  • Fr die nachkantische Philosophie ergab sich daraus die Frage, was eigent-lich das Vorliegen einer Widerspruchsform (z.B. dialektischer Oppositionen)objektiv bedeutet, wobei die Unvermeidlichkeit solcher Formen, wie sie Kantfr die transzendentale Dialektik behauptet hatte, das Problem verschrfte. ImRahmen alternativer Begrndungsstrategien des Wissens wurde versucht, dieseProblematik dadurch zu umgehen, dass der transzendentalen Dialektik derGrund entzogen wurde, wie dies etwa bei Fichte und Schelling der Fall ist.Fichte wollte durch die Unmittelbarkeit der Selbstkonstitution des Ich in demobersten Grundsatz der Wissenschaftslehre die Verdinglichung des Unbeding-ten (die er der Reflexion zuschreibt) vermeiden, und Schelling schliet sich deman: die ganze Dialektik geht auf Zerstrung des absoluten Ichs und Realisirungdes absoluten Nicht-Ichs [], d. i. des Dings an sich.9 Die Frhromantik hatdagegen wenn auch auf vernderter systematischer Grundlage versucht, dieBedeutung unvermeidlicher Widerspruchsformen neu zu bestimmen; insoferngehrt sie in diejenige Linie der nachkantischen Philosophie, die in HegelsTransformation der Kantischen transzendentalen Dialektik mndet, die schlie-lich den Widerspruch als das Tiefere gegenber der Identitt rechtfertigt.

    Die an Kant anschlieenden Diskurse haben in diesem Zusammenhang auchauf verschiedene Weise den Status von Identitt zu klren versucht. Die Ent-wicklung der Diskussion wurde vor allem durch Friedrich Heinrich Jacobi be-einflusst, der dem demonstrierenden begrifflichen Denken generell einen Zirkelvorgehalten hatte: Wir knnen nur Aehnlichkeiten (Uebereinstimmungen, be-dingt nothwendige Wahrheiten) demonstriren, fortschreitend in identischenStzen. Jeder Erweis setzt etwas schon Erwiesenes zum voraus, wovon dasPrinzipium Offenbarung ist.10 Das bedeutet: das Fortschreiten in identischenStzen fhrt in einen unendlichen Regress, bei dem das Prinzip oder der Grunddes Begrndens notwendig verfehlt wird. Zugleich aber haben identische Stzeapodiktische Gewissheit; sie fhren absolute Allgemeinheit und Nothwendig-keit mit sich, und zwar unabhngig von der Erfahrung.11 Der Grund des urtei-lenden Identifizierens muss daher auch jenseits der Reflexion, die innerhalb desBedingten voranschreitet, gesucht werden; sie bedrfe eines geoffenbarten (d.h.unmittelbaren, nichtreflexiven) Prinzips. Damit ist die Bedingung alles Beding-ten, also das Unbedingte oder Absolute (absolut ist etwas, sofern es nicht mehrvon einem Anderen bedingt ist) zugleich der Grund derjenigen Identitt, diewir mit absoluter Gewissheit in Anspruch nehmen.

    Auch Fichte hat im obersten, schlechthin unbedingten Grundsatz der Wis-senschaftslehre die unmittelbare Identitt zum Prinzip erhoben und mit dem

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    9 Schelling: SW 1, 1, S. 206.10 Jacobi: ber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn

    (21789), in: JW 1, 1, S. 124.11 Ebd., S. 130; vgl. S. 256.

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  • absoluten Ich verschmolz. Die drei Grundstze der Wissenschaftslehre behan-deln nach seinem Selbstverstndnis die logischen Grundstze der Identitt, desGegensatzes und des Grundes, womit die Frage nach deren genetischem Zu-sammenhang gestellt ist. Als Prinzip der Wissenschaftslehre ist die Identitt nichtmehr nur negatives, sondern positives Kriterium der Wahrheit. Wahr ist etwasnur, sofern es der Identitt des obersten Grundsatzes nicht widerstreitet. Dieunmittelbare Identitt des obersten Grundsatzes freilich bleibt auch hier derendlichen Reflexion d.h. derjenigen Reflexion, die sich im Bereich des Beding-ten bewegt entzogen.

    Die frhromantischen Diskurse bewegen sich bei der Errterung derGegensatzbeziehungen in diesem Rahmen, d.h. sie setzen ein Unbedingtes,Unendliches oder Absolutes (diese Ausdrcke werden in der Regel promiscuegebraucht) als Grund des Bedingten voraus, wobei dieser Grund dem reflexi-ven, begrifflichen Erkennen entzogen bleibt. Er hat den Status einer Unmittel-barkeit gegenber der reflexiven Vermittlung. Der Grund wird jedoch nicht alsetwas gefasst, was zu der Reihe der Bedingungen im endlichen, bedingten Den-ken als eine gleichsam abschlieende Bedingung noch hinzukommt; dies wreeine von den Frhromantikern durchweg abgelehnte Grundsatzphilosophie,wie sie Reinhold und Fichte vertreten hatten.12 Vielmehr wird der Grund alsTotalitt in einer spinozistischen Perspektive, als All-Einheit, gefasst. DiesePerspektive bedeutet zugleich, dass alles Bedingte, Endliche und Entgegenge-setzte dem Unbedingten, Unendlichen oder Absoluten immanent ist. Unmittel-barkeit und Vermittlung, absolute Einheit und Entgegensetzung, Unbedingtesund Bedingtes, Unendliches und Endliches mssen also aufeinander bezogenwerden und drfen keine schlechthin voneinander geschiedenen Bereiche be-zeichnen. In der versuchten Lsung dieser Aufgabe konvergieren alle Bemhun-gen des frhromantischen Philosophierens.

    2. Novalis: Setzen des Widerspruchs als Nichtwiderspruch

    Hatte Fichte die absolute Identitt noch in das transzendentale Subjekt alsBedingung der Mglichkeit von Wissen gesetzt, so wird in der Folge die unmit-telbare Identitt in einem bewusstseinstranszendenten Sein verortet und damitgleichsam ontologisiert. Hierzu hatte Jacobi einen entscheidenden Ansto ge-geben, indem er die Transzendentalphilosophie, in pejorativer Absicht, als um-gekehrte[n] Spinozismus13 denunzierte. Das Selbstbewusstsein tritt nun als einselbst Unmittelbares zu der ursprnglichen Unmittelbarkeit hinzu und be-zeichnet diejenige Instanz, durch welche sie sich dem Subjekt unmittelbar auf

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    12 Vgl. Frank, 1997.13 Jacobi an Fichte, in: JW 2, 1, S. 195.

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  • dem Wege der (intellektuellen) Anschauung bzw. des Gefhls erschliet. Dievielfltigen Motive fr diese Wendung, die etwa zeitgleich, aber unabhngigvoneinander vom Frankfurt-Homburger Kreis, von Schleiermacher und vonNovalis um 1795 vollzogen wird, knnen hier nicht errtert werden.14 Festzu-halten ist, dass damit das Problem der Verbindung von Unmittelbarkeit undVermittlung bzw. absoluter Identitt und Entgegensetzung weiterhin auf eineLsung wartet. Der unmittelbare Gehalt des Selbstbewusstseins ist weiterhinder begrifflichen Reflexion entzogen; andererseits aber kann die Unmittelbar-keit sich nicht selbst explizieren, um sich ihres Gehalts zu vergewissern, ohne inein Reflexionsverhltnis zu sich selbst zu treten und sich damit als Unmittelbar-keit selbst aufzuheben. So geht Novalis davon aus, dass die Philosophie vongar keinem Gegenstande15 handelt, da sie damit eine Trennung (von Subjektund Objekt) statt der ursprnglichen Einheit voraussetzen wrde. In bezug aufdas Ich kann sie daher nicht Selbstbetrachtung sein, die wieder zwischenAnschauendem und Angeschauten unterscheiden wrde, sondern ein Selbst-gefhl vielleicht.16 Das Gefhl steht hier fr eine nichtreflexive, d.h. nicht aufSelbstvergegenstndlichung beruhende Selbstbeziehung. Die gegenber derReflexion verschlossene, unvermittelte Unmittelbarkeit bleibt jedoch in dasGefhl versenkt und kann sich nicht als das zeigen, was sie nach Novalis Auf-fassung eigentlich ist: Das Gefhl kann sich nicht selber fhlen.17 Die Nicht-Reflexivitt des Gefhls korrespondiert mit der Nicht-Unmittelbarkeit derReflexion; beide sind sich in ihrem Verhltnis zueinander jeweils Nichts und fallen gleichgltig auseinander.18

    Die Kluft zwischen absoluter Identitt und Entgegensetzung bleibt unber-brckbar. Es ist, so Novalis, ein ewiges Bedrfni nach einem absoluten Grunde vorhanden [], das doch nur relativ gestillt werden knnte.19 Novalisfand hierfr in dem ersten der Blthenstaub-Fragmente (1797) seine bekannteFormel: Wir suchen berall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge. 20

    Innerhalb der verdinglichten Welt aber kann und muss die Philosophie, umnicht in einen bodenlosen Relativismus zu verfallen, das Unbegreifliche undUnbedingte fr die Reflexion zur Darstellung bringen: Die Reflexion findetdas Bedrfni einer Filosofie, oder eines gedachten, systematischen Zusammen-hangs zwischen Denken und Fhlen denn es ist im Gefhl. 21

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    14 Vgl. Henrich, 1991; Arndt, 1993.15 Novalis, 1981, S. 113.16 Ebd.17 Ebd., S. 114. Zu den Aporien der Unmittelbarkeit vgl. Arndt, 2004.18 Wenn in der Reflexion die Reflexion Was ist und das Gefhl Nichts, so ist es in der

    That umgekehrt, so ist das Gefhl Was und die Reflexion Nichts (ebd., S. 118).19 Ebd., S. 269.20 Ebd., S. 413.21 Ebd., S. 115 f.

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  • Dieser Zusammenhang wird mit Hilfe der Figur des ordo inversus herge-stellt.22 Damit ist, kurz gesagt, eine Reflexion der Reflexion bezeichnet, durchwelche diese die durch sie bewirkte Verkehrung rckgngig macht. Dies lsstsich mit Novalis an dem bereits erwhnten Verhltnis des Ichs des Gefhls unddes Ichs der Reflexion deutlich machen. Da das Gefhl sich nicht selbst fhlenkann oder, was dasselbe meint, die Unmittelbarkeit in sich nicht reflexiv ver-fasst ist und sich daher nicht selbst reflektieren kann muss die Reflexion aufdas Gefhl reflektieren und es gleichsam auslegen, um wissen zu knnen, wasdas Gefhl ist. Das Ich der Reflexion ist also Subject und das Ich des GefhlsObject. Ist jenes Ich, so ist dieses Nichtich. Reflexion wird hier, was Gefhl ist Gefhl, was Reflexion ist sie tauschen ihre Rollen.23 Hieraus folgt frNovalis als allgemeine Regel: Was im absoluten Ich Eins ist, ist im Subjectnach den Gesetzen des absoluten Ich getrennt oder noch allgemeiner wasvom absoluten Ich gilt, gilt auch vom mittelbaren Ich, nur, ordine inverso.24

    Die Verkehrung, die in der Reflexion selbst liegt, kann nun aber nicht durcheinen Sprung in die Unmittelbarkeit aufgehoben werden (wie Jacobi dies ver-sucht), denn die Verkehrung der Reflexion ist eben die Darstellung oder dasBild des Unmittelbaren. Es wechselt Bild und Seyn. Das Bild ist immer dasVerkehrte vom Seyn. Was rechts an der Person ist, ist links im Bilde.25 DieReflexion wird hier mit einer Spiegelung gleichgesetzt. Wie aber die Verkehrungim Spiegel durch eine erneute Spiegelung des Spiegelbildes aufgehoben werdenkann, so die Verkehrung der Reflexion durch eine erneute Reflexion, die auf dasVerhltnis cder Reflexion zum Unmittelbaren reflektiert: Das Bild an und frsich ist [] die verkehrte Oberflche des Gegenstandes unsre Beschreibungdes Bildes wird aber [] wieder rechts ausfallen, wenn jene im Verhltni zumGegenstande links ist.26

    Die zweite Reflexion erzeugt als Bild eines Bildes eine Verkehrung, welchedie Verkehrung im ersten Bild aufhebt allerdings im Medium des Bildes bzw.der Reflexion; auch sie erreicht, mit Novalis zu sprechen, nur die Oberflche die Erscheinung des Unmittelbaren fr uns und nicht die Unmittelbarkeit anund fr sich. Sie stellt das Absolute, wenn auch auf uneigentliche Weise, fr dieReflexion dar. Die Hchste Darstellung des Unbegreiflichen, so Novalis, seiSynthese Vereinigung des Unvereinbaren Setzen des Widerspruchs, alsNichtwiderspruchs.27 Dieses Diktum weist auf Hegels Programmformel desAbsoluten in der Differenzschrift voraus, die Identitt der Identitt und der

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    22 Zum Terminus ordo inversus vgl. ebd., S. 127 f, 131, 133. Vgl. Frank / Kurz, 1977;Iber, 1999, S. 110 ff.

    23 Novalis, 1981, S. 127.24 Ebd., S. 128.25 Ebd., S. 142.26 Ebd.27 Novalis, 1981, S. 111.

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  • Nichtidentitt.28 Novalis knpft dabei direkt an Fichtes Bestimmung der Ein-bildungskraft als Widerstreit an, denn die absolute Synthese ist die Einbil-dungsKraft qua solche.29 In ihr wird ein Widerspruch als Nichtwiderspruchgesetzt, der aus der Transzendentalphilosophie notwendig hervorgeht:30 WasIst, mu sich zu widersprechen scheinen, insofern man es gleichsam in seineBestandtheile auflt, welches man doch durch die Natur des Reflexionsver-mgens gleichsam gezwungen thun mu.31 Nach Novalis Auffassung stelltsich das ursprngliche Unmittelbare fr uns in der Reflexion auf eine seinemWesen genau entgegengesetzte Weise (ordine inverso) und damit im Wider-spruch zu dem dar, was es in Wirklichkeit ist. Der als Nichtwiderspruch zu setzende Widerspruch entsteht daher in der Reflexion auf eine unmittelbare

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    28 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems(1801), in: Hegel, 1968, S. 64. Novalis bezeichnet mit seinem Satz die Aufgabe einersystematischen Deduktion der Kategorien. Diese rekurriert nicht mehr auf die Ge-wissheit eines obersten Grundsatzes, der durch eine unmittelbare (intellektuelle)Anschauung beglaubigt wird. Vielmehr nimmt das Begrnden seinen Ausgang bei derReflexion des Verhltnisses von Entgegensetzung und Reflexion einerseits, Gefhl,Identitt und Unmittelbarkeit andererseits. Beide Seiten bedingen sich wechselseitig,und erst im Ergebnis dieser Wechselherrschaft entsteht die intellectuale Anschau-ung, welche die Widersprechenden als Nichtwidersprechende zusammenhlt unddamit der Philosophie das Unwandelbare, Feste zu einem Anhalten, was sie suchteauch gibt (Novalis, 1981, S. 116). Der oberste Grundsatz der Philosophie ist dahernicht schlechthin unbedingt, sondern ergibt sich aus der Wechselbestimmung durchSynthesis im Grund. Er ist wesentlich Resultat und nicht unmittelbares Prinzip; inNovalis Worten: Eine Art von Wechselbestimmungssatz, ein reines Associations-gesetz [] ein hypothetischer Satz (ebd., S. 177). Friedrich Schlegel greift dieseFormel 1796 in seiner Rezension von Jacobis Woldemar auf, wo es heit, es sei einvon auen unbedingter, gegenseitig aber bedingter und sich bedingender Wechsel-erweis der Grund der Philosophie (KFSA, Bd. 2, S. 74). Gegenber Fichtes Wissen-schaftslehre ist festzuhalten, dass die in der Grundlage des theoretischen Wissens ( 4, C) explizierte Synthesis durch Wechselbestimmung (womit Fichte Kants Be-griff der Relation bersetzt) hier zum Grundsatz der Philosophie gemacht wird, alsoan die Stelle des obersten Grundsatzes tritt.

    29 Novalis, 1981, S. 168.30 Die Transzendentalphilosophie berhaupt beruht fr Novalis auf einem Widerspruch:

    Sie widerspricht sich selbst, weil sie ein Widerspruch begrndet eine nothwendigeTuschung (ebd., S. 138). In diesem Zusammenhang wird die Transzendentalphilo-sophie als Sofistik ausgezeichnet, was darauf hindeutet, dass sich fr Novalis dieKantische Unterscheidung von transzendentaler Dialektik und der polizeilosen,sophistischen Verstandesdialektik verwischt: logische und dialektische Oppositionenwerden nicht mehr als von vornherein unterschiedene gesehen. Gleichwohl kommtNovalis, im Unterschied zu Friedrich Schlegel, nicht dazu, den Begriff der Dialektikgegenber Kant umzuwerten. Indem er aber Alles Denken als Kunst des Scheinsund den Schein als die Urform der Wahrheit [] die Wahrheit auf sich selbst be-zogen bestimmt (ebd., S. 181), bereitet er eine solche Umwertung vor und knntedarin durchaus auch Schlegel beeinflusst haben.

    31 Ebd., S. 267.

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  • Identitt, wobei diese ursprngliche Identitt durch das Vorliegen eines Wider-spruchs notwendig verletzt wird.

    Das Wahre ist die Identitt und der Schein der Widerspruch. Beide schlieensich wechselseitig aus, haben aber fr sich die Form der Identitt: Schein istSchein und Wahrheit Wahrheit. So ist in der Reflexion die Wahrheit nmlichdie Identitt die Form des Scheins und der Schein nmlich der Wider-spruch die Form der Wahrheit.32 Sie negieren sich wechselseitig, sind aberder Form nach austauschbare Bestimmungen. Der Grund ihrer Entgegenset-zung muss daher im Inhalt dieser Bestimmungen selbst gesucht werden. Unterdiesem Aspekt ist die Wahrheit das Ganze und Schein nur der Bruch, dieAuflsung des Ganzen durch die Reflexion. Das Wahre hingegen ist das Ganzeals das schlechthin mit sich identische Absolute, mithin ist der Satz der Identittder Satz der Wahrheit und der Satz des Widerspruchs der Satz des Scheins.33

    Alles Denken aber hat es nur mit solchen Brchen zu tun und muss daher alsKunst des Scheins verstanden werden.34 Wahrheit und Schein, Identitt undEntgegensetzung, knnen aber dann aufeinander bezogen werden, wenn dasDenken auf das Ganze des Scheins, die Totalitt der erscheinenden Wirklichkeitgeht. Das Ganze wird dabei zu einem in sich entgegengesetzten, zum absolutenWiderspruch. Der Widerspruch ist daher die Form des Scheins und dessenWahrheit in einem doppelten Sinne: er ist Erscheinung des Absoluten selbst oderder Wahrheit, wie sie sich der Reflexion mitteilt, und er ist bloer Schein, der aufdem Verhltnis des Absoluten zur Reflexion beruht, nmlich darauf, dass dieseeine absolute Identitt nicht begrifflich zu denken vermag.

    Im Ergebnis dieses schwierigen Gedankenganges ist festzuhalten: das Den-ken, welches die Einseitigkeit berwindet und auf die Totalitt als die Wahrheitgeht, kann die Wahrheit nur als Widerspruch denken. Daraus aber ist fr dasbegreifende Denken nun auch die Konsequenz zu ziehen, dass es sich innerhalbseiner selbst, auf der Ebene der Dinge, von den abstrakten Verstandesiden-titten verabschieden muss und das, was ist, vielmehr als durch Entgegenset-zungen bestimmt zu begreifen hat. Auch mit dieser Wendung nimmt NovalisHegels sptere Kritik des Verstandesdenkens vorweg und besttigt den Wider-spruch als Regel der Wahrheit35 fr die Reflexion.

    Aus dieser Perspektive erscheint das mit sich Identische, die Bestimmtheiteines Dings, selbst nur als ein Bruch des Ganzen. Novalis denkt hierbeioffenbar an den dritten Grundsatz der Fichteschen Wissenschaftslehre, den derLimitation (Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich ent-gegen). Dieses Verhltnis von Identitt und Entgegensetzung wird unter Rck-

    Widerstreit und Widerspruch 111

    32 Ebd., S. 179.33 Ebd., S. 182.34 Ebd., S. 181.35 Vgl. Hegels erste Habilitationsthese: Contradictio est regula veri, non contradictio,

    falsi (Hegel, 1998, S. 227).

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  • griff auf Kants Konzept der realen Opposition als das positiver und negativerGren reformuliert. Das, was ein Ding ist, seine Bestimmung, worin es mitsich identisch ist, erscheint als seine positive Gre; das, was es nicht ist undwovon es begrenzt wird, das Unbestimmte bzw. Bestimmbare, als seine nega-tive Gre. Das Ding ist aber beides, positive und negative Gre: es ist das,was es ist, indem es nicht das ist, was es nicht ist: Jede Negation ist Position jede Position Negation. [] Keins ist ohne das andre erkennbar. [] Seyndrckt ein Totalverhltni [] aus.36 Das Verhltnis des Positiven und Nega-tiven war aber als Ausschlussbeziehung, als wechselseitige Negation bestimmt.Das Negative, der Schein, greift daher ber und bestimmt das Sein des Dingesals Teil oder Bruch des Ganzen. Position und Negation sind nicht nur amphi-bolisch (also verwechselbar), sondern die Negation, der Gegensatz, konstituierterst das Ding in seinem Sein, als Bruch.

    Hieraus ergeben sich zwei Konsequenzen: (1) Das Identische am Ganzenist die besondre Bestimmung, d.h. die Identitt ist ein subalterner Begriff;37

    (2) Seyn ist nicht etwas Substantielles, Fixes, nicht das Absolute, sondern einrelativer Begriff.38 Beides zusammen ergibt: das Ding ist Verhltnis (Rela-tion), d.h. es beruht nicht auf der Identitt, sondern auf dem Gegensatz: derGegenstand berhaupt sezt den Gegensatz berhaupt voraus.39 Wenn wir alsoauf der Suche nach dem Unbedingten nur Dinge finden, so sind dies keine frsich zu stellenden, mit sich identische Entitten, sondern Relationen, die aufeinem Negationsverhltnis beruhen, d.h. Gegensatzbeziehungen. Im Erkennenschreiten wir daher auch nicht, wie Jacobi dies angenommen hatte, in identi-schen Urteilen fort, denn die identischen Urtheile sind Parallelismen Sie leh-ren nichts neues auch liegt in ihnen nichts, als reine Form des Urtheils, ohneMaterie.40

    Gleichwohl hat Novalis in Bezug auf das Ganze an der spekulativen Bedeu-tung unmittelbarer Identitt festgehalten. Die Depotenzierung der Identitt giltdaher nur fr das Relative, Bedingte oder Endliche: fr die Reflexion. DerWiderspruch soll zwar nicht von den Dingen, wohl aber vom Absoluten fernge-halten werden. Angesichts der spekulativen All-Einheit wird die paradoxe Redevom Setzen des Widerspruchs als Nichtwiderspruch mehrdeutig. Sie meintzunchst berhaupt, dass der Widerspruch keinen Bestand haben kann unddaher auf einen Nicht-Widerspruch zurckgefhrt bzw. in diesen berfhrt

    112 Andreas Arndt

    36 Novalis, 1981, S. 183.37 Ebd., S. 187.38 Ebd., S. 219.39 Ebd., S. 199. Ich bergehe hier Novalis subtile Unterscheidungen von Ding, Gegen-

    stand, Setzen, Gegensetzen, Entgegensetzen usw., da es mir hier nicht auf eine detail-lierte Rekonstruktion ankommt, sondern allein darauf, dass fr das begrifflich-reflek-tierende Erkennen die Identitt zugunsten der Gegensatzbeziehungen depotenziertwird.

    40 Ebd., S. 247.

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  • werden muss. Dies geschieht nun aber auf zweierlei Weise. Im Blick auf dieTotalitt des endlichen Seins hat der Widerspruch ein negatives Resultat. DieForm des Widerspruchs indiziert hier einen Widerspruch, der sich mit denMitteln der Reflexion nicht auflsen lsst und mit ihr die Sphre des Endlicheninsgesamt der Unwahrheit berfhrt. Am Widerspruch vernichtet sich dieReflexion selbst. Im Blick auf die endlichen Dinge jedoch hat der Wider-spruch durchaus ein positives Resultat. Die Form des Widerspruchs indizierthier eine Einheit positiver und negativer Faktoren oder Gren, durch die derGegenstand nicht aufgehoben wird. Sie entspricht damit dem, was Kant alsreale Opposition dachte.

    Offenbar vor diesem Hintergrund unterscheidet Novalis ausdrcklichWidersprechen und widerstreiten.41 Diese Unterscheidung ist jedoch begriff-lich unbefriedigend, denn der Widerstreit, die reale Entgegensetzung auf derEbene der Dinge, stellte sich ja gerade als Folge eines Widerspruchs imGanzen, der Totalitt der Reflexion dar. Was beide miteinander zu tun haben,bleibt weitgehend unerrtert. Dies drfte daran liegen, dass zwar auf der einenSeite die gewhnliche Vorstellung eines mit sich identischen Dinges aufgegebenund dem Gegenstand ein Gegensatz unterlegt wird, auf der anderen Seite aberder den Gegensatz fundierende Widerspruch einer begrifflich nicht explizier-baren unmittelbaren Identitt nachgeordnet wird.42 Auf diese Weise fallen Identi-tt und Gegensatzbeziehung unvermittelt auseinander, was sich in der abstrak-ten Trennung von Entgegensetzungen mit und ohne Widerspruch reproduziert.

    3. Friedrich Schlegel: Dialektik als Vereinigung positiver und negativer Faktoren

    Wohl angeregt durch Novalis43 hat auch Friedrich Schlegel dem Widerstreit alsVereinigung positiver und negativer Faktoren in seiner Konzeption von Dialek-tik eine prominente Rolle zugewiesen und ihn vom Widerspruch im Sinne einer

    Widerstreit und Widerspruch 113

    41 Ebd., S. 279.42 Vgl. ebd., S. 127: Der Widerstreit ist, als Widerstreit, blos im mittelbaren Ich und

    gerade deswegen nothwendig, weil es kein Widerstreit ursprnglich ist.43 Friedrich Schlegel und Novalis hatten sich im Januar 1792 in Leipzig kennengelernt

    und eine zunchst sehr wechselhafte Freundschaft begrndet. Zu ihren bevorzugtenGesprchsthemen gehrte auch die Philosophie, wobei entscheidende Anregungenzunchst von Novalis ausgingen (u.a. in Bezug auf Platon, Hemsterhuis und Kant).Erst nach dem Abschluss von Novalis Fichte-Studien im Herbst 1796 zog Schlegelnach und kndigte dem Freund am 1.12.1796 die bersendung von Heften zur speku-lativen Philosophie an (Novalis, 1975, S. 463), die dieser auch erhielt und am 1.1.1797zurckschickte: Hier mit vielem Danke Deine Philosophica zurck. Sie sind mir sehrwerth geworden. Ich habe sie ziemlich im Kopfe und sie haben derbe Nester gemacht(ebd., S. 193). Sowohl die Novalis- als auch die Schlegel-Ausgabe beziehen dies auf den Anfang der Philosophischen Lehrjahre (KFSA, Bd. 18, S. 323), der nur in

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  • notwendigen Antinomie an der Grenze des Erkennens unterschieden. DieseKonzeption von Dialektik hatte Schlegel bereits seit 1796 in seinen Aufzeich-nungen skizziert und schlielich zusammenhngend in seinen Jenaer Vorlesun-gen zur Transzendentalphilosophie im Winter 1800/01 vorgetragen.

    Die Dialektik ist fr Schlegel ein Organon, die Wahrheit zu suchen und zuerreichen. Wahrheit ist in Schlegels Verstndnis die Indifferenz [] zweyersich entgegengesetzter Irrthmer.44 Irrtum meint hier die Verabsolutierungendlicher Bestimmungen, der Brche oder Fragmente des Ganzen, die ein-ander unvermittelt entgegengesetzt werden. In logischer Hinsicht bedeutet diesdie abstrakte Entgegensetzung von Identitt einerseits und Entgegensetzungandererseits. Um die Wahrheit zu erreichen, hat die Dialektik daher die Ent-gegensetzungen aufzusuchen. Sie sucht zu jedem gegebenen Satz den Gegen-Satz oder die Antithese, um in der Neutralisierung beider Faktoren die Gegen-stze auf Indifferenz zurckzufhren. Ihr Ausgangspunkt ist ein methodischerSkeptizismus, der eine gegebene These zu widerlegen versucht und auf diesemWeg in Schlegels Worten eine polemische Totalitt von Entgegengesetztennach dem Vorgang der phyrronischen Skepsis hervorbringt. Sofern die ent-gegengesetzten Stze sich wie positive und negative Gren verhalten undwiderspruchsfrei vereinigen lassen, wird der Skeptizismus in wahre Erkenntnisberfhrt. Der Gleichklang mit Hegels spterer Rede vom sich vollbringendenSkeptizismus ist unberhrbar, weshalb diesem auch unterstellt werden konnte, er habe sich Schlegels Konzept als Hrer der Jenenser Transzendental-philosophie-Vorlesung angeeignet.45

    Das dialektische Verfahren besteht nher darin, die Entgegengesetzten alspositive und negative Gren zu behandeln und ihren gemeinschaftlichen Mit-telpunkt zu finden.46 So geht Schlegel in seiner Vorlesung zur Transzendental-philosophie 1800/01 von der Entgegensetzung des Bewusstseins und des Un-endlichen aus; die Mitte zwischen beiden sei die Realitt:

    114 Andreas Arndt

    spteren Abschriften berliefert ist. Zu denken ist aber wohl vor allem an die als Bei-lage I. edierten philosophischen Fragmente (ebd., S. 505516), die wenn auch nichtvollstndig berliefert in der Urschrift von 1796 vorliegen. Sie sind nicht nur diskur-siver angelegt als der Anfang der Lehrjahre sondern enthalten darber hinaus in derTat bahnbrechendes Neues, nmlich Schlegels Konzeption von Dialektik. Vgl. hier-zu Arndt, 1992 und 2009.

    44 KFSA, Bd. 12, S. 92.45 Vgl. Anonymus, 1829, 152 ff.; dazu die Rezension Hegels in Hegel, 2001, S. 249. Als

    Replik erschien Anonymus, 1831, wo in der Einleitung (S. XXVII) der Vorwurf derAbhngigkeit von Schlegel spezifiziert und durch Zitate aus dessen Vorlesung unter-mauert wurde. Verfasser der anonymen Schriften ist nach Johann Eduard Erdmann(1896, S. 642) ein nicht nher identifizierter Hlsemann; hierfr ist jedoch Erdmannder einzige Zeuge; zudem konnte dem von ihm erwhnten bloen Nachnamen auchvon der neueren Forschung noch keine eindeutig identifizierbare Person zugeordnetwerden.

    46 Vgl. KFSA, Bd. 12, S. 32 f.

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  • Da alle Realitt ein Resultat ist aus dem Bewutseyn (als reine Form) und demUnendlichen, so ist das Bewutseyn anzusehen als das Negative oder Minimumder Realitt; das Unendliche hingegen ist das Positive oder Maximum der Rea-litt.47 Da dem Bewusstsein die Philosophie Fichtes koordiniert ist, dem Unend-lichen die Philosophie Spinozas, geht es auch darum, zwischen beiden die Mitteeinzuhalten, nmlich Schlegels eigene Position: Das System der Reflexion (Fichte)geht auf das Bewutseyn. Das der Spekulazion (Spinoza) geht auf das Unendliche.Unser System mu auf das Mittlere gehen, nmlich auf die Realitt.48

    Die berfhrung von Entgegensetzungen in Indifferenz setzt jedoch voraus,dass die Form der Entgegensetzung einen realen Widerstreit zum Inhalt hat.Real ist die Entgegensetzung dann, wenn dem Streit eine im Absoluten gegrn-dete objektive Realitt zugrundeliegt. Das System der Gegenstze ist einSystem von Fragmenten,49 die ihr Bestehen im Absoluten selbst haben. Siesind daher an sich positiv und verhalten sich nur innerhalb des Endlichen ineinem Negationsverhltnis wie positive und negative Gren. Die Wahrheitentsteht dann, wenn diese Negation so zum Austrag gebracht wird, dass sich dieEntgegengesetzten im Resultat ihrer wechselseitigen Aufhebung neutralisieren;in Schlegels Worten: Die Wahrheit entsteht, wenn entgegengesetzte Irrthmersich neutralisiren.50 Dies geschieht in einer fortlaufenden Antithetik, einerReihe von Versuchen, in denen durch die fortgesetzte Vernichtung des Irr-tums die Wahrheit von selbst entsteht.51

    Schlegel folgt hierbei dem Modell des Sokratischen Elenchos, in dem diefalschen Meinungen und Irrtmer in der Form einer Verdachtshermeneutikwiderlegt werden. Als Orientierungspunkt wird dabei der Dialog Gorgiasgenommen,52 in dem der Widerstreit auf diese Weise in die bereinstimmung(homologia) berfhrt wird.53 In seinen eigenen Entwrfen hat Schlegel diesesVerfahren allenfalls rudimentr skizziert, jedoch wird es in seinen Platon-Inter-pretationen verdeutlicht. Platon, so Schlegel, geht in seinen Gesprchen nievon einem bestimmten Lehrsatz aus, meistens fngt er mit einer indirektenBehauptung oder mit dem Widerspruch gegen einen angenommenen Satz an,den er zu heben sucht, und nun geht es fort von Kette zu Kette, von Glied zuGlied bis zur unbestimmten Hindeutung auf das, was seiner Meinung nach dasHchste ist. Dieser Gang seiner philosophischen Untersuchung ist ganz demGeiste der Philosophie gem.54 Dies sei ein Versuch, sich ber die engen

    Widerstreit und Widerspruch 115

    47 Ebd., S. 17.48 Ebd., S. 32.49 Fragment 77; KFSA, Bd. 2, S. 176.50 KFSA, Bd. 12, S. 93.51 Ebd.52 KFSA, Bd. 18, S. 509, Nr. 50.53 Platon: Gorgias 486 e5.54 KFSA, Bd. 11, S. 118 f.

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  • Grenzen des menschlichen Verstandes zu erheben,55 wobei es jedoch nichtmglich sei, sich ganz zur Erkenntnis der unendlichen Wahrheit zu erhebenund diese vollkommen zu erschpfen; nur ahnen erraten und andeuten lasse siesich, nur annhern knne man sich ihr immer und mehr durch ein rastlos fort-schreitendes Streben und eine steigend sich vervollkommnende Bildung undVeredlung aller Geisteskrfte und Ttigkeiten.56 Schlegel interpretiert die apo-retische Struktur vieler Platonischer Dialoge im Sinne der Kantischen Restrik-tion des Vernunftgebrauchs; sie beruhe auf dem Prinzip der relativen Undar-stellbarkeit des Hchsten, das sich nur darstellen lasse, indem man sie in einandres Gewand einkleidet und so der menschlichen Fassungskraft versteh-bar macht.57

    Dass die Wahrheit nur in der Vernichtung des Irrtums zum Vorscheinkommt, bedeutet indessen auch, dass sie vom reflektierenden Bewusstsein desDialektikers nur negativ bestimmt und nicht an und fr sich erreicht werdenkann. Der Widerstreit der im Endlichen Entgegengesetzten verweist eben da-durch, dass der Widerspruch entschrft werden kann, auf eine unbedingte Gel-tung von Identitt, die in der unmittelbaren Identitt des Absoluten begrndetist. In der Reflexion erscheint sie jedoch nur als bedingte oder relative, so dasssich der Rckgang auf den Grund als unendlicher Progress einer sich immerwieder erneuernden Antithetik darstellt, der nie zum Ziele kommt. Dieses Zielwre das Unendliche, welches Gegenstand einer nicht zu befriedigenden Sehn-sucht bleibt.58 Das Unendliche als Gegenstand des Bewusstseins muss dahervom Unendlichen schlechthin unterschieden werden, welches im Status einesAnsich transzendent bleibt. Es bezeichnet das unausdenkbare Prinzip einer All-Einheit, welche sich dem Bewusstsein nur indirekt erschliet, indem es durchSynthesen den Irrtum des Endlichen aufhebt, damit das Unendliche vonselbst entstehe.59 Dass Schlegel wiederum wie gewhnlich das Unendliche(oder auch Unbedingte) mit dem Absoluten gleichsetzt, macht hier einenbestimmten Sinn: der negative Ausdruck verweist darauf, dass das Absolute alsTotalitt nicht positiv, sondern nur negativ darstellbar ist.

    Wie bei Novalis geht es darum, den Schein dadurch aufzuheben, dass er inseiner Wahrheit erkannt wird, zwar nicht das Absolute selbst, aber dessenErscheinung fr das Bewusstsein zu sein. Und ebenfalls wie bei Novalis wredie oberste Synthesis die Gleichsetzung von Nichtich und Ich,60 d.h. der Wider-spruch, welcher auf doppelte Weise als Nichtwiderspruch zu setzen wre: inBezug auf das Absolute selbst als All-Einheit, d.h. nichtrelationale Identitt; in

    116 Andreas Arndt

    55 KFSA, Bd. 13, S. 205.56 Ebd., 205 f.57 KFSA, Bd. 12, S. 214.58 KFSA, Bd. 12, S. 7 f.59 Ebd., S. 6.60 Ebd.

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  • Bezug auf das Endliche als Indifferenz der Gegenstze ohne Widerspruch. Vordiesem Hintergrund erschliet sich auch Schlegels Kritik der schulmigenLogik. Zwar bleibt sie Organon der Wahrheit, indem auch die Dialektik den Satz des Widerspruchs und des zureichenden Grundes anzuerkennen hat:Aber die Quelle der Wahrheit liegt fr uns weit hher, als in diesen Stzen 61.Dieser Gedanke entspricht der Forderung nach einer materialen Logik in den Athenaeum-Fragmenten von 1798;62 dort heit es, die formale Logik seieine philosophische Groteske63 und nur als pragmatische Wissenschaft amPlatze.64 Auerhalb dieser Grenzen sei der Satz des Widerspruchs allein auchnicht einmal das Prinzip der Analyse, nmlich der absoluten, die allein denNamen verdient, der chemischen Dekomposition eines Individuums in seineschlechthin einfachen Elemente.65 Sofern die Logik in der Reflexion auf denGebrauch ihrer Formen deren objektive Bedeutung mitreflektiert, verfgt sieber kein Analysandum, aus dem sich der Satz des (zu vermeidenden) Wider-spruchs analytisch herleiten liee. Die Analyse des schlechthin Identischenerscheint nmlich sofort als Widerspruch; das Bewusstsein kann sich daher nuran diesen Widerspruch halten und ihn so zur Darstellung bringen, dass an ihmindirekt die Identitt zum Vorschein kommt.

    Diese indirekte Darstellungsweise, in der das eigentlich Gemeinte im Gegen-teil des Gesagten intendiert ist, nennt Schlegel Ironie. Sie entsteht wie die dia-lektischen Oppositionen in Kants transzendentaler Dialektik an der Schnitt-stelle zwischen dem Bedingten und dem Unbedingten bzw. dem Endlichen unddem Unendlichen, welche die Grenze des (begrifflichen) Erkennens bezeichnet,indem das Begreifen sich in Widersprche verstrickt. So sind Ideen, die auf dieErfassung des Unbedingten zielen, fr Schlegel gleichsam unbegreiflich []nmlich in Absicht des Ausdrucks. Z. B. Nichtich ist gleich Ich. 66 Die Ironiegibt dem Widerspruch allegorisch-symbolisch einen Gehalt, so dass der dialek-tische Prozess nicht ins Leere luft. Die hchste begriffliche Erkenntnis ist frSchlegel die Erkenntnis der Grenze selbst, aber wir knnen sie so betont er inVorwegnahme eines spter von Hegel gebrauchten Arguments als Grenze nurerkennen, indem wir auf irgend eine Weise (wenn gleich nicht erkennend)schon immer ber sie hinaus sind.67 Dieses Darber-hinaus-Sein ist die Leis-tung einer divinatorischen Kritik, die mit dem Vermgen der produktivenEinbildungskraft bei Fichte auch darin bereinkommt, dass sie einander aus-

    Widerstreit und Widerspruch 117

    61 Ebd., S. 3.62 Fragment 28; KFSA, Bd. 2, S. 170; vgl. die gleichlautende Formulierung in der Trans-

    zendentalphilosophie-Vorlesung in KFSA 12, S. 101.63 Fragment 75; KFSA, Bd. 2, S. 176.64 Fragment 91; ebd., S. 179.65 Fragment 83; ebd., S. 178.66 KFSA, Bd. 12, S. 5.67 KFSA, Bd. 18, S. 521, Nr. 23.

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  • schlieende Gegenstze spielerisch vereinigt und in der Schwebe hlt. Dies istder Zustand der Ironie; sie bringt den unauflslichen Widerstreit des Unbe-dingten und Bedingten68 zum Ausdruck, der darin besteht, dass das Unbeding-te im Bedingten keinen ihm angemessenen Ausdruck finden kann, weil dasBedingte und das Unbedingte an sich als vereinigt gedacht werden mssen, vonuns diese Einheit aber begrifflich nicht vollzogen werden kann. In der Ironie istdie Grenze des Erkennens als Grenze des Begriffs erreicht; der Widerstreit stelltsich im Begriff daher als absoluter Widerspruch nach dem Vorgang der Kanti-schen dialektischen Oppositionen dar: Eine Idee, so heit es im Athenaeum-Fragment 121, ist ein bis zur Ironie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesisabsoluter Antithesen, der stets sich selbst erzeugende Wechsel zwei streitenderGedanken.69 Die Ironie gibt aber dem absoluten Widerspruch die Bedeutungseines Gegenteils, der absoluten Identitt; er meint also ironisch das Gegenteildes Gesagten. Als nicht mehr (nur) begriffliche Erkenntnisweise berschreitetdie Ironie, wie es im Abschlu des Lessing-Aufsatzes heit, die Grenze desErkennens durch Allegorie, durch Symbole, durch welche berall derSchein des Endlichen mit der Wahrheit des Ewigen in Beziehung gesetzt undeben dadurch in sie aufgelst wird und somit an die Stelle der Tuschung dieBedeutung tritt.70 Schlegel definiert sie daher im Lyceum-Fragment 42 miteinem gewagten Ausdruck auch als logische Schnheit,71 die den absolutenWiderspruch sthetisch berspielt, ihn als Schein (Tuschung) entlarvt und ihmdadurch die Bedeutung seines Gegenteils gibt.

    4. Adam Mller: Universalisierung des Gegensatzes

    In seiner 1804 erschienen Lehre vom Gegensatz versuchte Adam Mller, dersich dabei auf Novalis, Fichte, Friedrich Schlegel, Schelling und Schleiermacherals die eigentlichen Helden der wissenschaftlichen Revolution bezieht,72 dasVerhltnis von Gegensatz (Widerstreit) und Identitt durch eine Universalisie-rung des Gegensatzes neu zu bestimmen. Damit wollte er zugleich dem Reichedes Absoluten fr immer ein Ende [] machen und die zu Etwas [] erhobe-

    118 Andreas Arndt

    68 Lyceum-Fragment 108, KFSA, Bd. 2, S. 160.69 KFSA, Bd. 2, S. 184.70 Ebd., S. 414.71 Ebd., S. 152.72 Mller, 1967, S. 230. Fr Novalis bezieht sich Mller auf die nachgelassenen Schriften,

    die 1802 in zwei Bnden bei Reimer in Berlin erschienen waren und eine stark redi-gierte Auswahl von Fragmenten aus seinen Papieren enthielten; vgl. S. 211. Mllerwar mit Friedrich Gentz befreundet und stand im Briefwechsel mit Carl Gustav vonBrinckmann, wodurch er in die frhromantischen Diskussionszusammenhnge einge-bunden war. Zur Biographie, zu zeitgenssischen Zeugnissen und zur Entstehung undWirkung der Gegensatzlehre vgl. den Anhang der zitierten Ausgabe.

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  • nen Begriffe des absoluten Prinzips, Anfangs, Endes, Todes; des absoluten Lee-ren, des absoluten Nichts und dann gar absoluter Schpfung aus nichts, absolu-ter Vernichtung in nichts usw. zu zerstren.73

    Seinen Grundgedanken formuliert Mller im Eingang eher beilufig wiefolgt: Sobald wir irgendeine Einheit, seis nun unter der Gestalt eines Prinzips,einer Endursache, eines Dinges an sich, vollstndig, absolut und isoliert aufstel-len, ebensobald strzt sie wie versteinert und tot wieder zurck; wie jede Man-nigfaltigkeit, die rein und absolut ohne alle Beziehung auf irgendeine Einheitdargestellt werden soll, chaotisch ineinanderfliet und sich augenblicklich ver-flchtigt. Ja, es geht aus dem Sinne unsers ganzen Werkes wie aus dem ewigenSinne der Welt unbezweifelt hervor, da der bloe Wille, eine solche absoluteEinheit oder absolute Mannigfaltigkeit aufzustellen, in sich widersprechendund unmglich ist.74

    Mller fhrt seine Konzeption des Gegensatzes direkt auf Kants vorkriti-sche Schrift ber den Begriff der negativen Gren zurck; die kritische Philo-sophie erscheint ihm als eine Abirrung von den dort erreichten Einsichten, diedadurch zustandegekommen sei, dass es Kant in der Folge vielmehr um denBegriff der negativen Gren als um den reinen Begriff des Negativen selbst zutun war.75 Dieser reine Begriff des Negativen wird von Mller indessen auchnicht ausdrcklich gemacht, sondern nur als Formel des Gegensatzes ge-braucht, die auf mehrere Beispiele appliziert und durch diese erlutert wird. Daserste Buch der Gegensatzlehre behandelt nacheinander die Gegenstze vonObjekt und Subjekt, Positiv und Negativ, Natur und Kunst, Wissenschaft undReligion.76 Das Grundstzliche des dabei gebten Verfahrens wird noch amehesten in den Errterungen zu Subjekt und Objekt deutlich. Aus der Kritikder Identitt erwchst die Pflicht gegenstzischer Vollstndigkeit (Schlegelspolemische Totalitt), d.h. die Aufstellung einer unendlichen Antithetik, inder auch der Begriff der Verschiedenheit nur durch das Entgegenstehn desBegriffs der Identitt mglich wird.77 Mller geht also von einer durchgngi-gen Relationalitt aller Begriffe aus, die es verbietet, sie fr sich zu stellen. EinSubjekt ohne Objekt z.B. ist absolut nichts, ein Widerspruch, da mit demEntgegenstehenden sein Begriff aufgehoben wird. Umgekehrt aber ist auch dieabsolute Identitt von Objekt und Subjekt der vollstndigste Widerspruch,

    Widerstreit und Widerspruch 119

    73 Ebd., S. 212. Dem 1804 bei Reimer in Berlin erschienen ersten Buch sollten nochzwei weitere ber Wissenschaft und Staat sowie Religion und Kirche folgen (vgl. ebd.,S. 200), jedoch stie der erste Band beim Publikum auf Kritik und Unverstndnis undmusste schlielich wegen Unverkuflichkeit makuliert werden.

    74 Ebd., S. 208.75 Ebd., S. 204.76 Positiv und Negativ (ebd., S. 221228) behandelt dabei die Geschichte der Mathe-

    matik, nicht den Begriff der Negativitt als solchen.77 Ebd., S. 217.

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  • denn dies schliet die Behauptung des Entgegenstehens und des Nichtent-gegenstehens beider in ein und demselben Verstande in sich.78 Diese Wider-sprche, so Mller, seien nur dann zu vermeiden, wenn dem Gegensatz einAntigegensatz zugeordnet werde.

    Mller unterscheidet demnach Widerspruch und Gegensatz unter der onto-logischen Annahme, dass jede Sache und jeder Begriff einer Sache auf einemSachverhalt beruht, der sich als Gegensatzbeziehung reformulieren lsst. Diewiderspruchsfreie Vereinigung der so Entgegengesetzten als realer Oppositionfhrt auf den Antigegensatz zum Gegensatz, der seinerseits wieder als Relateines Gegensatzes fungiert. Hiermit glaubt Mller eine Formel gefunden zuhaben, durch deren Glieder man ohne Schwierigkeit die ganze Welt passierenlassen knne; er bezeichnet sie als Gegensatz, von Gegensatz und Antigegen-satz.79 Unter dieser Voraussetzung ist Identitt immer nur relational, d.h. rela-tiv, und der Gegensatz absolut oder unendlich. Identitt und Gegensatz werdendabei jedoch in Wahrheit nicht aufeinander bezogen, sondern bilden austausch-bare Relate in der Universalisierung des Gegensatzes, die sich nun als unend-liche Bewegung darstellt. Auf dieser Grundlage bleibt auch das Verhltnis vonWiderspruch und Gegensatz ungeklrt und in dem unendlichen Wechsel vonGegensatz und Antigegensatz geht die Einheit des Mannigfaltigen verloren, umdie es Mller eigentlich zu tun war. Der universalisierte Gegensatz selbst bedarfnach den Regeln der Gegensatzlehre der Identitt als Antigegensatz, um sichnicht zu widersprechen und dadurch ein Nichts zu werden. Mller ist daher ge-zwungen, einen wahren Antigegensatz aufzustellen, der dem Gegensatz vonGegensatz und Antigegensatz entgegensteht. Dieser gewissermaen hchsteAntigegensatz sind wir selbst.80

    Mit dieser Wendung springt Mller in die soeben verabschiedete Transzen-dentalphilosophie wieder hinein und macht das Selbstbewusstsein zum Grundder Einheit und Mannigfaltigkeit in der Welt. Der Gegensatz von Subjekt undObjekt, so zeigt sich hier, hat konstitutive Bedeutung, denn deren Wechselspielfhrt auf nichts anderes als auf die (von Schelling erborgte) wahre Geschichtedes Selbstbewutseins. Dies knne aber nur dann geschehen, wenn die unend-liche Gegensatzbeziehung sich an einem subjektiven Antigegensatz bricht unddamit stillgestellt, d.h. wenn das Verhltnis von Subjekt und Objekt als subjek-tive Subjekt-Objektivitt konzipiert wird. Dies freilich widerspricht den Vor-aussetzungen der Gegensatzlehre. In der reflexiven Wendung auf das Selbstbe-wusstsein wre dieses vielmehr die Einheit von Gegensatz und Nichtgegensatz,also ein Widerspruch und damit Nichts. Oder aber der wahre Antigegensatzwird wiederum zum Glied einer weiteren Gegensatzbeziehung gemacht, dann

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    78 Ebd., S. 219.79 Ebd., S. 220.80 Ebd.

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  • aber wre er eben nicht mehr der wahre Antigegensatz und die Totalitt desMannigfaltigen msste angesichts des einseitig verabsolutierten Gegensatzesebenso in Nichts zerflieen. Mllers Gegensatzlehre flieht den Widerspruch umden Preis, dass sie sich selbst widerspricht. Sie lsst damit nur zwei Auswegeoffen: entweder wird wie Hegel dies tun wird der Widerspruch als objektivbegriffen, um den immanenten Zusammenhang der durchgngig relational ver-fassten Welt aufzeigen zu knnen, oder aber die unendliche Bewegung desGegensatzes wird durch ein Unmittelbares das Selbstbewusstsein oder dasAbsolute stillgestellt, das als der wahre Antigegensatz nichts anderes alsschlechthinnige Identitt bezeichnen kann.

    Literaturverzeichnis

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    phie, Bd. 12, Darmstadt, Sp. 692695.Arndt Andreas (1992): Zum Begriff der Dialektik bei Friedrich Schlegel 17961801, in:

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