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aktien 32 DER AKTIONÄR #08/2018 Fotos: Getty Images, Shutterstock, TILP Rechtsanwaltsgesellschaſt mbH. DER AKTIONÄR: Wie sollen sich Anleger verhalten, die im Zuge des Kursrutsches der Wirecard- Aktie Verluste erlitten haben? Kön- nen Verluste realisiert werden oder erlöschen dadurch etwaige Ansprüche? ANDREAS TILP: Anleger können jederzeit ihre Aktien verkaufen, ohne einen Ver- lust von Schadenersatzan- sprüchen befürchten zu müssen. Lediglich mögliche Verjährungsfristen sind im Auge zu behalten. Vorausset- zung für Ansprüche ist aller- dings, dass sich die Vorwürfe be- stätigen. Dies ist derzeit nicht klar. Sollte dem so sein, könnten Anle- ger Schadenersatz wegen Verlet- zung kapitalmarktrechtlicher Pflichten verlangen. Ob ein Ver- kauf der Aktien derzeit Sinn macht, ist eine andere Frage, die jeder selbst entscheiden muss. Wie stellt sich die Situation bei Optionsscheinen dar, die mögli- cherweise auslaufen? Müssen An- leger hier die Laufzeit abwarten? Auch dort muss sich der Anleger zunächst fragen, ob er bereits jetzt tatsächlich veräußern bezie- hungsweise ausüben will. Bei Op- tionsscheininhabern kommt hinzu, dass nur bei Optionsscheinen, die direkt vom Emittenten stammen, ein Anspruch auf Basis der speziel- len kapitalmarktrechtlichen An- spruchsgrundlagen des Wertpa- pierhandelsgesetzes möglich ist. Andernfalls muss man sich auf die deliktsrechtlichen Anspruchs- grundlagen stützen. Zu diesen deliktischen Ansprüchen liegt die Beweislast dann umfänglich beim potenziell Geschädigten. In den USA werben große Kanz- leien bereits um geschädigte Investoren, um Sammelklagen auf den Weg zu bringen. Gibt es für Anleger hierzulande ver- gleichbare Möglichkeiten? Ja, aber die USA stehen hier bei Lichte betrachtet nicht im Fokus. Sollten sich die Vorwürfe bewahr- heiten, werden internationale In- vestoren in Deutschland klagen. Wirecard hat seinen Sitz in Deutschland und die Aktie notiert in Frankfurt. Und der US Supreme Court hat im Jahr 2010 mit einem Grundsatzurteil entschieden, dass US-Gerichte in einer Konstellation wie dieser nicht zuständig sind. Deutschland würde hier den Schauplatz für Schadenersatz- prozesse bilden. Für einen kapital- marktrechtlichen Fall dieser Grö- ße böte sich dann das Kapitalan- leger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) an. Dieses Gesetz er- leichtert die Rechtsdurchsetzung für eine Vielzahl von Geschädig- ten. Und dieses Gesetz nutzen So verhalten sich die Aktionäre richtig Au Weia(card)! wirecard | 747206 Die Vorwürfe der Financial Times haben die Kursgewinne des letzten Jahres nahezu vernichtet. Die Sachlage ist unklar, die Angst vor weiteren Verlusten ist groß. Was tun? von NIKOLAS KESSLER H [email protected] B @aktionaer Wohin geht die Reise bei Wirecard? Seit die FT über einen angeblichen Bilanzskan- dal berichtet, ist die Aktie abgeschmiert. Viele hoffen nun auf eine Gegenbewegung. D er Horror nimmt kein Ende: Spä- testens seit die Financial Times (FT) ihre Anschuldigungen gegen Wirecard konkretisiert und den Vorwurf der Bilanzfälschung in den Raum gestellt hat, interessiert sich auch die Polizei in Singapur für die Asien-Geschäfte des Zahlungsabwicklers. Die Darstellungen über die Umstände des „Besuchs“ der Er- mittler in den dortigen Wirecard-Büros gehen aber auseinander. Während Wire- card in einem Statement von einem „nor- malen Verfahren“ und einem Treffen zur Übergabe von umfassendem Unterstüt- zungsmaterial spricht, berichten die Agenturen und FT von Durchsuchungen, Befragungen und Beschlagnahmen.

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Page 1: Au Weia(card)! - TILP Rechtsanwaltsgesellschaft · 2019. 3. 19. · aktuell gegen die Volkswagen AG wegen „Dieselgate“, wo wir den Musterkläger vertreten. Der Fall Volkswagen

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des Kursrutsches der Wirecard- Aktie Verluste erlitten haben? Kön-

nen Verluste realisiert werden oder erlöschen dadurch

etwaige Ansprüche?AndReAS TILP: Anleger können jederzeit ihre Aktien verkaufen, ohne einen Ver-lust von Schadenersatzan-sprüchen befürchten zu müssen. Lediglich mögliche Verjährungsfristen sind im

Auge zu behalten. Vorausset-zung für Ansprüche ist aller-

dings, dass sich die Vorwürfe be-stätigen. dies ist derzeit nicht klar. Sollte dem so sein, könnten Anle-ger Schadenersatz wegen Verlet-zung kapitalmarktrechtlicher Pflichten verlangen. Ob ein Ver-kauf der Aktien derzeit Sinn macht, ist eine andere Frage, die

jeder selbst entscheiden muss.

Wie stellt sich die Situation bei Optionsscheinen dar, die mögli-cherweise auslaufen? Müssen An-leger hier die Laufzeit abwarten?Auch dort muss sich der Anleger zunächst fragen, ob er bereits jetzt tatsächlich veräußern bezie-hungsweise ausüben will. Bei Op-tionsscheininhabern kommt hinzu, dass nur bei Optionsscheinen, die direkt vom emittenten stammen, ein Anspruch auf Basis der speziel-len kapitalmarktrechtlichen An-spruchsgrundlagen des Wertpa-pierhandelsgesetzes möglich ist. Andernfalls muss man sich auf die deliktsrechtlichen Anspruchs-grundlagen stützen. Zu diesen deliktischen Ansprüchen liegt die Beweislast dann umfänglich beim potenziell Geschädigten.

In den USA werben große Kanz-leien bereits um geschädigte Investoren, um Sammelklagen

auf den Weg zu bringen. Gibt es für Anleger hierzulande ver-gleichbare Möglichkeiten?Ja, aber die USA stehen hier bei Lichte betrachtet nicht im Fokus. Sollten sich die Vorwürfe bewahr-heiten, werden internationale In-vestoren in deutschland klagen. Wirecard hat seinen Sitz in deutschland und die Aktie notiert in Frankfurt. Und der US Supreme Court hat im Jahr 2010 mit einem Grundsatzurteil entschieden, dass US-Gerichte in einer Konstellation wie dieser nicht zuständig sind. deutschland würde hier den Schauplatz für Schadenersatz-prozesse bilden. Für einen kapital-marktrechtlichen Fall dieser Grö-ße böte sich dann das Kapitalan-leger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) an. dieses Gesetz er-leichtert die Rechtsdurchsetzung für eine Vielzahl von Geschädig-ten. Und dieses Gesetz nutzen

So verhalten sich die Aktionäre richtig

Au Weia(card)!wirecard | 747206 die Vorwürfe der Financial Times haben die Kursgewinne des letzten Jahres nahezu vernichtet. die Sachlage ist unklar, die Angst vor weiteren Verlusten ist groß. Was tun?

von Nikolas kessler

H [email protected] B @aktionaer

Wohin geht die Reise bei Wirecard? Seit die FT über einen angeblichen Bilanzskan-dal berichtet, ist die Aktie abgeschmiert. Viele hoffen nun auf eine Gegenbewegung.

Der Horror nimmt kein Ende: Spä-testens seit die Financial Times (FT) ihre Anschuldigungen gegen

Wirecard konkretisiert und den Vorwurf der Bilanzfälschung in den Raum gestellt hat, interessiert sich auch die Polizei in Singapur für die Asien-Geschäfte des Zahlungsabwicklers. Die Darstellungen über die Umstände des „Besuchs“ der Er-mittler in den dortigen Wirecard-Büros gehen aber auseinander. Während Wire-card in einem Statement von einem „nor-malen Verfahren“ und einem Treffen zur Übergabe von umfassendem Unterstüt-zungsmaterial spricht, berichten die Agenturen und FT von Durchsuchungen, Befragungen und Beschlagnahmen.

Page 2: Au Weia(card)! - TILP Rechtsanwaltsgesellschaft · 2019. 3. 19. · aktuell gegen die Volkswagen AG wegen „Dieselgate“, wo wir den Musterkläger vertreten. Der Fall Volkswagen

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wir auch für Investoren, so etwa aktuell gegen die Volkswagen AG wegen „Dieselgate“, wo wir den Musterkläger vertreten. Der Fall Volkswagen zeigt im Übrigen, dass Investo-ren aus dem Ausland ihre Scheu vor Deutschland verloren haben und ihre Ansprüche hier mittlerweile konsequent verfolgen. Und das wäre hier auch so. Ich er-halte ja jetzt schon Anrufe aus den USA und Kanada wegen Wirecard.

Wirecard hat nach eigenen In-formationen Anzeige gegen un-bekannt wegen des Verdachts der Marktmanipulation erstat-tet, die Staatsanwaltschaft er-mittelt nun. Können sich Anleger einer möglichen Klage Wirecards anschließen?Sollte sich herausstellen, dass eine aktive Manipulation des Ak-tienmarktes durch Dritte vorgele-gen hat, kommen Schadenersatz-

ansprüche gegen den Verursacher der potenziellen Falschmeldung in Betracht. Es wäre dann aber im technischen Sinn kein Anschluss an eine Klage der Wirecard, son-dern eine eigenständige Klage er-forderlich. Die Möglichkeiten für Anleger hängen dann von Einzel-heiten ab.

Der Staatsanwaltschaft Mün-chen I sieht derzeit keinen aus-

reichenden Anfangsverdacht, um ein Ermittlungsverfahren

gegen Verantwortliche von Wi-recard einzuleiten. Rechnen Sie damit, dass es noch zu Ermitt-lungen gegen Wirecard in Deutschland kommt?Das kann ich nicht abschätzen. Mir ist nur eines klar: Wenn et-was im Argen liegt, dann wird es früher oder später an die Öffent-lichkeit gelangen. Schauen Sie etwa, was bei dem Möbelhändler Steinhoff passiert ist. Da gab es im August 2017 auch einen Pres-seartikel im Manager Magazin mit dem Vorwurf der Bilanztrick-serei. Steinhoff dementierte ener-

gisch und der Kurs fing sich. Ich habe nach dem Dementi damals nicht geglaubt, dass an den Vor-würfen irgendetwas dran ist. Im Dezember 2017 trat dann aber doch ein Bilanzskandal eklatanten Ausmaßes zutage. Mich über-rascht insoweit so schnell nichts mehr.

Welche Handhabe hätten Wire-card und die Aktionäre, falls sich die Berichte der Financial Times nicht bestätigen oder als falsch herausstellen?Wirecard könnte womöglich einen Anspruch wegen unwahrer Tatsa-chenbehauptung und einen An-spruch wegen Kreditgefährdung und weitere deliktsrechtliche An-sprüche geltend machen. Die Fra-ge wird dann lauten, ob im Falle des Vorliegens einer Shortseller-Attacke nicht womöglich Scha-denersatz für Anleger im Rahmen des Kapitalanleger-Musterverfah-rens gefordert werden kann. Da-rauf ist TILP spezialisiert.

Rechtsanwalt Andreas W. Tilp von der Kanzlei TILP

ist Experte für Kapital-marktrecht. DER AKTIONÄR hat zur Causa Wirecard nachgefragt.

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Wirecardaktueller kurs

101,85 €

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börsenwert

12,6 Mrd. €

dividendenrendite

0,2 %

2,66 Mrd. €umsatz 19e

Wie bei den Vorwürfen selbst steht hier Aussage gegen Aussage. Für die Aktie spielte die Wortklauberei aber sowieso keine Rolle: Am Ende des Tages stand ein Minus von weiteren 13 Prozent zu Buche.

Insgesamt summieren sich die Kursver-luste seit Bekanntwerden der Vorwürfe damit nun auf 40 Prozent, rund neun Milliarden Euro haben sich in Luft aufge-löst. Erstmals seit fast einem Jahr war die Aktie für unter 100 Euro zu haben – und findet trotzdem kaum Käufer. Das ist we-nig verwunderlich, denn der Kurs ist hochvolatil und reagiert empfindlich auf kleinste News. Am Dienstagvormittag ge-nügte ein – im Nachhinein harmloser – Tweet von FT-Journalist Dan McCrum, um die Erholung abzuwürgen. Anschlie-ßend haben Meldungen über einen An-stieg der Leerverkaufsposition der US-In-vestmentfirma Slate Path Capital und die ersten vorsichtigeren Töne der dauerbulli-shen Analysten für weitere Unsicherheit gesorgt. Auch die Angst vor möglichen Sammelklagen auf Schadenersatz in den USA treibt die Anleger um. Hier stellt Rechtsanwalt Andreas W. Tilp im Ge-spräch mit dem aktionär (siehe unten) aber klar: „Voraussetzung für Ansprüche ist, dass sich die Vorwürfe bestätigen.“

„Rekordquartal“ verpufftBeim Versuch, die unverändert gute

operative Entwicklung ins Rampenlicht zu rücken, hat Vorstandschef Markus Braun auf Basis der Januar-Zahlen ein Rekordquartal und ein „höchst erfolgrei-ches 2019“ in Aussicht gestellt. Die Anle-ger lassen sich davon allerdings kaum beruhigen – sie wollen schnellstmöglich Klarheit über die schweren Vorwürfe ge-gen das Unternehmen. Zwar hat Wire-

card Transparenz versprochen, der Ab-schlussbericht der Compliance-Untersu-chung soll allerdings noch einige Wo-chen auf sich warten lassen.

Aktie im AusnahmezustandIn der Zwischenzeit bleiben die Nervosi-tät der Anleger und die Volatilität der Ak-tie hoch. Für einen Einstieg ist es daher noch zu früh. Welche Optionen investier-te Anleger haben, lesen Sie im Interview.