bag: vorübergehende Übertragung sozialstaatlicher aufgaben ... · heft 4 öat 2014, 20039 81 bag:...

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Heft 4 öAT 2014, 20039 81 BAG: Vorübergehende Übertragung sozialstaatlicher Aufgaben als Befristungsgrund TzBfG § 14 11 Nr. 1; § 44 b SGB Il aF 1. Ein vorübergehender Bedarf als Befristungsgrund setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hin- reichender Sicherheit zu erwarten ist, dass nach dem vor- hergesehenen Vertragsende für die Beschäftigung kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr besteht. 2. Hierüber hat der Arbeitgeber bei Abschluss des befriste- ten Arbeitsvertrages eine Prognose zu erstellen. 3. Der Sachgrund des vorübergehenden Bedarfs ist von der regelmäßig gegebenen Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs eines Unterneh- mens oder einer Behörde zu unterscheiden. 4. Für den Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes gelten im Hinblick auf die Darlegungslast insoweit keine Privilegie- rungen. (red. Leitsätze) BAG, Urteil vom 4.12.2013 - 7 AZR 277/12 (Thüringer LAG 10.1.2012 -1 Sa 274/11), BeckRS 2014,67128 Sachverhalt Der Kläger war aufgrund verschiedener befristeter Ver- träge beim Beklagten (einem thüringer Landkreis) be- schäftigt, zuletzt als Fachassistent im Team Leistung in der ARGE SGB II bis zum 31.12.2010. Nach dem Ver- trag vom 25.7.2006 war die Befristung gekoppelt an die Laufzeit .des öffentlich-rechtlichen Vertrages, der zwi- schen der BA und dem bekl. Landkreis geschlossen worden war. Dort heißt es ua, dass die Wahrnehmung der Aufgaben nach dieser Vereinbarung durch die AR- GE zunächst bis zum 31.12.2010 befristet ist. Die Par- teien können den Vertrag einvernehmlich um jeweils drei weitere Jahre verlängem. Ab 2011 wurde die ARGE nach der Entscheidung des BverfG durch ein Jobcenter ersetzt. In den Vorinstanzen hatte die Klage keinen Er- folg. Entscheidung In der Revisionsinstanz war der Kläger erfolgreich. Das _BAG stellte .di:l;":ufest dass der Arbeitgeber im Prozess nicht ausreichend dargelegt habe, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zum vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr bestehe und ferner eine Prognose in diesem Sinne nicht schlüssig dargelegt sei. Der Befristungsgrund des lediglich vorübergehenden Bedarfs an einer Beschäfti- gung sei von der regelmäßig gegebenen Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs eines Unternehmens oder einer Behörde zu unterschei- den. Werde die Befristung auf die nur vorübergehende Übertragung oder Wahrnehmung einer sozialstaatliehen Daueraufgbe gestützt, vermag dies für sich gesehen die Befristung nicht zu rechtfertigen. So liege etwa in den Fällen, in denen sich eine Maßnahme nicht als zeitlich begrenztes Projekt, sondern als Teil einer Daueraufgabe des staatlichen Auftraggebers darstelle, in der Übertra- gung der sozialstaatliehen Aufgabe allein kein hinrei- chender Sachgrund für die Befristung des Arbeitsver- hältnisses des bei einem Auftragnehmer angestellten Arbeitnehmers. Der Hinweis des bekl. Landkreises, dass der öffentlich-rechtliche Vertrag bis zum 31.1 0.20 10 be- fristet gewesen ist, sei nicht ausreichend. Denn in dem Vertrag sei vielmehr die Möglichkeit einer einvernehm- lichen Vertragsverlängerung um jeweils drei Jahre be- reits ausdrücklich vorgesehen. Zum Zeitpunkt der Be- fristungsabrede mit dem Kläger stünde damit gerade nicht mit hinreichender Gewissheit fest, dass die Wahr- nehmung der Aufgaben durch die ARGE tatsächlich am 31.12.2010 enden werde. Im Übrigen sei die Nichtigkeit des § 44 b SGB Il erst 1 1/2 Jahre nach Vertragsschluss durch das BVerfG (20.11.2007) festgestellt worden. Nicht zuletzt sei die Grundsicherung für Arbeitssuchen- de auch hinsichtlich der in der Trägerschaft der BA stehenden Leistungen nach § 6 SGB II keine Aufgabe von begrenzter Dauer. Über die künftige organisatori- sehe Struktur der Aufgabenbewältigung und die Wahr- nehmungszuständigkeiten im Bereich der Grundsiehe- nll1g für Arbeitssuchende hätte dagegen nur Unsicher- heit bestanden. Praxishinweis Befristungsgrund war weder eine projektbezogene Auf- gabenstellung (dazu LAG Rheinland-Pfalz v. 25.1.2013 - 9 Sa 223/12; siehe aber auch BAG, NZA 1986, 820) noch eine sonstige zeitlich begrenzte Tätigkeit, sondern letztlich innerhalb der SGB Il-Daueraufgabe ein befristet bestehender Organisationsrahmen, aufgrund des öffent- lich-rechtlichen Vertrages zur Aufgabenübertragung. Selbst dieser war mit einer Optionsklausel zur dreijäh- rigen Vertragsverlängerung ausgestattet. Die zeitlich be- grenzte Übertragungeiner Aufgabe (vgL dazu BAG v. 13.2.2008 - 2 AZR 543/06 mit Anmerkungen Brotz- mann, NlW 2008, 3161) oder auch die zeitlich begrenz- te Subventionierung (vgl. dazu Lakies, NZA 1995, 296) rechtfertigen eine Befristung oder eine Beendigungskün- digung nur im begrenzten Rahmen. Die Verlängerungs- klausel im Vertrag hat im Übrigen Parallelen zum Aus- laufen eines Auftrages und der Teilnahme an einer Neu- auschreibung. Das BAG stützt sich auf seine bisherige Rechtsprechung (ua BAG v. 11.9.2013 - 7 AZR 107/12 .. becklink 1028571). RA, FAArbR Dr Ulrich Brotzmann, Mainz

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Heft 4 öAT 2014, 20039 81

BAG: Vorübergehende Übertragung sozialstaatlicher Aufgaben als BefristungsgrundTzBfG § 14 11Nr. 1; § 44 b SGB Il aF

1. Ein vorübergehender Bedarf als Befristungsgrund setztvoraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hin-reichender Sicherheit zu erwarten ist, dass nach dem vor-hergesehenen Vertragsende für die Beschäftigung keindauerhafter betrieblicher Bedarf mehr besteht.

2. Hierüber hat der Arbeitgeber bei Abschluss des befriste-ten Arbeitsvertrages eine Prognose zu erstellen.

3. Der Sachgrund des vorübergehenden Bedarfs ist von derregelmäßig gegebenen Unsicherheit über die künftigeEntwicklung des Arbeitskräftebedarfs eines Unterneh-mens oder einer Behörde zu unterscheiden.

4. Für den Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes gelten imHinblick auf die Darlegungslast insoweit keine Privilegie-rungen. (red. Leitsätze)

BAG, Urteil vom 4.12.2013 - 7 AZR 277/12 (ThüringerLAG 10.1.2012 -1 Sa 274/11), BeckRS 2014,67128

SachverhaltDer Kläger war aufgrund verschiedener befristeter Ver-träge beim Beklagten (einem thüringer Landkreis) be-schäftigt, zuletzt als Fachassistent im Team Leistung inder ARGE SGB II bis zum 31.12.2010. Nach dem Ver-trag vom 25.7.2006 war die Befristung gekoppelt an dieLaufzeit .des öffentlich-rechtlichen Vertrages, der zwi-schen der BA und dem bekl. Landkreis geschlossenworden war. Dort heißt es ua, dass die Wahrnehmungder Aufgaben nach dieser Vereinbarung durch die AR-GE zunächst bis zum 31.12.2010 befristet ist. Die Par-teien können den Vertrag einvernehmlich um jeweilsdrei weitere Jahre verlängem. Ab 2011 wurde die ARGEnach der Entscheidung des BverfG durch ein Jobcenterersetzt. In den Vorinstanzen hatte die Klage keinen Er-folg.

EntscheidungIn der Revisionsinstanz war der Kläger erfolgreich. Das

_BAG stellte .di:l;":ufest dass der Arbeitgeber im Prozessnicht ausreichend dargelegt habe, dass im Zeitpunkt desVertragsschlusses zum vorgesehenen Vertragsende fürdie Beschäftigung kein dauerhafter betrieblicher Bedarfmehr bestehe und ferner eine Prognose in diesem Sinnenicht schlüssig dargelegt sei. Der Befristungsgrund deslediglich vorübergehenden Bedarfs an einer Beschäfti-gung sei von der regelmäßig gegebenen Unsicherheitüber die künftige Entwicklung des Arbeitskräftebedarfseines Unternehmens oder einer Behörde zu unterschei-den. Werde die Befristung auf die nur vorübergehendeÜbertragung oder Wahrnehmung einer sozialstaatliehenDaueraufgbe gestützt, vermag dies für sich gesehen die

Befristung nicht zu rechtfertigen. So liege etwa in denFällen, in denen sich eine Maßnahme nicht als zeitlichbegrenztes Projekt, sondern als Teil einer Daueraufgabedes staatlichen Auftraggebers darstelle, in der Übertra-gung der sozialstaatliehen Aufgabe allein kein hinrei-chender Sachgrund für die Befristung des Arbeitsver-hältnisses des bei einem Auftragnehmer angestelltenArbeitnehmers. Der Hinweis des bekl. Landkreises, dassder öffentlich-rechtliche Vertrag bis zum 31.1 0.20 10 be-fristet gewesen ist, sei nicht ausreichend. Denn in demVertrag sei vielmehr die Möglichkeit einer einvernehm-lichen Vertragsverlängerung um jeweils drei Jahre be-reits ausdrücklich vorgesehen. Zum Zeitpunkt der Be-fristungsabrede mit dem Kläger stünde damit geradenicht mit hinreichender Gewissheit fest, dass die Wahr-nehmung der Aufgaben durch die ARGE tatsächlich am31.12.2010 enden werde. Im Übrigen sei die Nichtigkeitdes § 44 b SGB Il erst 1 1/2 Jahre nach Vertragsschlussdurch das BVerfG (20.11.2007) festgestellt worden.Nicht zuletzt sei die Grundsicherung für Arbeitssuchen-de auch hinsichtlich der in der Trägerschaft der BAstehenden Leistungen nach § 6 SGB II keine Aufgabevon begrenzter Dauer. Über die künftige organisatori-sehe Struktur der Aufgabenbewältigung und die Wahr-nehmungszuständigkeiten im Bereich der Grundsiehe-nll1g für Arbeitssuchende hätte dagegen nur Unsicher-heit bestanden.

PraxishinweisBefristungsgrund war weder eine projektbezogene Auf-gabenstellung (dazu LAG Rheinland-Pfalz v. 25.1.2013- 9 Sa 223/12; siehe aber auch BAG, NZA 1986, 820)noch eine sonstige zeitlich begrenzte Tätigkeit, sondernletztlich innerhalb der SGB Il-Daueraufgabe ein befristetbestehender Organisationsrahmen, aufgrund des öffent-lich-rechtlichen Vertrages zur Aufgabenübertragung.Selbst dieser war mit einer Optionsklausel zur dreijäh-rigen Vertragsverlängerung ausgestattet. Die zeitlich be-grenzte Übertragungeiner Aufgabe (vgL dazu BAG v.13.2.2008 - 2 AZR 543/06 mit Anmerkungen Brotz-mann, NlW 2008, 3161) oder auch die zeitlich begrenz-te Subventionierung (vgl. dazu Lakies, NZA 1995, 296)rechtfertigen eine Befristung oder eine Beendigungskün-digung nur im begrenzten Rahmen. Die Verlängerungs-klausel im Vertrag hat im Übrigen Parallelen zum Aus-laufen eines Auftrages und der Teilnahme an einer Neu-auschreibung. Das BAG stützt sich auf seine bisherigeRechtsprechung (ua BAG v. 11.9.2013 - 7 AZR 107/12 ..becklink 1028571).

RA, FAArbR Dr Ulrich Brotzmann, Mainz