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BB 1 34916

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In dem altorientalischen Königreich Israel findet der Archäologe Fin-kelstein die wahren Ursprünge zentraler Texte aus der Bibel. Im AltenTestament erscheint dieses Nordreich als gottlos und sei deshalb zu-grunde gegangen – im Gegensatz zum südlich angrenzenden Juda umdie Hauptstadt Jerusalem mit den Königen David und Salomon. Diearchäologischen Befunde zeigen indes, dass Israel viel weiter entwickeltwar als Juda. In Israel standen der Palast und der Tempel, hier habendie Erzählungen vom Stammvater Jakob oder dem Auszug aus Ägyp-ten ihren Ursprung. Das Reich Israel wurde erobert, verworfen, ver-gessen, doch seine Mythen überdauerten bis heute.

Israel Finkelstein, geb. 1949, ist Professor für Archäologie an derUniversität Tel Aviv und Leiter eines Grabungsteams in Megiddo. Ergehört zu den führenden Archäologen in Israel, 2005 wurde er mitdem hochdotierten Dan-David-Preis 2005 ausgezeichnet. Veröffent-lichungen u. a.: ›Keine Posaunen vor Jericho‹ (dtv 34151).

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Israel Finkelstein

Das vergesseneKönigreich

Israel und die verborgenenUrsprünge der Bibel

Aus dem Englischen von Rita Seuß

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Ungekürzte Ausgabe 2017dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co.KG, München

Das Buch erschien zuerst in französischer Übersetzungunter dem Titel ›Le Royaume biblique oublié‹

© Odile Jacob, Paris 2013Grundlage des vorliegenden Buches ist die englische Originalausgabe:

›The Forgotten Kingdom. The Archaeology and History of Northern Israel‹,Society of Biblical Literature, Atlanta 2013

© der deutschen Ausgabe: Verlag C.H.Beck oHG, München 2014Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Sämtliche, auch auszugsweisen Verwertungen bleiben vorbehalten.Umschlaggestaltung: dtv nach einem Entwurf von Manja Hellpap

und Lisa Neuhalfen, BerlinSatz: Fotosatz Amann, Memmingen

Druck und Bindung: Druckerei C.H.Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany · ISBN 978-3-423-34916-1

Ausführliche Informationen überunsere Autoren und Bücher

www.dtv.de

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InhaLT

eInLeITUng: WarUM eIn BUch ÜBer Das

KönIgreIch IsraeL?

geschichtsschreibung und historische erinnerung 9

neue entwicklungen in der archäologie 15

Die persönliche Perspektive 18

1. DIe aUsgangssITUaTIOn:

sIcheM UnD DIe KanaanäIschen sTaDTsTaaTen

sichem in der spätbronzezeit 21Die Amarna-Zeit 25 – Die Sichem-Koalition 26 – Die Anti-Sichem-Koalition 27 – Die territorialen Ambitionen Sichems 28Das Ende der Spätbronzezeit 30

Das Bergland und die ebenen in der eisenzeit I 31Das Bergland 31 – Schilo 32 – Gab es eine größere Kultstätte inSchilo? 34 – War Schilo ein regionales Verwaltungszentrum? 35 –Abimelech 36 – Die Ebenen 37 – Das Neue Kanaan 38 – Die Zer-störung des Neuen Kanaan 43

2. Das ersTe IsraeLITIsche geMeInWesen:

gIBeOn UnD Das haUs saUL

Israelitische siedlungen im zentralen Bergland 48

Das gibeon-Bet-el-Plateau 49

Pharao schoschenq I. und das Bergland nördlich von Jerusalem 52

exkurs: Das Land Benjamin – norden oder süden? 56

schoschenq I. und das saulidische Territorium 59

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Frühe erinnerungen in den samuelbüchern: Der Fall schilo 60

Das herrschaftsgebiet der sauliden 62Saul und die Sauliden 62 – Das Territorium der Sauliden 63 – Woverlief die nördliche Grenze? 65 – Wo verlief die südliche Grenze?Khirbet Qeiyafa 67

Philister oder ägypter? 73

3. DIe anFänge Des KönIgreIchs:

Das geMeInWesen TIrZa

Datierungsfragen 76

Die materielle Kultur der frühen eisenzeit 79

Tirza als residenz der ersten Könige 80Archäologische Befunde 81 – Grabungsergebnisse 82 – Die Bedeu-tung der frühen Hauptstadt 86

Das von Tirza aus regierte Territorium 88Dan 89 – Ben-Hadad 90 – Was sagt die Archäologie? 91 – PharaoSchoschenq I. und die Jesreel-Ebene 91 – Westen und Osten 92

expansion vom Bergland aus 94

Der aufstieg König Jerobeams I. 95

Tirza und Jerusalem 97

4. PrOsPerITäT UnD MachTenTFaLTUng:

DIe DynasTIe Der OMrIDen

eine Zeit der Blüte 98

Die omridische architektur 101Samaria 101 – Die Akropolis von Samaria 104 – Jesreel 110

Hazor 112 – Jahaz und Atarot in Moab 113 – Khirbet el-Mudeyineeth-Themed 114 – Khirbet Atarus 116 – Tell er-Rumeith im Gilead118 – Andere Orte 120 – Besonderheiten der omridischen Archi-tektur 121

Das Territorium der Omriden 123

Die Bevölkerung 128

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Wirtschaftliche ressourcen 131

Die Tätigkeit von schreibern 134

Der religiöse Kult 134

5. IsraeLs schWanengesang:

Das LeTZTe JahrhUnDerT Des KönIgreIchs IsraeL

hasaëls angriffe auf Israel 138Zerstörungen in der späten Eisenzeit 139 – Die schriftlichen Be-funde 142

hasaëls neue Ordnung 144

Dan und Betsaida 147

Territoriale expansion 149

Wirtschaftlicher Wohlstand 152Öl und Wein 152 – Der Handel im östlichen Mittelmeer 153 –Der israelitische Pferdehandel 155 – Handel mit Arabien 156

Die neuordnung des Kultes 159

schriftkultur und die entstehung der Texte im norden 161

6. JaKOBsZyKLUs UnD exODUs:

DIe «grÜnDUngsMyThen» Des nOrDreIchs

Der Jakobszyklus und sein historischer hintergrund 163

Die Überlieferung von exodus und Wanderung 167

Zwei unterschiedliche gründungsmythen 174

7. Das enDe UnD Danach:

eIne neUe BeDeUTUng FÜr «IsraeL»

Israeliten in Juda nach dem Untergang Israels 176

Die Idee des biblischen Israel 177

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schLUss:

War Das KönIgreIch IsraeL eIn sOnDerFaLL?

Die Datierung ist entscheidend 182

geschichte der longue durée 183

Israel und Juda 185

anhang

Dank 191

abkürzungen 193

anmerkungen 195

Literatur 209

register 229

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eInLeITUng

Warum ein Buch über das Königreich Israel?

In der ersten hälfte des 8. Jahrhunderts v. chr. beherrschte Israel einengroßteil des Territoriums der beiden hebräischen Königreiche (abb. 1),und seine Bevölkerung machte drei viertel des volkes Israel und Judazusammen aus.1 Militärisch wie wirtschaftlich war das nordreichIsrael stärker als das südreich Juda, und in der ersten hälfte des 9. so-wie im 8. Jahrhundert – beinahe die hälfte der Zeit, in der die beidenKönigreiche gleichzeitig existierten – dominierte Israel das südreich.Trotzdem steht Israel im schatten Judas, in der hebräischen Bibelebenso wie in der aufmerksamkeit der modernen Forschung.

geschichtsschreibung und historische erinnerung

Die geschichte des alten Israel in der hebräischen Bibel wurde vonjudäischen autoren in Jerusalem geschrieben, der hauptstadt dessüdreichs, die der Mittelpunkt der davidischen Dynastie war. Deshalbübermittelt sie judäische vorstellungen über Territorium und König-tum, über Tempel und Kult. auch die von einigen Forschern für be-sonders alt gehaltenen Texte wie die samuelbücher entstanden erst,nachdem Israel von assyrien besiegt und seine elite deportiert wor-den war.2 als im späten 7. Jahrhundert die älteste schicht des deutero-nomistischen geschichtswerks geschaffen wurde,3 war das nordreichIsrael bereits eine ferne, vage erinnerung, die mehr als hundert Jahrezurücklag. Israelitische Überlieferungen wurden in die hebräischeBibel aufgenommen: Textblöcke wie der Jakobszyklus der genesis,4

die Überlieferung vom auszug aus ägypten,5 das sogenannte retter-buch im Buch der richter,6 positive Überlieferungen zu König saul inden samuelbüchern, die prophetischen geschichten von elia und

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Einleitung10

elischa in den Königsbüchern und die beiden Propheten des nord-reichs hosea und amos.7

Die ursprünglichen Texte aus dem norden – oder zumindest einigevon ihnen – könnten bereits in der ersten hälfte des 8. Jahrhundertsv. chr. in der hauptstadt samaria oder im JhWh-Tempel in Bet-el ander nordgrenze Judas entstanden sein.8 (Das hebräische Tetragrammfür den gottesnamen, von dem die meisten gelehrten annehmen, dasses Jahwe ausgesprochen wurde, wird hier als JhWh wiedergegeben.)sowohl schriftlich fixierte Texte als auch mündliche Überlieferungengelangten wahrscheinlich nach dem Untergang Israels im Jahr 720v. chr. mit israelitischen Flüchtlingen nach Juda.9 schätzungen zumBevölkerungswachstum in Juda zwischen der eisenzeit IIa und der eisenzeit IIB (9. bis spätes 8./frühes 7. Jahrhundert) deuten daraufhin, dass in spätmonarchischer Zeit israelitische gruppen einen be-deutenden anteil an der Bevölkerung des südreichs bildeten.10 Über-lieferungen aus dem norden wurden in den judäischen Kanon aufge-nommen, entweder weil sie die judäische Ideologie stützten oder weildie eingliederung der großen israelitischen Bevölkerungsgruppe indas Königreich Juda politisch geboten war. Im zweiten Fall wurdendie ursprünglich israelitischen Traditionen judäischen Bedürfnissenund judäischer Ideologie untergeordnet. Im Fall der samuelbücherzum Beispiel wurden die negativen Überlieferungen aus dem nord-reich zum gründer der davidischen Dynastie zwar übernommen, aberso umgedeutet, dass David von allen Missetaten reingewaschenwurde.11 Damit ist auch hier die ursprüngliche, authentische stimmeIsraels in der hebräischen Bibel kaum zu vernehmen.

Die politische Ideologie des deuteronomistischen geschichtswerksder Bibel beschreibt die situation nach dem Untergang des nord-reichs. sie ist ganz auf Juda zentriert und erhebt den anspruch, dassalle einstmals zu Israel gehörenden Territorien von einem davidischenKönig regiert werden müssen sowie alle hebräer die herrschaft derdavidischen Dynastie anerkennen und den gott Israels im Tempel vonJerusalem verehren müssen. Dementsprechend ist die geschichte desnordreichs äußerst verkürzt und sehr negativ gefärbt,12 während dieeinzelnen hebräer dadurch Teil der nation werden können, dass siedie zentrale stellung des Tempels und der Dynastie von Jerusalem

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Geschichtsschreibung und historische Erinnerung 11

Abb. 1: Israel und Juda im 8. Jahrhundert v. Chr.

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Einleitung12

akzeptieren. Ihr eigenes Königreich und ihre eigenen Könige galtendagegen als illegitim.

Lediglich den Königen Jerobeam I. und ahab sind größere Textpas-sagen gewidmet, der Ton jedoch ist, wie gesagt, negativ. so wirdJerobeam I., der gründer des nordreichs, als der erste abtrünnigedargestellt, dessen verfehlungen den Untergang Israels von anfang anbesiegelten.13 Die regierungszeit anderer israelitischer Könige dage-gen wird in wenigen sätzen abgehandelt. nur sechs verse befassensich mit Omri, dem gründer der berühmtesten Dynastie des nordens,dessen name in assyrischen aufzeichnungen mit Israel gleichgesetztwird. Lediglich einer von ihnen ist nicht formelhaft. sieben verse be-ziehen sich auf Jerobeam II., einen der bedeutendsten Könige in dergeschichte der beiden hebräischen reiche, der fast vierzig Jahre langregierte (788–747 v. chr.) und große gebiete eroberte. sehr wenigwird über die hauptstadt samaria gesagt und relativ wenig über diegrößeren und kleineren Ortschaften auf dem Land. Der grund dafürist die räumliche Distanz der autoren in Jerusalem und ihre man-gelnde direkte vertrautheit mit der Landschaft. so werden nur wenigeOrte des israelitischen Territoriums im Ostjordanland genannt, dasaber genauso groß war wie das judäische Bergland, von dem in derBibel rund fünfzig Orte namentlich erwähnt werden.

hinzu kommt, dass biblische, archäologische und historische Unter-suchungen des alten Israel von der jüdisch-christlichen geschichtstra-dition dominiert sind, die ihrerseits von der hebräischen Bibel, alsojudäischen Texten, geprägt ist. Die Bibel ist aber nun einmal so, wiesie ist, und daher beschäftigt sich die wissenschaftliche Bibelforschunghauptsächlich mit Juda und dessen sicht Israels, die hundert Jahrenach dem Zusammenbruch des nordreichs formuliert wurde.

Die archäologische Forschung bildet in gewisser Weise ein Korrek-tiv zu diesem Bild. Das eisenzeitliche Juda wurde archäologisch gründ-lich untersucht. Jerusalem zählt weltweit zu den bestausgegrabenenstädten, vor allem durch die Forschungen der letzten fünfzig Jahre,und auch fast alle wichtigen Orte im hinterland Jerusalems wurdenfreigelegt: Mizpa und hebron im Bergland, Lachisch und Beth-sche-mesch in der schefela, Beerscheba und arad im Beerscheba-Tal. auchIsrael haben die Wissenschaftler nicht vernachlässigt. seine haupt-

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Geschichtsschreibung und historische Erinnerung 13

stadt samaria wurde zweimal archäologisch eingehend erforscht,ebenso alle bedeutenderen Orte auf dem Land: Bet-el, sichem undTell el-Far‘ah (Tirza) im Bergland, geser im südwesten, Dor an derKüste und Megiddo, Jesreel, hazor und Dan in den ebenen des nor-dens. auch die ländlichen regionen des nordreichs – im Berglandebenso wie in der Tiefebene – wurden intensiv untersucht. Dank ar-chäologischer Oberflächenuntersuchungen (surveys) konnten sied-lungskarten nach einzelnen epochen erstellt werden. es ist also dieFeldforschung, die eine archäologisch gestützte, von der judäischenIdeologie freie sicht auf die geschichte Israels ermöglicht und esdamit erlaubt, die geschichte des alten Israel im allgemeinen undder beiden hebräischen Königreiche im Besonderen ausgewogener zurekonstruieren.

Dieses Buch erzählt die geschichte des Königreichs Israel haupt-sächlich in den Phasen seiner Konstituierung. Der erzählerische Leit-faden ist die archäologie: ergebnisse von ausgrabungen ebenso wievon Oberflächenuntersuchungen. Diese resultate der archäologischenForschung werden in einem nächsten schritt mit dem Wenigen ver-knüpft, was wir aus schriftlichen Quellen des alten nahen Ostens undaus den biblischen Texten wissen, denen man authentische, nichtpro-pagandistische Informationen über das nordreich zusprechen kann,und seien es nur vage erinnerungen.

Im hinblick auf das biblische Material, das nicht aus Kreisen desnordreichs stammt – beispielsweise die Informationen in den Königs-büchern –, stellt sich natürlich die Frage, wie der oder die judäischenautoren der späten Königszeit, die in Jerusalem lebten, Kenntnisseüber ereignisse besitzen konnten, die Jahrhunderte vor ihrer Zeit undteilweise an Orten weit entfernt von Jerusalem stattfanden. Die ant-wort lautet, dass die judäischen autoren eine Liste der israelitischenKönige zur verfügung gehabt haben müssen, auf der die regierungs-zeit und angaben zu herkunft und Tod der Monarchen verzeichnetwaren. Diese Liste muss ihnen auskünfte vermittelt haben, die sie indie Lage versetzten, die israelitischen und judäischen Könige zueinan-der in Beziehung zu setzen. In der regel ist die Information in denkurzen biblischen versen korrekt und wird durch außerbiblische assy-rische Texte untermauert. Man darf auch nicht vergessen, dass Quel-

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Einleitung14

len aus dem nordreich (falls sie im frühen 8. Jahrhundert in samariaoder Bet-el schriftlich fixiert wurden) der Frühphase der geschichteIsraels und Judas im 10. Jahrhundert zeitlich sehr viel näher standenals die judäischen autoren der späten Königszeit oder danach. Dieautoren aus dem norden schrieben nur gut hundert Jahre nach dieserKonstituierungsphase, während die frühen judäischen autoren drei-hundert Jahre später ihre aufzeichnungen machten. eine wichtigeInformationsquelle könnten israelitische Flüchtlinge gewesen sein, diesich in Juda ansiedelten und die judäischen autoren mit schriftlichund mündlich überliefertem Material zu den gebieten des nordreichsbeiderseits des Jordans versorgten.

Dieses Buch verfolgt nicht die absicht, ein lückenloses Bild vonder materiellen Kultur und der geschichte des nordens in der eisen-zeit zu zeichnen. es geht mir vor allem um die geopolitischen ver-hältnisse in der südlichen Levante, um die Territorialgeschichte Isra-els und um das, was in der kulturanthropologischen Literatur als«staatenbildung» bezeichnet wird, also die entstehung von territori-alen gemeinwesen mit einem Beamtenapparat und verwaltungsein-richtungen. ein besonderer nachdruck liegt auf dem einfluss derUmwelt auf historische entwicklungen und auf Langzeitprozesse,die die geschichte des nordens im späten 2. und frühen 1. Jahrtau-send v. chr. prägten.

Der hier abgesteckte zeitliche rahmen reicht von der spätbronze-zeit II bis zur eisenzeit IIB. In absoluter chronologie gerechnet, istdies der Zeitraum zwischen ca. 1350 und 700 v. chr. Unser schwer-punkt liegt jedoch auf einer kürzeren Zeitspanne: der entstehung ter-ritorialer gemeinwesen im zentralen Bergland Israels zwischenca. 1000 und 850 v. chr. Die spätbronzezeit wird hier hauptsächlichals Modell erörtert, zu dem relativ gutes archäologisches und histori-sches Material zur verfügung steht. Die letzten hundert Jahre in dergeschichte des nordreichs werden nur am ende des Buches kurz ge-streift. Das letzte Kapitel handelt von der israelitischen Bevölkerungin Juda nach 720 v. chr., einem Phänomen, das für die entstehung derhebräischen Bibel eine schlüsselrolle spielte.

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Neue Entwicklungen in der Archäologie 15

neue entwicklungen in der archäologie

Zunächst eine klärende Bemerkung zur chronologie: Unsere Kenntnisvon der relativen und absoluten chronologie der eisenzeitlichenschichten und Monumentalbauten in der Levante wurde in den letztenfünfzehn Jahren wahrhaft revolutioniert. Was die relative chronologieangeht, so ebnete die verstärkte erforschung von Keramikfunden ausgesicherten stratigraphischen Kontexten an ausgrabungsstätten wieMegiddo und Tel rehob im norden und Lachisch im süden den Wegzu einer einteilung der eisenzeit in sechs Phasen der Keramiktypolo-gie: frühe und späte eisenzeit I,14 frühe und späte eisenzeit IIa15 sowieeisenzeit IIB und eisenzeit IIc.16 Bezüglich der absoluten chronologieermöglichten intensive radiokarbonuntersuchungen eine Datierungdieser Phasen mit einer genauigkeit von fünfzig Jahren oder weniger.Damit gehören die auf einer unkritischen Interpretation der bibli-schen Texte basierenden Dispute der vergangenheit an.17 In diesemBuch verwende ich Daten aus zwei Untersuchungen:

(1) ein statistisches Modell, das auf einer vielzahl von radiokar-bondatierungen beruht: 229 ergebnisse aus 143 Proben, die aus38 schichten an 18 ausgrabungsstätten des nördlichen und südlichenIsrael stammen.18 Die radiokarbonmessungen aus Israel sind die dich-testen in der archäologie des alten nahen Ostens für einen so kurzenZeitraum und für ein derart kleines gebiet.

(2) ein statistisches Modell für eine einzelne ausgrabungsstätte,nämlich Megiddo: etwa hundert radiokarbonbestimmungen ausrund sechzig Proben für zehn schichten, die einen Zeitraum von an-nähernd sechshundert Jahren zwischen circa 1400 und 800 v. chr. ab-decken (siehe abb. 2).19 Megiddo ist für ein solches Modell besondersgut geeignet, weil diese Zeitspanne vier große Zerstörungsschichtenmit vielen organischen Proben aus zuverlässigen Kontexten aufweist.auch das ist beispiellos: Keine andere ausgrabungsstätte hat jemalseine solche vielzahl von ergebnissen für eine so dichte stratigraphi-sche sequenz geliefert.

Das grundmodell (Tabelle 1) stellt einen konservativen Datierungs-ansatz dar. es führt bei der chronologie der einzelnen Phasen zu ge-

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Einleitung16

wissen Überschneidungen und zu einer recht großen Zeitspanne fürdie Übergangsphasen. Überträgt man dieses Modell auf historisch guterforschte epochen (zum Beispiel das ende der ägyptischen herr-schaft in der spätbronzezeit III), so erhält man folgende Daten, die indiesem Buch verwendet werden:20

spätbronzezeit III: 12. Jahrhundert bis ca. 1130 v. chr.Frühe eisenzeit I: spätes 12. Jahrhundert und erste hälfte des 11. Jahrhun-

dertsspäte eisenzeit I: zweite hälfte des 11. und erste hälfte des 10. JahrhundertsFrühe eisenzeit IIa: letzte Jahrzehnte des 10. Jahrhunderts und frühes 9. Jahr-

hundertspäte eisenzeit IIa: rest des 9. Jahrhunderts und frühes 8. Jahrhunderteisenzeit IIB: rest des 8. Jahrhunderts und frühes 7. Jahrhundert

Weitere Fortschritte in der archäologie der Levante in den letzten Jah-ren erleichtern eine auf die archäologie gestützte geschichte desKönigreichs Israel:

Keramikphase Datierung Übergangszeit

spätbronzezeit III bis 10981125–1071

Frühe eisenzeit I 1109–10471082–1037

Mittlere eisenzeit I 1055–10281045–1021

späte eisenzeit I 1037–913960–899

Frühe eisenzeit IIa 920–883902–866

späte eisenzeit IIa 886–760785–748

Übergang von der eisenzeit IIa zu IIB ab 757

Tabelle 1: Chronologie der Keramik in der Levante einschließlich der Übergangs-phasen auf der Grundlage neuerer Radiokarbonmessungen

(Basierend auf einem Bayes’schen Modell mit 63 Prozent Übereinstimmungzwischen dem Modell und den Daten. Der Beginn der ersten und das Ende der

letzten Phase können nicht genau bestimmt werden.)

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Neue Entwicklungen in der Archäologie 17

(1) Der abschied von der vorstellung einer großen vereinigten Mo-narchie zur Zeit der gründer der davidischen Dynastie. Der hebrä-ischen Bibel und der traditionellen biblischen und archäologischenForschung zufolge, die auf einer unkritischen Interpretation der Textebasierte, wurde das vereinigte Königreich von Jerusalem aus regiertund umfasste das gesamte Territorium Israels und Judas. nach bibli-schen angaben, die wahrscheinlich eine situation in der eisenzeit spie-geln, erstreckte es sich von Dan bis Beerscheba (2 sam 3,10; 1 Kön 5,5).gemäß einer anderen version, die vermutlich in persischer Zeit einge-fügt wurde, war dieses gebiet noch sehr viel größer (1 Kön 5,4). Fürdie wissenschaftliche Bibelforschung steht heute fest, dass die biblischeerzählung von einer großen vereinigten Monarchie ein literarischesKonstrukt ist, das für die Territorialideologie, die vorstellungen voneinem Königtum sowie die theologischen Ideen judäischer autoren ausder späten Königszeit steht.21 nicht zuletzt aufgrund der oben erwähn-ten radiokarbonmessungen konnte die archäologische Forschung be-legen, dass die Monumentalbauten, die traditionell als ausdruck desvereinigten Königtums unter David und salomo im 10. Jahrhundert

Abb. 2: Östliche und südliche Sektion von Areal H in Megiddo mit denverschiedenen Schichten und ihrer relativen und absoluten Datierung

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Einleitung18

v. chr. betrachtet wurden, in Wirklichkeit zur Zeit der Omriden-Dynastie in Israel im 9. Jahrhundert v. chr. entstanden.22 Dieser wis-senschaftliche Fortschritt führte auch zu einem neuen verständnis vonder epoche der Omriden-Könige, besonders ihrer Bautätigkeit undder Bevölkerungsstruktur ihres reichs. verwirft man die vorstellung,dass das vereinigte Königreich eine historische Tatsache war, mussman davon ausgehen, dass die beiden hebräischen Königreiche unab-hängig voneinander als eigenständige benachbarte politische gebildeentstanden, in Übereinstimmung mit der langen geschichte des zentra-len Berglands in der Bronze- und eisenzeit.

(2) Die Fortschritte bei den Untersuchungen zur relativen und abso-luten chronologie der eisenzeitlichen schichten in der Levante bildendie grundlage für die erkenntnis, dass die ebenen des nordens auchnoch in der eisenzeit I eine «kanaanäische» materielle Kultur und ter-ritoriale Ordnung aufwiesen (Kapitel 1).

(3) großflächige surveys im Bergland, die das Kerngebiet des nord-reichs einschließen, ermöglichen die erstellung von siedlungskartenfür die verschiedenen Phasen der eisenzeit und ebnen damit den Wegzu einem differenzierteren verständnis des demographischen, wirt-schaftlichen und sozialen Wandels, der mit dem aufstieg nordisraeli-tischer territorialer gemeinwesen einherging.

Die persönliche Perspektive

Meine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem nordreich ist in ver-schiedenen Phasen meiner Tätigkeit als Feldarchäologe verankert. Diegründliche archäologische Oberflächenuntersuchung, die ich in den1980er Jahren im Bergland nördlich von Jerusalem durchgeführthabe, hat mir die Besonderheit dieser Landschaft in sozialer und wirt-schaftlicher hinsicht bewusst gemacht.23 Dadurch wurde meine auf-merksamkeit auch auf die starke eisenzeitliche siedlungsaktivität inden gebieten nördlich der stadt gelenkt, die sich von dem südlich vonJerusalem gelegenen gebiet und von den zyklischen, langfristigensiedlungsprozessen im Bergland unterscheidet.24 Das verständnis dersiedlungsgeschichte des Berglands als eines zyklischen verlaufs wider-

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Die persönliche Perspektive 19

spricht freilich dem grundkonzept der biblischen autoren, dem vielemoderne Forscher folgten: dass nämlich das alte Israel ein singuläresPhänomen und die israelitische geschichte linear verlaufen sei, vonder eroberung über die ansiedlung und eine Zeit charismatischerFührer (der richter) bis zur Monarchie und zur entstehung von Ter-ritorialkönigreichen. Diese erkenntnisse haben mein Interesse für diehistoriker der französischen Annales-schule geweckt,25 denen zufolgelangsam verlaufende Prozesse und entwicklungen in ländlichen regi-onen (die longue durée) historisch nicht weniger bedeutsam sind alspunktuelle ereignisse wie zum Beispiel militärische Feldzüge oder dieinternen Kämpfe in den Korridoren der Macht in Palästen und Tem-peln. Mit anderen Worten: Die surveys im Bergland beleuchten wich-tige historische Phänomene wie etwa die geringe siedlungsaktivität inder spätbronzezeit, das Wesen der siedlungswelle in der eisenzeit I,die stabilität der eisenzeitlichen siedlungsaktivität in den meistenregionen im gegensatz zur aufgabe von siedlungen auf dem gibeon-Plateau in der frühen eisenzeit IIa sowie den siedlungsrückgang imsüdlichen samaria nach dem Untergang des nordreichs 720 v. chr.

Durch die von mir geleitete ausgrabung in schilo anfang der1980er Jahre bin ich zu einem tieferen verständnis der materiellenKultur des Berglands und der eisenzeit I gelangt, der epoche, in derdas alte Israel entstand.26 Darüber hinaus haben die Forschungs-ergebnisse der surveys und der ausgrabung in schilo allmählich meinBewusstsein für die Komplexität der biblischen Quellen zur Früh-geschichte Israels geschärft.

anfang der 1990er Jahre habe ich damit begonnen, mich mit denTälern, besonders mit der Jesreel-ebene, zu beschäftigen. Die ausgra-bungen, die ich in den letzten zwanzig Jahren zusammen mit Kollegenund studenten in Megiddo durchgeführt habe, haben den Weg zueinem besseren verständnis der eisenzeit in den ebenen des nordensgebahnt.27 vor allem aber sind mir im Zuge der vorbereitung auf dieausgrabung in Megiddo I die Probleme der traditionellen Datierungder eisenzeitlichen schichten und Bauwerke in der Levante bewusstgeworden. Dies hat dazu geführt, dass ich eine spätdatierung (lowchronology) der eisenzeit vorgeschlagen habe,28 eine Periodisierung,die inzwischen durch radiokarbonmessungen bestätigt ist und unsere

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erkenntnisse über das nordreich revolutioniert hat. Die ausgrabungin Megiddo hat auch mein verständnis anderer in diesem Buch er-örterter Themen erleichtert. ein Thema ist die endphase der spät-bronzezeit in den ebenen des nordens, ein anderes die außerge-wöhnliche, bis vor Kurzem nur unzureichend verstandene Blüte inder späten eisenzeit besonders in der Jesreel-ebene. Ich habe diesen«schwanengesang» der materiellen kanaanäischen Kultur und derterritorialen Disposition «neues Kanaan» genannt, eine Bezeich-nung, die mittlerweile auch in die Forschung eingang gefunden hat.Darüber hinaus hat die ausgrabung in Megiddo zu einer neuerlichenerforschung der materiellen Kultur des nordens am Übergang vom2. zum 1. Jahrtausend (von der kanaanäischen zur israelitischen Kul-tur, wie einige autoren ihn nennen) geführt. Parallel zu dieser ausgra-bung habe ich, gleichfalls mit Mitgliedern der Megiddo-expedition,zwei archäologische surveys in der Jesreel-ebene durchgeführt, umdie siedlungssysteme, die den hauptbesiedlungsphasen des regiona-len Zentrums Megiddo entsprechen, besser zu verstehen. Die ergeb-nisse dieser Untersuchungen zeigen die dramatischen Unterschiedezwischen der siedlungsgeschichte der nördlichen ebenen und deszentralen Berglands.

Dreißig Jahre Feldforschung im Bergland und in den ebenen desnordens haben also den Weg freigemacht für ein neues verständnisder archäologie und geschichte des alten Israel. Ich habe eine reihevon aufsätzen über zahlreiche aspekte eisenzeitlicher materiellerKultur, über siedlungsprozesse und Territorialgeschichte verfasst, dieauch in dieses Buch – eine summe meiner langjährigen Forschung –eingang gefunden haben.