begegnung mit andrea lemke

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Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; 64 (6) 40 © Georg Moritz DOI: 10.1007/s00058-012-0605-8 Begegnung mit Andrea Lemke Sie ist die Pflegedirektorin des Jüdischen Krankenhauses Berlin. Die gelernte Kranken- schwester studierte Health Management und Betriebswirt- schaft und arbeitete dann drei Jahre im Vertrieb eines Unternehmens. Aber sie kam zurück in die Pflege und ist noch immer von ihrem Job begeistert.

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Page 1: Begegnung mit Andrea Lemke

Heilberufe / Das P� egemagazin 2012; 64 (6)40

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Begegnung mit

Andrea LemkeSie ist die Pflegedirektorin des Jüdischen Krankenhauses Berlin. Die gelernte Kranken-schwester studierte Health

Management und Betriebswirt-schaft und arbeitete dann drei Jahre im Vertrieb eines Unternehmens. Aber sie kam zurück in die Pflege und

ist noch immer von ihrem Job begeistert.

Page 2: Begegnung mit Andrea Lemke

Heilberufe / Das P� egemagazin 2012; 64 (6) 41

PflegeManagement Porträt

A ls ich an einem Mai-Tag Andrea Lemke treffe, ist die Pflegedirektorin des Jüdischen Krankenhauses Berlin in einer eher ungewöhnlichen Rolle: Sie sitzt mit Denny

Götze, Stationsleiter Pflegedienst Zentrale OP-Einheit, und Ebru Erdogan, Leitende Krankenschwester, zusammen und spricht über Umbauarbeiten in dem über 250 Jahre alten Haus. Pflege-direktorin und Bauarbeiten? Was zunächst etwas merkwürdig anmutet, ist für sie wie für viele andere inzwischen schon Alltag. Denn auch das gehört zu ihren Aufgaben.

Die Arbeiten im Jüdischen Krankenhaus bringen Verände-rungen mit sich: Ein OP-Saal kommt an einen anderen Platz. Der Aufwachraum für Patienten nach Endoskopien muss neu organisiert werden. „Wir brauchen die Planung so langfristig wie möglich“, sagt Denny Götze. Gemeinsam schauen die drei auf einen Plan.

Andrea Lemke ist freundlich, bestimmt und fragt immer wieder nach: „Was meint ihr? Könnte das so gehen?“ Und bittet: „Ebru, klär das doch: Wir müssen wissen, wie lange vorher die ambu-lanten Patienten bekannt sind. Wie kommen die Programme genau zustande?“ Zwischendurch ein kurzer Anruf beim Con-trolling, Zahlen werden erfragt, um Vorstellungen zu konkreti-sieren. Zwischendurch berichtet sie von der Architektenrunde. Unzählige Details müssen im Blick behalten werden.

„Natürlich ist ein Umbau anstrengend und nervt manchmal, er bietet aber auch die Chance, Prozesse neu anzusehen und besser zu gestalten“, sagt Andrea Lemke. Dabei hört sie genau hin, was andere zu sagen haben. „Ich bin ein Teammensch und

versuche, nah dran zu bleiben.“ Das ist ihr ganz wichtig und vielleicht endet ein dreijähriger Ausflug in den Vertrieb eines Unternehmens auch deshalb mit einer Rückkehr zur Pflege. „Dort konnte ich inhaltlich wenig beeinflussen und am meisten hat mir hat der Austausch mit anderen gefehlt und die Herausfor-derung, mit anderen gemeinsam etwas zu entwickeln.“

Sie ist zurückgekommen und auch nach vielen Jahren in ver-antwortungsvoller Position immer noch von ihrem Job begeistert: „Ich mach das heute noch gern, ich bin nicht müde geworden, auch weil die Pflege die meisten Schnittstellen zu den Patienten hat.“ Das ist anspruchsvoll und vielseitig, im Stationsalltag und in der Rettungsstelle aber durchaus nicht einfach. Zudem erfor-dert es von den Pflegekräften Toleranz, Geduld und Professio-nalität. Denn nicht wenige der zu betreuenden Patienten im Berliner Wedding sind Menschen mit gebrochenen Biographien, in schwierigen Lebenssituationen und oft mit einem Spektrum medizinischer Probleme. „Die allermeisten unserer Pflegekräfte meistern das sehr gut“, lobt die gelernte Krankenschwester.

„In diesem Sinne verstehen wir auch das Leitbild unseres Hauses, jeden Menschen, unabhängig von seiner Religion und Kultur, Herkunft und Hautfarbe zu achten“, sagt die Pflegedirek-torin. Formuliert ist dort auch: „Im Bewusstsein der Verfolgung jüdischer Menschen erhalten Verfolgte, Flüchtlinge und am Ran-

de der Gesellschaft stehende Menschen unsere besondere menschliche, medizinische und pflegerische Zuwendung.“

Die Geschichte des Hauses lebendig zu halten, geschehe nicht von allein, so Andrea Lemke: „Dafür müssen wir immer wieder etwas tun, es erfordert Achtsamkeit.“ Dazu gehören unter ande-rem eine ständige Ausstellung, die die Historie des Hauses do-kumentiert, ein Rabbiner der Jüdischen Gemeinde, der jüdische Patienten besucht, und auf Wunsch koscheres Essen. Gefeiert wird in jedem Jahr das Lichterfest. Auch eine Synagoge gibt es, die im Mai 2003 wieder eröffnet wurde und heute als Bet- und Andachtsraum allen Menschen offen steht. Eine berührende Begegnung gibt es für Andrea Lemke im vergangenen Jahr: Bei einem Besuch in Israel trifft sie zwei Frauen, die in „ihrem“ Kran-kenhaus geboren wurden.

An dem guten Ruf des Hauses, insbesondere der Pflege, will sie weiter mitwirken – als eine von insgesamt 550 Mitarbeitern, über 200 davon sind in der Pflege tätig. Sehr bewusst ist ihr, dass die Einrichtungen sich anstrengen müssen, gute Mitarbeiter zu be-kommen und zu behalten. „Es gibt da keinen Königsweg.“ Nur ein Mosaik könne dazu beitragen, dass das Gesundheitssystem im Wettbewerb der Branchen künftig nicht als Verlierer dastehe. Da müsse ganz viel stimmen: die Arbeitsbedingungen, das Klima, Möglichkeiten zur Qualifikation – je nach Eignung und Ambi-tion des einzelnen, eine Kultur der Innovation, ein guter Umgang mit Konflikten. Und nicht zuletzt: gute direkte Vorgesetzte. Für sie das A und O, damit im Team alles funktioniert.

Deshalb ärgert sie es manchmal auch, wenn sie in Podiums-diskussionen sitzt und diese „rein berufsgruppenspezifischen Debatten“ zur zukünftigen medizinischen Versorgung geführt werden. „Das ist kontraproduktiv, manchmal ödet mich das richtig an, wenn sich jeder hinstellt und etwas fordert. Es wird nur miteinander gehen. Die Kraft des Faktischen wird uns schnell einholen.“ Ute Burtke

Andrea Lemke

▶ Geboren 1961 in Berlin, lebt in fester Partnerschaft, eine Tochter

▶ 1978 Ausbildung zur Krankenschwester am Klinikum Berlin Spandau, dann dort stellv. Stationsleitung

▶ Berufliche Stationen: Stationsleitung am Martin Luther Krankenhaus Berlin, Pflegedienstleitung am St. Gertrauden Krankenhaus Berlin

▶ Ab 1997 Studium der Betriebswirtschaft und ab 2008 Studium Health Management an der Fachhochschule Osnabrück

▶ Zurzeit Pflegedirektorin des Jüdischen Krankenhauses Berlin

▶ Mitarbeit in verschiedenen Gremien, Präsidiumsmitglied im Deutschen Pflegerat (DPR), Kuratorium der Alice Salo-mon Hochschule Berlin

ZUR PERSON

„Ich arbeite gern in der Pflege, weil sie die meisten Schnittstellen zu den Patienten bietet.“