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Book of Abstracts Hexenverhörprotokolle als sprachhistorisches Korpus Donnerstag, den 08.12. bis Samstag, den 10.12.2016 im Warburg-Haus in Hamburg Tagungsorganisation: Lisa Dücker, Johanna Flick, Melitta Gillmann, Ste- fan Hartmann, Renata Szczepaniak, Annika Vieregge

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Book of Abstracts

Hexenverhörprotokolle als sprachhistorisches Korpus

Donnerstag, den 08.12. bis Samstag, den 10.12.2016

im Warburg-Haus in Hamburg

Tagungsorganisation: Lisa Dücker, Johanna Flick, Melitta Gillmann, Ste-fan Hartmann, Renata Szczepaniak, Annika Vieregge

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Automatische Identifikation von Schreibvarianten in frühneuhochdeutschen Hexenverhörprotokollen

Fabian Barteld, Universität Hamburg

Frühneuhochdeutsche Hexenverhörprotokolle sind ein typisches Beispiel für nicht-standardisierte Texte. Als solche weisen sie Eigenschaften auf, die sowohl die manuelle als auch die automatische Auswertung erschweren. Beispiele hier-für sind das regelmäßige Auftreten von Sätzen ohne finites Verb, variierende Getrennt- und Zusammenschreibung (vgl. Barteld et al. 2014) sowie nicht zuletzt Schreibvariation (vgl. Voeste 2008). Letztere wird in der Computerlinguistik üblicherweise mithilfe von Normalisierung behandelt (vgl. u.a. Bollmann et al. 2012, Jurish 2013). Hierbei werden die histo-rischen Schreibformen als Varianten der modernen Standardschreibung aufge-fasst und automatisch auf diese abgebildet. Dadurch wird die Verwendung von für das Neuhochdeutsche existierender Annotationstools ermöglicht und gleich-zeitig werden indirekt Schreibvarianten in den Texten aufgedeckt. Ein solches Verfahren stößt allerdings an seine Grenzen je weiter die historischen Texte von dem als Referenz verwendeten Standard entfernt sind, z.B. durch größeren zeit-lichen Abstand aber auch durch dialektale und textsortenspezifische Merkmale. In meinem Vortrag werde ich eine Alternative zur Normalisierung vorstellen (vgl. Barteld et al. 2015). Hierbei wird Schreibvariation nicht anhand einer standardi-sierten Referenz bestimmt, sondern direkt in den Texten ermittelt. Grundlage hierfür ist die Überlegung, dass Schreibvarianten formal und distributionell ähn-lich sind und daher anhand ihrer Form und ihrer Verteilung in einem Korpus iden-tifiziert werden können. Technisch wird dies mithilfe der Kombination der Ähn-lichkeit zwischen den Zeichensequenzen (vgl. Hathout 2014) und zwischen Vek-torrepräsentationen, die aus einem Korpus abgeleitet werden (vgl. Erk 2012), realisiert. Über Clusteranalysen können dann automatisch Schreibvarianten iden-tifiziert werden (vgl. Acharyya et al. 2008). Das Verfahren ist sprachunabhängig und benötigt lediglich eine tokenisierte Digitalisierung der zur analysierenden Texte. Die Nützlichkeit einer auf formaler und kontextueller Ähnlichkeit basierenden Er-kennung von Schreibvarianten wurde bereits anhand des POS-Taggings (vgl. Logačev et al. 2014, Barteld et al. 2015) und der Lemmatisierung (vgl. Kestemont et al. 2010, Barteld et al. 2016) historischer Texte demonstriert. Neben der Ver-wendung zur Präprozessierung von nicht-standardisierten Texten für die automa-tische Analyse kann das Verfahren auch zur Identifikation von Schreibvarianten für die sprachwissenschaftliche Analyse verwendet werden. Dies soll auf der Ba-sis eines Korpus frühneuhochdeutscher Hexenverhörprotokolle (vgl. Macha et al. 2005, Szczepaniak/ Barteld 2016) demonstriert werden. Literatur Acharyya, S., Negi, S., Subramaniam, L. V., & Roy, S. (2008). Unsupervised

learning of multilingual short message service (SMS) dialect from noisy

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examples. In D. P. Lopresti, S. Roy, K. U. Schulz & L. V. Subramaniam (Hrsg.), Proceedings of the Second Workshop on Analytics for Noisy Un-structured Text Data (AND 2008), S. 67–74.

Barteld, F., Schröder, I., & Zinsmeister, H. (2015). Unsupervised regularization of historical texts for POS tagging. In F. Mambrini, M. Passarotti & C. Sporleder (Hrsg.), Proceedings of the Workshop on Corpus-based Re-search in the Humanities (CRH), S. 3–12.

Barteld, F., Schröder, I., & Zinsmeister, H. (2016). Dealing with word-internal modification and spelling variation in data-driven lemmatization. In N. Reiter, B. Alex & K. A. Zervanou, (Hrsg.), Proceedings of the 10th SIGHUM Workshop on Language Technology for Cultural Heritage, Social Sciences, and Humanities (LaTeCH 2016), S. 52–62.

Barteld, F., Szczepaniak, R., & Zinsmeister, H. (2014): The definition of tokens in relation to words and annotation tasks. In V. Henrich, E. Hinrichs, D. de Kok, P. Osenova & A. Przepiórkowski (Hrsg.), Proceedings of the Thir-teenth International Workshop on Treebanks and Linguistic Theories (TLT13), S. 250–257.

Bollmann, M., Dipper, S., Krasselt, J., & Petran, F. (2012). Manual and semi-automatic normalization of historical spelling—Case studies from Early New High German. In J. Jancsary (Hrsg.), Proceedings of the 11th Confer-ence on Natural Language Processing (KONVENS 2012), LThist 2012 workshop, S. 342–350.

Erk, K. (2012). Vector space models of word meaning and phrase meaning: A survey. Language and Linguistics Compass, 6(10), 635–653.

Hathout, N. (2014). Phonotactics in morphological similarity metrics. Language Sciences, 46, Part A, 71–83.

Jurish, B. (2013). Canonicalizing the Deutsches Textarchiv. In I. Hafemann (Hrsg.), Perspektiven einer corpusbasierten historischen Linguistik und Philologie. Internationale Tagung des Akademienvorhabens „Altägypti-sches Wörterbuch“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wis-senschaften, S. 235–244.

Kestemont, M., Daelemans, W., & Pauw, G. D. (2010). Weigh your words—memory-based lemmatization for Middle Dutch. Literary and Linguistic Computing, 25(3), 287–301.

Logačev, P., Goldschmidt, K., & Demske, U. (2014). POS-tagging historical cor-pora: The case of Early New High German. In V. Henrich, E. Hinrichs, D. de Kok, P. Osenova & A. Przepiórkowski (Hrsg.), Proceedings of the Thir-teenth International Workshop on Treebanks and Linguistic Theories (TLT13), S. 103–112.

Macha, J., Topalović, E., Hille, I., Nolting, U., & Wilke, A. (Hrsg.). (2005). Deut-sche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Berlin und New York: de Gruyter.

Szczepaniak, R. & Barteld, F. (2016). Hexenverhörprotokolle als sprachhistori-sches Korpus. In S. Kwekkeboom & S. Waldenberger (Hrsg.), Perspek-tivWechsel oder: Die Wiederentdeckung der Philologie. Bd. 1 Sprachdaten und Grundlagenforschung in Historischer Linguistik. Berlin: Erich Schmidt Verlag. S. 43–70.

Voeste, A. (2008). Orthographie und Innovation: die Segmentierung des Wortes im 16. Jahrhundert. Hildesheim et al.: Olms.

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Worttrennung und Silbenstruktur im Frühneuhochdeutschen auf der Grundlage von Hexenverhörprotokollen

Javier Caro Reina (Universität zu Köln)

Die Silbifizierung von intervokalischen Konsonanten (VKV) und Konsonanten-clustern (VKKV) ist sprachspezifisch und kann phonologisch bzw. morphologisch bedingt sein. So kann die Silbengrenze in einer Sequenz von Plosiv + Liquid (PL) vor dem Konsonantencluster (.PL) oder zwischen beiden Konsonanten liegen (P.L). Die Silbifizierung .PL entspricht der Onset-Maximierung wie in span. prob-lema ‘Problem’. Der dadurch entstandene Silbenkontakt ist unmar-kiert, da die Silbengrenze unmittelbar vor dem stärksten Segment verläuft. Die Silbifizierung P.L kann phonotaktisch bedingt sein wie in türk. kaplan ‘Tiger’. Dieser Silbenkontakt ist markiert, da die Silbengrenze nicht unmittelbar vor dem stärksten Segment verläuft. Der markierte Silbenkontakt ist insofern phonotaktisch bedingt, als das Türkische Konsonantencluster im Silbenonset nicht zulässt. Das Deutsche hingegen weist sowohl unmarkierte (Problem ) als auch markierte (löblich ) Silbenkontakte auf. Im Ge-gensatz zum Türkischen tragen im Deutschen markierte Silbenkontakte dazu bei, Wort- und Morphemgrenzen hervorzuheben. Die Silbifizierung des Deutschen wurde durch phonologische und psycholinguis-tische Ansätze untersucht. Der phonologische Ansatz beruht auf Introspektion, spezifischen phonologischen Prozessen und phonotaktischen Restriktionen (Wiese 1996). Der psycholinguistische Ansatz geht experimentell vor und hat verschiedene Tests entwickelt. Diese umfassen Trennungs-, Permutations- und Reduplikationstests (Berg & Niemi 2000, Huneke 2002). In der historischen Pho-nologie kann die Silbifizierung früherer Sprachstufen aus Lautwandelprozessen, Metrik und der Worttrennung erschlossen werden (vgl. Murray & Vennemann 1983: 515). Der Zusammenhang zwischen Worttrennung und Silbifizierung wur-de untersucht für das Gotische (Vennemann 1987), Altenglische (Wetzel 1981, Lutz 1986) und Althochdeutsche (Frey 1988). In dem Vortrag wird die Silbifizierung im Frühneuhochdeutschen auf der Grund-lage von Hexenvehörprotokollen ermittelt (Macha et al. 2005). Diese Quelle er-möglicht eine Analyse der Silbifizierung in den verschiedenen Dialektgebieten. Die Analyse wird Faktoren berücksichtigen wie morphologische Information (An-wesenheit vs. Abwesenheit von Morphemgrenzen), Betonung (betonte vs. unbe-tonte Silben) und Silbenkontakt (unmarkiert vs. markiert). Die Ergebnisse werden anschließend mit der Silbifizierung im Althochdeutschen verglichen. Das Früh-neuhochdeutsche unterscheidet sich vom Althochdeutschen durch die Existenz von ambisilbischen Konsonanten (Szczepaniak 2007: 240-247). In Anlehnung an psycholinguistische Untersuchungen wie Derwing (1992) wird die Existenz von ambisilbischen Konsonanten geprüft.

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Literatur Berg, Thomas & Jussi Niemi. 2000. Syllabification in Finnish and German: Onset

filling vs. onset maximization. Journal of Phonetics 28(1). 187-216. Derwing, Bruce L. 1992. A ‘pause-break’ task for eliciting syllable boundary

judgments from literate and illiterate speakers: Preliminary results for five diverse languages. Language and Speech 35(1-2). 219-235.

Frey, Evelyn. 1988. Wortteilung und Silbenstruktur im Althochdeutschen. Mit ei-nem Anhang zur mittelhochdeutschen „Speculum ecclesiae“-Handschrift. München: Universität München.

Huneke, Hans-Werner. 2002. Intuitiver Zugang von Vorschulkindern zum Silben-gelenk – eine Grundlage für die Schärfungsschreibung? In Doris Tophinke und Christa Röber-Siekmeyer (Hg.), Schärfungsschreibung im Fokus. Zur schriftlichen Repräsentation sprachlicher Strukturen im Spannungsfeld von Sprachwissenschaft und Didaktik, 85-104. Baltmannsweiler: Schneider.

Lutz, Angelika. 1986. The syllabic basis of word division in Old English manu-scripts. English Studies 67(3). 193-210.

Macha, Jürgen, Elvira Topalovic, Iris Hille, Uta Nolting & Anja Wilke. 2005. Deut-sche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. Band 1: Auswahledition. Band 2: Kommentierte Bibliographie zur regionalen He-xenforschung. Berlin: de Gruyter.

Murray, Robert W. & Theo Vennemann. 1983. Sound change and syllable struc-ture in Germanic phonology. Language 59(3). 514-528.

Szczepaniak, Renata. 2007. Der phonologisch-typologische Wandel des Deut-schen von einer Silben- zu einer Wortsprache. Berlin: de Gruyter.

Vennemann, Theo. 1987. Muta cum Liquida. Worttrennung und Syllabierung im Gotischen. Mit einem Anhang zur Worttrennung in der Pariser Handschrift der althochdeutschen Isidor-Übersetzung. Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 116(3). 165-204.

Wetzel, Claus-Dieter. 1981. Die Worttrennung am Zeilenende in altenglischen Handschriften. Frankfurt am Main: Lang.

Wiese, Richard. 1996. The Phonology of German. Oxford: Oxford University Press.

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„… Gestehstu zu, daß dein Geist, den du beÿ dier gehabt, Hensel ge-heißen …” Zur Beziehung von Hexe und Teufel anhand der frühneu-zeitlichen Hexenverhörprotokolle aus Grünberg in Niederschlesien.

Jarochna Dąbrowska-Burkhardt, Universität Zielona Góra

Im vorgeschlagenen Vortrag beschäftige ich mich mit den frühneuzeitlichen He-xenverhörprotokollen aus Grünberg in Niederschlesien (heute Zielona Góra/Polen). Das Untersuchungskorpus stellt eine Protokollabschrift mit einem Umfang von 284 Seiten dar, die 1665 vom Grünberger Stadtschreiber angefertigt wurde. Das Schriftstück trägt den Titel: Extract: Protocolli Judicÿ Grünber= gen-sis. ex actis Inqvisitionaliby Proccesii criminali contra Maleficas de annis 1663. 1664. 1665. Im analysierten Manuskript werden wir sowohl mit Protokollauszü-gen als auch mit zusammenfassenden und verkürzten Fassungen von Protokol-len bzw. erlassenen Urteilen sowie mit dem Schriftwechsel mit höheren Instan-zen konfrontiert. Da der vorliegende Extract die einzige bis heute bekannte Quel-le aus den Grünberger Hexenprozessen ist, lässt sich nicht feststellen, inwieweit versucht wurde, bei der Anfertigung dieser Protokollabschrift „Fehler“ sprachli-cher oder inhaltlicher Natur zu beheben. In dem analysierten Schriftstück fällt dem Leser auf den ersten Blick die Aufhebung der ursprünglichen Chronologie mit mehreren zeitlichen Versetzungen auf, bei denen Ereignisse neu strukturiert und thematisch miteinander verknüpft werden. Der vorgeschlagene Vortrag stellt einen Beitrag zur kulturbezogenen Sprachge-schichtsschreibung dar. Im Zentrum meines Interesses befinden sich onomasio-logische Aspekte, die Aufschlüsse über die Hexe-Teufel-Beziehung geben. Im Einzelnen handelt es sich hier in erster Linie um den Teufelspakt bzw. die Teu-felsbuhlschaft, die mit der detaillierten Beschreibung des Aussehens und den Bezeichnungen der an dem Pakt Beteiligten einhergehen und eine gewisse Wi-derspiegelung des volkstümlichen Zauberwissens darstellen. Eingegangen wird dabei sowohl auf den rituellen als auch auf den verbalen Paktschluss der Hexe mit dem Teufel, die in der körperlichen Vereinigung der beiden seinen Kulminati-onspunkt erreicht. Im präsentierten Beitrag wird an exemplarischen Textsegmen-ten aufgezeigt auf welche Art und Weise in den Grünberger Hexenverhörproto-kollen die Teufelsbuhlschaft zum Ausdruck gebracht wird. Im Untersuchungsfo-kus stehen somit Analysen sprachlicher Einheiten, die für die Beschreibung des Teufelspaktes als charakteristisch angesehen werden können. Literatur Biesel, E., „Dann da die Weiber in Betrübnussen / Widerwertigkeit vnnd Küm-

mernussen einfallen“ Gelehrte und volksnahe Vorstellungen von Teufels-pakt und Hexensabbat, [w:] Hexenwahn. Ängste der Neuzeit. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, Berlin, Kronprinzenpalais 3. Mai bis 6. August 2002, red. R. Beier-de-Han, R. Voltmer, F. Irsigler, Wolfratshausen 2002, S. 120-127.

Dąbrowska-Burkhardt, J., Kochanek czarownicy. Semantyczna analiza XVII-wiecznych protokołów z przesłuchań osób posądzanych o czary w mieście

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Grünberg [Zielona Góra]. [w:] Scripta Neophilologica Posnaniensia. Tom 14, Poznań 2014, S. 33-44.

Fischer, C., Zwischen Vision und tradiertem Erzählstoff. Zur Schilderung der Teu-felsbuhlschaft in Hexenverhörprotokollen des 16. und 17. Jahrhunderts. [w:] Historische Soziolinguistik des Deutschen IV. Soziofunktionale Grup-pe – kommunikative Anforderungen – Sprachgebrauch. Internationale Fachtagung Rostock 13.-16.09.1998, red. G. Brandt, Stuttgart 1999, S. 89-102.

Gardt, A., Haß-Zumkehr, U., Roelcke, T. Vorwort. [w:] Sprachgeschichte als Kul-turgeschichte, red. A. Gardt, U. Haß-Zumkehr, T. Roelcke, Berlin, New York, 1999 (=Studia Linguistica Germanica 54).

Hille, I., Der Teufelspakt in frühneuzeitlichen Verhörprotokollen. Standardisierung und Regionalisierung im Frühneuhochdeutschen, Berlin, New York 2009.

Kopaliński, W., Słownik symboli, Warszawa 1990. Kopaliński, W., Słownik mitów i tradycji kultury, Warszawa 1997. Kopaliński, W., Koty w worku czyli z dziejów pojęć i rzeczy, Warszawa 2007. Kramer, H. (Institoris), Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum. Neu aus dem

Lateinischen übertragen von W. Behringer W., G. Jerouschek, W. Tscha-cher, red. G. Jerouschek, W. Behringer (Erstdruck 1486), Neuübersetzung 2000. 9. Auflage, München 2011.

Levack, B. P., Hexenjagd. Die Geschichte der Hexenverfolgungen in Europa. 2. Auflage. München 1999.

Luchtenberg, S., Untersuchung zu Euphemismen in der deutschen Gegenwarts-sprache. Bonn 1975.

Rösler, I., Niederdeutsche Interferenzen und Alternanzen in hochdeutschen Ver-hörprotokollen. Zum Problem des Erschließens gesprochener Sprache aus schriftlich überlieferten Texten. [w:] Gesellschaft, Kommunikation und Sprache Deutschlands in der frühen Neuzeit, red. K. J. Mattheier, H. Nitta, M. Ono, München 1997, S. 187-202.

Topalović, E., Sprachwahl – Textsorte – Dialogstruktur. Zu Verhörprotokollen aus Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts. Trier 2003.

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Die Groß- und Kleinschreibung von Substantivkomposita in frnhd. Hexenverhörprotokollen

Lisa Dücker, Universität Hamburg

Das Frnhd. ist für die Entwicklung der Komposita eine entscheidende Phase: Der Stellungswandel des Genitivattributs von der pränominalen in die postnominale Stellung macht den Weg frei für eine Reanalyse von vorangestellten Substanti-ven als Teil des ehemaligen Bezugsnomens (vgl. Demske 1999, 2001). Kon-struktionen vom Typ des Teufels Tanz werden als eine zusammengehörige Ein-heit reinterpretiert: Sie gehen auf den Teufelstanz. Dies zeigt sich auch in der Orthographie: Substantivkomposita werden zunehmend zusammen-geschrieben; um 1600 ist die Zusammenschreibung in einigen Textsorten bereits zur Regel geworden (vgl. Solling 2012: 284). Außerdem werden im Zuge der Entwicklung der satzinternen Großschreibung nun immer mehr Substantive mit einer Majuskel versehen. Nachdem bisher vor allem pragmatische und textgestalterische Grün-de für die Majuskelsetzung verantwortlich waren, breitet sich die Großschreibung bei Substantiven nun entlang der Belebtheitsskala von menschlich über konkret bis abstrakt aus, bis sie um 1710 für Substantive aus allen Bereichen Werte von mindestens 89% erreicht (vgl. Szczepaniak 2011: 351, Bergmann 1999). Hier stoßen zwei unterschiedliche Entwicklungen aufeinander: Einerseits werden Substantive zunehmend großgeschrieben, andererseits werden aber Komposita, die aus zwei Substantiven bestehen, immer häufiger zusammengeschrieben, da sie zunehmend als eine zusammengehörige Einheit analysiert werden. Am Ende dieser beiden Prozesse liegt die für das Nhd. geltende Schreibungskonvention: Komposita werden seit dem 17. Jh. überwiegend zusammengeschrieben bei Großschreibung des Bestimmungsglieds. Im Gegensatz zur bisherigen Forschung, die sich beinahe ausschließlich mit ge-druckten Texten befasst hat (vgl. aber Moulin 1990), widmet sich der Vortrag nicht der Entwicklung der Komposita in gedruckten Texten, sondern untersucht handschriftliche Hexenverhörprotokolle aus der Zeit um 1600. Durch die Auswei-tung des Quellenmaterials auf handschriftliche Texte soll ein umfassenderer Blick auf die Entwicklung der Großschreibung von Substantivkomposita geschaffen werden. Denn es sind vor allem handschriftliche Texte wie die Hexenverhörpro-tokolle, die spontane Verschriftlichungen mit geringer Planungszeit darstellen, die einen direkten Einblick in den Schreibprozess bieten (vgl. Schutzei-chel/Szczepaniak 2015 und Szczepaniak/Barteld 2016). Nur wenn sowohl ge-druckte als auch handschriftliche Texte betrachtet werden, kann ein umfassen-des Bild Entwicklung der Substantivgroßschreibung geschaffen werden. So zei-gen die bisherigen Untersuchungen, dass die zunehmende Großschreibung von Substantiven in Handschriften später einsetzt und sich langsamer vollzieht als in gedruckten Texten (vgl. Moulin 1990; Scheuringer 1995). Der Vortrag zeichnet die Entwicklungen der Schreibung von Substantivkomposita nach und leuchtet neben der Belebtheit werden auch andere inner- und außer-sprachliche Gründe für Majuskelsetzung und Zusammen- bzw. Getrenntschrei-bung von Substantivkomposita aus. Im Fokus stehen dabei bspw. regionale Va-

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riationen und das Auftreten von Fugenelementen. Dabei wird klar, dass die Ent-wicklung der Komposita hin zu der schriftlichen Form nhd. Substantivkomposita nicht nur später einsetzt und langsamer voranschreitet, sondern sich außerdem lange nicht so einheitlich vollzieht wie in Drucken aus der gleichen Zeit. Neben den Ergebnissen zur Entwicklung der Substantivkomposita stehen zusätz-lich methodische Fragestellungen im Mittelpunkt. Grundlage der Untersuchung ist das Korpus des DFG-Projekts „Entwicklung der satzinternen Großschreibung im Deutschen. Eine korpuslinguistische Studie zum Zusammenspiel kognitiv-semantischer und syntaktischer Faktoren“, das auf den Transkriptionen von Macha et al. (2005) basiert. Zusätzlich zu diesen Transkripten werden Faksimiles der Handschriften herangezogen. Im Zuge dessen werden Fragen der Operatio-nalisierung von Groß- und Kleinschreibung sowie Zusammen- und Getrennt-schreibung in handschriftlichen Texten diskutiert. Literatur Bergmann, Rolf (1999): Zur Herausbildung der deutschen Substantivgroßschrei-

bung. Ergebnisse des Bamberg-Rostocker Projekts. In: Hoffmann, Wal-ter/Macha, Jürgen/Mattheier, Klaus J./Solms, Hans-Joachim/Wegera, Klaus-Peter (Hgg.): Das Frühneuhochdeutsche als sprachgeschichtliche Epoche: Werner Besch zum 70. Geburtstag. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang, 59–80.

Demske, Ulrike (1999): “Case Compounds in the History of German”. In: Butt, Matthias/Fuhrhop, Nanna (Hgg.): Variation und Stabilität in der Wortstruk-tur. Untersuchungen zu Entwicklung, Erwerb und Varietäten des Deut-schen und anderer Sprachen, 150-176. Hildesheim, Zürich & New York: Olms.

Demske, Ulrike (2001): Merkmale und Relationen. Diachrone Studien zur Nomin-alphrase des Deutschen. Berlin, New York: De Gruyter.

Macha, Jürgen/Topalović, Elvira/Hille, Iris/Nolting, Uta/Wilke, Anja (Hgg.) (2005): Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. 2 Bände. Berlin [u. a.]: De Gruyter.

Moulin, Claudine (1990): Der Majuskelgebrauch in Luthers deutschen Briefen (1517 - 1546). Heidelberg: Winter.

Scheuringer, Hermann (1995): Im Rahmen des "Machbaren". Die Rechtschreib-reform vor dem Hintergrund der Rechtschreibgeschichte. In: LernSprache Deutsch 3 (1-2), 61–75.

Schutzeichel, Marc/Szczepaniak, Renata (2015): Die Durchsetzung der satzin-ternen Großschreibung in Norddeutschland am Beispiel der Hexenver-hörprotokolle. In: Hundt, Markus/Lasch, Alexander (Hgg.): Deutsch im Norden. Varietäten den norddeutschen Raums, Bd. 1. Berlin [u.a.]: De Gruyter, 151–167.

Solling, Daniel (2012): Zur Getrennt-, Zusammen- und Bindestrichschreibung von Substantivkomposita im Deutschen (1550 - 1710). Uppsala: Univ. Zugl. Diss. Univ. Uppsala, Schweden, 2012.

Szczepaniak, Renata (2011): Gemeinsame Entwicklungspfade in Spracherwerb und Sprachwandel? Kognitive Grundlagen der onto- und historiogeneti-

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schen Entwicklung der satzinternen Großschreibung. In: Köpcke, Klaus-Michael/Ziegler, Arne (Hgg.): Grammatik – Lehren, Lernen, Verstehen. Zugänge zur Grammatik des Gegenwartsdeutschen, 341–359.

Szczepaniak, Renata/Barteld, Fabian (2016): Hexenverhörprotokolle als sprach-historisches Korpus. In: Kwekkeboom, Sarah/Waldenberger, Sandra (Hrsg.): PerspektivWechsel oder: Die Wiederentdeckung der Philologie. Bd. 1: Sprachdaten und Grundlagenforschung in der Historischen Linguis-tik. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 43–70.

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Tempusgebrauch in den Hexenverhörprotokollen. Zur Dokumentation des Präteritumschwunds im 16./17. Jahrhundert

Hanna Fischer, Universität Marburg

Der Präteritumschwund ist ein zentraler morphosyntaktischer Sprachwandelpro-zess in den deutschen Dialekten, in dem seit mittelhochdeutscher Zeit die analy-tischen Perfektformen (ich bin gegangen) die synthetischen Präteritumformen (ich ging) verdrängen. Wie in Fischer (2016) gezeigt wird, wurde dieser Prozess durch die semantische und funktionale Expansion des Perfekts, die im deutschen Sprachraum areal unterschiedlich verlief, ausgelöst. Mithilfe der diachronen Stu-dien von Lindgren (1957), Dentler (1997) und Sapp (2009) gelingt es, die Pro-zesse im hochdeutschen Sprachraum genauer zu datieren. Für das Niederdeut-sche fehlen solche Studien jedoch, so dass eine gesamtdeutsche Dokumentation des historischen Expansionsprozesses bislang nicht möglich ist. In dem Vortrag werden daher die Ergebnisse einer Studie vorgestellt, in der der Tempusgebrauch in einer Auswahl von Hexenverhörprotokollen untersucht wird. Analysiert wird das in Szczepaniak/Barteld (2016) zusammengestellte Kernkor-pus, das auf die Edition von Macha et al. (2005) zurückgreift. Die Studie hat fol-gende Ziele. Sie soll 1.) den Tempusformengebrauch quantitativ erfassen und hinsichtlich morphologischer und syntaktischen Kriterien (Funktionsklasse, Kon-jugationsklasse, Klammerbildung etc.) auswerten. Die Untersuchung wertet 2.) die semantisch-funktionale Verwendung der Tempusformen (temporal-aspektuelle Bedeutung der Tempusformen, Verteilung nach Diskursmodi und Diskursfunktionen) qualitativ aus und macht 3.) datenbasiert Aussagen zum Grad von Perfektexpansion und Präteritumschwund in den jeweiligen arealen Varietä-ten des 16./17. Jahrhunderts. Die Ergebnisse werden weiterhin in das Gesamt-bild des Präteritumschwunds eingeordnet. Gleichzeitig wird überprüft, inwieweit sich die Textsorte für die Untersuchung solcher morphosyntaktischer Fragestel-lungen eignet. Literatur Dentler, Sigrid (1997): Zur Perfekterneuerung im Mittelhochdeutschen. Die Erwei-

terung des zeitreferentiellen Funktionsbereichs von Perfektfügungen. Göte-borg: Acta Universitatis Gothoburgensis. (= Göteborger germanistische For-schungen. 37).

Fischer, Hanna (2016): Präteritumschwund im Deutschen. Dissertation, Universi-tät Marburg.

Lindgren, Kaj B. (1957): Über den oberdeutschen Präteritumschwund. Helsinki. (= Somalaisen Tiedeakatemian Toimituksia. Sarja-Ser. B Nide-Tom. 122,1).

Macha, Jürgen et al. (2005): Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokol-len der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Berlin/New York: De Gruyter.

Sapp, Christopher D. (2009): Syncope as the cause of Präteritumschwund. New Data from an Early New High German corpus. In: Journal of Germanic Lin-guistics 21/4, 419–450.

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Szczepaniak, Renata/Barteld, Fabian (2016): Hexenverhörprotokolle als sprach-historisches Korpus. In: Kwekkeboom, S./Waldenberger, S. (eds.): Perspek-tivWechsel oder: Die Wiederentdeckung der Philologie. Bd. 1 Sprachdaten und Grundlagenforschung in Historischer Linguistik. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 43–70.

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Orthographische Standardisierung: Sprachgeschichte als Sprachgebrauchsgeschichte

Katrin Fuchs, University of Texas at Austin

Meine Arbeit, Teil eines Dissertationsprojekts zu Standardisierung, beschäftigt sich mit der Standardisierung der orthographischen Realisierung von /d/ > /t/ im geschriebenen Deutschen zwischen 1550 and 1650 in vier westdeutschen Dia-lekten (Ripuarisch, Mose fränkisch, Rheinfränkisch, Schwäbisch). Aufgrund von kulturellen, religiösen und linguistischen Faktoren übernahmen diese Dialekte die im Entstehen begriffene Standardsprache nur zögerlich und wesentlich später als der Süden und Osten des binnendeutschen Sprachraums (Hoffmann 2000: 125). Jedoch zwangen schwerwiegende politische und kulturelle Veränderungen wäh-rend des angegebenen Zeitraums die Dialekte dazu, einige Tendenzen der Standardsprache in ihre Schriftsprache zu integrieren, darunter auch die ortho-graphische Realisierung der Verhärtung von /d/. Dieses phonologische Merkmal entwickelte sich als ein weiteres Ergebnis der zweiten Lautverschiebung (Salmons 2012: 118). Die westmitteldeutschen Dialek-te machten j doch diese Veränderung nie durch, was zu einer Parallelexistenz von gesprochenem /t/ in südlichen und östlichen Dialekten and gesprochenem /d/ in den westlichen Dialekten führte (Ebert et al. 1993: 93). Dieser Unterschied lässt sich auch in den jeweiligen geschriebenen Dialekten feststellen. Das Merk-mal findet sich wortinitial (dochter, NHG Tochter), nach Nasalen (under, NHG unter), nach Liquiden (schulder, NHG Schulter) und gelegentlich innervokalisch (rade, NHG Ratte). Während angenommen wird, dass sich die phonetische Rea-lität des Lautes in diesen Gegenden nicht veränderte, begann sich das geschrie-bene <t> während des 14. Jahrhunderts auszubreiten und wurde schließlich die Standardschreibung in allen Dialekten im Laufe des 17. Jahrhunderts. Ältere Übersichten des Standardisierungsprozesses, wie beispielsweise Stopp (1976), setzen die komplette Durchsetzung des Merkmals an das Ende des 16. Jahrhunderts. Jedoch durch die Benutzung eines Korpus der “mittleren Schrift-lichkeit” (Macha 1993: 161), die Hexenverhörprotokolle (Macha et al. 2005), kann gezeigt werden, dass der Standardisierungsprozess nicht alle Genres und alle sozialen Schichten der Bevölkerung gleichzeitig erreichte. Der Korpus bietet durch einen Blickpunkt auf Sprachgebrauchsgeschichte ein differenzierteres und daher genaueres Bild der Standardisierung der deutschen Schriftsprache. Die Integration von Material aus anderen sozialen Schichten und von anderen Texts-orten zur Bereicherung unseres Verständnisses der deutschen Sprachgeschichte ist Teil der “Sprachgeschichte von unten” (Elspaß 2005), wozu diese Arbeit bei-zutragen hofft. Literatur Ebert, Robert, Reichmann, Oskar, Solms, Hans-Joachim, Wegera, Klaus-Peter.

1993. Frühneuhochdeutsche Grammatik. Tübingen: Niemeyer. Elspass, Stephan. 2005. Sprachgeschichte von unten. Untersuchungen zum ge-

schriebenen Alltagsdeutsch im 19. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer.

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Hoffmann, Walter. 2000. “Rheinische Sprachgeschichte im 16. Jahrhundert“. Rheinisch-Westfälische Sprachgeschichte. Ed. Jürgen Macha, Elmar Neuss, Robert Peters. Köln, Weimar, Wien: Böhlau. 123-138.

Macha, Jürgen. 1993. “Rheinische Sprachverhältnisse im 17. Jahrhundert“. Rheinische Vierteljahrsblätter 57. Bonn/ Berlin: Bouvier. 160 – 175.

Macha, Jürgen, Topalović, Elvira, Hille, Iris, Nolting, Uta, Wilke, Anja. 2005. Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der frühen Neuzeit. Berlin: De Gruyter.

Salmons, Joseph. 2012. A History of German: What the past reveals about to-day´s language. Oxford: Oxford University Press.

Stopp, Hugo. 1976. Schreibsprachwandel: zur grossräumigen Untersuchung frühneuhochdeutscher Schriftlichkeit. München: Vogel.

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Afinite Konstruktionen in frühneuhochdeutschen Hexenverhörprotokollen

Melitta Gillmann, Stefan Hartmann, Renata Szczepaniak,

Universität Hamburg Afinite Konstruktionen, also Sätze, in denen ein finites Hilfsverb (zumeist haben, sein oder werden) ausgelassen wird, wurden bereits mehrfach als Kennzeichen der frühneuhochdeutschen Kanzleisprache identifiziert (vgl. Macha 2003). Dieser Beitrag hat sich auf Grundlage des SiGS-Korpus, das die 56 von Macha et al. (2005) editierten Hexenverhörprotokolle in linguistisch aufbereiteter Form enthält (vgl. Szczepaniak & Barteld 2016), eine schärfere Profilierung der in diesen Tex-ten ausgesprochen frequenten Konstruktion zum Ziel gesetzt. Diese Konstruktion gilt als charakteristisch für Nebensätze (Andersson 2004; vgl. (1)), lässt sich im SiGS-Korpus aber auch in Hauptsätzen nachweisen (2). (1) Sie habe ain Stiffsohn gehabt, der Bastian gehaisßen. (Baden-Baden

1628) (2) Daruber sie In grosse betrubnuß gerathen (Hamm 1592) Als Datengrundlage dient dabei das regional und zeitlich ausbalancierte Kern-korpus, das 18 Hexenverhörprotokolle umfasst. Insbesondere befassen wir uns mit der Frage, ob sich in den Daten diachrone oder diatopische Unterschiede im Gebrauch afiniter Konstruktionen nachweisen lassen, ob bestimmte Verben überzufällig häufig in afiniten Sätzen auftreten. Auch untersuchen wir, ob mög-licherweise die Struktur des jeweiligen Hauptsatzes den Gebrauch afiniter Kon-struktionen beeinflusst: So ließe sich (1) dahingehend interpretieren, dass eine Wiederholung des Hilfsverbs haben vermieden wird. Als aufschlussreich kann sich weiterhin der Vergleich mit dem Gebrauch der Konstruktion in gedruckten Texten erweisen: Gerade bei einer solchen Konstruktion, die auf Kürze und Effi-zienz abzuzielen scheint, scheint es vielversprechend, spontan produzierte handschriftliche Texte mit Drucken zu vergleichen, bei denen von einer deutlich höheren Planungszeit ausgegangen werden kann. Hexenverhörprotokolle als sprachhistorisches Korpus heranzuziehen, kann somit zu einem umfassenderen Verständnis grammatischer Konstruktionen des Frühneuhochdeutschen und ihrer kognitiven Grundlagen beitragen. Literatur Andersson, Sven-Gunnar. 2004. Zu den Kontextfaktoren bei der Weglassung der

temporalen Hilfsverben haben und sein im älteren deutschen Nebensatz. In Beate Lindemann & Ole Letnes (eds.), Diathese, Modalität, Deutsch als Fremdsprache. Festschrift für Oddleif Leirbukt zum 65. Geburtstag, 211–233. Tübingen: Niemeyer.

Bock, Rolf. 1975. Zum Gebrauch der gliedsatzähnlichen Konstruktion “Ersparung der temporalen Hilfsverben haben und sein” in den Flugschriften der Epoche der frühbürgerlichen Revolution. Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 28(1). 560–573.

Macha, Jürgen. 2003. Unvollendetes zu “afiniten Konstruktionen”. Diachronische Skizzen zu einer Erscheinung der Kanzleisyntax. Niederdeutsches Wort 43. 25–36.

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Macha, Jürgen, Elvira Topalović, Iris Hille, Uta Nolting & Anja Wilke (eds.). 2005. Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Auswahledition. Berlin, New York: De Gruyter.

Szczepaniak, Renata & Fabian Barteld. 2016. Hexenverhörprotokolle als sprach-historisches Korpus. In Sarah Kwekkeboom & Sandra Waldenberger (eds.), PerspektivWechsel oder: Die Wiederentdeckung der Philologie. Bd. 1 Sprachdaten und Grundlagenforschung in Historischer Linguistik, 43–70. Berlin: Erich Schmidt Verlag.

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Hexenprotokolle in Übersee: die spanischen Kolonien: (k)ein Abbild europäischer Inquisition?

Und: Können wir aus Zauberformeln neue Erkenntnisse zur diachro-nen Entwicklung des amerikanischen voseo gewinnen?

Karolin Moser

Im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Regionen, stellt die Hexenverfol-gung im Rahmen der spanischen Inquisition, die sich v.a. auf die sogenannten conversos (zum Christentum konvertierte Juden und Muslime) konzentrierte, ein beschränktes Phänomen dar, das sich hauptsächlich im urbanen Raum abspielte (Bennassar 1981). Dies scheint auch für die spanischen Kolonien in Nordamerika (Teile der südlichen USA und Mexiko), Mittelamerika, Südamerika und auf den Philippinen zu gelten. Dennoch unterscheidet sich die Hexenverfolgung in diesen Kolonien ganz we-sentlich von Spanien: so ging es beispielsweise der Inquisition im Vizekönigreich Peru nicht nur um die Bekämpfung der „Hexerei“ (hechicería), sondern auch um die Unterdrückung der Verehrung indianischer Gottheiten durch die autochthone Bevölkerung (Duviols 1977) und um das Verbot afrikanischer Götterkulte, das Kulturgut der afrikanischen Sklaven, die man nach Amerika verschifft hatte (Manarelli 1987). Obwohl die sogenannten hechiceras sowohl indigener, afrikani-scher wie auch spanischer Herkunft waren, also ethnisch gesehen verschiede-nen Ursprung hatten, vereinte sie - fast immer - ihre soziale Herkunft (sie gehör-ten zur untersten Schicht der Kolonialgesellschaft, Manarelli 1987: 8) und auch ihr Lebenswandel. Es handelte sich meist um Frauen, die ein selbstbestimmtes Leben führten, was dem Frauenbild in den spanischen Kolonien widersprach. Dies zeigt z. B. der 1655-1660 in Lima geführte Prozess gegen María de Córdoba, welche die Tatsache, lesen und schreiben zu können, vertuschen musste (Ramis Figueroa 2007)1. Gleiches gilt für das Verfahren gegen 6 Indiane-rinnen und Sklavinnen in der Stadt Tucumán - heute nordwestliches Argentinien - im Jahre 1721 (Garcés 1997) oder den 1761 geführten Prozess gegen die India-nerinnen Lorenza und Pancha (beide des Spanischen nicht mächtig) in Santiago del Estero, heute nördliches Zentrum Argentiniens (González 1998). Dank der fortschreitenden Digitalisierung von Prozessakten des Archivo General de Indias (Sevilla), dem inzwischen auch verschiedene lateinamerikanische Ar-chive und Bibliotheken folgen, kann mit einer gut zugänglichen und aussagekräf-tigen Datengrundlage gearbeitet werden. So soll es im geplanten Beitrag darum gehen, eine Reihe von repräsentativen Hexenprotokollen aus dem Vizekönig-reich Peru makrostrukturell und kontrastiv gegenüber der spanisch-europäischen Texttradition zu betrachten, wobei mikrostrukturell v.a. überlieferte Zauberformeln

1 Im Vizekönigreich Peru bzw. dessen Hauptstadt Lima, Sitz des obersten Gerichtshofes, wurden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 184 Menschen vor das Inquisitionsge-richt gebracht: 120 Männer und 64 Frauen, 49 darunter der Hexerei angeklagt, während nur 11 Männer die gleiche Anklage erhielten (Manarelli 1987: 4-5).

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(z.B. Liebeszauber, vgl. Rodríguez/ Urra/ Insulza 2014) auf die ihnen eigene Dia-log- und Anredestruktur hin beleuchtet werden sollen. Konkret soll bei Zauberformeln, die im Kontext des Christentums, Judentums, indigenen und afrikanischen Religionen zu sehen sind, die Anrede von Gott bzw. Göttern, Heiligen und dem Teufel näher analysiert werden. Speziell soll hierbei der Gebrauch des voseo in der Anrufung und im Imperativ behandelt werden. (Der voseo ist die heute für das amerikanische Spanisch typische verbal-pronominale Anrede in der 2. Personal Singular, sie hat sich im Laufe der Kolonialzeit von einer formellen zur informellen Anredeform entwickelt. Heute ist der voseo in jenen Gebieten erhalten, die weit ab der der Vizekönigreiche Mexiko und Peru bzw. deren Zentren lagen; in Spanien gilt er als ausgestorben, Moser 2010, 2015.) Obwohl uns aus der weitgehend mündlichen Kultur der hechicería meist nur gerichtlich (und somit zensierte, vgl. Macha 2003, 181-182) Sprachzeugnisse erhalten sind, könnten dennoch (oder gerade aus diesem Grunde) interessante Rückschlüsse auf die diachrone Entwicklung des voseo erwartet werden, neben dem tuteo, der zweiten informellen verbal-pronominalen Anredeform im amerikanischen (und europäischen) Spanisch für die 2. Person Singular, die jedoch - registerbezogen und diachron betrachtet – kaum Veränderungen durchlaufen hat. Literatur Bennassar, Bartolomé (1981): Inquisición española: poder político y control so-

cial. Barcelona: Editorial Crítica. Duviols, Pierre (1977): La destrucción de las religiones andinas. Mexiko: Univer-

sidad Nacional Autónoma de México. Garavelli, Hugo (2013): La junta de gobierno del Río de la Plata de mayo de

1810 y el tribunal del Santo Oficio de la Inquisición. In: Revista Cruz de Sur, III, Nr. 4. S. 309-315.

Garcés, Carlos (1997): Brujas y adivinos en Tucumán (siglos XVII y XVIII). San Salvador de Jujuy, Argentinien: Universidad Nacional de Jujuy.

González Rodríguez, Adolfo (1998): Juicio por hechicería en Santiago del Estero 1761. El caso de las indias Lorenza y Pancha. In: Temas Americanistas No. 14. S. 72-90.

Macha, Jürgen (2003): Regionalität und Syntax: Redewiedergabe in frühneu-hochdeutschen Verhörprotokollen. In: Berthele, Raphael/Christen, He-len/Germann, Sibylle/Hove, Ingrid (Hgg.):Die deutsche Schriftsprache und die Regionen. Entstehungsgeschichtliche Fragen in neuer Sicht. Ber-lin/New York: De Gruyter (Studia Linguistica Germanica 65). S. 181-202.

Manarelli, María (1987): Inquisición y mujeres: las hechiceras en el Perú durante el siglo XVII. Lima: Centro de Documentación sobre la mujer.

Moser, Karolin (2010): Las formas de tratamiento verbales-pronominales en Guatemala, El Salvador, Panamá (y Costa Rica): hacia una nueva siste-matización en la periferia centroamericana. In: Hummel, Martin/ Kluge, Bettina/ Vázquez Laslop, María Eugenia (eds.), Formas y fórmulas de tra-tamiento en el mundo hispánico. México: El Colegio de México. Karl-Franzens-Universität Graz. S. 271-291.

Moser, Karolin (2015): Spanish Varieties of Latin America 2: Mexico and Central America. In: Jungbluth, Konstanze/ Da Milano, Federica (Hgg.): Manual of Deixis in Romance Languages. Reihe Manuals of Romance Linguistics,

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Holtus, Günter u. Sánchez Miret, Fernando (Hrsg.). Band 6. Berlin/ Bos-ton: De Gruyter. S. 279-296.

Ramis Figueroa, Lisseth (2007): Magia y hechicería en Lima del siglo XVII. El caso de María de Córdoba. Lima: Staatsexamensarbeit. Pontificia Univer-sidad Católica del Perú.

Rodríguez, José Manuel/ Urra, Natalia/ Insulza, María Fernanda (2014): Un es-tudio de la hechicería amorosa en la Lima virreinal. In: Atenea 509. 1. S. 245-268.

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"... daß sie Niemand verfiehrt." Zum Status der Großschreibung von Pronomina in den Hexenver-

hörprotokollen

Jessica Nowak, Johannes Gutenberg Universität Mainz Besonders aufschlussreich für ein umfassendes Verständnis der satzinternen Großschreibung des Deutschen in ihrer heutigen Ausprägung sind zurückge-nommene Großschreibungstendenzen, denn auch sie liefern weitere Hinweise auf die einzelnen Determinanten und deren Interaktion bei der Etablierung der nominalen Majuskel. Hierher gehört die Großschreibung von (substantivischen) Pronomina wie Nie-mand, Jemand, Jede(r/s) etc., die gemeinhin als Eigentümlichkeit des 19. Jhs. ausgewiesen wird (vgl. Ewald 1995:98; s. auch Tesch 1890, Ewald/Nerius 1990:21). Stichprobenartige Belege aus dem 17. Jh. legen jedoch nahe, dass diese Großschreibungstendenz deutlich früher anzusetzen, und allem Anschein nach nicht regional gebunden ist, vgl. (1)-(4) (Unterstreichung J.N.):

(1) Habe auch Niemandts wed[er] Viech noch leüth vmbgebracht [...] (Baden-Baden 1628) (2) Es solt solt [!] solchs noch Jemand entgeltten der es nit meinete (Werl 1630) (3) Sagt sie, daß sie Niemand verfiehrt. (Eichstätt 1637) (4) [...] hierauff ist eine Jede wider an ihren ort gebracht worden (Crivitz 1642)

Diese ersten, impressionistisch anmutenden Beobachtungen entstammen „He-xenverhörprotokollen“ aus der Edition von Macha et al. (2005) und sollen in die-sem Vortrag durch eine größere Korpusuntersuchung empirisch untermauert werden. Die Dokumentation der Großschreibung substantivischer Pronomina in den „Hexenverhörprotokollen“ nach Raum und Zeit erlaubt es, in einem weiteren Schritt nach den Steuerungsfaktoren für die pronominale Majuskelsetzung zu fragen. Anknüpfend an Ewald (1995:96-98) werden diese einerseits in den Cha-rakteristika der Kategorie „Pronomen“ selbst gesucht („Substantivwort“, Ste-panowa/Helbig 1978:52), andererseits in Anlehnung an das SiGS-Projekt in kog-nitiv-semantischen Kategorien (Belebtheit, Individualität), im Agentivitätsgrad und der syntaktischen Funktion (z.B. Subjekt vs. Objekt). Darüber hinaus wird die Majuskelsetzung in NP-Konstruktionen des Typs [Pronomen+Substantiv] bzw. Pronominalkonstruktionen wie [kein + Nomen] vergleichend hinzugezogen. Literatur Bergmann/Nerius (1998): Die Entwicklung der Großschreibung im Deutschen von

1500 bis 1700, 2 Bände. Heidelberg: Winter. Ewald (1995): Der Eine und der Andere. Zu einer wortartübergreifenden Groß-

schreibungstendenz im 19. Jahrhundert. In: Ewald/Sommerfeldt (eds.): Beiträge zur Schriftlinguistik. FS für Dieter Nerius (= Sprache – System und Tätigkeit 15). Frankfurt a.M. et al.: Lang, 89-101.

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Ewald/Nerius (²1990): Die Groß- und Kleinschreibung im Deutschen. Leipzig: Bibliographisches Institut.

Macha et al. (2005): Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Berlin/New York: de Gruyter.

Rädle (2003): Groß- und Kleinschreibung des Deutschen im 19. Jahrhundert. Die Entwicklung des Regelsystems zwischen Reformierung und Normierung. Heidelberg: Winter.

Schutzeichel/Szczepaniak (2015): Die Durchsetzung der satzinternen Groß-schreibung in Norddeutschland am Beispiel der Hexenverhörprotokolle. In: Hundt, Markus/Lasch, Alexander (eds.): Deutsch im Norden.Varietäten des norddeutschen Raumes im Spiegel der germanistischen Sprachge-schichtsschreibung. (Jahrbuch für germanistische Sprachgeschichte 6). Berlin, Boston: de Gruyter, 151-167.

Stepanowa/Helbig (1978): Wortarten und das Problem der Valenz in der deut-schen Gegenwartssprache. Leipzig: Bibliographisches Institut.

Szczepaniak/Barteld (2016): Hexenverhörprotokolle als sprachhistorisches Kor-pus. In: Kwekkeboom/Waldenberger (eds.): PerspektivWechsel oder: Die Wiederentdeckung der Philologie. Bd. 1 Sprachdaten und Grundlagenfor-schung in Historischer Linguistik. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 43-70.

Tesch (1890): Die Lehre vom Gebrauch der großen Anfangsbuchstaben in den Anweisungen für die neuhochdeutsche Rechtschreibung: Eine Quellen-studie. Neuwied am Rhein/Leipzig: Louis Heuser.

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„Todtes= vnd End=Urtheile“ annotieren und analysieren: Zur digitalen Erschließung von historischen Einblattdrucken

Claudia Resch, Austrian Centre for Digital Humanities, Österreichische

Akademie der Wissenschaften Der eingereichte Themenvorschlag wird zwar keinen Beitrag zur Erforschung bzw. sprach- und kulturhistorischen Verortung der Hexenverhörprotokolle leisten, möchte aber ein kleineres historisches Textkorpus von „Todtes= vnd End=Urtheilen“ vorstellen, das am Austrian Centre for Digital Humanities digital erschlossen wird. In der Annahme, dass bei der digitalen Erschließung dieser Datengrundlage ähnliche periodenspezifische Herausforderungen auftreten wie bei Hexenverhörprotokollen, möchte die Verfasserin diese Austauschplattform nützen, um einerseits einen ersten Einblick in das dort fokussierte Projekt und seine Arbeitsmethoden zu gewinnen und andererseits über die Erfahrungen mit historischen Sprachressourcen wie den für Wien kaum erforschten historischen Todes- und Endurteilen zu berichten. QUELLENVORSTELLUNG „Im Unterschied zum Quellenreichtum anderer euro-päischer Städte verfügt Wien über nur wenige Archivalien zur frühneuzeitlichen Strafjustiz.“2 Umso relevanter erscheint ein Korpus von heute stark in Mitleiden-schaft gezogenen Einblattdrucken: Diese mit Holzschnitten verzierten „Todtes= vnd End=Urtheile“ dienten der Bekanntmachung von Hinrichtungen, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert in Wien vollzogen wurden. Unter Angabe von Alter, Fa-milienstand, Religionszugehörigkeit, Herkunft und Beruf der „Malefikanten“ sowie der Art ihres Vergehens wurden geltende Moral- und Wertvorstellungen (auch in Versform) publikumswirksam verbreitet. QUELLENAUFBEREITUNG Im Rahmen des Vortrags soll der bereits begonne-ne Digitalisierungsprozess skizziert werden. Das Transkriptionsverfahren orien-tiert sich grundsätzlich stark am Austrian Baroque Corpus vgl. https://acdh.oeaw.ac.at/abacus/, das die Verfasserin im vergangenen Jahr publi-ziert hat; auch die verwendeten Standards bei der Kodierung der Texte (TEI P5, STTS) haben sich bewährt und werden aller Voraussicht nach beibehalten. An-hand eines methodischen Beispiels soll gezeigt werden, mit welchen grundle-genden Informationen linguistischer3 (PoS und Lemma) und semantischer Art die transkribierten Volltexte angereichert werden sollen, sodass sie als vielseitige Quellenmaterialien in unterschiedlichen Forschungskontexten dienen können. QUELLENANALYSE Der Vortrag wird erläutern, welche Forschungsfragen sich damit idealerweise beantworten lassen und möchte innerhalb des ExpertInnen-kreises der Tagung grundsätzlich zur Diskussion stellen, welcher Nutzen oder Mehrwert sich aus der digitalen Erschließung des Quellenmaterials und compu- 2 Vgl. Susanne Hehenberger einleitend in der Kriminaldatenbank, vgl. auch: Die beleidigte Ehre GOttes auf das empfind-lichste zu rächen, in allweg gesonnen. In: Scheutz, Martin und Vlasta Va-leš (Hrsg.): Wien und seiner WienerInnen. Ein historischer Streifzug durch Wien über die Jahrhun-derte. Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2008. S. 179-201, hier S. 186. 3 Die linguistische Annotierung etwa ist Voraussetzung, dass man, wenn nach dem Begriff „Urfeh-de“ gesucht wird, auch frühneuhochdeutsche Schreibvarianten wie Urpheidt, Urpheid, Urpheids, Urpheidts und Urpheide finden kann.

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tergestützten Ansätzen ergibt, beziehungsweise prüfen, wie die unterschiedli-chen Fachbereiche von der Verfügbarkeit des zuverlässig aufbereiteten Quel-lenmaterials in digitalem Format profitieren könnten. Dabei hofft die Verfasserin auf Austausch mit den FachkollegInnen und wäre – auch in Hinblick auf die spä-tere Repräsentation der Urteile in einer benutzerfreundlichen Web-Applikation und die generelle Wiederverwendbarkeit von digital aufbereiteten Ressourcen – gespannt zu erfahren, welche konkreten (linguistischen) Fragen bislang an die Korpora der Hexenverhörprotokolle herangetragen worden sind. Literatur Dülmen, Richard van: Theater des Schreckens. Gerichtsspraxis und Strafrituale

in der frühen Neuzeit. München: Beck 1988. Evans, Richard J.: Rituals of Retribution. Capital Punishment in Germany 1600-

1987. New York: Oxford University Press 1996. Hartl, Friedrich: Das Wiener Kriminalgericht. Strafrechtspflege vom Zeitalter der

Aufklärung bis zur österreichischen Revolution. Wien, Köln, Graz: Her-mann Böhlaus Nachf. 1973.

Hinrichs, Erhard und Zastrow, Thomas: Linguistic Annotations for a Diachronic Corpus of German. In: Linguistic Issues in Language Technology, Volume 7, issue 7 (2012), S. 1‐16.

Martschukat, Jürgen: Inszeniertes Töten. Eine Geschichte der Todesstrafe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Köln: Böhlau 2000.

Mörth, Karlheinz; Resch, Claudia; Declerck, Thierry und Czeitschner, Ulrike: Lin-guistic and Semantic Annotion in religious Memento mori Literature. In: Proceedings of LREC´s 2012 Workshop: Language Resources and Eval-uation for Religious Texts (2012), S. 49-52.

Resch, Claudia und Czeitschner, Ulrike: Morphosyntaktische Annotation histori-scher deutscher Texte: Das Austrian Baroque Corpus. In: Digitale Metho-den der Korpusarbeit in Österreich. Ausgewählte Tagungsbeiträge der 40. Österreichischen Linguistiktagung. Hrsg. von Claudia Resch und Wolf-gang U. Dressler. Reihe Linguistik und Kommunikationsforschung. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (in Druck).

Resch, Claudia und Dressler, Wolfgang: Zur Pragmatik der Diminutive in ausge-wählten Erbauungstexten der Barockzeit – Eine korpusbasierte Studie. In: Sprachpragmatik in historischen Bezügen. Hrsg. v. Peter Ernst und Marti-na Werner. Berlin: Akademie Verlag 2015, S. 235-249.

Spierenburg, Pieter: The Spectacle of Suffering. Executions and the evolution of repression: from a preindustrial metropolis to the European experience. London: Cambridge University Press 1984.

Spierenburg, Pieter: Violence and Punishment. Civilizing the Body through Time. Cambridge: Polity Press 2013.

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Zur Sprache der Hexenprozessprotokolle aus Mecklenburg

Irmtraud Rösler, Universität Rostock Die Mehrzahl der Prozesse gegen Zauberei und Hexenunwesen wurde in Meck-lenburg im 16. und 17.Jahrhundert durchgeführt, in einer für Forschungen zur Geschichte der deutschen Sprache und Kommunikation in Mecklenburg beson-ders interessanten Zeit: der schreibsprachlichen Überlagerung des Niederdeut-schen durch das Hochdeutsche, so dass sich in Mecklenburg eine partielle Diglossie ausbildete: Niederdeutsch bleibt bis ins 18. Jahrhundert die Sprechsprache fast aller Bevölkerungsschichten, während in der schriftlichen Kommunikation bald nur noch das Hochdeutsche gilt. Auf der Suche nach geeig-neten Quellen zum Erfassen dieser Situation – Thema meiner Dissertation „Zur Durchsetzung des Hochdeutschen im Schriftverkehr Mecklenburgs“ /Universität Rostock 1981/ - wurde ich im Staatsarchiv Schwerin auf die handschriftlich über-lieferten Hexenprozessprotokolle aufmerksam. Diese Texte erwiesen sich als äußerst inhaltsreich für die zu bearbeitende Problematik, denn die Mehrzahl der Gerichtsverhandlungen, in denen Angehörige der bäuerlichen und städtisch-plebejischen Schichten angeklagt waren, wurde an den Niedergerichten geführt, und die Protokolle dieser Verhandlungen wurden - gemäß den zu beachtenden Rechtsvorschriften der Carolina – an ein Spruchdikasterium gesandt, das über das weitere Vorgehen gegen die Angeklagten zu entscheiden hatte: Folter, Ver-urteilung …. Deshalb sind diese Verhörsprotokolle der Peinlichen Gerichtsbarkeit für linguistische Fragestellungen von großer Bedeutung, denn hier begegnet im-mer wieder pflichtbewusst aufgenommene wörtliche Rede der Verhörenden so-wie der Verhörten. Schwerpunkt des Beitrags werden die soziolinguistisch be-dingten niederdeutschen Interferenzen und Alternanzen in den hochdeutschen Verhörsprotokollen sein. Literatur Lorenz, Sönke: Aktenversendung und Hexenprozeß. Dargestellt am Beispiel der

Juristenfakultäten Rostock und Greifswald (1570/82 – 1630). Band II.1: Die Hexenprozesse in den Rostocker Spruchakten von 1570 bis 1630. In: Peter Lang. Frankfurt am Main 1983.

Rösler, Irmtraud: „Angeklagte bekandt . . . „. Zum Problem von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Beobachtungen an Verhörsprotokollen der mecklenburgi-schen Kanzleien im 16./17.Jh. In: Petra Ewald/Karl-Ernst Sommerfeldt (Hrsg.): Beiträge zur Schriftlinguistik. Frankfurt/Main 1995, S.269 – 276.

Rösler, Irmtraud: „ . . . mit zauberej behafftete persohnen“. Zur Selbst- und Fremddarstellung der wegen Hexerei beschuldigten Personen. In: Gisela Brandt (Hrsg.): Bausteine zu einer Geschichte des weiblichen Sprachge-brauchs. Stuttgart 1996, S.167 – 190.

Rösler, Irmtraud: „Ich soll als eine Zauberinne vorbrandt werden . . . „. Zur Wider-spiegelung populären Zauberwissens in mecklenburgischen Hexenpro-zeßprotokollen und zur Sprachform der Verhörsprotokolle. In: Dieter

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Harmening/Andrea Rudolph (Hrsg.): Hexenverfolgung in Mecklenburg. Regionale und überregionale Aspekte. Dettelbach 1997, S.13 – 30.

Moeller, Katrin/Rösler, Irmtraud: Der Teufel und sein Name. Frühe Zeugnisse für Hexen- und Teufelsglauben in mecklenburgischen Gerichtsakten. In: Christoph Schmitt (Hrsg.): Homo narrans. Göttingen 1999, S.365 – 377.

Rösler, Irmtraud: „ . . . dergleichen malefiz Persohn . . . „. Mecklenburgische Pro-zeßakten als Quellen sprachhistorischer Beobachtungen. In: Andrea Ru-dolph/Marion George (Hrsg.): Hexen. Historische Faktizität und fiktive Bildlichkeit. Dettelbach 2004, S.151 – 158.

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Pragmatische Funktionen des onymischen Artikels in Hexenverhörprotokollen des 16./17. Jhs.

Mirjam Schmuck, Johannes Gutenberg Universität Mainz

Der im Ahd. aufkommende, sich aus ein Demonstrativpronomen entwickelnde Definitartikel hat in der Frühphase seiner Grammatikalisierung noch deiktischen Gehalt und ist pragmatisch gesteuert (vgl. Himmelmann 1997, Szczepaniak 22011:71f.). Dies ist auch für den sich erst im Frühnhd. herausbildenden onymi-schen Artikel bei Personennamen anzunehmen (vgl. die heute noch despektierli-che Bedeutung des Rufnamenartikels im Norddt.). Doch ist über frühe Verwen-dungen bislang wenig bekannt. Zur Analyse des emergierenden onymischen Artikels bilden Hexenverhörprotokolle eine optimale Datengrundlage (vgl. auch Schmuck/Szczepaniak 2014). Zeitlich fallen sie mit der Festwerdung der Famili-ennamen zusammen, enthalten zudem – neben stark formalisierten z.T. in Latein verfassten Teilen – auch dialogische, konzeptionell mündliche Passagen in emo-tional gefärbter Sprache. Frühnhd. Spontansprache (indirekte Rede) enthält v.a. die Gegenüberstellung der Angeklagten mit den Geschädigten (Prozessphase 2 nach Topalović 2003:155-161) und das Zeugenverhör (Phase 3). Hier erscheint der Artikel mit stark denunzierender Funktion bei der Referenz auf die Angeklag-te und ihre vermeidlichen Komplizinnen und kann mit dem Demonstrativprono-men (1a) wechseln. Gleichzeitig ist der Definitartikel in den dialogischen Passa-gen (Redewiedergabe) für die Textsorte Kanzleisprache/Gerichtsprotokolle cha-rakteristisch und dem Zwang zur Explizitheit geschuldet. Aufgrund der z.T. sehr komplexen Dialogstruktur (bis zu drei Textebenen) nutzt der Gerichtsschreiber den Artikel als zusätzliches textdeiktisches Mittel neben dem Personalpronomen zur Referenzerleichterung (Angabe der vorerwähnten Sprecherin/des vorerwähn-ten Sprechers), vgl. (1b+c) aus Flensburg 1608: (1) a. Alse Margaretha Ruthbekes Kranck gewesen hebbe duße Anna kockes sick erbod[en],

Ehr einen Drunck tho geuende b. Segt ok Datt Anna Schwarfes se de Anna kockes geseh[en] hebbt c. Segt ock Datt se vnd Margaretha Supmans Peter Tumbulß dochter Hans Kragelunts

Fruwen in Ehrer Kranckheit vnsinnig gemaket hebbe, Vnd hebb Ehr dEr Annen kockes Margaretha Supmans Schwarte Dinge gedan, Welches se Ehr vnder datt hoeuet ge-legt ~

Die Verwendung des Definitartikels durch den Schreiber selbst spiegelt zudem den Prozessverlauf. Während bei der Erstnennung zur Verlesung der Anklage (Phase 1) noch kein Artikel erscheint, steht dieser dann zumeist beim Schuldein-geständnis der Angeklagten während des Verhörs (Phase 3) bzw. beim wieder-holten (nicht durch Folter erzwungenen) Geständnis (Phase 4). Spätestens bei der Urteilsverkündung und endgültigen Ratifizierung des Geständnisses durch den Ehrbaren Rat (Phase 5) erscheint der Definitartikel als zusätzlicher sprachli-cher Fingerzeig, der in den stark formalisierten Passagen besonders markiert ist und denunzierend wirkt, vgl. (2a-c) aus Flensburg 1608: (2) a. Anno 1608 am 29. Aprilis in Jegenwarth des Konniglichen Stadtvogtes vnd [...] Is Anna

Kockes, Welche tûerien halfen, Deren se lange tidt beruchtiget gewesen, thor gefenck-lichen haft is angenamen word[en]

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b. Duße vorbeschreuene Bekentnuße Is der Anna kockes vor dEm Erbarn Rade ok vp apenem Dinge vorgelesen word[en], Darbi se dan bestendig is gebleuen

c. Hirvp is dorch Einhelligen Votis des Erbarn Rades de Anna kockes condemnert vnd verordeltword[en]

Während in nd. Protokollen mit dem hier noch stark denunzierenden Definitartikel v.a. auf die Angeklagte referiert wird, erscheint er in md. und obd. Protokollen häufiger auch zur Herausstellung der Geschädigten, die zumeist im Dat./Akk. erscheinen, vgl. (3a+b) aus Ellingen 1590: (3) a. Item vor 1 Jar dem Leonhardt Pffefferlein alhier seeligen habe sie vnnd die M[aisterin]

Simoni ein salben vmb d[as] hertz geschmirbt b. Item nechstvergangen wintter seye sie die Alttwurthin vnnd mit Inen Ire buel Teufel

dem Steffan burckh[en] alhier In sein Kam[m]er gefahren Der Beitrag untersucht auf Basis der Edition von Macha et al. (2005) pragmati-sche Funktionen des onymischen Artikels im Hinblick auf die einzelnen Prozess-phasen und mögliche areale Unterschiede. Literatur Bellmann, Günter (1990): Pronomen und Korrektur: Zur Pragmalinguistik der per-

sönlichen Referenzformen. Berlin/New York: de Gruyter. Himmelmann, Nikolaus P. (1997): Deiktikon, Artikel, Nominalphrase. Zur

Emergenz syntaktischer Struktur. Tübingen: Narr. Lyons, Christopher (1999): Definiteness. Cambridge: Cambridge University

Press. Macha Jürgen et al. (2005): Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen

der Frühen Neuzeit. Berlin/New York: De Gruyter. Oubouzar, Erika (1992): Zur Ausbildung des bestimmten Artikels im Althochdeut-

schen. In: Desportes, Yvonne (Hrsg.): Althochdeutsch. Syntax und Semantik. Akten des Lyonner Kolloquiums zur Syntax und Semantik des Althochdeut-schen. Lyon: Université Jean Moulin III, 69-87.

Schmuck, Mirjam & Szczepaniak, Renata (2014): Der Gebrauch des Definitarti-kels vor Familien- und Rufnamen im Frühneuhochdeutschen aus grammati-kalisierungstheoretischer Perspektive. In: Debus, Friedhelm/Heuser, Rita & Nübling, Damaris (Hrsg.): Linguistik der Familiennamen. Hildesheim et al.: Olms (Germanistische Linguistik), 97-137.

Schlachter, Eva (2015): Zur Grammatikalisierung des definiten Artikels im Alt-hochdeutschen. In: Pasques, Delphine (Hrsg.): Komplexität und Emergenz in der deutschen Syntax (9.-17. Jahrhundert). Akten zum Internationalen Kon-gress an der Universität Paris-Sorbonne vom 26. bis 28.09.2013 (Berliner Sprachwissenschaftliche Studien 30). Berlin: Weidler Buchverlag, 161-185.

Szczepaniak, Renata (22011): Grammatikalisierung im Deutschen. Eine Einfüh-rung. Tübingen: Narr.

Szczepaniak, Renata & Flick, Johanna (2015): Zwischen Explizitheit und Öko-nomie - Der emergierende Definitartikel in der althochdeutschen Isidor-Übersetzung. In: Pasques, Delphine (Hrsg.): Komplexität und Emergenz in der deutschen Syntax (9.-17. Jahrhundert). Akten zum Internationalen Kon-gress an der Universität Paris-Sorbonne vom 26. bis 28.09.2013. Berlin: Weidler Buchverlag, 187-206.

Topalović, Elvira (2003): Sprachwahl – Textsorte – Dialogstruktur. Zu Verhörpro-tokollen aus Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts. Trier: Wissenschaftli-cher Verlag Trier.

Werth, Alexander (2014): Die Funktionen des Artikels bei Personennamen im norddeutschen Sprachraum. In: Debus, Friedhelm/Heuser, Rita & Nübling,

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Damaris (Hrsg.): Linguistik der Familiennamen, Hildesheim et al.: Olms (Germanistische Linguistik. 225-227), 139-174.

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Regionale Schreibsprachen und überregionale Normierungen – gra-phematische Analyse phonologischer Quantitäten in frühneuhoch-

deutschen Hexenverhörprotokollen

André Schönherr, Universität Marburg

Seit der Bereitstellung eines beachtlichen Textkorpus an Hexenverhörprotokollen durch Jürgen Macha und Kollegen (Macha et al. 2005, Topalović et al. 2007), sind verschiedene wissenschaftliche Publikationen aus den Auswahleditionen hervorgegangen Diese haben sich verschiedenen linguistischen Themenberei-chen gewidmet, etwa der Semantik, Wortbildung oder auch der Morphosyntax (vgl.Macha 2003, Hille 2006, Nolting 2009, Werth 2015). Wenig wurde das Kor-pus hingegen für historisch-graphematische Arbeiten genutzt (vgl. aber Schutzei-chel/Szczepaniak 2015). Ein Augenmerk der historischen Graphematik liegt hier-bei auf der Rekonstruktion von Graphie-Laut-Zuordnungen einer vergangenen Sprachstufe. In jüngster Zeit konnten durch diese Teildisziplin der Sprachwissen-schaft neue Erkenntnisse im Bereich der Lautentwicklung des Deutschen ge-wonnen werden (vgl. Schmidt 2015). Im Hinblick auf die scheinbare Nähe von Schriftlichkeit und Mündlichkeit inner-halb der Hexenverhörprotokolle bietet das Korpus die besten Voraussetzungen für eine graphematische Analyse, welche sich an dieser Stelle zunächst auf pho-nologische Quantität beschränken soll. Das Hauptproblem bei der Interpretation von Vokaldehnungen liegt in erster Linie in der fehlenden oder uneindeutigen graphischen Markierung von Vokalgraphemen (vgl. Elmentaler 2003, S.20ff.). Wie für andere historische Stufen des Deutschen lässt sich auch für das Früh-neuhochdeutsche eine mangelhafte und inkonsequente graphische Markierung vokalischer Quantitäten feststellen. Dennoch können verschiedene Typen der Vokaldehnung für das Frühneuhochdeutsche festgelegt werden, welche sich auch innerhalb der Hexenverhörprotokolle wiederfinden (vgl. Reichmann et al. 1993, S. 35). Ich möchte in diesem Vortrag Ergebnisse einer EDV-gestützten Korpusanalyse vorstellen, die zeigen, inwieweit sich innerhalb der frühneuhochdeutschen Kanz-leisprachen areal determinierte Differenzen in der graphematischen Realisierung von vokalischer Länge nachweisen lassen. Hierfür wurden Sprachräume ausge-wählt, welche sprachgeographisch dem heutigen Westfälischen und Ostfränki-schen entsprechen. Zur Auswahl dieser beiden Sprachräume führte zum einen die hohe Anzahl der Protokolle innerhalb der Gebiete, zum anderen spielten dia-lektale und sprachhistorische Gründe eine Rolle Ich werde darlegen, welche gra-phischen Markierungen für vokalische Länge sich innerhalb der Hexenverhörpro-tokolle von diesen zwei verschiedenen Sprachlandschaften ausmachen lassen. Das Ergebnis zeigt auf, welche Dehnungsgraphien einer regionalsprachlichen Schreibsprache entsprechen und welche bereits eine überregionale Norm in Hin-blick auf die Literarität aufweisen. Des Weiteren soll der Versuch unternommen

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werden, Erklärungsansätze dafür zu liefern, warum einige Dehnungsgraphien regionalspezifische Differenzen aufweisen und andere wiederum nicht. Literatur Elmentaler, Michael (2003): Struktur und Wandel vormoderner Schreibsprachen,

Berlin: de Gruyter (=Studia Linguistic Germanica 71). Hille, Iris (2009): Der Teufelspakt in frühneuzeitlichen Verhörprotokollen, Stan-

dardisierung und Regionalisierung im Frühneuhochdeutschen, Berlin/New York: De Gruyter (=Studia Linguistica Germanica 100).

Macha et al (2005)= Macha, Jürgen/Topalović, Elvira/Hille, Iris/Nolting, Uta/ Wil-ke, Anja (2005): Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Auswahleditionen, Berlin/New York: de Gruyter.

Macha, Jürgen(2003): Regionalität und Syntax: Redewiedergabe in frühneu-hochdeutschen Verhörprotokollen, in: Raphael Berthele, Helen Christen, Sibylle Germann, Ingrid Hove (Hrsg.): Die deutsche Schriftsprache und die Regionen, Entstehungsgesschichtliche Fragen in neuer Sicht, Ber-lin/New York: de Gruyter(= Studia Linguistica Germanica 65), S. 181-202.

Reichmann et al. (1993)= Ebert, Robert Peter/Reichmann, Oskar/Solms, Hans-Joachim/Wegera, Klaus-Peter (1994): Frühneuhochdeutsche Grammatik, Tübingen: Niemeyer, (=Sammlung kurzer Grammatiken Germanischer Di-alekte, A. Hauptreihe Nr. 12)

Schmidt, Jürgen Erich (2015): Historisches Westdeutsch und Hochdeutsch: Der Ein-Schritt-Wandel des Langvokalismus, Erscheint in: Sprachwissenschaft 40, Heft 3, Heidelberg: Winter.

Schutzeichel, Marc/Szczepaniak Renata (2015): Die Durchsetzung der satzinter-nen Großschreibung in Norddeutschland am Beispiel der Hexenverhörpro-tokolle, in: Hundt, Markus/LASCH, Alexander: Deutsch im Norden. Varie-täten des norddeutschen Raumes im Spiegel der germanistischen Sprachgeschichtsschreibung. (Jahrbuch für germanistische Sprachge-schichte 6). Berlin, Boston: de Gruyter.

Werth, Alexander (2015.): Gretie Dwengers, genannt die Dwengersche. Formale und funktionale Aspekte morphologischer Sexusmarkierung (Movierung) in norddeutschen Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. In: Nieder-deutsches Jahrbuch 138, 53-75.

Wilke, Anja (2006): Redewiedergabe in frühneuzeitlichen Hexenprozessakten, Ein Beitrag zur Geschichte der Modusverwendung im Deutschen, Ber-lin/New York: de Gruyter, (=Studia Linguistica Germanica 83).

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Stimmen der Angeklagten – Strategien der Notare? Zur Entzifferung des Mediums “Hexenprozessakte”

Rita Voltmer, Universität Trier

Unbestritten gelten die an lokalen Gerichten entstandenen Akten als wichtigste Quellengrundlage der Kriminalitäts- und Hexenforschung, aber auch der Emoti-ons- wie Genderforschung. Im Vortrag wird nach den Entstehungskontexten, den Erkenntnismöglichkeiten, nach den Grenzen des historischen Aussagewerts der im Rahmen von Gerichtsbarkeit produzierten Textsorten gefragt auf der Grundla-ge neuester Forschungen. In meinem 2015 erschienenen Aufsatz „Stimmen der Frauen“ wurde bereits darauf hingewiesen, dass Lektüre und Decodierung sol-cher Texte seit dem linguistic, dem cultural und zuletzt dem neuronal turn eine zentrale Stellung zukommt. Sowohl die Erzählforschung – seit den 1950er Jah-ren Narratologie (narratology) genannt – als auch die den Spuren von Mündlich-keit nachspürende Historische Pragmatik (historical pragmatic) schenken den im Umfeld von Justiz, Jurisprudenz und Rechtssetzung gemachten Sprechakten, den Diskursen, narratives, stories und tales intensive Aufmerksamkeit. Der Vor-trag wird sich gleichfalls stützen auf die in der sprachwissenschaftlichen deut-schen Forschung (insbesondere von Jürgen Macha, Iris Hille oder Elvira Topalo-vics) gemachten Ergebnisse, nach denen das, was sich dem interpretierenden Blick in den Akten präsentiert, bis auf wenige Ausnahmen das Ergebnis einer schreibergeleiteten, rechtsformalen Transformation der mündlich-kommunikativen Aktionen in einen organisierten Schreibtext ist, bei dem aus der fluiden Mündlichkeit des Verfahrens ein stabilisierter Text mit einer spezifischen, gerichtsrelevanten Funktion wird. In vergleichender, auf Europa und seine Kolonien bezogener Perspektive wird der Vortrag folgende Punkte thematisieren:

1. Es wird ein Überlick gegeben zum Umgang der internationalen Kriminali-täts- und Hexenforschung sowie der Kulturwissenschaften mit dem ein-schlägigen Aktenmaterial.

2. Es wird anhand exemplarischer Quellenauszüge gezeigt, wie mit Voran-nahmen, Zuschreibungen und Narrativen das Delikt der “Hexerei” und die Figur der “Hexe” konstruiert werden. Dabei werden regionale, konfessio-nelle und verfahrenstechnische Unterschiede in Europa (zum Beispiel bei norwegischen Hexenprozesskaten) und seinen transatlantischen Kolonien (zum Beispiel in den Hexenprozessen von Salem) berücksichtigt. In die Analyse einbezogen werden ebenfalls unterschiedliche Perspektiven, wel-che aus dem lokalen Aktenmaterial und dem übergeordneteer Gerichtsbe-hörden (zum Beispiel Reichskammergericht) entgegen treten.

Literatur Archer, Dawn: „‚Can innocent people be guilty?‘: A sociopragmatic analy-

sis of examination transcripts from the Salem witchcraft trials“, in: Journal of Historical Pragmatics 3:1 (2002), S. 1-29.

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Brooks, Peter: „Narrative in and of the Law“, in: Phelan, James/Rabinowitz, Peter J. (Hg.): A companion to Narrative Theory, Oxford 2005, S. 415-426.

Fludernik, Monika: „A Narratology of the Law? Narratives in Legal Dis-course“, in: Critical Analysis of Law and the New Interdisciplinarity 1/1 (2014), S. 89-109.

Hagenthurn, Endre: ... aufs fleißigste zur Papier zubringen. Zur Sprache von Hexerei-Prozessakten aus dem frühneuzeitlichen Schäß-burg/Siebenbürgen, Münster 2005.

Hille, Iris: Der Teufelspakt in frühneuzeitlichen Verhörprotokollen. Stan-dardisierung und Regionalisierung im Frühneuhochdeutschen, Ber-lin/New York 2009.

Hiltunen, Risto/Peikola, Matti: „Trial discourse and manuscript context. Scribal profiles in the salem witchcraft records“, in: Journal of Histor-ical Pragmatics 8:1 (2007), S. 43-68.

Macha, Jürgen u.a. (Hg.), Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörproto-kollen der Frühen Neuzeit, 2 Bde., Berlin/New York 2005.

Macha, Jürgen: „Ein erfundenes Hexereiverhör: Zu Caput V. der Instruc-tion des Heinrich Schultheiß (1634)“, in: Moeller, Katrin/Schmidt, Burghardt (Hg.): Realität und Mythos. Hexenverfolgung und Rezep-tionsgeschichte, Hamburg 2003, S. 24-32.

Nolting, Ute: „‚Ich habe nein toueren gelernet.‘ Mindener Hexenverhörpro-tokolle von 1614. Zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlich-keit in Verhörprotokollen“, in: Niederdeutsches Wort. Beiträge zur niederdeutschen Philologie 42 (2002), S. 55-116.

Stegmann, Kurt: ‚Die gefangene leugknet alles.‘ Untersuchungen zu Ent-stehungsbedingungen und Ausprägungen frühneuzeitlicher Hexen-verhörprotokollen, Münster 2006.

Topalović, Elvira: Sprachwahl – Textsorte – Dialogstruktur. Zu Verhörpro-tokollen aus Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts, Trier 2003.

Voltmer, Rita, Stimmen der Frauen? Gerichtsakten und Gender studies am Beispiel der Hexenforschung, in: Frauen Männer Queer. Ansät-ze und Perspektiven aus der historischen Genderforschung, hg. v. Anne Conrad, Johanne E. Blume u. Jennifer J* Moos, St. Ingbert 2015, S. 19-66.

Voltmer, Rita/Kobayashi, Shigeko: „Supplikationen und Hexereiverfahren im Westen des Alten Reiches – Stand und Perspektiven der For-schung“, in: Kurtrierisches Jahrbuch 51 (2011), S. 247-269.

Voltmer, Rita: „Behind the ‚Veil of memory‘: About the Limitations of Narra-tives“, in: Magic, Ritual and Witchcraft 5 (2010), S. 96-102.

Wilke, Anja: Redewiedergabe in frühneuzeitlichen Hexenprozessakten. Ein Beitrag zur Geschichte der Modusverwendung im Deutschen, Berlin/New York 2006.

Willumsen, Liv Helene: Witches of the North. Scotland and Finnmark, Lei-den 2013.

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Zaubersch oder Zauberin? Zur Nominalderivation in Hexenverhörprotokollen des Herzogtums

Luxemburg

Britta Weimann, Universität Luxemburg

Für eine Wortbildungsanalyse bieten Hexenverhörprotokolle vergleichsweise viele Belege für Verbalabstrakta (erkentnis), aber auch für Bildungstypen, die in anderen Quellen nur spärlich belegt sind, wie Movierungen (zaubersch) oder Diminutive (dupgen). Dazu kommt ihre Mischung von überregional-hochdeutschen und regional-moselfränkischen Sprachmerkmalen, die in Luxem-burg gleichzeitig Vorboten einer im 19. Jh. neu einsetzenden moselfränkischen Schriftlichkeit sind. Aus diesen Anfängen entwickelt sich schließlich das Luxem-burgische, das im Laufe des 20. Jahrhunderts in einen eigenen Standardisie-rungsprozess eintritt, der bis heute andauert. In der Nominalderivation spiegelt sich das Nebeneinander von Regionalität und Überregionalität in einem Nebeneinander von Affixen und Affixvarianten wie -nus und -nis (1) wider, während die Suffixe -in und -esch (2) auch im heutigen Lu-xemburgischen konkurrieren. Der Beitrag untersucht die Verteilung dieser Affixe und Affixvarianten und vergleicht sie mit den Verhältnissen im Deutschen und Luxemburgischen. (1) gefenghnus (Koerich 1653) gefencknis (Hamm 1590) erkhentnuss (Hamm 1592) erkentnis (Hamm 1590) (2) zauberin (Hamm 1592) zaubersch, zauberß (Hamm 1592) Der Vortrag steht in Zusammenhang mit dem Projekt „Die Wortbildung des mo-selfränkisch-luxemburgischen Raumes (WBLUX)“, das die explizite Nominalderi-vation des Luxemburgischen und seiner historischen Vorgängervarietäten an-hand eines Quellenkorpus des 13. Jahrhunderts bis zur Gegenwart erforscht. Hexenverhörprotokolle aus Echternach, Koerich sowie Hamm und Neuerburg (beide heute Deutschland) sind Teil des WBLUX-Korpus. Die Protokolle liegen in elektronischer Form in Transkription von Rita Voltmer (Trier) vor.

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allß er uff den Markht zum Bronnen khommen – Variation und Kon-stanz klitischer Formen (und ihrer Vollformen) in Hexenverhörproto-

kollen der Frühen Neuzeit

Alexander Werth, Universität Marburg Während der Gegensatz von klitisierten Formen und Vollformen, etwa bei der Präposition-Artikel-Enklise und der Klitisierung von Subjekt- und Objektpronomi-na, für das Neuhochdeutsche bereits gut dokumentiert und analysiert ist (z. B. in Wiese 1988 und Nübling 2005), fehlt es diesbezüglich an Studien zu den histori-schen Zeitstufen des Deutschen. Den wenigen vorliegenden Arbeiten (Somers Wicka 2009, Waldenberger 2009, Steffens 2010 et seq., Christiansen 2016) ist hier allgemein zu entnehmen, dass die Klitisierung historisch meist weniger stark, teils aber auch weiter vorangeschritten war, als es im heutigen Deutschen der Fall ist. Linguistisch interessant ist das Thema insofern, als im Deutschen ein Zusammenspiel von prosodisch-phonologischen, morphologischen und semanti-schen Faktoren für den Gebrauch verantwortlich ist. Hinzu kommt aus theoreti-scher Perspektive, dass mit dem Gegensatz von Klitikon und Vollform ein Non-Isomorphismus von Phonologie und Morphologie/Syntax verbunden ist, der in einschlägigen Arbeiten über die prosodische Schnittstellendomäne „Phonologi-sches Wort“ modelliert wird (z. B. in Peperkamp 1996). Aus variationslinguisti-scher Perspektive bietet das Phänomen schließlich insofern einen interessanten Zugang, als Befunde, z. B. in Nübling (1992), Weiß (1998) und Schiering (2005), zeigen, dass in der gesprochenen Sprache klitische Formen allgemein häufiger gebraucht werden als in der geschriebenen Sprache und in manchen Regional-sprachen häufiger als in anderen und als im gesprochenen Standard. Ich möchte diese Überlegungen zum Forschungsstand als Ausgangspunkt neh-men und im Vortrag den Stand der Klitisierung in frühneuhochdeutschen Hexen-verhörprotokollen dokumentieren und analysieren. Hierbei konzentriere ich mich auf eine exhaustive Analyse aller klitisierten Formen (und ihrer korrespondieren-den Vollformen) von Präposition und Artikel sowie des Pronomens es im elektro-nischen Korpus frühneuhochdeutscher Hexenverhörprotokolle (Topalović et al. 2007). Aus linguistischer Perspektive interessieren mich Typen, Frequenzen und Steuerungsfaktoren der Klise. Zudem gilt es, idiolektale, regionale und textuelle Faktoren in den Blick zu nehmen. So ist zu fragen, inwiefern es im Korpus indivi-duelle oder regional determinierte Präferenzen für den Gebrauch von Klitika gibt. Zudem soll untersucht werden, inwiefern sich innerhalb der Protokolle generali-sierbare Textabschnitte identifizieren lassen, in denen Klitika allgemein häufig verwendet werden. Der letzt genannte Aspekt kann dann auch möglicherweise Aufschluss darüber geben, als wie konzeptionell nähesprachlich die Hexenproto-kolle (oder Teile der Protokolle) einzuordnen sind; dies vor dem Hintergrund, dass deren Nähesprachlichkeit in der Forschung wiederkehrend diskutiert wurde (z. B. von Rösler 1997 und Macha 2005).

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Literatur Christiansen, M. (2016): Von der Phonologie in die Morphologie: Diachrone Stu-

dien zur Präposition-Artikel-Enklise im Deutschen. Hildesheim u. a.: Olms. Macha, J. (2005): Redewiedergabe in Verhörprotokollen und der Hintergrund

gesprochener Sprache. In: Bayerische Dialektologie. Akten der Internatio-nalen Dialektologischen Konferenz 26.–28. Februar 2002. Hrsg. von Sabi-ne Krämer-Neubert und Norbert Richard Wolf. Heidelberg, 171–178.

Nübling, D. (1992): Klitika im Deutschen. Tübingen: Narr. Nübling, D. (2005): Von in die über in’n und ins bis im. Die Klitisierung von Prä-

position und Artikel als „Grammatikalisierungsbaustelle“ In T. Leuschner et al (Hg.) Grammatikalisierung im Deutschen. Berlin. de Gruyter, 105–131.

Peperkamp, S. (1996): On the Prosodic Representation of Clitics. In U. Kleinhenz (Hg.) Interfaces in Phonology. Berlin. Akademie Verlag 102–127.

Rösler, I. (1997): Niederdeutsche Inferenzen und Alternanzen in hochdeutschen Verhörsprotokollen. In: K. J. Mattheier, H. Nitta und M. Ono (Hg.): Gesell-schaft, Kommunikation und Sprache Deutschlands in der frühen Neuzeit. München, 187–202.

Schiering, R. (2005): Flektierte Präpositionen im Deutschen? Neue Evidenz aus dem Ruhrgebiet. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 72, 52–79.

Somers Wicka, K. (2009): From Phonology to Syntax: Pronominal Clitization in Otfrid’s Evangelienbuch: Tübingen: Niemeyer. Steffens, Rudolf (2010): Zur Diachronie der Präposition-Artikel-Enklise. Evidenz aus Flurnamen. In: Beiträge zur Namenforschung 45, 245–292.

Topalović, E., I. Hille und J. Macha (Hg.) (2007): Münstersches txt-Korpus: He-xenverhörprotokolle. Universität Münster (CD-ROM).

Waldenberger, S. (2009): Präpositionen und Präpositionalphrasen im Mittelhoch-deutschen. Tübingen: Niemeyer.

Weiß, H. (1998): Syntax des Bairischen. Studien zur Grammatik einer natürlichen Sprache. Tübingen: Niemeyer.

Wiese, R. (1988): Silbische und lexikalische Phonologie. Tübingen. Niemeyer.