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Charité – Universitätsmedizin BerlinKlinik für Psychiatrie und Psychotherapie
www.charite.de/psychiatrie
Dr. med. Meryam [email protected]
(Klinikdirektor: Prof. Dr. med. Andreas Heinz) Depression und Migration
Depression hat viele Gesichter
20.08.2008Steinfurt
Charité – Universitätsmedizin BerlinKlinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Mikrozensus 2005
erfasst erstmals den Migrationshintergrund
der Bevölkerung und zählt
81% Deutsche ohne Migrationshintergrund
10 % Deutsche mit Migrationshintergrund
9 % Ausländer/innen
18,6 % der Gesamtbevölkerung mit
Migrationshintergrund
27,2 % der Kinder und Jugendlichen (< 25 Jahre) „mit Migrationshintergrund“
Charité – Universitätsmedizin BerlinKlinik für Psychiatrie und Psychotherapie
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Unveröffentlichte Daten des Statistischen Bundesamtes(der Tagesspiegel, 14.08.2006)
Menschen mit Migrationshintergrund: Zugewanderte deren Kinder Kinder derjenigen, die als Ausländer in Deutschland geboren
wurden
Berlin
o 23,45 %
o 40,7 % unter 18 Jährige
Hamburg
o 26,8 %
o 45,82 % unter 18 Jährige
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Migrationsprozess nach C. E. Sluzki
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Phase der Dekompensation(im Durchschnitt nach ca. 7 Jahren)
Suchterkrankungen 6,7 JahreSchizophrenie 6,9 JahreAffektive Störungen 8,9 JahreNeurotische Störungen, somatoforme Störungen und
Belastungsstörungen nach mehr als 9 Jahre
(HAASEN 2002)
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Belastende Faktoren
EinsamkeitHeimwehStatusverlustSprachliche ProblemeAufenthaltsstatusArbeitslosigkeitÖkonomische Unsicherheit Offener und latenter RassismusDissonanzen zwischen Normen und Werten
der Herkunftsgesellschaft
der Aufnahmegesellschaft
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Protektive Faktoren
o Starker Glaube (Religion, aber auch andere Ideologien) schützt vor psychischer Störung
o Tradition: sowohl protektiver (Identitätsstiftung) als auch Risikofaktor (mangelnde Integration: Segregation)
o Einfluss der Familien: stärkster protektiver Faktor, aber hohe emotionale Belastung und mangelnde Integration
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„Heimwehkrankheit“ (Johannes Hofer 1688)
„Wenn nun solche, obgleich gut erzogene Kinder,
unter andere Nationen kommen, so können sie sich
an keine fremden Sitten und Lebensarten gewöhnen,
noch der mütterlichen Pflege vergessen: sie sind
furchtsam und ergötzen sich nur an dem süßen
Gedanken vom Vaterlande, bis sie mit Widerwillen
gegen das fremde Land erfüllt, oder unter mancher-
lei Unbequemlichkeit leidend, Tag und Nacht an die
Rückkehr ins Vaterland denken und, daran gehindert,
erkranken.“
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WHO Internationale Depressionsstudie(Basel, Montreal, Nagasaki, Teheran, Tokio (N=573 Pat.)
In allen Zentren häufig:TraurigkeitFreudlosigkeitAngstSpannungEnergieverlustInteressenverlustKonzentrationsschwierigkeitenMinderwertigkeitsgefühl
In den Zentren unterschiedlich:Schuldgefühle ( Schweiz 68%, Iran 32%)Somatische Symptome (Iran 57%, Kanada 27%)Suizidgedanken (Kanada 70%, Japan 40%)
(Sartorius et al. 1980)
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Kulturspezifische Aspekte der Depression
Kraepelin 1903 (Indonesien): schwere Depressionen mit Schuldvorwürfen und Verarmungswahn fehlen
Depressionen sind kulturell unterschiedlich ausgeformt:
versteckte depressive Symptome (leibnahe Depression)
europäischer Kulturkreis häufiger schwerer Verlauf, eine ausgeprägte psychische Symptomatik, mit Suizidtendenzen
in Entwicklungsländern häufiger vegetativ-körperliche Symptomatik
(Pfeiffer 1995)
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„Idioms of distress“lokaltypische Symptommuster
oHwa-Byung (Korea): epigastrisches Brennen und weitere Körpersymptome verbunden mit Wut (Feuerkrankheit)
oTürkei: Überlappung verschiedener Symptome: neben typisch depressiven Symptomen wie Interesseverlust, Schlafstörung, Vergesslichkeit Auftreten auch von hoher Reizbarkeit, geringer Kontrolle aggressiver Affekte und psychogene (Krampf)anfälle (Krisen)oZ. B. Sιkιntι : Druck- oder Spannungsgefühl in derBrustregion, innere Unruhe, Langeweile, allgemeines Unwohlsein; verstimmt u. / o. gereizt sein
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Depression und Sprache
breite kulturelle Unterschiede:
oft existieren keine Begriffe für Depression –Behelf mit Organen für Emotionen
z. B. Hati kecil (Indonesien): Leber klein, entspricht „verzagt“ Hati besar (Indonesien): Leber groß, entspricht „freudig“
(Pfeiffer 1995)
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„Einverständnis im Mißverständnis“
in der Arzt-Patient-Beziehung (Brucks)
"Herr Doktor, ich habenoch immer Kopfschmerzen.Nichts hat bisher geholfen!"
"Ich habe ein neuesMedikament. Vielleichtkann das Ihnen helfen."
P denkt: Er sollte sich Mhemit mir geben, mich untersuchen,mit mir sprechen. Aber er hatsoviel Wissen, vielleicht helfenmir wenigstens die Medikamente.
A denkt: Sie ist berfordertdurch Beruf, Familie und alsAuslnderin. Aber sie hat keineIntrospektionsfhigkeit. Wie sollich mit ihr darber reden?
Somatisierung
psychosozialer
Probleme
Medikalisierung
sozialer
Problemlagen
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(modifiziert nach Brucks U. Der blinde Fleck der medizinischen Versorgung in Deutschland. Migration und psychische Erkrankung. Psychoneuro 2004;30(4):228-231)
Somatisierung psychosozialer Konflikte
„Einverständnis im Missverständnis“
Medikalisierung psychosozialer Probleme
chronische Patientenkarriere und erlernte Hilflosigkeit
FehlversorgungÜberversorgung mit nicht indizierten Medikamenten, Therapien und nicht indizierter Schonung
„iatrogene sekundäre Schäden“
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Zitat von Branik und Mulhaxa
„Die Hilflosigkeit unseres medizinischen Systems gegenüber „somatisierenden“ ausländischen Patienten dokumentiert sich u.a. in der manchmal abenteuerlichen Vormedikation mit einem Cocktail aus Psychopharmaka (ggf. nebst hochdosierter Schmerzmittel), der kaum ein psychiatrisches Zielsyndrom auslässt und jeden seriösen Psychiater schaudern lässt." Sie folgern, dass "das verfahrene Missverständnis zwischen den präsentierten Symptomen und den Interpretationsrastern der Ärzte durch immer mehr organmedizinische Interventionen fixiert und die beklagte Somatisierung iatrogen gefördert“ wird.
(BRANIK & MULHAXA, 2000)
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Gegensätzliche Einstellungen und Erwartungen von Migranten und Therapeuten
(mod. nach Pfeiffer 1995)
Patient (Migrant) Therapeut
Befriedigung des Hilfebedürfnisses
Umgehende Hilfe durch die Autorität
Aufschieben, Mobilisierung des eigenen Potentials
Beziehung zur Gruppe Gruppe als Ort der Identität und Bewertung
Autonomie, Selbstverantwortlichkeit. Innerer Ort der Bewertung
Beziehung zum Therapeuten
Familiäres Autoritätsverhältnis
Sachlich, partnerschaftlichÜbertragung, Gegenübertragung
Lokalisation von Problemen und Konflikten
Im äußeren Raum In der eigenen Person
Verhältnis zum Körper Erleben und Ausdruck körperbetont
Körper ich-fern, beherrscht, ausdrucksarm
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Kultur des Patienten
Neben individuellen Faktoren wie Bildungsstand, medizinischem Wissen und Lebenserfahrung trägt Kultur zu Krankheitsverständnis, Wahrnehmung und Darstellung von Symptomen und Problemen sowie der Reaktion auf und den Umgang mit Krankheit bei. Erwartungen des Patienten an den Arzt, Behandlungsmotivation sowie die Compliance mit therapeutischen Strategien werden ebenfalls von Kultur beeinflusst.
(Tseng, 2004)
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Kultur des Arztes
Überlagert von persönlichen Einstellungen und medizinischem Wissen und Lebenserfahrung prägt die Kultur des Arztes die Art der Interaktion und Kommunikation mit dem Patienten und beeinflusst (direkt oder indirekt) Haltung und Verständnis dem Patienten gegenüber wie auch mögliche Behandlungsstrategien.
(Tseng 2004)
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Kultur der Medizin(ischen Institutionen)
Die Gesundheitsberufe verbindet eine oft unbewusste Tradition von Einstellungen, die sich im Medizinsystem entwickelt haben. So kennzeichnen z. B. Werte wie Individualität, aktive Interventionen, aggressive Behandlungsstrategien, Therapie gegen den Willen des Patienten westliche Wertvorstellungen, die nicht notwendigerweise in anderen Kulturen Gültigkeit besitzen müssen. Das gilt auch für die Art der Arzt-Patient-Beziehung (partnerschaftlich vs. patriarchalisch), die Erwartungen an den Arzt oder den Umgang mit Regeln.
(Tseng 2004)
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Dolmetscher = Sprach- und Kulturmittler
SpracheTräger von Emotionen und
Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl
„Language independence“
PrimärspracheAffektive Resonanz – guter Zugang zu Gefühlen
SekundärspracheAffektive Distanz – wenig Zugang zu Gefühlen
(Yagdiran et al. 2001)
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Grundlagen interkulturell-therapeutischer Kompetenz
Interesse und Wertschätzung als Basis Kenntnisse der eigenen kulturellen Identität Arbeit mit Kulturvermittlern, die auch qualifiziert dolmetschen Beachten und Erkennen der Idioms of distress Krankheitsverständnis des Patienten beachten Ausarbeiten kulturell passender Erklärungen und
Behandlungsangebote Biographie beachten
(modifiziert nach Kirmayer 2001)
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Interkulturelle Kompetenz = soziale Kompetenz im kulturellen Zusammenhang
Therapeut:EmpathieWertschätzungEchtheitFrustrationstoleranzKonfliktfähigkeitUnvoreingenommenheitOffenheit (Neugier)Kulturelle IdentitätWissenReflexionSprache ( Akzeptanz)Patient:IntegrationsbereitschaftBereit zu neuen AktivitätenNeue Sprache
(Wolfgang Krahl, persönliches Gespräch)
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12 Sonnenberger Leitlinien:
1. Erleichterung des Zugangs zu der psychiatrisch – psychotherapeutischen und allgemeinmedizinischen Regelversorgung durch Niederschwelligkeit, Kultursensitivität und Kulturkompetenz.
2. Bildung multikultureller Behandlungsteams aus allen in der Psychiatrie
und Psychotherapie tätigen Berufsgruppen unter bevorzugter Einstellung von Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund und zusätzlicher Sprachkompetenz.
3. Organisation und Einsatz psychologisch geschulter Fachdolmetscherinnen als zertifizierte Übersetzer und Kulturmediatoren „Face-to-Face“ oder als Telefondolmetscherinnen.
4. Kooperation der Dienste der Regelversorgung im gemeindepsychiatrischen Verbund und der Allgemeinmediziner mit den Migrations-, Sozial- und sonstigen Fachdiensten sowie mit Schlüsselpersonen der unterschiedlichen Migrantengruppen, -organisationen und – verbänden. Spezielle Behandlungserfordernisse können Spezialeinrichtungen notwendig machen.
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5. Bereitschaft aller in der Psychiatrie und Psychotherapie tätigen Berufsgruppen zur Beteiligung der Betroffenen und ihrer Angehörigen an der Planung und Ausgestaltung der versorgenden Institutionen.
6. Verbesserung der Informationen durch muttersprachliche Medien und Multiplikatoren über das regionale gemeindepsychiatrische klinische und ambulante Versorgungsangebot und über die niedergelassenen Psychiaterinnen und Psychotherapeutinnen sowie Allgemeinmedizinerinnen / -ärzte.
7. Aus-, Fort- und Weiterbildung für in der Psychiatrie und Psychotherapie und in der Allgemeinmedizin tätige Mitarbeiterinnen unterschiedlicher Berufsgruppen in transkultureller Psychiatrie und Psychotherapie unter Einschluss von Sprachfortbildungen.
8. Entwicklung und Umsetzung familienbasierter primär und sekundär präventiver Strategien für die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien.
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9. Unterstützung der Bildung von Selbsthilfegruppen mit oder ohne professionelle Begleitung.
10.Sicherung der Qualitätsstandards für die Begutachtung von Migranten im Straf-, Zivil- und Sozialrecht.
11. Aufnahme der transkulturellen Psychiatrie und Psychotherapie in die Curricula des Unterrichts für Studierende an Hochschulen.
12. Initiierung von Forschungsprojekten zur seelischen Gesundheit von Migrantinnen und deren Behandlung.
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Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit!