christina pluhar, l'arpeggiata und nuria rial

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L’ARPEGGIATA 25.09.2013 SAISON 2013/2014 ABONNEMENTKONZERT 1 CHRISTINA PLUHAR LEITUNG NURIA RIAL SOPRAN

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L’ARPEGGIATA25.09.2013

SAISON 2013/2014 ABONNEMENTKONZERT 1

CHRISTINA PLUHAR LEITUNG NURIA RIAL SOPRAN

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Mittwoch, 25. September 2013, 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

L’ARPEGGIATACHRISTINA PLUHAR LEITUNG

NURIA RIAL SOPRAN

„L’AMORE INNAMORATO“ARIE, LAMENTI E SINFONIE

Sinfonia aus „Il Giasone“ (1649)

O quam suavis aus „Mottetti a voce sola“ (1645)

„Piante ombrose“

Arie der Calisto aus „La Calisto“ (1651)

„Verginella io morir vo“

Arie der Calisto aus „La Calisto“

Canzon a 3 aus „Musiche sacre“ (1656)

„Piangete, occhi dolenti“

Lamento der Climene aus „Egisto“ (1643)

„Non e maggior piacere“

Arie der Calisto aus „La Calisto“

„Restino imbalsamente“

Arie der Calisto aus „La Calisto“

FRANCESCO CAVALLI

(1602 – 1676)

02 | PROGRAMMABFOLGE

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Ciaccona

„Vieni, vieni in questo seno“

Arie der Nerea aus „Rosinda“ (1651)

„Affl iggetemi, guai dolenti“

Arie der Artemia aus „L’Artemisia“ (1657)

„Che città“ Arie des Nerillo aus „Ormindo“ (1644)

Sinfonia aus „L’Eliogabalo“ (1668)

„Dammi morte“ Arie der Oronta aus „L’Artemisia“

„L’Alma fi acca svani“

Lamento der Cassandra aus „Didone“ (1641)

„Alle mie ruine“ Lamento der Ecuba aus „Didone“

„Ardo, sospiro e piango“

Arie der Artemia aus „L’Artemisia“

„Ninfa bella“ Arie des Satirino aus „La Calisto“

Keine Pause

Das Konzert wird am Freitag, den 4. Oktober 2013,

um 20.05 Uhr auf NDR Kultur gesendet.

MAURIZIO CAZZATI

(1616 – 1678)

FRANCESCO CAVALLI

PROGRAMMABFOLGE | 03

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BESETZUNG

04 | BESETZUNG

L’ARPEGGIATA

THEORBE UND LEITUNG Christina Pluhar

BAROCKGEIGE Veronika Skuplik

ZINK Doron Sherwin

PSALTERION Margit Übellacker

LAUTE Eero Palviainen

BAROCKHARFE Sarah Ridy

VIOLA DA GAMBA, LIRONERodney Prada

BAROCKCELLO Josetxu Obrgegon

PERKUSSIONDavid Mayoral

CEMBALO UND ORGEL Haru Kitamika

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Das hochdekorierte Ensemble L’Arpeggiata wurde

im Jahre 2000 von Christina Pluhar gegründet

und besteht ausschließlich aus virtuosen und

künstlerisch herausragenden Musikern. In Zusam-

menarbeit mit Solisten verschiedenster musikali-

scher Herkunft begeistert das Ensemble Publikum

und Presse in der ganzen Welt durch unkonventi-

onelle, mitreißende Aufführungen. Benannt nach

der gleichnamigen Toccata von Giovanni Girolamo

Kapsberger hat sich L’Arpeggiata ganz auf die

Auf führung der Musik des 17. Jahrhunderts spe-

zia li siert. Dabei treffen überschäumende Spiel-

freude, Lust am Improvisieren und Experimentier-

freudigkeit auf das musikalische Handwerk der

histori schen Aufführungspraxis. L’Arpeggiata tritt

regelmäßig bei bedeutenden Musikfestivals auf,

dar unter die Schwetzinger Festspiele, die

Händel festspiele in Halle, die RuhrTriennale, das

Printemps des Arts de Nantes, die Ludwigsburger

Schlossfestspiele und das Musikfest Postdam;

L’Arpeggiata gastierte u.a. in der Londoner

Wigmore Hall, der New York Carnegie Hall,

in Tokyo und beim Hong Kong Arts Festival.

Die Einspielungen von L’Arpeggiata wurden mit

zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der

Cannes Classical Award, der Diapason d’Or, der

Edison Price und der Echo Klassik, den Christina

Pluhar und L’Arpeggiata 2009 für das Album

„Teatro d’amore“, 2010 für „Via Crucis“ und 2011

für Monteverdis Vespro della beata vergine er-

hielten. Ihre neue CD „Los Párajos Perdidos – The

South American project“ erschien im Januar 2012

bei EMI/virgin classics.

L’ARPEGGIATA

L’ARPEGGIATA | 05

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06 | THEORBE UND LEITUNG

CHRISTINA PLUHARTHEORBE UND LEITUNG

Christina Pluhar wurde in Graz geboren. Nach

ihrem Studium der Konzertgitarre entdeckte sie

ihre Liebe zur Renaissance- und Barockmusik und

begann ihr Lautenstudium bei Toyohiko Satoh

am Koninklijk Conservatorium in Den Haag. Sie

erlangte dort 1989 das Solistendiplom für Laute,

setzte aber ihre Ausbildung bei Hopkinson Smith

an der Schola Cantorum Basiliensis fort, wo sie

1992 das „Diplom für Alte Musik” erlangt.

Barockharfe studiert Pluhar bei Mara Galassi an

der Scuolo Civica di Milano, der Besuch von zahl-

reichen Meisterkursen bei Paul O’dette, Jesper

Christensen und Andrew-Lawrence King prägen

ihren musikalischen Werdegang. Von 1990 bis

2000 war Pluhar Mitglied des Ensembles „La

Fenice“, mit dem sie 1992 einen ersten Preis im

internationalen Ensemblewettbewerb für Alte

Musik in Malmö erlangte und die siebenteiligen

Reihe „L’heritage de Monteverdi“ bei dem Label

„Ricercar” einspielte. Pluhars solistische Einspie-

lung mit Werken von Alessandro Piccini erschien

1996 bei der Plattenfirma „Empreinte Digitale“.

Seit 1993 hat sie einen Lehrauftrag an der Kunst-

universität in Graz und gibt Meisterkurse in

Deutschland, Belgien und Frankreich. Seit 1999

unterrichtet sie eine Klasse für Barockharfe am

Königlichen Konservatorium in Den Haag.

Seit 1992 lebt Pluhar als freischaffende Musikerin

in Paris. Sie konzertierte als gefragte Solistin und

Continuo-Spielerin mit verschiedenen Kammer-

musikensembles und Barockorchestern wie:

La Fenice (Jean Tubery), Hesperion XXI (Jordi

Savall), Accordone (Marco Beasley), Ricercar

Consort (Philippe Pierlot), Concerto Soave

(Maria Cristina Kiehr), Elyma (Gabriel Garrido),

Les musiciens du Louvre (Marc Minkowsky),

Akademia (Françoise Laserre), La Grande Ecurie

et la Chambre du Roi (Jean-Claude Malgoire),

Concerto Cölln (Konrad Junghänel). Unter der

Leitung von René Jacobs, Ivor Bolton, Alessandro

di Marchi, Gabriel Garrido u. v. a. sowie als Be-

gleiterin von Andreas Scholl, Marco Beasley und

Dominique Visse war Pluhar zudem bei zahlrei chen

Festivals zu hören. Sie war außerdem Assistentin

von Ivor Bolton an Münchner Staatsoper.

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NURIA RIALSOPRAN

Nuria Rial studierte Gesang und Klavier in ihrem

Heimatland Katalonien. Sie wechselte nach Basel

in die Klasse von Kurt Widmer, machte 2003 ihren

Abschluss und gewann den Helvetia Patria Jeunes se

in Luzern für ihre herausragenden Fähigkei ten als

Sängerin. Sie trat bereits bei den führenden Fes ti-

vals in Europa auf. Als Konzert solistin arbeitete Rial

mit Dirigenten wie Paul Goodwin, Gustav Leonhardt,

René Jacobs, Thomas Hengelbrock, Skip Sempé,

Laurence Cummings, Pierre Cao. Dabei wurde sie

von Spitzenensembles wie Il Giardino armonico

The English Concert, Les Musiciens du Louvre,

Concerto Köln, dem Kammerorchester Basel, der

Akademie für Alte Musik, La Risonanza, l’Arpeggiata

oder dem Züricher Kammerorchester begleitet.

Rial sang in wichtigen Opernproduktio nen wie in

Francesco Cavallis „Eliogabalo“ in Brüssel, Monte-

verdis „Orfeo“ an der Staatsoper Unter den Linden

in Berlin sowie in Mozarts „Zauberflöte“ in Genua.

2011 übernahm sie die Partie der „Ilia“ aus Mozarts

„Idomeneo“ auf einer Tournee durch die Schweiz.

Nuria Rial hat zahlreiche CDs für verschiedene

Labels aufgenommen. Darunter die preisgekrön te

Figaro-Aufnahme mit René Jacobs. Seit Januar

2009 ist sie Exklusivkünstlerin bei Sony Classical/

BMG Masterworks. Unter den letzten Aufnahmen

befand sich eine Händel-CD mit dem Kammer-

orchester Basel, „Duetti amorosi“ mit dem Counter-

tenor Lawrence Zazzo und Händels „Neun Deut-

sche Arien“ mit der Austrian Baroque Company.

Ihre CD „Via Crucis“ gewann den niederländi schen

„Edison Award“. 2009 erhielt sie den Echo Klassik

für ihre Haydn-CD mit dem Orfeo Barockorchester,

und sie bekam einen zweiten Echo Klassik für

ihren Beitrag auf der CD „Teatro d’Amore“ mit

Christina Pluhar und Philippe Jaroussky.

SOLISTIN | 07

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08 | PROGRAMM

Francesco Cavalli ist in. Seit der Dirigent Raymond

Leppard 1967 bei den Festspielen in Glyndebourne

Cavallis „Ormindo“ wieder zum Leben erweckte,

erlebt die Musik dieses lange Zeit kaum beachteten

Großmeisters der venezianischen Oper ein nach-

haltiges Revival. In den ersten 25 Jahren seit ihrer

Wiederentdeckung durch Leppard wurde alleine

Cavallis „La Calisto“ 57 Mal nachgespielt. Fast alle

seiner 27 überlieferten Opern sind inzwischen

wiederaufgeführt worden, und seit einigen Jahren

läuft ein großes Editionsprojekt, das Cavallis

Partituren in historisch-kritischen Ausgaben dem

Musikbetrieb wieder zugänglich macht. Dieser

Erfolg wirft Fragen auf: Woher kommt nach 350

Jahren des Beinahe-Vergessens diese Begeisterung?

Welchen Nerv trifft diese Musik beim heutigen

Publikum?

KAUFLEUTE UND FREIGEISTERWas die frühe venezianische Oper ausmacht,

versteht man am besten aus den Umständen ihrer

Entstehung. Der Siegeszug der Oper in Venedig

begann vor dem Hintergrund zweier historischer

Katastrophen. Von 1630 bis 1631 wütete die Pest

in der Lagunenstadt; knapp 50 000 Menschen, ein

Drittel der venezianischen Bevölkerung, erlagen der

Seuche. Auf ihrem Höhepunkt, im November 1630,

forderte die Epidemie fast 15 000 Opfer binnen

eines Monats. Zur medizinischen Katastrophe kam

die militärische: Im Mai 1630 wurde ein venezia-

nisches Heer in der Schlacht von Villabella vor

Mantua vernichtend geschlagen. Kaum hatte das

venezianische Gemeinwesen sich von diesen

Schicksalsschlägen einigermaßen erholt, fand es

Kraft, Lebensfreude und Initiative genug für eine

musikhistorische Großtat: 1637 wurde in Venedig

das erste öffentliche, gegen Bezahlung für jeder-

mann (der Geld genug hatte) zugängliche Opern-

haus, das Teatro San Cassiano, eröffnet. Psycholo-

gisch gesehen mag dies einem Ausbruch der

Lebenslust nach der überstandenen Depression

zuzuschreiben sein. Wirtschaftlich betrachtet

war es ein Geniestreich des venezianischen Stadt-

marketings, denn schon damals war der Karnevals-

tourismus für die Serenissima eine wichtige

Einnahmequelle, und das neu installierte Spektakel

war auch als zusätzliche Attraktion für die Karne-

valssaison gedacht. Das Konzept bewährte sich

glänzend: Vierzig Jahre später zählte Venedig bereits

sieben Opernhäuser und die venezianische Oper

erwies sich als Exportschlager.

Die Venezianer machten das Konzept Oper, das

einige Florentiner Gelehrte um 1600 ersonnen

hatten, marktfähig. An den Höfen in Florenz oder

Mantua diente die Oper dem Fürstenlob und der

Repräsentation; in päpstlichen Rom legte man

den Schwerpunkt auf geistliche Erbauung. Im rein

privatwirtschaftlich finanzierten, von Konkurrenz

angetriebenen venezianischen Opernbusiness lag

das Augenmerk dagegen auf der Unterhaltung

eines zahlenden Publikums. Zu den Grundelemen-

ten der venezianischen Oper zählen so von Anfang

an Intrigen, Sex und komische Nebenfiguren.

Man kultivierte das Spiel mit Illusionen und Des-

illusionierung, Verkleidungen, Maskeraden und

Travestie. Gipfelwerke der venezianischen Oper,

wie Monteverdis „Krönung der Poppea“, zeichneten

sich dabei durch einen gnadenlos analytischen

Blick auf die menschliche Natur aus. Venedig war

der Ort, an dem solche Sichtweisen gediehen.

Bereits Anfang des Jahrhunderts hatte man die

Jesuiten aus der Stadt verbannt; so blieb die

Republik lange ein Hort der Publikationsfreiheit.

KARNEVAL DER LEIDENSCHAFTENDIE OPERN VON FRANCESCO CAVALLI

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PROGRAMM | 09

Der Satiriker Ferrante Pallavicino verhöhnte hier

(vorerst) ungestraft den bankrotten Papst und die

Inquisition; die Nonne Arcangela Tarabotti klagte

in Büchern wie „Väterliche Tyrannei“ oder „Convent

Hölle“ die erzwungene Kasernierung vieler Frauen

in den Klöstern an. Und an der Universität im von

Venedig aus verwalteten Padua hatte ein gewisser

Galileo Galilei mittels Hightech-Optik Krater auf

dem Mond und Monde um den Jupiter entdeckt.

Im Zentrum der liberalen Publizistik in Venedig

stand die Accademia degli Incogniti; eine Vereini-

gung von Gelehrten und Honoratioren, die 1630

mitten in der Zeit größter Bedrängnis gegründet

worden war. Diese freigeistige Accademia betrieb

nicht nur ein eigenes Theater, auch mehrere

namhafte Opern-Librettisten gehörten ihr an.

DRAMEN MIT MUSIKFrancesco Cavalli schwamm auf der Erfolgswelle

der venezianischen Oper obenauf. Maestro Claudio

Monteverdi selbst hatte den 14-jährigen Cavalli

(alias Pier Francesco Caletti-Bruni) 1616 als Sänger

an San Marco engagiert. Vier Jahre später wurde

Cavalli Organist an der Kirche San Giovanni e Paolo,

ab 1639 bekleidete er das Amt des Zweiten Orga-

nisten an San Marco. Hauptberuflich war Cavalli

also sein Lebtag lang Kirchenmusiker, doch

Geschichte schrieb er im Nebenberuf als Opern-

Komponist. 32 Musiktheaterwerke werden Cavalli

heute zugerechnet (fünf sind verschollen); mit

einer erfolgreichen Oper verdiente er das Zwei-

bis Dreifache seines Jahressalärs als Organist.

Dank solcher Aufträge – und weil er eine reiche

Witwe geehelicht hatte – residierte Cavalli ab 1647

umsorgt von einer zahlreichen Dienerschaft in

einem eigenen Haus am Canal Grande. Die Chancen

der neuen Gattung Oper hatte er früh erkannt:

1639, zwei Jahre nach dessen Eröffnung, schrieb

Cavalli seine erste Oper fürs Teatro San Cassiano;

im Jahresabstand folgten weitere. Als „Dramma

musicale“ oder „Dramma per musica“ wurden die

neuartigen Werke damals bezeichnet. Viele von

ihnen sind heute nur als Textbücher überliefert,

denn offenbar war das Verhältnis von Dichtung

„Prozession vor S. Maria della Salute“. (Alljährlicher Besuch des Dogen zur Erinnerung an das Ende der Pest

im Jahre 1631), Gemälde von Francesco Guardi, um 1780

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10 | PROGRAMM

und Musik ein anderes als bei späteren „Opern“.

Noch war die Text-Dichtung ein literarisches

Kunstwerk eigenen Rechts, keine bloße Komponier-

vorlage. Die Musik entwickelte sich eng am Wort

entlang und ging dabei mit größter Beweglichkeit

vom melodisch-biegsamen und sanglichen Text-

vortrag zu ariosen Partien über. Eine säuberliche

Teilung von berichtenden Rezitativen und emotio-

nalen Arien bildete sich als verbindliches Modell

erst langsam heraus.

Die Dichter-Persönlichkeiten, mit denen Cavalli für

seine Drammi zusammenarbeitete, verraten viel

über die Entwicklung des neuen Genres. Giovanni

Francesco Busenello etwa schrieb Geschichte als

Dichter von Monteverdis „Krönung der Poppea“.

Im Hauptberuf war der Sohn aus guter Familie

allerdings Jurist, Vikar und Diplomat. Studiert hatte

der dichtende Rechtsanwalt im nahegelegenen

Padua, und er war Mitglied der honorigen Accade-

mia degli Incogniti. In seinem Libretto für „Didone“

von 1640 entwarf Busenello eine Vorgeschichte

der Verwüstung, wie sie uns ähnlich in mehreren

Opern dieser Zeit begegnet: „Troja steht in Flam-

men, in Elend und Ruin gestürzt nach dem Tod von

Hector, Paris, Priamus und allen anderen Helden.“

Vor dieser Ausgangslage beginnt die Geschichte der

Königin Dido und ihrer verschmähten Liebe, für die

Busenello einen weiteren Grundbaustein markt-

gerechter Dramaturgie einführte: das Happy End.

Statt des tragischen Ausgangs in Vergils „Aeneas“

lassen Busenello/Cavalli ihre Dido-Oper mit einem

„Lieto fine“, einem glücklichen Ende, schließen.

So gelang dem Duo in einer Zeit, in der Opern

meist kurzlebige Werke für eine Saison waren, mit

„Didone“ eines der frühesten wiederverwertbaren

und exportfähigen Referenzwerke des Genres:

1650 wurde „Didone“ als erste von vielen Cavalli-

Opern in Neapel nachgespielt.

Zu den typischen musikalischen Elementen, die

sich in diesen ersten Jahrzehnten der Entwicklung

des Genres Oper etablierten, zählt die Klageszene,

das Lamento. Montverdi hatte mit seinem berühm-

„Diana und Calisto“, Gemälde von Peter Paul Rubens, um 1640

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PROGRAMM | 11

ten Lamento aus „Arianna“ (1608) für diesen Typus

ein Modell geliefert. Cavalli komponierte in „Didone“

eine eindrucksvolle Sonderform des Typus: das

Lamento über einem Basso ostinato. Hekuba, die

(ehemals) stolze Königin der Trojaner, beklagt

hier den Verlust von Heimat, Königreich, Ehemann

und ihrer vielen Kinder. Ihre Szene gliedert sich in

den Wechsel von freier, rezitativisch vorgetragener

Klage und ariosen Basso-ostinato-Abschnitten. Als

Bassmodell wählt Cavalli dabei das archetypische

musikalische Symbol des Schmerzes, die fallende

chromatische Linie. Diese sich unablässig wieder-

holende Bassfigur und das strenge Reimschema

laufen mit mechanischer, geradezu schicksalhaf ter

Unerbittlichkeit ab.

JUPITER IN FRAUENKLEIDERNAm erfolgreichsten und längsten arbeitete Cavalli

mit dem illustren Giovanni Faustini zusammen.

Anders als der gelehrte und honorige Nebenberufs-

dichter Busenello war Faustini ein Theaterprofi –

und eine zwielichtige Gestalt. Sogar ein Mord – der

aber nie polizeilich verfolgt wurde – wird dem

Dich ter und Theatermanager nachgesagt. Als einer

der ersten Vertreter des neuen Berufsbildes

„Impre sario“ wirkte Faustini nacheinander am

Teatro San Cassiano, am Teatro San Moisè und am

Teatro San Aponal, das der Opernunternehmer

1650 für seine Produktionen anmietete. 14 Libretti

schrieb Faustini im Laufe seiner Karriere, 11 davon

für Cavalli. Die heute mit Abstand erfolgreichste

Ko produktion der beiden ist „La Calisto“. Deren

nur noch locker an mythische Vorlagen angelehnter

Plot verrät die karnevaleske Lust an Parodie, Tra-

vestie und dem Kopfstand der sozialen Ordnung:

Göttervater Jupiter kommt in eine verwüstete Welt,

um diese wieder zu begrünen. Stattdessen verfällt

er den Reizen der Calisto, die zum Gefolge der

jungfräulichen Göttin Diana gehört. Von Calisto

zurückgewiesen, verkleidet Jupiter sich als Diana

und verführt Calisto in Frauengestalt. Als Calisto

sich später der echten Diana zärtlich nähert, weist

die Göttin sie empört zurück. Denn Diana ist in

den Hirten Endymion verliebt, doch der steigt irr-

tümlich dem als Diana verkleideten Jupiter nach.

Um seine Inkognito nicht preiszugeben, muss der

Götterpatriarch die Annäherung des Naturburschen

über sich ergehen lassen. Jupiters rachsüchtige

Frau Juno fährt derweil vom Olymp herab und ver-

wandelt dessen Lustobjekt Calisto in einen Bären.

Neben dieser Haupthandlung hat Faustini noch

mehrere Nebenhandlungen und komisches Per-

sonal wie die unbefriedigte Nymphe Linfea, einen

lüsternen Satyr sowie Folter und Notzucht ins

Geschehen eingewoben.

Um allen Konkurrenten zuvorzukommen ließ

Faustini „La Calisto“ als eine von zwei Cavalli-Opern

noch vor Beginn der Karnevalssaison im November

1651 herauskommen. Doch die Oper wurde ein

Flop; ein Sänger-Star erkrankte kurz vor der Pre-

miere, der Impresario selbst verstarb drei Wochen

darauf. Die Geschäfte des Teatro San Aponal über-

nahm Faustinis Bruder Marco, der im Hauptberuf

Jurist und ein grundsolider Buchführer war. So ist

uns von Marcos Hand ein Bilanzbuch überliefert,

das sowohl über die wenig befriedigende Auslas-

tung von „La Calisto“ als auch über den enormen

Aufwand für Ausstattung und Spezialeffekte

Auskunft gibt: Zu den Bühnenbildern zählten u. a.

eine Wüste, eine Grotte der Ewigkeit und eine

himmlische Sphäre. Für die Wassernymphe Calisto

waren ein Springbrunnen und für die Auf- und

Abtritte des diversen Götterpersonals Wagen an

Seilzügen vorgesehen.

INTERNATIONALER ERFOLGNach Faustinis Tod wurde der Graf Nicolò Minato

Cavallis wichtigster literarischer Mitarbeiter. Zu

Anfang seiner Karriere war Minato wie Busenello

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12 | PROGRAMM

Jurist im Hauptberuf und Dichter aus Leidenschaft.

Später stieg er ganz aufs Theaterfach um, übernahm

die Leitung des Teatro San Salvador und wurde

hauptberuflicher Librettoschreiber. Und das mit

durchschlagendem Erfolg: 1669 berief ihn Leopold I.

als seinen Hofdichter nach Wien. 170 Libretti ver-

fasste Minato während seiner Wiener Zeit, manche

davon hielten sich als Klassiker des Genres bis zu

Hasses und Telemanns Tagen. Die Oper „Artemisia“

war Cavallis und Minatos zweite Kooperation.

Nebenhandlungen und komische Elemente, wie

Faustini sie als Modell etabliert hatte, finden sich

auch hier, doch der Grundton ist ernster. – Seit 1657

residierten die Jesuiten wieder in Venedig, und

die Zeiten allzu großer Freiheiten waren wohl vor-

bei. So kreist Cavalli/Minatos Oper um den

typisch-tragischen Grundkonflikt zwischen Staats-

raison und individuellem Glück: Königin Artemisia

verliebt sich in einen vermeintlichen Diener, der

sich als Erzfeind und Mörder ihres pflichtschuldigst

geliebten Gatten Mausolos entpuppt. „Ich habe es

unternommen, nichts anderes zu tun, als die

Eigenheiten der menschlichen Leidenschaften in

natürlicher Weise darzustellen“, schrieb Nicolò

Minato dazu im Vorwort seiner „Artemisia“ – und

fügte hinzu, man möge das Ganze doch lieber

auf dem Theater anschauen als es nur zu lesen.

Genau dies tat das Publikum, die Oper wurde

ein voller Erfolg. Nach der Premiere am Teatro

San Giovanni e San Paolo im Januar 1657 wurde

„Artemisia“ im Jahr darauf in Neapel, 1659 in

Palermo, 1663 in Mailand und 1665 in Genua

nachgespielt.

Ilja Stephan

Pier Francesco Cavalli: „L‘Egisto“, eigenhändige

Partitur. Bereits drei Jahre nach ihrer Uraufführung

1643 in Venedig wurde Cavalis „L’Egisto“ in Paris

nachgespielt.

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TEXT | 13

O QUAM SUAVIS

O quam suavis est, Domine, spiritus tuus,

qui ut dulcedinem tuam in fi lios demonstrares

pane suavissimo de caelo praestito,

esurientes reples bonis,

fastidiosos divites dimittens inanes.

aus „Musiche sacre”

PIANTE OMBROSE

Piante ombrose

dove sono i vostri onori?

Vaghi fi ori

dalla fi amma inceneriti,

colli, e liti

di smeraldi già coperti

or deserti

del bel verde, io vi sospiro:

dove giro,

calda, il piede, e sitibonda,

trovo l’onda

rifuggita entro la fonte,

nella fronte

bagnar posso, ho ’l labbro ardente.

Inclemente:

si chi tuona arde la terra?

Non più Giove, ah non più guerra.

aus „La Calisto“, Akt I, Szene 2

O WIE SÜSS

O wie süß ist, Herr, Dein Geist, der, um deinen

Kindern deine Milde zu zeigen, du sie sättigest

mit süßem Brot vom Himmel; der du die

Hungrigen mit Gütern speisest, und die Reichen

leer ausgehen lässest.

SCHATTENSPENDENDE PFLANZEN

Schattenspendende Pfl anzen,

wo ist eure Pracht?

Hübsche Blumen,

von den Flammen eingeäschert,

Hügel und Gestade,

vormals smaragden gefärbt,

nun verlassen

von eurem Grün, ich beweine euch.

Wohin mein Fuß sich wendet,

heiß und dürstend wie ich bin,

fi nde ich die Wasser

in ihre Quellgründe zurückgefl ohen,

noch kann ich meine Stirn

darin netzen, oder meine brennenden Lippen.

Gnadenlos, ja,

verbrennt der Donnergott die Erde!

Ende, ach Jupiter, ende deinen Krieg!

FRANCESCO CAVALLI

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14 | TEXT

VERGINELLA IO MORIR VO

Dunque Giove immortale,

che protegger dovrebbe,

santo nell’opre,il virginal costume, acceso a

mortal lume,

di defl orar procura

i corpi casti, e render vani i voti

di puri cori, a Cinzia sua devoti?

Tu sei qualche lascivo, e la natura

sforzi con carmi maghi ad ubbidirti.

Girlandata di mirti

Venere mai non mi vedrà feconda. Torna, torna

quell’onda

nello speco natio,

che bever non vogl‘io

de’ miracoli tuoi

libidinoso mago.

Resta co’ tuoi stupori.

Addio mio vago.

Verginella io morir vo’.

Stanza, e nido

per Cupido

del mio petto mai farò.

Verginella io morir vo’.

Scocchi amor, scocchi se può

tutte l’armi

per piagarmi,

ch’alla fi ne il vincerò.

Verginella io morir vo’.

aus „La Calisto“, Akt I, Szene 2

ALS JUNGFRAU WILL ICH STERBEN

So denn, der unsterbliche Jupiter,

der in heiligem Wirken

jungfräuliche Sittsamkeit schützen sollte,

bemüht sich, von irdischem Feuer entzündet,

keusche Körper zu entjungfern

und zu vereiteln die Gelübde

reiner, Cynthia ergebener Herzen?

Du bist nur irgendein Lüstling, und zwingst

die Natur mit Zaubersprüchen, dir zu gehorchen.

Myrtenkränze wird mich

Venus nie tragen sehen.

Leite sie zurück, jene Flut,

in die Höhle ihres Urquells,

denn ich will nicht trinken

von deinem Wunderzeug,

geiler Zauberer, du!

Bleib bei deinem Blendwerk!

Ade, mein Hübscher

Als Jungfrau will ich sterben!

Kammer und Nest

für Amors Lust

mach’ ich nie aus meiner Brust.

Als Jungfrau will ich sterben!

Schieße Amor, wenn Du kannst,

alle Waffen

mich zu treffen,

denn am Ende sieg ich doch.

Als Jungfrau will ich sterben!

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TEXT | 15

PIANGETE, OCCHI DOLENTI

Piangete, occhi dolenti,

e al fl ebil pianto mio

pianga la fonte, e il rio;

articolate accenti

frondose, e mute piante

de’ miei casi infelici

selvagge spettatrici.

E narrate pietose

a chi di qua se n’ passa

l’empia mia sorte, ahi lassa,

e l’altrui tradimento;

al mesto mio lamento

e Progne, e Filomena

accompagnino i loro

queruli e tristi canti.

Ah simplicette amanti

non credete a promesse

di giovane amatore,

ch’ha volubile il core,

e la sciagura mia

de’ suoi spergiuri esempio ora vi sia.

aus „Egisto“, Akt II, Szene 6

WEINET, SCHMERZENDE AUGEN

Weinet, schmerzende Augen,

und bei meinem kläglichen Weinen

weine die Quelle und es weine der Fluss;

erhebt eure Stimmen,

belaubte und verschwiegene Pfl anzen,

Naturzeuginnen

meines Unglücks.

Und mit Mitleid erzählet

dem Vorüberkommenden

mein grausames, ach, elendes Schicksal

und wie andere mich verrieten;

meine wehmütige Klage mögen

Prokne und Philomela

mit ihren leidvollen

und traurigen Gesängen begleiten.

Oh, naive Liebende,

glaubt den Versprechen

des jugendlichen Liebhabers nicht,

der ein unstetes Herz hat,

und mein Unglück, da er seinen Eid brach,

sei euch nun ein Exempel.

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16 | TEXT

NON E MAGGIOR

Non è maggior piacere,

che seguendo le fere

fuggir dell’uomo i lusinghieri inviti:

tirannie de’ mariti

son troppo gravi, e troppo è il giogo amaro

viver in libertade è il dolce, il caro.

Di fi ori ricamato

morbido letto ho il prato,

m’è grato cibo il mel, bevanda il fi ume.

Dalle canore piume

a formar melodie tra i boschi imparo.

Viver in libertade è il dolce, il caro.

aus „La Calisto“, Akt I, Szene 4

RESTINO IMBALSAMATE

Restino imbalsamate

nelle memorie mie

le delizie provate.

Fonti limpide, e pure

al vostro gorgoglio

la mia divina, ed io,

coppia diletta, e cara

ci baceremo a gara,

e formeremo melodie soavi,

qui dove con più voci Eco risponde,

unito il suon de’ baci, al suon dell‘onde.

T’aspetto, e tu non vieni

pigro, e lento

mio contento;

m’intorbidi i sereni;

anima, ben, speranza,

KEIN GRÖSSERES VERGNÜGEN

Kein größeres Vergnügen

gibt es als das Wild verfolgend

zu fl iehn der Männer Kosen und Locken;

Tyranneien eines Gatten

sind zu hart und zu bitter das Ehejoch.

In Freiheit leben ist süß mir und teuer.

Blumenbestickte Wiesen

hab‘ ich als weiches Bett,

als Speise den Honig, als Trank den Bach.

Von den gefi ederten Sängern

lern ich die Melodien im Walde.

In Freiheit leben ist süß mir und teuer.

MÖGEN SIE UNAUSLÖSCHLICH

Mögen sie unauslöschlich

mir in Erinnerung bleiben,

diese köstlichen Ereignisse.

Ihr klaren und reinen Quellen,

beim Klang eures Murmelns

werden meine Göttliche und ich,

ein seliges, liebendes Paar,

uns um die Wette küssen,

und süße Melodien erklingen lassen,

hier, wo das Echo vielstimmig antwortet,

der Klang unserer Küsse vereint mit dem Wasser.

Dich erwarte ich, doch du kommst nicht,

träge und langsame

Freude mein;

du trübst mir den heiteren Sinn,

meine Seele, mein Schatz, meine Hoffnung,

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TEXT | 17

moro nella tardanza.

T’attendo, e tu non giungi.

Luminosa

neghittosa,

con spine il cor me pungi.

Deh vieni, e mi ristora,

moro nella dimora.

aus „La Calisto“, Akt III, Szene 1

VIENI, VIENI IN QUESTO SENO

Vieni, vieni in questo seno,

che sereno

già t’accolse entro il suo latte.

Le sue, caro,

mamme intatte,

se già manna a te stillaro,

da quei fi ni

loro rubini.

Vo’, ch‘ambrosia or ti zampillino.

Sii tranquillino, mio placato e bel Polluce,

Le mie sorti alla tua bel luce.

aus „Rosinda“, Akt III, Szene 5

AFFLIGGETEMI, GUAI DOLENTI

Affl iggetemi, guai dolenti,

Trafi ggetemi rei tormenti.

Dolce speranza, e tu

Deh non venir a lusingarmi più, rip.

aus „L’Artemisia“, Akt 2, Szene 12

und ich sterbe ob deines Säumens.

Ich erwarte dich, und du kommst nicht.

Du Leuchtende,

Gelassene,

stichst mir mit Dornen ins Herz.

Also komm und erquicke mich,

ich sterbe ob des Verzugs.

KOMM, KOMM AN DIESE BRUST

Komm, komm an diese Brust,

die in heitereren Zeiten

dich mit Milch empfi ng.

Mein Geliebter,

diese jungfräulichen Brüste,

die dich einst nährten,

mit ihrem Manna,

lass ihre Rubine

nun mit Ambrosia überfl ießen.

Sei still, mein schöner Pollux,

lasse mich dein Licht sein.

QUÄLT MICH, SCHMERZVOLLE SORGEN

Quält mich, schmerzvolle Sorgen,

stecht mich, grausame Foltern.

Und du, süße Hoffnung,

schmeichle mir nicht mehr.

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18 | TEXT

CHE CITTÀ

Che città, che città,

che costumi, che gente

sfacciata, ed insolente:

ognun meco la vole

con fatti, e con parole.

Che città, che città,

che costumi, che gente

sfacciata, ed insolente.

Mille perigli, e mille

mi sovrastano al giorno,

ho cento insidiatori ognor d’intorno;

né so il perché capire,

chi me ’l saprebbe dire?

Tal le guance mi tocca,

che non conosco appena

seco cortese ognun m’invita a cena,

né so il perché capire,

chi me ’l saprebbe dire?

Ognun tace, e lo sa,

che città, che città.

Non vedo l’ora, che ritorni Amida

in Tremisene per partir di qua.

Che città, che città,

che costumi, che gente

sfacciata, ed insolente.

aus „Ormindo“, Akt II, Szene 1

WELCH EINE STADT

Welch eine Stadt,

welche Sitten, welch verdorbenes

und unverschämtes Pack!

Jeder will etwas von mir

mit Taten und mit Worten.

Welch eine Stadt,

welche Sitten, welch verdorbenes

und unverschämtes Pack!

Tausenderlei Gefahren

drohen mir am Tag,

jede Stunde stellen hundert Leute mir nach.

Und ich verstehe nicht, weshalb.

Wer kann’s mir sagen?

Dieser berührt meine Wangen,

den ich kaum kenne,

und lädt mich ach so freundlich zum Speisen.

Und ich verstehe nicht, weshalb.

Wer kann’s mir sagen?

Jeder weiß es, und sagt’s doch nicht!

Welch eine Stadt, welch eine Stadt.

Noch sehe ich die Stunde nicht, in der Amida

hier fortgeht und nach Tremisene zurückkehrt.

Welch eine Stadt,

welche Sitten, welch verdorbenes

und unverschämtes Pack!

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TEXT | 19

DAMMI MORTE

Dammi morte, ò libertà, rip.

Cieco Amor, che tante pene,

Tanti guai, tante catene,

Sostener il cor non sa.

Dammi morte, ò libertà.

Troppo è dura servitù

E martir troppo severo,

Adorar un Idol fi ero,

Una rigida beltà.

Dammi morte, ò libertà.

aus „ L’Artemisia“, Akt 3, Szene 4

L’ALMA FIACCA SVANI

L’alma fi acca svanì,

la vita ohimè spirò,

Corebo, o dio morì,

e sola mi lasciò,

per sposa ei mi voleva, e io qui piango

prima che sposa, vedova rimango.

La vita così va,

anco mio padre il re

nel fi n di grave età

regno, e vita perdé.

Del senso umano o debolezza, o scorno

su i secoli disegna, e vive un giorno.

Nel tempio io tornerò

i numi a supplicar,

altrove andar non so,

sia guardia mia l’altar;

e s’all’altar morrò, vi prego, o dèi,

le vittime a gradir de’ spirti miei.

aus „Didone“, Akt 1, Szene 4

LASS MICH STERBEN, ODER LASS MICH FREI

Lass mich sterben, oder lass mich frei,

blinder Amor, denn mein Herz

kann solchen Scherz nicht ertragen,

solchen Gram und solche Haft.

Lass mich sterben, oder lass mich frei.

Zu hart ist der Dienst,

zu unerträglich die Qual,

das grausame Bild

eines fühllosen Mannes anzubeten.

Lass mich sterben, oder lass mich frei.

SEINE SEELE ENTFLIEHT

Seine Seele entfl ieht,

das Leben erlischt in ihm,

er stirbt, weh mir, er stirbt

und lässt mich hier allein.

Er begehrte mich zur Gattin, doch ehe ich Braut

ward, bin ich in Tränen Witwe geworden.

Mein Leben ist vertan.

Fiel nicht des Vaters Haupt,

ward nicht dem alten Mann

Thron und Leben geraubt?

O Elend des menschlichen Geistes,

Jahrhunderte verachtet er und lebt kaum einen Tag.

So muss ich nun zurück

In meinen Tempel gehn.

Ich will nicht mehr das Glück,

nur mehr den Tod erfehn.

Und fi nde ich den Tod, Götter, hört mein Rufen,

mein Opferblut färbt rot des Tempels Stufen.

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20 | TEXT

ALLE RUINE DEL MIO

Alle ruine del mio regno adunque

sopravvivo decrepita, e son giunta

a riputar il pianto

testimon trivial de’ miei dolori!

Onde va l’alma mia

cercando oltre le lagrime il tenore

di lamentarsi, mentre in questa notte

in un punto perdei

regno, patria, marito, e fi gli miei.

Tremulo spirito

fl ebile, e languido

escimi subito,

vadasi l’anima,

ch’Erebo torbido

Cupido aspettala.

Povero Priamo

scordati d’Ecuba

vedova misera.

Causano l’ultimo

orrido esito

Paride, e Elena.

Ahi tra tanti nemici

prova il mio petto solo

penuria di ferite,

nè cade ancor la mia tra tante vite.

Cassandra, ohimè, Cassandra

piango, piangi, piangiamo,

il caso estremo,

l’alba non rivedremo.

AUF DEN TRÜMMERN MEINES KÖNIGREICHES

Auf den Trümmern meines Königreiches

sitz ich einsam, dem Tode nah,

und mit nutzlosen Tränen bezeuge ich,

welche Leiden ein Mensch zu ertragen vermag.

Wohin geht meine Seele,

vom Klagen erschöpft, um sich auszuweinen

jenseits der Tränen. Ach in einer

einzigen Nacht hab‘ ich verloren

die Herrschaft, die Heimat, den Gatten und

meine Kinder!

Zitternde Seele,

schwach und schmachtend,

verlasse mich sofort!

Bis in den Erebus,

wo sie erwartet wird,

wandert die Pilgerin.

Wehe dir Priamos,

niemand betrauert dich,

wenn ich gestorben bin.

Unseres Untergangs

Ursache waren doch

Paris und Helena.

Wehe, unter so vielen Feinden

stehe ich als Einzige aufrecht

und bin noch ohne Wunden,

ich falle nicht als Opfer unter die Toten.

Cassandra, wehe dir, Cassandra,

weine, weine und lass mich mit dir weinen,

in unserer schweren Lage

wird das Licht nie mehr scheinen.

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TEXT | 21

Vipera livida,

aspide pessimo,

mordimi, todimi.

Intime viscere

spruzzano, stillano

fervide lagrime.

Crollano, tremano,

ardono, cadono,

portici, e tempii.

Vassene in polvere,

restati in cinere,

porpora e imperio.

aus „Didone“, Akt 1, Szene 6

ARDO, SOSPIRO E PIANGO

Ardo, sospiro, e piango,

Osservo eterna fè,

E pur senza mercè

Lassa, rimango, ecc.

Pensando ogn’ hor: io vò,

Come fuggir le pene e non lo sò, rip.

Peno, languisco, e moro

Per chi non ha pietà.

Passo mia fresca età

Senza ristoro.

Pensando ogn’ hor, ecc.

aus „L’Artemisia“, Akt I, Szene 12

Neidische Viper,

giftige Schlangenbrut,

nagt mir im Eingeweide.

Bittere Tränenfl ut,

die aus den Augen rinnt,

zeigt dir mein Herzensleid.

Tore und Tempelbau

bersten und brechen schon,

werden der Flammen Raub.

Asche ist nun mein Kleid,

Purpur und Königsthron,

alles zerfällt zu Staub.

ICH BRENNE, ICH VERZEHRE MICH UND WEINE

Ich brenne, ich verzehre mich und weine,

treu wäre ich in Ewigkeit,

doch ohne Gnade

bleibe ich, klagend.

Immer denke ich: Ich will,

doch weiß nicht wie dem Gram entfl iehen.

Ich leide, schmachte und sterbe

für einen herzlosen Mann.

Meine Jugend vergeht

ohne Trost.

Immer denke ich: Ich will, etc.

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22 | TEXT

NINFA BELLA

Ninfa bella, che mormora

di marito il tuo genio?

S’il mio sembiante aggradati

in grembo, in braccio pigliami,

tutto, tutto mi t’offerò.

Molle come lanugine,

e non pungenti setole

son questi peli teneri,

che da membri mi spuntano:

neppur anco m’adombrano

il mento lane morbide,

ma sulle guance candide

i ligustri mi ridono,

e sopra lor s’innestano

rose vive, e germogliano.

Questa mia bocca gravida

di favi soavissimi,

ti porgerà del nettare.

aus „La Calisto“, Akt I, Szene 13

SCHÖNE NYMPHE

Schöne Nymphe, was murmelt da,

dein Sinn von einem Gatten?

Wenn dir meine Erscheinung zusagt,

nimm mich in deinen Schoß, deinen Arm!

Ganz, ganz biete ich mich dir dar!

Weich wie Wolle,

und keine spitzen Borsten

sind diese zarten Haare,

die meinen Gliedern entsprießen;

auch verdüstert mein Kinn

noch keinerlei weiche Wolle,

sondern es lächelt auf weißen

Wangen mir weißer Ligusterschimmer.

Und darauf sind gepfropft

frische Rosen, die sprießen.

Dieser mein Mund, beladen

mit süßen Honigwaben

soll dir Nektar reichen.

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KONZERTVORSCHAU | 23

KONZERTVORSCHAUABO-KONZERT 2 | NDR DAS ALTE WERK

Dienstag, 29. Oktober 2013, 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

LE POÈME HARMONIQUEClaire Lefi lliâtre Sopran

Jan van Elsacker Tenor

Serge Goubioud Tenor

Arnaud Marzorati Bass

Vincent Dumestre Theorbe und Leitung

Benjamin Lazar Regie

„Venezia dalle strade ai Palazzi”

Werke von:

CLAUDIO MONTEVERDI

FRANCESCO MANELLI

BENEDETTO FERRARI

BIAGIO MARINI

19 Uhr: Einführungsveranstaltung mit Ilja Stephanim Kleinen Saal der Laeiszhalle

Das Venedig-Projekt bei NDR Das Alte Werk geht

weiter. Auf eine Zeitreise in das Venedig des

Goldenen Barock begeben sich Vincent Dumestre

und sein Ensemble Le Poème Harmonique: Sie

führen uns durch einen Tag in den Straßen und

prunkvollen Palästen der „Serenissima“. Der Re-

gisseur und Barockspezialist Benjamin Lazar hat

hierfür mit Ensemble und Solisten ein szenisches

Konzept samt Gestenrepertoire erarbeitet, das

ganz dem Vorbild historischer Aufführungen folgt.

Dazu gehört auch die Beleuchtung, die sich allein

auf den Schein der Kerzen beschränkt und die

magische Atmosphäre eines Zeitalters evoziert,

in dem die Freiheit der Musik noch nicht durch

drakonische Regelwerke beschränkt wurde.

Vincent Dumestre

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NDR DAS ALTE WERK

ABONNEMENTKONZERT

Abo-Konzert 3

Mittwoch, 27. November 2013, 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

VENICE BAROQUE ORCHESTRAMaurice Steger Blockfl öte

Werke von:

ANTONIO VIVALDI, DOMENICO SARRI,

TOMASO ALBINONI, LEONARDO LEO und

FRANCESCO GEMINIANI

19 Uhr: Einführungsveranstaltung im Kleinen Saal der Laeiszhalle

SONDERKONZERT

Mittwoch, 30. Oktober 2013, 20 Uhr

Bucerius Kunst Forum

„BACCHUS, APOLLON UND DIE GEBURT DER OPER IN ITALIEN“The Harp Consort

Marco Beasley Tenor

Steven Player Tanz Barockgitarre

Andrew Lawrence-King Barockharfe Leitung

Werke u. a. von:

CLAUDIO MONTEVERDI, FRANCESCO CAVALLI,

LORENZO I. DE’ MEDICI, BIAGIO MARINI,

EMILIO DE’ CAVALIERI, CARLO GESUALDO

In Kooperation mit dem Bucerius Kunst Forum

PODIUM DER JUNGEN

ABONNEMENTKONZERTE

Sonntag, 20. Oktober 2013, 18 Uhr!

Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio

LA VOIX DU BASSONNDR Chor

Philipp Ahmann Leitung

Paulo Ferreira Fagott

Werke von:

CAMILLE SAINT SAËNS, PHILIPPE HERSANT,

JEAN ABSIL und PHILIPPE SCHOELLER

Freitag, 22. November 2013, 20 Uhr

Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio

BUTTONS & KEYSNDR Bigband

Jörg Achim Keller Leitung

Christian Elsässer Piano

Alexander Hrustevich Bajan (Knopfakkordeon)

Werke von:

ANTONIO VIVALDI, SERGEI PROKOFJEW,

VYACHESLAV CHERNIKOV und „FLYING IN CIRCLES“

(NDR BIGBAND featuring CHRISTIAN ELSÄSSER)

24 | KONZERTVORSCHAU

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KONZERTVORSCHAU | 25

NDR SINFONIEORCHESTER

ABONNEMENTKONZERTE

B2 | Donnerstag, 17. Oktober 2013, 20 Uhr

A2 | Sonntag, 20. Oktober 2013, 11 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

Yutaka Sado Dirigent

Roland Greutter Violine

Werke von:

LEONARD BERNSTEIN, IGOR STRAWINSKY und

SERGEJ PROKOFJEW

17.10.2013 | 19 Uhr: Einführungsveranstaltung20.10.2013 | 11 Uhr: Familienmusik parallel zum Konzert

C1 | Donnerstag, 24. Oktober 2013, 20 Uhr

D1 | Freitag, 25. Oktober 2013, 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

Thomas Hengelbrock Dirigent

Miah Persson Sopran

Detlef Roth Bariton

NDR Sinfonieorchester

NDR Chor

RIAS Kammerchor

Werke von:

DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH und

JOHANNES BRAHMS

Einführungsveranstaltungen mit Thomas Hengelbrock jeweils um 19 Uhr

NDR DAS NEUE WERK

Samstag, 12. Oktober 2013, 20 Uhr

Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio

THOMAS ADÈS AND THE BAROQUEKeller Quartett

Louis Lortie Klavier

Werke von:

THOMAS ADÈS, HENRY PURCELL und

FRANCOIS COUPERIN

19 Uhr: Einführungsveranstaltung

Freitag, 8. November 2013, 20 Uhr

Hamburg, Instituto Cervantes

Josep-Maria Balanyà Klavier

JOSEP-MARIA BALANYÀ

„Un peu à gauche, s.v.p.“

11-teiliger Zyklus für Klavier solo

19 Uhr: Klangradar 3000 mit Schülern der Stormarnschule Ahrensburg

Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de

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26 | IMPRESSUM

IMPRESSUM

Herausgegeben vom

NORDDEUTSCHEN RUNDFUNKPROGRAMMDIREKTION HÖRFUNKBEREICH ORCHESTER UND CHORRothenbaumchaussee 132 | 20149 Hamburg

[email protected]

NDR Das Alte Werk im Internet:

www.ndr.de/dasaltewerk

Leitung: Rolf Beck

Redaktion NDR Das Alte Werk: Angela Piront

Redaktionsassistenz: Annette Martiny/

Janina Hannig

Redaktion des Programmheftes:

Dr. Ilja Stephan

Der Text von Dr. Ilja Stephan

ist ein Originalbeitrag für den NDR.

Fotos:

[M] Fotolia; David Wassermann/brandXpictures

(Titel)

Marco Borggreve (S. 5)

Marco Borggreve (S. 6)

Merçè Rial (S. 7)

akg-images | Erich Lessing (S. 9)

Album | Joseph Martin (S. 10)

akg-images (S. 12)

Per Buhre (S. 23)

NDR | Markendesign

Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg

Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.

Druck: Nehr & Co. GmbH

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

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