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DIE LESE-HÖR-KISTE IN DER VORSCHULE Handreichung Aktualisierte Fassung, Juli 2012

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DIE LESE-HÖR-KISTE IN DER VORSCHULE Handreichung

Aktualisierte Fassung, Juli 2012

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Impressum Herausgeber Freie und Hansestadt Hamburg

Behörde für Schule und Berufsbildung, Amt für Bildung Unterrichtsentwicklung Deutsch und Künste / Fachreferat Deutsch Dr. Michaela Strobel-Köhl Moorkamp 3, 20357 Hamburg Fon: 040 / 428 842-635 E-Mail: [email protected]

Redaktion Universität Hamburg, Fakultät 4, Fachbereich 4 Didaktik der deutschen Sprache und Literatur

Prof. Dr. Petra Hüttis-Graff Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg Fon 040 / 42838-7061

E-Mail [email protected]

Druck + Koordination Bücherhallen Hamburg Schulbibliothekarischen Arbeitsstelle Heidi Best Hühnerposten 1, 20097 Hamburg Fon: 040 / 42 606 137 E-Mail [email protected] www.buecherhallen.de

Stand Juli 2012

Alle Rechte vorbehalten. Jegliche Verwertung dieses Druckwerkes bedarf - soweit das Urheberrechtsgesetz nicht ausdrücklich Ausnahmen zulässt - der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Herausgebers. Hamburger Schulen können die Handreichung über www.buecherhallen.de oder über die Homepage von Petra Hüttis-Graff, Universität Hamburg (www.epb.uni-hamburg.de) beziehen.

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Vorwort Lese-Hör-Kisten für die Vorschule – ein Projekt zur Anbahnung des Lesens und des Schreibens Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Schule, Kinder früh an Bücher und an das Lesen heranzuführen. Das ist eine Grundlage für jedes weitere Lernen. Aber wie soll das in der Vorschule mit Kindern, die kaum Buchstaben kennen und weder lesen noch schreiben kön-nen, möglich sein? Hier kann über das Hören und Zuhören Textverstehen entwickelt und mithilfe von Hörmedien Schriftlichkeit und Lesen angebahnt werden. Darauf weisen For-schungsergebnisse der letzten Jahre hin; diesen Erkenntnissen folgt das Konzept der Lese-Hör-Kisten für die Vorschule.

Lese-Hör-Kisten sind aus mindestens zwei Gründen wichtig:

1. Eine frühe Leseförderung ist elementar bedeutsam und zweifellos sinnvoller, als später zu „reparieren“ oder auszugleichen, was hier versäumt wurde. Dieses Prinzip galt bereits für das Projekt „Lesen und Schreiben für alle“ (PLUS) und ist auch für das Sprachförderkonzept der Behörde für Schule und Berufsbildung bindend. Die Befunde von PISA haben die Bedeu-tung dieses Grundsatzes bestätigt. Deshalb ist auch wichtig, dass besondere Aufmerksam-keit bei dem Lese-Hör-Kisten-Projekt auf der Förderung bildungsbenachteiligter Kinder und auch der Jungen liegt.

2. Für die Behörde für Schule und Berufsbildung sind die Bücherhallen Hamburg seit Jahren der wichtigste außerschulische Kooperationspartner bei der Leseförderung. Gemeinsame Maßnahmen sind seit längerer Zeit die Lesekisten für die Klassen 1 und 2 und der Bücherhallenpass für die Klassen 3 (und 4). Jede dieser Maßnahmen ist spezifisch für die unterschiedlichen Alterstufen entwickelt worden. Dazu kommt die Blockausleihe für Lehrkräfte. Die Rahmenvereinbarung zwischen der BSB und den Bücherhallen Hamburg beinhaltet ein schlüssig aufeinander aufbauendes Maßnahmenpaket. Mit den Lese-Hör-Kisten als jüngstem Projekt ist nun auch der Vorschulbereich als fester Bestandteil einbezogen.

Das Projekt startete im Rahmen eines Pilotprojekts im Februar 2008 und wurde von Anfang an wissenschaftlich begleitet durch Prof. Dr. Petra Hüttis-Graff und Daniela Merklinger (Uni-versität Hamburg). Zurzeit nehmen bereits 125 Vorschulen an diesem Projekt teil. Eine Aus-weitung auf 45 weitere Vorschulklassen ist für das Schuljahr 2012/13 vorgesehen. Für die Unterrichtenden der teilnehmenden Vorschulklassen findet am Landesinstitut eine zweiteilige verpflichtende Fortbildung statt, die die praktische Umsetzung des Projektes inhaltlich be-gleitet.

Die Nachfrage nach den Lese-Hör-Kisten ist groß, und die Rückmeldungen der Vorschul-lehrkräfte zeigen, dass sie und ihre Kinder in den Klassen gerne damit arbeiten.

Mein Dank gilt an dieser Stelle ganz besonders • den Lehrkräften, die die Lese-Hör-Kisten bereits in ihren Klassen einsetzen, das Projekt

aktiv begleiten und weiterentwickeln • Frau Professor Hüttis-Graff, die das Konzept der Lese-Hör-Kisten entwickelt, tatkräftig an

der Umsetzung mitwirkt und die Fortbildungen durchführt • Frau Merklinger, die das Projekt kompetent mitgestaltet und die Fortbildungsveranstal-

tungen durchführt hat • Frau Lange-Bohaumilitzky und Frau Best von der Schulbibliothekarischen Arbeitsstelle

der Bücherhallen Hamburg.

Dr. Michaela Strobel-Köhl Fachreferentin für Deutsch an der Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg, im Juli 2012

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DIE LESE-HÖR-KISTE IN DER VORSCHULE Hinweise und Erläuterungen

von Petra Hüttis-Graff

1 Hörmedien als Brücke zum Buch 4 1.1 Vorschulische Bildung ……………………………………………………………………. 4

1.2 Literale Praxis ……………………………………………………………………………… 4

1.3 Lesenlernen durch Zuhören ……………………………………………………………… 4

1.4 Hörgeschichten als Impuls für sprachliche Entwicklungen …………………………… 5

2 Die Lese-Hör-Kiste 9

2.1 Die Hörmedien ……………………………………………………………………………. 9

2.2 Organisation im Unterricht – Checkliste ……………………………………………….. 10

2.3 Kommunikative Hör-Kontexte …………………………………………………………… 11

3 Die Auseinandersetzung mit Hör-Geschichten vertiefen 12 3.1 Was Kinder thematisieren ………………………………………………………………. 12

3.2 Denk- und Sprechräume eröffnen ……………………………………………………… 13

3.3 Hör-Memorys mit Schrift ……………………………………………………………….. 15

3.4 Anregungen zur gestaltenden Verarbeitung ………………………………………….. 16

4 Zugänge zur Schrift durch Diktieren 18 4.1 Kinder diktieren eigene Texte ………………………………………………………….. 18

4.2 Was Kinder in Diktiersituationen lernen können ……………………………………... 19

4.3 Wie der Skriptor sprachliches Lernen unterstützen kann …………………………... 22

4.4 Gestaltung von Schreibsituationen ……………………………………………………. 26

4.4.1 Während der Freispielzeit ins Geschichtenheft diktieren …………………. 26

4.4.2 Schreibanlass nach dem gemeinsamen Hören ……………………………. 27

4.4.3 Weitere Anlässe zum Diktieren ……………………………………………… 30

4.5 Bewährte Schreibaufgaben zu Hörmedien der Lese-Hör-Kiste …………………….. 30

4.5.1 Zur Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte …………………. 30

4.5.2 Zur Königin der Farben ……………………………………………………….. 31

4.5.3 Zum Grüffelo …………………………………………………………………… 32

Hinweise und Links 34

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1 Hörmedien als Brücke zum Buch

1.1 Vorschulische Bildung

Zahlreiche Untersuchungen zum Lesen belegen, dass zu viele Schüler in Deutschland die Schule ohne aus-

reichende Lesekompetenzen verlassen, vor allem Kinder aus schriftfernen Familien. Es ist belegt, dass in der

Schule der Anschluss an die außerschulische Mediennutzung von Hauptschülern oft nicht gelingt, deren Le-

sesozialisation buchfern ist. Erfahrungen mit Geschichten machen Kinder heute nicht mehr allein mit Bü-

chern, sondern auch in Fernsehfilmen, in Adventure-Games auf CD-Rom und mit Hörmedien. Obgleich ihre

Lebenswelt insofern voll von Geschichten ist, wird die Kluft zum Deutschunterricht und seiner Buchorientie-

rung oft nicht überwunden. Es gilt also Kinder schon früh zu einer breiten Mediennutzung zu führen und

Brücken zum Buch und zu Schriftlichkeit zu bauen. Für Kinder im Vorschulalter bieten Hörmedien hierfür

gewaltige Potentiale, gerade wenn man sie parallel zum Bilderbuch anbietet. Aus diesem Grund werden mit

der Lese-Hör-Kiste zehn unterschiedliche Hörspiele mit dazugehörigem Bilderbuch angeboten: so gehört für

die Kinder der Griff zum Buch und auch der Blick ins Buch von Anfang an zur Rezeption von Geschichten.

1.2 Literale Praxis

Vor der Schulzeit sind Hörspiele für Kinder ein besonders wichtiges Medium: In der Ravensburger Studie zu

Mediennutzung im Kindergartenalter liegen bei der Frage nach dem Lieblingsmedium Hörmedien (Jungen

20%, Mädchen 31,6%) gleich nach dem Fernsehen (Jungen 42,5%, Mädchen 47,4%) und noch vor dem

Buch (Jungen 22,5%, Mädchen 13,6%). Ein wichtiger Grund dafür ist, dass Hörspiele das erste Medium

sind, über das Kinder relativ frei verfügen dürfen. Sie hören ihre Lieblingshörmedien zum Teil bis zu 100mal

und manche können große Teile wörtlich mitsprechen. Manche Kinder konsumieren Hörspiele über einige

Jahre intensiver und zeitaufwändiger als Bücher und lesen Bücher häufig erst nach dem Anhören der Ge-

schichte (oder dem Ansehen des Films). Zu vermuten ist, dass auch der aktuelle Hörbuchboom für Erwach-

sene den kindlichen Konsum vom Hörmedien anregt: Die Leipziger Buchmesse zeigt, dass der Umgang mit

Geschichten auf Hörmedien im Familienalltag eine wichtige literale Praxis geworden ist - für Kinder und

Erwachsene (Hüttis-Graff 2010).

1.3 Lesenlernen durch Zuhören

Lesenlernen beginnt weit vor Schuleintritt und nicht erst mit dem Erlernen der Buchstaben und ihrer lautli-

chen Entsprechung oder mit der Entwicklung phonologischer Bewusstheit. Lesenlernen beginnt vielmehr mit

dem Zuhören: wenn Kinder Gespräche verfolgen, wenn sie der Erzählung eines anderen lauschen, wenn sie

Geschichten vorgelesen bekommen. Denn beim Zuhören entwickeln sie nicht nur Freude an Geschichten,

sondern sie erwerben zugleich Fähigkeiten, die für das Lesen(lernen) zentral sind: sie lernen sich eine Situa-

tion und die beteiligten Personen vorzustellen, die nur mit Sprache dargestellt ist, sie lernen Erwartungen an

die Handlungsfolge auszuprägen und mit den Personen zu fühlen, über die erzählt wird. Das Zuhören bereitet

somit den selbständigen Zugang zum Lesen vor (Dehn 2010; Hüttis-Graff 2008; Ulich 2003).

Verschiedene Untersuchungen am Übergang vom Elementar- in den Primarbereich zeigen, dass das Hören

von Hör-CDs und gelingende Sprach- und Leseentwicklung zusammen hängen:

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Lust an Klang und Rhythmus der Sprache: Nicht nur das Hören von gereimten Hörspielen lenkt die Aufmerksamkeit der Kinder auf die Sprache als Gegenstand (phonologische Be-wusstheit). Gute Sprecher auf Hörmedien sind zudem Vorbild für die eigene Sprechgestaltung und Betonung beim Lesen.

Sprachentwicklung: Gerade das mehrfache Hören wohlgeformter gesprochener Schriftspra-che fördert den Wortschatz, das unbewusste Erfassen grammatischer Strukturen, die Vertraut-heit mit verschiedenen Texttypen und Geschichtenmustern sowie die für den Schriftspracher-werb zentrale Loslösung der Sprache vom unmittelbaren Handlungszusammenhang.

Lesemotivation: Freude an Hörgeschichten führt zur Neugier auf Geschichten und somit auch zur Lesemotivation. Selbst Drittklässler nutzen Hörmedien als Übergang zum selbständigen Lesen des Buches und verbleiben nicht beim Hören. Und die Lesefähigkeiten noch von lese-schwachen Achtklässlern steigerten sich, nachdem sie ein halbes Jahr lang mehrmals wö-chentlich einem gestalteten Vorlesen zuhörten und über das Gehörte sprachen.

Textverstehen: Die emotionale Anteilnahme am Schicksal der Figuren fördert die Genussfä-higkeit auch beim Lesen. Das Verstehen von Zusammenhängen, Figurenkonstellationen (Freund und Feind, Arm und Reich, der Dumme und der Schlaue, …), Handlungsmomenten (Erwartung und Enttäuschung, Kampf und Versöhnung, Aufgabe und Suche, …) und Bedeu-tungsmustern (Sieg des Guten, Bewältigung von Schuld, Verlust des Geliebten, …) kann vom Zuhören auf das Lesen übertragen werden.

Diese förderlichen Wirkungen der Hörgeschichten sind umso größer, je mehr das Hören in kommunikative

Zusammenhänge eingebunden ist.

Kinderstimmen aus Vorschulklassen der Schule Rathsmühlendamm:

Mina: „Am liebsten höre ich mit anderen zusammen!“

Sonja beim Ansehen des Bilderbuches: „Der Löwe, der nicht schrei-ben konnte. Das kann ich lesen.“ (Erwachsener: „Ja?“) „Ja, weil ich das als Geschichte doch höre in der Vorschule."

Kinderstimmen aus Klasse 3 der Schule Rathsmühlendamm:

Lena: „Wenn man da was hört, dann kann man gucken, wie man es findet, und dann kann man das Buch dazu lesen.“

Tim: „Wenn man dann den Ansporn hat, dann hat man Lust, richtig das Buch zu lesen, wenn man davor die Geschichte gehört hat.“

Marek: „Beim kleinen Vampir habe ich zuerst gehört, ja, jetzt fang ich an zu lesen.“

Saskia: „Am Anfang hab’ ich mehr gehört. Und dann hab’ ich mir die Bücher dazu geholt.“

1.4 Hörgeschichten als Impuls für sprachliche Entwicklungen

Sprachliche Fähigkeiten erweitern sich in Abhängigkeit von den Situationen, die regelhaft und als persönlich

bedeutsam erlebt werden. Bereits vor der Schulzeit können die meisten Kinder einem Gegenüber verstehend

zuhören und sich im Alltag fließend verständigen, sich Abfolgen und kleine literarische Formen merken, sie

beginnen ihre Aufmerksamkeit auch auf die Form der Sprache zu richten (Abzählverse, Reimen) oder auch

die Schrift ihres Vornamens zu erkennen (und schreiben). Zugleich aber unterscheidet sich das Sprechen der

Kinder bereits in alltäglichen Kommunikationssituationen erheblich (Dehn u.a. 2011).

Geschichten nicht von einer anwesenden Person, sondern von einem unbekannten Sprecher auf CD zu hören,

stellt Vorschulkinder vor neue sprachliche Herausforderungen, denn im Unterschied zur dialogischen

Alltagskommunikation können sie beim Hörspielhören Mimik und Gestik des Erzählers und die erzählte

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Situation nicht sehen und auch nicht nachfragen. Kinder greifen deshalb beim Hörspielhören gern zum Buch,

weil die Abbildungen ihr Hörverstehen unterstützen. Sie nutzen zur Bedeutungsgenerierung nicht nur Satz-

melodie und –rhythmus, sondern in Hörspielen der Sprache hinzugefügte akustische Zeichen, die Kinder aus

Filmen kennen (wie Hintergrundgeräusche, die Atmosphäre unterstützende oder die Erzählung strukturieren-

de Musikeinspielungen). Und sie klären ihr Hörverstehen im Gespräch.

Gerade Kinder, deren sprachliche Fähigkeiten (im Deutschen) noch unsicher sind oder die bisher vor allem

sehr einfache Spracherfahrungen gemacht haben (z.B. handlungsbegleitendes Sprechen) und kaum Kommu-

nikationserfahrungen mit Bilderbüchern, sind auf akustische Kontexte in Hörspielen und auf unterstützende

kommunikative Kontexte beim Hören angewiesen, damit sie die Geschichte besser verstehen (Andresen

2005; Hüttis-Graff 2010). Weil Hörspiele einen „durchkomponierten“ und zugleich vielfältigen sprachlichen

Erfahrungsraum bieten, der Wiederholungen beinhaltet und auch vom Kind selbst gesteuert und bei Gefallen

beliebig oft wiederholt werden kann, regt das Hörspielhören zahlreiche sprachliche Fähigkeiten an. Die-

se sollen hier benannt werden – v.a. mit Bezug auf die Hörmedien „Der Grüffelo“ und „Die Geschichte vom

Löwen, der nicht schreiben konnte“ aus der Lese-Hör-Kiste:

Laute differenzieren: Beim Hörspielhören können Kinder lernen, einen Sprecher zu verstehen, den sie

nicht kennen und sehen. Sie lernen die Satzmelodie der deutschen „Hochsprache“ kennen und verstehen

(im Unterschied zum Dialekt/Soziolekt) und auch Reim und Rhythmus („Der Grüffelo“). Zudem kön-

nen sie im Deutschen bedeutungsunterscheidende Laute differenzieren lernen (phonematisches Lernen).

Bedeutungen erschließen: Wörter kann man in einer gesprochenen Fremdsprache ohne weitere Hilfe

nicht ausgliedern. Beim Hörspielhören können Kinder mit Bilderbuch und unter Nutzung kommunikati-

ver und akustischer Kontexte lernen, bedeutungstragende Einheiten zu identifizieren (semantisches Ler-

nen). Sie erweitern ihren Wortschatz, den auch kulturell geprägten Gebrauch sprachlicher Wendungen

in verschiedenen Kommunikationssituationen und Textformen, wie z.B. die Adjektiv-Nomen-

Verbindungen beim Grüffelo (schreckliche Zähne, knotige Knie, eine grässliche Warze, feurige Augen),

und können im Hörgespräch und beim Diktieren für sie neue, auch noch unanalysierte Einheiten klären

und erproben.

Aufmerksam werden auf die Form der Sprache: Kinder können beim Hören auf komplexere sprach-

liche Kombinationen und Zusammenhänge aufmerksam werden (morphologisches Lernen), z.B. die

auffälligen Zusammensetzungen Fuchsspieß oder Schlangenpürree im Grüffelo (Wortbausteine). Und

sie spielen auch mit erfundenen Kombinationen: Kutta, Butter, Butterbrot. Der eine heißt Butterbrot

und der, der heißt Salamibrot. Diese metasprachliche Bewusstheit ist grundlegend für das Lesen- und

Schreibenlernen.

Formulierungen: Kinder können von Hörmedien sprachliche Wendungen lernen (syntaktisches Lernen,

Satzbildung, Zeitformen), wie z.B. Strukturen von Haupt- und Nebensätzen mit den im Deutschen spe-

zifischen Möglichkeiten der Verbstellung (z.B. die Verbklammer in: Die Maus spazierte im Wald um-

her). Beim Zuhören und oft auch wörtlichen Mitsprechen lernen sie aus einfachen Fragen wie Was ist

das für ein Tier? im Grüffelo und auch komplexeren wie z.B. Wollen Sie mit mir im Fluss schwimmen

und nach Algen tauchen? mit Hilfsverb und Verbklammer (Wollen … schwimmen), Höflichkeitsform

(Sie) und Reihung in der Geschichte vom Löwen.

Literarische Muster: Zudem können Kinder anhand der Hörgeschichten typische Muster von Erzäh-

lungen kennen lernen: bspw. Muster, die Handlungsfolgen anzeigen (Am nächsten Tag …), Briefflos-

keln (Liebste Löwin!), literarische Muster der Steigerung (im Buch vom Löwen auch grafisch darge-

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stellt: „Aber nein“, schrie der Löwe bis zu „Nein, nein und nochmals nein!“) oder Bedeutungsmuster

(z.B. klein und schlau siegt über groß und dumm).

Aussagen sind miteinander verbunden: Kinder machen Erfahrungen, dass Texte einen Zusammen-

hang aufweisen (Kohärenz) und können Möglichkeiten für innertextliche Bezüge bspw. durch Binde-

wörter und Pronomen kennen lernen: „Aber der Löwe hätte gerne gewusst, was das Nilpferd geschrie-

ben hatte. Also kehrte er um …“, hier zugleich unter Verwendung des Konjunktivs „hätte“. Zudem kön-

nen sie die Bedeutung der Erzählperspektive erkennen, die auf den ausgewählten Hörmedien mit den

unterschiedlichen Perspektiven z.B. im Grüffelo von der Maus auch explizit thematisiert wird: Wie

dumm von dem Fuchs, er fürchtet sich so. Dabei gibt’s ihn doch gar nicht, den Grüffelo.

Ohne Kontext das Gemeinte sprachlich entfalten: Kinder können beim Hören, im begleitenden Hör-

gespräch und in der anschließenden Kommunikation über das Gehörte lernen, Sprache zunehmend un-

abhängig vom direkten Kontext zu gebrauchen (Dekontextualisierter Sprachgebrauch). Dazu gehört un-

abhängig zu werden von Gestik und Mimik, wie sie es beim vom Telefonieren mit der Oma oder dem

Freund kennen, statt auf das Gemeinte zu zeigen, was typisch ist für eine einfache, von Sprecher und

Hörer geteilte, handlungsbegleitende Sprechsituationen, hören sie, dass das Gemeinte versprachlicht

wird. So zeigen kleine Kinder anfangs auf das Gemeinte im Bilderbuch (Da! oder Da ist die Maus!),

später sprechen sie z.B. über Gefühle und Gedanken der literarischen Figuren (Ist die Maus dumm?)

oder über nicht sichtbare Handlungsfolgen (Gleich kommt der Grüffelo!). Diese Erweiterung ihrer

Sprachfähigkeiten in Richtung auf einen stärker dekontextualisierten Sprachgebrauch, auf eine Sprache

der Schriftlichkeit, wird aktuell in der Diskussion um Zugänge zu Bildungssprache hohe Bedeutung zu-

geschrieben (Dehn 2010; Hüttis-Graff u.a. 2010b).

Die Sprache an die Kommunikationssituation anpassen: Kinder können von Hörmedien auch lernen,

dass die Protagonisten ihre Sprache an die Situation anpassen (Kontextualisierung der Sprache): Das

Nilpferd musste einen Brief für den fordernden und schreienden Löwen als König der Tiere schreiben,

auf die Frage der Löwin hingegen antwortet er leise und bescheiden. Die mutige Maus spricht in Wör-

tern und Tonfall zuerst höflich mit ihren Fressfeinden (Schrecklich nett von dir.), wird dann aber forsch

(Den kennst du nicht?) und spricht schließlich verschmitzt mit sich selbst (Wie dumm von dem Fuchs!).

So spricht man im Stuhlkreis auch anders als mit dem besten Freund: es unterscheidet sich in Bezug auf

die Länge und Abwechslung der Redebeiträge, auf das sprachliche Register und die Berücksichtigung

z.B. gemeinsamen Wissens, aber auch geteilter Erfahrungen, Einstellungen und Vorstellungen.

Die Erfahrung der gleichzeitigen Dekontextualisierung und Kontextualisierung der Sprache können Kinder

beim Hörspielhören, im Hörgespräch und beim Diktieren lernen zu differenzieren: in Bezug auf unbekannte

Personen und fiktionale Kontexte.

Das Hören von Hörgeschichten trägt also nicht nur zur Sprachentwicklung bei, sondern es bereitet im

Mündlichen auf Situationen der Schriftlichkeit vor: Kinder üben beim Hörspielhören Fähigkeiten, die zent-

ral sind für das Lesen(lernen) (s. 1.3) und für das Schreiben(lernen) (s. 4). Anhand des Bilderbuches, im

Hörgespräch oder auch im nachträglichen Spiel (z.B. mit Fingerpuppen, s. 3.4) kann das Kind sein sprachli-

ches Lernen und Verstehen sichern und vertiefen. Und beim Diktieren kann es die in der Erzählung gehör-

ten Muster in einer Situation der Schriftlichkeit (nach)bildend auch fixieren. Im Folgenden werden die spe-

zifischen Herausforderungen des Hörspielhörens und des Diktierens zu Hörgeschichten konkretisiert im

Vergleich zu anderen sprachlichen Kommunikationsformen – mit den jeweils typischen situativen und per-

sonalen Bedingungen (s. Dehn u.a. 2011; Andresen 2005; Merklinger 2012):

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Sp

rech

en

Gespräch/Unterhaltung „Das mit dem Nilpferd!“

Was „das“ ist, muss im Ge-spräch nicht benannt werden, wenn beide es wissen (z.B.

geteilte Erfahrung einer Hör-Geschichte) oder wenn etwas Anwesendes gemeint ist (z.B. Abgebildetes). Auch sind Gesten und Mimik funktionale Gesprächs-hilfen. Angesichts der Möglichkeit zum Nachfragen sind schnelle Sprecherwechsel, Halbsätze, Andeu-tungen und kurze abwechselnde Mitteilungen konsti-tutive Merkmale dieses frühen Sprachgebrauchs. Typische Lernprozesse: Das Betrachten eines Bilder-buchs entwickelt sich vom Zeigen („Da!“) über das Benennen („Bär!“) zum Bezug auf eigene Erlebnisse („Sieht aus wie …“) und zum Deuten von Gedanken und Gefühlen („Er sieht traurig aus!“).

Erzählung „Das Nilpferd sieht die Frau lesen.“

Wenn ein Erzähler Zuhörern etwas Neues berichtet, muss er dies so ge-nau beschreiben, dass der andere sich diese Situation genau vorstellen kann - oder unterschiedliche Hörer in einer Gruppe. Das erfordert vom Sprecher sprachliche Explizitheit, einen präzisen Wortschatz und die Konstruktion innertextlicher Bezüge. Vom Zuhörer wird die Fähigkeit entwi-ckelt, eine allein sprachlich dargestellte fiktive Situation in der eigenen Vorstellung zu konstruieren – ggf. gilt es Nichtverste-hen zu bemerken und genau nachzufragen. Typische Lernprozesse: Wenn ein Kind beim Telefonieren nur zuhört, wird es gefragt, wenn es auf Fragen nickt und zeigt, fragt der Hörer nach sprachlicher Explizierung, damit er das Gemeinte verstehen kann. Die Verständigung wird gemein-sam, im Dialog hergestellt und gesichert.

Zu

-Hö

ren

un

d S

ehen

Film & Fernsehen

Beim Betrachten des Films Der Grüffelo kann das Kind nicht nur an der Sprache, sondern auch an Geräuschen und Musik hören

und v.a. sehen, was gesprochen wird und wie es gemeint ist, weil es alltägliche Kommunikationssitua-tionen deuten gelernt hat und sie auf Filmsituationen bezieht. Das fiktive Geschehen und das Gesprochene stützen gegenseitig das (insbesondere emotionale) Verstehen. Das Kind kann an sein Alltagsverstehen mit allen Sinnen anknüpfen und lernt filmische Mittel des Erzählens kennen (wie Schnitt und Perspektive). Typische Lernprozesse: Wenn der Fressfeind der Maus auftaucht, kann der Zuschauer ihr Erschrecken an ihren Bewegungen und Lauten, an der Musik und dem Filmschnitt bzw. der –perspektive erkennen. Auch ohne Sprachkenntnisse können Kinder vieles in Filmen verstehen – ihre Aufmerksamkeit ist auf die Deutung von Handlungen und nonverbalen Stim-mungsanzeigern gerichtet.

Hörspiel und Bilderbuch

Hörgeschichten zu verstehen erfor-dert genaues Zuhören, um allein anhand der Sprache (und ggf. der Geräusche und Musik) eine innere Vorstellung vom fiktiven Geschehen aufzubauen, ohne beim Erzähler nachfragen zu können. Das Bilderbuch zum Hören hilft beim Sprachverstehen, ersetzt es aber weit weniger als der Film – die Aufmerksamkeit wird auf die Sprache fokussiert, die von der aktuellen Situation abgelöst (Dekontextualisierung) und in die fiktive eingebunden ist (Kontextualisierung). Typische Lernprozesse: Kinder sprechen Wiederholtes mit der CD mit und prägen sich Wendungen ein. Sie reimen zum Ge-hörten und richten so ihre Aufmerksamkeit auf die Form der Sprache. Sie suchen die gerade zu hörende Stelle im Buch und vergewissern sich über ihr Verstehen auch im Gespräch. Durch häufiges Hören von Lieblingsgeschichten lernen Kinder, zunehmend mehr und genauer sprachliche Einheiten auszu-gliedern und zu verstehen. Sie differenzieren ihre Hypothesen über die Bedeutung des Gehörten und erproben gehörte Flos-keln im Sprechen. Und sie entwickeln Hör- & Lesemotivation.

Sch

reib

en

Mitschreiben als Verschriften Das mit dem Nilpferd.

Die Sekretärin früher notierte möglichst schnell das Diktierte. Um Gespräche zu untersuchen, schreibt der Forscher möglichst genau mit, was das Kind erzählt: z.B. auch Pausen, die (un)genaue Artikulation, den Dialekt, die grammati-schen Fehler. Fragt der Erwachsene beim Erzählen nach oder gibt er Impulse, verändert er das vom Kind Gesprochene und der mitgeschriebene Text zerfiele in Einzeläußerungen. Das Kind führt dann einen Dia-log (wechselt nicht zum Monolog wie beim Schreiben) und lernt sprachlich kaum Neues hinzu. Typische Lernprozesse: Schreibt der Erwachsene das Gesagte schnell mit, erfährt das Kind die Aufzeich-nungsfunktion der Schrift und fühlt sich bestätigt, weil seine Äußerungen wertgeschätzt werden. Die Situati-on fordert aber nicht zu sprachlichem Lernen heraus.

Diktieren als Verschriftlichung DAS NILPFERD SIEHT DIE FRAU LESEN.

Der Erwachsene schreibt das vom Kind Diktierte in einer Hal-tung der Schriftlichkeit auf: wörtlich, halblaut mitsprechend, rechtschriftlich und grammatisch korrekt (Merklinger 2012). Typische Lernprozesse: Der Lerner kann das Schreiben auf dem Papier verfolgen und seine Aufmerksamkeit auf Sprache als Gegenstand richten, gesprochene Wörter sehen. Er erfährt, dass Sprache (und nicht Inhalte direkt) aufgeschrieben wer-den. Er kann Buchstaben wiedererkennen und sein Sprech-tempo dem Schreibtempo anpassen, also seine Artikulation kontrollieren und präzisieren (Silben, Laute). Beim Diktieren des eigenen Textes kann das Kind Zugänge zu Schriftlichkeit finden und implizit phonologische und grammatische Korrekturen erfahren – in einer funk-tionalen Situation.

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2 Die Lese-Hör-Kiste

2.1 Die Hörmedien

Jede Lese-Hör-Kiste enthält zehn sehr unterschiedliche Hör-Medien mit dazu gehörigem Bilderbuch. Ziel ist

es, Vorschulkinder zur parallelen Nutzung der Medien anzuregen. Die Vielfalt der ausgewählten Geschichten

trägt den unterschiedlichen Medienerfahrungen der Kinder Rechnung. Befunde der Leseforschung besagen,

dass literarische Figuren zentral für die Lesemotivation sind, die auch langfristig grundlegend für die Ent-

wicklung von Lesekompetenz ist. Deshalb enthält die Lese-Hör-Kiste einige Geschichten mit Figuren, die

Kinder aus anderen Medien kennen (z.B. die Original-Hörspiele Ratatouille, Arielle oder Nemo aus bekann-

ten Disney-Filmen, der im Medienverbund vermarktete Hase Felix und die auch im Fernsehen verbreiteten

Erlebnisse des kleinen Eisbären oder neuerdings auch Der Grüffelo). Über diese Medienfiguren werden auch

jene Kinder von der Lese-Hör-Kiste angesprochen, die bisher v.a. audiovisuelle Medien nutzen.

Zudem sind mehrere an Sachthemen orientierte Hörgeschichten

enthalten, die insbesondere Jungen zum Griff nach Hörmedien

anregen: z.B. eine Geschichte über Delphine oder zu Eichhörn-

chen) sowie die Erkundungen des Hasen Felix über das Leben

von Kindern in verschiedenen Ländern dieser Welt. Für buchori-

entierte und hörspielerfahrene Kinder werden zudem verschiede-

ne dialogisch und akustisch ansprechend und nah am Buch gestal-

tete Hörmedien angeboten. Und natürlich kann die Lese-Hör-

Kiste von den Kindern und den Lehrkräften ergänzt werden.

Zur Kiste gehören die Raupe Nimmersatt als sprachlich einfache Hörgeschichte zum bekannten Bilderbuch

von Eric Carle und prämierte Hörspiele nach anspruchsvollen Bilderbüchern (1 bis 5). Sie eignen sich be-

sonders zur gemeinsamen Einführung in das Hören und für das Verständnis vertiefende Aktivitäten im Un-

terricht, so dass sie erst danach zum selbständigen Hören zur Verfügung gestellt werden sollten. Welche

Lernpotentiale gerade diese buchorientierten Hörmedien in vorstrukturierten Umgebungen entfalten können,

wird konkret anhand von Produkten der Kinder und zahlreichen Unterrichtshinweisen ausgeführt.

1. Scheffler/Donaldson u.a.: Der Grüffelo

2. Baltscheit u.a.: Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte

3. Bauer u.a.: Die Königin der Farben

4. Lobel: Das große Buch von Frosch und Kröte

5. Scheffler/Donaldson u.a.: Die Schnecke und der Buckelwal oder Der Flunkerfisch

6. Carle u.a.: Die kleine Raupe Nimmersatt

7. Langen/Droop: Felix bei den Kindern dieser Welt

8. de Beer: Kleiner Eisbär, nimm mich mit

9. Disney: z.B. Ratatouille oder Findet Nemo oder Arielle die Meerjungfrau

10. Frattini/Grimm u.a.: Der kleine Delphin entdeckt das Meer oder

Döring/Reichenstetter: So leben die kleinen Eichhörnchen

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2.2 Organisation im Unterricht – Checkliste

Einführung der Lese-Hör-Kiste

Inhalt der Kiste vorstellen (einige CDs anspielen)

Selbständige Handhabung stärken: Wie funktionieren Discman, CD-Recorder und Kopfhörer?

Ritualisierte Hörzeiten: Wann darf man hören?

Regeln für verschiedene Hörkontexte vereinbaren: Wie kann man hören? (Kleingruppe, einzeln, Ort)

Mediengebrauch anleiten: Wie gehen wir mit den Medien um?

Verarbeitung des Gehörten: Diktieren und Malen ins Geschichtenheft – Nachspielen - …

Vorstrukturierung des Raumes

Alles hat seinen Platz:

o Lese-Hör-Kiste

o Discman

o Kopfhörer (besser als kleine Ohrstecker) und Weichen für gemeinsames Hören (und evt. eine Schaltstelle)

o CD-Recorder für den Gruppenraum

o Memory-Spiele (á 15-18 Kartenpaare)

o Geschichtenhefte

Die Kinder wissen, wo sie was machen können.

Die Kinder wissen, wen sie um Hilfe bitten können.

Thematisierung der Lese-Hör-Kiste in jedem Gesprächskreis

Kinder erzählen von ihren Lieblingshörgeschichten oder von häuslichem Hören

Kinder zeigen, was sie zu den Hörgeschichten produziert haben

Die Lehrkraft liest vor, was Kinder zum Gehörten geschrieben haben

Kinder verabreden sich zum gemeinsamen Hören

Kinder stellen von zuhause mitgebrachte Geschichten für die Kiste vor – als Buch und CD

Einführung von Geschichtenheften

Wie gestalten wir die Hefte? (Einband, Binnenstruktur: Mal- und Schreibseiten)

Wie können die Kinder ihr Heft selbst finden? (Name/Nummer?)

Wann darf man diktieren? (nach dem Hören; ritualisierte Zeiträume; Schreibplatz für Skriptorin und kindlichen Schreiber)

Wie gestalten wir jede Schreibseite? (Sticker als Überschrift? Datum als Gedächtnisstütze?)

Wie viel kann ich schreiben? (z.B. „2 Sätze“ oder 1 DIN-A5-Seite)

Eine lebendige Lese-Hör-Kultur in der Klasse pflegen

Eine Ein-Tages-Ausleihe anregen – gerade für Kinder, die keine eigenen Hörmedien haben

Zu jedem Sachthema ein neues Hörbuch&Buch in die Kiste stellen (z.B. Das magische Baumhaus)

Vertiefende Anschlussaufgaben zu den Hörgeschichten bereit stellen (s. 3.4)

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2.3 Kommunikative Hör-Kontexte

Wie im Umgang mit Bilderbüchern ist auch beim Hörspielhören die Erfahrung einer anregenden Gesprächs-

kultur wichtig: Wenn Kinder dem Vorlesenden nicht nur still zuhören oder auf Fragen zum Text antworten

(sollen), sondern eine aktive Rolle beim Verstehen des Textes erhalten, erwerben sie langfristig wichtige

Verhaltensweisen im Umgang mit Geschichten. Und wenn sie in verschiedenen Kontexten hören können.

Was eine anregende Gesprächskultur beim Hören kennzeichnet

- Austausch von Wissen, Erfahrungen und Gedanken zum Gehörten in der Lerngruppe

- Anregung von inneren Vorstellungsbildern, die das Verstehen des Textes im Ganzen stützen

- Herstellung von Bezügen zwischen der fiktiven Geschichte und dem realen Alltagswissen

Gemeinsames Zuhören mit der ganzen Lerngruppe

Dieser Kontext ist gerade zur Einführung in eine neue Hörgeschichte wichtig, damit jedes Kind durch die

Impulse der Pädagogin erleben kann, dass seine eigenen Gedanken und sein alltägliches Weltwissen bedeut-

sam für das Verstehen einer Hörgeschichte sind. Gezielt kann sie dabei Stopps an gesprächsanregenden Stel-

len des Hörspiels setzen sowie Bilder aus dem Buch oder szenische Verfahren zur Einfühlung in die Figuren

und Situationen und zur Vertiefung des Hörverstehens nutzen (Hüttis-Graff u.a. 2010b).

Zuhören in Teams und kleinen Gruppen

Hörspiele können von Gruppen mit CD-Player im

Nebenraum oder auf dem Flur, von Teams mit Kopf-

hörern mit Weiche gehört werden. Dabei können sie

eigenständig ihre Höreindrücke vertiefen, selbständig

Passagen auswählen oder wiederholen, das Buch

ansehen und zur Geschichte malen. Solche Hörgrup-

pen regen Kinder an, sich auch neuen Hörspielen

zuzuwenden.

Einzeln zuhören

Damit Kinder eigenen Vorlieben nachgehen können, sind zudem

Situationen zum selbständigen Hören mit Kopfhörern zu schaffen.

Wenn diese Möglichkeit täglich z.B. in der Freispielzeit angeboten

wird und in die Handhabung eines Discman und der Kopfhörer

(große Lautstärke ist schädlich!) eingeführt wurde, entfalten Kas-

setten ihre Wirkung durch die beliebige Wiederholbarkeit – auch

mit dem Buch oder beim Malen zur Geschichte.

Kreisgespräche über das Hören und über Hörmedien

Damit das Angebot der Lese-Hör-Kiste genutzt wird, sind immer wieder Gespräche über das Hören im Kreis

wichtig: Berichte über besondere Hörerlebnisse, Präsentationen von Kinderarbeiten zu den Hörgeschichten,

Anspielen besonderer Passagen, Organisation von Hörsituationen in Kleingruppen, Vorstellen von eigenen

Hörmedien tragen dazu bei, dass Kinder Interesse am Hören entfalten und sich auch neuen Hörmedien zu-

wenden. Dazu tragen auch Angebote zur vertiefenden Auseinandersetzung mit Figuren und Geschichten bei.

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3 Die Auseinandersetzung mit Hör-Geschichten vertiefen Grundlage für die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten zur Vertiefung von Hör-Erlebnissen und vielfäl-

tigen Erfahrungen mit Geschichten sind vielfältige Medien: die Hörmedien mit dem jeweiligen Bilderbuch,

dazu passende Memorys mit Schrift, die als Spielmaterialien die Kiste ergänzen, von den Kindern zu gestal-

tende Geschichtenhefte sowie Figuren aus den Geschichten zur Bildgestaltung und zum Spielen. Für die

Angebote zu den Hamburger Lese-Hör-Kisten in Vorschulklassen ist zentral, dass die Aufgaben inhaltlich an

Medienerfahrungen der Kinder anknüpfen und Spielräume für die Entfaltung eigener Zugänge zu Geschich-

ten, zu Schrift und Schriftlichkeit eröffnen – im Unterschied bspw. zu Wahrnehmungsaufgaben oder Zuhör-

training. Es geht also nicht um das gezielte Training isolierter Anforderungen, sondern um vorstrukturierte

Lernangebote, die das je individuelle Können der Kinder aufgreifen und Lernmöglichkeiten im Umgang mit

Schrift anstoßen (Dehn 2010). Es gilt Freude an sprachlich vermittelten Geschichten zu wecken und zu ver-

tiefen (Ulich 2003) und individuelle Zugänge zu elementarer Schriftkultur zu eröffnen: durch die Gestaltung

regelmäßiger kommunikativer Hörsituationen und Herausforderungen zur vertieften Auseinandersetzung mit

dem Gehörten – in (Hör-)Gesprächen und auch mit Schrift (beim Memory-Spielen und Diktieren).

3.1 Was Kinder thematisieren

Drei Jungen hören mit einer studentischen Beobachterin im Nebenraum die Geschichte vom Grüffelo und

blättern dabei im Buch. Als der Grüffelo schließlich vor der erschreckten Maus steht, wendet sie erneut eine

List an: sie demonstriert dem hinter ihr gehenden Grüffelo, dass die (zuvor vor dem ausgedachten Grüffelo-

Freund geflohenen) Tiere im Wald vor ihr davon laufen. Als die Maus dann resümiert: „Was sagte ich dir?

Alle Tiere im Wald haben Angst vor mir“ und ergänzt „Grüffelo-Grütze kann ich gut vertragen“, schließt

der Erzähler: „Der Grüffelo schaute das Mäuschen an und floh!“. Hier beendet die Beobachterin (B) das

Hören und leitet ein Gespräch ein.

Die Kinder interessieren sich neben dem Handlungsverlauf vor allem für die Figuren: Die Kinder ergründen

das Verhalten der Figuren: Hat die Maus gelogen oder nicht? Warum läuft der Grüffelo weg?

Danny: Die Maus hat doch alle angelügt, oder nicht? Die Maus gibts (wohl) und nicht der Grüffelo [lacht]. Dann ist er weg, er hat Angst, das fand ich so lustig. Aber warum ist eigentlich der Grüffelo weggerannt?

Konrad: Weil, weil die Maus Grüffelo-Grütze gesagt hat. (…) weil, er will ja nicht sterben.

Die Kinder versuchen die Gefühle der Figuren nachzuvollziehen: Hat der Grüffelo Angst vor der Maus? Und

warum?

Konrad: Aber - wie soll die Maus ihn denn kriegen können? Weil, der Grüffelo ist ja st/viel stärker als die kleine Maus.

Die Kinder beschäftigt, welche Figur gut oder dumm ist.

Danny: Aber die Maus ist, äh, weißt du, was die Maus sich denkt? Die ist doch nicht dumm, die ist gut. Der Grüffelo ist dumm, oder? - Weil er hat ja Angst. Und die Maus nicht. Komisch, oder? Eigentlich müsste d/Angst, die Maus Angst haben, oder, Konrad?

Die Kinder üben sich also in Empathie und im Fremd-Verstehen, sie beschäftigt das äußere Verhalten und

die Innenwelt literarischer Figuren. Sie bearbeiten anhand der Geschichten existentielle Themen von Angst

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und Mut, Lüge und Wahrheit, Stärke und Schwäche, Dummheit und Schläue. Sie ziehen dazu ihr Vorwissen

heran, hier die unterschiedliche Größe der Tiere - und immer wieder beschäftigt sie die Frage, ob das Gehör-

te Realität oder Fiktion ist: „ob wohl den in echt gibs“. Bezüge zu sich selbst finden die Kinder hier im Ge-

spräch miteinander: Danny sucht immer wieder die Bestätigung seiner Deutungen von Konrad. In solchen

Hörgesprächen lernen Kinder auch, dass andere möglicherweise ander(e)s über die Geschichte denken – und

sie beziehen sich dabei stets auf das Gehörte (Hüttis-Graff 2008).

Bevor die Kinder selbständig lesen können, zeigen und entfalten sie in Hörgesprächen persönliche Bezüge zu

Geschichten. Vorschulkinder sammeln dabei Erfahrungen mit entscheidenden Aspekten von Literatur, die

eine wichtige Basis für die Entwicklung von Lesekompetenz darstellen und in der Schule in literarischen

Gesprächen als Ausbalancieren von „Selbstkundgabe, Ernstnehmen des anderen und Textbezug“ (Spinner)

weiter geführt werden.

3.2 Denk- und Sprechräume eröffnen

Gute Gespräche über Hörspiele entstehen nicht naturwüchsig und lassen sich auch nicht direkt erzeugen.

Aber es lassen sich Bedingungen für die Entstehung Gespräche benennen, die nicht auf der Oberfläche der

Geschichte verbleiben, sondern die Bezüge und Gedanken der Kinder entfalten und damit die hinter dem

Text liegende Bedeutung der Geschichte für die Kinder austauschbar machen (Hüttis-Graff u.a. 2010b). Den

folgenden Gesprächsimpulsen liegt eine Haltung zugrunde, die von Neugier für die Gedanken der Kinder

getragen ist. Sie ist jedoch nicht leicht umzusetzen, gerade wenn man Gespräche über Literatur selbst immer

anders erfahren und erlebt hat, dass es nämlich um ‚richtig’ und ‚falsch’ geht und nicht um die gemeinsame

Suche nach und Klärung von Verstehensweisen.

Wie eine interessante Gesprächskultur angeregt werden kann

Stopp an einer Stelle besonderer Offenheit oder Spannung, um ohne eine konkrete Frage die Vorstellungsbildung der Kinder anzuregen, unterschiedliche Hypothesen im Gespräch zu ent-falten. Dazu kann man sich beim vorbereitenden Hören eine Notiz ins Bilderbuch machen. Statt nach dem Stopp eine Frage zu stellen, kann man zur Herausforderung eines Gesprächs auch mal eine Passage lesend wiederholen.

Bezug auf die Gedanken der Kinder: „Jetzt haben wir etwa 10 Minuten von … gehört. Ich möch-te jetzt gern von dir wissen, welche Gedanken dir dabei durch den Kopf gehen/ gegangen sind.“

Etwas zum Thema machen: „Die Maus hat gesagt, der Grüffelo ist dumm. Was denkst du darü-ber?“ Das bedeutet, man muss die Hörgeschichte (und ggf. auch die Kinder) gut kennen, um ein Thema oder ein „Problem“ aus der Geschichte aufgreifen zu können, das für die Kinder re-levant ist und zu dem sie ihre Gedanken äußern wollen.

An Spontanreaktionen der Kinder anknüpfen, z.B. „Danny, du hast da vorne eben gesagt: ‚Die lügen doch alle’. Was denkt ihr darüber?“ Auch wenn Kinder nonverbale Reaktionen auf das Gehörte zeigen, lässt sich dies gut aufgreifen: „Hier gab es offenbar etwas Überraschendes. Worüber musstet ihr denn eben lachen?“

Das eigene Verständnis von einer Kinderäußerung formulieren, ohne zu werten: „Die Maus da hinten meinst du, ist gar nicht die Maus, von der das Grüffelokind gesprochen hat?“ Solche Äußerungen sind dann schwierig, wenn Kinder Fehlverstehen nicht korrigieren. Dann führen provokative Äußerungen eher zur Klärung, z.B. „Ist das wirklich nicht die Maus?“.

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Als wenig voranbringend erwies es sich, Kinder nach Wortbedeutungen zu fragen, weil dies auf die Wort-

ebene beschränkt und die Gesamtbedeutung aus dem Blick gerät. Oft lässt sich Schwieriges nebenbei klären

oder wenn die Kinder selbst etwas nachfragen. Auch die Einforderung einer Inhaltswiedergabe in chronolo-

gischer Abfolge entspricht nicht dem Zugriff junger Kinder, denn sie richten ihre Aufmerksamkeit oft weni-

ger auf die gesamte Handlungsfolge als vielmehr auf Ausschnitte des Gehörten und erarbeiten sich daran

Kernaussagen, Formulierungen, Figurenkonstellationen, existentielle Themen. Wertungen des Erwachsenen

könnten das Denken der Kinder einengen, weil sie dann denken, es gäbe nur eine richtige Verstehensweise

für Geschichten. Fragen danach, woher die Kinder eine Figur kennen, führen oft lediglich zum Aufzählen

von Fernsehsendungen oder anderen Medien; ein inhaltlich vertiefendes Gespräch zum Gehörten kommt so

nicht in Gang, weil stattdessen (stereo)typische Eigenschaften oder visuell Bekanntes in den Blick gerät. In

Hörgesprächen mit Kindern gilt es also Abstand zu nehmen von solchen Fragen, die zum Abfragen werden,

wenn der Erwachsene nur erfahren will, ob das Kind etwas weiß oder nicht. Vielmehr gilt es als Erwachsener

(nach) zu fragen, weil man genauer wissen will, wie ein Kind etwas meint oder versteht.

Der Impuls der Pädagogin entscheidet also über die Art der Situation beim Hören! Nur wenn Lehrkräfte Inte-

resse an den Kindern und ihrem Denken zeigen, wenn sie an deren Rezeption ansetzen und ihnen mit Impul-

sen Denkräume eröffnen, statt ihr Denken zu steuern oder etwas abzufragen, werden sie etwas von ihnen

erfahren, werden sie mit interessanten Hör-Gesprächen und interessierten Kindern belohnt.

Wie literarische und sprachliche Lernprozesse unterstützt werden können

- Intensivierung und Verlangsamung der Rezeption, Fokussierung der Aufmerksamkeit, Versprachlichung von Gehörtem und Gedachtem und Wiederholung

- Bezug zu eigenen Erfahrungen ermöglichen - als Grundlage für Projektions- und Identifikati-onsprozesse

- Kontext-Informationen für das Verstehen geben, aber Bedeutungen offen halten

- In sprachschwachen Lerngruppen die gehörte Szene sogleich mit Papp-Figuren nachstellen und die dargestellte Situation in der Lerngruppe gemeinsam versprachlichen – damit Kinder ihr Hörverstehen absichern und ihre Sprachfähigkeiten gemeinsam erweitern können

Die Auseinandersetzung mit den gehörten Geschichten kann auch durch folgende Angebote vertieft werden:

Kinder basteln von den literarischen Figuren Fingerpuppen und spielen damit die gehörten Ge-

schichten nach oder erfinden neue – auch durch die neuartige Kombination der Figuren. Dieses An-

gebot ist leicht vorzubereiten und für Kinder attraktiv in der Herstellung und im Gebrauch.

Kinder spielen die Geschichten nach – im freien Spiel oder als Aufführung für andere Kinder oder

die Eltern. Letzteres ist aufwändig, gerade wenn dabei jedes Kind eine wichtige und leistbare Aufga-

be erhält.

Singen und Lernen ausgewählter Lieder auf den Hörmedien – der Text kann für die Kinder auch in

der Klasse auf ein Plakat aufgeschrieben und mit Piktogrammen für sie „lesbar“ gemacht werden. So

machen sie Erfahrungen mit der Funktion der Schrift als Merkhilfe.

Kinder erstellen zu zweit ein Bild von einer ihnen wichtigen Szene aus dem Hörspiel – die hand-

lungsbegleitenden und –planenden Prozesse befördern die sprachliche Auseinandersetzung mit dem

Gehörten. Anschließend können die Kinder auch einen eigenen Text über diese Szene diktieren –

möglichst mit räumlichem Abstand vom Bild, damit die Kinder das Gemeinte versprachlichen und

im Text nicht direkt auf das Bild oder auf den gemeinsamen Vorstellungsraum verweisen.

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3.3 Hör-Memorys mit Schrift

Die Lese-Hör-Kiste enthält Memorys mit Schrift, bei denen es um das Finden gleicher Bilder geht. Hier ist

jedoch eine der Bildkarten von jedem Paar auf der Rückseite beschriftet. Man spielt so: Etwa 15-20 Karten-

paare werden zu Spielbeginn mit den Bildern nach unten auf dem Tisch ausgelegt. Zuerst dreht ein Kind eine

Karte ohne Schrift um. Wenn es die zu dem Bild passende Karte sucht, kann es das Memory wie herkömmli-

che Memorys spielen. Manche Kinder aber suchen sich an der Beschriftung auf den Rückseiten der anderen

Karten zu orientieren, weil dies die Gewinnchance erhöht – das Material fordert Kinder also zur Beachtung

der Schrift heraus. Wichtig ist die Regel, dass sich die Spieler beständig abwechseln, auch wenn einer ein

Paar gefunden hat, damit ein Kind durch Schriftorientierung nicht gleich alle Karten abräumen kann.

Das Besondere dieser Memorys ist, dass sie sich auf die Geschichten in der Lese-Hör-Kiste beziehen. Es

gibt in der Lese-Hör-Kiste zwei Formen dieser Memorys:

Auf einem Memory sind die Cover der Hörmedien abgebildet, so dass Kinder einen Überblick über

die Titel in der Lese-Hör-Kiste erhalten. Wenn sie ein Bild aufgedeckt haben, können sie bei der Su-

che nach der zweiten Karte die Schrift auf dem abgebildeten Cover mit der Schrift auf den auslie-

genden Karten vergleichen. Beim Umdrehen sehen sie dann eindeutig, ob die beiden Bilder gleich

sind. Dieses Spiel ermöglicht also eine rein visuelle Orientierung.

Das andere Memoryspiel enthält (Tier-)Figuren aus den Hörgeschichten (für zwei Kartensätze!).

Diese Abbildungen enthalten selbst keine Schrift, so dass die Kinder bei der Suche nach der passen-

den Karte zur Sprachanalyse herausgefordert werden.

Die Bilder auf diesen Memorys bestärken zudem den inhaltlichen Bezug der Kinder zu den Geschichten:

Enes deckt das Krokodil-Bild (aus der Geschichte vom Löwen) auf. Phil: Krokodil. Enes: Krokodil? Phil: Der, der die Giraffe aufgefressen hat! Enes schaut Phil an, als hätte er einen Geistesblitz und lächelt.

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Zugleich fordern Memorys mit Schrift die Kinder heraus, die

Schrift zum Gewinnen zu nutzen. Erfahrungsgemäß regt das

Spielen solcher Memorys die Kinder dazu an, ihre Sprache zum

Gegenstand der Betrachtung zu machen und gemeinsam die

Schrift zu erkunden:

Konrad: Arielle – A – A – A Melvin: Hier, zwei A´s. Konrad deckt die richtige Karte auf:

Ich hab mir das A vorne gemerkt.

Beobachtet man Kinder beim Spiel solcher Memorys mit Schrift, erhält man einen Einblick, inwiefern jedes

die beschriftende Funktion der Schrift erkennt und wie es die Schrift nutzt, d.h. welche Schriftkenntnisse,

welches Problemlöseverhalten und welches Lernverhalten in Bezug auf den Partner es zeigt. Oft äußern die

Kinder dies in ihren Spielen:

Laura lacht, als sie das Arielle-Paar gefunden hat: Haha, weil ich auch ein A gesehen hab.

Antonia sagt: Ich hab das mir gemerkt, wie Felix geschrieben wird.

Wie die sozialen Hörsituationen ist das Memoryspielen also für die Kinder eine Lernsituation – und zugleich

für den Pädagogen eine Chance zur Beobachtung ihres Lernens (Dehn 2010).

3.4 Anregungen zur gestaltenden Verarbeitung

In der Klasse können verschiedene Angebote bereit gestellt werden, damit Kinder sich mit den gehörten Ge-

schichten vertiefend (oder auch begleitend) beschäftigen können:

Geschichtenhefte ermöglichen Kindern, ihre Höreindrücke langfristig

zu sammeln: als von ihnen gemalte, gezeichnete oder geklebte Bilder

oder auch als von ihnen diktierte Texte zu gehörten Geschichten (s.

4.4.1 – mit Name und nummeriert, damit Kinder ihr Heft selbstän-

dig finden können). Indem sie ihre inneren Vorstellungen fixieren,

wählen sie aus dem komplexen Hör- und Bildangebot für sie Inte-

ressantes aus und erfahren, dass sie flüchtige Gedanken dauerhaft

fixieren und dass sie selbst oder andere ihre Bilder oder auch den genauen Wort-

laut des Diktierten auch nach langer Zeit wieder zum Gegenstand der Betrachtung machen können.

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Ausschneiden, Kleben und Malen: Zum Ausschneiden bereit gestellte Abbildungen der literarischen

Hörmedien-Figuren ermöglichen den Kindern, die Beziehungen zwischen ihnen oder die sie umgebende

Situation auszugestalten – wie Kinder sie gehört oder im Bilderbuch gesehen haben oder wie sie sich et-

was vorstellen, das sie im Bilderbuch nicht gesehen haben. Die folgenden Aufgaben unterstützen Kinder

in dieser Entfaltung innerer Bilder und damit in der Darstellung ihrer Deutung von ihnen wichtigen As-

pekten der Geschichten aus der Lese-Hör-Kiste - dies sind für das Lesenlernen wichtige literarische Fä-

higkeiten, die Freude an Geschichten wecken.

o Nach dem gemeinsamen Hören und Betrachten des Bilderbuches: Was passiert wohl zwischen den

Seiten x und y in der Geschichte? Schneide die Figuren dafür aus, klebe sie so auf ein großes Blatt,

wie sie zueinander stehen, und male mit bunten Stiften rundherum, wie es dort rundherum aussieht!

Die Möglichkeiten der Figurenanordnung auf dem Blatt (hochkant oder quer gelegt) werden gezeigt,

die unterschiedlichen Wirkungen versprachlicht: Schauen sie sich an oder wenden sie sich vonei-

nander ab? Sind sie nah oder fern? Schaut einer auf den anderen herab? …

o Nach dem gemeinsamen Hören und Betrachten des Bilderbuches wird ein Anstoß zur Antizipation

der Geschichte gegeben: Was passiert wohl nach dem Ende der Geschichte? …

o Vertiefende Fokussierung einer Situation: Wir haben die Geschichte … gehört. Schließe die Augen

und stell dir die Geschichte wie einen Film in deinem Kopf vor. Halte diesen Film an der Stelle an,

die du ganz genau sehen kannst! Dieses Bild sollst du jetzt auf das Papier bringen. Du kannst dieses

Bild malen oder auch Figuren ausschneiden und dazu kleben.

o Bildet Teams und stellt gemeinsam ein großes Bild über eine gehörte und im Bilderbuch gesehene

Geschichte her, die euch gut gefällt! Ihr könnt malen, schneiden und kleben.

Diese motivierende Aufgabe fordert Kinder mit geringen sprachlichen Fähigkeiten heraus, ihre Zu-

sammenarbeit auch sprachlich zu organisieren sowie handlungsbegleitend ihre Gedanken über die

Gestaltung des Bildes zu verbalisieren. Sie entwickeln dabei gemeinsam ihre sprachlichen Grundla-

gen – auch bspw. für ein späteres Gespräch über die gehörte Geschichte in der Klasse, selbst wenn

sie sich dann nicht mehr direkt auf das Bild beziehen können.

Das Gehörte visualisieren, selbst versprachlichen und besser verstehen: Aus Pappe können große

Figuren der Protagonisten hergestellt werden, mit denen während des gemeinsamen Hörens Situationen

der Geschichte (nach)gelegt und versprachlicht werden können (auch mit weiteren einfachen Requisiten

wie Tücher: grün für Wald oder Wiese, blau für Wasser, …. oder auch an der Tafel mit gemalten Um-

gebungen). Hören die Kinder diesen visualisierten und besprochenen Teil der Hörgeschichte erneut von

CD, können sie sprachliche Einheiten besser identifizieren und ihr Hörverstehen verbessern.

Im Spiel die Sprache entwickeln: Zudem können Kinder aus den Figuren kleine Stabpuppen oder Fin-

gerpuppen herstellen, die zum selbständigen (Nach)Spielen der gehörten oder weiterer Geschichten an-

regen und so die Sprachentwicklung der Kinder befördern.

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4 Zugänge zur Schrift durch Diktieren

4.1 Kinder diktieren eigene Texte

Schreibe auf, was dir wichtig ist – ich schreib es für dich!

Wenn Kinder ihre Gedanken einem Erwachsenen diktieren, kann die Schrift

als Medium für den Ausdruck von Gedanken und Gefühlen für sie erfahrbar

werden, obgleich sie noch nicht selbst schreiben können. Diese aus dem

Mittelalter bekannte Trennung des gedanklichen Formulierens vom manuel-

len Verfertigen eines Textes durch einen Skriptor ermöglicht Vorschulkin-

dern Einblicke in die Bedeutung und den Prozess des Schreibens und eröff-

net ihnen Zugänge zu Schriftlichkeit (s. Merklinger 2012).

Die Diktiersituation: Wie Kinder Texte diktieren können

Legen Sie das Schreibblatt zwischen sich: Das Kind sollte beim Diktieren so neben Ihnen als Skriptor sitzen, dass es sehen kann, was geschrieben wird (also links von Ihnen als Rechtshänder).

Sprechen Sie beim Schreiben halblaut mit: Der schnelle Redefluss des Kindes wird ge-bremst, indem Sie als Skriptor beim Schreiben halblaut mitsprechen. Artikuliert der Skriptor gedehnt im Schreibtempo mit, wird dem Kind die Langsamkeit des Schreibens deutlich und es kann seine Artikulation dem Schreibtempo und oft auch der genauen Sprechweise anpassen (phonematische Fähigkeiten: „Schu`ranzn“ „Schu:l-ran-ze:n“; „Spiescheugauto“ „Spi::el-zeug-au:to“; „Kasche“ „Ta:sche“). Das Diktieren ist dann ein Impuls für Kinder, ihre Auf-merksamkeit nicht nur wie im Alltag auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Sprache und die gezielte Steuerung der Artikulation und zu richten. Diese phonologische Bewusstheit ist wichtig für das Schreibenlernen.

Schreiben Sie wortgenau mit: Die Formulierungen des Kindes sollten beim Aufschreiben nicht verändert werden. Nur so erfahren Sie etwas über seine Vorstellungen von Texten und vom Schreiben und das Kind kann das Geschriebene als das Eigene empfinden. Dieses Po-tential der Schrift ist für Schreiblerner verlockend. Sprachliche Muster aus der gehörten Ge-schichte sind oft Sprungbrett in den Text. Statt Formulierungsvorschlägen sollte der erwachse-ne Skriptor Impulse geben, damit die Zone der nächsten Entwicklung beim Kind selbst ange-stoßen wird und seine Formulierungen fixiert werden (s. 4.2 und 4.3).

Ein Text muss nicht lang sein: Manche Kinder diktieren nur einzelne Wörter, weil sie aus alltäglichen Gesprächen häufige Sprecherwechsel kennen, dass der Hörer etwas entgegnet oder nachfragt. Manche diktierten Texte sind nicht lang. Der Erwachsene sollte Kindern jedoch nicht signalisieren, dass er mehr von ihnen hören möchte, weil Kinder dadurch zur Aneinander-reihung von unverbundenen Gedanken verführt werden, häufig mit „und dann“ beginnend. Das Kind sollte wissen, dass es selbst bestimmen kann, wann es fertig ist (im Rahmen z.B. der Blattgröße oder der aus Zeitgründen begrenzten Anzahl der Sätze).

Eröffnen Sie dem Kind durch ihr Verhalten implizit Lernwege: Im Mündlichen greifen Sie kindliche Sprachfehler meist korrigierend auf. Auch Fehler des diktierenden Kindes können Sie beim mitsprechenden Schreiben implizit korrigieren: Dies ist sehr funktional und wegen der Langsamkeit zudem besonders einprägsam. Als Skriptor können Sie dem Kind natürlich auch sagen, wenn Sie etwas Diktiertes nicht verstanden haben, denn so fordern Sie das Kind her-aus, das Gemeinte präziser auszudrücken. Erklären Sie ihm jedoch etwas auf Metaebene, können Sie das Kind verunsichern, überfordern, verwirren und zudem den Schreibfluss stören.

Lesen Sie diktierte Texte in der Klasse wertschätzend vor: Von den vorgelesenen Texten anderer Schreiber können Kinder viel für ihr eigenes Schreiben lernen. So macht der Schreiber eines kurzen Textes die Erfahrung, dass die Mitschüler beim Vorlesen manches nicht verste-hen können, was ihm wichtig ist – hingegen gelingt dies bei solchen Texten, in denen der Schreiber seine Gedanken entfaltet hat. Kinder nutzen weitere Diktiergelegenheiten, um sich den für sie neuen Anforderungen der Schriftlichkeit zu stellen.

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4.2 Was Kinder in Diktiersituationen lernen können

Wenn ein Schreibanfänger die Gelegenheit erhält, einem erwachsenen Skriptor seine Gedanken zu einer

Geschichte als Text zu diktieren, gilt es die Gedanken wortgenau festzuhalten: Schreibe auf, was dir wichtig

ist! Diese Aufgabe fordert kein Nacherzählen, macht es aber möglich. Ausgehend von seinem Ausdrucksbe-

dürfnis kann das Kind in der Diktiersituation seine Erfahrungen aus der Mündlichkeit erproben und gleich-

zeitig erweitern: es kann Zugänge zu Schriftlichkeit finden (s. Merklinger 2012). Zugleich kann es (bisher

meist nur im Dialog genutzte) sprachliche Fähigkeiten neu betrachten und differenzieren: Es kann Neues

über die Sprache und die Literatur erfahren. Wie unterschiedlich die Lernmöglichkeiten der Kinder beim

Diktieren sind, soll an Beispielen dargestellt werden:

Diktieren als Zugang zu Schriftlichkeit

Über die Schriftzeichen auf dem Papier: Einige Kinder bemerken im Text ihnen bekannte Buchsta‐

ben. Sie bestätigen damit ihr Wissen, erkennen es als wichtig für das Schreiben ihrer Gedanken und 

können ihren Buchstabenbegriff differenzieren. Schreibanfänger können erkennen, dass die Buch‐

staben Laute der gesprochenen Sprache wiedergeben (und nicht das Bezeichnete direkt): 

o Oskar (zum O in GRÜFFELO): Den hab ich vorne! o Erwachsener Analphabet: Eichhörnchen ist so ein langes Wort??? o Yasemin hat zwar in den ersten Schulmonaten brav im Unterricht die Buchstaben ge-

lernt, aber das Gelernte hat keine Bedeutung für sie erlangt, weil sie aus kulturellen Gründen noch keinen Zugang zu Schriftlichkeit gefunden hat. Sie diktiert mit Hilfe der Lehrerin einen Text über ihre Oma in der Türkei, der mehrfach gelesen wird. Dann soll sie darin die Buchstaben farbig markieren, die sie im Unterricht gelernt hat: das A rot, das M gelb usw. Dadurch hat Yasemin erkannt, dass der schulische Stoff etwas mit ihr und ihrem Leben zu tun hat. (Hüttis-Graff in Merklinger 2012)

Über die Langsamkeit des Schreibens: Weil der Erwachsene nicht so schnell schreiben kann, wie das 

Kind spricht, kann es auf die Langsamkeit des Schreibens und die starke räumliche Ausdehnung der 

Schrift aufmerksam werden – während das Gesprochene  schnell verfliegt (Merklinger 2012) 

o Kevin: Dass man so viel schreiben kann, dass man so viel für eine Geschichte. (Schreibanfänger 6. Klasse; Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung)

o Nele: Ähm, dass die Maus alle, ähm, die Maus hat ja alle so beschummelt. Das war für mich ganz schön wichtig.

Skriptor: Okay, was soll ich schreiben? Nele: Die Maus [?] Skriptor: (schreibt:) Die: Maus: [?] Nele: Hat alle beschummelt.

Über die Notwendigkeit zur selbständigen Entfaltung des Gedankens beim Schreiben:  Kinder sind 

aus Alltagsgesprächen gewohnt, dass sie dialogisch verlaufen, d.h. das Sprechen wechselt sich mehr 

oder weniger schnell ab, es gibt kurze (Halb)Sätze und Themenwechsel und der andere fragt nach, 

wenn er etwas nicht versteht. Beim Schreiben müssen sie jedoch ohne die direkte Reaktion eines 

Gegenübers ihre Gedanken selbständig entfalten. Kinder können merken, dass sie ihre Gedanken 

beim Schreiben (selbst) entfalten müssen – in längeren sprachlichen Einheiten. 

o Lisa überlegt lange, um den Textanfang zu finden (s. Merklinger 2012): Lisa: Hm. (13 Sekunden Pause) Skriptor: Überleg ruhig! Lisa: (28 Sekunden Pause) Der Löwe trifft die Löwin. Skriptor: De:r Lö:we tri:fft die Lö:-win

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o Eloy macht beim Diktieren gestisch vor, wie die Maus sich bewegt, statt dies sprach-lich zu fassen. Weil der Erwachsene die Bewegungen nicht aufschreiben kann, un-terstützt er Eloy darin, Wörter zum Ausdruck des Gemeinten zu finden. (s. 4.3)

o Lenny beendet seine Sätze beim Diktieren zunächst nicht – der Skriptor kennt ja den Rest – und vervollständigt sie erst, als der Skriptor ihm die unvollständigen Sätze noch einmal vorliest (s. 4.3).

Über die Bedeutung der genauen Wortwahl: Damit man sich später sich auf das Aufgeschriebene 

berufen oder ein anderer es genau lesen kann, kann Kindern deutlich werden, dass sie wortgenau 

diktieren müssen. (Mehrsprachige) Kinder können dazu den (mehrsprachigen) Skriptor befragen: 

o Marie hat den Namen des Mistkäfers vergessen und fragt den erwachsenen Skriptor: „Wie heißt das kleine Ding nochmal?“

o Karina: Das Haus vom allergrößten Bruder ist richtig stabil. Skriptor: (schreibt den Satzanfang auf und fragt dann:) ist ganz stabil? Karina: richtig stabil.

Über die Möglichkeit der Reflexion über Geschriebenes: Kinder können die Schriftzeichen auf dem 

Papier zum Gegenstand ihrer Betrachtung machen und lernen, dass der entstehende Text überar‐

beitet werden kann – im Kopf und auf dem Papier. Das ist eine zentrale Leistung der Schrift. 

o Jonah: Hm. Jetzt hab ich schon drei Wörter mit Ce.

o Martin: Les mal jetzt alles. Ich möchte das mal hören!

o Eloy fällt auf, dass die zweite Zeile länger ist als die erste und die dritte viel kürzer.

o Karina überarbeitet das Diktierte während des Schreibens: Karina: Die Schweinchen konnten dann glücklich weiterleben. Skriptor: (schreibt:) Die: Karina: Die drei kleinen Schweinchen!

o Lucas: Lachte sich tot Skriptor: Soll ich schreiben ‚lachte sich tot‘ statt ‚lachte wieder‘? Ok, dann muss ich das durchstreichen. (Er streicht ‚wieder‘ durch und korrigiert:) si:ch to:t.

Über die Unabhängigkeit der Schrift von Zeit und Raum: Wenn ihre diktierten Texte später von 

anderen gelesen werden, können Kinder die Erfahrung machen, dass sie über Raum und Zeit hinaus 

und auch mit fremden Lesern kommunizieren können. Und sie entwickeln Stolz, einen Text selbst 

verfasst zu haben, auch wenn sie noch nicht selbst schreiben können. 

o Marija erzählt dem Gastlehrer stolz: Das ist mein Text. Ich habe ihn Frau P. diktiert. Aber es ist mein Text. (August Klasse 3; integrative Regelklasse; s. Merklinger 2012)

o Jana freut sich, dass das zu ihrem Bild Diktierte von einer anderen Lehrerin gelesen wird, aber sie ist zugleich enttäuscht, dass diese die Sätze, die sie neben die einzel-nen Szenen schreiben ließ, nicht in der richtigen Reihenfolge liest. Ein paar Tage später diktiert sie in ihrem zweiten Text ANFANG und ENDE und lässt die Sätze nummerieren. Ihren dritten Text schreibt sie separat in Zeilen, von links oben nach rechts unten. Ohne dass sie darüber belehrt wurde, hat sie die Funktion der Textlinearisierung verstanden (s. Hüttis-Graff in Merklinger 2012).

Über literarische und rhetorische Stilmittel: Kinder können Sprachmuster von gehörten Texten als 

Sprungbrett in ihren Text nutzen – imitierend und neu konstruierend zugleich: 

o Carla diktiert zur Geschichte „mutig mutig“ über den Spatz/die Schwalbe, die zu-nächst herumdruckst und dann den Wettkampf nicht mitmachen will, den folgenden Text: UND SIE SAGTE UND SIE SAGTE NOCH EINMAL UND DANN SAGTE SIE NOCH EINMAL: „ICH MÖCHTE NICHT MITMACHEN.“ Sie erzeugt also durch Wie-derholungen Spannung.

O Jonas beginnt seinen Brief an die Löwin mit einer Höflichkeitsfloskel: LIEBSTE PRINZESSIN! – im Hörbuch hieß es „Liebste Löwin!“

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Diktieren als Impuls für sprachliche Lernprozesse1

Die Aufmerksamkeit auf die Form der Sprache richten: Im Alltag beachten Kinder den Inhalt des Gespro‐

chenen. Beim Diktieren werden sie durch das halblaute, langsame und deutliche Mitsprechen und die 

Buchstaben auf dem Papier auf die Form der Sprache aufmerksam (metasprachliche Bewusstheit) – dies 

ist nicht nur für Kinder mit anderer Muttersprache oder mit Sprachfehlern wichtig. Sie können lernen, ihre 

Artikulation gezielter zu steuern (langsam sprechen, reimen) und Einheiten auf dem Papier in Bezug zum 

Gesprochenen zu setzen – beides ist für das Schreibenlernen wichtig.  

o Eloy spricht schnell und undeutlich. In der Diktiersituation schaut er der Skriptorin genau auf den Mund, während sie beim Schreiben gedehnt und deutlich mitspricht. Er ist faszi-niert von ihrer deutlichen Artikulation.

o Dilara diktiert silbisch mit deutlichen Wortendungen, die im Mündlichen oft verschluckt wer-den: Dann (…) hat er einen Affen ge-tro-ffen. (mündlich: /ein` Affn getroffn/)

o Paul lacht, als die Skriptorin das von ihm betonte „sooo gut“ auch mit drei O´s aufschreibt.

Die richtige Aussprache und die Wortbildung: Kinder können beim Diktieren lernen, ihre Sprache zu seg‐

mentieren und ihre Aussprache zu präzisieren (phonologisches Lernen): sie diktieren in Satzteilen, Silbe für 

Silbe und mit Explizitendungen. Sie können ihre Vorstellung von der Struktur eines Wortes entwickeln. 

Auch die Entwicklung eines Wortbegriffs ist auf Schrift angewiesen: in anderen Schriften sind Wörter an‐

ders gebildet und auch wir können in fremden Sprachen Wörter nicht aus dem Gesprochenen isolieren:   

o Azra spricht phonologische ungenau und hört beim Diktieren vom Erwachsenen deutlich die richtige Artikulation der Laute und die Segmentierung in Wortbausteine. Sie wird auf phonologische Strukturen des Deutschen aufmerksam: Azra: Schpiescheu, Schpiescheugauto Skriptor: (spricht deutlich während des Schreibens:) Spie:l:-zeug/ Azra: (fällt ein:) /Auto

 Grammatik: Weil der Erwachsene langsam und deutlich beim Schreiben mitspricht und vom Kind ggf. 

falsch geformte Wörter und Sätze beim Aufschreiben implizit korrigiert, damit sie gut lesbar sind, können 

Kinder auf grammatische Korrekturen aufmerksam werden – als Impuls zum Lernen. Z.B. 

o Flexionsendungen (Fall und Geschlecht) Azra: Bär. Skriptor: (schreibt:) Bä:r Azra: Große Bär Skriptor: (schreibt darunter:) Gro::ßer: Bä:r. (liest und zeigt:) Bär – Großer Bär. Azra: Kleiner Hund Skriptor: (schreibt darunter:) Klei:ner Hun:d. (liest:) Großer Bär. Kleiner Hund.

o Artikelgebrauch (auch verschiedene Fälle und bestimmter – unbestimmter Artikel) Fleur: Und der Krokodil hat sie aufgefressen. Skriptor: U:nd da:s Kro:ko-di:l ha:t sie aufgefressen.

Sprachliches Lernen ist in Diktiersituationen besonders motivierend für Schreibanfänger, weil sie die

„Bestimmer“ sind, weil ihre Gedanken und ihre Worte im Mittelpunkt stehen. Weil der Skriptor halblaut

mitspricht, kann der Schreibanfänger seine Aufmerksamkeit auf die Sprache als Gegenstand richten und

hören, wie Wörter und Sätze gebaut sind. Er kann merken: Korrekturen sind für das Schreiben konstitutiv,

sprachliche Unsicherheiten sind kein Misserfolg. Zugleich kann der Skriptor den aktuellen Sprachstand des

Kindes und sprachliche Lernprozesse genau beobachten – in einer authentischen und funktionalen Schreibsi-

tuation, ohne dass unterschiedliche Instrumente benötigt werden und die Kinder sich getestet vorkommen:

Das Diktieren ist eine Sprachlernsituation und eine komplexe Beobachtungssituation zugleich.

1 Für den anregenden fachlichen Austausch über sprachliche Lernprozesse beim Diktieren danke ich Timm Christensen.

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4.3 Wie der Skriptor sprachliches Lernen unterstützen kann

Im Mündlichen geht es darum, das Gemeinte inhaltlich zu verstehen, so dass oft Stichwörter oder Andeutun-

gen ausreichen und die Frage nach dem ganzen Satz gekünstelt wirkt. In Diktiersituationen hingegen ist der

Anspruch des Skriptors, dies auch richtig aufschreiben zu wollen, funktional: Damit der Text über Raum und

Zeit hinweg verständlich ist, muss das Gemeinte wortgenau diktiert werden und auch in der Form richtig

sein. Die Forschungen von Daniela Merklinger (2012) zeigen, dass die Langsamkeit des Schreibens und die

Vergegenständlichung der Sprache auf dem Papier günstige Bedingungen dafür sind, dass Kinder in Diktier-

situationen besonders achtsam formulieren und sich auch häufig selbst korrigieren.

Wie aber kann der erwachsene Skriptor damit umgehen, wenn ein Kind einen grammatisch falschen Satz

diktiert, also einen falschen Artikel verwendet, ihn im Satz nicht beugt (flektiert) oder das Verb nicht richtig

oder nicht vollständig im Satz bildet? Für manche Fehler aber ist die folgende Strategie oft hilfreich:

Einige sprachliche Fehler kann der Skriptor beim Aufschreiben und Mitsprechen implizit verbessern, wie 

Lautfehler z.B. Spiescheugauto  Spie:l‐zeug‐auto 

Artikelgebrauch (z.B. Grundform: der Giraffe  die: Gi:ra:ffe; vom Nominativ zum Dativ: zu die Maus  

zu: de:r Ma:us) 

Verbkonstruktion (z.B. Bildung der Zeitform: Ich fante  Ich fand; gingte  gi:ng; Ich denk  Ich den‐

ke; Vollständigkeit der Verbkonstruktion: dass sie sich vollgefressen.  da:ss sie si:ch voll‐ge‐fre:ssen 

ha:t; Hilfsverb: Das hat ihr gelungen  Das i:st ih:r ge‐lungen), 

Pronomen (z.B. Personalpronomen mit Bezug auf die Giraffe: Dann hat er geschrieben  Da:nn hat sie 

…); Possessivpronomen:  Kröte zieht seinen Badeanzug aus  Kröte zieht ihren Badeanzug aus.) 

(Denk‐ oder Füll)Wörter der Mündlichkeit werden weggelassen (ähm, da, ne, …) 

Werden solche Fehler beim Aufschreiben nebenbei korrigiert, ohne gesondert auf die Korrektur hinzuwei‐

sen, kann das Kind möglicherweise aus diesem Angebot lernen (natürlich gelingt dies nicht immer sogleich) 

und spätere Leser stolpern nicht über einen Fehler im Text. 

Eine weitere Möglichkeit ist, dass der vom Kind gesprochene und im Mündlichen typische Antwortneben-

satz beim Aufschreiben als Hauptsatz begonnen und mitgesprochen wird, um das Kind anzuregen, (monolo-

gisch) selbständige Sätze zu formulieren (z.B. dass die Maus lügt Die: Mau:s?). Diese vom Skriptor aus

einer Haltung der Schriftlichkeit heraus vorgenommene Korrektur ist für manches Kind Impuls, die nächsten

Sätze monologisch als Hauptsätze zu diktieren, andere verbleiben weiterhin im Modus der Mündlichkeit mit

Halbsätzen. Wir können das Lernen nicht direkt beeinflussen – Lernangebote bleiben Angebote. Damit das

Kind den Text als eigenen versteht, sollten Skriptoren jedoch sehr vorsichtig mit solchen Änderungen sein.

Unsere Erfahrung zeigt: Wann ein Kind vom Skriptor gegebene Hilfen zur Selbstkorrektur annehmen kann,

wie z.B. geschickt gesetzte Pausen im Satz während des Schreibens und Mitsprechens, ist nicht grundsätzlich

zu beantworten. Es bleibt stets eine Gratwanderung. In den folgenden zwei Diktiersituationen ist den Skript-

oren die Mischung aus (impliziten) Korrekturen und Impulsen zur Selbsthilfe aus meiner Sicht gelungen: Die

Fehlerbearbeitung war für das Kind nicht frustrierend oder verwirrend, sie eröffnete dem Kind den Transfer

des Gelernten auf neue Sätze und es konnte das Resultat als seinen eigenen Text annehmen: auf dem Papier

stehen die originären Formulierungen des Kindes.

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Von der Frage nach einem Wort zum richtigen Artikelgebrauch und vollständigen Satz

Der türkische Vorschüler Yusuf hat das Bilderbuch „mutig, mutig“ gehört und möchte etwas über den Vogel

aufschreiben, der beim Wettbewerb nicht mitmachen will. Er erkundigt sich beim Skriptor nach seinem ge-

nauen Namen – nutzt ihn also als Wörterbuch:

1 5 10

Yusuf: Wie heißt das nochmal? (zeigt auf den Spatzen) Skriptor: Der Spatz Yusuf: Der Spatz. Skriptor: (schreibt:) De:r Spa:tz Yusuf: Der Spatz hab ich gehört. Skriptor: Ah! Den Spatz hab ich gehört. Yusuf Ja. Skruptor: Das muss ich jetzt durchstreichen. (schreibt danach:) De:n Spatz ha:b Yusuf: (spricht den Satzanfang nach:) Den Spatz hab Skriptor: (liest fragend:) Den Spatz hab? Yusuf: Den Spatz hab gehört. Skriptor: Den Spatz hab? Yusuf: Den Spatz hab ich gehört.

Der Erwachsene sagt Yusuf die genaue Bezeichnung mit Artikel (im

Nominativ) und soll dies auch aufschreiben (Z. 1-3). Als Yusuf dann den

ganzen Satz mit falschem Artikel diktiert (Zeile 5), erhält er vom Skriptor

die Information über die richtige Struktur (Zeile 6): „Ah! Den Spatz hab

ich gehört.“. Zugleich erfährt er, dass und wie eine Korrektur auf dem

Papier durchgeführt wird („Das muss ich jetzt durchstreichen“; Z. 8).

Yusuf spricht den vom Skriptor korrigierten Satzanfang nach, beendet ihn

jedoch falsch (Z. 11). Als der Skriptor den richtigen Satzanfang wieder-

holt und dann eine Pause macht, kann Yusuf das Personalpronomen

selbst richtig einfügen.

Auch Joba kann mit Unterstützung des Skriptors, der ihm in einer Hal-

tung der Schriftlichkeit Zeit und Orientierung gibt, seinen Text gramma-

tisch richtig formulieren:

1 5 10

Joba: Dass sie erstmal sich vollgefresst hat. Skriptor: Soll ich aufschreiben, dass sie sich vollgefressen hat, soll ich so anfangen? Joba: Hmm Skriptor: (schreibt:) Da:ss sie: (wartet) Joba: sich vollgefressen Skriptor: (schreibt:) sich: § voll-ge-fre-ssen, Joba: § voll-ge-fre-ssen (spricht silbisch mit) Skriptor: (liest:) Dass sie sich vollgefressen? Joba: Beim nächsten Morgen hatte sie sich durch ein Blatt gebohrt. Skriptor: Ja, warte! Ich les dir das noch einmal vor: „dass sie sich vollgefressen“, da fehlt doch noch

was, oder? Du hast doch noch was gesagt. Joba: Hatte.

Weil Joba eine falsche Verbform diktiert „sich vollgefresst hat“, schreibt der Skriptor nur den Anfang

des Nebensatzes auf und wartet: So kann Joba die Grundform „sich vollgefressen“ ergänzen.

Weil der Skriptor den Satzanfang „dass sie sich vollgefressen“ noch einmal vorliest und auf etwas Feh-

lendes hinweist, kann Joba das Verb vervollständigen und so den Satz in der Vorzeitigkeit beenden:

DASS SIE SICH VOLLGEFRESSEN HATTE.

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Die Explizitheit in der Schriftlichkeit:

Von der Geste zur Sprache

Der Vorschüler Eliah hat das Bilderbuch „mu-

tig, mutig“ gehört, in dem die Maus zum Beweis

ihres Mutes im See taucht. Danach hat er erst-

mals die Gelegenheit aufzuschreiben, was ihm

wichtig ist. Er beginnt:

1 5 10 15

Eliah: Da, wo sie so gemacht hat (er macht die tauchende Maus vor: beugt sich vornüber, hält sich die Nase zu und eine Hand nach hinten), das fand ich auch so super.

Skriptor: Du denkst an die Maus. Eliah: Hmhm. Skriptor: Was soll ich schreiben? Eliah: Die Maus hatte so gemacht (er zeigt es erneut) Skriptor: (schreibt:) Die: M:au:s ha:tte, (liest:) die Maus hatte? Eliah: (Zeigt wieder die Haltung der Maus) Skriptor: Du zeigst mir das jetzt. Was soll ich schreiben? Die Maus hatte? Was hat sie gemacht? Eliah: Die hat ihre Nase zugehalten und die Hand so´n bißchen so/ gemacht (zeigt wieder) Skriptor: /ha:tte ih:re Na::se zu-ge-, hatte

ihre Nase zuge-ha:l-ten (fragt:) und die Hand? Eliah: Hinten hatte Skriptor: (schreibt:) und die Ha:nd, und die Hand hin:ten:, (fragt:) und die Hand hinten? Eliah: Gelassen hat. Skriptor: Gelassen. (liest:) und die Hand hinten (schreibt:) ge:la:ssen.

Eliah erzählt der Skriptorin begeistert, was ihm an der Geschichte gefallen hat: „Das wo sie so gemacht hat,

das fand ich auch super.“ Er nutzt dabei Mittel der Mündlichkeit, indem er sich auf die gemeinsame Kenntnis

des Bilderbuchs bezieht und die eigene Vorstellung von der gemeinten Szene gestisch vormacht. Die

Skriptorin kann das Gezeigte aber nicht aufschreiben und will auch nicht einfach ihre eigenen Wörter hinzu-

fügen, weil der Text dem Kind fremd werden könnte. Sie regt ihn deshalb zur Verbalisierung des Gemeinten

an: Die Skriptorin versprachlicht zuerst, was er tut und was er meint: „Du denkst an die Maus“ (Zeile 3). Als

er sich verstanden fühlt, verbalisiert sie die neue Anforderung: „Was soll ich schreiben?“ (Zeile 5)

Eliah formiert daraufhin einen vollständigen Hauptsatz in der Vorzeitigkeit (hatte), aber wieder mit Verweis

auf seine Gesten („Die Maus hatte so gemacht“). Um seinen Redestrom zu bremsen, fällt die Skriptorin früh

in sein schnelles Sprechen ein: Sie schreibt demonstrativ laut mitsprechend den Satzanfang auf: „Die: M:au:s

ha:te“ . Dann liest sie den Satzanfang noch einmal vor, damit er ihn beenden kann. Nach diesem Muster (Zu-

rückspiegeln und Schreibaufgabe) wechselt Eliah erneut die Kommunikationsebene: aus Gesten wird Spre-

chen. Eliah formuliert die Verben für die gemeinten Handlungen und vervollständigt sogar das Verb: „Die

hat ihre Nase zugehalten und die Hand“ … „hinten“ … „gelassen“, die Skriptorin fügt seine Ausdrücke

schreibend zu einem Satz zusammen. Im Gegensatz zum schultypischen „Sag es im ganzen Satz!“ ist in der

Diktiersituation die Anforderung des genauen Formulierens funktional. Der erwachsene Skriptor kann dem

Kind dabei Zugänge zu Schriftlichkeit ebnen, ohne ihm Wörter und Formulierungen vorzugeben:

Die Skriptorin versprachlicht die Intention des Kindes (z.B. „Du zeigst mir das jetzt.“) und

stellt dann die Anforderung des wortgenauen Formulierens: „Was soll ich schreiben?“.

Aus den einzelnen Formulierungen des Kindes stellt sie schreibend die richtige Satzstellung

zusammen, da sie aus der Haltung der Schriftlichkeit heraus handelt:

DIE MAUS HATTE DIE NASE ZUGEHALTEN UND DIE HAND HINTEN GELASSEN.

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In der Diktiersituation ist ein Skriptorverhalten, das darauf setzt, dass das Kind sich eine richtige Satzstruktur

selbst erarbeiten kann, ein ständiges Wagnis – insbesondere wenn der Erwachsene das Kind nicht gut kennt:

Man weiß nicht, ob es dem Kind gelingt. Die Langsamkeit des Schreibens hilft Kindern jedoch in der Dik-

tiersituation beim Formulieren. Und zudem kann der Skriptor in seiner Haltung der Schriftlichkeit lernför-

derliche Impulse geben (s. Merklinger 2012):

Welche Reaktionen des Skriptors haben sich als Lernimpuls bewährt?

Typische Verhal-tensweisen des

Schreibanfängers

Handlungsalternativen für den erwachsenen Skriptor und deren Begründung

Wenn das Kind erzählt, statt zu diktieren,

Können Sie möglichst umgehend durch mitsprechendes Schreiben in das Erzählen einfallen, und so versuchen, den Erzählstrom vor dem zweiten Satz abzubremsen.

Können Sie das Kind explizit stoppen und das Geschriebene vorlesen, damit das Kind dort anknüpfen kann: Halt, ich kann nicht so schnell schreiben! Ich hab jetzt: ….

Können Sie das Tun des Kindes versprachlichen und es auf das Schreiben umfokussieren: Du hast mir jetzt alles erzählt. Womit soll ich anfangen zu schreiben?

Wenn das Kind nicht weiß, was es schreiben soll, oder wenn es nicht mehr weiter weiß,

Können Sie abwarten oder auch explizit Zeit geben: Lass dir Zeit!

Können Sie die Aufgabenstellung noch einmal wörtlich wiederholen (ohne zu drängen oder eine Frage zu stellen, die zur verkürzten Ant-wort verleitet).

Können Sie das zuletzt Geschriebene vorlesen, damit das Kind daran anknüpfen kann.

Können Sie zwei Handlungsalternativen anbieten: Ist der Text fertig oder möchtest du noch etwas schreiben? (also nicht nur eine Alterna-tive abfragen, da Kinder Erwachsenen meist zustimmen)

(Machen Sie KEINEN konkreten Formulierungsvorschlag, da er auch ohne dass das Kind protestiert neben dessen Intention liegen könnte. Stellen Sie auch keine Frage – Kinder formulieren dann häufig nur Antworten, also Halbsätze „dass der nicht schreiben kann“ statt einen ganzen Satz zu for-mulieren: „Der Löwe kann nicht schreiben“. Außerdem führt dies oft zu ad-ditiven Texten mit „und dann“ oder zu Brüchen im Text!)

Wenn das Kind Einzelwörter dik-tiert,

Sollten Sie diese aufschreiben – vielleicht als Liste untereinander oder gleiche Wörter untereinander, damit das Kind dann ggf. den Unter-schied zu mehreren Wörtern oder zum Satz sehen kann:

HUND

GROßER HUND

DA IST EIN GROßER BÄR.

Wenn der diktierte Satz sprachlich holprig ist,

Können Sie nach dem Aufschreiben des guten Anfangs gezielt eine Pause machen, damit das Kind ihn als Sprungbrett nutzen und den Satz dann stringenter fortsetzen kann.

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Können Sie explizit zurückfragen: Was genau soll ich schreiben?

Können Sie die Satzteile schreibend leicht umsortieren

(Es ist eine Ermessensfrage, ob eine ungeschickte Formulierung des Kin-des fixiert wird. Leitlinie ist, dass es der Text des Kindes bleibt!)

Wenn das Kind nur implizit auf das Gemeinte verweist (durch Andeutungen oder Gesten),

Können Sie spiegeln und neu fokussieren, d.h. zuerst Ihr Verständnis signalisieren und dann die Schreibebene sprachlich ansteuern: Ich weiß, was du meinst. Aber was genau soll ich schreiben? Aus dieser Haltung der Schriftlichkeit regen Sie zur Explizierung des Gemeinten in der Schriftlichkeit an – damit das Kind sich nicht wie im Gespräch auf Ihren gemeinsamen Erfahrungsraum bezieht.

Wenn Sie unsi-cher sind, was geschrieben wer-den soll, (oder wenn sie es nicht behalten konnten)

Können Sie nachfragen: Was genau soll ich schreiben?

Können Sie dem Kind Alternativen anbieten, damit es sich an der Wörtlichkeit des Schreibens ausrichtet: Soll ich schreiben „Und dann ist er“ oder „Dann ist er“?

(Achtung: Wenn Sie häufig auf eine Metaebene wechseln, behindert dies oft das Kind im Diktieren und führt zu Brüchen im Text.)

Wenn das Kind undeutlich spricht,

Sprechen Sie langsam und deutlich mit beim Schreiben: Spie:l-zeu:g-auto, so dass die Korrektur beiläufig und wegen der Langsamkeit auf-fällig zugleich ist. Dadurch wird das Kind emotional nicht belastet und zugleich das Richtige von Ihnen eindrücklich vorgesprochen.

Wenn das Kind einen grammati-schen Fehler macht,

Können Sie Artikel, Verform, Pronomen in der Formulierung beiläufig korrigieren. Weil Sie langsam und deutlich beim Aufschreiben mitspre-chen oder den richtigen Satz anschließend noch einmal vorlesen, kann das Kind daraus lernen.

4.4 Gestaltung von Schreibsituationen

Die Erfahrung, Texte ohne Buchstaben schreiben zu können, lässt sich auf drei Wegen ermöglichen:

1. wenn zum Diktieren eigener Texte für jedes Kind ein Geschichtenheft angelegt wird oder

2. wenn Kinder direkt nach dem gemeinsamen Hören auf ein vorstrukturiertes Schreibblatt diktieren

können oder

3. wenn Kinder zu einem Bild diktieren, das sie über das Gehörte (gemeinsam) gemalt haben.

4.4.1 Während der Freispielzeit ins Geschichtenheft diktieren

Jedes Kind hat ein Geschichtenheft (DIN-A5 Querformat blanko), in das es dem Erwachsenen nach dem

Hören (und gleichzeitigem Bilderbuchansehen) in der Freispielzeit etwas diktieren darf. Zunächst klebt es

einen Aufkleber von Hörmedium, das es gehört hat, auf die Seite, damit jeder Leser wie bei einer Überschrift

weiß, worauf sich der Text bezieht. Gemeinsam wird dann das Datum übertragen – damit man später weiß,

wann der Text geschrieben wurde. Geschrieben wird in Blockschrift, damit das Kind bekannte Buchstaben

leichter erkennen kann. So diktieren Kinder zum Grüffelo:

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Beide Kinder thematisieren, dass der von der Maus nur zur Abschreckung der Fressfeinde erfundene

Grüffelo plötzlich real ist. Links wird dazu die Handlungsfolge rekapituliert. Dabei wird die Vergangen-

heitsform als schriftliches Erzähltempus erprobt und die Wendung der Geschichte auch anhand wörtlich

übernommener Passagen nacherzählt: die List der Maus: WAS, DU KENNST DEN GRÜFFELO NICHT?,

ihr Selbstgespräch DEN GRÜFFELO GIBT ES DOCH NICHT und ihren Schrecken DEN GRÜFFELO

GIBT ES DOCH!

Der Schreiber rechts beschreibt die Wende aus einer Außenperspektive: die Maus habe die anderen ANGE-

LOGEN, aber dann GIBT (ES) IHN WIRKLICH. Unten nutzt er die Schrift als Beschriftung der Bilder, die

das Größenverhältnis der Gegenspieler aufzeigen. Beide Kinder rahmen die wörtliche Rede, die im Hörme-

dium von verschiedenen Sprechern nahtlos aufeinander folgt, in ihren Texten selbständig mit Begleitsätzen

ein. Sie transformieren die gehörten Dialoge also in eine schriftliche Darstellungsform, wie sie in verbunde-

nen Texten üblich ist, damit man weiß, welche Figur was äußert (konzeptionelle Schriftlichkeit).

Wenn man alleine in der Klasse ist, hat man weniger Zeit für das Aufschreiben. Damit viele Kinder diktieren

können, hat die Pädagogin mit ihnen verabredet, dass man „zwei Sätze“ diktieren darf. Auch ohne dass die

Kinder schon über einen Satzbegriff verfügen, ist dies eine gute Hilfe zur Beschränkung des Schreibens –

und zur Auswahl und Konzentration auf das Wichtigste beim Diktieren. Stets ist es der Pädagogin wichtig,

die Textsorte offen zu halten, damit sie die Kinder dort abholen kann, wo sie stehen mit ihren vorschulischen

Erfahrungen über Texte.

Schreibaufgabe für das Geschichtenheft

„Du kannst jetzt schreiben, was du gehört hast und was du dazu denkst. Ich schreibe es für dich.“

- Den Bezug zum Hörspiel herstellen (auch implizit durch einen Sticker)

- Inhalt des Textes und die Textsorte offen halten.

4.4.2 Schreibanlass nach dem gemeinsamen Hören: „Schreib du für den Löwen!“

„Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte“ thematisiert die Situation der Vorschulkinder,

nicht schreiben zu können. Weil die Kinder in der Hörgeschichte zugleich erfahren, wie wichtig es ist, beim

Schreiben selbst zu formulieren, ist sie zur Einführung des Diktierens besonders geeignet.

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Hier hat die Vorschulklasse die Geschichte gemeinsam bis zu der Stelle gehört und im Buch mitverfolgt, an

der der Löwe über die unpassenden Briefe, die andere Tiere für ihn an die Löwin geschrieben haben, ver-

zweifelt brüllt: „Nein, nein, nein, das hätte ich doch nie geschrieben!“ Nachdem die Kinder schon über die

anderen Briefe gesprochen hatten, dass sie dem Löwen nicht gefallen, weil sie aus der Perspektive der jewei-

ligen Skriptor geschrieben wurden (z.B. „Löwen fressen doch keine Bananen! Das tun nur Affen!“), bricht

die Pädagogin an dieser Stelle die Geschichte ab:

Schreibaufgabe direkt nach dem gemeinsamen Hören:

„Der Löwe kann nicht schreiben. Er ist in die Löwin verliebt und will ihr einen Brief schreiben. Schreib du für den Löwen!“

Auf dem Schreibpapier (Hoch- und Querformat) fokussiert die Kopie des brüllenden Löwen Kinder auf das Thema und kann Vorstellungsbilder aktualisieren. Die Kinder beginnen mit dem Malen, während die Lehrerin herum geht und sich von einzelnen Kindern ihre Texte diktieren lässt.

Etwa die Hälfte der Kinder orientiert sich beim Schreiben am Muster der Briefe im Buch und verfasst auch

Briefe an die Löwin:

Fast alle Kinder übernehmen dabei konsequent die Perspektive des Löwen. Aus der Briefform fällt rechts die

Beschriftung der Abbildung mit einem Pfeil heraus: DER LÖWE SINGT EIN LIEBESLIED. Selbständig

nutzen diese beiden Kinder hier Herzen als schriftliche Symbole und formulieren eigene Begrüßungs- und

Schlussformeln für ihre Liebesbriefe. Formal aus den Briefen im Buch übernommen sind die an die Löwin

gerichteten Fragen: links nach der gemeinsamen Beschäftigung und dem Fressen. Rechts wird die Intention

des Löwen ohne Umschweife benannt und sein Wunsch, die Löwin zu küssen. Weil die kindlichen Schreiber

einen fiktiven Namen des Löwen hinzufügen, werden die Briefe persönlich. Indem sie feierliche Rituale

(Tischdecken, Blume links) und die Information ergänzen, dass der Schreiber der König der Tiere sei

(rechts), unterstützen Sie das Anliegen des Löwen.

Die Schreiber zeigen damit ihre Vorstellungen, welcher Brief der literarischen Figur helfen würde - noch

bevor sie selbst schreiben können oder das Thema Briefeschreiben explizit unterrichtet wurde. Das Buch als

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Vorgabe hat offenbar diese impliziten Lernprozesse ausgelöst: einige der im Buch angebotenen Muster wer-

den aufgegriffen und mit individuellen Vorstellungen über Briefe kombiniert.

Als die diktierten Texte anschließend im Kreis vorgelesen werden, entdecken die Kinder, dass darunter nicht

nur Briefe, sondern auch andere Textsorten sind (z.B. Kommentare, Erzählungen, Monologe). Daraufhin

werden diese anderen Texte auf einen anderen Stapel gelegt, weil sie „nicht wie die Briefe anfangen“. Man-

che Kinder haben sich also nicht auf das erwartete Briefformat eingestellt, sondern Erfahrungen mit anderen

Textsorten als Zugang zu Schriftlichkeit genutzt. Und im Kreis lernen sie verschiedene Textformen ken-

nen:

Jana (links) fokussiert einen Ausschnitt aus dem Gehörten und

schreibt einen Kommentar: zunächst markiert sie ihren Bezugs-

punkt aus der Geschichte und nimmt dann eine Metaebene hierzu

ein. Sie bezeichnet den Text vom Affen als Affenbrief und bewer-

tet ihn anschließend. Mit dieser Bewertung und Reflexion des

Textes zeigt sie selbständig Kompetenzen, die beim Lesen im

Vergleich zur Informationsentnahme als hohes Niveau einge-

schätzt werden. Dies formuliert sie in sprachlich anspruchsvoller

Form mit Haupt- und Nebensätzen, also mit unter- und nebenord-

nenden Konjunktionen (dass, aber). Anschließend beschäftigt sie

sich selbständig mit den diktierten Schriftzeichen, indem sie sorg-

fältig jedes D gelb und jedes E blau markiert. Diese Schreibaufga-

be hat bei Jana also verschiedenste Prozesse im Umgang mit

Schriftlichkeit angestoßen.

Hanne (rechts) beschäftigt sich hingegen schreibend damit,

warum der Löwe brüllt. Sie entfaltet die Hintergrundlogik

des Bilderbuchtextes und entwickelt sie einen eigenen Lö-

sungsvorschlag: Weil die Tiere im Buch aus seiner eigenen

Perspektive schreiben – eine grundlegende Erkenntnis über das

Schreiben - , könnte ein anderer Löwe dem Titelhelden besser

helfen. Weil der Löwe sich dies in ihrem Text ausdenkt,

schreibt Hanne zugleich eine Fortsetzung der Geschichte.

Das Wissen über Geschichten, in denen die Heirat ein glückli-

ches Ende markiert, und ihre Welterfahrung, dass die Ehe ge-

sellschaftlicher Rahmen für Liebesbeziehungen ist, kommen

hier als Wissensbestandteile der Schreiberin zum Tragen. Zu-

gleich knüpft sie mit ihrem Schlusssatz an den Geschichtenan-

fang an: Dann kann er sie auch endlich küssen. In komplexer

Satzstruktur balanciert Hanne hier das Gehörte aus mit ihren

Welt- und Spracherfahrungen und dokumentiert damit bei-

spielhaft wichtige literarische Fähigkeiten, ohne selbst schon schreiben zu können. Die Gestaltung ihres

Blattes zeigt, dass das Malen Hannes selbständiges Ausdrucksmittel auf Papier ist.

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Tipps für Schreibaufgaben zur gerade gehörten Geschichte:

- Hörstopp an einer emotional stark ansprechenden Stelle, um das maximal angestaute Aus-drucksbedürfnis der Kinder als Impuls zum Schreiben nutzen (also dies nicht vor dem Schrei-ben besprechen oder sammeln, was man schreiben könnte, weil Schreiben dann diese Funkti-on verliert und manches Kind dann nicht mehr die eigenen Gedanken aufschreibt)

- die Textsorte offen halten (also nicht einengen auf: Brief, Fortsetzung o.ä., damit Kinder an ihre Spracherfahrungen anknüpfen können)

- inhaltlich Freiräume zum Thematisierung des persönlich Wichtigen aus der vorgegebenen Hörgeschichte geben (also auch Nacherzählungen oder Auswahl eines für Sie irrelevanten As-pektes)

4.4.3 Weitere Anlässe zum Diktieren

In der alltäglichen Vorschularbeit und in besonderen Situationen gibt es weitere funktionale Gelegenheiten

zum Diktieren, die in Merklinger (2012) genauer beschrieben sind:

Kinder diktieren zu in der Gruppe erarbeiteten Sachthemen – dazu konnten sie auch Hör- und Buch-medien in Freispielzeiten rezipieren.

Kinder diktieren zum vorgelesenen Bilderbuch – auch wenn kein Hörbuch vorliegt.

Vorschulkinder diktieren älteren Schülern – dabei steht gemeinsames Lernen im Vordergrund.

Kinder gestalten mit Eltern ihr Fotobuch aus der Vorschulzeit – damit werden Literacy-Erfahrungen in der Familie angeregt.

Jedes Kind diktiert einen Brief an seine Eltern für den Elternabend – und erhält am Tag darauf von ihnen einen Antwortbrief.

4.5 Bewährte Schreibaufgaben zu Hörmedien der Lese-Hör-Kiste

4.5.1 Zur Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte Der Löwe konnte nicht schreiben, aber das störte den Löwen nicht, denn der Löwe konnte brüllen und Zähne zeigen und mehr brauchte der Löwe nicht. Bis er eines Tages eine Löwin traf und ihr einen Brief schreiben wollte. So bat er verschiedene Tiere, dies für ihn zu tun – leider jedoch nie zu seiner Zufriedenheit ...

1. Vorschlag: Schreiben nach dem Hören (auch nur des Anfangs)

Wenn die Kinder das ganze Hörspiel oder wenn sie die Geschichte bis zum Nilpferdbrief gehört haben, kön-

nen sie zur folgenden offenen Aufgabenstellung schreiben.

Der Löwe ist in die Löwin verliebt. Du hast die ganze Geschich-te/den Anfang der Geschichte gehört. Der Löwe kann/konnte nicht schreiben. Aber du kannst jetzt etwas zur Geschichte vom Löwen schreiben; ich schreibe es für dich.

2. Vorschlag: Schreiben zu Szenen (Leporello, 1. Kl. – diktiert oder selbst geschrieben)

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4.5.2 Zur Königin der Farben

Ein musikalisches Märchen (40 Minuten): Eine herrische, einsame Königin ruft nach ihren Untertanen, den Farben. Die Handlungen, das Verhalten und die Gefühle von Königin und Farben werden sprachlich knapp dargestellt und musikalisch bildreich interpretiert.

1. Vorschlag: Sprache und Töne in Farben übersetzen – und zum Streit schreiben

Die Kinder hören gemeinsam die Geschichte und malen parallel zum Hören die musikalisch dargestellten

Szenen auf aus dem Buch kopierten Seiten farbig an. Auf die letzte kopierte Seite, die dem Streit gilt, erhal-

ten die Kinder eine Schreibaufgabe:

„Du hast den Anfang der Geschichte von der Königin der Farben gehört. Es ist zum Streit gekommen. Du kannst aufschreiben, was du gehört hast und was du dazu denkst – Ich schreibe es für dich“

2. Vorschlag: Farben als Ausdrucksmittel erproben

Die Kinder hören die Geschichte während des Frühstückens an mehreren Tagen nacheinander. Dazu wird

das bisher Gehörte jeweils kurz vorgelesen, damit die Geschichte wieder präsent ist. Anschließend erhalten

die Kinder Kopien von ausgewählten Seiten der Ge-

schichte zum Malen und Schreiben:

„Du kannst dir ein eigenes Buch zur Königin der Farben herstellen. Ich schreibe für dich.“

3. Vorschlag: Das Wichtigste nach dem Hören aufschreiben

Die Kinder kennen die gesamte Geschichte. Zum Schreiben können die Kinder aus drei kopierten Abbildun-

gen wählen und erhalten die Schreibaufgabe:

„Du hast das Hörspiel/die Geschichte von der Königin der Farben gehört. Du kannst nun etwas dazu aufschreiben, was dir wichtig ist. Ich schreibe es für dich!“

Die Aufforderung „Du kannst jetzt zur Geschichte

… schreiben, was dir wichtig ist – ich schreibe es

für dich“ ist dabei auf jeden beliebigen Schreibanlass

übertragbar. Gemalt wird anschließend, damit der Text

eigenständig bleibt und nicht auf das Bild referiert.

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4.5.3 Zum Grüffelo

Der Grüffelo? Sag, was ist das für ein Tier? Den kennst du nicht? Dann beschreib ich ihn dir.

Die Maus spazierte im Wald umher, als drei Freßfeinde sie ansprechen: Der Fuchs lädt sie zur Götterspeise ein, die Eule bittet zum Tee und die Schlange zum Schlangen-Mäuse-Fest. Aber die Maus entgegnet, dass sie schon eine Verabredung mit ihrem Freund habe, dem Grüffelo. Mit der nur ausgedachten Beschreibung seines gefährlichen Aussehens und seiner Lieblingsspeisen – Fuchsspieß, Eule mit Zuckerguss, Schlangenpürree – verjagt sie die Feinde. Doch plötzlich taucht er wirklich auf und sein Lieblingsschmaus, sagt er, ist Butterbrot mit kleiner Maus. Aber was eine clevere kleine Maus ist, die lehrt auch einen Grüffelo das Fürchten....

1. Vorschlag: Schreiben nach dem Hören

Nachdem die Kinder das ganze Hörspiel gehört haben, erhalten sie die folgende Schreibaufgabe:

„Du hast die Geschichte vom Grüffelo und der Maus gehört. Die Tie-re im Wald laufen vor Angst weg. Du kannst jetzt etwas zur Ge-schichte vom Grüffelo schreiben, was du gehört hast und was du denkst; ich schreibe es für dich.“

Dieses Aufgabenformat kann auf jede Hörgeschichte übertragen werden.

2. Vorschlag: Schreiben nach dem gemeinsamen Hören des Anfangs

Das Hören des „Grüffelo“ (ohne Betrachtung der Bilder vom Grüffelo!) wird beendet, als die Maus den

Grüffelo sieht und schreit: »O Schreck, o Graus, ich fürcht mich sooo, es gibt ihn doch, den Grüffelooo!«

Die Kinder erhalten dann ein großes Blatt (A3), auf dem das erschreckte Gesicht der Maus klein abgebildet

ist, mit der Schreibaufgabe:

„Du hast die Geschichte von der Maus und dem Grüffelo gehört. Als die Maus vom Grüffelo erzählt hat, sind die Tiere weggelaufen. Nun steht der Grüffelo plötzlich vor der Maus.

Male den Grüffelo und die Maus! Schreibe, was du dazu denkst!“

DIE MAUS HAT ANGST VOR DEM GRÜFFELO.

DER GRÜFFELO HAT KRALLEN.

ICH SEHE NOCH EINEN BAUM NEBEN DER MAUS.

DER GRÜFFELO HAT ZÄHNE:

DAS IST EINE SCHLANGE

DAS IST DIE ZUNGE Sinem

DICKE WARZE

GANZ GROSSE OHREN

SCHARFE ZÄHNE

DICKE WARZE Katrin

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DER WOLF IST ZU DER MAUS GEKOMMEN UND HAT GEFRAGT: „WILLST DU MIT MIR EINE TASSE TEE TRINKEN?“

DA HAT DIE MAUS GESAGT: „NEIN, ICH MUSS ZUM GRÜFFELO.“

DA HAT DER WOLF GESAGT: „WER IST DER GRÜFFELO?“

„KENNST DU NICHT DEN GRÜFFELO?“ Diba

DER GRÜFFELO HAT EINE LANGE ZUNGE UND DIE MAUS HAT SICH ERSCHRECKT, WEIL ES DEN GRÜFFELO IN ECHT GIBT.

DIE MAUS SAGTE, DASS DER GRÜFFELO NICHT IN ECHT GIBT.

DER GRÜFFELO HAT SCHARFE KRALLEN.

Anja

ER HAT STACHELN UND SCHAURIGE AUGEN UND EINE GROSSE TATZE UND GROSSE ZÄHNE. ER HEISST GRÜFFELO. ER IST GROSS. ER HAT EINE WARZE AUF DER NASE.

DIE MAUS HAT GANZ VIEL ANGST.

Torben

Obgleich es praktisch wäre, erschwert das Schreiben zum selbst gemalten Bild das Schreiben eines zusam-

menhängenden Textes. Denn das nebenstehende Bild legt Kindern nahe, das Gemeinte nicht zu

versprachlichen, sondern sich mit deiktischen Verweisen auf das Bild zu beziehen (Torben: ER HAT STA-

CHELN) oder das Bild oder die Malweise zu beschreiben (Sinem: ICH SEHE NOCH EINEN BAUM NE-

BEN DER MAUS. Und DAS IST EINE SCHLANGE). Das nebenstehende Bild erschwert also manchen

Kindern den Übergang in eine monologische Schreibhaltung, es entsteht dann kein linearer, zusammenhän-

gender und aus sich selbst verständlicher Text.

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Hinweise und Links Veröffentlichungen zu Lese-Hör-Kontexten mit Schrift am Übergang zur Schriftlichkeit: Andresen, Helga (2005): Vom Sprechen zum Schreiben. Sprachentwicklung zwischen dem vierten und siebten Lebens‐

jahr. Stuttgart 

Dehn, Mechthild (20102): Kinder & Lesen und Schreiben. Was Erwachsene wissen sollten. Seelze 

Dehn, Mechthild/Oomen‐Welke, Ingelore/Osburg, Claudia (2011): Kinder & Sprache(n). Was Erwachsene wissen soll‐ten. Seelze 

Hüttis‐Graff, Petra (2008): Vom Hören zum Lesen – Literarisches Lernen mit Lese‐Hör‐Kisten. In: Wieler, Petra (Hrsg): Medien als Erzählanlass. Wie lernen Kinder im Umgang mit alten und neuen Medien. Freiburg im Breisgau: Fillibach Verlag, S. 105‐124. 

Hüttis‐Graff, Petra (2010): Die Lese‐Hör‐Kiste: Vom Hören lernen. In: Schulz, Gudrun (Hrsg.): Basisbuch Lesen. Berlin, S. 214‐222. 

Hüttis‐Graff, Petra & Daniela Merklinger (2010a): Ohne Buchstaben Texte schreiben. Ein Hörspiel für Kinder als Zugang zu Schriftlichkeit. In: Grenz, Dagmar (Hrsg.): Kinder‐ und Jugendliteratur – Geschichte, Theorie, Didaktik. S. 179‐198 (im Buch auch Tonaufnahmen vom Diktieren und Hörspielausschnitte auf CD)  

Hüttis‐Graff, Petra/Stefanie Klenz/Daniela Merklinger/Angelika Speck‐Hamdan (2010b): Sprachkompetenz erwerben: Bildungssprache als Bedingung für erfolgreiches Lernen. In: Bartnitzky, Horst/Hecker, Ulrich: Allen Kindern gerecht werden. Grundschulverband Band 129, S. 238‐265. 

Merklinger, Daniela (2012): Schreiben lernen durch Diktieren. Berlin 

Ulich, Michaela (2003): Literacy – sprachliche Bildung im Elementarbereich. In: kiga heute, Heft 3, S. 6‐18. 

Weitere Empfehlungen für Hörspiel&Buch für verschiedene Bedarfe: Rieckhoff, Sibylle: Sachbücher mit integrierter CD 

Ringelnatz & Co.: 12 Tonnen wiegt die Hochseekuh. Gedichte.... Gelesen von Martin Baltscheit. Altberliner CD 2005. Buch 2004 

Sprachlich einfache Hörmedien oder solche, die Kinder aus anderen Medien kennen: 

Connie‐Bücher: Alltagsgeschichten insbesondere für Mädchen, sprachlich einfach, nicht direkt zum Buch passend 

Rotfuchs‐Verlag: Bobo Siebenschläfer + Klanggeschichten: sehr einfach ( 1 Bild, 1 Satz, begleitender Klang)  für Kinder mit extrem geringem Wortschatz 

Hörfux: z.B. Herr Hase und Frau Bär. Download zum Buch kostenlos – und beliebig zum Vervielfältigen (s.a. Lotte‐Bücher, …) 

Nehmen Sie das Vorlesen von beliebten Büchern der Kinder auf, zu denen es kein Hörbuch gibt. Auch Eltern können so in anderen Herkunftssprachen oder im Dialekt vorlesen. Stellen Sie dies den Kindern als Hör‐CD zur Verfügung!  

Internet-Hinweise für die Suche nach Hörmedien: http://blog.freeware.de/tipps/kostenlos/kostenlose‐hoerbuch‐downloads‐fuer‐kinder/ 

http://soforthoeren.de  

www.bundespruefstelle.de/bpjm/Jugendmedienschutz‐Medienerziehung/lese‐hoermedien,did=119810.html 

www.erlebnis‐lesen.de/h/h0301cd04/index.htm www.Hallo‐Eltern.de/Podcast  

www.hdm‐stuttgart.de/ifak/medientipps/ 

www.hierschreibenwir.de/alster‐detektive 

www.hoerstern.de  

www.hr‐online.de 

www.ohrenspitzer.de 

www.stiftung‐zuhoeren.de/ 

www.toene‐fuer‐kinder.de 

www.Vorleser.net