d r. h u b e r t u s k n a b e was war die „ddr-opposition“?

16
12.02.2019 D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“? Zur Typologie des politischen Widerspruchs in Ostdeutschland Der Begriff „DDR-Opposition“ ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Denn in totalitären Diktaturen kann es schon qua definitionem keine Opposition geben. Viele Kritiker des real existierenden Sozialismus verstanden sich auch gar nicht als Oppositionelle, sondern wollten das DDR-System verbessern. Wie also soll man die Kritiker der SED benennen? Der Text macht dazu einen Vorschlag. In: Deutschland Archiv. Zeitschrift für das vereinigte Deutschland, 29. Jahrgang, Heft 2/1996, S. 184-198. www.hubertus-knabe.de

Upload: others

Post on 14-Jan-2022

0 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

12.02.2019

D R. H U B E R T U S K N A B E

Was war die „DDR-Opposition“? Zur Typologie des politischen Widerspruchs in Ostdeutschland

Der Begriff „DDR-Opposition“ ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Denn in totalitären Diktaturen kann es schon qua definitionem keine Opposition geben. Viele Kritiker des real existierenden Sozialismus verstanden sich auch gar nicht als Oppositionelle, sondern wollten das DDR-System verbessern. Wie also soll man die Kritiker der SED benennen? Der Text macht dazu einen Vorschlag.

In: Deutschland Archiv. Zeitschrift für das vereinigte Deutschland, 29. Jahrgang, Heft 2/1996, S. 184-198.

www.hubertus-knabe.de

Page 2: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

Essays r Berichte - Analysen

Was war die »DDR-Opposition«?Zur Typologisierung des politischen Widerspruchs in OstdeutschlandHubertus Knabe, z. Zl. Llubljana (Slowenien)

Mit dem Untergang der DDR ist, wenngleichzögernd, auch das Interesse an einer Rekon-struktion und Analyse des politischen Wider-spruchs gegen die SED-Herrschaft gewachsen.Nahm die Forschung in den siebziger und acht-ziger Jahren politische Widerspruchshandlun-gen nur selten als strukturelles Problem dersozialistischen Gesellschaft in den Blickr , zogdie unerwartete Wende im Herbst 1989 eineFülle von mehr oder weniger kompetenten Ana-lysen der friedlichen Revolution und ihrer Vor-geschichte nach sich.2 Den Versuch einer um-fassenderen Würdigung und Untersuchung der>>Motivationen, Möglichkeiten und Grenzen wi-derständigen und oppositionellen Verhaltens<<unternahm in den Jahren l99l bis 1991 dieEnquete-Kommission des Deutschen Bundesta-ges »Aufarbeitung von Geschichte und Folgender SED-Diktatur in Deutschland<<, der zahhei-che Wissenschafller und ehemalige Akteure zu-arbeiteten.3Darüber hinaus veröffentlichten auch einzelnean den Geschehnissen Beteiligte Dokumenteund Analysen zu ihren Aktivitäten in ausge-wählten Regionen, Konfliktfeldern oder Zeit-räumen4, und viele Publikationen, die aus derEinsichtnahme in »Operative Vorgänge<< (OV),»Operative Personenkontrollen<< (OPK) und an-dere lJnterlagen des Ministeriums ftir Staatssi-cherheit (MfS) hervorgingen, dokumentierenneben den Verfolgungsmaßnahmen zugleichdas breite Spektrum an politischen Wider-spruchshandlungen in der DDR.5 Nach undnach erscheinen nun auch erste wissenschaftli-che Darstellungen zvm Thema6, und auf politi-scher Ebene gibt es manche Versuche, dem

1 Die einzigen vor 1989 erschienenen Bücher zur DDR-Opposition stammen von einem Journalisten bzw. einemEngländer: K. W. Fricke, Opposition und Widerstand in derDDR. Ein politischer Report, Köln 1984; R. Woods (Hrsg.),Opposition in the GDR under Honecker.1971-85, London1986; auch Aufsätze widmeten sich nur vereinzelt dieserFrage, z.B. H. Weber/M. Koch: "Opposition in der DDR,.,in: H.-G. Wehling (Hrsg.), DDR, Stuttgart 1983, S. 132-140. Auf den jährlichen DDR-Forschertagungen wurdenWiderspruchshandlungen, wenn überhaupt, zumeist vonwissenschaftlichen Außenseitern thematisiert, vgl. W. Bü-scher: ,,Die evangelischen Kirchen in der DDR - Raum furalternatives Denken und Handeln?.., iol Die DDR vor denHerausforderungen der achtziger Jahre, 16. Tagung zumStand der DDR-Forschung in der BundesrepublikDeutschland, 24. bis 27 . Mai 1983, Köln 1983, S. 158-166; H. Fehr: "Sozialistische Lebensweise und gegenkul-turelle OrientierUflgefl«, in: Lebensbedingungen in derDDR. 17. Tagung zum Stand der DDR-Forschung in derBundesrepublik Deutschland, 12. bis 15. Juni 1984, Köln1984, S. 73-82; H. Knabe: ,,Gesellschaftlicher Dissens imWandel. Okologische Diskussionen und Umweltengage-ment in der DDR.., in: Redaktion Deutschland Archiv(Hrsg.), Umweltprobleme und Umweltbewußtsein in derDDR, Köln 1985, S. 169-199; ders.: ,,Neue Soziale Bewe-gungen als Problem der sozialistischen Gesellschatl. ZurEntstehung und Bedeutung neuadiger Bewußtseinslagenin der DDR und Ungäro«, in: Das Profil der DDR in dersozialistischen Staatengemeinschaft. 20. Tagung zumStand der DDR-Forschung in der BundesrepublikDeutschland, g. bis 12. Juni 1987, Köln 1987, S. 106-1 19;G. Minnerup: ,,Systemopposition und nationale Frage in

beiden deutschen Staaten'., in: Die beiden deutschenStaaten im Ost-West-Verhältnis. 15. Tagung zum Standder DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland,1 . bis 4. Juni 1982, Köln 1982, S. 51 -62. Dietrich Staritzhingegen kritisierte noch 1987, daß die Gruppen "imWesten vorschnell zu ,autonomen Bewegungen< stilisiertwurden": D. Staritz: "Die SED und die Opposition.., in: l.

Spittmann (Hrsg.), Die SED in Geschichte und Gegen-wart, Köln 1987, S. 93.Erst 1989 spielte die Problematik auf der DDR-Forscher-tagung eine größere Rolle, als erstmals auch zwei Bürger-rechtler aus der DDR referierten: E. Neubert: "Gesell-schaftliche Kommunikation im sozialen Wandel. Ausge-wählte Aspekte einer Beweguhg.., in: Die DDR im vierzig-sten Jahr. Geschichte, Situation, Perspektiven. 22. Ta-

Page 3: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

Was war die ,,DDR-Oppositioo..? 185

Widerstand gegen die SED-Herrschaft einenzentralen Stellenwert für das politische Selbst-verständnis des vereinigten Deutschlands einzu-räumen.7Mit der Hinwendung zu einem in der Vergan-genheit eher vernachlässigten Themenfeld stelltsich verstärkt die Notwendigkeit einer theoreti-schen und begrifflichen Bestimmung der Phä-nomene. Hatte die historisch ungewöhnlicheForm des sanften Untergangs der SED-Diktaturbereits die Frage aufgeworfen, ob dieser nuneine >>Revolution«, eine »Implosion<< oderschlicht eine »Wende<( war, erscheint es kaumweniger schwierig, exakt zu definieren, was undwer eigentlich die »DDR-Opposition« war oder

- um einen anderen, in der NS-Forschung vor-herrschenden tsegriff zu yerwenden - wer tat-sächlich gegen die Herrschaft der SED »Wider-stand<< geleistet hat. Bildeten jene, die in den

LetztenJahren der DDR im Schutz der evangeli-schen Kirchen für Frieden, Umwelt oder Men-schenrechte stritten, wirklich eine politischeOpposition gegen die SED-Herrschaft? Befan-den sich kritische Schriftsteller oder politischengagierte Pastoren, pazifistisch motivierteWehrdienstverweigerer oder unzufriedene Aus-reisewillige gar im Widerstand?Wie kompli ziert die definitorischen Problemesein können , zeigte sich bereits bei der Konsti-tuierung der Enquete-Kommission, die der ent-sprechenden Arbeitsgruppe den umständlichenAuftrag erteilte, »Möglichkeiten und Formenabweichenden und widerstcindigen Verhaltensund oppositionellen Handelns, die friedlicheRevolution im Herbst 1989, die Wiedervereini-gung Deutschlands und Fortwirkenvon Struktu'ren und Mechanismen der Diktatur<< ztJ untersu-chen. Auch im weiteren Verlauf der Arbeit kamdas Definitionsproblem immer wieder zur Spra-che, so daß manch e nr dem Schluß gelangten,eine exakte Bestimmung sei ohnehin kaummöglich und deshalb fragwürdig.8

gung zum Stand der DDR-Forschung in der Bundesrepu-6tit< Oeutschland, 16. bis 19. Mai 1989, Köln 1989, S. 38-57; W. Templin'. "Zivile Gesellschaft - OsteuropäischeEmanzipationsbewegung und unabhängiges Denken in

der DDR seit Beginn der achtziger Jahre", in: ebd., S. 58-65; sowie G. Minnerup: ,,Politische Opposition in der DDRvor dem Hintergrund der Reformdiskussion in Osteuro-pä.,, in: ebd., S. 66-74.2 Ein .umfangreicher, wenngleich immer noch unvollstän-diger Überblick über die erschienene Literatur findet sichin: Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, Biblio-

graphie zum Arbeitskreis ,,Christen, Staat und Gesell-schaft in der DDR", Dusseldorf o. J. (1993), sowie imAnschlußband des Wissenschaftszentrums: Arbeitskreis,,Christen, Staat und Gesellschaft in der DDR". Vorträge,Diskussionen und Bibliographie, hrsg. von G. Kaiser undE. Frie, Dusseldorf 1995.3 Die wesentlichen Ergebnisse sind veröffentlicht in: Ma-terialien der Enquete-Kommission ,,Aufarbeitung von Ge-schichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland..(12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), hrsg.vom Deutschen Bundestag, Band Vll, 1 und Vll, 2: Wider-stand, Opposition, Revolution, Baden-Baden und Frank-furt am Main 1995.4 Vgl. insbesondere: M. Beleites, Untergrund. Ein Konfliktmit der Stasi in der Uran-Provinz, Berlin 1991 ; R. Eppel-mann, Fremd im eigenen Haus. Mein Leben im anderenDeutschland, Köln 1993; Freunde und Feinde. Friedens-gebete in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober1989. Dokumentation, hrsg. von C. Dietrich und U. Schwa-be im Auftrag des "Archivs Burgerbewegung e. V... Leip-zig, Lerpzig 1994; G. Hanisch/G. Hänisch/F. Magirius/J.Richter, Dona Nobis Pacem. FÜrbitten und Friedensgebe-te im Herbst'89, Berlin 1990; C. Jordan/H. M. Kloth, ArcheNova. Opposition in der DDR. Das ,,Grün-ökologischeNetzwerk Arche., 19BB-90, Berlin 1995; G. Just, Zeuge ineigener Sache. Die f unf ziger Jahre, Berlin 1990; C. Kleß-mann (Hrsg.), Kinder der Opposition. Berichte aus Pfarr-häusern in der DDR, Gütersloh 1993; B. Lindner (Hrsg.),Zum Herbst '89. Demokratiebewegung in der DDR, Leip-zig 1994; M. Meckel/M. Gutzeit, Opposition in der DDR.Zehn Jahre kirchliche Friedensarbeit kommentierteQuellentexte, Köln 1994; W. Rüddenklau, Störenfried.DDR-Opposition 1986-1989, Berlin 1992; weitere Litera-turhinweise s. Anm. 2 sowie die Auswahlbibliographie in:U. Poppe/R. EckerVl.-S. Kowalczuk (Hrsg.), ZwischenSelbstbehauptung und Anpassung. Formen des Wider-standes und der Opposition in der DDR, Berlin 1995, S.

416-423.5 Vgl. die ausführlichen, wenn auch unvollständigen Lite-raturhinweise in: Der Bundesbeauftragte für die Unterla-gen des Staatssicherheitsdienstes, Abteilung Bildung undForschung, Bibliographie zum Staatssicherheitsdienst derDDR, BF informiert 41194; ferner: Autorenkollektiv (Hrsg.),Die ,,andere<< Geschichte, Erfurt 1993 (Kirche und MfS in

Thüringen); tvt. Morgner, Deckname ,,Maske... Die Kunst-lergemeinschaft Mecklenburg 1 980/81, Schriftenreihe desRobert-Havemann-Archivs 2, Berlin 1995; R. Schottlaen-der, Das teuerste Flugblatt der Welt. Dokumentation einerGroßfahndung des Staatssicherheitsdienstes an der Ber-liner Humboldt-Universität, Berlin 1993 (Eigendruck - zubeziehen durch: R. Schottlaender, Jastrower Weg 17,12587 Berlin).6 Vgl.insbesondere die aufschlußreichen Studien: A.Mitter/S. Wolle, Untergang auf Raten. Unbekannte Kapitelder DDR-Geschichte, München 1993; P. von zur Mühlen,Der ,,Eisenberger Kreis". Jugendwiderstand und Verfol-gung in der DDR 1953-1958, Bonn 1995.7 Diesem Zweck dienten zum Beispiel die von Rita Süß-muth mitgetragene Veranstaltung "Eine Reverenz an Bür-germut und Widerstand,. in Berlin zum 5. Jahrestag derBesetzung der Stasi-Bezirksverwaltungen (Dezember1994), der Besuch Helmut Kohls bei Bärbel Bohley undanderen ehemaligen BÜrgerrechtlern (August 1995) oderdie Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an 30 ehema-lige Burgerrechtler durch Bundespräsident Roman Herzog.B So etwa Karl Wilhelm Fricke, in: Materialien der En-quete-Kommission (Anm. 3), Bd. Vll, 1, S. 15.

Page 4: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

186 Essays - Berichte - Analysen

Aber auch unter den Akteuren wurden baldunterschiedliche Ansichten darüber deutlich, obdas, was sie zu DDR-Zeiten an politischen Geh-versuchen unternommen hatten, Opposition waroder nicht, zumal viele diese Frage vor 1989ausdrücklich für sich verneint hatten. So be-zeichneten beispielsweise die ehemaligen Bür-gerrechtler Carlo Jordan und Wolfgang Rüd-denklau die Tätigkeit ihrer Gruppen >>Umwelt-bibliothek« und >>Netzwerk Arche« ohne [Jm-schweife als »Opposition<<, wohingegen derMitbegründer der SDP, Martin Gutzeit, in einerdetaillierten Studie über die Entwicklung derGruppen im Jahr 1989 zu dem Schluß kam, daßsich bei ihnen ein politisches Selbstverständnisals Opposition nur sehr langsam - und keines-wegs widerspruchslos - in den letzten Monatender Honecker-Herrschaft herausbildete.e Raschavancierte die Frage auch zum politischenStreitobjekt, denn mit der Zu- oder Aberken-nung des Prädikates »DDR-Opposition« verbin-det sich im vereinigten Deutschland auch einMehr bzw. ein Weniger an politisch-morali-scher Legitimation, das für die eigenen Profilie-rungs- oder Wahlchancen nicht ohne Bedeutungist.Unabhängig von den praktischen Definitions-problemen und den punktuetrl aufscheinendenInterpretationsdiffer enzen hat die Bestimmungvon »Widerstand<< und »Opposition« aber auchlangfristige Folgen für die Rezeption des SED-Regimes und die Einschätzung des Verhaltensder unter ihm lebenden Menschen: Legt maneinen weit gefaßten Begriff zugrunde, der auchdie vielfältigen Formen der politischen lJnzu-friedenheit und Resistenz umfaßt, kommt manzwangsläufig zu dem Ergebnis, daß der über-wiegende Teil der Bevölkerung in Oppositionzur SED-Herrschaft stand und diese bis weit indie Partei selbst hineinreichte. Nimmt man hin-gegen eine betont enge Definition zum Aus-gangspunkt, die nur aktive, organisierte undüber einen längeren Zeitraum wirkende Hand-lungen des politischen Widerstandes einbe zieht,wird das Resümee sein, daß es in diesem Sinnekeine oder nur sehr wenige Oppositionsbewe-gungen in der DDR gegeben hat. Die Typologi-sierung von Widerspruchshandlungen hat alsounmittelbare Auswirkungen auf das historischeBild, das wir uns künftig von der DDR machenwerden.

Widerspruchshandlungen in der Definitionvon Partei und Staat

Politische Widerspruchshandlungen könnennicht aus sich heraus definiert werden, sondernmüssen in Bezug gesetzt werden zu einer ande-ren - in der Regel übergeordneten - politischenGröße, gegen die sie sich formieren. Im Fall derDDR bestimmten nahezu ausschließlich Parteiund Staat, welche Haltungen und Handlungenals politischer Widerspruch erschienen. Die De-finition des politischen Widerspruchs geschaheinerseits durch verbale Kennzeichnung undpraktische Reaktionen, in einem grunds atzli-cheren Sinne aber auch durch die Politik selbst,weil diese oftmals Gegenreaktionen und/oderOpfer hervorbrachte. Wie für den Nationalso-zialismus gilt deshalb auch für die DDR, daßWiderstand Produkt und Reflexion des Herr-schaftssystems zugleich war: »Die Art derHerrschaft bestimmt die Art des Widerstands;und je umfassender der Herrschaftsanspruch,desto rnehr. nicht weniger Widerstand ist dieFolge, denn das Regime selbst vetwandelt Ver-halten und Aktionen in Widerstand, die unter)normalen, Bedingungen (. . .) hriufig überhauptkeine politi,sclte B edeutung beansp ruchen könn-rcn. «to

Produktion und Definition von politischem Wi-derspruch verschmolzen in der DDR zu einerunauflöslichen Dialektik: Ein politisches oderideologisches Postulat konnte eine Haltung oderHandlung, die tür sich genommen gar nicht

9 Als ,,Oppositionelle,. def iniert Rüddenklau beispiels-weise ,,die konspirativen Zirkel der siebziger Jahre, dieTeil der Kulturopposition waren oder sich wenigstens alsderen politischer Arm verstanden, ( . .) die kirchlichenOppositionsgruppen der achtziger Jahre und ( ) diethematischen Zukel in deren Umkreis und Hintergrund und( ) Versuche von Gruppen wie der lnitiative Frieden undMenschenrechte, eine außerkirchliche legale Oppositionzu begründen << : vgl. W. Rüddenklau: ,,AußenpolitischeKontakte der DDR-Opposition", Horch und Guck, 4. Jg.,Heft 15, Nr. 211995, S. 31; ferner: ders. (Anm. 4; C.Jordan/H. M. Kloth (ebd.); M. Gutzeit: ,,Der Weg in dieOpposition. Über das Selbstverständnis und die Rblle der,Opposition. im Herbst 19Bg in der ehemaligen DDR.., in:W. Euchner (Hrsg.), Politische Opposition in Deutschlandund im internationalen Vergleich, Göttingen 1993, S. 84-114.10 l. Kershaw: "Widerstand ohne Volk.., in: J. Schmäde-ke/P. Steinbach (Hrsg.), Der Widerstand gegen den Natio-nalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Wider-stand gegen Hitler, MünchenlZürich 1986, S. 781 .

Page 5: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

Was war die ,,DDR-Opposition,.? 1BV

gegen das System gerichtet waren (zum Bei-spiel der Besuch eines Gottesdienstes oder das

Tragen langer Haare), als Widerspruch erschei-nen lassen; um diesen auszuschalten. wurdenhäufig negative Sanktionen in Gang gesetzt,deren graduelle Abstuf ung nicht nur die»Schwere<< des Widerspruchs kenntlich machte,sondern auch dessen weitere Entwicklung starkbeeinflußte. Diese Wechselwirkung, die natür-lich auch umgekehrt wirken konnte (zum Bei-spiel, wenn das Tragen langer Haare nicht mehrals negativ gewertet wurde), macht die Bestim-mung dessen, was die SED als politischen Wi-derspruch betrachtete. besonders schwierig.Wie Partei und Staat selber politische Wider-spruchshandlungen definiert haben, bleibt in derRückschau überraschend undeutlich. Nimmtman etwa das politische Strafrecht als kompri-mierteste Form der Definition staatsgefährden-der Handlungen zum Ausgangspunkt, stößt mandurchweg auf außerordentlich vage gehalteneBestimmungen wie die SMAD-Bet-ehle Nr. 160und 201, das Gesetz zum Schutz des Friedensvon 1950, den Artikel 6 der alten DDR-Verfas-sung über »Boykott- und Kriegshetze<< oder dieKodifizierung der Staatsverbrechen im Strafge-setzbuch der DDR - beispielsweise zur >>Staats-

feindlichen Hetze<< (§ 106) oder zur 1979 neuaufgenommenen »Landesverräterischen Nach-richtenübermittlung« (§ 99)."Nicht anders ergeht es einem, wenn man dieeinschlägigen Bestimmungen des MfS heran-zieht, obwohl diese im Unterschied zum politi-schen Strafrecht streng geheim waren und expli-zit mit dem Zrel erlassen worden waren, diepolitische Verfolgung intern zu normieren. Solegte die zentrale »Richtlinie Nr. ll76 zur Ent-wicklung und Bearbeitung Operativer Vorgän-ge (OV)« lediglich fest, daß Ausgangsmateriali-en für OV u. a. dort entwickelt werden sollten,wo >>feindlich-ne gative Handlungen, Einflüsseund Gefahren sovt)ie andere, die gesellschaftli-che Entwicklung störende und hemmende Er-scheinungen offensiv zu bekrimpfen sindot2.Das seit 1910 existierende »Wörterbuch zurpolitisch-operativen Arbeit« enthält zwar mehrals 90 Einträge über die verschiedensten Er-scheinungen des politischen Widerspruchs,doch die pseudowissenschaftlichen Sprachun-getüme sind ebenso ausgreifend wie wirklich-keitsverzerrend. Zur exakten Unterscheidung

der Phänomene oder gar für eine systematischeTypologie sind sie kaum geeignet, wie die De-finition der »Politischen Untergrundtätigkeit«(PUT) - dem wichtigsten Begriff bei der Verfol-gung Andersdenkender in den achtziger Jahren

- zeigt: PUT ist danach »die durch den konzen-trierten Einsatz de r politisch-ideolo gi,schen Di-versiott inspirierte und von feindlichen Zentren,Organisationen und KrciJien organisierte Su-che, Sammlung und Zusammenführung vot'L

.fe indli c h - n e g at iv e n K r cift e n zu r S c haffun g e in e rpersonellen Basis im Innern der DDR, die inDurchs etzutng .fe inClicher Platfo rmen unte r An-w*endung konspirativer Mittel und Methodenlangfristig orientierend gegen die DDR mit dentZiel kcimpJbn, in der soziali,stischen Gesellschaftsozialismusfeindliche Positionen zu schaffen,Bärger" der DDR gegen den Soziolismus aufzu-wie geln, feinclliche Handlungen zlt aktivieren,um damit den Proze!3 konterrevolutioncirer Ver-cinderungen zur letztendlichen Beseitigung derArbeiter-und-Bauern-Macht in Gang zu set-zen<<13. Welche konkreten Widerspruchshand-lungen sind damit wohl gemeint bzw. nichtgemeint?Kennzeichnend für die in den siebziger undachtziger Jahren immer weiter verfeinerte Be-

1 1 ln dem häufig von der politischen Strafjustiz herange-zogenen § 106 hieß es u. a.: "Wer mit dem Ziel, diesozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der Deut-schen Demokratischen Republik zu schädigen oder ge-gen sie aufzuwiegeln, 1. Schriften, Gegenstände oderSymbole, die die staatlichen, politischen, ökonomischenoder anderen gesellschaftlichen Verhältnisse der Deut-schen Demokratischen Republik diskriminieren, einführt,herstellt, verbreitet oder anbringt; 2. Verbrechen gegenden Staat androht oder dazu auffordert, Widerstand gegendie sozialistische Staats- oder Gesellschaftsordnung derDeutschen Demokratischen Republik zu leisten; 3. Reprä-sentanten oder andere Burger der Deutschen Demokrati-schen Republik oder die Tätigkeit staatlicher oder gesell-schaftlicher Organe und Einrichtungen diskriminiert; (. . .)wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahrenbestraft,.; Strafgesetzbuch der Deutschen Demokrati-schen Republik - StGB -, hrsg. vom Ministerium für Justiz,Berlin (O.) 1968.12 Richtlinie Nr. 1176 zur Entwicklung und BearbeitungOperativer Vorgänge (OV), GVS MfS 008-100176, abge-druckt in: D. Gill/U. Schröter, Das Ministerium für Staats-sicherheit. Anatomie des Mielke-lmperiums, Berlin 1991 ,

s. 350.13 Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit, GVS 001-400/81, abgedruckt in: Der Bundesbeauftragte für dieUnterlagen des Staatssicherheitsdienstes (Hrsg.), DasWörterbuch der Staatssicherheit. Definitionen des MfS zur,>politisch-operativen Arbeit", Berlin 1993, S. 408.

Page 6: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

188 - Berichte - Analysen

grifflichkeit des MfS sind, wie das Beispielzeigt, eine extreme ideologische Aufladung undweitreichende Auslegungsmöglichkeiten. Nichtdie Phänomene brachten einen Begriff hervor,sondern der - pejorative - Begriff wurde denErscheinungen übergestülpt, um sie dadurchauszugrenzeßund zu bekämpfen. Dabei standenungeachtet allen Bemühens um »Wissenschaft-lichkeit« praktisch-politische Erwägungen imVordergrund wie etwa die Veränderung derVerfolgungskriterien oder die durch das Straf-gesetzbuch vorgegebenen Bestrafungsmöglich-keiten.So wurden beispielsweise bis 1984 bestimmteHandlungen lediglich dem »Vorfeld« der PUTzugeordnet - eine Unterscheidung, die imZugeder Erarbeitung einer speziellen Dienstanwei-sung zur PUT abgeschafft wurde; nun galt auchdas Vorfeld schon als PUT.ra Eine andere Diffe-renzierung geht auf das Jahr 1979 zurück, als

man zwischen »feindlich-negativem Personen-zusammenschluß« und »feindlich-negativerGruppe << zn unterscheiden begann, nachdem imZuge des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes auchlose Personenverbindungen - z. B. die Unter-zeichner einer Petition - als >>Zusammenschluß

zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele<< (§ 218)unter Strafe gestellt worden waren.15 »Staats-

feindliche Gruppen<< wurden >>aus kriminologi-scher und strafrechtlicher Sicht<< in sieben ver-schiedene Klassen eingeteilt.16 Die >>wissen-

schaftlichen« Darstellungen der PUT hingegendifferenzierten, wenig systematisch und starkdemagogisch, zumeist nach Handlungsfornten -z. B.- ,das Erarbeiten, Übernehmen und Ver-breiten ontisozialistischer Konzeptionen, Platt-.formen, Schriften, Gegenstände und Symbole,<,

»das Sammeln und Zusammeffihren von feind'lich-ne gativen P ersonen<< oder »das Organisie-ren und Durchführen öffentlichkeitswirksamerantisozialistischer Aktionen und Mat3nah-menrr.llDie Definition des politischen Widerspruchswar nicht ohne Grund so eklektisch und unein-deutig. Ztm einen ist dafür das machttaktischeVerhältnis der SED zur Politik und damit auch

zur konkreten Bestimmung »feindlicher<< Hal-tungen und Handlungen verantwortlich, die kei-ner allgemeinverbindlichen Richtschnur folgte,sondern von den Verantwortlichen - in vielenFällen sogar von der politischen Spitze - situa-

tionsbezogen vorgenommen wurde; für die Ak-teure sollte das Risiko einer Widerspruchshand-lung zudem unberechenbar bleib en. Zum ande-ren standen sich Partei und Staat bei der Defini-tion von Widerspruchshandlungen gleichsamselbst im Wege, denn seit den sechziger Jahrengehörte es zu den ideologischen Axiomen, daßfür eine Opposition im Sozialismus »die obiek-tive politische und soziale Grundlage« fehlels,so daß selbst das MfS den Begriff nur in Anfüh-rungsstrichen benutzte und als >rvon denfeindli-chen Zentren, Institutionen und Krciften entvvik-kelte Bezeichnungo einstufte.le Erscheinungendes politischen Widerspruchs konnten konse-quenterweise nur als ,das Ergebnis des subver-siven Einwirkens des Imperialismus« wahrge-nommen werden20 oder aber als >> Überbleibsel«

14 Ministerium für Staatssicherheit, Dienstanweisung Nr.2lB5 zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung undBekämpf ung politischer Untergrundtätigkeit, VVS MfS0008-6/85.15 Hochschule des MfS, Dissertation zum Thema ,,Dasaktuelle Erscheinungsbild politischer Untergrundtätigkeitin der DDR und wesentliche Tendenzen seiner Entwick-lung,., VVS JHS 0001 -230189, S. 122 f; vgl. ferner: Juristi-sche Hochschule Potsdam (Hrsg.), Hochschuldirekt-studium Rechtswissenschaft, Spezialisierungsrichtung 2,Komplex lV, Studienmaterial: Die politisch-operative Bear-beitung feindlich-negativer Personenzusammenschlüsse,die im Sinne politischer Untergrundtätigkeit wirken, in

Operativen Vorgängen, VVS JHG 0001-91/Bg (Matthias-Domaschk-Archiv Berlin, im weiteren: MDA).16 Juristische Hochschule Potsdam, Sektion Rechts-wissenschaft, Lehrstuhl Straf-/Strafprozeßrecht, Thesen,,Wesen, Begriff und Merkmale staatsfeindlicher Gruppenaus kriminologischer und strafrechtlicher Sicht", Reg.-Nr.82172, S. 3 (MDA).17 Ministerium für Staatssicherheit, Hochschule, Studi-enmaterial: Grundorientierungen für die politisch-operati-ve Arbeit des MfS zur Aufdeckung, vorbeugenden Verhin-derung und Bekämpfung der Versuche des Feindes zumMißbrauch der Kirchen für die lnspirierung und Organisie-rung politischer Untergrundtätigkeit und die Schaff ungeiner antisozialistishen ,,inneren" Opposition in der DDR,VVS JHS 0001 -125183, S. 3 f.; dass., Grundorientierungenfur die politisch-operative lnspirierung und Organisierungpolitischer Untergrundtätigkeit und die Schaff ung einerantisozialistischen "inneren Opposition" in der DDR, VVSJHS 0001 -241183 (MDA).1B Vgl. die fast gleichlautenden Definitionen des Begrif-fes "Opposition., in den verschiedenen Auflagen desKleinen Potitischen Wörterbuches, Berlin 1967 (1. Aufl.),S.471; 1983 (4. Aufl.), S. 694 f.; 19BG (6. Aufl.), S. 695;19BB (7. Aufl.) , S. 7O7.19 Wörterbuch der pol.-op. Arbeit (Anm. 13), S. 297.20 JHS Potsdam (Hrsg.), Hochschuldirektstudrum, Spe-zialisierungsrichtung 2, Komplex IV, Studienmaterial:

"Das aktuelle Erscheinungsbild politischer Untergrundtä-tigkeit in der DDR und wesentliche Tendenzen seinerEntwicklung.., VVF JHS 0001-89/89, S.217 (MDA).

Page 7: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

Was war die ,,DDR-Opposition..? 189

der Vergangenheit, was, je länger die DDRexistierte, freilich immer weniger überzeugenkonnte. Die Schwierigkeit, politis ch zuleugnen,was man gleichzeitig verfolgte, schlägt sich ineiner gedanklichen Unklarheit und Wider-sprüchlichkeit nieder, die für die meisten DDR-Dokumente zur Verfolgung Andersdenkender -auch wenn sie für den internen Gebrauch be-

stimmt waren - kennzeichnend ist.Eine zweite Möglichkeit, die Definition vonWiderspruchshandlungen durch Partei undStaats zur eruieren, besteht darin, solche Hal-tungen und Handlungen näher zubetrachten, diein der Praxis negativ sanktioniert wurden - was

zweifellos als ein deutlicher Indikator dafür be-

trachtet werden kann, daß in der jeweiligenHandlung oder Person eine Bedrohung gesehen

wurde. Die SED benutzte dazu ein breites, gta-duell abgestuftes Instrumentarium, das von derpolitischen Justiz und den Zersetzungsmaßnah-men des MfS über Parteistrafen und beruflicheDisziplinierungen bis hin zu Einschränkungender Aufstiegschancen und zur Verweigerungvon Privilegien reichte. Nimmt man die politi-sche Justiz als den komprimiertesten Ausdruckvon Verfolgung zum Ausgangspunkt, schälen

sich gleichsam automatisch bestimmte Hand-lungsweisen heraus, die eindeutig negativ sank-

tioniert wurd en2t'. Dazu gehörten insbesonderealle konkurrierenden oder unkontrollierten poli-tischen Bestrebungen, aber auch West-Kontak-te, die als staatsgefährdend eingestuft wurden,oder die unterschiedlichen Versuche, die DDRzu verlassen; in der Frühzeit richtete sich diepolitische Justiz darüber hinaus auch gegen be-stimmte soziale Gruppen (2. B. Unternehmer),gegen resistente Milieus (2. B. kirchlich Enga-gierte), gegen ausgewählte Mitglieder der No-menklatura sowie gegen lediglich potentiellepolitische Gegner.Die einschlägigen Gerichtsakten, aber auch dieUntersuchungsvorgänge und Operativen Vor-gänge des MfS bilden vor diesem Hintergrundden wohl bedeutendsten Quellenfundus zur nä-

heren Bestimmung des politischen Wider-spruchs in der DDR.Obwohl eine quantitative Auswertung der Ver-folgungsakten nach Handlungsweisen oder Per-sonengruppen noch ausstehtzz, zeigt freilich dieexemplarische Kenntnis einzelner Vorgänge,daß sie für sich allein genommen ttoch keine

befriedigende Typologisierung des politischenWiderspruchs erlauben. Zum einen erfolgte dienegative Sanktionierung keineswegs einheit-lich, sondern war teilweise zufällig, willkürlichund manchmal zum Beispiel bei den Ver-haftungen und Wiederfreilassungen im Novem-ber l98l (Umweltbibliothek) oder im Ja-

nuar 1988 (Luxemburg-Liebknecht-Demon-stration) - selbst für den Verfolgungsapparatnicht immer nachvollziehbar; außerdem wan-delte sie sich im Zertverlauf, so daß heute etwadurchaus geduldet werden konnte, was gesternnoch strafbar war (r.8. der Empfang von West-fernsehen oder die Mitgliedschaft in der JungenGemeinde). Zum anderen umfaßt die Gruppeder mit Gerichtsverfahren, Untersuchungsvor-gängen, Operativen Vorgängen oder OperativenPersonenkontrollen bedachten Personen auch

solche Handlungen, die von den Betroffenen garnicht als politischer Widerspruch verstandenwurden und auch objektiv die Herrschaft derSED nicht in Frage stellten. Offensichtlich wur-de vieles zu einem staatsfeindlichen Akt erho-ben, was in Wahrheit gar keiner war, wobei dietatsächlichen Beweggründe oder Handlungenspezifisch v erzerrt wurden. Die Verfolgungsap-parate waren in ihrer spezifischen, manchmalgerade

^t parunoiden Wahrnehmung der gesell-

schaftlichen Wirklichkeit befangen und von in-dividuellen und institutionellen Eigeninteressengeprägt, die die Suggerierung eines hohen Ge-fahrenpotentials unter bestimmten Umständennahelegen konnten; ab 1964 gab es aufgrund des

Häftlingsfreikaufs auch ein beträchtliches fi-nanzielles Interesse der DDR-Führung an poli-tisch begründeten Inhaftierungell. )) GewiJ3 wur-den in der DDR den Herrschenden nicht geneh'me politische Akteure sehr schnell zu Opfernund Benachteiligten. Man mut|te iedoch nichterst politisch aktiv w*€rden, um in die Mühle des

21 Vgl. dazu die ausführlichen Untersuchungen: K. W.Fricke, Politik und Justiz in der DDR. Zur Geschichte derpolitischen Verfolgung 1945-1968. Bericht und Dokumen-tation, Köln 1979; F. Werkentin, Politische Strafjuslz i1

der Ara Ulbricht (Forschungen zur DDR-Geschichte, Band1), Berlin 1995.22 Ers|e Ansätze hat dazu Bernd Eisenfeld von der Ber-liner Gauck-Behörde anhand verschiedener Mf S-Kar-teien entwickelt; vgl. ,,Aktivitäten der Abteilung Bildungund Forschung in der Gauck-Behörde,.. DA 9/1995, S.

1 004.

Page 8: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

190 Essays - Berichte - Analysen

Repressionsapparates zu geratenrr.23 Um dieFormen des politischen Widerspruchs in derDDR näher bestimmen zu können, muß deshalbin jedem Fall eine Analyse des Selbstverständ-nisses der Akteure hinzukommen.

Widerspruchshandlun genim Selbstverständnis der Akteure

Was waren die Motive, was die Ziele jenerzahllosen Menschen, die zwischen 1945 und1989 auf irgendeine Weise gegen die Herrschaftder SED opponiert haben? Wer verstand sichselbst oder bestimmte eigene Aktivitäten alsAusdruck politischer Opposition oder als Wi-derstand? Bei der Beantwortung dieser Fragenstellt sich zunächst das methodische Problem,wie das Selbstverständnis der Akteure über-haupt festgestellt werden kann. Es liegt auf derHand, daß die historische Überlieferung in vie-len Fällen bruchstückhafl ist und existierendeprogrammatische Selbstzeugnisse nur einenkleinen Teil der Widerspruchshandlungen wi-derspiegeln; nachträglich aufgezeichnete Erin-nerungen hingegen bergen gerade bei der Be-stimmung des Grades der Ablehnung des politi-schen Systems die Gefahr retrospektiver Projek-tionen, ausgelöst durch spätere Erfahrungen wieHaft, Ausreise oder auch das Ende der DDR.Darüber hinaus ist in vielen Fällen von einerDifferenz zwischen intern und extern geäußer-tem Selbstverständnis aLlszugehen, da Wider-spruchshandlungen in der DDR weniger starkvon Verfolgung bedroht waren, wenn sie nichteindeutig als Opposition oder Widerstand iden-tifiziert werden konnten ; vi ele Widerspruchs äu-ßerungen (2. B. Eingaben oder öffentliche Er-klärungen) waren deshalb geradezu krampfhaftum einen positiven Bezug zum herrschendenpolitischen System bemi.iht. Man kann zwardavon ausgehen, daß interne Standortbestirn-mungen in vielen Fällen durch das MfS zeitsyn-chron dokumentiert wurden, doch die Akten-auswertung hat gezeigt, daß diese Aufzeichnun-gen nicht unbedingt der Wirklichkeit entspre-chen müssen, vor allem wenn Inoftizielle Mitar-beiter (IM) oder Führungsoffiziere den »Ge-fährlichkeitsgrad<< künstlich zü erhöhen such-ten.za Schwierigkeiten bereitet schließlich auchdie unterschiedliche Konnotation der in den

Selbstzeugnissen verwendeten Begrifflichkei-ten, die einen weit oder eng gefäßten Bedeu-tungsgehalt transportieren und durch Zusätzewie >>kommunistisch<<. »sozialistisch«, »demo-kratisch« oder »positiv« einen grunds ätzlichverschiedenen Inhalt bekommen können.Ungeachtet dieser methodischen Hürden, dieletztendlich nur durch ein besonders sorgfälti-ges Vorgehen abzuflachen sind, führt eine Be-stimmung der DDR-Opposition über das Selbst-verständnis der Akteure in iedem Fall dazu, dasSpektrum der damit erfaßten Widerspruchs-handlungen stark einzuschränken: vor allem aufdie politische Opposition von SPD, CDU undLDP in den ersten Jahren nach 1945 sowie aufdie ab September 1989 entstandenen neuen Par-teien und Sammlungsbewegungen, wobei auchhier starke Abstriche vom klassischen Oppositi-onsbegriff zlt machen wären.25 Eine Sonder-form der Opposition stellten darüber hinaus jenedar, die von einer gemeinsamen ideologischenGrundl age - dem Bekenntnis zür sozialistischenGesellschaftsordnung die DDR kritisiertenund, oftmals erst durch ihre rigide Zurickwei-sung, auf diese Weise in einen fundamentalenGegensatz zur SED-Führung gerieten. Obwohldiese >rsozialistische Opposition« streng ge-nommen ein Paradox darstellt, war sie nach derAusschaltung aller nichtkommunistischen poli-tischen Kräfte über weite Zeitraume die bedeu-tendste und für die SED-Diktatur vielleicht ge-fährlichste Form des offenen Widerspruchs; obsie tatsächlich in eine umfassende politischeAlternative gemünde.t ocler - wie in Polen nachder Machtübernahme Gomutkas - nur eine an-

23 M. Meckel/M. Gutzeit (Anm. 4), S. 26.24 Zur Bestimmung des Selbstverständnisses müßteman also nicht nur die Selbstzeugnisse und Erinnerungender Akteure und die Verfolgungsakten zusammenfügen,sondern letztere zusätzllch noch einmal durch die Betrof-fenen verifizieren lassen. Ein interessantes Beispiel dafürgeben anhand der Selbstverständnisdebatten der soge-nannten ,,Konzeptions-Gruppe Vipperow.. Mitte der acht-ziger Jahre: M. MeckellM. Gutzeit (Anm. 4), S. 159-170.25 Auf die umfangreiche Literatur zum Oppositionsbegriffkann hier nicht näher eingegangen werden; im ursprüng-lichen politikwissenschaftlichen Sinne ist Opposition abereine >,verfassungsrechtlich anerkannte und verfassungs-politisch notwendige Zusammenarbeit der in parlamenta-rischen Gruppen zusammengefaßten Mitglieder einesParlamentes, die der Regierung weder angehören nochsie unterstützen, sich jedoch mit ihr zu den gleichenVerfassungsgrundsätzen bekennen,.; vgl. E. Fraenkel,Staat und Politik, Frankfurt am Main 1957 , S. 226.

Page 9: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

Was war die ,,DDR-Opposition.,? 191

dere Variante des Systems hervorgebracht hätte,bleibt freilich ungewiß.Eher als Widerstand denn als Opposition defi-nierten sich jene, die sich, vor allem in denftinfziger und frühen sechziger Jahren, in gehei-men Gruppen zusammenschlossen, um - mitun-ter unmittelbar inspiriert vom Vorbild des Wi-derstandes gegen den Nationalsozialismusgegen die SED-Herrschaft zu protestieren.26Wiederum ein anderes Selbstverständnis prägtejene, die sich an den Unruhen im Juni 1953 oderan dem Widerstand gegen die Betriebskollektiv-verträge und gegen die Kollektivierung beteilig-ten; hier handelte es sich überwiegend um sozia-le und politische Unzufriedenheit, die, vor allemwegen ihrer raschen Unterdrückung, nur einenschwach strukturierten Ausdruck fand.Weder als Widerstand noch als Opposition defi-nierte sich, zumindest öffentlich, die Mehrheitder unabhängigen Gruppen, die sich seit Endeder siebz,iger Jahre im Schutzraum der evange-lischen Kirchen ausbreiteten und die Wende imHerbst 1989 vorbereiteten. Eine Analyse dereinschlägigen Dokumente zeigt vielmehr, daßsich die meisten Akteure über Jahre hinweg inerster Linie als Teil einer »unabhängigen Frie-densbewegung« in der DDR verstanden, nach-dem sich die anfänglichen Vorbehalte gegen-über dieser (ursprünglich aus dem Westen stam-menden) Bezeichnung allmählich verloren hat-ten.21 Dieses Selbstverständnis war auch dannnoch bestimmend, als die Friedensproblematiklängst von anderen Fragestellungen überlagertwurde.28 Wurde dennoch ausnahmsweise derBegriff »Opposition« verwandt, dann in derRegel in einem anderen, weicheren Verständnis* z. B. als »eine von staatlicher Politik unter-schiedliche Reaktion auf konkrete politische Be-dingungen und die Suche nach Alternativen zumWohl des Staates und der Menschen, die in ihrnleben. (. .) Ziel dieser Vercinderungen ist abergerade nicht der Sturz des Staates, sondern seinewirkliche Stabilität.«2e Weil die Gruppen diekontinuierliche kritische Auseinandersetzungmit dem Staat suchten , ohne dessen Abwehrme-chanismen in Gang zu setzen, orientierten siesich überwiegend an dessen eigenen ideologi-schen Maximen und vermieden bis zuletzt dreEntwicklung eines alternativen politischen Pro-gramms. »Politische Opposition muJ3te sich mitdem absoluten Wahrheits- und Machtanspruch

der SED auseinandersetzen. Dazu konnte sichjedoch im Laufe der achtziger Johre kaurn je-mand in der DDR durchringen.o3oAls politische Opposition läßt sich auch nichtdas Selbstverständnis der Kirchen in der DDRbeschreiben, wenngleich sie als einztge autono-me Großorganisationen in einem strukturellenSpannungsverhältnis zur SED standen und we-nigstens in den ersten beiden Nachkriegsjahr-zehnten nicht bereit waren, »einer Regierungs-

form zuzttstimmen, die ihnen Mitarbeit in Formkritischer Mitsprache verweigerte«3I. Im Zugeder Entspannung des Staat-Kirche-Verhältnis-ses strebten aber vor allem die evangelischenKirchen nach einer konstruktiven Rolle imSED-Staat, die die »Gefahr der totalen Anpas-swng und die Gefahr der totalen Verweigerung«ausschloß-r2, während die katholische Kirche

26 Eine solche Gruppe stellte zum Beispiel der von Tho-mas Ammer beschriebene Kreis an der Universität Jenadar, der seine Aktionen ausdrücklich als ,,Widerstandstä-tigkeit.. definierte; vgl. K. W. Fricke (Anm. 21), S. 385,sowie P. von zur Muhlen (Anm. 6).27 Die anfänglichen Bedenken gegen den Begriff ,,unab-hängige Friedensbewegung.. werden geschildert in: M.Meckel/M. Gutzeit (Anm. 4), S. 142. Die von der Kircheweitergeleiteten staatlichen Einwände f ührten noch 1983dazu, daß fur ein Seminar des Friedenskreises der Ost-Berliner Studentengemeinde lieber der unverfänglichereBegriff ,,eigenständige Friedensarbeit der ev. Kirche.. ver-wandt wurde; vgl. Friedrichsfelder Feuermelder, Septem-ber 1 987 , S. 4.28 So verstand sich z. B. die am ehesten in Richtung einerpolitischen Opposition tendierende Gruppe,,Grenzfall.. beiihrer Gründung (1986) ausdrücklich ,,als ein unabhängiger,selbständiger Arbeitskreis innerhalb der Friedensbewe-gung.,, und in einer Erklärung vom 25. 11. 1987 wertetendie fuhrenden Berliner Gruppen (u. a. Die Umweltbiblio-thek, Kirche von unten, lnitiative Frieden und Menschen-rechte, Friedenskreis Friedrichsfelde, Frauen für den Frie-den, Gegenstimmen und Solidarische Kirche) die Durchsu-chung der Umweltbibliothek als ,,Angriff auf die Friedens-bewegung,,; R. Hirsch/L. Kopelew (Hrsg.), Grenztall. Voll-ständiger Nachdruck aller in der DDR erschienenen Aus-gaben (1986/87), Berlin 1989, S. 1 und S. 138.29 M. Meckel: ,,Friedensarbeit im Widerspruch. Zur Frie-densarbeit in der DDR,, (September 1983), dok. in: M.

Meckel/M. Gutzeit (Anm. 4), S. 135; ähnlich auch dasSelbstverständnis der,,Konz€ptionsgruppe Vipperow,.(1985), die sich einem lM-Bericht zufolge als >,>positive

Opposition., nicht staatsfeindliche., definierte; ebd., S. 169.30 Ebd., s. 26.31 E. Natho: ,,Die Evangelischen Kirchen in der DDH.,,Vortrag auf der EKU-SynodeiRegion West, gehalten am 9.10. 1981 in West-Berlin, EPD-Dokumentation 51/81, S. 58.32 A. Schönherr: ,,Chancen und Probleme christlicherExistenz in einer sozialistischen Gesellschaft", Vortragzum Jahresempfang der Evangelischen Akademie in Tut-zing am27. Januar 1981, EPD-Dokumentation B/81, S.6.

Page 10: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

192 Essays - Berichte - Analysen

fast gänzlich auf die politische Auseinanderset-nrng mit der SED verzichtete.Um die Entfaltung einer organisierten politi-schen Kraft gegen die Einparteiendiktatur in derDDR ging es auch den meisten Schriftstellernund Künstlern nicht, die, in unterschiedlicherSchärfe, mit der SED in Konflikt gerieten. Undauch die beständig virulente Flucht- und Ausrei-sebewegung - die der SED objektiv am meistenzu schaffen machte * zrelte gerade nicht auf eineAnderung der Verhältnisse imLande, so daß derBegriff »Opposition«, trotz Ablehnung derDDR, ihr Selbstverständnis in der Regel eben-falls nicht adäquat wiedergibt.Auch das Selbstverständnis der Akteure istletztendlich kein hinreichender Maßstab zur Be-stimmung der DDR-Opposition zumal sichumgekehrt manch einer als >>in Opposition«züm SED-Regime befindlich empfunden habenma§, der in Wirklichkeit an keinerlei politischenWiderspruchshandlungen teilgenommen hat.

Zur wissenschaftlichen Definitionvon Widerspruchshandlungen

Um Widerspruchshandlungen angemessen zubestimmen, erscheint es deshalb notwen dig, zu-sätzlich eigene, objektive Kriterien aufzustel-len, mit denen das konkrete Verhalten der Men-schen angemessen strukturiert und bezeichnetwerden kann. Wie schwierig das ist, hat freilichschon die wissenschaftliche Diskussion überden Widerstand im Nationalsozialismus ge-zeigt, die letztendlich zu keiner allgemeingülti-gen Typenbildung geführt hat. Gleichwohllohnt es sich, den Vorlauf an methodologischenReflexionen für den DDR-Kontext fruchtb ar zumachen.33Widerspruchshandlungen gegen die NS-Dikta-tur wurden bis in die sechziger Jahre mittelseines sehr engen, auf Aristoteles zurückgehen-den Widerstandsbegriffes rezipiert, der den Wi-derstand gegen den Tyrannen als legitimen Aktztrr Wiederherstellung des Rechts betrachteteund sich in erster Linie auf die Verschwörer des20. Juli und ihren »Aufstand des Gewissens<<bezog.34 Andere, mehr altagliche Formen derVerweigerung - zum Beispiel Desertion - blie-ben dagegen lange Zeit ausgeklammert.3s Erstnach und nach wurde dieses >>ethozentrische<<

Verständnis von einer pluralistischen Wider-

standsauffassung abgelöst, die sich schließlichso weit öffnete, daß ste »jede Form der Aufleh-nung im Rahmen asymmetrisclter Herrschafts-beziehungen ge gen eine zumindest tendenzielleGesamtherrschaft« einschloß.36 In der 1973 be-gonnenen, mehrbändigen Untersuchung »Bay-ern in der NS -Zett<< wurde deshalb unter Wider-stand »jedes aktive oder passive Verhalten ver-standen, das die Ablehnung des NS-Regimesoder eines Teilbereichs der lr{S-ldeologie erken-nen lcißt und mit gewissen Risiken verbundenwar,r3t. Und Martin Broszat führte wenig späterden Begriff der »Resistenz<< ein, den er definier-te al s »die wirksame Abwehr, Begrenzung, Ein-dcimmung der NS-Herrschaft oder ihres An-sprttches, gleichgültig von yvelchen Motiven,

33 Vgl. auch: R. Eckert: ,,Die Vergleichbarkeit des Unver-gleichbaren. Die Widerstandsforschung uber die NS-Zeitals methodisches Beispiel.,, in. U. Poppe u. a. (Anm.4), S.68-84; ders.: ,,Die revolutionäre Krise am Ende der acht-ziger Jahre und die Formierung der Opposition.., in:Enquete-Kommission (Anm. 3), Band Vll, S. 684 ff .; l.-S.Kowalczuk:,,Artikulationsformen und Zielsetzungen vonwiderständigem Verhalten in verschiedenen Bereichender Gesellschaft.., in: ebd., S. 1214 It.; C. Kleßmann:,,Zwei Diktaturen in Deutschland. Was kann die kunftigeDDR-Forschung aus der Geschichtsschreibung zum Na-tionalsozialismus lernen?.., DA 611992, S. 601-606.34 Zur Geschichte des Widerstandsbegriffes vgl. die auf-schlußreichen Beiträge in: J. Schmädeke/P. Steinbach(Anm. 10) sowie in: P. Steinbach (Hrsg.), Widerstand. EinProblem zwischen Theorie und Widerstand, Köln 1987;ferner: R. Büchel, Der Deutsche Widerstand im Spiegelvon Fachliteratur und Publizistik seit 1945 (Schriften derBibliothek für Zeitgeschichte, Heft 15), München 1975; K.-J. Müller/H. Mommsen: ,,Der deutsche Widerstand gegendas NS-Regime. Zur Historiographie des Widerstandes.,,in: K.-J. Müller, Der deutsche Widerstand 1933-1945,München Wien Zürich 1986, S. 13*21; G. Plum:

"Widerstand und Resistenz.,, in: M. BroszaUH. Möller(Hrsg.), Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur und Ge-schichte, München 1983, S. 248-273.35 So entschied der Bundesgerichtshof 1961 , daß dieSanktionierung von Wehrdienstverweigerung durch dasNS-Regime rechtmäßig war, denn eine legitime Wider-standshandlung müsse ,,nach den Beweggrunden, Ziel-setzungen und Erfolgsaussichten als ein ernsthafter Ver-such zur Beseitigung des bestehenden Unrechtszustan-des gewertet werden können, der einen lebens- undentwicklungsfähigen Keim des Erfolges in sich trägt (. . .)..;zitiert in: P. Steinbach (Anm. 34), S. 323.36 P. Hüttenberger: ,,Vorüberlegungen zum ,,,Wider-standsbegriff ..., in: J. Kocka (Hrsg.), Theorien in der Pra-xis des Historikers. Forschungsbeispiele und ihre Diskus-sion, Göttingen 1977, S. 126.37 H. Jaeger/H. Rumschöttel: ,,Das Forschungsprojekt,Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945..., Ar-chivalische Zeitschrift 73 (1977), S. 214.

Page 11: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

Was war die ,,DDR-Opposition..? 193

Gränden und Krciften herrr, womit erstmals derAspekt der Wirkung als Maßstab bei der Be-trachtung von Widerspruchshandlungen in den

Vordergrund gerückt wurde.38Zu Recht ist diesem erweiterten Widerstandsbe-griff entgegengehalten worden, daß er in Gefahrsteht, letztendlich ,rfast jedes Verhalten aut3er

ausgesprochene Begeisterung für das Regime«mit einzuschließen3e; im Kontext der DDR, de-

ren politische Führung niemals eine annäherndbreite Zustimmung in der Gesellschaft fand wiedie Nationalsozialisten, ist dieser Einwand erstrecht von Bedeutung. Eine Reihe von Histori-kern ging deshalb dazuüber, den Begriff Wider-stand in sich zu differcnzieren bzw. Unterkate-gorien zu bilden: Sie unterschieden zwischenpolitischer Opposition, gesellschaftlicher Ver-weigerung und weltanschaulicher Dissidenz(Richard Löwenthal), zwischen Abwehrhand-lungen und konzeptioneller Gegnerschaft (PeterHüttenberger) oder zwischen aktivem und pas-

sivem Widerstand (Hans-Adolf Jacobsen).40Manche Autoren entwickelten detaillierte Ty-pologisierungsmodelle, die Widerspruchshand-lungen nach unterschiedlichen Kriterien wiedem damit verbundenen Risiko, dem Grad an

Öffentlichkei t bzw. Privatheit oder ihrer relati-ven Globalität bzw. Partialitat auffächerten. Wi-derstand ließ sich auf diese Weise in verschiede-ne Stufen (punktuelle Unzufriedenheit, Resi-stenz, öffentlicher Protest und aktiver Wider-stand) gliedern, in eine feine Skala aufspaltenmit fließenden Ubergängen vom nonkonformenVerhalten über die Verweigerung und den Pro-test bis hin zumfundamentalen Widerstand oderin typologische Grundformen wie abweichen-des Verhalten, sozialer Protest etc. zerghe-dern.al Zugletch wurde dafür plädiert, den Wi-derstandsbegriff wieder einzuengen und ,autfpolitisch bewuJSte Verhaltensformen zu be-schränken, die sich fundamental gegen das Re-gime richteten<<, und statt dessen andere Ober-begriffe - zum Beispiel »Dissens<< - zu verwen-den, die dann entsprechend untergliedert wur-den.a2 Von »Opposition« wurde imZusammen-hang mit dem Nationalsozialismus hingegen nurselten gesprochen, da viele Historiker der Mei-nung waren, daß es aus prinzipiellen Gründengar »keine >Opposition< im Totalitarismus<< ge-

ben könne.a3Mit Blick auf die DDR hat es eine ähnliche

methodologische Diskussion bis 1989 nicht ge-geben. Während in den ersten beiden Nach-kriegsj ahrzehnten zunächst der ursprünglich aufdie NS-Diktatur bezogene Begriff des antitota-litären Widerstandes mehr oder weniger syn-chron auf die Gegner der SED angewandt wur-de, brachte das Phänomen einer kommunistischinspirierten Gegnerschaft zur DDR-Führungbald spezielle Bezeichnungen hervor, wie >>anti-

stalinistische« oder »innerkommunistische«Opposition oder schlicht >>demokratischer

Kommunismus,,.44 Anders als im Zusammen-hang mit dem Nationalsozialismus operiertenzahkeiche Arbeiten über politischen Wider-

38 M. Broszat: ,,Resistenz und Widerstand. Eine Zwi'schenbilanz des Forschungsprojektes.., in : M. Broszat u.

a., Bayern in der NS-Zeit, Band IV, München - Wien 1981 ,

s. 697.39 L Kershaw (Anm. 10), S. 783.40 R. Löwenthal: ,,Widerstand im totalen Staat.., in: R.

Löwenth allP. von zur Mühlen (Hrsg.), Widerstand undVerweigerung in Deutschland 1 933 bis 1945, 2. Auf 1.,

Bonn 1984, S. 11 -24; P. Hüttenberger. ,,Dimensionen desWiderstandsbegriffs.., in: P. Steinbach (Anm. 34), S. B0-95.41 Solche Typologisierungen finden sich u. a. bei: K.

Gotto/H. G. Hockerts/K. Repgen:,,NationalsozialistischeHerausforderung und kirchliche Antwort. Eine Bilanz.., in:

K. Gotto/K. Repgen, Kirche, Katholiken und Nationalso-zialismus, Mainz 1980, S. 101-1 1B; D. Peuckert, Volksge-nossen und Gemeinschaftsfreunde, Köln 1982, S. 97 ff.;G. Botz: ,,Methoden- und Theorieprobleme der histori-schen Widerstandsforschung.,, in: H. KonradM. Neuge-bauer (Hrsg.), Arbeiterbewegung - Faschismus - Natio-nalbewußtsein, Wien-München-Zürich 1983, S. 145 ff ; D.

Langewiesche: "Was heißt ,Widerstand gegen den Natio-nalsozialismus.?<., in: 1933 in Gesellschaft und Wissen-schaft. T. 1 : Gesellschaft, Hamburg 1983 (Ringvorlesungan der Universität Hamburg), S. 143-159.42 l. Kershaw (Anm. 10), S. 785. Gerhard Paul unter-scheidet z. B. zwischen vier Formen des Dissenses (ideo-logischer, kultureller, sozioökonomischer und soldatischerDissens); G. Paul:,,Die widerspenstige,Volksgemein-schaft..., in: P. Steinbach/J. Tuchel (Hrsg.), Widerstandgegen den Nationalsozialismus, Berlin 1994, S. 398-408.43 H. Oberreuther: ,,Widerstandsrecht als Aspekt politi-scher Kultur.., in: P. Steinbach (Anm. 34), S. 306; ähnlichF. Ryszka: ,,Widerstand: Ein wertfreier oder ein wertbezo-gener Begriff?.. in: J. Schmädecke/P. Steinbach (Anm.34), S. 1110.44 Vgl. K. W. Fricke, Selbstbehauptung und Widerstandin der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Bonn

- Berlin 1966 (2. ergänzte Auflage); A. Kantorowicz, Dergeistige Widerstand in der DDR, Troisdorf 1968; M. Jänik-ke, Der Dritte Weg. Die antistalinistische Opposition ge-gen Ulbricht seit 1953, Köln 1964; D. Knötzsch, lnnerkom-munistische Opposition. Das Beispiel Robert Havemann,Opladen 1968; H. Weber, Demokratischer Kommunis-mus? ZurTheorie, Geschichte und Politik der kommunisti-schen Bewegung, Hannover 1 969.

Page 12: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

194 Essays - Berichte - Analysen

spruch im Sozialismus weitgehend unbefangenmit dem Oppositionsbegriff; anderen Autorenerschienen dagegen Begriffe wie »Dissiden-ten<<, >>Bürgerrechtler<< oder, ganz allgemein,»Dissens<< angemessener, um die häufig gesin-nungsethisch argumentierenden und im vorpoli-tischen Raum agierenden Gruppen und Perso-nen adäquat zu erfassen.45Zur Abgrenzung der unterschiedlichen Wider-spruchshandlungen wurden dabei auch im Kon-text der DDR verschiedene begriffliche Unter-scheidungen vorgenommen: Karl Wilhelm Frik-ke verortete das Spektrum ihrer Formen zwi-schen den Polen eines unbewußt-spontanenAufbegehrens gegen die Willktir einzelnerMaßnahmen der Obrigkeit auf der einen undplanmä{3igem Widerstand auf der anderen Seite,dem im Gegensatz zur Opposition »jede Mög-lichkeit zu offener und legaler Entfaltung ge-nommen ist«46. Eine in der Tendenz ähnlicheAbgrenzüng nahm auch Günther Minnerup vor,der zwischen (relativ öffentlicher) Oppositionund (weitgehend marginalisiertem) Dissent un-terschi ed.alDietrich Staritzhingegen warnte davor, in ersterLinie die Reaktion von Partei und Staat ztrmBestimmungskriteriu m zu machen, und schlugvor, »zwischen Teil- und Fundamentaloppositi-on zu unterscheiden, politisch ctbyveichendeHaltungen und Handlungen gemci/3 der Vielfaltihrer Motive zu bewerten, auch in der DDR dieGrenzlinien zu suchen, die zwischen bewulStwidersetzlichem Hcrndeln (Opposition bzvv. or-ganisierter Widerstancl) und irudividueller wiekollektiver Verweigerung ( Dissidenz bzw. Resi-stenz) verlaufen oder nach Inhalten und Formennicht angepa/3ten Alltagsve rhaltens zu dffi re.n-

zierenoas. Roger Woods schließlich unter-schied, recht pragmatisch, zwischen intellektu-ellen Dissidenten mit einem kritisch-sozialisti-schen Standpunkt, Flüchtlingen mit nichtso zia-listischer Perspektive und der unabhängigenFriedensbewegung.4eNach dem Ende der DDR, vor allem imZusam-menhang mit der Arbeit der Enquete-Kommis-sion, wurden erstmals umfangreichere Überle-gungen zür näheren Bestimmung von Wider-spruchshandlungen angestellt; zu unterschiedli-chen Einschdtzungen kam man clabei besondersin der Frage, auf wen oder was die Bezeichnung»Opposition« anzuwenden wäre. Während Rai-

ner Eckert zu dem Schluß kam, ffir die Grup-pen in der DDR den Begriff >Widerstand< zuvermeiden und stott dessen von >Opposition< zLt

sprechefl(<, fiel es Martin Jander ,rschwer, die-sen Begriff'auf die sich kristallisierenden Grup-pen in der DDR in den siebz,iger und achtzigerJahren anzuwendeno\}. Christoph Kleßmannhingegen definierte Opposition ganz allgemeinals »eine zumindest onsatz.w,eise organisierteForm der Abweichung von der herrschendenpolitischen Linie mit erkerutbaren ideologi-schen und politis chen Alte rnativkonzepten« undstellte ihr den Begriff der Dissidenz als »bewuß-te , w,enn auch partielle Verw'eigerung und Ab-weichung« gegenüber; auch ihm erschien es

sinnvoll, nur solche Verhaltensweisen als Wi-derstand zLt bezeichnen, die sich fundamentalgegen das Regime richteten.5l

45 Der Oppositionsbegriff fand vornehmlich im osteuro-päischen Kontext Verwendung, u. a. bei: V. Belocerkovs-kij, UdSSR. Alternativen der demokratischen Opposition,Achberg 1978; H. Brahm (Hrsg.), Opposition in der So-wjetunion. Berichte und Analysen, Düsseldorf 1972; G.Dalos, Archipel Gulasch. Die Entstehung der demokrati-schen Opposition in Ungarn, Bremen 1986; P. Raina,Political Opposition in Poland 1954-1 977 , London 1978;R. L. Tökes, Opposition in Eastern Europe, LondonBasingstoke 1979; zusammenfassend: V. Klokocka/K.Ziemer.,,Opposition.., in: K. Ziemer (Hrsg.): Pipers Wör-terbuch zur Politik, Bd. 4, Sozialistische Systeme, Politik -Wirtschaft - Gesellschaft, München 1986, 305-31 5. Zuden Begriffen,,Dissens<<, >>Dissidenz.. und "Bürgerrecht-ler.. vgl. u. a.: D. Beyrau, lntelligenz und Dissens. Dierussischen Bildungsschichten in der Sowjetunion 1917 bis1985, Göttingen 1993: G. Brunner/H. Herlemann, Politi-sche Kultur, Nationalitäten und Dissidenten in der Sowjet-union, Berlin 1982; K. Schlög€l: ,,Dissens in der Sowjet-union.., in: B. Dietz (Hrsg.), Zukunftsperspektiven derSowjetunion. Programm und Wirklichkeit, München 1984,117 lt.; W. Strauss, Bürgerrechtler in der UdSSR, Freiburg1 979.46 K. W. Fricke (Anm" 1), S. 13; fast wortgleich auch:DDR-Handbuch, 3. überarbeitete Aufl., Köln 1985, S. 954.47 G. Minnerup, Politische Opposition (Anm. 1), S. 67.48 D. Staritz (Anm. 1), S. 78 und 95.49 R. Woods (Anm. 1), S. 21 tt.50 R. Eckert, Die revolutionäre Krise (Anm.33), S.687; M.Jander unter Mitarbeit von Thomas Voß: ,,Die besondereRolle des politischen Selbstverständnisses bei der Her-ausbildung einer politischen Opposition in der DDR außer-halb der SED und ihrer Massenorganisationen seit densiebziger Jahren.., ifl: Materialien der Enquete-Kommissi-on (Anm. 3), Band Vll, S. 932.51 C. Kleßmann: ,,Opposition und Dissidenz in der Ge-schichte der DDR,., Aus Politik und Zeitgeschichte, B 5/91,§. 52f .; ders.: ,,Die Opposition in der DDR vom Beginnder Ara Honecker bis zur polnischen Revolution 1 980181",in: Materialien der Enquete-Kommission (Anm. 3), Bandvil, s. 1082 t.

Page 13: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

Was war die "DDR-Opposition"? 195

Ganz anders Eckhard Jesse, der die Bezeich-nung »Opposition« als Oberbegriff für »diemehr oder minder werthaJien Termini Wider-stand, Resistenz und Dissidenz<< verwendenwollte und als Unterscheidungsmerkmale Moti-ve und Zielebzw. Artikulationsfbrmen der Geg-nerschaft vorschlug; unverständlich erschienihm insbesondere, warum den sogenannten Re-publikflüchtigen »kein Oppositionsstatus z,uer-kannt **irdo52. Bei llko-sascha Kowal czukschließlich wird, in Analogie zu Broszats Re-sistenzbegriff , )>Ltnter Wide rstand und Oppositi-on eine Verhaltenslbr"m verstanden, die den oll-untfassenden Herrschaftsansprwch in Frugestellte, begrenzte oder eindcimntte<<. wobei erbeide Begriffe, nicht immer konsequent, syn-onyrn verwendet.s3 Als ernziger entwickelt erdabei ein differenziertes Typologisierungsmo-dell, das aus vier Grundformen des Widerstan-des (»gesellschaftliche Verweigerung<<, >>so zia-ler Protest<<, »politischer Dissens<< und >>Mas-

senprotest«) besteht, von denen sich der politi-sche Dissens manchmal auch Dissidenznoch einrnal in »reformsozialistische.., »bürger-liche« und >>sozio-kulturelle oder gesellschaftli-che Opposition« unterglieclert.

Grundformen politischen Widerspruchs

Versucht man, das Spektrum der Widerspruchs-handlungen in der DDR in sich zu differenzie-ren und begrifflich angemessen zu erfassen,liegt das Hauptproblem - wie in der NS-For-schung darin, nach welchen Kriterien einesolche Typologisierung erfolgen soll. Schwie-rigkeiten bereitet dabei, daß politischer Wider-spruch nicht absolut gemessen wercien kann,sondern relativ und proz,essual ist, das heißtseine jeweiligen Ausdrucksformen und ZieLevon den Zeitumständen, der gesellschaftlichenPosition cler Akteure und den Reaktionen bzw.Entwicklungen abhängen. Zugleich muß clieGefahr vermieden werden, daß, ,.ie ttmfassen-der und eindrucksvoller das Spektrum der Ter-mini z,vvischen Anpassung und Widerstand ent-wickelt wird und je breiter sich die Kenntnisäber verschiedene Verhaltensmöglichkeitenattch in dieser Zeit enfaltet, desto mehr (. . .) dieFciltigkeit zum z,usanlmenfassenden Urteil überden Zttstand der Gesellschaft verküntmern

[köruüe], und nebenbei (. . .) die Frage nach derSchuld gar eskamotiert« würde.saUm eine solche Y erzerrung zu vermeiden, müs-sen offensichtlich verschiedene Kriterien zu-gleich Berücksichtigung finden - auch wenn imEinzelfall das eine oder andere schwächer aus-geprägt ist. So ist für die nähere Qualifizierungvon Widerspruchshandlungen zweifellos vongroßer Bedeutung, welches Risiko die Akteuredamit eingegangen sind, um den relativen Gradan Nonkonforrnität zu bestimmen. Gleichzeitigkönnen aber auch nicht, wie von manchen Au-toren vorgeschlagen, die Motit,e und Zielvor-stellungen der Handelnden ausgeblendet wer-den, weil selbst hohe Funktionäre des Regirnessonst leicht als »Opposition« erscheinen undsich die ehemaligen Akteure im nachhinein un-ter vollkommen unangemessenen Bezeichnun-gen subsumiert sehen könnten das Natur-schutzengagement eines SED-Mitgliedes bei-spielsweise als »Widerstand<< figuriert.In dies em Zusammenhang ist besonders die re-lative GlobalitAt bzw. Partialitm des Wider-spruchs von Bedeutung, um den Unterschiedzwischen fundamentaler Gegnerschaft undpunktueller Kritik deutlich zu machen. Ein an-deres wichtiges Kriterium ist clie relative Öf-

fentlichkeit bzw. Privat:heit einer Handlung,wobei unter »öffentlich« auch das Wirksamwer-den in Teilöffentlichkeiten verstanden werdensollte, damit die politischen Aktivitäten imSchutzraum der Kirchen oder innerparteilicheKritik, die hinter verschlossenen Türen geübtwurde, mit erfaßt sind. Daneben spielt die rela-tive Aktivitcitbzw. Passivität einer Handlung alsBestimmungsmerkmal eine Rolle, was zu einerAuffächerung zwischen den Polen eines aktivenWiderstandes. zn dem auch Sabotage undFluchthilfe gehören würden. und der bloß passi-ven Resistenz bestimmter Bevölkerungskreise

52 E. Jesse: ,,Artikulationsformen und Zielsetzungen vonwiderständigem Verhalten in der Deutschen Demokrati-schen Republik,., in. Materialien der Enquete-Kommission(Anm. 3), Band Vll, S. 997 und S. 1000.53 l.-S. Kowalczuk (Anm. 33), S. 1220: ist Opposition derOberbegriff , erscheint es nicht ganz konsequent, bei denUnterformen zwischen gesellschaftlicher Verweigerungund bewußt offener politischer Opposition zu unterschei-den (S. 1247).54 K. Tenfelde: ,,Soziale Grundlagen von Resistenz undWiderstand.,, in: J. Schmädeke/P. Steinbach (Anm" 10),s. 800.

Page 14: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

196

führt. Von Bedeutung ist schließlich auch dieWirkung oder »Tatscichlichkeit« einer Hand-lung, die, wie vom Resistenzbegriff mit Rechtakzentuiert, gerade in ge schlo s s en en p o I iti s chenSystemen nicht unbedingt mit bewußten politi-schen Intentionen einhergehen muß. Obwohl es

im Einzelfall nicht immer befriedigen mag, soll-te man dabei in der Typologisierung des politi-schen Widerspruchs in Ostdeutschland prinzipi-ell von Handlungen und nicht von Personenausgehen, da gerade die Gleichzeitigkeit vonKonformität und Nonkonformität in ein undderselben Person oftmals charakteristisch war.Die ganze Bandbreite kritischer Haltungen undHandlungen in der DDR als »Opposition<< odergar »Widerstand<< zn bezeichnen, scheint mirangesichts des vorher Gesagten als wenig ange-messen und auch heuristisch nicht besondershilfreich. Für besser geeignet halte ich, wieschon in früheren Arbeitefl55, den eher weichenBegriff des Dissenses, der neutraler konnotiertist und ein breites Formenspektrum einschließt.Darunter möchte ich zwei weitere Oberbegriffeansiedeln, die die relativ risikoreichen, globa-len, öffentlichen und aktiven Widerspruchs-handlungen von den relativ risikoarmen, partiel-len, privaten und passiven trennt: unabhcingigepolitische Bestrebungen und, im Anschluß anandere Autoren, gesellschaftliche Verweige-rung. Diese Unterscheidung ist deshalb vonBedeutung, um diejenigen Handlungen heraus-zufiltern, die mehr darstellen als die lediglichpassive Abwehr oder Immunität gegenüber denHerrschaftsansprüchen der SED, die außerdemmit explizit politischen Zielsetzungen verbun-den sind und schließlich auch über eine gewissezeitliche und womöglich organisatorische Kon-sistenz verfügen. Der Begriff >>unabhängige

politische Bestrebungen(< reflektiert dabei in be-sonderem Maße die Tatsache, daß der Anspruchder herrschenden Partei in sozialistischen Ge-sellschaften auf Ausübung eines Politikmono-pols jede nichtkontrollierte politische Bestre-bung zu einer prinzipiellen Bedrohung machte,selbst wenn diese sich nicht als gegenüber demSystem in Opposition stehend definierte; auf deranderen Seite respektiert er die Motivation unddas Selbstverständnis der in der DDR vorallem ar-rfgrund der Teilungssituation und des

extrem geschlossenen Gesellschaftsmodells derSED zahlrerchen Akteure, die sich in Be-

- Berichte -

griffen wie »Dissident<<, »Bürgerrechtler<< oder»Oppositioneller« nicht wiederfinden konnten;schließlich erlaubt er es, jene kritischen Hand-lungen aus dem Blick zu lassen, die sich inner-halb des staatlich kontrollierten Rahmens ent-falteten und deshalb eine prinzipiell andereFunktion im Herrschaftsgefüge besaßen.Die eigentliche Typologie beruht auf einer Mi-schung der verschiedenen Bestimmungskriteri-efl, um zu einer angemessenen Skalierung zukommen: Auf der einen Seite des Spektrums(vgl. Schaubild, S . 191) möchte ich den Wider-spruchstypus des Aufstandes situieren, der dieaktivste, öffentlichste und globalste Form des

Dissenses darstellt, in der DDR jedoch lediglicham 17. Juni 1953 in embryonaler Form zu fin-den war. Daneben möchte ich die Begriffe akti-ver Widerstandund politische Oppos ition ansie-deln, die jeweils ein anderes Bestimmungs-merkmal stärker akzentuieren: Mit aktivemWiderstand sind - in Aufnahme der Argumentegegen einen übertrieben weit gezogenen Be-griffsinhalt - nur solche Handlungen gemeint,die sich, in der Regel konspirativ und unterEingehung eines großen persönlichen Risikos,diametral und sichtbar gegen die SED-Heff-schaft richteten; im Kontext der DDR warendies vor allem Versuche, einen Umsturz herbei-zuführen, Sabotageakte, politische Aktionen imlJntergrund, aber auch politisch motivierteFluchthilfe oder Spionage. Politische Oppositi-on zeichnet sich dagegen neben den Merkmalender relativen Offentlichkeit und ansatzweisenOrganisiertheit dadurch aus, daß sie ausschließ-lich mit politischen Mitteln operiert und Gewaltals Mittel der Veränderung ausschließt. DiesenTypus des Dissenses hat es, anders als in Polenoder {-Jngarn, in der SBZIDDR nur in begrenz-tem Maße, vor allem nach 1945 sowie 1989190,gegeben. Allerdings war, besonders in den fünf-ziger Jahren, die »inne rparteiliche Opposition«als eine Sonderform von Bedeutung, zu derenkonstitutiven Merkmalen jedoch eine gewisseBreite oder reale Einflußmöglichkeit zählenmuß, um sie von kommunistischen Fraktions-

55 H. Knabe, Gesellschaftlicher Dissens im Wandel(Anm. 1); ders., Umweltkonflikte im Sozialismus. Möglich-keiten und Grenzen gesellschaftlicher Problemartikulationin sozialistischen Systemen. Eine vergleichende Analyseder Umweltdiskussion in der DDR und Ungarn, Köln 1993,s. 1 03-112.

Page 15: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

Was war die ,,DDR-Opposition.,? 197

Schaubild: Grundformen des politischen Widerspruchs in Ostdeutschland (Dissens-Fächer)

relativ risikointensivrelativ globalrelativ öffentlichrelativ aktiv

relativ risikoarmrelativ partiellrelativ privat

relativ passivDissens

UnabhängigepolitischeBestrebungen(#GesellschaftlicheVerweigerung

kämpfen oder dem Phänomen der Dissidenzabzugrenzen. Als eine weitere Sonderform soll-te die »politische Opposition aus dem Exil«Berücksichtigung finden, d. h. jene von außenwirkenden Kräfte, die mit politischen Mittelneine weitreichende Veränderung des Systemsanstrebten, dabei aber personell und program-matisch in engem Bezug zu den Kritikern imLande selbst standen - ein für die meisten sozia-listischen Staaten sehr bedeutsamer Faktor.56Abgrenzenmöchte ich davon das in den meistenpoststalinistischen Gesellschaften nachweisba-re Phänomen der Dis sidenz, das sowohl einzel-ne »Abweichler<< aus den Reihen der Partei alsauch andere Personen oder kleine Gruppenumfaßt, die ihre regimekritische Haltung offenäufSerten, dabei aber in der Gesellschaft nurwenig sichtbare Unterstützung fanden. Auchhier plädiere ich dafür, den Begriff - wie imosteuropäischen Kontext üblich - eher eng aus-zulegen und auf Handlungen zü beschränken,die dazu führten, daß es zu einem deutlichenBruch zwischen ihren Trägern und der herr-schenden Partei kam. Die Akteure müssen sichin einem fundamentalen Konflikt mit der Machtbefunden haben, deren Monopolanspruch sieöffentlich in Frage stellten, auch wenn sie zu-nächst nur über partiellen Widerspruch oderaufgrund der Reaktionen von Partei und Staat indie Rolle des Dissidenten hineingeraten waren.Dissidenz in diesem Sinne ist also ebenso wiepolitische Opposition relativ global ausgerichtetund öffentlich wirksam, nimmt aber nicht dieForm einer organisierten Kraft oder Bewegungan. In gewisser Weise das Gegenstück dazubildet ein vierter Typus, der politische Protest,der von größeren Teilen der Gesellschaft getra-gen wird, aber im Gegen satz zur politischen

Opposition über kein ausgearbeitetes Alterna-tivkonzept verfügt, sondern sich - wie im Juni1953 - spontan und/oder punktuell entfaltet.Unabhängige politische Bestrebungen, die inorganisierter Form punktuelle Kritik zum Aus-druck brachten, sich programmatisch aber nichtgegen das System als Ganzes richteten und(deshalb) weniger öffentlichkeitsorientiert auf-traten, waren ftir die Entwicklung in der DDRvor allem in den achtziger Jahren typisch undentstanden auch in anderen sozialistischen Staa-ten. In der Regel kristallisierten sich diese Grup-pen, die tendenziell die Form einer sozialenBewegung afizLrnehmen suchten., zff einem spe-zifischen Themenkanon, der Gegenstand der>>Neuen Sozialen Bewegungen<< in hochentwik-kelten westlichen Industriegesellschaften warund auch für die herrschende Partei in denrealsozialistischen Ländern, zumindest partiell,positiv besetzt war. Die organisatorische Veror-tung im politischen System differierte dabei vonLand zuLand: Zum Teil operierten diese Grup-pen innerhalb des Jugendverbandes, zum Teilinnerhalb der Volksfront, zvm Teil formiertensie sich völlig frei, während in der DDR dieevangelischen Kirchen immer stärker in dieRolle einer Mutter-Institution für sie hinein-wuchsen.5T Diese länderübergreifenden Ge-meinsamkeiten und die hohe Affinrtät zu west-lichen Bewegungen lassen es sinnvoll erschei-

56 Vgl. die ähnlichen Überlegungen von Peter Steinbachzum NS-Widerstand aus dem Exil: P. Steinbach: ,,Wider-stand und Opposition in deutschen Diktatur€Il<(, in: U.

Poppe u. a. (Anm. 4), S. 57.57 Vgl. dazu: H. Knabe: ,,Neue Soziale Bewegungen imSozialismus. Zur Genesis alternativer Orientierungen in

der DDR.., Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsy-chologie 3 (1988), S. 551 ff.

Page 16: D R. H U B E R T U S K N A B E Was war die „DDR-Opposition“?

198 Essays - Berichte - Analysen

nen, diese Gruppen und Bewegungen als eineneigenen Typus zu identifi ziercn und in Anleh-nung an sozialwissenschaftliche Theorien überneue Formen des Protestes in hochentr,vickeltenIndustriegesellschaften als Neue Soziale Bewe-gungen oder, allgemeiner, als unabhcingige po-litische Gruppen zü bezeichnen.Nimmt man die genannten Bestimmungskriteri-en zum Ausgangspunkt, könnte man in der Mit-te der jeweils entgegengesetzten Pole eine Linieziehen, jenseits derer sich die nun folgendenTypen ansiedeln: An erster Stelle stünde derBegriff passiver Widerstand, der alle Formeneiner reaktiven Abwehr von Ansprüchen des

Systems - wie züm Beispiel die Wehrdienstver-weigerung - aus bewußter politischer Gegner-schaft oder Verweigerung umfaßt und in derRegel ebenfalls mit einem persönlichen Risikoverbunden war. Daneben wäre der Dissens-Typus sozialer Protest anzusiedeln, der im Un-terschied zum politischen Protest lediglich aufpartielle Mifistände zielt und keine politisch-moralische Motivation voraussetzt, in den Au-gen der SED allerdings wegen der Gefahr seinerPolitisierung als extrem bedrohlich galt unddeshalb oftmals ebenfalls mit hohern Risikobehaftet war. Im weiteren Verlauf der Skalastünden punktuelle Unruutscir{3erungen oderpartielle Kritik, die in der Regel individuellerfolgten, nicht organisiert waren und häufignicht öffentlich wurden. Den Abschluß des Dis-sens-Fächers bildet der Begriff der Resistenz,also jene Haltungen und Lebensweisen, die demSystem entgegengesetzt bzw. seinen Einflußentzogen waren, ohne daß eine bewußte Geg-nersch aft zur herrschenden Partei offen artiku-liert wurde. Bei den zuletzt genannten Typen istfreilich festzuhalten, daß die hier gezeigten Ver-haltensweisen nicht unbedingt herrschaftsdesta-bilisierend wirken mußten, sondern oftmals alsMöglichkeit zur Flucht vor der gesellschaftli-chen Wirklichkeit oder zur folgenlosen Entla-dung von politischer Unzufriedenheit f'ungier-ten und insofern durchaus auch im Interesse derSED liegen konnten.Natürlich handelt es sich bei diesen Grundfor-men politischen Widerspruchs um idealtypischeKategorien, in die sich die konkreten Erschei-nungen nicht in jedem Fall sauber einpassen.Die Ubergänge zwischen den verschiedenenWiderspruchsformen waren in der Regel flie-

ßencl und oftmals sogar dynamisch (2.8. wennalls partieller Kritik politischer Protest wurde),und nicht immer wird es möglich sein, dieverschiedenen Nebenbedeutungen von Begrif-fen wie Widerstand, Opposition oder Dissidenzim praktischen Sprachgebrauch herauszufiltern.Gleichwohl ist es mit ihrer Hilf'e leichter, dievielfältigen Formen politischen Widerspruchsin der DDR zu strukturieren und historisch an-gemessen zü verorten.So ist - um auf die Ausgangsfrage zurückzu-kommen resümierend festzuhalten, daß be-trächtliche Teile der DDR-Bevölkerung in un-terschiedlicher Weise ihren Dissens gegenüberder SED-Herrschaft artikulierten; politischeOpposition hingegen blieb, vor allem wegen desstarken Verfolgungsdrucks sowie der ständigenAbwanderung des kritischen Potentials, eineAusnahmeerscheinung. Aus denselben Grün-den, vielleicht aber auch wegen der besonderenPrägung der Intellig enz in Deutschland, warauch das Phänomen der Dissidenz in der DDRvergleichsr,veise schwach ausgeprägt. Politi-scher Protest artikulierte sich vor allem in denAnfangsjahren und in der Schlußphase derSED-Herrschaft, in der Regel in Phasen innereroder äußerer Destabilisierung, während aktiverWiderstand otfenbar immer seltener wurde, jemehr die DDR auf internationale Anerkennungstieß und damit die politische Perspektive fürdiese besonders riskante Form des Wider-spruchs verlorenging. Die neuen sozialen Be-wegungen erwiesen sich in den achtziger Jahrenhingegen als zwar beschränkte, aber gerade des-halb recht erfolgreiche und kontinuierlich wach-sende Form des Widerspruchs, gegenüber derensanft eskalierender Nadelstich-Politik sich SEDund MfS weitgehend hilflos zeigten. Zumindestin der Schlußphase der DDR hatten sie auchentscheidenden Anteil daran, die den Dissens inder DDR prägenden (relativ risikoarmen, relativpartiellen, relativ privaten und relativ passiven)Widerspruchsformen in politischen Protest undschließlich in politische Opposition umzufor-men.Diese unterschiedlichen Typen näher zu unter-suchen, Handlungsmotivationen, Zielvorstel-lungen und Aktionsfbrmetr zu analysieren undin den historischen Kontext einzubetten ist einenotwendige Aufgabe für dte Zukunft, die eben-so umfangreich wie reizvoll ist.