das maß aller dinge
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Klar, kein Thema, Mehrkanal-Designs mitaufwendiger Zusatzausstattung gibt esreichlich von der Stange. Massig Gain? Auchkein Problem. Damals dagegen – und das istnoch gar nicht so lange her! – hatte manvielleicht in etwa eine Ahnung davon, wieein maximal variabler Amp aussehen könnte,aber es gab keinen. Zu Beginn der 80er warja schon ein Zweikanaler ein bewunderterExot.Aber die Welt der Gitarristen befand sich da-mals schon seit einiger Zeit im Umbruch.Schlicht pur oder mit einem Booster in einenAmp/Combo hineinzuspielen, war vielenlängst nicht mehr genug. Außerdem hatteein unglaublicher Gitarrist mit seiner un-glaublichen Technik und seinem noch un-glaublicheren Ton der Szene einen Schockversetzt; Hilfe, was macht der da? Eddie vanHalens Brown-Sound schrieb Geschichte,eine Legende war geboren! Vorschub leis-tete dem neuen Trend zu mehr Gain nochein anderer junger amerikanischer Gitarrist,Steve Lukather, der seinen Gitarren-Soundzudem äußerst kultiviert mit Effekten feinpo-lierte. Kein Wunder, dass Heerscharen vonGitarristen dem nacheifern wollten.Marshall hatte die Zeichen der Zeit insofernbereits richtig gedeutet, als dass man1974/75 mit einem überarbeiteten, neuenVorstufen-Design die Modelle 2204 und
2203 heißer machte; der zweite Kanal (des1959/1987) entfiel, die freigewordeneTriode wurde für mehr Gain bzw. eben mehrDistortion als Boost-Stufe seriell in die Ein-gangssektion integriert, hinzu kam außer-dem ein Master-Volume. Das war ein großerSchritt nach vorne, der von der Kundschaftauch gerne angenommen wurde, aber erwar vielen nicht groß genug. Die Gitarristenwollten bald mehr, den Ton noch fetter,mehr Sustain – schwups, waren die Boosterwieder am Start. Die Nachricht, dass die pro-minenten Player ihre Amps gar durch interneModifikationen kundiger Amp-Technikerheißer machen ließen, war bald weit verbrei-tet, wobei der Nachrichtenfluss damals,ohne Internet, wesentlich langsamer war alsheute – Trends aus den USA schwappten miteiniger Verzögerung über den Teich. Dochschon bald stellte sich vielen Gitarristen diegroße Frage, wer solche Mods hierzulandemachen könnte ...Um es klar zu sagen: Von diesen Technikerngab in der BRD nur ganz wenige. Peter Diezel war Mitte der 80er-Jahre in Münchenmit seinen Forschungen noch am Anfang,Reinhold Bogner schon etwas weiter, Thomas Reußenzehn war bereits aktiv, modifizierte die Amps jedoch relativ mode-rat. Doch im Raum Köln rumorte es bereitskräftigst, weil jemand in dem Metier so-zusagen schon Träume wahr werden ließ: Dirk Baldringer. Er hatte 1982 mit der Eröffnung des Musikladens Uli’s Musik(Uli Kurtinat) in der Wilhelmstrasse in Leverkusen-Opladen zunächst als Freelancer
Reparaturen übernommen, dann aber ab ca.1984 auch mit dem Modifizieren speziellvon Marshalls begonnen. Und das kam na-türlich nicht von ungefähr. Baldringer hattesich schon in ganz jungen Jahren für dieElektronik interessiert und es mit der Zeit imSelbststudium zu beachtlichem Wissen undKönnen gebracht. Später absolvierte er einereguläre Ausbildung bzw. bekam den Segender Handwerkskammer, seinen Job auch of-fiziell ausüben zu dürfen. Studiotechnikhatte es ihm anfangs angetan, große Misch-pulte, Effektprozessoren, High-End-HiFi, weildarin damals einfach die interessantestenHerausforderungen lagen. So kam es unteranderem dazu, dass Dirk Baldringer vor sei-ner Karriere als Amp-Tuner in den damalsauch international höchst renommiertenDierks-Studios als Service-Techniker arbeitete.Das Modifizieren von Verstärkern dagegenglich zunächst in der Tat empirischem For-schen in Neuland. Die Röhrentechnik an sichwar Baldringer zu der Zeit natürlich alles an-dere als ein Buch mit sieben Siegeln. Aberbezüglich dessen, was die Gitarristen nunwollten, gab es keine Vorlagen und keine Er-fahrungswerte. Dirk musste tüfteln, bekamaber dank seines feinen Gespürs für den„richtigen“ Ton die Thematik alsbald elegantin den Griff, wie die stetig steigende Nach-frage bewies; dabei ist er von Haus aus selbstgar kein Gitarrist. Zunächst wurden Marshalls Topseller wie die1959/1987, 2204/2203 lediglich heißer gemacht, doch schon bald drehte sich die Spirale weiter. „Mein Echo zerrt vor dem Amp,
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Das Maß aller DingeD I R K B A L D R I N G E R ,
In den 1980er-Jahren war die
Verstärkerwelt nicht annähernd so rosig wie heute, wo
man eher in der Flut der Viel falt ertr inkt, denn Mangel
an Auswahl hat. Vol lbedienung gefragt?
M A R S H A L L - T U N E R
Dirk Baldringer mit einem vonJim Marshall signierten JCM 800
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kann man da nicht wasmachen“? Klar, daskonnte Dirk, und „er-fand“ die Einschleif-wege. Dann nicht mehrnur einer, sondern zweiEffektwege, dann:„Kannst du mir nicht’nen Clean-Kanal ein-bauen“? Logisch, auchdas konnte er. Es dauerte nicht lange undDirk machte regelmäßig aus einem Marshall-Einkanaler einen Dreikanaler. Eine zusätzli-che Triode für eine Art Fender-Blackface-Kanal: Loch ins Chassis bohren. Den Lead-Kanal aufblasen: Loch ins Chassis bohren.FX-Weg mit Röhrenbuffer: Noch mal einoder zwei Löcher reindengeln, je nachdem,ob dafür eine oder zwei ECC83 zusätzlich
gebraucht wurden. Doch der Wahnsinn warimmer noch erst am Anfang. Denn nun wur-den die Amps auch noch auf Stereo ge-pimpt. Bedeutet eine weitere ECC83 – rich-tig, noch ’n Loch ins Chassis bohren – für diezweite Phasentreiberstufe. Beim 2203 und1959 wurden die vier EL34 zu zwei Pärchengesplittet und in je einer eigenen Endstufezusammengefasst. Was braucht man dazunoch? Klar, ein zweiter Ausgangstrafo mus-ste her, was dank Dirks gutem Kontakt zu JimMarshall zum Glück kein Problem war. Ein Komplettumbau konnte so zu einemDrahtseilakt ausarten, mit der Kernfrage„wie und wo bekommt man all das zusätzli-
che Material unter“. Erst recht, wenn dierichtigen Monster im Auftragsbuch standen,wie z. B. ein voll ausgestatteter 2203, mitallen Optionen und einer 2×100-Watt(!)-Endstufe: Genau, noch einmal vier große Lö-cher zusätzlich bohren. Nun, die Fotos zeigen, welch drangvolleEnge zum Teil in den Chassis herrschte.Trotzdem war alles absolut solide gemacht,
wie die Tatsache beweist, dass nachweislichnicht wenige Baldringer-Marshalls nach wievor im Dienst sind und sich bester Gesund-heit erfreuen. Was er im Detail gemacht hat,speziell beim Ton-/Gain-Tuning, verrät Dirkverständlicherweise nicht. Nur soviel: Er hatkleine versteckte Tricks eingebaut, die denPlagiatsgeiern die Mahlzeit verderben dürf-ten. Zur Kundschaft gehörten damals nebenden „Normalos“ quasi alle renommiertenRock-Acts/-Gitarristen des Landes. Die Zahlder umgebauten Marshalls wird insgesamtannähernd vierstellig sein.Bis ins Jahr 1994 hinein wurden dieseSondermodelle von Baldringer gebaut, dann
hatte er die Nase voll von dem Business undwandte sich anderen, neuen, für ihn span-nenderen Aufgaben zu. Die Nachfragedürfte auch nachgelassen haben, denn mitder Einführungder JCM-900-Mo-delle hatte Mars-hall nun selbst im
wahrsten Sinne desWortes heiße Eisen imFeuer.Service und Modifika-tionen macht Dirk
nach wie vor, wobei sein guter Name nochimmer prominente Player in die Werkstattlockt, wie z. B. Rammstein. Zwischendurchhat er für Hughes & Kettner den Duotoneentworfen und mit seinem Distortion-PedalDual-Drive die Szene aufgemischt. Neue Versionen sind in Arbeit. Seine erklärte Leidenschaft gilt jedoch demeigenen Tonstudio, das er seit einigen Jahrenbetreibt. Besonderes Merkmal: Ein Arsenalan analogen High-Tech-FX-Prozessoren.Und was steht dort noch? Klar, diverse alteMarshalls, speziell die 2203-Modelle aus derJMP-MKII-Generation, denn die sind für ihnnach wie vor das Maß aller Dinge. n
M a r s h a l l S p e c i a l G & B
Ein 50er JMP 2204, umgebaut als Dreikanaler
Lange Zeit prägend für den Sound von Accept:Wolf Hoffmanns Baldringer Marshall
Regler für drei Kanäle aufengstem Raum
Rückansicht von Hoffmanns Marshall mitEinschleifweg
Der Stereo-Marshall von Klaus „Major“ Heuser Das Chassis von Majors Amp, links der zusätzliche Ausgangstrafo
So eng, dass die Röhrenfassungen angeschliffenwerden mussten − alle Optionen in einem 2204MKII Chassis
Schlangengrube: Wilde Zusatzverdrahtungen,
in der Mitte auf dem Boarddas Relais für die Kanal-
Umschaltungen
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