das phänomenologische problem von licht und schatten

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DAS PHANOMENOLOGISCHE PROBLEM VON LICHT UND SCHATTEN yon KAI VON FIEANDT (Helsinki) In Eckermanns ,,Gespr~iche mit Goet:he" gibt es eine Stelle, an der fiber eine Landschaft von Rubel]s die Rede ist. Ecker- mann wundert sich darfiber, dass die Menschen im Vordergrunde des Bildes im Schatten grosser B~iume stehen und ihren eigenen Schatten in entgegengesetzter Richtung werfen, dass also das Licht yon entgegengesetzten Seiten zu kommen scheint. Goethe bemerkt dazu, dass trotz dieses Widerspruchs das Ganze den- noch durchaus anschaulich und harmonisch wirkt 1). Hivr stossen wir auf eine Grunderscheinung der Beleuch- tungswahrnehmung: ph~inomenologisch mSgliche und vorkom- mende Erscheinungsweisen von Licht und Schatten im Ver- h~iltnis zu den physikalischen, objektiven Tatbest~inden. Betreffend des Paradoxes von Rubens verweise ich schon jetzt auf die sp~iter yon mir erw~hnten Beispiele, wo die Einheit der Beleuchtung ph~inomenal aufgespaltet werden kann. Es ist ziemlich leicht, eine ausreichende und eindeutige phys'~- kalische Definition fiir einerseits die Beschattung und anderer- seits die Belichtung zu geben. Um zuerst einmal fiber Bescha~- tungsph~inomene und verschiedene Arten des Schattens zu sprechen, sagt man zum Beispiel, dass es sich immer dort um einen Schatten handelt, wo die Beleuchtung nicht im selben Masse reflektiert wird wie an den fibrigen vorhandenen Ober- fliichen. Schatten bedeutet somit ein Bereich mit herabgesetzter Beleuchtungsintensitiit. Dazu k~ime der Spezialfall des Voll- oder Kernschattens, der iiberall vorkommt, wo kein direktes Lic:~t yon der jeweiligen LichtqueUe auftritt. In entsprechender Weise kann man die Belichttmg als Beleuchtungszuwachs eines Teil- bereichs im Verh~iltnis zum allgemein vorhandenen reflektierten 1) Gespriich am 18. April 1827. Herausgabe yon Adolf Bartels, Bd. II. Leipzi~ 1902, S. 305, ft. 23

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Page 1: Das phänomenologische problem von licht und schatten

DAS PHANOMENOLOGISCHE PROBLEM VON LICHT UND

SCHATTEN

yon

KAI VON FIEANDT ( H e l s i n k i )

In Eckermanns ,,Gespr~iche mit Goet:he" gibt es eine Stelle, an der fiber eine Landschaft von Rubel]s die Rede ist. Ecker- mann wunder t sich darfiber, dass die Menschen im Vordergrunde des Bildes im Schatten grosser B~iume stehen und ihren eigenen Schat ten in entgegengesetzter Richtung werfen, dass also das Licht yon entgegengesetzten Seiten zu kommen scheint. Goethe bemerkt dazu, dass trotz dieses Widerspruchs das Ganze den- noch durchaus anschaulich und harmonisch wirkt 1).

Hivr stossen wir auf eine Grunderscheinung der Beleuch- tungswahrnehmung: ph~inomenologisch mSgliche und vorkom- mende Erscheinungsweisen von Licht und Schatten im Ver- h~iltnis zu den physikalischen, objektiven Tatbest~inden.

Betreffend des Paradoxes von Rubens verweise ich schon jetzt auf die sp~iter yon mir erw~hnten Beispiele, wo die Einheit der Beleuchtung ph~inomenal aufgespaltet werden kann.

Es ist ziemlich leicht, eine ausreichende und eindeutige phys'~- kalische Definition fiir einerseits die Beschattung und anderer- seits die Belichtung zu geben. Um zuerst einmal fiber Bescha~- tungsph~inomene und verschiedene Arten des Schattens zu sprechen, sagt man zum Beispiel, dass es sich immer dort um einen Schatten handelt , wo die Beleuchtung nicht im selben Masse ref lekt ier t wird wie an den fibrigen vorhandenen Ober- fliichen. Schatten bedeutet somit ein Bereich mit herabgesetzter Beleuchtungsintensitiit . Dazu k~ime der Spezialfall des Voll- oder Kernschattens, der iiberall vorkommt, wo kein direktes Lic:~t yon der jeweiligen LichtqueUe auftri t t . In entsprechender Weise kann man die Belichttmg als Beleuchtungszuwachs eines Teil- bereichs im Verh~iltnis zum allgemein vorhandenen reflektierten

1) Gespriich am 18. April 1827. Herausgabe yon Adolf Bartels, Bd. II. Leipzi~ 1902, S. 305, ft.

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Licht bezeichnen. Damit w~ire die ganze Sache als eine vom physikalischen Standpunkt aus hSchst triviale Angelegenheit erledigt.

Jedermann weiss jedoch, dass das Ereignis, welches wir physi- kalisch in so eindeutiger .~b'eise als ,,Schatten" beschreiben, in unmittelbarer Anschauung unz~ihlbar mannigfache Erschei- nungsformen in sich birgt. Einmal wird die Stelle, an der eine verminderte Beleuchtungsintensit~it vorhanden ist, als Schatten erlebt, ein anderes Mal aber unter nur wenig ver~nderten Um- st~inden nicht. In der Welt, wie sie ftir uns aussieht, besteht ein grosser Unterschied zwischen der diffusen, raumerfiillenden Dunkelheit einer Zimmerecke, dem scharfen, dinghaften Schat- ten eines Baumes auf besonnte Schnee oder den zart verlaufen- den Schattengrenzen eines Kahnes im kristallklaren Seespiegel, die kegelartig bis zum sandigen Boden des Sees hinabreichen, urn dort wie ein d~nnes I-I~utchen liegen zu bleiben. Die Er- scheinungswelt und die eventuelle Gesetzm~issigkeit dieser Licht- und Schatteneindrficke ist besonders bedeutsam ftir den Maler, dessen Erfoig darauf beruhen kann, dass diese Effekte richtig getroffen werden. So ist es auch kein Zufall, dass noch die Wahrnehmungspsychologie von heute die grundlegende und bahnbrechende deskriptive Beschreibung dieser Erscheinungen dem beriihmten l~aler und Naturforscher Leonardo da Vinci verdankt. Von ihm ist eine umfassende und tiefgehende Unter- suchung fiber Licht und Schatten erhalten. Der Psychologe sucht den Malern ein mehr systematisch bearbeitetes Tatsachen- material zu verschaffen und grSssere ph~inomenologische Zusam- menh~inge aufzudecken. Die Psychologie behandelt die Licht- und Schattenverh~iltnisse, wie sie uns erscheinen, nicht aber deren physikalische Voraussetzungen. Gerade diese Erschei- nungsweisen des Schattens z.B. enthalten viele Probleme. Was physikalisch Schatten ist, braucht es nicht ph~inomenal zu sein, und andererseits kann ein ph~inomenaler Schatten vorhanden sein, ohne dass er in physikalischer Beziehung feststellbar ist.

Wir werden somit versuchen, die unmittelbar vorkommenden Erscheinungsweisen der Beschattung - - bezw. der Belichtung - - festzustellen und zu begrtinden, worauf es beruht, dass in ver- schiedenen Fiillen gerade die betreffende Erscheinungsform sich gegeniiber allen anderen durchsetzt.

Von Leonardo da Vinci reicht eine Kette feiner Beobachtungen

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DAS PROBLEM VON LICHT UND $CHATTEN 339

und immer genaueren termino!ogisehen Feststellungen fiber eine Anzahl in Deutschland arbei tender Forscher wie Hering 2), Karl Biihler 3), Katz 4) und den Ungarn Kardos mit seinem Buch ,,Ding und Schatten" bis zum ffihrenden deutschen Wahr- nehmungspsychologen yon heute: Wol]gang Metzger und seiner Schule, der wi t einige sch5ne Einzeluntersuchungen fiber diese Ph/inomene verdanken. Ich werde zuerst das Wesentliche der Ergebnisse dieser /ilteren Forschung iiber mein Thema zusam- menfassen und zum Schluss einige Beobachtungen und Gesichts- punkte anfiihren, die vielleicht eine einheitliche systematische LSsung des Problemkreises bedeuten.

Scbon seit den Zeiten Leonardo da Vincis ist die Einteilung der er lebten Schat tenph~nomene in anh/ingende Schatten, Lu~t- schat ten und Schlagschatten iiblich. Wir sagen mit Metzgers Schfilern stat t anh~ingender Schatten lieber K6rperschatten und unterscheiden die entsprechenden Belichtungsph~inomene in KSrperlicht, Luftl icht und Schlaglicht.

1. K6rperschatten entsteht, wenn ein Gegenstand, z.B. eine undurchsichtige Kugel einseitig beleuchtet wird. Die Rfickseite bleibt unbeleuchtet , d . h also schattig. Dieser Schatten haftet dem schat tenwerfenden KSrper an. Das beste Beispiel ist viel- leicht der KSrperschatten des Mondes, der verursacht, aass wir bisweilen nur einen ,,Halbmond" sehen, bisweilen sogar nur einen schmalen Streifen des Mondes.

2, Luftschatten: Ein in einseitiger Beleuehtung befindlicher Gegenstand schirmt die Beleuchtung in dem h~.nter ibm liegen- den Raum ab. Der Gegenstand fungiert somit a~s Schattenwerfer. , ,Dahinter geht der Schattenkegel dutch die Luft, bis er durch eine neue KSrperoberfl~iche aufgefangen wird." 5)

Als Beispiele hierffir nennen frfihere Forscher den Raum einer beschatteten Zimmerecke oder den dunklen Raum, der entsteht, wenn ein Sehlagschatten auf hochragenden Gr~isern liegt. Dann sieht man die Halme in den Luftschatten hinein-

2) Hering, E., Grundz/ige tier Lehre yore Licht.~,.'n: (in Graefe-Saemisch: Handbuch der gesamten Augenheilkunde); Leipzig 1905--1911.

~) Bfihler, Karl, Handbuc.h der Psychologie. I Teil: Die Struktur del W.ahrnehmungen. 1 Heft: Die Erscheinungsweigen der Farben, Jena 1922.

4) Katz, David, The W.orld of Colour0 London 1935. 5) Biihler, a.a.O., S. 76.

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ragen. In einem geeigneten Zwischenmedium, z.B. im klaren Wasser, sieht man den Kegel als genaues Gegenstiick zum Licht- kegel eines Scheinwerfers in der Nacht. Wir v¢ollen auch in entsprechender Weise im letzteren Fall yon Luftlicht sprechen. Zwar ist die herkSmmliche Bedeutung fiir Luftlicht in der Literatur eine etwas andere.

3. Schlagschatten, der aufliegende Schatten, ist wohl der auffallendste und am meisten dinghafte aller Schattenarten. Er wird uns auch im folgenden phSnomenologi,lch am st~irksten interessieren. In vielen F~illen, wenn sein Rand scharf und sprunghaft ist, hat er auch deutlich die Form des; schatten- werfenden Gegenstandes. Diese Eigenschaften haben es offenbar mit sich gebracht, dass primitive VSlker den Schlagschatten so weitgehend personifiziert haben, dass er als Tr/~ger der Seele gilt. Das Trampeln auf dem Schatten seines N~ichsten ist be- kanntlieh die gr5sste Taktlosigkeit die man sich un;~er primit~ven Menschen denken kann.

Die entsprechenden Belichtungserlebnisse mtissen auch kurz beschrieben werden.

Ueber 1 Luftlicht haben wir bereits gesprochen. 2 K6rperlicht ist, ebenso wie KSrperschatten, vorhanden, wenn

ein KSrper einseitig beleuchtet ist. Die beleuchtete Seite des KSrpers reflektiert mehr Licht als die Umgebung. Das beste BeispieI hierfiir ist wieder der Mond.

3. Schlaglicht wird yon Lotte Lauenstein, der Schiilerin Metzger,; wie folgt definiert: ,,Es entsteht dort, wo zwei rSum- liche Innenwinkel aneinderstossen und die eine hellbeleuchtete Fl~iche Licht auf die andere Fl~iche reflektiert und somit ein gewisses Gebiet derselben yon der Beleuchtung der iibrigen Fl~iche abgehoben wird. Es handelt sich hierbei um zweimal reflektieetes Licht, das anschaulich keine scharfen Konturen haben kann. Es ist phiinomenal nur in verh~iltnism~issig wenig F~illen Schlaglicht." 6) Ph~inomenaler Gegenpol des Schlagschat- tens ist auch eigentlich der auSliegende LichtSleck, den ich auch in dieser Bedeutung theoretisch behandeln werde.

Wenn ich jetzt niiher auf einige eigenartige Erscheinungs- formen und deren plStzliche Umschlage eingehe, spreche ich zun~ichst ausschliesslich fiber Beschattung. Die Schattenph~ino-

6) Lauenstein, Lotte, Psychologische Forschung 22, 1938, S. 290.

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DAS PROBLEM VO~4 LICFIT UND SCFIATTEN ~41

mene sind leiehter experimentell hervorzu.'ufen und auch h~iufiger unmittelbar beobachtet worden. Was fiber Beschattung und Schattenflecken gesagt wird, gilt mutatis mutandis fiir Belichtung und Lichtflecken.

Elei dem Problem der Wahrnehmung, das ich hier aufzurollen versuche, handelt es sich eigentlich um Schlagschatten und Lichtflecke. Zuerst mSchte ich aber einige Bemerkungen fiber KSrperschatten und KSrperlicht vorausschicken. Luftschatten haben in diesem Zusammenhang kein Interesse.

Fig. 1.

Bei Fl~ichen, die relJ!efartige Vorspriange und Einbuchtungen aufweisen, kommt es vor, dass bei einseitiger Beleuchtung der K5rperschatten an den Einbuchtungen auf dem entgegengesetz- ten Rand wie an den Vorsprfingen liegt. (Fig. 1.} Entsprechend verh~ilt es sich mit dem KSrperlicht. Ph~inomeaal folgt hieraus, ~tass, wenn man die ganze Fl~che herumdreht, die ehemaligen Vorsprfinge jetzt als Vertiefungen erscheinen und umgekehrt. Der Beschauer hat ni~imlich die Tendenz, die Beleuchtungsrich- tung als unver~ndert wahrzunehmen. In F~illen, wo die Vp nicht die wirkliche Beleuchtungsrichtung kennt, wfirde s~e entweder ¥orsprfnge oder Vertiefungen sehen kSnnen. Die ph~inomenale Raumform entwickelt ~ich jedoch im allgemeinen nicht so, dass die Beleuchtung infolge der Verteilung von K6rperlicht und Schatten als in viele Teilbeleuchtungen aufgespaltet voraus- gesetzt werden mfisste. Immer resultiert ein Gesamtheits- eindruck, in dem die. ~Terteilung von Licht und Schatten mit einer Einheitliehkeit der Beleuchtung iibereinstimmt. Turhan, der Sehiiler Metzgers:, hat dies sehr sehSn in seine,l Versuchen

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gezeigt ~). Er spricht von einer Einheit der Beleuchtung. Auch wenn phy:;ikalisch eine Aufspaltung der Beleuchtung vorliegt, wird lieber die gekriimmte Fl~iche so erlebt, dass sie phiinomenal einer einheitlichen Beleuchtung entspricht. Diese Tendenz wird ald eine a ndere zuriickgefiihrt, die Tendenz zur Homogenitiit der Fiirbung. K6rperlicht und KSrperschatten wird nicht als ph~inomenale Intensithtsverschiedenheit der Oberfl~chenfarbe erlebt, sondern die Oberfl~iche erscheint weitergehend als homogen gef~irbt und Licht und Schatten als etwas Daraul- liegendes.

Man hat dariiber diskutiert, ob das Sehen gem~iss einer Beleuchtungseinheit eine gewisse phhnomenale Richtung mehr voraussetzt als die iibrigen. Metzger hat behauptet, dass eine Beleuchtung yon oben oder yon links besonders g e m voraus- gesetzt wird s). Meine Experimente in Helsinki haben gezeigt, da~s die ph~inomenale Beleuchtung yon oben bevorzugt ist, nicht abet eine linksseitige vor einer rechtsseitigen. Ausserdem babe ich eine Einheit entdeckt, die mit der Beleuchtungseinheit kon- kurriert. Ich nannte sie Einheit der Raumformen ~). Das Sehen yon Vorspr'Jngen setzt sich besonders stark durch, so dass alle Gebilde, wenn es nur mSglich ist, als Vorsprfinge aufgefasst werden. Einige Vpn reagieren so au] Kosten der Beleuchtung~- einheit. Lauter Vorspriinge werden gesehen, aber von Vorsprung zu Vorsprung in verschieden gerichteter Beleuchtung. Dies deutet darauf hin, dass die Wahrnehmung der Beleuchtungsrich- tung eine Gliederung hSherer Gliederungsstufe bedeutet, die sich nicht fiberall durchsetzt und iiberhaupt erst dann, wenn die fibrigen Gestaltungen, z.B. die Einheit der Raumformen, keine geniigende Einheitlichkeit bewirken.

,,Der anEaftende Schatten legt sich, wie schon in seiner Benen- nung zum A.usdruck kommt, der Farbe des Dinges so lest an, dass es nicht recht gelingen will, ihn v o n d e r eigentlichen Farbe des Dinges loszulSsen." ~o) Lauenstein bemerkt, wie sehr die Phhnomenologie des Lichtes und Schattens sich yon ihrer physi- kalischen Beschreibung unterscheidet. Es gibt n~imlich einen

7} Turhan, M., Psychologische Forschung 21, 1935, S. 45. ~) pMetzger, Wolfgang, Gesetze des Sel~ens, S. 128. ~) Vg~. v. Fieandt, Ueber Sehen von Tiefengebilden bei wechselnder

Boteuchtungsrichtung, Helsinki 1938. io) Ketz, Der Aufbau der Far.bwelt, Leipzig 1930, S. 59.

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Bereich der mittleren Helligkeit zwischen Licht und Schatten, der phenomenal keinen der beiden Gebiete zugeordnet wird. Als KSrperlicht und KSrperschatten erscheinen besonders solche Bereiche der KSrperoberfl~che, die sich deutlich vonder Hellig- keit ihrer Umgebung abheben. Die Vpn unterscheiden z.B. ,,links ist Licht und rechts ist Schatten". Das Dazwischen bildet phenomenal das Nullniveau, yon dem aus ,,Erhellung" un,J ,,Verdunklung" bestJimmt werden. Physikalisch betrachtet gibt es natiirlich nichts anderes als ausschiiesslich Licht und Schatten (n~mlich dort, wo das Licht fehlt). - - In der Ph~nomenologie sind die Begriffe KS:rperlicht und KSrperschatten immer relativ zu fassen. Der jeweils hellste sichtbare Bereich eines K6rpers wird phiinomenal zum K6rperlicht 11).

Dazu ist noch zu ::~agen, dass die Erscheinungen des KSrper- und Schlagschattem, nicht immer mit den ebenso genannten physikalischen Tatbest~inden zusammenfallen. Z.B. kSnnen in einfachen Helligkeitsf~illen die dunkelsten Stellen wie Schat- ten erscheinen. Der objektive Schlagschatten kann bisweilen zum ph~inomenalen KSrperschatten werden und umgekehrt.

Lauenstein behauptet, dass die Bereiche: KSrperschatten, KSrperlicht, Schlagschatl:en, Schiaglicht, wenn sie ph~inomenal ihre Beziehung zur Beleuchtung verlieren, der Oberfl~ichenfarbe zugeschrieben werden. Demgegenfiber mSchte ich betonen, dass sie urspriinglich in der Wahrnehmung keine Beziehung zur Beleuchtung haben. Nichtsdestoweniger wird die Farbe der Oberfl~iche, soweit es iiberhaupt mSglich ist, unver~indert gesehen. Erst wenn diese Wahrnehmungsweise so mehrdeutig und kompliziert wird, dass die Berficksichtigung der Beleuch- tung eine wesentliche Vereinfachung bedeutet, setzt sie sich als eine hShere Gliederung durch.

Nun zur ph~inomenologischen Beschreibung des Sch!agschat-. tens. Biihler schreibt: ,,Wie eine Dunkelhaut aus Gelatine oder wie ein Schwarzflor mit unsichtbar dichtem Netzwerk liegt auf der besonnten Strasse der Schlag~'chatten eines Baumstammes, eines Menschen." 1~) Das Charakteristische ist eben diese ,,Flor- artigkeit", dieser ,,H~iutchen"-Eindruck. Physikalisch betrachtet liegt ja nut eine Herabsetzung des reflektierten Licht.,~ an der beschatteten Stelle vor. Merkwiirdig ist es aber, dass nicht der

~) Lauenstein, a.a.O., S. 289. 1~) Biihlero a.a.O., S. 76.

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Schlagschatten unmittelbar als eine solche Reflexionsver~inde- rung der Oberfl~ichenfarbe erlebt wird, sondern als ein selb- st~indiges phiinomenales Ding, das sich zwischen Beschauer und Hintergrund legt. Dieser setzt sich ununterbrochen und ebenso hell wie friihe]: hinter dem Schatten .~ort. Von gr~isster Bedeu- tung ist bier e1~:~,en diese Gliederung in ,,vor" und ,,hinter", wie ~dr sp~iter sehen werden. Nicht zu Unrecht machen friihere Forseher darauf aufmerksam, dass dieser E.~ndruck des ,,I-Iinter- eil,nnder yon Schatten und OberfHiche" betr~ichtlich abnimmt, we nn man den Schlagschatten tiefer macht. Wird der Schatten hinreichend dunkeL kann man nicht mehr davon reden, dass die ,,eigentliche" K~rperoberfHiche hinter dem Schatten auch nur ann~ihernd gewahrt bliebe. Funktional gesprochen: Wird die Herabsetzl~ng der Beleuchtung allzu gross, danrt gestattet sie neben dem Schatteneindruck nicht die Wahrnehmung des Ober- fl~ichencharakters, der K~rnung oder der sogenannten M~kro- struktur des Hintergrundes. Dies w~ire jedoch sehr wichtig fi~r das Erlebnis der Durchsichtigkeit des Gelatineh~iu'Lchens. Da:rum hat der Maler hier ein Mittel, urn die Durchsichtigkeit des zarten Schattens hervorzuheben: er l~isst die Struktur der OberfHichen, die Maserungen des Holzes, das Stoffmuster der Gegenst~inde unt~.r oen H~iutchen weitergehen 13). In moderner ganzheitspsy- chologischer Ausdrucksweise wiirden wir sagen: je mehr ge- gliedert di, v beschattete FHiche sich erweist, desto gr~Ssser ist die Durchsichtigkeit des Schattens und desto gr6sser die Invarianz der betrefienden OberfHichenfarbc.

Leonar~lo da Vinci meint, dass kein Schlagschatten auf gl~inzen- den und durchsichtigen K~irpern erscheint. Eine Briicke wirft ihren Schatten nur auf einen Fluss mit tri~ben Wasser. An son- nigen Sommertagen habe ich jedoch sehr sch~ne Schlagschatten auf dem kristallklaren Spiegel des Saima-Sees beobachtet, einem der grossen finnischer Binnengewiisser. Dabei war das Wass.er so klar, dass ich den riiumlichen Schvttenkegel bis zum Boden des Sees verfolgen konnte. Im klaren Fluss lieg~ der Schatten der Briicl4:e wie ein H~iutchen am Boden des Flussbettes.

Den ar~schaulichen Schlagschatten als Eigenphiil'~omen hat schon Hering experimentell untersucht. Ber~ihmt ist sein Fleck- Schatten-Versuch, wo der merkwiirdige Umschlag des unmittel-

13) Bfihler, a.a.O., S. 80--81.

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baren Eindrucks stattfindet, sobald er seinen Schlagschatten umrahmt 14). Das Durchsichtige und das freie Vor- und (~ber- schweben beim Schatten verschwindet, und er wird als ein Bereich yon dunklerer TSnung in die Ebene des Hintergrundes eingepresst. (Fig. 2.)

Alle die.~'.e Ver~inderungen sind ganz ph~inomenal, und merk- wiirdig ist, dass auch nach der Umrahmung nicht die objektiv vcrhandene Herabsetzung der Beleuchtung im Schat- tenbereich eigentlich wahrgenommen wird, sondern eine ver- dunkelte Ober]l~chenfarbe. Hering neigt in seiner Erkl~rung selbst zu der Auffassung, dass der objektiv vorhandene breite und verlaufende Halbschattenrand eine Hauptursache des ph~-- nomenalen Schatteneindrucks ist. ~ Daraus ist sp~ter eine ganze Theorie dieses Problemkreises erwachsen, die man ais

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Fig. 2.

einseitig empiristisch-atomistisch bezeichnen kann. Das unklare und nicht umrissene Grenzgebiet, der verlaufende Rand des Schattens, ist nach dieser Ansicht als Hauptcharakteristikum des Schlagschattens anzusehen. In den Randerscheinungen glaubte man eine Art ,,stellvertretender Anze~.chen '' ffir Beschat- tung zu sehen. Dieser Auffassung stehen die von den Forschern Brunswik und Tolman vertretenen Gesichtspunkte nahe ~;). Demgegeniiber behauptet ~hon Bfihler, dass die ~er~inderung dadurch nicht erschSpfend gekl~irt ist. Er hat als erster die eigentiimliche Gliederung in zwei Bereiche nachgewiesen, denen wir iiberall begegnen, wo der Schlagschatten auf eine Fl~iche

14) Hering, a~a.O., S. 8. is) Tolman, E. C. and Brunswi~c, Egon, The organism and the causal

texture of the environment. Psychological Review, 42, 1935.

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f~illt. Diese Gliederung nennt er Tiefensonderung. Ich zitiere: ,,Das Schattenh~utchen mit durchgesehener K6rperoLerfliiche ist ein praktisch und theoretisch besonders wichtiger Fall der Tiefensonderung" 16). Katz driickt die Sache so aus, dass die Umrahmung eine stufenweise Reduklion bedeutet, also den freien 0berblick ~/~ber die Beleuchtungsverh~Lltnisse ve:chindert. Je gr{Jsser der frei gegliederte Teil des Gesichtsfeldes "st, desto unmittelbarer und durchsichtiger ist der Schatten 17). Schon Kardos weist auf diese von mir sp~iter angenommene Erklii- rung hin. Ausserdem hat Lauenstein neuerdings mit sorgfiiltigen Ver-

suchen gezeigt, dass der Halbschattenrand weder eine notwen- dige noch ausreichende Bedingunz des ph~inomenalen Schlag- schattens ist° Sie zeigte ihren Vpn in unwissenschaftlichen Ver- fahren ein weiss gestrichenes Brett vor einem gleichfarbigen Hintergrund. Das Brett wurde d~nn schr~ig yon der rechten Seite beleuchtet, die Vp sah aber die Lichtquelle nicht. Der Beleucbtungswinkel wechselte von Versuch zu Versuch.

Fig. 3.

W e n n e in g e r a d k a n t i g e s B r e t t v e r w e n d e t w i rd , w i r f t es au f

16) Bfih]er, a.a.O., S. 77. iv) Kate:, Der Aufbau der Far, welt, S. 206 f.

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DAS PROBLEM VON LiCHT UND SCHATTEN 34:7

das 1 cm hinter ihm befindliche Grundbrett einen geraden Schattenstre~_fen, der dicht bei der Kante liegt und parallel mit ihr l~uft. Obwohl der Rand des Schattens sehr verlaufend ist, haben die meisten Vpn keinen Schatteneindruck. Von 10 Vpn sehen 8 unmittelbar einen schwarzen Streifen auf homogen weis- sem Hintergrund. (Fig. 3.) Es entstand also der Eir druck einer Ebene mit sogenannter Figur-Grund-Gliederung. Wurde aber das Brett zackig gemacht, so ents tand bei allen Vpn ein Tiefen- eindruck. Das Brett wurde als eine n~ihere Ebene als das Grund- brett empfunden. Trotzdem wurde aber der Schatten erst bei sehr seitlicher Beleuchtung als solcher erlebt. Ofters erschien der Schlagschatten als ein Fl~ichengebilde, das senkrecht auf der weissen Grundfl~iche stand. Das zackige Brett erschien wie ein Vorsprung, dessen Seitenkante sich aus dem Schatten ergab.

Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6.

Eine r~iumliche Wirkung entstand, aber kein Schattenein- druck is). _ Die Versuche zeigen, dass bei der geraden Kante, wo eine denkbar einfache Gestalt, n~imlich ein schwarzer Strei- fe~ auf weissem Grund entsteht, l~ein Schatten- oder Tiefen- eindruck erfolgt. Dagegen ist der Schattenstreifen bei der zackigen Kante als Fl~ichenfigur allzu kompliziert, er erscheint nicht eben so breit, und diese l~.bile Auffassung wird darum

is) Lauenstein, a.a.O., S. 291 ff.

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ersetzt dureh den ,,besseren" Eindruck einer gleich hohen Kante. Auch hier ist die bevorzugte Fassung die einfachere und klarere.

Ph§nor enaler Gegenpol des Schattenflecks ist, wie gesagt, der Lichtfleck. Es ist schon bei frtiherer Gelegenheit oft betont worriers, dass starke Lichter, z.B. Sonnenflecke, nicht wie durch- sichtige H~iutchen aussehen. Nichtsdestoweniger erscheinen auch die Sonnenflecke z.B. auf dem Fussboden eines Zimmers als etwas AufHegendes. Es entsteht die Gliederung vom Grund, der hinter dem Fleck unver~indert weiterl~iuft, und von einem ,,vor" oder ,,auf" dem Grund liegenden Fleck. Was als Hinter- grund erlebt wird und was als Belichtetes oder Beschattetes erscheint, h~ngt im grossen ganzen davon ab, was im Einzelfall mehr Raum in Anspruch nimmt. Hierauf komme ich noch zurfick.

Lauenstein hat ihre ,,Brettversuche"' auch mit Sch!aglichtern gemacht. Jetzt fielen die Lichtstrahlen nahezu senkrecht auf die Kante, und ein kr~ftiges Schlaglicht entstand. Erst wenn man die Breite des verlaufenden Bandes variierte, entstanden eindeutige Tiefeneindrticke, aber nur bei der gezackten Kante. Die gerade Kante zeigte wieder infolge der einheitlichen Inten- sit,it des Schlaglichtes auf ihr und der unkomplizierten Hellig- keitsverteilung so gut wie keine Tiefenwirkung. Bei der gezack- ten Kante kamen invertierte Fassungen vor; die Zacken werden auch als EiszapSen beschrieben. Das hellbeleuchtete Grundbrett wird n~iher erlebt, und die nun besonders hellen Spitzen an der Kante sehen durchsichtig aus 19).

So weit die Tatsachen. Jetzt wollen wir eine einheitliche systematische Erkl~irung versuchen. Ich gehe yon der allgemei- hen Feststellung aus, dass iiberall, wo wit im natiirlichen Leben aufliegende Schatten oder Lichtflecke erleben, gleichzeitig eine ,,vor - - hinter" Gliederung vorhanden ist. Es handelt sich hierbei weniger um eine Tiefengliederung, wie es einige Forscher naunten, sondern wir kSnnen das Ph~inomen mit der aus der Gestaltpsychologie bekannten ,,Figur-Grund-Gliederung" ver- gleichen. Wenn es bei Fl~iehenfiguren haupts~ichlich auf die Konturen ankomrnt, wirkt diese Beleuchtungsgliederung, die wir ,,Fleck- und Grund"-Gliederung nennen wollen, durchaus r~iumlich. Eine wesentliche Eigensehaft dieser Flecke ist, dass sie durchscheinend sind. Die Durchsichtigkeit wird wieder im

lO) Lauenstein, a.a.O., S. 297 if.

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allgemeinen durch die Faktoren bed~ingt, die Fuchs 20) ffir das Hintereinander zweier Farbfl~ichen analysiert hat und auf die ich nicht n~iher eingehe. Je st~irker der Lichtfleck, je tiefer der Schatten gemacht wird, desto undurchsichtiger wird der Fleck, bis wir bloss neue .~ischun~en der Oberfl~che,~arbe wahr- nehmen kSnnen. Die nathrlJ~he Gliederung der Obeffl~che kommt dann nicht mehr zum Vorschein. Andererseits: je aus- gepr~igter die wahrgenommene Gliederung hinter dem Fleck ist, desto durchsichtiger wirkt auch der Fleck.

Es muss aber noch ein weiterer Faktor hervorgehoben werden, auf den Bi:thler zufiillig gestossen ist. In seinen Ratschl~igen an die Maler sagt er u.a., dass kleine und schmale Schlagschatten eine viel st~irkere deckende Wirkung haben als grosse 21). Das ist eine bedeutsame E-ntdeckung. Man kann im Heringschen Versuch z.B. die Wirkung der Umrahmung wieder aufheben, indem man mit einem umfassenden Schirm den ganzen Hinter- grund beschattet. Die gleiche Herabsetzung der Beleuchtungs- inte~sit~it, die an begrenzter Stelle der Oberfl~iche als gewShn- licher Schlagschatten wirkt, wird, wenn der beschirmte Teil des Wahrnehmungsfeldes grSsser und grSsser wird, schliessli'ch zur ,,herrschenden, normalen Beleuchtung". So kann man die Durchsichtigkeit im Hering'schen Versuch wieder hervo~ufen, wenn man sich dem umrahmten Hintergrund n~hert. Im gleichen Masse w~rmehrt sich die Durchsichtigkeit des Schat- tens, bis schliesslich bei voller Abschirmung keine Fleck-Grund- Gliederung mehr besteht. Diese Gliederung ist a]so um so st~ir- ker, je kleiner der Fleck ist. Man muss einen ziemlich freien Uberblick fiber die Gesamtbeleuchtung haben, um den Schlag- schatten als solchen zu erkennen. Befindet man sich selbst im Schattenkegel, z.B. nahe vor einer Hauswand, ist es unter Umst~inden unm6glich, den Schlagschatten zu sehen. Alles vor der Nase ist dann so umfassend beschattet, dass man eine normale Beleuchtung erlebt. Erst wenn man etwas zurficktritt und um den Schattenkegel lichtere Teile des Wahrnehrnungsfeldes beobachtet, kann man eine~a ~.chlagschatten feststellen. Ist bei- nahe alles m~ Wahrnehmungsfeld beschattet und befindet sich nur ein kleiner Bereich in direkter Beleuchtung, dan wird fiber-

2o) Fuchs, W., Zeitschrift ffir Psychologie 91, 1923, S. 173 ff. 21) Bfihler, a.a.O., S. 80--81 ft.

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haupt keine Beschattung gesehen, sondern die direkt beleuchtete SteHe wird als Lichtfleck empfunden. Wir kSnnen demzufolge sagen, class es keine absolute normale Beleuchtung gibt. Die- jenige Beleuchtung, die in dem grSssten Teil des jewefligen Sehfeldes vorherrscht, wird al:; ,,normal" angesehen. Im Ver- h~iltnis dazu werden abweichende Bereiche als Schatten- oder Li,chtflecke aufgefassI~ 22).

Katz berichtet fiber folgenden Versuch: ,,Eine Landstrasse mSge von dem Licht der hochstehenden Sonne getroffen werden. Sie erscheint uns dann mit allen darauf befindlichen Gegen- st~nden ,,zu licht" . . . . Nun wollen wir annehmen, die S~nne bef~inde sich in unserem Rficken, so dass wit den von uns~.~rem KSrper auf die Strasse geworfenen ,,Schatten" sehen kSrtnen. Wenn auch die von unserem Schatten getroffenen Teile der Strasse mehr Licht aussenden als bei norma]er Beleuchtung und diese Teile selbst bei ihnen zugewandter Aufmerksamkeit die Strasse uns in ihrer ,,eigentlichen" Farbe zu geben scheinen, so haben wit doch bei Beachtung des ganzen Gesichtsfeldes den Eindruck, als l~ige in diesen Teilen eine Dunkelheit auf der Farbe der Landstrasse, die eigentlich nicht zu ihr gehSrt." ,,Jetzt halten wir einen grossen P~.ppschirm, der allein durch eine kleine C~fnung in seiner Mitre das Sonnenlicht durchfallen l~isst, so, dass sein Schatten auf die Strasse f~illt. Beachten wir nun Teile des Schattens, so glauben wir die eigentliche Farbe der Strasse unmittelbar erfassen zu k~nnen; nur ganz in der Mitte ist dieser eigentlichen Farbe ~.~in heller Lichtfleck auf- gelagert" 23).

Zusammenfassend k~innen wir also sagen: Der unter einheit- lichem Beleuchtungseinfluss stehende grSssere Teil des Sehfeldes wird zum normal beleuchteten Grund, kleinere abweichende Teile werden als Schatten- oder Lichtflecke empfunden. Sind auf einer bestimmten Oberfl~iche die beiden Bereiche, der beschattete, und der belichtete, gleich gross, dan entsteht keine eindeutige ,,Fleck- und Grund"-Gliederung, sondern man kon- statiert ein iihnliches Schwanken wie bei F1iichenfiguren, wo zwei Gliederungen derselben Stufe vorhanden sind, yon denen keine die Oberhand gewinnt. Es entsteht ein Umschlagsmuster. Mit dieser Gliederung in Fleck und Hintergrund mit gleich-

2~) B~ihler, a.a.O., S. 77; Kalz, Der A ufbau der Farbwelt, S. 62. ~) Katz, Der Aufbau der Fa~bwelt, S. 203.

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zeitigem Raumeindruck konkurriert offenbar in einigen F/illen die viel allgemeinere, schon seit langem unter Fl/ichenbereiche bekannte Gliederung in Figur und Grund ohne gleichzeitigen Raumeindruck. Man kann wohl sagen, dass die gewShnliche Figur-Grund-Gliederung im allgerneinen eine feste, stabile Gliederung bedeutet und dass sie darum auch entsteht, wenn die Bedingungen dazu nur eben vorhanden sind. Die Gliederung ill Fleck und Grund erscheint als eine Gliederung hSherer Gliederungsstufe und wird, wie iiberhaupt die Beriicksichtigung der Beleuchtung, erst dann einsetzen, wenn die Gestaltgesetze durch die Figur-Grund-Gliederung nicht die hSchste C~konomie der Wahrnehmung erreichen 24). Umgekehrt: werden z.B. Schat- tenph/inomene schon einfach genug als eine Fl/ichengliederung in Figur und Grund erlebt, dann verwirklicht sich diese ein- fachste Gliederungsweise. Gerade das geschieht im Hering'schen Versuch bei der Umrahmung. Man braucht keinen ,,Fleck und Grund", das ist unnStig kompliziert, wenn die Umrahmung eine Figur-Grund-Gliederung gestattet. Eine Umrissfigur hat gewisse ph/inomenale Eigenschaften gegeniiber dem Grund, die den Eigenscha~ten des Fleckes entgegengesetzt sind. W/ihrend der Fleck den Grund durchschimmern I/isst, hebt sich bei der Figur- Grund-Gliederung der urnrissene Bereich hinsichtlich seiner Farbe besonders vorn Grund ab und strebt eine Homogenisie- rung der Farbe innerhalb der Kontur an. Das alles geschieht im Hering'schen Versuch, wenn die Fleck-Hintergrund-Gliede- rung vor der Gliederung in Figur und Grund zuriickweicht.

Alle Ph/inomene von Licht und Schatten lassen sich somit unter folgender Hauptregel zusammenfassen. Es besteht eine Tendenz zur EinSachheit der Wahrnehmungsganzheit. Die Wahr- nehmung folgt dem schon von Mach au~gestellten Prinzip der Okonomie: Diejenige Gliederung setzt sich durch, die unter den jewefligen Bedingen die grSsste Einfachheit gew~ihrt. So werden die Umschl~ige im Hering-Versuch verst~indlich und ebenfalls Lauensteins Versuche mit geradkantigem und zackigem Brett. Bei geradem Schatten entstand schon dutch die Figurengli::de- rung, d.h. also den Streifeneindruck, die hSchstmSgliche F, in- fachheit. Lauenstein bemerkt, dass auch der den Randerschei- nungen zugeschriebene Anteil beim Schlagschatten g e m , s

24) Siehe z .B.v . Fieandt, Zeitschrift fiir Psychologie 153, 1942, S. 115 L

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diesem Prinzip der Einfachheit zu deuten ist. Etwas Dunkles mit verlaufendem Rand auf weissem Papier ruft niemals den Ein- druck einer , ,Hintereinander-Gliederung" hervor wie ein wirk- licher Schatten. Wenn aber die dunkle Stelle auf der einen Seite yon einem scharfen, winkelfSrmigen Rand begrenzt ist, entsteht die jetzt einfachste Gliederung: die Dunkelheit setzt sich hinter der weissen Ecke fort 25). (Fig. 7.)

Fig. 7.

Kardos zeigt eine schiine Anwendung des Heringph~inomens. Eine runde Scheibe steht im Loch einer Lochtafel. Wird zuerst nut die Scheibe beschattet, tr i t t ph~inomenal keine Gliederung in Schatten und Beschattetes ein. Erst wenn man den Schatten- spender so verschiebt, dass auch ein Teil der Lochtafel beschat- tet wird, tri t t die Kippe ein. Die runde Scheibe wird weisslicher, und man sieht ihre wahre Farbe durch den Schatten h im durch 26). Kardos hat auch bier einseitig die Randerscheinungen des Schattens als Ursache angenommen. In der Tat ist die ph~inomenal vorliegende Wahrnehmungsweise in der ersten Phase ja auch die gestaltlich einfachste. Auch ohne Sehatten- eindruck ist die Situation eindeutig genug. In der zweiten Phase ist e~ wieder viel einfacher, auch die Scheibe als vom Schatten betroffen zu empfinden. Denn sonst miisste im Schatten ein Loch ph~inomenal vorhanden sein, und das ist wieder viel kom- plizierter.

Sind diese letzten Erw~igungen richtig, dann miissen auch ph~inomenal die ,,vor" und ,,hinter"-Eindriicke wechseln, wenn mann den Vpn die beiden Situationen nach einander vorfiihrt.

25) Lauenstein, a.a.O., S. 295 f. ~) Kardos, L, Ding und Schat~en, S. ~28 f.

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I~ieine Versuche in Helsinki haben gezeigt, dass es sich wirklich so verh~ilt.

@

Fig. 8.

Ich mSchte mit folgender allgemeinen Bemerkung schlies- sen. Wenn man der Ph~inomenologie dieser Erscheinungen nachgeht, so ergibt sich daraus n.icht nur theoretisch Wertvolles, sondern wir gewinnen auch festeren Boden und einen tieferen Blick ftir viele praktische AnwendungsmSglichkeiten. Wir haben immer wieder Gesichtspunkte hervorgehoben, die ftir den Maler yon Bedeutung sind. Aber auch die Beleuchtungs~Lechnik von heute wird mehr und mehr die Ph~inomenologie von Licht und Schat ten berticksichtigen.

SUMMARY.

One of the most interesting problems of modern perceptual psychology is how the phenomenally experienced light and shadow correspond to circumstances in the "exterior" physical world of things.

Ever since Leonardo da Vinci we have been accustomed to divide the phenomenal ly experienced shadows into thing- shadows, space-shadows and cast-shadows. Similarly we speak of thing-light, spaee-ligk.t and cast-light.

1. A thing-shadow comes into being when an object, imper- 24

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vious to light such as a bullet is illuminated from one side only. The side that is turned away from the light is left in shadow, which adheres to the surface of the object. Perhaps the best example is the thing-shadow of the moon, owing to which we sometimes see only a "half-moon".

2. The space-shadow. When an object is illuminated one- sidedly, it prevents the light from reaching the space behind. The direction of the shadow is determined by the object. The shadow-cone sweeps from the object through the air until it is projected on the new surface it meets. The spatial shadow makes the space occupied by it appear darker than the environment and fills it in the manner of an intermediate element. In a suitable intermediate substance, for instance in clear water the spatial shadow-cone proceeds, suggestive of its reverse pheno- menon, the flood of a search-light sweeping the night. With reference to the cone of light sweeping the space we speak of space-light.

3. The cast-shadow is certainly the most conspicuous and substantial of all shadows. Phenomenologically, it interests u~ most of all here. In a great many cases the cast-shadow follow3 the form and the contours of the illuminated object very closely, especially so when the edge is steep and sharply defined.

Before dealing with cast-shadows the author makes a few comments on thing-shadows and thing-lights.

If one-sided, strongly oblique light strikes a surface with relief-like protuberances and indentations, the thing-shadows appear on opposite edges in the elevations and depressions. The same holds true of thing-lights. A phenomenological consequence of this is that when the sheet is turned upside down, the protube- rances are now indentations and vice versa. Perceptually the greatest invariance refers to the direction of the light; the totality is discriminated in a way corresponding to the invaria- bility of the light. (Fig. 1.)

There exists a unity competing with the unity of illumina- tion. The inclination to see all forms as elevations, the protube- rance-tendendy, is particularly pronounced.

It seems that the discrimination according to the unity of illumination is a fairly high-level articulation, rendered neces- saJ~y, as a great many other articulations, when lower-level articulations do not produce a sufficiently firm, unequivocal

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gestalt. This is the case also in the so-called reversible figures, where two art iculations compete w.~th each other. When the protuberance-tendency is strong er.ough to produce in the gestalt a sufficient firmness, perceived by the observer, the uni ty of i l lumination does not materialize.

Already Hering studied the phenomenal cast-shadow as an independent perceptual phenomenon. Par t icular ly famous is his shadow exper iment in which a surprising switch-over of the immediate impression occurs as a result of the framing of the cast-shadow. (Fig. 2.) The impression of a t ransparent shadow hovering above disappears and the shadowed area appears with a different shade of colour as a part of the background; the dark- ness of the sh~tdow clings more tightly, as it were, to the surface of the g round In his own explanation of this Hering is inclined to think that one of the chief factors of the phenomenal shadow impression is perhaps the gradual border, the so-called half- shadow area, so characteristic of shadows. When this border area is el iminated by framing, the impression of a shadow disappears. Already Bfihler pointed out that the switch-over of the impression in Hering's exper iment is by no means ex- haust ively explained by this theory. Moreover, Lauenstein has shown with careful experiments that the half-shadow border is nei ther a necessary nor a sufficient condition under which a phenomenal c~s'~-shadow occurs. Her experiments show thag no perception of ei ther depth or shadow is realized ill the case of a straight edge, when this a l ready brings about an extremely simple gestalt, a black streak on a whi~e ground. (Fig. 3.) On the other hand the shadow attaching to an indented edge is not a good gestalt, in itself, seen as a plane figure. In this unstab!ie state of art iculation the perception looks for a new invariance, as ;t were, and this is achieved by seeing the shadow as an edge of an elevated plane, an edge with an all-round uniformity of height. The articulation that is simpler and which realizes a greater stabil i ty proves to be more favoured. (Fig. 4--6.)

The circumstances under which 'two surfaces are simul- taneously seen behind each other, the far one being seen through the near one have been exhaust ively enumerated by Fuchs. The stronger the light of the light spot and the deeper the non- luminosity of the shadow patch, the lesser gets the t ransparency of the patch until the whole articulation into the patch and the

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ground d~appears. Conversely, the more definite the miniature articulation of the ground surface, perceived through the patch, the more transparent the patch itself.

Furthermore, we must emphasize the role of a factor only ~ouehed upon by Biihler. By way of advice to painters he points out that in painting small and narrow cast-shadows we must remember their more effective covering power. When the shadow extends over the whole Of the background the "patch and ground" articulation is not realized. The smaller the patch in question is, the stronger is the "patch and ground" articula- tion. In order to make the cast-shadow appear phenomenally as such, we must have a relatively free general view of the conditions of illumination. -

The major part of the field of vision coming within the range of uniform illumination is experienced as a normally illuminated ground. The smaller areas deviating from it as regards their reflection intensity are seen as patches of light or shadow. If on a certain surface both the areas, the illuminated and the shadowed, take up equal parts, no unequivocal "patch and ground" articulation is realized, but a similar switch-over is perceptible that appears in plane figures when in their per- ception twocop lanar articulations compete for supremacy. The result is an impression of change.

The phenomena of light and shadow follow thus phenomenally the following rule: a tendency to simple perceptual totalities is prevalent. The perception follows here, too, the principle of the greatest possible simplicity, emphasized already by Mach and after him by the gestalt-psychologists. The articulation iis realized that ur:der the prevailing circumstances permits the perception to follow the simplest route.

SCHRIFTTUM

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