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Executive Summary Der Chemiepark Knapsack ist hinsichtlich der Herausforderungen der Energiewende ein typisches Beispiel für die
deutsche Chemiebranche. Zu einen stellt die Energiewende den Chemiepark vor große Herausforderungen, insbeson-
dere aufgrund der Abhängigkeit von stabilen und nicht fluktuierenden Energieversorgung und niedrigen Strompreisen.
Zum anderen hat der Chemiepark aufgrund seiner exzellenten Infrastruktur und produktionsbedingten Besonderheiten
das Potential, einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Energiewende zu leisten. Um die eigenen Risiken zu mini-
mieren und die Energiewende aktiver zu gestalten, muss der Chemiepark wie auch die Chemiebranche als Ganzes
aktiver und offensiver im medialen Diskurs auftreten. Denn während grundsätzliche Themen wie Versorgungssicher-
heit und Energiepreise bereits etablierte Themen im Diskurs sind, sind für die Branche wichtige Umsetzungsfragen zu
großen Teile unterrepräsentiert und werden teilweise gegensätzlich zu den Interessen der Branche debattiert.
Der Chemiepark Knapsack sollte im medialen Diskurs insbesondere sein Potential zur Untersetzung des Flexibilisie-
rungsprozesses der Netze sowie konkrete Möglichkeiten zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit offensiv und
aktiv kommunizieren. Gewerkschaften wie die IG BCE sollten dabei aufgrund der ähnlichen Interessen und deren
prominente Rolle im medialen Diskurs als wichtige strategische Partner angesehen werden.
Der Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
-
Stakeholderanalyse
Ein Projekt im Rahmen des Think-Lab „Energie-Gesellschaft-Wandel“ der
und der
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
1
Inhalt 1. Einleitung ........................................................................................................................... 2
2. Hintergrund ........................................................................................................................ 2
3. Diskursnetzwerkanalyse ..................................................................................................... 4
a) Versorgungssicherheit .................................................................................................... 5
b) Flexibilisierung deutscher Strommarkt .......................................................................... 8
4. SWOT-Analyse .................................................................................................................. 9
5. Handlungsempfehlungen .................................................................................................. 13
6. Anhang ............................................................................................................................. 14
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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1. Einleitung
Die Energiewende in Deutschland ist in vollem Gange. Mit den anspruchsvollen Zielvorgaben des
Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) – Energieerzeugung von >80% aus regenerativen Quellen bis
20501 – sowie den Zielvorgaben des gesamteuropäischen Klimakonzepts (Verringerung der Treibhau-
semissionen um 40% und Erzeugung von 30% der Energie aus regenerativen Quellen bis 20302) und
des Pariser Abkommens (Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 Grad3) steht der deutschen
Energiewirtschaft ein großer Umbruch und eine Periode konstanten Wandels bevor. Während die
Energiewende bezüglich ihrer allgemeinen Zielsetzung des Ausbaus der regenerativen Energieträger
in der Bevölkerung nach wie vor eine sehr große Zustimmung genießt4, sind vor allem die techni-
schen Fragen der Umsetzung zunehmend von Kontroversen betroffen. Ungeklärte Fragen sind aktuell
unter anderem die Frage des Energiemix, die Lösung des Problems der Brückentechnologien und die
Kompensation der sozialen Konsequenzen der Energiewende. Denn obwohl der Ausbau der regene-
rativen Energien langfristig die Schaffung neuer Arbeitsplätze verspricht, sehen sich besonders Regi-
onen mit einer hohen Konzentration von konventionellen Energieträgern mit großen strukturellen
Herausforderungen und dem damit verbundenen Abbau von Arbeitsplätzen konfrontiert. Darüber
hinaus ist eines der prägendsten Themen der Energiewende die Konsequenzen des Ausbaus der re-
generativen Energieträger auf die Strompreise und damit indirekt die Wirtschaftlichkeit von insbe-
sondere dem produzierenden Gewerbe in Deutschland. Die starke Abhängigkeit vieler Industriezwei-
ge von günstigen Strompreisen wurde zwar von politischer Seite durch beispielsweise die sogenannte
„EEG-Ausnahme“ aufgegriffen, die Problematik der mittelfristig zu erwartenden Preissteigerungen
bleibt jedoch nach wie vor bestehen. Darüber hinaus ist die Energiewende auch mit einer Reihe an-
derer Unsicherheiten verbunden, Versorgungssicherheit und Verfügbarkeit sind dabei nur zwei von
vielen Beispielen.
Der Chemiepark Knapsack befindet sich als ein Akteur mit starker Abhängigkeit von Strompreisen
und Energieverfügbarkeit auf der einen Seite und starkem Potential zur Gestaltung von neuen Ener-
gieversorgungsstrukturen (z.B. dezentrale Netze) auf der anderen Seite inmitten des Spannungsfel-
des Energiewende. Zur Durchsetzung seiner Interessen sowie den Interessen der Beschäftigten ist für
den Chemiepark Knapsack die Analyse der eigenen Potentiale sowie die Kenntnis des politischen und
gesellschaftlichen Diskurses eine wichtige Ressource für die Ausarbeitung weiterer strategischer
Maßnahmen und hinsichtlich kommunikativer Anstrengungen. Mit dieser kurzen Hintergrundanalyse
zeigen wir dafür einige wichtige Kernpunkte auf.
2. Hintergrund
Der Chemiepark Knapsack wurde 1907 gegründet und gehört heute zur Gemeinde Hürth, im
südlichen Ballungsraum Köln5. Die RWE hat zu Beginn des letzten Jahrhunderts hier intensiv
Braukohle im Tagebau abgebaut und verstromt. Damit stand neben der Elektrizität den
1 https://www.erneuerbare-energien.de/EE/Redaktion/DE/Dossier/eeg.html;jsessionid=128D1CDB1594BCEBE174AAB8292A04CB?cms_docId=132292 2 https://europa.eu/european-union/topics/energy_de 3 https://ec.europa.eu/clima/policies/international/negotiations/paris_de 4 https://www.unendlich-viel-energie.de/themen/akzeptanz-erneuerbarer/akzeptanz-umfrage/repraesentative-umfrage-weiterhin-rueckenwind-fuer-erneuerbare-energien 5 http://www.chemiepark-knapsack.de/standort/standort-seit-1907/
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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Chemieunternehmen kostengünstig Wärme in Form von überhitztem Dampf zur Verfügung.
Die Chemieindustrie am Standort Knapsack, welche sich in einem engen Stoffverbund auf
Basis Karbit, Chlor und Phosphor befand, zeichnete sich durch ihre Energieintensivität aus.
Auch heute gibt es noch hohen Dampfbedarf am Standort. Die Chemieunternehmen befinden sich
immer noch in einem engen Stoffverbund. Die Produktbandbreite, die die rund zehn Unternehmen
produzieren erstreckt sich von Pflanzenschutzmitteln und deren Vorprodukten, über Kunststoff,
Grundchemie (wie PVC und PE) hin zu weiteren Grundchemikalien. Neben den Produzenten im Be-
reich Chemie sind noch über zwanzig Dienstleister im Chemiepark niedergelassen. Insgesamt sind
2.200 Beschäftigte im Chemiepark tätig. Davon sind 1 040 angestellt bei Produktionsunternehmen
und 840 bei dem Dienstleister InfraServ Knapsack, weitere 300 sind Beschäftigte von Partnerfirmen.
Die Gesamtfläche, die der Chemiepark den Produzenten zur Verfügung stellt, entspricht 180 Hektar,
hiervon sind bisher 147 Hektar erschlossen6. Der Chemiepark verfügt über gute Verkehrsanbindun-
gen: einen Containerterminal mit Gleisanschluss, zur nächsten Autobahn sind es nur vier Kilometer,
zum Hafen Köln Godorf 20 Kilometer und auch der Flughafen Köln-Bonn befindet sich in unmittelba-
rer Nähe
Der Fokus soll im Folgenden auf der InfraServ Knapsack liegen, die neben zahlreichen Standortdienst-
leistungen auch für die gesamte Ver- und Entsorgung am Standort mit Energien und Medien (z.B.
Druckluft, Kühlwasser etc.) verantwortlich ist. Damit sieht sich die InfraServ direkt mit den Folgen der
Energiewende konfrontiert. Die InfraServ ist als Verteilnetzbetreiber des öffentlichen Netzes regis-
triert und unterliegt damit voll dem Regime des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Das hat zur Fol-
ge, dass Netz-Investitionen zwar über die Masse der angeschlossenen Abnehmer konsolidiert werden
können, allerdings die Summe der Kunden der InfraServ – wie oben bereits beschrieben – auf zwei
Hände reduziert, eine erhebliche strategische Rolle spielt, um für den gesamten Standort attraktiv für
die Produzenten und Kunden zu sein. Somit ist es für sie äußerst interessant, sich mit der Energie-
wende und ihren Folgen zu beschäftigen. Im Folgenden soll deshalb kurz die Position der InfraServ
dargestellt werden, um daraus Chancen und Risiken ableiten zu können.
Laut Eigendarstellung arbeitet die InfraServ daran, den Standort „als attraktiven Arbeitsplatz zu ge-
stalten, und ihn mit den effizientesten und bevorzugten Energien und Medien zu versorgen“. Diese
Versorgung muss unter allen Bedingungen gesichert sein, um den ansässigen Unternehmen eine
wirtschaftliche Produktion zu ermöglichen. An sich begrüßt sie InfraServ die Energiewende und ar-
beitet aktiv an ihrer Umsetzung. Im Allgemeinen versteht sich die gesamte Chemiebranche als ele-
mentarer Gestalter der Wende, da sie sehr gefragte Produkte herstellen.
In Zukunft sollen erneuerbare Energien stärker in die Energieversorgung eingebunden werden, um
langfristig eine Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen, wie z.B. den örtlich nahen Braunkohle-
kraftwerken und deren Tagebaue zu erlangen. Da die Chemiebranche sehr energieintensiv ist und
zudem in einem weltweiten Wettbewerb steht, stellen hohe Strom und Wärmepreise eine direkte
Gefahr für die Branche dar.. Deswegen gehört die Chemiebranche zu den stärksten Befürwortern der
Ausnahme der EEG-Umlage. Außerdem verweist sie auf die Gefahr der Verlagerung der Produktion
6 http://www.infraserv-knapsack.de/standortbetrieb/
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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ins Ausland, sollten die Umfeldbedingungen langfristig keine wirtschaftliche Attraktivität für die Pro-
duktion zeigen.
Ein großes Plus bietet Deutschland für die Chemiebranche im Allgemeinen allerdings noch im Bereich
der Versorgungssicherheit und -qualität. Diverse Produktionsprozesse sind darauf ausgelegt, kontinu-
ierlich und ohne Unterbrechungen abzulaufen. Unterbrechungen haben insbesondere bei chemi-
schen Prozessen üblicherweise die Vernichtung der jeweiligen Charge zur Folge. Dies bedeutet, dass
die Verfügbarkeit von Energie und ein stabiles Energienetz einen großen Stellenwert für die Unter-
nehmen mit 24/7-Betrieb haben. Damit sind diese beiden Faktoren auch für die nationale und inter-
nationale Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen entscheidend. Wenn die Versorgungssicherheit
nicht unter allen Umständen gesichert ist, besteht – wie oben bereits erwähnt – die Gefahr der Ab-
wanderung ansässiger Unternehmen ins Ausland. Daraus würden relevante negative Folgen, wie
Arbeitsverlust und Steuereinbußen, für die Region resultieren. Deshalb ist eine sichere und bezahlba-
re Strom- und Wärmeversorgung eine der höchsten Prioritäten der Chemiebranche. Die Ausnahme
von der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen sollte demnach bestehen bleiben. Für die
Chemiebranche ist allerdings auch die zuverlässige Versorgung mit Gas von hoher Bedeutung. Gera-
de an diesem Standort ist an einen übereilten Ausstieg aus der Kohle nicht zu denken. Ein Braunkoh-
leausstieg erscheint aus Sicht der Chemiebranche erst dann sinnvoll, wenn verlässliche und wirt-
schaftliche Alternativen geschaffen sind.
Vor diesem Hintergrund lassen sich diverse Herausforderungen aber auch Chancen für den Chemie-
park Knapsack identifizieren. Eine der größten Herausforderungen ist aktuell sowie potentiell auch in
den kommenden Jahren der steigende Strompreis. Wie bereits erläutert, muss der Strom für die
energieintensive Branche unbedingt bezahlbar bleiben, damit sie international konkurrenzfähig
bleibt. Weitere Herausforderung sind die Energieeffizienz und Versorgungssicherheit: auch sie müs-
sen für einen konkurrenzfähigen Standort stetig verbessert und gewährleistet werden, um eine wirt-
schaftliche Produktion am Standort zu ermöglichen. Ein weiteres Anliegen ist die Flexibilisierung der
Netze. Diese ist als große Chance für die Chemiebranche zu verstehen, die Energiewende aktiv mit-
zugestalten. Auf dem Gelände laufen bestimmte chemische Prozesse ab, die nach Bedarf gesteigert
oder gedrosselt werden können. Damit kommt der Chemiebranche potentiell eine große Bedeutung
zu. Solange es noch keine ausreichenden und bezahlbaren Speichertechnologien gibt, könnte die
Chemiebranche helfen, den Strommarkt auszugleichen. Wenn “zu viel” Strom im Netz ist, wird die
Produktion auf ein Maximum gefahren, wenn jedoch “zu wenig” Strom zu Verfügung steht, werden
Prozesse heruntergefahren oder eingestellt. Das Problem ist zurzeit, dass keinerlei Anreize für die
Unternehmen bestehen, um ihr Produktionslevel tatsächlich dem Stromangebot anzupassen. An
dieser Stelle fordern Unternehmenskomplexe, wie der Chemiepark Knapsack, politische bzw. fiska-
lisch Anreize, um die Chemiebranche stärker einzubinden und sie maßgeblich am Strommarktaus-
gleich zu beteiligen.
3. Diskursnetzwerkanalyse
Die Energiewende ist weit davon entfernt, ein abgeschlossenes Projekt zu sein. Obwohl bei der all-
gemeinen Zielsetzung mittlerweile von einem „gesamtgesellschaftlichen Konsens“ gesprochen wer-
den kann, sind vor allem noch viele Fragen der konkreten Umsetzung offen. Deutlich wird dies unter
anderem durch regelmäßige Novellierungen und Nachbesserungen des Erneuerbare-Energien Geset-
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zes (EEG), vermehrte Konflikte zwischen Bundes- und Landesregierungen sowie vermehrter Kritik von
Bürgerinitiativen und Unternehmen bezüglich einer Vielzahl von Themen. Die Debatte um das „wie“
der Energiewende wird auf verschiedenen politischen Ebenen und in verschiedenen Sektoren ge-
führt. Im Bundestag und in Landtagen, in Energiegenossenschaften und Fußgängerzonen und nicht
zuletzt auch in den Medien. Obwohl Informationenaustausch und politische Willensbildung verstärkt
im Social-Media Bereich stattfindet, sind traditionelle Medien nach wie vor eine der Hauptinformati-
onsquellen für die meisten Bürgerinnen und Bürger7. Medien sind jedoch nicht nur Informationsquel-
le, sondern liefern auch einen Gesamtüberblick über Meinungen und Debatten, indem sie ver-
schiedenste Akteure zu Wort kommen lassen. Diese Übersicht an verschiedenen Meinungen ist so-
wohl aus wissenschaftlicher als auch aus praktischer Sicht hochinteressant und bildet die Grundlage
unseres Forschungsprojektes.
Um den medialen Diskurs zur Energiewende repräsentativ zu erfassen, analysierten wir zwei der
auflagenstärksten deutschen Tageszeitungen, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und die Süd-
deutsche Zeitung (SZ), über einen Untersuchungszeitraum von fünf Jahren. Insgesamt wurden über
4000 Artikel analysiert. Für den Zeitraum 2013 – 2016 konnten insgesamt über 250 relevante Akteu-
re und rund 450 Themen des öffentlichen Diskurses um die Energiewende identifiziert werden. Das
genaue methodische Vorgehen ist auf der Projektseite8 näher erläutert.
Für Verbände und Unternehmen sind die gesammelten Ergebnisse vor allem interessant, da sie einen
systematischen, empirischen Überblick über die mediale Eigendarstellung einzelner Akteure darstel-
len. Darüber hinaus ermöglichen sie die Identifikation von politischen Mitstreitern und Gegnern. Die
Datenanalyse zeigt damit auf, in welchen Bereichen strategische Koalitionen zur Interessenartikulati-
on gebildet werden können. Wenn beispielsweise eine Bürgerinitiative gegen Windräder in einer
Region genau quantifizieren kann, wer ähnliche Argumente wie sie vertritt, kann sie sich mit ähnlich
gesinnten Akteuren vernetzen und ihren Argumenten mehr Gewicht verleihen. Diese Bildung von
„Advocacy-Koalitionen“ 9 werden nicht nur in der Praxis, sondern auch vermehrt in der Wissenschaft
als grundlegende Notwendigkeit für erfolgreiche Interessensvertretung angesehen. Darüber hinaus
liefern unsere Ergebnisse auch tiefere Erkenntnisse darüber, welche Themengebiete der Energie-
wende häufig zusammen diskutiert werden und wie sich die Debatte der Energiewende im Lauf der
Jahre gewandelt hat.
a) Versorgungssicherheit
Für kaum eine in Deutschland ansässige Industrie ist Energie eine wichtigere Ressource als für die
Chemieindustrie. Aus eben diesem Grund ist es von großer Bedeutung für die Chemieindustrie, dass
die Ressource Energie durchgehend und bezahlbar zur Verfügung steht. Mit der fortschreitenden
Energiewende ist die sichere unterbrechungsfreie Versorgung mit Energie, insbesondere mit Strom,
zu einem viel diskutierten Thema in Politik und Wirtschaft geworden.
Die Reduzierung der Stromerzeugung durch konventionelle Energieträger, wie beispielsweise Braun-
und Steinkohle, und die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromproduktion, führen
zu herausfordernden Situation für die deutsche Energieversorgungssicherheit: die erneuerbaren
Energien sind von Faktoren, wie beispielsweise dem Wetter abhängig, die vom Menschen nicht be-
7 Etwa 59% der Deutschen nutzen 2016 verschiedene TV-Formate als Informationsquelle, Zeitungen etwa 49%; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/171257/umfrage/normalerweise-genutzte-quelle-fuer-informationen/ 8 www.energienetzwerke.org 9 Als Advocacy-Koalitionen werden Bündnisse von Akteuren innerhalb eines Politikfeldes zu einem bestimmten Thema bezeichnet.
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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einflussbar sind. Dazu kommt, dass die Möglichkeiten der Energiespeicherung momentan noch sehr
begrenzt sind. Vor diesem Hintergrund ist die Sorge um die sichere Versorgung mit Strom nicht un-
begründet. Konventionelle Energien leisten durch ihre vergleichsweise hohe Flexibilität, die Menge
der erzeugten Energie zu regulieren, einen wichtigen Beitrag dazu, die deutsche Versorgungssicher-
heit zu garantieren. Diese Tatsache macht die Diskussion um den Zeitpunkt der Abschaltung konven-
tioneller Kraftwerke besonders relevant für die deutsche Chemieindustrie und damit auch für den
Chemiepark Knapsack.
Abbildung 1: Diskurs 2013 & 2014
Abbildungen 1 und 210 stellen diese Diskussion als Netzwerk dar und ermöglichen einen Blick auf die
Äußerungen einzelner Akteure zu bestimmten Themen über Zeit. Dargestellt werden Zustimmung zu
einem Thema (grün) und Ablehnung (rot). Es lässt sich feststellen, dass das Thema Versorgungssi-
cherheit ein über die Jahre durchgehend wichtiges und relevantes Thema für den deutschen Diskurs
zur Energiewende darstellt und Akteure aus unterschiedlichsten Branchen und Fachgebieten be-
schäftigt. Auffällig ist die ausschließlich positive Einstellung der Akteure gegenüber dem Thema. Es
besteht ein weiter Konsens, dass die Energie durchgehend und sicher zur Verfügung stehen muss. Im
Gegensatz dazu divergieren die Meinungen der Akteure in der Frage um den Kohleausstieg. Während
beispielsweise große Industrie- und Arbeitnehmerverbände sowie die FDP oder die großen deut-
schen Energieversorger einem Ausstieg aus der Kohle mehrheitlich kritisch gegenüberstehen, findet
10 Mittels der Diskursnetzwerkanalyse lässt sich die öffentliche Debatte grafisch darstellen. Die einzelnen Knoten repräsentieren dabei Diskursinhalte (Themen) und die Diskursakteure, die sich zu diesen Themen positionieren. Zustimmung seitens eines Akteurs wird mit grünen Verbindungen dargestellt, Ablehnungen mit roten Verbindungen. Äußert ich ein Akteur nicht kohärent zu einem Thema, beispiels-weise wenn verschiedene Mitglieder einer Organisation unterschiedliche Aussagen tätigen, oder wenn sich die Position der Organisation über Zeit verändert, wird dies mit blauen Verbindungen dargestellt.
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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diese Idee Anhänger bei Umweltorganisationen, aber auch bei politischen Parteien, vor allem bei den
Grünen, sowohl auf Landes- und Kommunalebene, als auch auf Bundesebene. Der Vergleich der bei-
den Zeiträume macht deutlich, dass sich die Einstellung der Akteure in dieser Frage auch nicht verän-
dert. Die Polarisierung bleibt deutlich bestehen.
Abbildung 2: Diskurs 2015 & 2016
Im Einklang mit den aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen sprechen sich deutsche Bundesbe-
hörden, sowie Regierungsvertreter für einen Ausstieg aus der Kohle aus.
Aus dieser Analyse lässt sich für die deutsche Chemieindustrie und für den Chemiepark zusammen-
fassen, dass in Deutschland ein breiter Konsens bezüglich einer guten und auch in der Zukunft durch-
gehenden Versorgungssicherheit besteht. Auch wenn die Wege zur Erreichung dieses Ziels umstrit-
ten sind, ist allen an der Diskussion beteiligten Akteuren die Bedeutung des Themas bewusst. Eine
Etablierung oder ein aktives „Agenda Setting“ seitens des Chemieparks ist für dieses Thema nicht
notwendig. Die kommunikative Herausforderung besteht vielmehr darin, die Relevanz der Kohlekraft
für die Versorgungssicherheit herauszustellen. Dieses Thema ist im Gegensatz zur Versorgungssi-
cherheit sehr kontrovers diskutiert. Für den Chemiepark empfiehlt sich hier eine starke Positionie-
rung im Diskurs für Kohle als notwendige Übergangstechnologie sowie eine Vernetzung und Koordi-
nierung mit anderen Akteuren ähnlicher Meinung (insb. DGB, IG BCE und andere Akteure die sowohl
wirtschaftliche als auch Arbeitnehmerinteressen vertreten).
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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b) Flexibilisierung deutscher Strommarkt
Für ein Gelingen der Energiewende ist ein flexibles Strommarktsystem von großer Bedeutung, da ein
solches eine erfolgreiche Integration von erneuerbaren Energien in die deutsche Energielandschaft
ermöglicht11. Um durch die Abhängigkeit der Stromproduktion erneuerbarer Energien vom Wetter
keine Nachteile für die Energieverbraucher entstehen zu lassen, ist es von elementarer Bedeutung,
dass der Strommarkt die zeitlich und mengenmäßig unregelmäßige Erzeugung von Strom ausgleicht.
Flexibilisierung findet auf zwei Seiten statt. Zum einen auf der Anbieterseite, der Stromerzeugung,
was bedeutet, dass Strom durch das Zusammenspiel mehrerer Arten der Erzeugung durchgehend
und möglichst kostenniedrig zur Verfügung steht. Zum anderen ist Flexibilisierung ebenso wichtiges
Thema von Stromverbrauchern, wie beispielsweise durch Anpassung des Energieverbrauchs an die
Zeiten der Erzeugung.
Ein flexibler Strommarkt kann durch effizientes Zusammenbringen von Verbraucher und Anbieter
eine Anpassung an die Veränderung der Erzeugung ermöglichen. Als Verbraucher großer Mengen
Stroms, hat auch der Chemiepark Knapsack ein Interesse an einer fortschreitenden Flexibilisierung
des Strommarktes.
Abbildung 3: Diskurs 2013 - März 2017
Die Analyse des Diskursnetzwerkes zum deutschen Strommarkt zeigt deutlich, dass ein breiter Kon-
sens in der energiepolitischen Landschaft darin besteht, dass das Stromsystem Änderungen erfahren
muss, um zukunftsfähig bleiben zu können. Die Art der Änderungen ist jedoch umstritten. Deutlich
11 Vgl. u.a. https://www.bee-ev.de/fileadmin/Publikationen/Studien/20150216BEE_Strommarkt_Flexibilisierung.pdf
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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wird in der Analyse, dass das in 2016 bereits in Kraft getretene Gesetz zur Kapazitätsreserve den Dis-
kurs zum deutschen Strommarkt nicht nur stark prägt, sondern auch Gegenstimmen hervorruft.
Ähnlich bedeutsam wie die Diskussion um die Kapazitätsreserve und mit dieser eng verknüpft, ist die
Frage um die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in den Strommarkt. Hier sprechen sich der einfluss-
reiche Bundesverband der deutschen Industrie sowie der ebenfalls wichtige Bundesverband der
Energie- und Wasserwirtschaft gegen einen starken Einfluss des Staates auf den deutschen Strom-
markt aus. Ihrer Ansicht gegenüber steht die Aussage der Bundeskanzlerin, die ihre Zustimmung für
eine stärke Regulierung des Strommarktes durch den Staat kommuniziert.
Für den Chemiepark lässt sich aus der Analyse der Schluss ziehen, dass die Forderungen der deut-
schen energiepolitischen Landschaft in Bezug auf Flexibilisierung durchaus Gehör finden und in bin-
dende Gesetze umgewandelt werden, was an dem Beispiel der Kapazitätsreserve deutlich wird. Auch
wenn die Flexibilisierung des Strommarktes sicherlich noch nicht abgeschlossen ist, so ist dieses
Thema doch im energiepolitischen Diskurs vertreten und der Chemiepark kann mit einem fortlaufen-
den Einsatz unterschiedlichster Akteure für ein flexibles Strommarktsystem rechnen.
Obwohl das Thema der Flexibilisierung der Netze große Zustimmung im medialen Diskurs findet,
herrscht noch eine sehr große Uneinigkeit über das „wie“ bzw. die konkrete Umsetzung. Die Che-
miebranche hat aufgrund ihrer produktionsbedingten Abläufe ein erhebliches Potential flexible Net-
ze tatsächlich umsetzbar werden zu lassen. Aufgrund dieses Potentials oder der vorhandenen Exper-
tise sollte sich sowohl der Chemiepark als auch die Chemiebranche stärker im Diskurs beteiligen um
dort eine zentralere Roll einzunehmen. Insbesondere aufgrund der vielen noch offenen Fragen der
technischen Umsetzung könnte eine stärkere öffentliche Präsenz und Positionierung dabei helfen,
die Flexibilisierung des Strommarktes aktiv mitzugestalten und eigene Interessen stärker zu berück-
sichtigen. Nicht nur wegen des vorhandenen Potentials, sondern auch wegen der Vielzahl von Be-
schäftigen in der Chemiebranche kann damit gerechnet werden, dass Argumente der Chemiebranche
auf starke Resonanz stoßen würden. Diese stärke Präsenz im Diskurs und die Positionierung als Lea-
der im Bereich der Flexibilisierung könnte sich dann wiederum auch auf politische Entscheidungen
auf Landes- und Bundesebene auswirken.
4. SWOT-Analyse
Im Rahmen unserer Analyse des Chemiepark Knappsack konnten wir bisher mehrere potentielle
Stärken und Schwächen des Industriestandortes identifizieren. Basierend auf unserer vorangehenden
Netzwerkanalyse konnten wir zudem die Beziehung der InfraServ GmbH & Co. Knapsack KG zu meh-
reren wichtigen Akteuren der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bestimmen. Aufbauend auf diesen
Erkenntnissen werden nun im Zuge dieser SWOT-Analyse die Stärken, Schwächen, Chancen und Risi-
ken, die sich aus diesen Faktoren für die InfraServ ableiten lassen, erläutert.
Einige der größten Stärken des Chemieparks, und damit auch der InfraServ G, ergeben sich aus sei-
nem sehr günstig gelegen Standort. So verfügt der Chemiepark über einen eigenen Eisenbahnan-
schluss, der nächste Autobahnanschluss liegt nur vier Kilometer entfernt – ohne dass man um ihn zu
erreichen eine Ortschaft durchfahren müsste - und auch der nächste Hafen liegt nur 20 Kilometer
entfernt. Ein weiterer Faktor, der sich für die Zukunftsaussichten der InfraServ als vorteilhaft erwei-
sen dürfte, ist die hohe Anzahl an ansässigen Unternehmen und die damit gute Auslastung des Che-
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mieparks12. Zudem kann die InfraServ darauf bauen, dass ihre Mitarbeiter sehr zufrieden mit der
Arbeit bei ihrem Arbeitgeber sind, der als einer der attraktivsten Arbeitgeber in der Branche gilt13.
Im Gegensatz zu anderen Chemiestandorten, verfügt das Unternehmen über ein sehr gutes Image
auch bei der umliegenden Bevölkerung14. All diese Faktoren führen zudem auch dazu, dass das Un-
ternehmen auf eine sehr positive Umsatzentwicklung verweisen kann15.
Ein letzter großer Standortvorteil des Chemieparks ist seine Nähe zu einem Kohlekraftwerk, über das
er sehr günstig mit Wärmeenergie versorgt werden kann.
Aus dieser Stärke erwächst aber auch eine der größten aktuellen Schwächen des Industriestandorts:
Der Chemiepark ist, um seine Versorgung mit Wärmeenergie sicherzustellen, sehr auf das nahe Koh-
lekraftwerk angewiesen und dadurch abhängig von seinem fortgesetzten Betrieb und konstanten
Preisen für die angekaufte Wärme. Zudem stellt die große Anzahl an in dem Park ansässigen Che-
mieunternehmen ebenfalls ein potenzielles Risiko für die Zukunftsaussichten des Chemieparks dar,
da eine Krise der Chemiebranche (bspw. ausgelöst durch im Zuge der Energiewende steigenden
Energiepreisen) ebenfalls für den Standort existenzbedrohend werden könnte. Diese hohe Anzahl an
ansässigen Chemieunternehmen führt zudem auch dazu, dass der Chemiepark in seiner Gesamtheit
einen sehr hohen Energieverbrauch aufweist, was zur Folge hat, dass die Attraktivität des Standorts
unter stark schwankender Energiepreise deutlich leiden könnte16. Der hohe Energieverbrauch des
Parks hat des Weiteren zur Folge, dass der Park stark auf eine zuverlässige und störungsfreie Strom-
versorgung angewiesen ist und kaum Möglichkeiten hat, auf Stromausfälle oder Energieengpässe zu
reagieren.
Aus den zuvor genannten aktuellen Stärken und Schwächen der InfraServ GmbH ergeben sich aber
auch zahlreiche Chancen für das Unternehmen, die sich im Rahmen der Energiewende ergebenden
Entwicklungen zu seinem Vorteil zu nutzen. So könnte es bspw. die starke Abhängigkeit vom nahen
Kohlekraftwerk als Motivation nutzen, um durch den Bau eines eigenen Heizkraftwerkes bei der
Wärmegewinnung unabhängiger von externer Versorgung zu werden. Zudem könnte das so entstan-
dene Heizkraftwerk auch die Stromversorgung des Chemieparks flexibilisieren und ihn, zusammen
mit der verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, unabhängiger von der konventionellen Strom-
versorgung werden lassen. Um mit der unvermeidbaren restlichen Abhängigkeit von der externen
Energieversorgung am besten umgehen zu können, könnten die im Chemiepark ansässigen Unter-
nehmen ihre Produktion an den schwankenden Preisen des Energiemarktes ausrichten, so dass sie in
Phasen hoher Energiepreise weniger energieintensive Produkte herstellen und in Phasen günstiger
Energiepreise energieintensivere. Zudem könnte durch eine Effizienzsteigerung der ansässigen Un-
ternehmen hinsichtlich ihres Energieverbrauchs die Abhängigkeit des Parks vom Strompreis weiter
reduziert werden. Die Abhängigkeit des Industriestandorts, und damit auch der der InfraServ, von
der Chemiebranche könnte zudem als Anreiz genommen werden, um durch eine Differenzierung der
ansässigen Unternehmen den Standort an sich unabhängiger vom Schicksal einzelner Industriezweige
zu machen. Während dieses Unterfangen zweifelslos ein langfristiges sein wird, könnte die aktuelle
Abhängigkeit von der Chemiebranche aber auch noch positive Folgen für den Standort haben. So
12 http://www.chemiepark-knapsack.de/standort/zahlen-und-fakten/ 13 http://www.presseportal.de/pm/118319/3250612 14 http://www.ksta.de/region/rhein-erft/huerth/chemiepark-knapsack-keine-angst-vor-imageschaden-2384482 15 . http://www.ksta.de/region/rhein-erft/huerth/studie-umsatz-von-infraserv-knapsack-stieg-um-mehr-als-13-prozent-24468900 16 http://www.rundschau-online.de/region/rhein-erft/chemiepark-knapsack-licht-und-schatten-ueber-dem-huegel-5291016
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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kann diese Branche, auch wenn sie durch schwankende Energiepreise gefährdet ist, eventuell auch
von der Energiewende profitieren, da die Umstellung auf erneuerbare Energien viele neue Aufträge
für die Branche schaffen könnte.
Neben den genannten Chancen für den Chemiepark haben unsere Analysen aber auch einige Risiken
zu Tage gefördert, die sich aus der strategischen Aufstellung des Chemieparks in Kombination mit
den Ansprüchen der Energiewende ergeben. So ergibt sich bspw. aus der starken Abhängigkeit des
Chemieparks von der Chemiebranche eine ganze Reihe von Risiken. Insbesondere die Gefahr von
stark steigenden Strompreisen ist für alle Unternehmen des Parks relevant. Vor allem wenn der
Standort im Vergleich zum Ausland durch diese Entwicklung der Energiepreise an Wirtschaftlichkeit
einbüßen würde, könnte dies fatale Folgen für die Konkurrenzfähigkeit des Standorts haben. Des
Weiteren stellen für die ansässigen Unternehmen, und damit für den Park selbst, auch durch die
Energiewende erhöhte Treibstoffpreise, und damit steigende Transportkosten, ein zunehmendes
Problem dar. Ein großer, auf der Energieversorgung basierender Risikofaktor ergibt sich daraus, dass
der Industriestandort sehr darunter leiden würde, wenn durch die zunehmende Umstellung auf er-
neuerbare Energiequellen die kontinuierliche Versorgungssicherheit mit Elektrizität in Deutschland
gefährdet werden würde. Eine letzte Gefahrenquelle des Parks stellt seine starke Abhängigkeit vom
nahen Kohlekraftwerk da. So würde der Chemiepark mit seinen jetzigen Strukturen stark unter einer
Abschaltung des Kohlekraftwerkes im Rahmen eines eventuellen Kohleausstieges leiden. Ebenfalls
wettbewerbsschädigend für ihn wäre es aber auch schon, wenn die Betreiber des Kraftwerkes be-
schließen sollten durch eine Erhöhung der Preise für die Abwärme einen Teil der ihnen durch die
Energiewende aufgebürdeten Kosten wieder auszugleichen.
Zusammenfassend zeigt die Analyse des Chemieparks Knappsack im Allgemeinen, und der der Infra-
Serv im Speziellen, dass die Energiewende Unternehmen im Chemiebereich vor eine Reihe von Her-
ausforderungen stellt. Insbesondere die Preisentwicklung für Energie sowie die Verlässlichkeit der
Stromnetze und die damit verbundene Versorgungssicherheit, lassen sich als zentrale Themen aus-
machen. Die Chemiebranche birgt jedoch auch enormes Potential um die Umgestaltung des Strom-
marktes, insbesondere die Dezentralisierung, aktiv mitzugestalten. Schafft es die Chemiebranche,
den die Umstrukturierungsprozesse der nächsten Jahre aktiv zu begleiten, sollten die Chancen der
Energiewende die Risiken überwiegen.
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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Ausprägung Chancen Risiken
Externe Faktoren
(Umweltanalyse)
Interne Faktoren
(Ressourcenanalyse)
Flexibilisierung der Stromversor-
gung Verstärkte Nutzung er-
neuerbarer Energien; Gewinn an
Unabhängigkeit vom Kohlekraft
Aufbau eigenes Heizkraftwerk;
Differenzierung der ansässigen
Unternehmen; Produktion des
Chemieparks am Energiemarkt
ausrichten; Effizienzsteigerung
hinsichtlich Energieverbrauch;
Energiewende schafft Aufträge für
Chemiebranche
Wirtschaftskrise / Krise der Che-
miebranche; Verschärfte Vor-
schriften für Chemiebranche;
Kohleausstieg Abschaltung des
nahen Kohlekraftwerks; Erhöhung
der Preise für Abwärme; Erhöhte
Transportkosten (Spritpreise);
Erhöhung der Strompreise; Man-
gelhafte Versorgungssicherheit
Konkurrenzfähigkeit hinsichtlich
Energiepreise gegenüber Ausland
Abwanderung von Unterneh-
men
Relative Stärken Strategie
Hohe Standortqualität;
Hohe Zufriedenheit der Mitarbei-
ter; Positive Umsatzentwicklung;
Nähe zum nahen Kohlekraftwerk
und Versorgung mit Abwärme;
Viele Unternehmen ansässig;
Eigener Schienenanschluss; Nähe
zur Autobahn; Relative Nähe zum
Hafen; Sehr gutes Image bei der
umliegenden Bevölkerung
Gute aktuelle wirtschaftliche
Situation ausnutzen um wirt-
schaftliche Basis nachhaltig aus-
zubauen17; Grüne Pilotprojekte
nach außen hin vermarkten;
Standortqualitäten für nachhalti-
ge Entwicklung des Parks nutzen18
Abhängigkeit von Kohle reduzie-
ren; Standortvorteile zur Anwer-
bung neuer Unternehmen nut-
zen19; Image und Vorbildrolle bei
Debatte mit Politik über Risiken
der Energiewende nutzen
Relative Schwächen Strategie
Potentielle Abhängigkeit von
Chemieunternehmen; Abhängig-
keit von nahmen Kohlekraftwerk;
Abhängigkeit von schwankenden
Strompreisen; Hoher Energiever-
brauch; Kaum Flexibilität bei der
Stromversorgung Kaum Mög-
lichkeiten auf Stromausfälle zu
reagieren
Krisensituationen als Motivatoren
für nachhaltige Reformen begrei-
fen20; Lösungsansätze als Argu-
ment für Standort vermarkten21
(Regionale) Politik auf Gefahren
für den Wirtschaftsstandort durch
die Energiewende aufmerksam
machen; Verbündete im öffentli-
chen Diskurs suchen22
Abb. 4: Ergebnisse der SWOT-Analyse
17 Nutzung erneuerbarer Energien im Park ausbauen / Ansässige Unternehmen für erfolgreiche Energie aufstellen (Energieeffizienz steigern und Branchen diversifizieren) 18 Gute Verkehrsanbindungen (auch an Bahn und Schiff) als Argument für Standort vermarkten 19 Offensive beim Wettbewerb mit anderen Industriestandorten gute Infrastruktur als Werbeargument vorbringen 20 Transformativen Moment der Energiewende zur Durchführung von langfristig erfolgssichernden Reformen nutzen 21 Grüne Reformerfolge (z.B. Nutzung erneuerbarer Energien) als Werbung für Ansiedlung von Unternehmen nach außen kommunizieren 22 Kommunikationsnetzwerke mit Stakeholdern / Akteuren mit ähnlicher Interessenslage aufbauen, um eigene Position im öffentlichen Diskurs zu stärken v.a. auch um vor den Gefahren eines überstürzten Kohleausstiegs zu warnen
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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5. Handlungsempfehlungen
Für die Chemiebranche im Allgemeinen und den Chemiepark Knapsack im speziellen sind die Heraus-
forderungen der Energiewende im Wesentlichen die Abhängigkeit von wirtschaftlichen Energieprei-
sen und die Notwendigkeit von stabilen und verlässlichen Stromnetzen. Die Diskursnetzwerkanalyse
zeigt, dass diese Themen grundsätzlich ein wichtiger Teil des Diskurses sind und von vielen Akteuren
aufgegriffen werden. Auch wird die Wichtigkeit der Versorgungssicherheit von keinem relevanten
Akteur angezweifelt. Ebenso wird die Flexibilisierung der Netze im Allgemeinen im medialen Diskurs
positiv bewertet. Weniger eindeutig ist der Diskurs jedoch hinsichtlich der konkreten Umsetzung
dieser Ziele. Hier sollte sich sowohl der Chemiepark als auch die Chemiebranche als Ganzes stärker
im Diskurs positionieren. Insbesondere folgende Punkte sollte offensiver kommuniziert bzw. umge-
setzt werden
- Die Relevanz von Kohlekraftwerken für die Sicherstellung der Versorgungssicherheit. Vor al-
lem hinsichtlich des kontroversen medialen Diskurses um dieses Thema erscheint es wichtig,
hier die Anliegen der Chemiebranche klar und nachvollziehbar in den politischen Diskurs ein-
zubringen. Derzeit ist dies nur in sehr eingeschränkter Weise der Fall
- Die Bildung von Koalitionen zur Bündelung und Abstimmung der eigenen Anliegen. Insbe-
sondere die stärkere Vernetzung mit dem DGB sowie der IG BCE als dominierende Diskurs-
teilnehmer sind hierfür relevant. Darüber hinaus ähneln laut unserer Diskursanalyse die Inte-
ressen großer Energieversorger denen des Chemieparks. Hervorzuheben sind hier insbeson-
dere RWE und E.ON, die für Versorgungssicherheit, aber auch für Flexibilisierung einstehen.
Ein weiterer potentieller Partner mit großem politischem Einfluss ist das Land NRW, unab-
hängig von der Zusammensetzung der Landesregierung.
- Die Positionierung des Chemieparks und der Chemiebranche als technologischer Vorreiter im Feld der Netzflexibilisierung. Für die Energiewende liegt hier eine große Chance, da der Che-miepark, sowie die gesamte chemische Industrie, maßgeblich zu ihrem Erfolg beitragen könnten. Durch eine Flexibilisierung würde eine regulierte Stromnutzung möglich, die not-wendig ist, um den Energiemarkt ausgleichen zu können und größere Schwankungen im Netz zu verhindern. Zurzeit besteht jedoch kein Anreiz für Unternehmen, sich an einem solchen Netzausgleich zu beteiligen. Daher wäre es im Interesse des Chemieparks und der gesamten deutschen chemischen Industrie Aufmerksamkeit zu generieren für diese Möglichkeit und große Chance. Im Anschluss könnten dann von politischer Seite Anreize gesetzt werden um Unternehmen in der chemischen Industrie zu einem entscheidenden Akteur beim Netzaus-gleich werden zu lassen und die Energiewende so weniger risikoreich zu gestalten und sie weiter voranzutreiben.
Darüber hinaus birgt eine noch tiefergehende Diskursanalyse, insbesondere unter Einbeziehung
lokaler Medien, aufgrund der hohen regionalen Bekanntheit und Reputation des Chemieparks
ein sehr hohes Potential. Vor allem zur Bildung von Koalitionen zur Durchsetzung von Mitglieder-
interessen auf Landesebene ist ein tieferes Verständnis des politischen Diskurses erforderlich. Ein
kontinuierliches DNA-gestütztes Medien-Monitoring sehen wir daher als sinnvolle Ergänzung der
strategischen Tätigkeit der Chemieparks Knapsack.
Chemiepark Knapsack im Konfliktfeld der Energiewende
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6. Anhang
Das Forschungsprojekt „Energienetzwerke“ ist das Ergebnis eines studentischen Projekts, das 2016
an der Universität Konstanz ins Leben gerufen wurde. Es ist Teil des von der Stiftung der Deutschen
Wirtschaft und der innogy Stiftung geförderten Think Lab „Energie—Gesellschaft-Wandel“. Eine
Gruppe von Studierenden entschied, sich intensiv und aus einer neuen Perspektive mit dem kontro-
versen Prozess der deutschen Energiewende auseinander zu setzen. Seit der Nuklearkatastrophe von
Fukushima im Jahr 2011, die im deutschen Ausstieg aus der Atomenergie resultierte, ist der Begriff
„Energiewende“ in politischen Debatten, medialer Berichterstattung, öffentlichem Diskurs und aka-
demischer Forschung allgegenwärtig.
Als Projektteam beschlossen wir daher die Energiewende systematisch und über einen längeren Un-
tersuchungszeitraum mit der relativ neuen Methodik der Diskursnetzwerkanalyse zu beleuchten, um
(1) zu einem besseren Verständnis des bis 2030 andauernden Veränderungsprozesses beizutragen,
(2) die Interessen und Strategien der involvierten Akteure zu analysieren und
(3) zu verstehen, wie diese involvierten Akteure versuchen die öffentliche Meinung zur Energiewen-
de zu beeinflussen.
“Energienetzwerke” ist ein unabhängiges, von Studenten geleitetes und durchgeführtes Forschungs-
projekt.