der ein blick zurück, ein blick nach vorne teufel · 2021. 1. 14. · diese zweite ausgabe der...

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Diese zweite Ausgabe der Serie „Unbe- kanntes Italien“ ist der Mitte des Landes gewidmet, der Gegend zwischen dem Po und den Bergen des nördlichen Apennin. Voraussichtlich Ende Januar erscheint der dritte Teil mit Geschichten aus dem Nor- den Italiens. Den Schlusspunkt setzt im März eine weitere Ausgabe zu den großen Inseln Sardinien und Sizilien. Der Legende nach verdankt der Ort Berti- noro seinen Namen der Kaisertochter Gal- la Placidia. Irgendwann im 5. Jahrhundert soll sie hier am Nordosthang des Apennins Wein gekostet und danach ausgerufen ha- ben: „berti in oro“, man solle diesen Wein aus goldenen Bechern trinken. Die Liebe zum Wein ist geblieben, in dem Ort gibt es heute immer noch um die 20 Kellereien, die unter anderem die autochthone Rebsor- te Albana anbauen. Daneben gibt es auf dem Dorfplatz, der nicht weniger als eine fantastische Aussichtsterrasse über die Ro- magna ist, eine Besonderheit aus dem Mit- telalter, die Säule der Gastfreundschaft. Damals waren Reisende äußerst willkom- men, brachten sich doch Neuigkeiten mit. Um Streit übers Gastrecht zu vermeiden, brachten die wichtigen Familien des Ortes Eisenringe an der Säule an, die jeweils ei- ner Familie zugeordnet waren. Band ein Reisender sein Pferd an einen Ring, gehör- te er sozusagen der entsprechenden Fami- lie. Von diesem Brauch ist man abgekom- men, aber um den guten Ruf des Weines ist man immer noch bemüht. Wie groß die Bandbreite ist, das lässt sich nicht weit entfernt von Bertinoro, in Dozza erkunden. Im Keller der Festung be- findet sich der regionale Weinkeller der Emilia-Romagna. Und wer den Unter- schied zwischen der Romagna und der Emi- lia nicht verstanden hat, der versteht ihn spätestens hier bei einem kleinen Vortrag. Die Emilia, das waren die großen Länderei- en in der Poebene, oft von Klöstern kulti- viert, die die Sümpfe trockenlegten und Flächen für die Milchwirtschaft schufen. Hier aß man Schwein, Rind und Käse, eher fettes Essen, und dazu gab es perlenden Wein, den Malvasier etwa oder den Lam- brusco, auch den Pignoletto. Der Sangiove- se hingegen, heißt es, der hätte nie in der Emilia geboren werden können. Diese Reb- sorte gehört zur Romagna, die von einsti- gen römischen Soldaten besiedelt wurde, und die aßen bescheidener: den Fisch der Adria, Schaf und Oliven; der Einfluss Roms macht sich bis heute bemerkbar. (Infos: www.enotecaemiliaromagna.it;www.visit- bertinoro.it) pfu von johanna pfund D as ist also Gualtieri. Ruhige Seiten- straßen mit zweistöckigen Häu- sern, gut 6000 Einwohner, ein Schild weist es als Mitglied der Vereini- gung der schönsten Dörfer Italiens, I borg- hi più belli d’Italia, aus. Der Andrang im Herbst ist überschaubar, kaum jemand ist unterwegs. Nur der Renaissance-Palast, der mit seinen hundert Metern Länge eine ganze Seite der quadratischen Piazza ein- nimmt, zeugt davon, dass jemand hier einst Großes vorhatte. Die Familie Benti- voglio hat den Ort in der frühen Neuzeit ausgebaut und ihn vor den Wassern des na- hen Po geschützt. Nur wenige Kilometer entfernt, in Brescello, wurden die Filme über Don Camillo und Peppone gedreht. Brescello wurde damit bekannt, Gualtieri hingegen wurde erst in den vergangenen Jahren bekannter – durch den Maler Anto- nio Ligabue. Doch zu Lebzeiten tat man sich schwer mit ihm. Antonio Laccabue, so der richtige Na- me, traf kurz nach dem Ersten Weltkrieg in Gualtieri ein. Man ahnte nicht, dass der jun- ge Mann ein Talent zum Malen besaß und dass seine Geschichte einmal verfilmt wür- de. Denn der damals kaum 20-Jährige war ein Ausgestoßener. Er war als Sohn einer Wanderarbeiterin in der Schweiz geboren worden und wurde in eine Pflegefamilie ge- geben, nachdem seine Mutter einen italie- nischen Wanderarbeiter, Bonfiglio Lacca- bue, geheiratet hatte. Der junge Antonio wurde verhaltensauffällig, er flog von der Schule wegen „Sittenlosigkeit“, und schließlich, da die Mutter bereits gestor- ben war, wies ihn die Schweiz aus – nach Gualtieri, in den Heimatort seines Stiefva- ters. So kam er in der Poebene an, ein merk- würdiger Mann, der nur Deutsch sprach. Wieder hatte der junge Antonio Schwie- rigkeiten, sich anzupassen. Mal wohnte er im Armenhaus,mal im Stall. Oder er haus- te in einer Hütte in den Auen des Po. Seinen Stiefvater hasste er, deshalb nannte er sich Ligabue. Die Kinder des Ortes hatten Angst vor ihm wegen seiner Grimassen und merkwürdigen Gepflogenheiten, wie der bekannte Kostümbildner Umberto Ti- relli, der in Gualtieri aufgewachsen ist, spä- ter schrieb. Zunächst hielt sich Ligabue als Tagelöhner über Wasser, bis der Maler Ma- rino Mazzacurati Ende der Zwanzigerjahre Ligabues Talent entdeckte. Seine Position im Ort blieb aber schwierig. „Er war ein armer Teufel, er hatte ein Kommunikationsproblem“, sagt Laura Fraimini, die das Ligabue-Museum im Pa- lazzo Bentivoglio hütet. In den prachtvol- len, mit Fresken aus dem 16. und 17. Jahr- hundert ausgestatteten Sälen ist genü- gend Platz für ein oder auch zwei Lebens- werke. Zum Beispiel für die Sammlung von Kostümbildner Tirelli, die unter anderem das violette Meisterwerk aus Stoff beinhal- tet, das Tirelli einst für Romy Schneider in Luchino Viscontis „Ludwig II“ schneider- te. Und es ist auch Platz für Ligabues Leben in Form von Fotografien, Briefen an seine Pflegemutter und eine jährlich wechseln- de Ausstellung mit Gemälden und Skulptu- ren; gezeigt wird, was die Leihgeber groß- zügig gewähren. Das funktioniert gut, wie Fraimini erzählt. Lediglich die wachsende Berühmtheit Ligabues macht dem Muse- um zu schaffen, da mit dem Bekanntheits- grad die Versicherungssummen steigen. Die Werke spiegeln Ligabues Seelenle- ben wider. Der Außenseiter, der sich im- mer lieber mit Tieren als mit Menschen be- schäftigt, malte Tiger im Kampf mit Schlangen, Leoparden, scheuende Pferde- gespanne vor dunkel drohendem Himmel. Immer wieder spielt der Kampf zwischen Ungleichen eine Rolle: Ein Wiesel springt einen Hasen an, Jagdhunde attackieren ein Wildschwein, ein Leopard jagt eine Ga- zelle. Fast naiv wirken die Bilder, doch es fehlt die unbeschwerte Idylle. Die Unruhe zeigt sich in den Selbstporträts eines hage- ren Mannes mit Hakennase, tief liegenden Augen und oft einer Wunde auf der Stirn, die er sich angeblich selbst zufügte. Gemäl- de von Vincent van Gogh oder Henri Rous- seau kommen einem in den Sinn. Wie schwierig die Beziehung zwischen dem Dorf und Ligabue war, das erfährt man in der Casa Museo Antonio Ligabue, die Giuseppe Caleffi hütet, einem Häus- chen am Rand des Dorfes. „Ich habe ent- deckt, dass ich eine Beziehung zu ihm ha- be“, erklärt Caleffi. Sein Onkel sei einer der Wenigen gewesen, die sich zu Lebzeiten um Ligabue gekümmert hätten. „Er war der Einzige, der ihn verstanden hat, menschlich und künstlerisch“, erzählt Ca- leffi. So habe Ligabue nach einer negativen Kritik einmal zu seinem Onkel gesagt: „Ich weiß, wer ein guter Mensch ist.“ Caleffi be- richtet auch, dass Ligabue die Käufer sei- ner Werke gelegentlich vor den Kopf stieß: Wenn sich nämlich Leute für ein Gemälde interessierten, führte er sie kurzerhand in die Häuser, in denen schon Werke von ihm hingen oder nahm die Bilder als Anschau- ungsmaterial einfach wieder mit. Zudem musste Ligabue für die deutschen Besat- zer als Dolmetscher arbeiten, was ihm vie- le übel nahmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber wuchs die Anerkennung für den Künstler Ligabue – für seine Tierszenen, Selbstpor- träts und sogar Frauenporträts, obwohl er sich mit Frauen laut Caleffi schwertat. Ab Mitte der Fünfziger fanden größere Aus- stellungen mit Ligabues Werken statt, un- ter anderem in der Galleria La Barcaccia di Roma. Den Erfolg konnte Ligabue aber nicht lange genießen. 1965 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand und er starb dort, wo er 46 Jahre zuvor angekommen war, im Hospital neben dem Armenhaus. Kurz vor seinem Tod hatte er seine Umge- bung ein letztes Mal überrascht: Er hatte sich taufen lassen. Um das Vermächtnis von Antonio Liga- bue kümmert sich heute die Stiftung Fon- dazione Archivio Antonio Ligabue in Par- ma, die auch die aktuelle Ausstellung zu Li- gabue im Palazzo Tarasconi organisiert hat. Deren Präsident Augusto Agosta Tota nennt Ligabue einen mythischen Mann, in dessen Leben Empathie, nicht Logik, die größte Rolle spielte. Der Kampf ums Leben bestimmte Ligabues Handeln, so Tota. Li- gabues Ängste greift auch Giorgio Diritti in seiner Filmbiografie auf, die 2020 bei der Berlinale gezeigt wurde: „Volevo nascon- dermi“ – ich wollte mich verstecken. Dauerausstellung in Gualtieri: www.museo-liga- bue.it; www.comune.gualtieri.re.it. In Parma läuft die Ausstellung „Ligabue & Vitaloni. Dare Voce Alla Natura“ im Palazzo Tarasconi voraussichtlich bis 30. Mai 2021; www.fondazionearchivioliga- bue.com; www.parma2020.it Früher lag das Dorf Tredozio in der Toska- na, erzählt Beatrice Fontaine. Bis Mussoli- ni seine Heimatregion vergrößern wollte, und den Streifen Toskana der Emilia-Ro- magna zuschlug. Das ist jetzt fast 100 Jah- re her, aber ein Toskana-Gefühl ist geblie- ben, sanfte Hügel, kleine Höfe und Säulen- zypressen rahmen das eng zusammenge- baute Dorf Tredozio, das für seine Schuh- absätze und hochklassigen Reitstiefel be- kannt wurde. Der Palazzo Fantini der Fami- lie Fontaine fällt in der Hauptstraße mit ih- ren eng aneinander gebauten Häusern kaum auf. Doch hinter dem Tor öffnet sich die Welt der Gutsherrschaft. Stallungen, Innenhöfe, Werkstätten, die in ein Mini-Museum verwandelt wur- den, die Mauern sind gelb und rot ge- streift, dahinter zieht sich ein Garten den Hang hinauf, zunächst mit schön von Buchs eingefassten Blumenbeeten, dann mit einer Baumregion mit Zedern und ei- nem Englischen Garten. Früher verbrach- te Beatrice Fontaine ihre Sommer hier. Vor 30 Jahren hat die Familie die Innenhöfe und den Park für Besucher geöffnet. „Wir waren zunächst skeptisch, aber es funktio- niert gut“, sagt Fontaine. Eines zeigt sich nämlich – Schönheit bleibt Schönheit, und die Menschen lieben grüne Orte. Nun geht es für Fontaine darum, wie sie dieses Erbe in die Zukunft trägt. „Man braucht viel Geld, aber ich möchte das Anwesen für die italienische Kultur und ihre Traditionen be- wahren.“ Ein Schritt ist schon gemacht: Ei- nen der kleinen Höfe, die früher zum Gut gehörten, hat sie in ein Ferienhaus umge- wandelt. Ein Nachbar zieht jetzt nach. Et- was Tourismus, das sei gut, findet Fon- taine. Aber noch sind Gäste am Abend im Restaurant von Tredozio, in dem selbstver- ständlich gut gekocht wird, eher Exoten. Ein Tal weiter versucht auch Marco Cire- se, das Erbe seiner Familie für die Zukunft aufzustellen. Das Weingut Pandolfa, was so viel wie Wolfsrudel heißt, liegt bei Fiu- mana di Predappio. Cireses Urgroßvater hat das Gut mit seiner prächtigen Zufahrts- allee und dem nicht minder prächtigen Herrenhaus 1941 gekauft, damals, als viele alteingesessene Familien mit ihrem Besitz nicht mehr zurechtkamen. Die Großmut- ter Noelia Ricci investierte später in den Keller – und auf ihre Tradition der Erneue- rung beruft sich jetzt der Enkel. Es gibt im- mer noch die Pandolfa-Weine, doch unter dem Namen der Großmutter hat er 2010 ei- ne eigene Weinlinie begonnen. Eines sei- ner Ziele: „Wir wollten den Sangiovese in seiner ganzen Reinheit machen, die Trau- be wieder adeln und veredeln.“ Vor 30 Jah- ren hielt man einen dunklen, kräftigen San- giovese für ideal, Cirese dagegen will den echten Geschmack der Traube zulassen. Dafür nutzt Cirese vor allem die Reben in den höheren Lagen des Geländes, das bis auf 340 Meter Seehöhe reicht. Dort ist der Boden sandig, teils aus Kalk. „Der Ertrag ist geringer als im Tal, aber der interessanteste Boden ist oben am Hü- gel“, sagt Cirese. Neben dem Sangiovese produzieren sie auf dem Gut für die Ricci- Linie noch Trebbiano. Und weil Cirese ge- lernter Kommunikationsexperte ist, hat er den Weinen auch eine Geschichte mitgege- ben, die beim Internetauftritt beginnt und bei den Flaschen endet. Die Etiketten zei- gen die Tierzeichnungen aus dem 19. Jahr- hundert, damit ist die Verbindung zur Na- tur gegeben. Den Sangiovese ziert eine Wespe, eine Reminiszenz an das Insekt, das steter Gast in den Weinbergen ist. Der Wal auf dem Trebbiano verweist darauf, dass das Land von Pandolfa einst von Meer bedeckt war. Und über die Visitenkarte von Marco Cirese marschiert ein Wolf. Ver- mutlich in die Zukunft. johanna pfund Giardino Italiano: www.palazzofantini.net; Wein- gut: www.noeliaricci.com Der arme Teufel Der Maler Antonio Ligabue und das Dorf Gualtieri taten sich schwer miteinander. Das ändert sich nun Italien-Serie Wer durch Parma geht, kommt an Marie- Louise von Österreich nicht vorbei. An ei- ner Hausfassade gegenüber des Palazzo della Pilotta flattert ein Banner, das auf ei- ne Ausstellung über die Habsburgerin hin- weist. Einige Schritte weiter lädt das Tea- tro Regio, das sie bauen ließ, zu einem Be- such ein. Viele Familien aus der Stadt ha- ben dort ihren festen Platz und ihr Hinter- zimmer, in dem man sich in den Pausen trifft, denn Musik ist in der Stadt, in der Giuseppe Verdi wirkte, Kulturgut für alle. Im Palazzo della Pilotta, der von außen mehr einer Festung als einem Palast gleicht, befindet sich die Bibliothek, die Marie-Louise der Öffentlichkeit zugäng- lich gemacht hat. Auch Krankenhäuser hat sie in ihrer Herrschaftszeit (1815 bis 1847) etabliert. Bis heute wird sie dafür als „gute Herzogin“ geliebt. Den Erneuerungs- schub, den Marie-Louise der Stadt gab, hat sich Parma auch als Kulturhauptstadt Itali- ens 2020 und 2021 verordnet. Mit einem ungeahnt aktuellen Motto: Zeit. Die Corona-Pandemie hat die Pläne zer- schlagen, Veranstaltungen müssen ver- schoben oder digitalisiert werden. Soziale und kulturelle Teilhabe werden ins Virtuel- le verlagert. „Unsere Wahrnehmung des Konzepts Zeit hat sich stark geändert“, er- zählt Kulturreferent Michele Guerra bei ei- nem Gespräch. „Wir waren im Frühjahr ein- gesperrt in unsere Häuser, aber wir haben immer weiter gearbeitet.“ Guerra denkt über ein anderes Motto nach: „La cultura che cura“ – die Kultur, die heilt. In der Tat hat sich Parma immer wieder neu erfunden. Zu Recht ist man zwar stolz auf die Kultur des Essens, auf Schinken und Käse, die in der Luft an den Abhängen des Apennins reifen. Doch seit der Zeit der Römer, die mit der Via Emilia die bis heute wichtige Verbindungsstraße zwischen Ri- mini und Piacenza bauten, hinterließen die jeweiligen Herrscher immer herausra- gende Kulturdenkmäler, die jedoch immer wieder von Neuem abgelöst wurden. Eines ist das Baptisterium, ein achtecki- ges Wunder aus dem 12. Jahrhundert, di- rekt neben der Kathedrale, aber separat ge- legen, ein Sinnbild dafür, dass ziviles und religiöses Leben in Parma schon früh aus- einandergehalten wurden. Bildhauer Bene- detto Antelami, der für die Kathedrale die berühmte Skulptur der Kreuzabnahme Christi geschaffen hat, gestaltete auch die Monatsbilder, die rundum an den Wänden des Baptisteriums laufen. Sie schildern, wie man in Parma wirtschaftete. Das Kel- tern des Weins ist zu sehen, das Schlachten der Schweine im Winter. Den Januar ver- tritt der zweigesichtige Janus, der zurück- blickt in die Vergangenheit und zugleich voraus in die Zukunft. Was einmal neu war, wird alt. Das muss- ten auch die Familie der Farnese, aus der Papst Paul III. stammte, feststellen. Sie schuf den Komplex des Palazzo della Pilot- ta. Das Theater im Palast war seinerzeit Avantgarde. „Es war einzigartig, die Vor- wegnahme des Operntheaters“, erzählt Stadtführerin Sara Dallacasagrande. So- gar Seeschlachten, natürlich mit dem Her- zog als Hauptdarsteller, fanden in dem mit Holz getäfelten Theater statt. Und doch war irgendwann die Zeit dieses riesigen Theaters vorbei: Herzogin Marie-Louise, die einstige Gattin Napoleons, ließ als Alter- native das Teatro Regio errichten. Das wirkt heute wieder aus der Zeit gefallen, aber unerbittlich aktuell ist die Sonnen- uhr, die Marie-Louise an der Fassade des Palazzo del Governatore anbringen ließ. Wie die Habsburgerin, so stellte sich auch Parma als Kulturhauptstadt Italiens die Frage, wohin man sich entwickeln will. Ein erster Schritt zur Erneuerung war das Logo. Sollte man das „P“ für Parma in der Schriftart darstellen, die Giambattista Bo- doni hier entwickelte und die im 18. Jahr- hundert in Europa wegweisend wurde? 2015, als Parma von der Unesco in den Rang einer Kreativstadt der Gastronomie erhoben wurde, hatte der kürzlich gestor- bene Designer Franco Maria Ricci diese Schriftart für das Logo verwendet. Parma entschied sich aber für den zeitgenössi- schen Entwurf eines deutschen Designers, ein glattes, schwarzes „P“ mit gefülltem Halbrund. „Das hat heftige Diskussionen in der Stadtausgelöst“, erzählt Dallacasag- rande. Unstrittig war zumindest die Farbe, die das „P“ begleitet: Das Gelb war immer die Farbe der Herrscher Parmas. So schaut das Logo zugleich zurück und auch nach vorne, wie der Gott Janus im Baptisterium. Im Rückblick auf das erste Jahr als Kul- turhauptstadt wird Kulturreferent Guerra nachdenklich. „Das Programm ist das glei- che geblieben. Nur wir sind anders.“ Ihrem Komponisten Giuseppe Verdi konnte die Stadt mit der Reihe „Verdi im Park“ immer- hin einige Veranstaltungen widmen. Die Fornasetti-Ausstellung im Palazzo della Pi- lotta wurde eröffnet; die Schau „Hospita- le“, die Rückschau in die Geschichte und zu- gleich Vorschau war, konnte weitgehend stattfinden. Zum Glück, denn eines ist Gu- erra wichtig: Jeder Bürger sollte regelmä- ßig die Chance haben, an einem kulturel- len Ereignis teilzunehmen. Und wenn die Nationalgalerie im Palazzo della Pilotta ge- öffnet hat, können die Einwohner die Iko- ne der Stadt bewundern, die auch schon Ti- ckets der Alitalia geziert hat: die „Türki- sche Sklavin“ des Malers Parmigianino. Die Freude an diesem Gemälde hat im Par- ma die Zeit überdauert. johanna pfund Im Netz: www.parma2020.it Goldene Becher Die Emilia-Romagna legt Wert auf den richtigen Wein Die Schweiz wies den 20-Jährigen in die Heimat seines Stiefvaters aus Über das Logo ist in der Stadt heftig gestritten worden Mit dem Wolfsrudel in die Zukunft Palazzi und Weingüter sind großartig, aber die Erben brauchen auch neue Ideen Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne Parma bleibt auch 2021 Kulturhauptstadt Italiens Marco Cirese will unverfälschten Sangio- vese produzieren. FOTO: PFUND In der Poebene zeigt sich Ligabue im „Selbstporträt mit rotem Schal“ (1958). Ein Kampf auf Leben und Tod tobt im Bild „Schwarze Witwe“ (1951). BILDER: COURTESY FONDAZIONE ARCHIVIO ANTONIO LIGABUE DI PARMA UNBEKANNTES ITALIEN II Verantwortlich: Peter Fahrenholz Redaktion: Johanna Pfund Anzeigen: Jürgen Maukner EMILIA ROMAGNA LOMBARDEI MARKEN TOSKANA UMBRIEN VENETIEN Emilia-Romagna Toskana Veneto Lombardei Umbrien Marken Parma Gualtieri Tredozio Rimini Monte San Vito Forlimpopoli SAN MARINO 50 km SZ-Karte/Maps4News Adria ITALIEN 20 UNBEKANNTES ITALIEN II SZ SPEZIAL Mittwoch, 30. Dezember 2020, Nr. 301 DEFGH In Parma grenzt ein wunderbares Bauwerk an das andere: links die Kathedrale, rechts das Baptisterium. FOTO: MAURITIUS

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Page 1: Der Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne Teufel · 2021. 1. 14. · Diese zweite Ausgabe der Serie Unbe-kanntes Italien ist der Mitte des Landes gewidmet, der Gegend zwischen dem

Diese zweite Ausgabe der Serie „Unbe-

kanntes Italien“ ist der Mitte des Landes

gewidmet, der Gegend zwischen dem Po

und den Bergen des nördlichen Apennin.

Voraussichtlich Ende Januar erscheint der

dritte Teil mit Geschichten aus dem Nor-

den Italiens. Den Schlusspunkt setzt im

März eine weitere Ausgabe zu den großen

Inseln Sardinien und Sizilien.

Der Legende nach verdankt der Ort Berti-noro seinen Namen der Kaisertochter Gal-la Placidia. Irgendwann im 5. Jahrhundertsoll sie hier amNordosthang des ApenninsWein gekostet und danach ausgerufen ha-ben: „berti in oro“, man solle diesen Weinaus goldenen Bechern trinken. Die LiebezumWein ist geblieben, in dem Ort gibt esheute immer noch um die 20 Kellereien,dieunteranderemdieautochthoneRebsor-te Albana anbauen. Daneben gibt es aufdem Dorfplatz, der nicht weniger als einefantastischeAussichtsterrasseüberdieRo-magna ist, eineBesonderheit ausdemMit-telalter, die Säule der Gastfreundschaft.Damals waren Reisende äußerst willkom-men, brachten sich doch Neuigkeiten mit.Um Streit übers Gastrecht zu vermeiden,brachten die wichtigen Familien des OrtesEisenringe an der Säule an, die jeweils ei-ner Familie zugeordnet waren. Band einReisender seinPferd an einenRing, gehör-te er sozusagen der entsprechenden Fami-lie. Von diesem Brauch ist man abgekom-men, aberumdengutenRufdesWeines istman immer noch bemüht.

Wie groß die Bandbreite ist, das lässtsich nicht weit entfernt von Bertinoro, inDozzaerkunden. ImKellerderFestungbe-

findet sich der regionale Weinkeller derEmilia-Romagna. Und wer den Unter-schiedzwischenderRomagnaundderEmi-lia nicht verstanden hat, der versteht ihnspätestens hier bei einem kleinen Vortrag.DieEmilia,daswarendiegroßenLänderei-en in der Poebene, oft von Klöstern kulti-viert, die die Sümpfe trockenlegten undFlächen für die Milchwirtschaft schufen.Hier aßman Schwein, Rind undKäse, eherfettes Essen, und dazu gab es perlendenWein, den Malvasier etwa oder den Lam-brusco,auchdenPignoletto.DerSangiove-se hingegen, heißt es, der hätte nie in derEmiliageborenwerdenkönnen.DieseReb-sorte gehört zur Romagna, die von einsti-gen römischen Soldaten besiedelt wurde,und die aßen bescheidener: den Fisch derAdria, SchafundOliven; derEinflussRomsmacht sich bis heute bemerkbar. (Infos:www.enotecaemiliaromagna.it;www.visit-bertinoro.it) pfu

von johanna pfund

Das ist also Gualtieri. Ruhige Seiten-straßen mit zweistöckigen Häu-sern, gut 6000 Einwohner, ein

Schild weist es als Mitglied der Vereini-gungder schönstenDörfer Italiens, I borg-hi più belli d’Italia, aus. Der Andrang imHerbst ist überschaubar, kaum jemand istunterwegs. Nur der Renaissance-Palast,dermit seinen hundertMetern Länge eineganze Seite der quadratischen Piazza ein-nimmt, zeugt davon, dass jemand hiereinst Großes vorhatte. Die Familie Benti-voglio hat den Ort in der frühen Neuzeitausgebautund ihnvordenWasserndesna-hen Po geschützt. Nur wenige Kilometerentfernt, in Brescello, wurden die Filmeüber Don Camillo und Peppone gedreht.Brescello wurde damit bekannt, Gualtierihingegen wurde erst in den vergangenenJahrenbekannter–durchdenMalerAnto-nio Ligabue. Doch zu Lebzeiten tat mansich schwermit ihm.

Antonio Laccabue, so der richtige Na-me, trafkurznachdemErstenWeltkrieg inGualtieriein.Manahntenicht,dassder jun-ge Mann ein Talent zumMalen besaß unddassseineGeschichteeinmalverfilmtwür-de. Denn der damals kaum 20-Jährige warein Ausgestoßener. Er war als Sohn einerWanderarbeiterin in der Schweiz geborenwordenundwurde ineinePflegefamiliege-geben, nachdem seineMutter einen italie-nischen Wanderarbeiter, Bonfiglio Lacca-bue, geheiratet hatte. Der junge Antoniowurde verhaltensauffällig, er flog von derSchule wegen „Sittenlosigkeit“, undschließlich, da die Mutter bereits gestor-ben war, wies ihn die Schweiz aus – nachGualtieri, in denHeimatort seines Stiefva-ters.Sokamer inderPoebenean,einmerk-würdigerMann, der nur Deutsch sprach.

Wieder hatte der jungeAntonio Schwie-rigkeiten, sich anzupassen. Mal wohnte erimArmenhaus,mal im Stall. Oder er haus-te ineinerHütte indenAuendesPo. SeinenStiefvater hasste er, deshalb nannte er sichLigabue. Die Kinder des Ortes hattenAngst vor ihm wegen seiner Grimassenund merkwürdigen Gepflogenheiten, wie

der bekannte Kostümbildner Umberto Ti-relli, der inGualtieri aufgewachsen ist, spä-ter schrieb. Zunächst hielt sich Ligabue alsTagelöhnerüberWasser, bisderMalerMa-rinoMazzacurati Endeder ZwanzigerjahreLigabues Talent entdeckte. Seine PositionimOrt blieb aber schwierig.

„Er war ein armer Teufel, er hatte einKommunikationsproblem“, sagt LauraFraimini, die das Ligabue-Museum imPa-lazzo Bentivoglio hütet. In den prachtvol-len, mit Fresken aus dem 16. und 17. Jahr-hundert ausgestatteten Sälen ist genü-gend Platz für ein oder auch zwei Lebens-werke.ZumBeispiel fürdieSammlungvonKostümbildner Tirelli, die unter anderemdasvioletteMeisterwerkausStoffbeinhal-tet, das Tirelli einst für Romy Schneider inLuchino Viscontis „Ludwig II“ schneider-te.Undes ist auchPlatz fürLigabuesLebenin Form von Fotografien, Briefen an seinePflegemutter und eine jährlich wechseln-deAusstellungmitGemäldenundSkulptu-ren; gezeigt wird, was die Leihgeber groß-zügig gewähren. Das funktioniert gut, wieFraimini erzählt. Lediglich die wachsendeBerühmtheit Ligabues macht dem Muse-umzu schaffen, damit demBekanntheits-grad die Versicherungssummen steigen.

Die Werke spiegeln Ligabues Seelenle-ben wider. Der Außenseiter, der sich im-mer liebermitTierenalsmitMenschenbe-schäftigt, malte Tiger im Kampf mitSchlangen, Leoparden, scheuende Pferde-gespanne vor dunkel drohendemHimmel.Immer wieder spielt der Kampf zwischenUngleichen eine Rolle: Ein Wiesel springteinen Hasen an, Jagdhunde attackiereneinWildschwein, ein Leopard jagt eineGa-zelle. Fast naiv wirken die Bilder, doch esfehlt die unbeschwerte Idylle. Die Unruhezeigt sich indenSelbstporträts eineshage-renMannesmit Hakennase, tief liegendenAugen und oft einer Wunde auf der Stirn,

dieer sichangeblichselbst zufügte.Gemäl-de von Vincent vanGogh oder Henri Rous-seau kommen einem in den Sinn.

Wie schwierig die Beziehung zwischendem Dorf und Ligabue war, das erfährtman in der Casa Museo Antonio Ligabue,die Giuseppe Caleffi hütet, einem Häus-chen am Rand des Dorfes. „Ich habe ent-deckt, dass ich eine Beziehung zu ihm ha-be“, erklärt Caleffi. SeinOnkel sei einer derWenigen gewesen, die sich zu Lebzeitenum Ligabue gekümmert hätten. „Er warder Einzige, der ihn verstanden hat,menschlich und künstlerisch“, erzählt Ca-leffi. So habeLigabuenach einernegativenKritik einmal zu seinemOnkel gesagt: „Ichweiß,wer ein guterMensch ist.“ Caleffi be-richtet auch, dass Ligabue die Käufer sei-nerWerke gelegentlich vor den Kopf stieß:Wenn sich nämlich Leute für ein Gemälde

interessierten, führte er sie kurzerhand indie Häuser, in denen schonWerke von ihmhingen oder nahm die Bilder als Anschau-ungsmaterial einfach wieder mit. Zudemmusste Ligabue für die deutschen Besat-zer als Dolmetscher arbeiten, was ihmvie-le übel nahmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg aberwuchs die Anerkennung für den KünstlerLigabue – für seine Tierszenen, Selbstpor-träts und sogar Frauenporträts, obwohl ersich mit Frauen laut Caleffi schwertat. AbMitte der Fünfziger fanden größere Aus-stellungenmit LigabuesWerken statt, un-ter anderem in der Galleria La Barcaccia diRoma. Den Erfolg konnte Ligabue abernicht langegenießen. 1965 verschlechtertesich seinGesundheitszustand und er starbdort, wo er 46 Jahre zuvor angekommenwar, im Hospital neben dem Armenhaus.Kurz vor seinem Tod hatte er seine Umge-bung ein letztes Mal überrascht: Er hattesich taufen lassen.

Um das Vermächtnis von Antonio Liga-bue kümmert sich heute die Stiftung Fon-dazione Archivio Antonio Ligabue in Par-ma,dieauchdieaktuelleAusstellungzuLi-gabue im Palazzo Tarasconi organisierthat. Deren Präsident Augusto Agosta Totanennt Ligabue einenmythischenMann, indessen Leben Empathie, nicht Logik, diegrößteRolle spielte.DerKampfumsLebenbestimmte Ligabues Handeln, so Tota. Li-gabuesÄngste greift auchGiorgioDiritti inseiner Filmbiografie auf, die 2020 bei derBerlinale gezeigt wurde: „Volevo nascon-dermi“ – ich wolltemich verstecken.

Dauerausstellung in Gualtieri: www.museo-liga-bue.it; www.comune.gualtieri.re.it. In Parma läuftdie Ausstellung „Ligabue & Vitaloni. Dare Voce AllaNatura“ im Palazzo Tarasconi voraussichtlich bis30. Mai 2021; www.fondazionearchivioliga-bue.com; www.parma2020.it

Früher lag dasDorf Tredozio in der Toska-na, erzählt Beatrice Fontaine. Bis Mussoli-ni seine Heimatregion vergrößern wollte,und den Streifen Toskana der Emilia-Ro-magna zuschlug. Das ist jetzt fast 100 Jah-re her, aber ein Toskana-Gefühl ist geblie-ben, sanfteHügel, kleineHöfeundSäulen-zypressen rahmen das eng zusammenge-baute Dorf Tredozio, das für seine Schuh-absätze und hochklassigen Reitstiefel be-kanntwurde.DerPalazzoFantiniderFami-lieFontaine fällt inderHauptstraßemit ih-ren eng aneinander gebauten Häusernkaumauf. Doch hinter demTor öffnet sichdieWelt der Gutsherrschaft.

Stallungen, Innenhöfe, Werkstätten,die in ein Mini-Museum verwandelt wur-den, die Mauern sind gelb und rot ge-streift, dahinter zieht sich ein Garten denHang hinauf, zunächst mit schön vonBuchs eingefassten Blumenbeeten, dannmit einer Baumregion mit Zedern und ei-nem Englischen Garten. Früher verbrach-te Beatrice Fontaine ihre Sommer hier. Vor30 Jahren hat die Familie die Innenhöfeund den Park für Besucher geöffnet. „Wirwaren zunächst skeptisch, aber es funktio-niert gut“, sagt Fontaine. Eines zeigt sich

nämlich – Schönheit bleibt Schönheit, unddieMenschen lieben grüne Orte. Nun gehtes für Fontaine darum, wie sie dieses Erbein die Zukunft trägt. „Man braucht vielGeld, aber ichmöchte das Anwesen für dieitalienischeKulturund ihreTraditionenbe-wahren.“ Ein Schritt ist schongemacht: Ei-nen der kleinen Höfe, die früher zum Gutgehörten, hat sie in ein Ferienhaus umge-wandelt. Ein Nachbar zieht jetzt nach. Et-was Tourismus, das sei gut, findet Fon-taine. Aber noch sind Gäste am Abend imRestaurant vonTredozio, indemselbstver-ständlich gut gekocht wird, eher Exoten.

EinTalweiter versuchtauchMarcoCire-se, das Erbe seiner Familie für die Zukunftaufzustellen. Das Weingut Pandolfa, wasso viel wie Wolfsrudel heißt, liegt bei Fiu-mana di Predappio. Cireses UrgroßvaterhatdasGutmit seinerprächtigenZufahrts-allee und dem nicht minder prächtigenHerrenhaus 1941 gekauft, damals, als vielealteingesessene Familienmit ihremBesitznicht mehr zurechtkamen. Die Großmut-ter Noelia Ricci investierte später in denKeller–undauf ihreTraditionderErneue-rungberuft sich jetzt derEnkel. Es gibt im-mer noch die Pandolfa-Weine, doch unter

demNamenderGroßmutterhater2010ei-ne eigene Weinlinie begonnen. Eines sei-ner Ziele: „Wir wollten den Sangiovese inseiner ganzen Reinheit machen, die Trau-bewieder adeln und veredeln.“ Vor 30 Jah-renhieltmaneinendunklen,kräftigenSan-

giovese für ideal, Cirese dagegen will denechten Geschmack der Traube zulassen.Dafür nutzt Cirese vor allem die Reben inden höheren Lagen des Geländes, das bisauf 340 Meter Seehöhe reicht. Dort ist derBoden sandig, teils aus Kalk.

„Der Ertrag ist geringer als im Tal, aberder interessanteste Boden ist oben amHü-gel“, sagt Cirese. Neben dem Sangioveseproduzieren sie auf dem Gut für die Ricci-Linie noch Trebbiano. Und weil Cirese ge-lernter Kommunikationsexperte ist, hat erdenWeinenaucheineGeschichtemitgege-ben, die beim Internetauftritt beginnt undbei den Flaschen endet. Die Etiketten zei-gendie Tierzeichnungen aus dem19. Jahr-hundert, damit ist die Verbindung zur Na-tur gegeben. Den Sangiovese ziert eineWespe, eine Reminiszenz an das Insekt,das steter Gast in den Weinbergen ist. DerWal auf dem Trebbiano verweist darauf,dassdas LandvonPandolfa einst vonMeerbedeckt war. Und über die VisitenkartevonMarcoCiresemarschiert einWolf. Ver-mutlich in die Zukunft. johanna pfund

Giardino Italiano: www.palazzofantini.net; Wein-gut: www.noeliaricci.com

DerarmeTeufel

Der Maler Antonio Ligabueund das Dorf Gualtieri taten

sich schwer miteinander.Das ändert sich nun

Italien-Serie

Wer durch Parma geht, kommt an Marie-Louise von Österreich nicht vorbei. An ei-ner Hausfassade gegenüber des Palazzodella Pilotta flattert ein Banner, das auf ei-neAusstellungüberdieHabsburgerin hin-weist. Einige Schritte weiter lädt das Tea-tro Regio, das sie bauen ließ, zu einem Be-such ein. Viele Familien aus der Stadt ha-ben dort ihren festen Platz und ihr Hinter-zimmer, in dem man sich in den Pausentrifft, denn Musik ist in der Stadt, in derGiuseppe Verdi wirkte, Kulturgut für alle.Im Palazzo della Pilotta, der von außenmehr einer Festung als einem Palastgleicht, befindet sich die Bibliothek, dieMarie-Louise der Öffentlichkeit zugäng-lich gemacht hat. AuchKrankenhäuser hatsie in ihrer Herrschaftszeit (1815 bis 1847)etabliert. Bis heutewird sie dafür als „guteHerzogin“ geliebt. Den Erneuerungs-schub,denMarie-LouisederStadt gab,hatsichParmaauchalsKulturhauptstadt Itali-ens 2020 und 2021 verordnet. Mit einemungeahnt aktuellenMotto: Zeit.

DieCorona-PandemiehatdiePläne zer-schlagen, Veranstaltungen müssen ver-schoben oder digitalisiert werden. SozialeundkulturelleTeilhabewerden insVirtuel-le verlagert. „Unsere Wahrnehmung desKonzepts Zeit hat sich stark geändert“, er-zähltKulturreferentMicheleGuerrabei ei-nemGespräch. „Wirwaren imFrühjahrein-gesperrt in unsere Häuser, aber wir habenimmer weiter gearbeitet.“ Guerra denktüber ein anderes Motto nach: „La culturache cura“ – die Kultur, die heilt.

In der Tat hat sich Parma immerwiederneu erfunden. Zu Recht ist man zwar stolzauf die Kultur des Essens, auf SchinkenundKäse, die in der Luft an den Abhängendes Apennins reifen. Doch seit der Zeit derRömer, diemit der Via Emilia die bis heutewichtige Verbindungsstraße zwischen Ri-mini und Piacenza bauten, hinterließendie jeweiligen Herrscher immer herausra-gendeKulturdenkmäler, die jedoch immerwieder von Neuem abgelöst wurden.

Eines ist dasBaptisterium, einachtecki-ges Wunder aus dem 12. Jahrhundert, di-rektnebenderKathedrale, aber separatge-legen, ein Sinnbild dafür, dass ziviles undreligiöses Leben in Parma schon früh aus-einandergehaltenwurden.BildhauerBene-detto Antelami, der für die Kathedrale dieberühmte Skulptur der KreuzabnahmeChristi geschaffen hat, gestaltete auch dieMonatsbilder, die runduman denWändendes Baptisteriums laufen. Sie schildern,wie man in Parma wirtschaftete. Das Kel-terndesWeins ist zu sehen, das Schlachtender Schweine im Winter. Den Januar ver-tritt der zweigesichtige Janus, der zurück-blickt in die Vergangenheit und zugleichvoraus in die Zukunft.

Waseinmalneuwar,wirdalt.Dasmuss-ten auch die Familie der Farnese, aus derPapst Paul III. stammte, feststellen. SieschufdenKomplexdesPalazzodellaPilot-

ta. Das Theater im Palast war seinerzeitAvantgarde. „Es war einzigartig, die Vor-wegnahme des Operntheaters“, erzähltStadtführerin Sara Dallacasagrande. So-gar Seeschlachten, natürlichmit demHer-zog alsHauptdarsteller, fanden in demmitHolz getäfelten Theater statt. Und dochwar irgendwann die Zeit dieses riesigenTheaters vorbei: Herzogin Marie-Louise,dieeinstigeGattinNapoleons, ließalsAlter-native das Teatro Regio errichten. Daswirkt heute wieder aus der Zeit gefallen,aber unerbittlich aktuell ist die Sonnen-uhr, die Marie-Louise an der Fassade desPalazzo del Governatore anbringen ließ.

Wie die Habsburgerin, so stellte sichauch Parma als Kulturhauptstadt Italiensdie Frage, wohinman sich entwickeln will.Ein erster Schritt zur Erneuerung war dasLogo. Sollte man das „P“ für Parma in derSchriftart darstellen, die Giambattista Bo-doni hier entwickelte und die im 18. Jahr-hundert in Europa wegweisend wurde?2015, als Parma von der Unesco in denRang einer Kreativstadt der Gastronomieerhoben wurde, hatte der kürzlich gestor-bene Designer Franco Maria Ricci dieseSchriftart für das Logo verwendet. Parmaentschied sich aber für den zeitgenössi-schen Entwurf eines deutschenDesigners,

ein glattes, schwarzes „P“ mit gefülltemHalbrund. „Das hat heftige Diskussioneninder Stadt ausgelöst“, erzähltDallacasag-rande. Unstrittig war zumindest die Farbe,die das „P“ begleitet: Das Gelb war immerdie Farbe der Herrscher Parmas. So schautdas Logo zugleich zurück und auch nachvorne,wie derGott Janus imBaptisterium.

Im Rückblick auf das erste Jahr als Kul-turhauptstadt wird Kulturreferent Guerranachdenklich. „DasProgrammistdasglei-che geblieben. Nurwir sind anders.“ IhremKomponisten Giuseppe Verdi konnte dieStadtmitderReihe„Verdi imPark“ immer-hin einige Veranstaltungen widmen. DieFornasetti-Ausstellung imPalazzodellaPi-lotta wurde eröffnet; die Schau „Hospita-le“,dieRückschau indieGeschichteundzu-gleich Vorschau war, konnte weitgehendstattfinden. ZumGlück, denn eines ist Gu-erra wichtig: Jeder Bürger sollte regelmä-ßig die Chance haben, an einem kulturel-len Ereignis teilzunehmen. Und wenn dieNationalgalerie imPalazzodellaPilotta ge-öffnet hat, können die Einwohner die Iko-nederStadtbewundern,dieauchschonTi-ckets der Alitalia geziert hat: die „Türki-sche Sklavin“ des Malers Parmigianino.Die Freude andiesemGemäldehat imPar-ma die Zeit überdauert. johanna pfund

Im Netz: www.parma2020.it

Goldene BecherDie Emilia-Romagna legt Wert auf den richtigen Wein

Die Schweiz wies den20-Jährigen in die Heimatseines Stiefvaters aus

Über das Logoist in der Stadt heftiggestritten worden

Mit demWolfsrudel in die ZukunftPalazzi und Weingüter sind großartig, aber die Erben brauchen auch neue Ideen

Ein Blick zurück,ein Blick nach vorneParma bleibt auch 2021 Kulturhauptstadt Italiens

Marco Cirese will unverfälschten Sangio-vese produzieren. FOTO: PFUND

In der Poebene zeigtsich Ligabue im „Selbstporträt

mit rotem Schal“ (1958).Ein Kampf auf Leben und

Tod tobt im Bild„Schwarze Witwe“ (1951).

BILDER: COURTESY FONDAZIONE ARCHIVIO

ANTONIO LIGABUE DI PARMA

UNBEKANNTES I TAL I EN I I

Verantwortlich: Peter Fahrenholz

Redaktion: Johanna Pfund

Anzeigen: Jürgen Maukner

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Adria

ITALIEN

20 UNBEKANNTES ITALIEN II SZ SPEZIAL Mittwoch, 30. Dezember 2020, Nr. 301 DEFGH

In Parma grenzt ein wunderbares Bauwerk an das andere: links die Kathedrale,rechts das Baptisterium. FOTO: MAURITIUS

Page 2: Der Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne Teufel · 2021. 1. 14. · Diese zweite Ausgabe der Serie Unbe-kanntes Italien ist der Mitte des Landes gewidmet, der Gegend zwischen dem

von fritz göttler

Ein majestätischer Anblick, für-wahr, für den sie alle zum Hafengekommen sind beim roten Son-nenuntergang, die Einwohnervon Rimini. Ein Volksereignis,

wie eine Sonnenfinsternis oder wenn einKomet über den Himmel zieht. Nach lan-gem Warten kommt sie dann heran gefah-ren, die Rex, der neue Luxusdampfer aufseiner Jungfernfahrt. „Der riesige Damp-fer, mit Lichtern übersät, gleitet an ihnenvorbei wie ein Märchentraum“, notiert Fe-derico Fellini im Treatment zu seinem Film„Amarcord“ 1973. „Droben in der Höhesieht man Menschen, Gestalten in Abend-kleidern, die nach unten schauen. Irgend je-mand ruft einen Gruß. Man hört Musik –die Herrschaften tanzen. Tittas Vater hatsich im Ruderboot aufgestellt, nimmt sei-nen Hut zu einem Gruß ab und steht bewe-gungslos da, ergriffen von dieser Visionvon Macht. Die Gradisca weint . . .“ Erst alsder Dampfer in der Ferne wieder am Ver-schwinden ist, erreichen seine Heckwellendie Küste.

Die Vorbeifahrt der Rex ist einer der ma-gischen Momente in „Amarcord“, es ist ei-ner der schönsten der Filmgeschichte über-haupt. Der Film ist Fellinis Geburtsstadt Ri-mini gewidmet, der Junge Titta ist dieHauptfigur, seine Erfahrungen mit dem Fa-schismus und mit den Frauen, an der Spit-ze die Stadtschönheit Gradisca, der er sichzu nähern versucht – in einem Kino natür-lich. Für den Film bekam Fellini einen Os-car, seinen vierten, nach „La Strada“, „DieNächte der Cabiria“, „Achteinhalb“. Unddann noch einen fürs Lebenswerk, kurz vorseinem Tod im Jahr 1993.

„Il Borgo“ sollte der Film heißen, damitwar das Viertel San Giuliano in Rimini ge-meint, dessen Atmosphäre in allen mögli-chen Winkeln seiner Filme zu spüren ist.Schon „I Vitelloni“, 1953, folgt einer GruppeJugendlicher, deren Leben in Rimini keineeigene Perspektive kennt, vom Stress desNichtstuns bestimmt ist – das wirkliche Le-ben scheint immer anderswo zu sein.„Amarcord“ bedeutet, 20 Jahre später, imlokalen Dialekt „Ich erinnere mich“.

Mit 19 hat Fellini Rimini verlassen, gingnach Rom, zum Film. An Rimini erinnert ersich in all seiner Widersprüchlichkeit,kleingeistig, schäbig, spießig, grotesk. „Ri-mini: ein Wort mit lauter vertikalen Stri-chen, kleinen Soldaten in einer Reihe. Ichkann nicht objektiv sein. Rimini ist ein ver-wickelter, beängstigender, zärtlicherMischmasch mit großem Atem, mit der

weiten Öffnung des Meers.“ Immer wiederkehrte er nach Rimini zurück, aber gedrehthat er keine einzige Szene dort. Natürlichist er in Rimini begraben, neben seinerFrau Giulietta Masina.

Fellinis Geist ist allgegenwärtig in Rimi-ni, auf Wandgemälden an den Häusern mitSzenen aus seinen Filmen, wie den be-rühmten Fontana-di-Trevi-Kuss von Ani-ta Ekberg und Marcello Mastroianni in „LaDolce Vita“. Um Fellinis hundertsten Ge-burtstag zu feiern im Januar 2020, wurdedas Kino Fulgor glanzvoll restauriert, vomlegendären Filmausstatter Dante Ferretti.Im Fulgor hat Fellini seinen allererstenFilm gesehen, „Maciste in der Unterwelt“.Das Kino soll Teil eines Fellini Museumswerden, zusammen mit dem Castel Sis-mondo. In den Straßen der Stadt sollen dieDekorbauten, die für „Amarcord“ konstru-iert wurden, auftauchen. Ein toller Fellini-Verdoppelungseffekt, typisch für seinenphantasmagorischen Realismus.

Bei seinen Exkursionen zurück nach Ri-mini hat Fellini natürlich im Grand Hotel lo-giert – als Junge war er immer an den Zaungekommen und hatte auf der Terrasse dorteinen ersten Eindruck des „Dolce Vita“ be-kommen, jener Mischung aus mondänerEleganz, Blasiertheit und Verführung,„das Märchen des Reichtums, des Luxus,des orientalischen Prunks“. Er hat imGrand Hotel immer wieder die Menschenbeobachtet und skizziert, prächtige Typen,die dann in vielen seiner Filme wieder auf-tauchen. Das prachtvolle „Buch der Träu-me“ ist ein unerschöpfliches Reservoir fürFellini-Filme, die nie gedreht wurden. ImGrand Hotel hat Fellini auch den Schlagan-fall erlitten, an dessen Folgen er dann imKrankenhaus in Rom starb im Jahr 1993.

Zu Rimini, zur Provinz hat Fellini ein ge-spaltenes Verhältnis. „Sein Ehrgeiz ist es,stets Kind zu bleiben“, beobachtet er amProvinzler. Er bleibt auf Distanz, zeichnetihn sarkastisch. Doch immer wird die Her-

ablassung ihnen gegenüber gebremstdurch verständnisvolle Liebe. Vielleicht,sagt er, „ist Provinzialismus nur, sich einzu-bilden, alles Wichtige passiert nur an Or-ten von New York an aufwärts. ,Amarcord‘wird ein wenig die Bedeutung einer Fla-schenpost haben, etwas wie die letztenHerzschläge einer Vernunft, einer freundli-chen Vernunft, bevor die Katastrophe ein-tritt“. Die Provinz ist ein universeller Ort,metaphysischer Art. Rimini ist überall.„Das borgo von ,Amarcord‘ ist nicht Rimi-ni. Ich bin nur zufällig Romagnolo und hal-te mich selbst für völlig römisch.“

Der majestätische Moment, wenn dieRex an den Einwohnern vorbeizieht, das istein Moment, von dem man wünscht, er mö-ge nie enden. Und der doch seine Schön-heit und Intensität aus der Gewissheitzieht, dass er nicht dauern kann. Ein wah-rer Kinomoment, Vergänglichkeit ist dasWesen des Kinos. Und das Kino bleibt fürFellini eine königliche Kunst.

Das Fellini-Museum ist noch im Werden.Doch ein anderes ist bereits imSeptembereröffnetworden: die Palazzi dell’Arte Rimi-ni, kurz Part, an der Piazza Cavour. Die bei-denGebäude aus dem 13. und 14. Jahrhun-dert bieten einen perfekten Rahmen fürzeitgenössische Kunst, darunter Werkevon Julian Schnabel oder VanessaBeecroftsowie von italienischen Künstlern wie Lu-ca Pignatelli oderMichelangelo Pistoletto.Die beachtliche Sammlung wird von derFondazione San Patrignano zur Verfügunggestellt; sie besteht aus Schenkungen vonPrivatpersonenwieKünstlern undGaleris-ten, die damit den Betrieb von San Patrig-nano unterstützen wollen, einer Instituti-on, die sich seit JahrzehntenumdieRehabi-litierung von Suchtkranken kümmert.(www.palazziarterimini.it)

Faenza liegt etwas vergessen an der ViaEmilia auf halber Strecke zwischen Riminiund Bologna. Mit dem Vergessen aber wür-de man Faenza Unrecht tun. In der Stadt be-findet sich eines der weltweit wichtigstenKeramikmuseen, das MIC. Denn Jahrhun-derte lang florierten hier dank der Tongru-ben in der Umgebung die Keramikwerk-stätten. Faenza wurde zum Symbol für dieMajolika-Technik und der Name stand Pa-te für den französischen Ausdruck für Ke-ramikkunst, Fayence.

1908 legte Gaetano Ballardini mit einerStiftung den Grundstein für das Internatio-nale Keramikmuseum (MIC) im einstigenKloster San Maglorio, inklusive Bibliothekund Schule. Seit 1938 veranstaltet das MICim zweijährigen Rhythmus einen Wettbe-werb der Keramikkunst, in dessen Rah-men der Faenza-Preis verliehen wird –und im Zuge dessen die etwa 50 000 Werkeumfassende Sammlung erweitert wird.Die Sammlung erzählt die Geschichte derKeramik, etruskische Stücke finden sichebenso wie chinesische Vasen, präkolumbi-anische Kunst aus Mittel- und Südameri-

ka oder Teller aus der Renaissance. EinCoup gelang dem damals schon betagtenGründer Ballardini nach dem Zweiten Welt-krieg. Das Museum war durch Kämpfeschwer in Mitleidenschaft gezogen wor-den; er schrieb an Künstler in aller Weltmit der Bitte, Werke zu spenden. Dieser Bit-te folgten Pablo Picasso und Henri Ma-tisse. Auch Werke von Chagall hat das MICdiesem Appell zu verdanken.

Die Keramikkunst wird bis heute ge-pflegt, um die 40 Betriebe gibt es in derStadt. Mirta Morigi zum Beispiel ist Faenzapur: Sie lernte hier und gründete 1963 imAlter von 21 Jahren ihre Werkstatt. Über ih-re Tassen und Vasen huschen Eidechsen,Frösche, Geckos, erhabene Pünktchen ge-ben ihrem Geschirr eine eigene Haptik.„Dekoration ist wichtig in Italien“, sagt sie.Aber ihre Werke verkauft sie auch nachAustralien, China, oder Korea. Ein Erfolg,vielleicht auch eine Folge dessen, dass dieZahl der Werkstätten schrumpft. „Die Weltder Keramik ist klein geworden“, sagt Mori-gi. So rückt man zusammen. (www.micfa-enza.org; www.mirtamorigi.it) pfu

Franco Maria Ricci hatte einen Lebens-traum: Er wollte einen Irrgarten bauen.Nach mehreren Jahren der Planung war es2015 soweit: Der Designer und Verleger er-öffnete in Fontanellato bei Parma auf demGelände seiner Familie ein weitläufigesMuseumsareal mit einem ebenso weitläufi-gen Bambuslabyrinth, die von oben gese-

hen einen achteckigen Stern bilden. DieGeometrie ist streng, die Wege sind recht-winklig, die Gebäude formen ein Quadrat,mit einer Pyramide als krönendemSchlusspunkt. Der Perfektionist Ricci, derim September gestorben ist, hat sich damitein Denkmal gesetzt. Bambus wählte Ricciwegen seiner Schnellwüchsigkeit; nur so,das war ihm bewusst, konnte er in wenigenJahren das Werk verwirklichen. Der Irrgar-ten war für ihn Sinnbild des Lebens, mit Ab-zweigungen, die in eine Sackgasse führenund Wegen, die sich als richtig erweisen,obwohl man das Ende nicht sieht.

Der angrenzende Gebäudekomplex be-herbergt all das, was der Kunstfreund imLaufe seines Lebens angesammelt hat: Por-träts aus mehreren Jahrhunderten, Büs-ten, eine Wunderkammer mit Totenschä-deln und eine Bibliothek, die viele Werkedes von ihm bewunderten Bodoni enthältund natürlich Ausgaben der von Ricciselbst gegründeten Kunstzeitschrift FMR.Wer sich wundern will, der ist im „Labirin-to della Masone“ am rechten Ort. (Infos:www.francomariaricci.com) pfu

Man kann nicht wirklich sagen, dass dasSferisterio von Macerata eine typischeArena ist. Zumindest, wenn man mit Are-na an das wohl berühmtere Beispiel in Ve-rona denkt. Auch im Sferisterio findetein Opernfestival statt, auch da treten imSommer Musiker und Sängerinnen aufund werden die schönsten Arien derOperngeschichte gesungen.

Was den Zuschauer erwartet, ist aller-dings kein römisches Amphitheater, son-dern eine alte Spielstätte, die die Form ei-nes zerschnittenen Ovals hat. Sie bestehtaus einer Wand, die 90 Meter lang undknapp 20 Meter hoch ist, und einem ele-ganten Säulengang, der die im Halbkreisangeordnete Tribüne umringt. Das Bau-werk war auch nicht für die Oper ge-dacht. Ursprünglich spielte man dort das„Pallone col bracciale“, Italienisch für„Ball mit dem Armband“. Dass das Spielwohl den wenigsten etwas sagt, hat da-mit zu tun, dass diese Sportart beinaheverschwunden ist. So war es bis Anfangdes vergangenen Jahrhunderts aller-dings nicht.

Das „Pallone col bracciale“ gehört zuden traditionsreichsten Sportarten Itali-ens. Gespielt wurde in zwei Mannschaf-ten, Ziel war es, eine Kugel an die Wandzu werfen und sie in die gegnerischeSpielfeldhälfte zu befördern. Vor allemin der Toskana und in den Marken wardas Spiel beliebt – das zeigen nicht nurdie historischen Quellen, sondern auchdie Tatsache, dass 100 wohlhabende Ein-wohner aus Macerata dafür ein prächti-ges Stadion errichten ließen.

Und zwar so, wie es in der Gegendauch für Theater üblich war: Sie schlos-sen sich zusammen, um das Gebäude alskollektives Projekt zu finanzieren. Beauf-tragt wurde der damals nicht mal drei-ßigjährige Baumeister Ireneo Aleandri,der 1823 ein neoklassizistisches Bau-werk entwarf. Fast ein Jahrhundert dien-te das Sferisterio als Spielstätte und zu-gleich als Schauplatz für Zirkusauffüh-rungen und Stierkämpfe, dann sank diePopularität dieses besonderen Ball-spiels. Das Sferisterio wurde renoviertund umgebaut, bis 1921 die erste Opern-aufführung stattfand – mit nichts Gerin-gerem als der „Aida“ von Giuseppe Ver-di.

Sein zweites, glückliches Leben alsOpernbühne und Freilufttheater ver-dankt das Sferisterio einer überragen-den Akustik, die selbst von Musikernund Musikerinnen zelebriert wird. Wasan sich schon lustig ist, denn das Bau-werk war für gar keine musikalischenDarbietungen gedacht. Doch so ist esmanchmal. Und das heutige Opernfesti-val, das jedes Jahr im Juli und Auguststattfindet, gehört zu den wichtigstenSommerveranstaltungen der RegionMarken. francesca polistina

Große Kunst

Man nehme zwei Eier, schlage sie in einenRand aus Mehl und bereite daraus einengleichmäßigen Teig. 20 Minuten ruhen las-sen. Fertig ist die Grundlage für ein italieni-sches Mahl: Pastateig. Carla Brigliadoriknetet gekonnt die Masse auf einer Arbeits-fläche in der großzügigen Versuchskücheder Casa Artusi in der Kleinstadt Forlimpo-poli. Hier an der von den Römern gebautenVia Emilia, an der sich Städte und Städt-chen von Rimini bis hinauf nach Piacenzaaneinander reihen, wurde vor 200 Jahrender Mann geboren, der Italien übers Ko-chen vereint hat: Pellegrino Artusi.

Artusi war Seidenhändler und reiste indieser Funktion Zeit seines Lebens kreuzund quer durch Italien. Das heißt, Italienwar es damals noch gar nicht, erst um 1861begann der mühsame nationale Einigungs-prozess. Artusi aber hatte offenbar ein Ge-spür dafür, dass gutes Essen überall eineRolle spielt. Er sammelte in jeder RegionRezepte und notierte auch Wissenswertesüber die Zutaten, über die Eigenheiten derLandschaften und sogar die Witze, die dortgerissen wurden. 1891, da war er schon imRuhestand, veröffentlichte er seine Rezep-

tesammlung mit dem Titel „La scienza incucina e l’arte di mangiar bene“. In der deut-schen Übersetzung wählte man die Über-schrift „Von der Wissenschaft des Kochensund der Kunst des Genießens“. Es war daserste nationale Kochbuch, das erste Werk,in dem Italien als Einheit begriffen wurde.Der Erfolg war riesig. Aus ganz Italienschickte man ihm Rezepte zu, ständig wur-de das Buch erweitert. Als Artusi 1911 starb,war die 15. Auflage in Vorbereitung.

Artusis Geburtsort Forlimpopoli haterst spät begonnen, die Erinnerung an denVerfasser des Kochbuchs zu pflegen. 2007gründete man das dem Kochen gewidmeteKulturzentrum Casa Artusi. Der Standortin der Romagna ist ideal, findet DirektorinSusy Patrito Silva, es sind 50 Kilometernach Rimini an der Adria, 100 Kilometernach Florenz in der Toskana, auf der einenSeite erstreckt sich die fruchtbare Poebe-

ne, auf der anderen Seite erheben sich dieHügel des Apennin, in denen Weine wie Al-bana oder Sangiovese zu Hause sind. Dasist aus ihrer Sicht mitten in Italien. „Wirsind glücklich, dass der Vater der italieni-schen Gastronomie hier geboren wurde.“

Und weil Kochen viel mit Erfahrung zutun hat, gibt es im Casa Artusi nicht nurdrei Bibliotheken – eine öffentliche, die pri-vate von Artusi und eine Kochbücherei –sondern auch ein Restaurant und eine gro-ße Versuchsküche. Chefköchin Carla Brig-liadori nutzt die Corona-Zeiten, das Kon-zept der Kochschule zu erneuern, zu digita-lisieren. Denn normalerweise geben in derVersuchsküche ältere Frauen aus dem Ortdie Kurse, was derzeit aufgrund der Pande-mie nicht möglich ist. Genannt werden siedie „Mariette“, nach Artusis BediensteterMarietta, die einst zusammen mit dem Die-ner Francesco in Artusis Küche die Rezep-te erprobte. Ob Artusi selbst gekocht hat,weiß man nicht. Auf jeden Fall, meint Di-rektorin Silva, ist er in der Küche gewesen.

Wie Carla eben, die nun erklärt, dass derTeig eine Ober- und eine Unterseite hat,die auch beim Auswellen so bleiben soll.

Mit ihrem gefühlt einen Meter langen Nu-delholz zeigt sie, wie man beim Arbeiten lo-cker in der Hüfte bleiben soll, wie schnellso ein Teig ausgewellt ist, und was man dar-aus alles formen kann. Cappelletti zum Bei-spiel. Dafür sticht man mit einem Glasoder einer Blechform Kreise aus, füllt siemit einer Mischung aus Parmesan, Ricottaund Squacquerone – einer Art Quark – undformt sie wie Clara mit zwei, drei Bewegun-gen zu einem Hütchen. Oder Tagliatelle.Schnell schlägt sie den Teig zur Mitte hinübereinander, schneidet mit maschinen-gleicher Präzision, fährt mit dem Messerunter die in Streifen geschnittene Teigrol-le, hebt sie hoch und schon baumelt eineganze Reihe Bandnudeln vom Messerrü-cken. Dann gibt es noch die Strozzapreti,frei übersetzt heißt das „Würg die Pries-ter“, die Maltagliati, die schlecht Geschnit-tenen, die man gut mit Bohnen oder Erb-sen kombinieren kann und, und und. Mankann den Teig mit Wasser zubereiten, odermit Eiern, auch mit verschiedenen Mehl-Arten. Früher auf dem Land gab es oft keinfein gemahlenes Weizenmehl. Man nahm,was man hatte. Und da spielten die genau-

en Mengenangaben auch keine Rolle, be-tont Carla, viel mehr das Gefühl für die rich-tige Konsistenz. Der Vielfalt sind keineGrenzen gesetzt.

Die Einschränkungen durch die Krisenutzt man in der Casa Artusi, um das Pro-gramm zu entwickeln. „Wir schauen, wiewir es besser machen können. Vorher hat-ten wir oft keine Zeit.“ Man kann davon aus-gehen, dass Carla Brigliadori etwas ein-fällt. Das hat die heute 52-Jährige schon be-wiesen, als sie in Bologna Philosophie stu-dierte; sie war damals die erste, die sich ander Fakultät mit der Rolle des Essens undTrinkens bei den Philosophen auseinander-setzte. Jetzt geht es darum, digitale Kurseanzubieten, und so die Kochkunst Italiensder Welt weiterzugeben. So wie es einst Pel-legrino Artusi gemacht hat. „Ich hoffe,dass nach der Krise alles wunderbar wird“,sagt Carla Brigliadori. Und wenn die frischgemachte Pasta wunderbar werden soll:ins kochende Wasser geben und hochkom-men lassen. Zwei Minuten. johanna pfund

Infos unter www.casartusi.it

In den Marken reihen sich Hügel an Hügel,Olivenhaine an Weinberge, Felder an klei-ne Städte, die auf Kuppen thronen. Es ist ei-ne Landschaft, deren Reize die SüdtirolerGastgeberfamilie Ganthaler vor gut 20 Jah-ren bei einem Urlaub entdeckte. Undschnell war der Plan geboren, hier eine De-pendance des Hotels Muchele einzurich-ten. Die Suche war nicht leicht. Zehn Häu-ser, erzählt Hansjörg Ganthaler, hatten siemit dem Makler schon besichtigt, als sieam Ende eines langen Tages das alte Land-gut einige Kilometer außerhalb von MonteSan Vito fanden. Die Ganthalers ließen dasGebäude abreißen und errichteten es inden Originalmaßen neu – denn die Bauvor-gaben der Region Marken sind streng. DerVorteil: Das Landhaus „Poggio Antico“fügt sich in die Hügel ein, als wäre es im-mer schon da gewesen. Von hier aus istman schnell am Meer, oder in Jesi, wo imDezember 1194 der spätere Kaiser Fried-rich II. auf dem Marktplatz geboren wur-de. Franziska Ganthaler ist in der Zwi-schenzeit auch auf den Geschmack derLandwirtschaft, sprich des Weinbaus, ge-

kommen. Vor drei Jahren kaufte sie einWeingut in Morro d’Alba, das nun Tenutadi Fra’ heißt. Der einstige Eigentümer küm-mert sich darum, dass aus autochtonenRebsorten Verdicchio dei Castelli di Jesiund Lacrima di Morro d’Alba guter Weinwird, biologisch erzeugter, natürlich. (In-fos unter www.poggio-antico.com) pfu

Wie Picasso und Matissenach Faenza kamen

Ein Sinnbilddes Lebens

Operstatt Ballspiel

Das Sferisterio in Maceratadiente einst dem Sport

Flaschenpost in die ProvinzFederico Fellini wurde vor 100 Jahren in Rimini geboren. In seinem mit dem Oscar ausgezeichneten Film „Amarcord“setzte der Regisseur seiner Heimat ein zwiespältiges Denkmal

Kochen hat viel mit Erfahrungzu tun. In der Versuchsküchelehren daher Frauen aus dem Ort

Strozzapreti, Maltagliati und andere FeinheitenPellegrino Artusi verfasste einst das erste italienische Kochbuch. In seinem Geburtsort Forlimpopoli wird die Kunst der Küche weitergegeben

Wo ein Hügelam anderen liegt

In der Provinz glaubt man,das wirkliche Lebenspiele immer anderswo

In der Poebene bei Parma liegt der welt-weit größte Irrgarten. FOTO: CARLO VANNINI

Endlich Glanz in Rimini: die Einfahrt des Schiffes „Rex“ in Fellinis Film „Amarcord“. FOTO: IMAGO IMAGES / EVERETT COLLECTION

Carla Brigliadori in der Küche der CasaArtusi in Forlimpopoli. FOTO: PFUND

Von den sanft geneigten Hügeln der Mar-ken profitieren die Reben. FOTO: PFUND

DEFGH Nr. 301, Mittwoch, 30. Dezember 2020 SZ SPEZIAL UNBEKANNTES ITALIEN II 21