der geheime zoo - bücher.de · in der schule hatten sie etwas ber brainstorming ge-lernt. dabei...

15
Leseprobe aus: Bryan Chick Der geheime Zoo Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright für die deutsche Übersetzung © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Upload: others

Post on 11-Aug-2020

1 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

Leseprobe aus:

Bryan Chick

Der geheime Zoo

Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

Copyright für die deutsche Übersetzung © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Page 2: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 11 =

9 VORSPIEL =

Ein Geheimnis wird entdeckt

18. Juli

Megan rannte durch den Garten zum Baumhaus. DerWind zerrte an ihrem Schlafanzug, und das harte Graspikste in ihre nackten Füße. Am Baum angekommen,griff sie nach der Strickleiter und sah nach oben. Nurschwach konnte sie die Bretter des Baumhauses erken-nen und darüber den Mond und die Sterne. Irgendwoda oben hatte sie ihre Brille vergessen – zumindest hofftesie das.

Sie erklomm die lange Leiter und zog sich schließlichins Baumhaus. Ein Mondstrahl lenkte ihren Blick aufeine Ecke, und tatsächlich – dort lag ihre Brille wie eingroßes, zusammengefaltetes Insekt. Sie hob sie auf undsetzte sie sich auf die Nase.

«Oh, danke! Danke, danke, danke!», seufzte sie.Ein plötzliches Geräusch drang durch die Bäume. Es

war ein schwaches Knacken, wie splitterndes, trockenesHolz, und es kam ganz aus der Nähe – vielleicht nur zweioder drei Häuser weit entfernt. Megan stand ganz still

Page 3: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 12 =

da und lauschte. Einen Augenblick später hörte sie dasGeräusch noch einmal, doch diesmal klang es lauter –krrrrrraaaackk! Kurz darauf hörte sie ein Grunzen, alshätte sich jemand wehgetan. Megan lief zum Rand desBaumhauses und spähte in die Nachbargärten hinab.Nichts.

Die dunkle Landschaft war ihr unheimlich. Darumpfiff sie und rief nach dem Hund der Nachbarn.

«Flecki? Bist du das? Bist du –?»Wieder dieses Geräusch. Krrraaaackkk! Danach ein

Aufschlag und wieder ein Grunzen.Megan und ihre Freunde bewahrten in ihrem Baum-

haus ein Fernglas auf. Megan fand es und hielt es sich vordie Nase. So vergrößert, wirkte die Nachbarschaft nochdunkler als zuvor, und die Häuser schienen zu beben –bis sie merkte, dass es ihre Hände waren, die zitterten.

«Der Zoo!», flüsterte sie.Sie lief zur gegenüberliegenden Seite des Baumhau-

ses. Das Einzige, was ihre Gärten vom Städtischen Zootrennte, war eine lange Betonmauer. Aus ihrem Baum-haus hatte Megan jedoch einen guten Blick über dieseMauer. Tagsüber konnte sie den Giraffen, Bären, See-hunden und Nilpferden beim Laufen, Schwimmen undFaulenzen zusehen. Sie hielt das Fernglas ruhig undstarrte in den nächtlichen Zoo hinein. Straßenlaternenerhellten die Wege, doch die Gehege selbst lagen in völ-liger Dunkelheit.

Wieder hörte Megan das krachende Geräusch, undjetzt merkte sie, dass es gar nicht aus Richtung Zoo kam.

Page 4: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 13 =

Noch einmal lief sie zum gegenüberliegenden Fensterund blickte über die Nachbargärten hinweg. Nichts.Nichts als Rasen, Bäume und Hausdächer.

Das Grunzen hallte zwischen den Häusern wider.Megan hielt sich das Fernglas so abrupt vor die Nase,dass es gegen ihre Brillengläser stieß. Mittlerweile warihr unheimlich – sie hatte richtige Angst!

«Jetzt komm schon, Meg», versuchte sie sich zu be-ruhigen. «Da ist nichts. Hör auf, dich selbst ver–»

Da war etwas! Irgendetwas spazierte drei Häuser wei-ter auf dem Spitzdach herum!

«Was ist das?», flüsterte Megan.Sie richtete das Fernglas und sah fünf Figuren über

das Dach krabbeln. Eine sechste kletterte die Zweigeeiner Eiche hinauf, die neben dem Haus stand, undbrach dabei knackend Äste ab. Dann sprang das Wesenvon dem zitternden Baum ab, segelte durch die Luft undlandete neben den anderen auf dem Dach. Es krabbeltedie Dachziegel hinauf und hüpfte auf den Schornstein.

Die anderen fünf Kreaturen waren klein und gebückt.Ihre langen Arme schwangen an den Seiten hin und her,und beim Gehen hoben und senkten sich ihre Schul-tern wie eine Wippe. Endlich erkannte Megan, um wases sich handelte: Affen! Es schien unmöglich, doch of-fensichtlich waren Affen aus dem Zoo entkommen undkletterten nun in ihrer Nachbarschaft auf den Dächernherum.

Einer der Affen sprang vom Rand des Daches ab. Me-gan konnte seine Silhouette im Mondschein deutlich

Page 5: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 14 =

sehen. Scheppernd trafen seine Füße auf die Regenrinneam gegenüberliegenden Dach, dann folgten die ande-ren Affen. Mühelos überwanden sie die Entfernung zwi-schen den Häusern.

«Nein», sagte Megan ungläubig. «Das gibt’s dochnicht.»

Die Affen sprangen auf das nächste Haus, dann wei-ter zum nächsten und verschwanden schließlich imDunkeln. Schweigen breitete sich über der Nachbar-schaft aus.

«Noah …»Megan kletterte flugs die Leiter hinab und lief zum

Haus zurück. Ihr älterer Bruder würde wissen, was zutun war.

Sie riss die Tür zu seinem Zimmer auf und schreckteihn aus dem Schlaf.

«Noah – da draußen!», platzte sie heraus. «Schnell!»«Was ist?!»«Komm schnell!»Sie lief voran durch das Haus, und Noah folgte ihr bis

in den Garten und ins Baumhaus hinauf.«Was willst du –?»Megan nahm das Fernglas und hielt es ihrem Bruder

hin. «Hier!»«Was heißt ‹hier›?»«Guck durch!» Sie deutete auf die Hausdächer. «Da

drüben – ich habe da gerade Affen gesehen!»«Megan …»«Ich habe Affen gesehen! Auf den Hausdächern!»

Page 6: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 15 =

Ihr älterer Bruder sah sie prüfend an. «Du spinnstdoch.»

«Guck doch selbst!»Noah blickte durch das Fernglas. Lange betrachtete

er schweigend die Landschaft. Dann reichte er seinerSchwester das Fernglas zurück und sagte: «Ich hab dochgesagt: Du spinnst.»

«Noah! Ich habe sie gesehen, glaub mir doch, ich –»Doch er kletterte schon die Strickleiter hinab. «Was

machst du überhaupt so spät noch hier draußen?»,fragte er. «Du bist so was von erledigt, wenn Mom dicherwischt.» Er landete auf dem Boden und drehte sichzum Haus. «Komm mit rein!»

Megan sah ihm nach, wie er zum Haus zurücklief unddie Tür hinter sich schloss. Dann drehte sie sich wiederzu den Dächern um und suchte beinahe eine Stundelang die Landschaft ab, doch nichts Ungewöhnliches ge-schah.

«Ich weiß, dass ich sie gesehen habe», sagte sie, wieum sich selbst zu überzeugen.

Schließlich kletterte sie vom Baumhaus herunter,kehrte ins Haus zurück, fiel ins Bett und starrte an dieDecke.

Sie konnte nicht schlafen. Um zwei Uhr morgensrollte sie sich schließlich aus dem Bett und setzte sich anihren Schreibtisch. Nervös trommelte sie mit den Fin-gern auf der Tischplatte und blickte sich in ihrem Zim-mer um. Ihr Blick fiel auf ein Buch, das auf dem Randdes Schreibtisches lag. Es war ein Tagebuch. Ihre Mut-

Page 7: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 16 =

ter hatte es ihr vor kurzem geschenkt, und sie hatte bis-her noch nichts hineingeschrieben.

Megan nahm es und schlug die erste Seite auf. Siemusste den Einband herunterdrücken, damit es flachlag, so neu war er noch. Sie starrte auf die erste Seite. Siewar ziemlich bunt – rotes Papier mit lila Linien undblauen Sternen in den Ecken.

In der Schule hatten sie etwas über Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie möglich seineeigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte gesagt, aufdiese Weise könnte man Sachverhalte verstehen, die aufden ersten Blick keinen Sinn ergaben. Megan griff nacheinem Bleistift, kauten einen Moment lang auf dem Ra-diergummi am Ende herum und begann zu schreiben:

Datum: 18. JuliZeit: 2 :15 UhrIch bin rausgegangen, weil ich mal wieder meinedumme Brille im Baumhaus vergessen hatte. Als ichraufkletterte …

9K=

Sie schrieb eine Stunde lang. Dann klappte sie das Tage-buch zu, legte es weg, schaltete das Licht aus und klet-terte wieder ins Bett. Einen Moment später war sie ein-geschlafen, ohne zu wissen, dass sie gerade die erstenSeiten eines Tagebuchs vollgeschrieben hatte, das schonbald die Welt verändern sollte.

Page 8: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 17 =

Der Fund

2. Oktober

Vierzehn rotäugige Baumfrösche hüpften den langenGang im Zoo entlang. Sie sprangen und purzelten über-einander, während sie vorandrängten. Plopp! Plopp!Plopp! Plopp! Ihre klebrigen Füße knallten auf denFußboden wie Chinaböller.

Hundert Aquarien waren in die Wände eingelassen.Hin und wieder sprang einer der Frösche hinauf undblieb ein paar Sekunden lang am Glas kleben.

Die vierzehn rotäugigen Baumfrösche sprangen biszu einer kleinen Ausstellung am Ende des Ganges – vorkurzem war hier ein kleines Mädchen hineingegangen.Was sie befürchtet hatten, war geschehen: Das Mädchenwar verschwunden.

Drei Seiten aus einem Tagebuch lagen auf dem Bo-den – farbige rote Seiten mit lila Linien und blauenSternen in den Ecken. Die Seiten waren zerknittertund flatterten immer noch, als die Frösche sich ihnennäherten.

Page 9: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

Die vierzehn rotäugigen Baumfrösche wussten nicht,dass die Blätter aus dem Tagebuch eines Mädchens na-mens Megan Nowicki stammten, die vor kurzem ge-sehen hatte, wie Affen aus dem Zoo entkamen. Sie starr-ten auf die Seiten. Dann hoben sie sie mit ihren langen,klebrigen Zungen auf.

Und so fing die Geschichte an.

Page 10: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 19 =

9 1 . KAPITEL =

Wie alles begann

23. Oktober

Vermisst! Noah hob den Zettel vom Boden auf und lasdas Wort noch einmal. Den Rest des Weges hielt er beimGehen die Augen fest auf das pixelige Schwarzweißfotoseiner Schwester gerichtet – und auf das Wort, das ihnseit drei Wochen verfolgte: Vermisst! Noch bis vor kur-zem hatte er mit diesem Wort nur Gegenstände in Ver-bindung gebracht, so wie verlorene Schlüssel oder einenBaseballhandschuh. Aber nun ging es um seine Schwes-ter. Vor drei Wochen war Megan auf ihrem Weg zurKlavierstunde die Verandatreppe hinuntergegangen, dieStraße entlang – und seitdem nicht mehr gesehen wor-den. Sie war einfach verschwunden.

In den ersten Tagen nach ihrem Verschwinden konnteniemand an etwas anderes denken. Ihr Bild hing im Um-kreis von hundert Meilen in jedem Schaufenster und anjedem Telefonmast. Die Nachbarn hatten sich zusam-mengetan, um nach Megan zu suchen. Sie waren Handin Hand über offene Felder und durch dichte Wälder ge-

Page 11: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 20 =

streift und hatten in den anderen Gemeinden an jederTür geklingelt, in der Hoffnung, dass jemand Megangesehen hatte. Ihre Suche zog sich über Tage hin. Dochnach nunmehr drei Wochen gab es immer noch kein Zei-chen von Megan. Und auch wenn es niemand laut aus-sprach, schienen die Leute die Suche doch aufgegebenzu haben.

Noah jedoch war entschlossen, seine Schwester zufinden. Und so begann er seine eigene Suche und batseine zwei besten Freunde, Ella und Richie, ihm dabeizu helfen. Schon vor langer Zeit hatten Ella, Richie, Me-gan und Noah einen Klub gegründet, der sich die ActionScouts nannte. Ihr Klub war so wie die meisten Klubs:Sie hatten ein Klubhaus (im Baum), einen Namen, ge-heime Codewörter und geheime Treffen. Was die ActionScouts von den anderen unterschied, war, dass ihr Klubauf ihrer tiefen Freundschaft aufbaute, und sie warenalle davon überzeugt, unzertrennlich zu sein … aber sowar es nicht. Megan war weg.

Heute, drei Wochen nach Megans Verschwinden,ging Noah, den Blick auf den Zettel geheftet, durch sei-nen Garten. Vermutlich war das Papier von einem Tele-fonmast abgerissen worden.

«Meg, wo bist du?», flüsterte er.Der Wind zerrte an den Ecken des Zettels. Noah warf

einen letzten Blick darauf und stopfte ihn sich in die Ta-sche. Vor der großen Eiche in seinem Garten blieb erstehen. In die Rinde war ein verwittertes Schild genageltworden, auf dem die Farbe schon verblasste. Noah hatte

Page 12: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 21 =

es vor einigen Jahren zusammen mit Megan, Ella undRichie angebracht. Auf dem Schild stand: SIE BETRE-

TEN JETZT DAS SCOUT-KLUBHAUS! EINTRITT

VERBOTEN! Genauso gut hätte dort stehen können:WILLKOMMEN! VERSCHWINDEN SIE!

Noah starrte am Baum hinauf. In sechs MeternHöhe befand sich das Klubhaus zwischen den Ästen.Es war das beste Baumhaus, das man sich nur vorstellenkonnte. Es besaß ein Dach, zwei Türen und vier Fens-ter. Man konnte auf drei Arten hinaufkommen: überdie Leiter, über ein Seil oder über eine Wendeltreppe,die sich um den Baumstamm schlängelte und in einemLoch im Fußboden endete. Lange Seilbrücken verban-den das Baumhaus mit anderen Bäumen.

Noah erklomm die Stufen und betrat das Baum-haus. Seine Schritte dröhnten dumpf auf den hölzernenPlanken. Es war vollgestopft mit Tischen und Stühlen,Spielen und Ausrüstungsgegenständen wie Werkzeuge,Batterien und seltsamen elektrischen Objekten, die wiemetallische Käfer aussahen. Sie gehörten Richie. Er warein Genie, wenn es um mechanische Dinge ging, undarbeitete ständig an möglichen neuen Spionagegerätenfür ihren Klub.

Noah starrte aus dem Fenster in den grauen Himmelhinauf. Nur der Wind war zu hören. Er ging über eineder Seilbrücken zu einer Aussichtsplattform. Die Brückeknarrte und schwang hin und her. Von der Plattformblickte er hinüber zum Zoo von Clarksville. Er sah zweiElefanten, eine Giraffe und einen Tiger in ihren Gehe-

Page 13: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 22 =

gen schlafen. Doch der Rest des Zoos wirkte wie ausge-storben – leer und traurig.

Als er so von oben auf den Zoo blickte, fiel Noahdie Nacht wieder ein, in der Megan ihm von den Affenauf den Hausdächern erzählt hatte. Er erinnerte sichdaran, wie er neben ihr gestanden und die Dunkelheitnach etwas Ungewöhnlichem abgesucht hatte. Er hattenichts gesehen – mit Sicherheit keine flüchtigen Zoobe-wohner.

Von dieser Nacht an hatte Megan sich verändert. Siewirkte abwesend und beschäftigt, wie jemand, der einGeheimnis hütet. Manchmal fragte Noah sich, ob derZoo etwas mit Megans Verschwinden zu tun hatte. Im-merhin hatte Megan behauptet, dass sie fliehende Tieregesehen hatte. Vielleicht stimmte das ja; oder nochschlimmer: Vielleicht hätte sie die Tiere gar nicht sehendürfen. Vielleicht hatte sie sich in Gefahr gebracht, weilsie sie gesehen hatte. Waren die Tiere vielleicht ihret-wegen zurückgekommen – und hatten sie entführt –, weiletwas Schlimmes im Zoo vor sich ging?

Das waren alberne Gedanken, das wusste Noah. Erwar gestresst, darum fielen ihm solche verrückten Dingeein. Doch wenn alles so albern war, warum kamen dieseGedanken dann immer wieder?

Noah wandte sich ab. Er fragte sich, wo Megan wohlsein mochte, ob es ihr gutging und ob sie je nach Hausezurückkehren würde. Dabei stieß er sich den Zeh an derkurzen Fahnenstange, die am Boden lag. Die Fahne warrot mit großen weißen Buchstaben: A und S. Er hob sie

Page 14: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

auf und hielt sie in die Luft. «Die SOS-Fahne der ActionScouts», murmelte er.

Vor zwei Jahren hatte Richies Opa, ein ehemaligerSoldat, die Kinder auf die Idee mit den SOS-Fahnen ge-bracht. Er hatte gesagt, sollten die Mitglieder des Klubseinmal getrennt werden, dann bräuchten sie einen siche-ren Weg, um den anderen ihre Notlage zu zeigen, unddie SOS-Fahnen waren die Antwort auf das Problem. Erhatte Richies Oma schließlich dazu überredet, für jedesKind eine Fahne zu nähen und dann noch eine für dasKlubhaus selbst.

Noah befestigte die Fahnenstange in einem Loch imBaum. Die Fahne wehte, und das A und das S welltensich in der Brise. Er blickte über seinen Garten undhinaus auf die Straße. Ein Teil von ihm wünschte sich,dass Ella oder Richie die Fahne sehen und sofort herbei-gelaufen käme. Und wenn nicht Ella oder Richie, danndoch jemand anders – irgendjemand –, der ihm dabeihelfen würde, seine Schwester und sein altes Leben zu-rückzubekommen.

Er wartete beinahe eine halbe Stunde, doch niemandkam. Schließlich wurde es ihm zu kalt.

Er stieg vom Baumhaus herunter, ging zurück insHaus und legte sich ins Bett. Er dachte an Megan, an ihrwarmes Lächeln und daran, was für eine tolle Schwestersie war. Schließlich schlief er ein.

Kurz vor Mitternacht weckte ihn ein Tick! Tick! Tick!an seinem Fenster.

Page 15: Der geheime Zoo - bücher.de · In der Schule hatten sie etwas ber Brainstorming ge-lernt. Dabei sollte man so schnell wie m glich seine eigenen Ideen aufschreiben. Ihr Lehrer hatte

9 24 =

9 2. KAPITEL =

Die bruchstückhafteNachricht

Tick! Tick! Tick!Noah setzte sich auf. Lauschend blickte er sich in

seinem schummerigen Zimmer um. Hatte er sich dasGeräusch etwa nur eingebildet? Tick! Tick! Tick!, klanges wieder.

Er sprang aus dem Bett. «Wer ist da?», rief er.Tick! Tick!, antwortete das Fenster.Auf Zehenspitzen schlich Noah über den Fußboden.

War das ein Zweig, der gegen sein Fenster schlug? Oderder Fensterladen, der sich losgemacht hatte?

Tick! Tick! Tick!Jetzt stand er am Fenster und guckte hinaus. Er sah

nichts als den schwarzen Sternenhimmel. Kein Zweig,kein loser Fensterladen – nichts.

Tick! Tick!Er strengte seine Augen an, um besser sehen zu kön-

nen, doch er konnte nur erkennen, dass es draußen stock-dunkel war.

Tick! Tick! Tick! Tick!