des ratgeber frau und familie ratgeber bitte ohne verpackung! 58 ratgeber 1/2018 deutschland:...

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RATGEBER »interviewt« Beitrag aus der Januar-Ausgabe des Ratgeber Frau und Familie 55 Ratgeber 1/2018 herr Wedlich, was haben Sie früher beruflich gemacht? Jens-Peter Wedlich: Meine Wur- zeln liegen im kaufmännischen Bereich. Ich habe bei einem gro- ßen Chemie-Unternehmen ge- lernt und verbrachte im Anschluss 20 Jahre bei einem Handelshaus in diversen Bereichen. Zuletzt war ich verantwortlich für den Vertrieb von Schweröl im großen Stil. Viele Lebensmittel sind in Plastik eingeschweißt. Eine Alternative bieten Unverpackt-Läden. Jens-Peter Wedlich verriet uns, warum er in Stuttgart „Schüttgut“ eröffnet hat BITTE ohnE VErpACkunG! eit Mai 2016 bietet Jens-Peter Wedlich in „Schüttgut“, dem ersten Unverpackt-Laden im Raum Stuttgart, Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfes an. Die Qualität der Waren und der Charme eines modernen Tan- te-Emma-Ladens kommen gut an. Verkauft wird nur, was Wedlich und seine Familie getestet und für gut befunden haben. Die Kunden bringen eigene Beu- tel, Flaschen, Gläser und Dosen mit. Zudem bietet der Laden ge- eignete Verpackungen zum Ver- kauf. Sich mit den Lebensmitteln und Produkten zu beschäftigen, etwa daran zu riechen, statt sie achtlos in den Einkaufwagen zu werfen, gehört zu Wedlichs Philo- sophie, es steigert die Wertschät- zung für die Waren. Mit 50 Jahren hat er sein Leben mit „Schüttgut“ noch einmal komplett umgekrem- pelt. Er liebt Kräuter und Gewürze, ist selbst ein leidenschaftlicher Koch und gibt Kunden gerne Tipps zur Zubereitung. Wie kamen Sie auf die Idee für Ihren Laden? Im Rahmen meiner beginnenden Midlife-Crisis habe ich mich bei Greenpeace engagiert. Dabei habe ich viel über den beängstigenden Zustand der Ozeane und der Erde gelernt. Nachdem mein Arbeitge- ber mir den goldenen Handschlag anbot, sah ich meine Chance ge- kommen, endlich das zu tun, was mich glücklich macht. So kam ich auf die Idee, mein kaufmännisches Talent, den Willen, „die Welt zu ret- ten“ und meine Liebe zu guten Lebensmitteln zu verbinden und entwickelte das Konzept von „Schüttgut“. Würden Sie sagen, Sie leben Ihren Traum? Ja, auf alle Fälle. Ich liebe meinen Laden und auch die Menschen, die bei uns zu Gast sind oder mit uns zusammenarbeiten. Hier bin ich glücklich. Wie funktioniert ein Einkauf bei Ihnen? Das Prinzip ist recht einfach: Die Kunden bringen ihre Verpackun- gen selbst mit. Geeignet ist alles, was mehrfach verwendet werden kann: Dosen, Gläser und so weiter. Die Verpackung muss zuerst ge- wogen werden, um später das Tara-Gewicht wieder abziehen zu können. Dann bedient sich der Kunde selbst. Er muss nur so viel nehmen, wie er wirklich Jens-Peter Wedlich hat sich mit seinem Laden „Schüttgut“ einen Traum erfüllt Aus über 80 Schütten, aus Dosen, Gläsern, Bonbonieren und Körben können die Kunden sich selbst bedienen S

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RATGEBER»interviewt«

Beitrag aus der Januar-Ausgabe 2018des Ratgeber Frau und Familie

55Ratgeber1/2018

herr Wedlich, was haben Sie früher beruflich gemacht?

Jens-Peter Wedlich: Meine Wur-zeln liegen im kaufmännischenBereich. Ich habe bei einem gro-ßen Chemie-Unternehmen ge-lernt und verbrachte im Anschluss20 Jahre bei einem Handelshausin diversen Bereichen. Zuletzt warich verantwortlich für den Vertriebvon Schweröl im großen Stil.

Viele Lebensmittel sind in Plastik eingeschweißt.Eine Alternative bieten Unverpackt-Läden. Jens-Peter Wedlich verriet uns, warum er in

Stuttgart „Schüttgut“ eröffnet hat

BITTE ohne Verpackung!

eit Mai 2016 bietet Jens-PeterWedlich in „Schüttgut“, demersten Unverpackt-Laden im

Raum Stuttgart, Lebensmittel undProdukte des täglichen Bedarfesan. Die Qualität der Waren undder Charme eines modernen Tan-te-Emma-Ladens kommen gut an.Verkauft wird nur, was Wedlichund seine Familie getestet und fürgut befunden haben. Die Kunden bringen eigene Beu-tel, Flaschen, Gläser und Dosenmit. Zudem bietet der Laden ge-

eignete Verpackungen zum Ver-kauf. Sich mit den Lebensmittelnund Produkten zu beschäftigen,etwa daran zu riechen, statt sieachtlos in den Einkaufwagen zuwerfen, gehört zu Wedlichs Philo-sophie, es steigert die Wertschät-zung für die Waren. Mit 50 Jahrenhat er sein Leben mit „Schüttgut“noch einmal komplett umgekrem-pelt. Er liebt Kräuter und Gewürze,ist selbst ein leidenschaftlicherKoch und gibt Kunden gerne Tippszur Zubereitung. Wie kamen Sie auf die Idee

für Ihren Laden?

Im Rahmen meiner beginnendenMidlife-Crisis habe ich mich beiGreenpeace engagiert. Dabei habeich viel über den beängstigendenZustand der Ozeane und der Erdegelernt. Nachdem mein Arbeitge-ber mir den goldenen Handschlaganbot, sah ich meine Chance ge-kommen, endlich das zu tun, wasmich glücklich macht. So kam ichauf die Idee, mein kaufmännisches

Talent, den Willen, „die Welt zu ret-ten“ und meine Liebe zu gutenLebensmitteln zu verbinden undentwickelte das Konzept von„Schüttgut“.

Würden Sie sagen, Sie leben Ihren Traum?

Ja, auf alle Fälle. Ich liebe meinenLaden und auch die Menschen,die bei uns zu Gast sind oder mituns zusammenarbeiten. Hier binich glücklich.

Wie funktioniert ein einkauf bei Ihnen?

Das Prinzip ist recht einfach: DieKunden bringen ihre Verpackun-gen selbst mit. Geeignet ist alles,was mehrfach verwendet werdenkann: Dosen, Gläser und so weiter.Die Verpackung muss zuerst ge-wogen werden, um später dasTara-Gewicht wieder abziehen zukönnen. Dann bedient sich derKunde selbst. Er muss nur so vielnehmen, wie er wirklichJens-Peter Wedlich hat sich mit seinem

Laden „Schüttgut“ einen Traum erfüllt

Aus über 80 Schütten, aus Dosen,Gläsern, Bonbonieren und Körben

können die Kunden sich selbst bedienen

S

Wie wichtig ist Ihnen eine Wohl-fühl-atmosphäre beim einkaufen?

Sehr wichtig. Der Einkauf in einemUnverpackt-Laden braucht mehrZeit, mehr Vorbereitung, mehrAuseinandersetzung mit dem Pro-dukt. Die Atmosphäre muss stim-men, damit der Kunde entschleu-nigt und die Muße findet, sich dienötige Zeit zu nehmen.

Wie viele produkte bieten Sie an?

Wir haben mit 320 Produkten auf53 Quadratmetern Verkaufsflächebegonnen und sind inzwischenbei über 550 Produkten angekom-men. Als vegetarischer „Tante-Emma-Laden“ bieten wir Lebens-mittel und verschiedene Produktedes täglichen Bedarfs an, sodasssich die Kunden komplett bei unseindecken können.

Sie haben viele regionale produkteim Sortiment. Viele stammenauch aus nachhaltiger produktion,sind fair gehandelt und bio. Damitgeht Ihr engagement weit überdie Müllvermeidung hinaus …

Auf alle Fälle, man muss das ganzeSystem betrachten und wir versu-chen hier, viele Aspekte abzude-cken. Das bedeutet auch einenSchritt zurück vom alltäglichenKommerz der ständigen Verfüg-barkeiten und des schnellen Kon-sums. Wir sehen bei uns den Be-griff der Wertschätzung als unserePhilosophie und das trifft alle: Um-welt, Natur, Lieferanten, Partner,Kunden … und nicht zuletzt auchuns selbst.

gibt es produkte, die man nichtunverpackt verkaufen kann, etwa Zahnpasta?

Ja, wobei gerade Zahnpasta ha-ben wir in fester Form, als Tablette,unverpackt. In Einwegverpackun-gen findet man bei uns nur einpaar Drogerieartikel, ansonstensind verpackte Lebensmittel, so-wie Molkereiprodukte, Säfte undFruchtaufstriche grundsätzlich inPfand- oder Mehrweggebindenverpackt.

gibt es noch probleme, für die Sienach Lösungen suchen?

In erster Linie haben wir ein Platz-problem. Außerdem hätte ich ger-ne eine kleine Pflanzenmilch- undTofu-Manufaktur in der Nähe, dieuns mit diesen in Mehrwegverpa-ckungen versorgen kann.

Versuchen Sie auch im privatleben, Müll zu vermeiden?

Durch unseren Laden haben wirnatürlich gute Möglichkeiten. Beiuns liegt die Priorität aber auf derLadenführung, da bleibt das eineoder andere private Ziel hintenan.So essen wir gerne eine Pizza, diewir abends auf dem Heimweg inPappe verpackt mitnehmen. AlsVegetarier haben wir auch das Pro-blem, dass es Fleisch- und Milch-ersatzprodukte nur in „schlechten“Einwegverpackungen gibt.

Was raten Sie Menschen, die sich dem Thema Müllvermeidungerstmals annehmen?

Machen Sie kleine Schritte! Mansollte so beginnen, dass man sichund die Umwelt nicht überfordert.Dann macht das Abfallvermeidenauch richtig Spaß. Fangen Sie da-mit an, Obst und Gemüse unver-

packt einzukaufen. Erziehen SieIhre Bäcker und Metzger, denn oftwerden hier die gesetzlichen Vor-schriften strenger ausgelegt alsnötig. Meist fehlt nur der Wille.

Wer versucht, weniger Müll zuproduzieren, muss sich besser organisieren. Ist somit alltagsstressein killer für diese Lebensweise?

Auf den ersten Blick scheint es sozu sein. Wenn man aber genaueranalysiert, wo die Zeit bleibt, ist eseher eine Frage der Prioritätenset-zung. Viele Kunden genießen dieEntschleunigung bei uns und dasGefühl, mit Ruhe und Sinnlichkeiteinkaufen zu können. Wer Nah-rung nur als schnellen Sattmachersieht, wird kaum den Weg zu unsfinden. Bei uns geht es um Nach-haltigkeit, Fairness, Gesundheitund Genuss – und das brauchteinfach Zeit.

Sehen Sie sich mit Ihrem kleinenunverpackt-Laden manchmal alsDavid gegen goliath?

Dass sich große Supermärkte mitbio und neuerdings mit „unver-packt“ auseinandersetzen, zeigt,dass wir eher Ideengeber als Geg-ner sind. Außerdem bieten wirmehr als „unverpackt“: nämlichdie Wertschätzung der Lebens-mittel. Danach sehnen sich vieleMenschen. Eine Gefahr sehe icheher darin, dass die großen Kettendas Unverpackt-Prinzip schlechtumsetzen könnten – in SachenHygiene, Versorgung und Schäd-linge – und uns Unverpackt-Lä-den so in Verruf bringen können.

können Sie einen besonders schönen Moment seit eröffnungdes Ladens beschreiben?

Es gab so viele tolle Momente unddie gibt es auch heute noch.

- GENUSS

braucht. Den Rest machen wirdann an der Kasse. Nur bei Essigund Öl sowie den flüssigen Dro-gerieartikeln gibt es andere ge-setzliche Vorgaben, die aber leichteinzuhalten sind.

Wer kauft bei Ihnen ein?

Zu uns kommen Jung und Alt.Hauptsächlich sind es Menschen,die ein ausgeprägtes Umweltbe-wusstsein haben, also bevorzugtbio einkaufen und auf unnötigeEinwegverpackungen verzichtenwollen. Auch die Möglichkeit, nurso viel einzukaufen, wie man wirk-lich braucht, zieht einige Men-schen zu uns. Inzwischen konntenwir uns auch einen guten Ruf inBezug auf eine außerordentlicheQualität machen, sodass auch derein oder andere Gourmet seinenWeg zu uns findet.

Eine Kundin füllt Flüssigseife ab

Schüttgutt®Vogelsangstr. 51; 70197 Stuttgart

www.schuettgut-stuttgart.de

Öffnungszeiten:Mo.,Do.: 10 – 19 Uhr; Di., Fr.: 10 – 18 UhrMi.: 12 – 18 Uhr; Sa.: 9 – 14 Uhr

58 1/2018Ratgeber

DEUTSCHLAND:rutaNatur, AugsburgMein Markt meene Welt, Berlin FriedrichshainOriginal Unverpackt, Berlin KreuzbergFreikost Deinet, BonnWunderbar Unverpackt, BraunschweigSelFair, BremenUnverpackt Darmstadt, DarmstadtLose, DresdenLouise genießt, ErfurtGlücklich unverpackt, EssenUnverpackt, Ettlingengramm.genau, FrankfurtGlaskiste – Natürlich Unverpackt, FreiburgEmma’s Tante – unverpackte Naturalien, GörlitzOhne Gedöns, HamburgStückgut Hamburg, HamburgLoLa – der LoseLaden, HannoverAnnas Unverpacktes, HeidelbergJeninchen, JenaUnverpackt, KarlsruheUnverpackt – lose, nachhaltig, gut, KielGutes Unverpackt, KirchbergTante Olga – Köln unverpackt, KölnVeedelskrämer, KölnBack to Nature – verpackungsfrei, KonstanzUnverpackt Landau, LandauEinfach Unverpackt, LeipzigUnverpackt Lübeck, LübeckFrau Ernas loser Lebensmittelpunkt, MagdeburgHiesig Lecker, Magdeburgunverpackt Mainz, MainzHeimatliebe unverpackt, Markdorf/BodenseekreisTante LeMi, MönchengladbachOhne, München Plastikfreie Zone, München Einzelhandel – Zum Wohlfüllen, Münsternatürlich unverpackt, MünsterOhne Umweg, NördlingenTara – unverpackt genießen, OsnabrückKernidee, PaderbornTante Emmer, Passau

Füllgut – die Mehrwegerei, RegensburgNimm’s lose, RosenheimBio-Kogge, RostockUnverpackt Saar, SaarbrückenMüritz Unverpackt, RöbelUnverpackt GD, Schwäbisch GmündSchüttgut – nachhaltige & unverpackte Lebensmittel, StuttgartUnverpackt Trier, TrierBio Unverpackt, WiesbadenFüllbar, WittenUnverpackt Würzburg, Würzburg

LUXEMBURG:OUNI, Luxemburg

ÖSTERREICH:Das Gramm, GrazLiebe & Lose, InnsbruckUniKorn, VillachLunzers Maß-Greisslerei, Wien

SCHWEIZ:Abfüllerei Basel, BaselFürst Unverpackt, BülachUnverpackt Luzern, LuzernBio Ohne, TrogePfünderli, WidenFOIFI, Zürich

Hier können Sie verpackungsfrei einkaufen:Aber ein besonderer Augenblickwar für mich, als mein Unterneh-mensberater zum ersten Mal denfertigen Laden betrat und sagte:„So schön hatte ich es mir nicht inmeinen Träumen vorgestellt“. Dasmacht einen dann doch sehr stolz.

Sie bieten hilfen für Menschen,die selbst überlegen, einen solchen Laden zu eröffnen …

Ja, einige haben auch schon eröff-net, andere wiederum haben sichrechtzeitig dagegen entschieden.Ich bin ein Mann der ehrlichenund offenen Worte mit einer 30-jährigen kaufmännischen Erfah-rung und darauf kann man bauen.

Im Mai feiern Sie Zweijähriges.Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Nach einem holprigen Start undanfänglich leicht enttäuschendenZahlen, sind wir nun auf einemsehr guten Weg. Das Beste dabeiist das, was wir von unseren Kun-den zurückbekommen an Wissen,Wertschätzung und Menschlich-keit. Das macht mich glücklichund das ist doch das Wichtigsteauf der Welt!

Die Fragen stellte Julia Meola

Jens-Peter Wedlich erklärt einemneuen Kunden das „Schüttgut“-Prinzip

Gut zu wissenLaut Umweltbundesamt werden jährlich über 2,8 MillionenTonnen Kunststoffverpackungen verwendet – Tendenz stei-gend. Das Trennen von Müll ist dabei nicht so effektiv wie vieledenken, denn: „Nur etwa ein Fünftel des recycelten Plastiks isttatsächlich wieder nutzbar“, weiß Milena Glimbovski. Die über-wiegende Menge wird verbrannt oder gelangt über Abflüsse indie Meere. Auf beide Weisen werden Ökosysteme zerstört.

Geht doch!Wer sich fragt, wie ein Alltag mitmöglichst wenig Abfall funktio-nieren kann, findet hier Antwor-ten. Kompetent, persönlich undmit einem Augenzwinkern verrätdie Autorin, die schon mit 22 Jah-ren einen Unverpackt-Laden er-öffnete, all ihre Tricks – und lässtdabei nichts aus. Perfekt!

Milena Glimbovski:Ohne Wenn und Abfall: Wie ich dem Verpackungswahn entkam, KiWi-Taschenbuch, 304 S., 12,99 €,ISBN 978-3-4620-5019-6

Auch im Unverpackt-Laden hat man die Wahl zwischen vielen

verschiedenen Nudelsorten