diablo 03 - das konigreich der schatten - richard a. knaak

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  • Das Knigreich

    Der Schatten

    RICHARD A. KNAAK

    Ins Deutsche bertragen von Ralph Sander

  • Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fr diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhlt-lich. Dieses Buch wurde auf chlorfreiem, umweltfreundlich hergestelltem Papier gedruckt. In neuer Rechtschreibung. German translation copyright 2004 by Panini Verlags GmbH, Rotebhlstrae 87, 70178 Stuttgart Alle Rechte vorbehalten Titel der amerikanischen Originalausgabe: Diablo (3): The Kingdom of Shadow by Richard A. Knaak. Original English language edition Copyright 2002 by Blizzard Entertainment.

    All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

    This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York. No similarity between any of the names, characters, persons and/or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s). , bersetzung: Ralph Sander Lektorat: Manfred Weinland Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest Chefredaktion: Jo Lffler Umschlaggestaltung: tab Werbung GmbH, Stuttgart, Cover art by Bill Petras Satz: Greiner & Reichel, Kln Druck: Panini S.P.A. ISBN: 3-8332-1042-7 Printed in Italy www.dinocomics.de

  • Fr Chris Metzen und Marco Palmieri.

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    Eins

    Der furchtbare Schrei hallte vom Fluss herber. Kentril Dumon fluchte innerlich, whrend er den Anderen Be-

    fehle zurief. Er hatte seine Mnner eindringlich davor gewarnt, sich irgendwelchen Gewssern zu nhern, doch im dichten, schwlen Dschungel von Kehjistan war es nicht immer einfach, an jeden der Myriaden Flsse und Strme zu denken. Zudem neigten einige der anderen Sldner dazu, smtliche Befehle zu missachten, wenn ein khles Nass nur wenige Schritte entfernt lag.

    Der Narr, dessen Schrei soeben ertnt war, hatte erfahren mssen, was es hie, ungehorsam zu werden allerdings wrde er nicht lange genug leben, um aus dieser Lektion eine Lehre zu ziehen.

    Der schlanke, gebrunte Hauptmann kmpfte sich, den Schrei-en folgend, durch das dichte Laub. Ein Stck voraus konnte er Gorst ausmachen, seinen Stellvertreter, ein riesiger Kmpfer, der sich seinen Weg durch die Ranken und ste bahnte, als bten sie keinerlei Widerstand. Whrend die meisten Sldner aus den khleren, hher gelegenen Regionen der Westlichen Knigreiche stammten und dementsprechend stark unter der Hitze litten, lie sich der braungebrannte Gorst davon nichts anmerken. Die struppige Mhne des Mannes, die mit ihrer tiefschwarzen Farbe einen krassen Kontrast zu Kentrils hellbraunem Haar bildete, lie den Riesen wie einen Lwen auf der Flucht erscheinen, wh-rend er in Richtung Flussufer davoneilte.

    Hauptmann Dumon kam nun schneller voran, da er der von

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    seinem Freund geschlagenen Schneise folgen konnte. Das Schrei-en hielt an und weckte die grausame Erinnerung daran, wie drei andere Mnner seiner Truppe ihr Leben hatten lassen mssen, seit sie in den Dschungel vorgedrungen waren, der den grten Teil des Landes bedeckte. Der Zweite von ihnen war eines ent-setzlichen Todes gestorben, als ihn eine Horde monstrser Spin-nen berrannte, die so viel Gift in seinen Krper gepumpt hatten, dass sein Leib vllig aufgedunsen war. Kentril hatte daraufhin befohlen, mit Fackeln gegen das Spinnennest und seine hungri-gen Bewohner vorzugehen, um die Kreaturen zum Raub der Flammen werden zu lassen. Das Leben des Mannes war zwar dadurch nicht gerettet worden, doch wenigstens hatte man seinen Tod auf diese Weise rchen knnen.

    Der dritte glcklose Kmpfer wurde nie wieder gefunden, nachdem er einfach auf einem mhseligen Marsch durch ein Gelnde verschwunden war, dessen Boden so sehr nachgab, dass er die Stiefel bei jedem Schritt frmlich nach unten zog. Nach-dem der Hauptmann dabei selbst einmal fast bis zu den Knien eingesunken war, konnte er sich nur zu gut vorstellen, welches Schicksal diesen Soldaten ereilt hatte. Dieser Boden war durchaus in der Lage, ein rasches und schreckliches Ende zu bereiten.

    Noch whrend er ber den Tod des Sldners nachdachte, der als Erster dem furchterregenden Dschungel von Kehjistan zum Opfer gefallen war, entdeckte er vor sich eine Szene, die jener Katastrophe zum Verwechseln hnlich sah.

    Eine gewaltige, schlangengleiche Kreatur erhob sich hoch ber das Flussufer, lngliche, reptilienartige Augpfel waren auf die kleinen Gestalten gerichtet, die sich vergeblich bemhten, sich vor dem riesigen Maul in Sicherheit zu bringen. Obwohl die Bestie ihre Kiefer fest um den in Panik geratenen Sldner ge-

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    schlossen hatte, durch dessen Schrei Kentril und die anderen aufmerksam geworden waren, schaffte sie es, die Menschen w-tend anzufauchen. Aus ihrer Seite ragte eine Lanze hervor, doch der Treffer war offenbar nicht ernsthafter Natur gewesen, da sich der Behemoth in keiner erkennbaren Weise daran strte.

    Irgendjemand feuerte einen Pfeil auf den riesigen Kopf ab und zielte offenbar auf eines der Augen, doch das Geschoss verfehlte sein anvisiertes Ziel und prallte wirkungslos von der Schuppen-haut ab. Das Tentakelbiest ein Name, den ihr geschtzter Auf-traggeber Quov Tsin fr diesen Schrecken verwendete schleu-derte seine Beute hin und her und gab Kentril auf diese Weise Gelegenheit, zu schauen, wen das Ungetm berhaupt zu fassen bekommen hatte.

    Hargo! Das hatte ja so kommen mssen. Der brtige Idiot hat-te sich whrend der Reise auf den Zwillingsmeeren bereits mehr-fach als Enttuschung entpuppt und sich seit der Ankunft an diesen Gestaden immer wieder vor ihm zugeteilten Aufgaben gedrckt. Doch bei allen Fehlern, ein solches Schicksal hatte auch Hargo nicht verdient.

    Macht die Seile bereit! brllte Kentril. Tentakelbiester be-saen ein Paar gekrmmter Hrner, die bis zum Hinterkopf und damit bis zu der einen Stelle an dem schlangenhnlichen Leib reichten, den die Sldner vielleicht zu ihrem Vorteil wrden nutzen knnen. Hindert die Bestie daran, in tieferes Gewsser zurckzukehren!

    Die anderen befolgten diese Anweisung, was Hauptmann Dumon nutzte, um seine Leute zu zhlen. Sechzehn, er selbst und der glcklose Hargo eingeschlossen. Damit waren sie voll-zhlig bis auf Quov Tsin.

    Wo war der verdammte Vizjerei denn nun schon wieder? Er

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    hatte die unerfreuliche Angewohnheit, der Gruppe ein Stck vorauszueilen, und die von ihm bezahlten Sldner im Ungewis-sen zu lassen, was er von ihnen erwartete. Kentril bereute schon lngst, auf dieses Angebot eingegangen zu sein, doch die Schilde-rungen des Schatzes, der sie erwarten wrde, waren einfach zu verlockend gewesen ...

    Er verwarf diese Gedanken, da Hargo immer noch eine kleine berlebenschance hatte. Das Tentakelbiest htte ihn mhelos in zwei Stck zerbeien knnen, doch meistens zogen diese Kreatu-ren es vor, ihre Beute unter Wasser zu ziehen, um sie auf diese Weise zu Tode kommen zu lassen. Auerdem wurde ihr Mahl auf diese Weise aufgeweicht und war so leichter zu verzehren, wie der verfluchte Hexenmeister es mit der Emotionslosigkeit eines Gelehrten ausgefhrt hatte.

    Die Mnner hatten inzwischen die Seile bereit, und Kentril be-fahl ihnen, Position einzunehmen. Andere waren derweil damit befasst, das gigantische Reptil immer wieder zu attackieren, um es abzulenken und es nicht auf den Gedanken kommen zu lassen, sich einfach von den Menschen zurckzuziehen. Wenn die Sld-ner dieses einfltige Tier nur noch ein paar Augenblicke lnger aufhalten konnten ...

    Gorst hatte sein Seil als Erster wurfbereit. Er wartete nicht erst auf Kentrils ausdrcklichen Befehl, da er lngst erkannt hatte, was der Hauptmann beabsichtigte. Der Riese warf die Schlinge mit absoluter Przision ber das rechte Horn.

    Oskal! Versuch, Hargo ein Seil zuzuwerfen! Benjin, wirf dein Seil ber das andere Horn! Ihr zwei da helft Gorst!

    Der stmmige Oskal warf sein Seil dem geschwchten, blutberstrmten Mann im Maul des Behemoth zu. Hargo versuchte, es zu fassen zu bekommen, reichte aber nicht ganz heran. Das Tentakelbiest fauchte wieder und wollte sich

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    Tentakelbiest fauchte wieder und wollte sich zurckziehen, doch das Seil, das Gorst und die beiden anderen Mnner festhielten, lie es nicht sehr weit kommen.

    Benjin! Das andere Horn, verdammt! Wenn das Vieh aufhrt zu zappeln, krieg ich das ja auch si-

    cher hin, Hauptmann! Oskal warf sein Seil nochmals Hargo zu, der es diesmal zu fas-

    sen bekam. So kraftlos er auch inzwischen war, gelang es ihm doch, sich das Seil umzubinden.

    Die gesamte Szene erinnerte Kentril an ein makabres Spiel. Wieder verdammte er sich, dass er zu diesem Auftrag bereit ge-wesen war, und er verfluchte Quov Tsin, der ihm berhaupt erst dieses Angebot gemacht hatte.

    Wo war dieser ble Hexenmeister nur? Warum war er nicht so wie die anderen herbeigeeilt? War er womglich tot?

    Der Hauptmann bezweifelte, dass er so viel Glck haben knnte. Und ganz gleich, was in diesem Augenblick mit dem Vizjerei auch sein mochte, es wrde sich in keiner Weise auf die verzweifelte Situation auswirken, mit der sie hier konfrontiert waren. Alle Verantwortung lastete nur auf Kentrils Schultern.

    Ein paar Kmpfer versuchten nach wie vor, das Schlangenun-geheuer auf irgendeine Weise zu verletzen, doch die dicke Schuppenhaut des Tentakelmonsters hielt Lanzen und Schwerter davon ab, dass ihm Schaden zugefgt wurde. Die beiden Bogen-schtzen mussten unablssig darauf achten, nicht den Mann zu treffen, den sie zu retten versuchten.

    Dann endlich legte sich eine Schlinge um das linke Horn. Hauptmann Dumon unterdrckte jedoch die aufkeimende Hoff-nung, da es noch eine relativ leichte Aufgabe war, das Monster zu fangen. Unterworfen hatten sie es damit lngst nicht.

  • 10

    Jeder verfgbare Mann soll an den Seilen mithelfen! Bringt dieses Ding an Land, da ist es schwerfllig und verwundbarer! Er selbst begab sich zu seinen Mnnern und zog an dem Seil mit, das Benjin geworfen hatte. Das Tentakelbiest fauchte lautstark, doch auch wenn es in gewisser Weise verstand, in welcher Gefahr es schwebte, lie es seine Beute nicht los. Grundstzlich war Kentril ein Mann, der eine solche Beharrlichkeit bei einem le-benden Wesen bewunderte, jedoch nicht, wenn das Leben seiner eigenen Leute dabei auf dem Spiel stand.

    Zieht!, brllte der Hauptmann. Die Anstrengung sorgte da-fr, dass sein braunes Hemd schweinass auf der Haut klebte. Seine Lederstiefel ein besonders gutes Paar, das er sich von dem Lohn des letzten Kontrakts gekauft hatte sanken in den moras-tigen Untergrund nahe dem Wasser ein. Obwohl je vier Mann an den Seilen zogen, mussten sie all ihre Kraft einsetzen, um den Schrecken Zoll fr Zoll aus dem Wasser an Land zu zerren.

    Doch Zoll fr Zoll gengte letztlich, und als der gewaltige Leib der Bestie an Land gezogen wurde, verstrkten die Sldner ihre Anstrengungen noch weiter. Immerhin fehlte nicht mehr viel, um endlich ihren Kameraden befreien zu knnen.

    Da das Ziel nun viel nher war, hob einer der Bogenschtzen seine Waffe und zielte.

    Haltet ..., war alles, was Kentril noch sagen konnte, da bohr-te sich bereits ein Pfeil in das linke Auge der Kreatur.

    Das Schlangenmonster bumte sich vor Schmerz auf und ff-nete das Maul ein Stck weit, doch es gengte nicht, um den schwerverletzten Hargo herausfallen zu lassen, obwohl zwei Mnner gleichzeitig versuchten, ihn herauszuziehen. Zwar ver-fgte das Tentakelbiest ber keine nennenswerten Gliedmaen, doch es wand sich mit solcher Heftigkeit, dass es all seine Kont-

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    rahenten in Richtung des dunklen Wassers zu schleifen begann. Einer der Mnner hinter Gorst rutschte weg und brachte einen

    zweiten aus dem Gleichgewicht, woraufhin alle brigen Sldner den Halt verloren. Benjin konnte das Seil nicht lnger fassen und wre beinahe mit seinem Hauptmann zusammengestoen.

    Das Tentakelbiest, dessen Auge eine einzige Masse aus zer-strtem Gewebe war, zog sich weiter in Richtung Fluss zurck.

    Haltet es auf! brllte Kentril vergebens. Nur noch fnf Mnner versuchten, die Seile festzuhalten. Gorst, in dessen gro-em Krper jeder Muskel angespannt war, hielt sich gut, wenn man bercksichtigte, dass er nur von einem weiteren Sldner untersttzt wurde, doch letztlich konnte nicht einmal seine im-mense Kraft das Unvermeidliche verhindern.

    Die hintere Hlfte des gigantischen Reptils war bereits wieder im Wasser verschwunden. Der Hauptmann wusste, dass sie den Kampf verloren hatten. Es war unmglich, jetzt das Blatt noch einmal zu wenden.

    Hargo, dem es irgendwie gelungen war, sich weiter an sein Leben zu klammern und nicht das Bewusstsein zu verlieren, hatte offenbar auch erkannt, dass er verloren war. Sein Gesicht war eine einzige blutige Masse, und mit heiserer Stimme flehte er seine Kameraden an.

    Kentril wrde diesen Mann nicht genauso qualvoll sterben las-sen wie den ersten. Benjin! Fass wieder das Seil!

    Es ist zu spt, Hauptmann, wir knnen ... Du sollst das Seil fassen, habe ich gesagt! Als der Kmpfer gehorchte, rannte Kentril zu dem Bogen-

    schtzen, der ihm am nchsten war und der wie versteinert da-stand. Sein Mund stand offen, seine Haut war knochenbleich, whrend er nur zusehen konnte, wie das Schicksal seines Gefhr-

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    ten unerbittlich seinen Lauf nahm. Dein Bogen! Gib ihn mir! Hauptmann? Dein Bogen, verdammt noch mal! Kentril riss die Waffe aus

    den Hnden des verstndnislosen Bogenschtzen. Der Haupt-mann hatte lange und zielstrebig das Bogenschieen gelernt, und von seiner zusammengewrfelten Mannschaft war er immer noch der Zweit- oder Drittbeste. Fr das, was er nun vorhatte, konnte Kentril aber nur beten, dass er der Beste sein wrde.

    Unverzglich hob der drahtige Kommandant den Bogen und nahm sein Ziel ins Visier. Hargo sah ihn an und verstummte schlagartig. Ein Blick in die flehenden Augen des Sterbenden gengte dem Hauptmann, um zu erkennen, dass er keine Zeit vergeuden sollte was er dann auch nicht tat.

    Der hlzerne Bolzen traf Hargo in die Brust und lie den Mann auf der Stelle tot zusammensacken.

    Diese Handlung traf die anderen Sldner gnzlich unvorberei-tet. Gorst lie das Seil los, die anderen taten es ihm einen Mo-ment spter nach, da sie nicht mit ins Wasser gerissen werden wollten.

    Schweigend sahen die berlebenden mit an, wie das Monster sich in den Fluss zurckzog und vor Schmerz und Wut auch dann noch fauchte, als sein Kopf bereits untertauchte. Fr einen kur-zen Moment waren Hargos Arme noch an der Wasseroberflche zu sehen, doch dann waren auch sie verschwunden.

    Kentril lie den Bogen sinken und wandte sich ab. Die anderen Kmpfer sammelten hastig ihre Habseligkeiten

    ein und folgten ihm wie ein Mann. Nach dem dritten Todesfall waren sie selbstgefllig geworden, und das hatte nun einer von ihnen mit dem Leben bezahlen mssen. Kentril gab sich daran

  • 13

    die Hauptschuld, da er als der Hauptmann besser auf seine Leute htte achten mssen. Nur einmal war er vor dem heutigen Zwi-schenfall gezwungen gewesen, einen seiner Mnner zu tten, um dessen Leiden ein Ende zu setzen, doch das war auf einem richti-gen Schlachtfeld gewesen, nicht in einem Tollhaus, wie es dieser Dschungel darstellte. Dieser erste Mann hatte auf dem Boden gelegen, sein Bauch war nur noch eine blutige Masse gewesen, dass sich Hauptmann Dumon gewundert hatte, den Verwundeten berhaupt noch lebend vorzufinden. Da war es ein Leichtes ge-wesen, den tdlich verwundeten Soldaten zu erlsen. Doch dies hier ... dies war barbarisch gewesen.

    Kentril, sagte Gorst ruhig. Fr jemanden, der so gro war wie dieser Riese, konnte der Mann sehr sanft sprechen, wenn ihm danach war. Kentril. Hargo hat ...

    Schweig, Gorst. Kentril ... Es reicht. Von allen Mnnern, die je seinem Kommando un-

    terstanden hatten, war Gorst der Einzige, der ihn duzte und mit dem Vornamen anredete. Hauptmann Dumon hatte ihm das nie angeboten, der Riese war einfach zu der Ansicht gelangt, es zu tun. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie so gute Freunde geworden waren. Gorst war der einzige wahre Freund, der je fr Geld unter Kentrils Kommando gekmpft hatte.

    Nun waren nur noch fnfzehn Mann brig. Wieder einer we-niger, mit dem der angebliche Schatz geteilt werden musste, von dem der Vizjerei gesprochen hatte. Aber auch wieder einer weni-ger, um die Gruppe im Fall eines Angriffs zu verteidigen. Kentril htte liebend gern mehr Sldner mitgenommen, doch Tsins An-gebot hatte nicht mehr Interessenten auf den Plan gerufen. Die siebzehn Kmpfer, die ihn und Gorst begleiteten, waren die Ein-

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    zigen, die sich auf die mhselige Reise hatten begeben wollen. Die Bezahlung, die Quov Tsin angeboten hatte, war nur mit Mhe genug gewesen, um die Mnner zu entlohnen.

    Apropos Tsin ... wo war der Mann? Tsin, verdammt sollt Ihr sein! brllte der narbengesichtige

    Hauptmann in den Dschungel. Wenn Euch nicht irgendetwas aufgefressen hat, dann zeigt Euch auf der Stelle!

    Keine Antwort. Kentril versuchte, im dichten Gewirr aus Bumen und Blt-

    tern den kleinwchsigen Zauberkundigen zu entdecken, doch nirgends war Quov Tsins kahler Kopf zu sehen.

    Tsin! Zeigt Euch endlich, sonst werden meine Mnner Eure kostbare Ausrstung in den Fluss werfen! Dann knnt Ihr Euch mit den Bestien herumschlagen, wenn Ihr wieder eine Eurer unaufhrlichen Berechnungen vornehmen wollt! Seit Beginn dieser Reise hatte der Vizjerei immer wieder Pausen eingelegt, um Instrumente aufzubauen, Strukturen und Muster aufzu-zeichnen und kleinere Zauber zu wirken allesamt Dinge, die sie zu ihrem Ziel fhren sollten. Tsin schien zu wissen, wohin die Reise ging, doch von den anderen htte das bislang niemand sagen knnen, nicht einmal Kentril.

    Aus einiger Entfernung war eine helle, recht nasale Stimme zu hren. Was ihr Arbeitgeber sagte, konnten weder er noch Gorst verstehen, aber der herablassende Tonfall des Sprechers war unverkennbar der von Tsin.

    Dort entlang, sagte der Riese und zeigte nach rechts. Die Erkenntnis, dass der Hexenmeister nicht nur berlebt,

    sondern auch Hargos Schicksal vllig ignoriert hatte, lie Wut in Kentril aufsteigen. Whrend er weiterging, legte sich seine Hand um das Heft seines Schwertes. Nur weil der Vizjerei sich ihre

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    Dienste erkauft hatte, gab ihm das nicht das Recht, sein eher dubioses magisches Talent zu verweigern, und eine Rettung des Sldners nicht einmal zu versuchen.

    O ja, Quov Tsin wrde von ihm mehr bekommen als nur ein paar verrgerte Vorwrfe ...

    Wo seid Ihr?, rief er. Hier, wo denn sonst?, gab Tsin knapp zurck. Er befand sich

    irgendwo hinter dem dichten Blattwerk. Beeilt Euch geflligst, wir haben schon genug kostbare Zeit vergeudet!

    Vergeudet? Hauptmann Dumon wurde noch wtender. Ver-geudet? Als Sldner wusste er, dass seine Art, sich den Lebens-unterhalt zu verdienen, immer mit der Gefahr des Todes einher-ging. Doch Kentril hatte sich stets gerhmt, trotzdem zu wissen, was ein Leben wert war. Es waren immer die gewesen, die Gold und Reichtmer boten, die am wenigsten zu schtzen wussten, was ein Sldnerhauptmann und seine Mnner durchmachten.

    Langsam zog er das Schwert aus der Scheide. Mit jedem Tag, der verstrich, hatte diese Reise mehr und mehr wie ein planloses Umherirren ausgesehen. Kentril hatte genug davon, es war an der Zeit, die Abmachung aufzukndigen.

    Das ist keine gute Idee, murmelte Gorst. Du solltest deine Klinge wieder wegstecken, Kentril.

    Kmmere dich einfach nur um deine Angelegenheiten. Nie-mand wrde ihn aufhalten knnen, nicht einmal Gorst.

    Kentril ... In diesem Moment kam das Objekt von Kentrils Zorn durch

    das dichte Blattwerk. Auf Kentril, der selbst gut sechs Fu gro war, hatte der hnenhafte Gorst immer erstaunlich gewirkt, doch so, wie der den Kommandanten berragte, so gewaltig wirkte er selbst im Vergleich mit dem Vizjerei.

  • 16

    In den Legenden wurde das Volk der Hexenmeister immer als bermenschliche, groe Gestalten dargestellt, die rot-orangene, mit Runen bestickte Mntel den Turinnash oder geistigen Mantel mit Kapuzen trugen. Die kleinen silbernen Runen, mit denen das weite Kleidungsstck besetzt war, schtzten angeblich den Magier vor kleineren magischen Bedrohungen und in Maen sogar vor einigen dmonischen Mchten. Die Vizjerei trugen ihren Turinnash voller Stolz, fast wie ein offizielles Abzeichen, ein Symbol der berlegenheit. Zwar trug auch Quov Tsin einen solchen Mantel, doch bei nicht mal fnf Fu Gre trug der kaum dazu bei, irgendein Bild mystischer Macht zu vermitteln. Die schmchtige, runzlige Gestalt mit dem langen grauen Bart erinnerte Kentril nur an seinen alten Grovater, die aber nichts von der freundlichen Art des Letztgenannten besa.

    Tsins leicht schrg stehende, silbergrauen Augen sphten un-bersehbar geringschtzig ber seine Hakennase. Der kleinwch-sige Magier besa keinerlei Geduld, und er erkannte auch nicht, dass sein Leben in diesem Moment an einem seidenen Faden hing. Als Vizjerei verfgte er aber natrlich nicht nur ber Zau-ber, mit denen er sich verteidigen konnte. Auch der Stab, den er in der rechten Hand hielt, war mit Schutzzaubern versehen, die bei unzhligen Gelegenheiten zum Einsatz kommen konnten.

    Nur ein schneller Hieb, dachte Kentril insgeheim. Ein rascher Hieb, und dann hat diese scheinheilige kleine Krte die lngste Zeit gelebt ...

    Es wird auch allmhlich Zeit!, fuhr der Zauberkundige den Sldner an und fuchtelte mit dem Stab vor dem Gesicht des Hauptmanns hin und her. Wieso hat das so lange gedauert? Ihr wisst doch genau, dass mir die Zeit davonluft.

    Sogar schneller, als dir bewusst ist, du brabbelnder Kter ...

  • 17

    Whrend Ihr durch den Dschungel spaziert seid, Meister Tsin, habe ich versucht, einen Mann aus den Fngen dieser Wasser-schlangen zu retten. Wir htten Eure Hilfe gebrauchen knnen.

    Schn, schn, aber genug geredet. Quov Tsin lie seinen Blick ber den Dschungel hinter sich schweifen. Vermutlich war ihm nicht mal bewusst geworden, was Kentril ihm soeben gesagt hatte. Kommt! Schnell! Das msst Ihr sehen!

    Als sich der Vizjerei abwandte, hob Hauptmann Dumon wie-der seine Hand an das Schwert, bereit, es zu ziehen.

    Gorst legte ihm eine Hand auf den Arm. Lass uns sehen, was er hat, Kentril.

    Der Riese machte einen Schritt vor und stellte sich zwischen Kentril und Tsin, der ihm nichtsahnend den Rcken zugedreht hatte. Die beiden gingen los, und mit einigem Widerwillen folgte Kentril ihnen.

    Er konnte noch einige Augenblicke lnger warten. Quov Tsin und Gorst verschwanden im dichten Laub, und

    Kentril musste sich wenig spter wieder den Weg freischlagen, um weiterzukommen. Es war allerdings auch recht angenehm, da er sich bei jedem Hieb vorstellen knnte, nicht blo einen Zweig oder eine Ranke zu durchtrennen, sondern auf das Genick des Zauberkundigen einzuschlagen.

    Und dann endete der Dschungel unvermittelt. Die frhabend-liche Sonne beschien die Landschaft vor ihm auf eine Weise, wie es seit zwei Wochen nicht mehr der Fall gewesen war. Kentril sah auf eine Reihe von hohen, zerklfteten Gipfeln, die den Beginn einer gewaltigen Gebirgskette darstellten, die sich lngs durch Kehjistan zog und weiter nach Osten reichte, als man mit bloem Auge erkennen konnte.

    In der Ferne, unmittelbar ber dem stlichen Auslufer eines

  • 18

    besonders groen und hsslichen Gipfels an der Sdspitze dieser Gebirgskette lagen die von Wind und Wetter heimgesuchten und zusammengefallenen berreste einer einst mchtigen Stadt. Die Bruchstcke einer hohen Steinmauer, die die gesamte stliche Seite umgeben hatte, waren noch immer zu erkennen. Einige wenige robustere Bauten in der Stadt hatten dem allgemeinen Zerfall weitestgehend getrotzt, machten aber zumindest einen einsturzgefhrdeten Eindruck. Eines dieser Bauwerke mglicherweise der Palast des Herrschers ber dieses untergegangene Knigreich stand hoch oben auf einem ge-waltigen Hgel, von wo aus einst der Herr ber dieses Reich seinen gesamten Wirkungsbereich hatte berblicken knnen.

    Der Dschungel hatte ursprnglich dieser Region weichen ms-sen, doch ppige Pflanzen bedeckten lngst wieder weite Teile der Landschaft. Was sie im Lauf der Jahrhunderte noch nicht ber-wuchert hatten, war lngst ein Raub der Witterung geworden. Bodenerosion hatte einen Abschnitt der nrdlichen Stadtmauer und mit ihr einen groen Teil der Stadt mitgerissen. Zudem war ein betrchtlicher Teil des Berges weggebrochen und mitten in die Stadt gestrzt.

    Kentril konnte sich nicht vorstellen, dass in dieser Stadt noch irgendetwas heil geblieben war. Dieser antike Ort war dem Zahn der Zeit ganz offensichtlich zum Opfer gefallen.

    Das sollte Euren Zorn ein wenig besnftigen, Hauptmann Du-mon, erklrte Quov Tsin, der die Augen nicht von dem Anblick abwenden konnte. Sogar mehr als nur ein wenig.

    Wie meint Ihr das? Kentril lie sein Schwert sinken und be-trachtete mit einem gewissen Unbehagen die Ruinen. Er kam sich vor, als htte er soeben einen Ort erreicht, an dem sich sogar die Geister nur mit groer Behutsamkeit bewegten. Ist es das? Ist

  • 19

    das ... Das Licht unter den Lichtern? Das reinste aller Reiche in

    der Geschichte der Welt, erbaut am Hang des in den Himmel ragenden Berges mit dem Namen Nymyr? Aye, Hauptmann, das ist sie und fr unsere Ansprche genau zur rechten Zeit, wenn meine Berechnungen stimmen!

    Hinter Kentril waren erstaunte und verblffte Laute zu hren. Die anderen Mnner hatten soeben zu ihnen aufgeschlossen und die Worte des Hexenmeisters mitbekommen. Sie alle kannten die Legenden ber das Reich, das einst als Licht unter den Lichtern bezeichnet wurde, ein Ort, von dem es hie, er sei das eine K-nigreich, vor dem die Finsternis der Hlle zurckgeschreckt sei. Sie alle kannten diese Geschichte, auch diejenigen, die aus den Westlichen Knigreichen kamen.

    Hier hatte einst eine Stadt gestanden, die von denen verehrt wurde, die dem Licht folgten. Hier hatte ein Wunder gestanden, regiert von freundlichen Herrschern, die die Seelen aller in den Himmel gefhrt hatten.

    Hier hatte ein so reines Knigreich existiert, von dem man sich erzhlte, es habe sich schlielich ber die Ebene der Sterbli-chen begeben, und seine Bewohner htten die Grenzen berwun-den, die Sterblichen auferlegt waren, um sich zu erheben und sich den Engeln anzuschlieen.

    Dieser Anblick macht den Verlust Eurer Mnner mehr als wert, Hauptmann, flsterte der Vizjerei und zeigte mit einer knochigen Hand auf die Ruinen. Im Moment seid Ihr einer der wenigen Glcklichen, die einen Blick auf eines der Wunder der Vergangenheit werfen knnen auf das sagenhafte, verschollene Urehl

  • 20

    Zwei

    Ihre Haut hatte die Farbe von Alabaster und wies nicht den ge-ringsten Makel auf. Ihr kastanienrotes Haar fiel bis weit ber ihre vollkommen ebenmigen Schultern, und ihre Augen hat-ten das tiefste Smaragdgrn, das man sich nur vorstellen konnte. Htte ihr Gesicht nicht Merkmale des Ostens aufgewiesen, htte er sie durchaus fr eine der ungestmen jungen Frauen aus sei-ner Heimat halten knnen.

    Sie war eine Schnheit. Sie war alles, wovon ein erschpfter, von Kriegen geplagter Abenteurer wie Kentril whrend der Un-schuld seiner Jugend Nacht fr Nacht getrumt hatte und noch immer trumte.

    Zu schade, dass sie seit Hunderten von Jahren tot war. Kentril strich ber die Brosche, ber die er buchstblich ge-

    stolpert war, und blickte wiederholt zu seinen Gefhrten, die sich ganz in der Nhe aufhielten. Sie wussten nichts von seinem Fund, sondern waren nach wie vor damit beschftigt, in den von Pflanzen berwucherten Ruinen mhsam nach etwas von Wert zu suchen. Bislang war die Schatzsuche aus Kentrils Sicht ein vlliger Fehlschlag gewesen. Mit fnfzehn Mann suchten sie unablssig in den Ruinen einer der sagenumwobensten Stdte berhaupt, und wie sah das Ergebnis von drei Tagen harter Ar-beit aus? Ein kleiner Sack voll rostiger, verbogener und grten-teils zerbrochener Objekte, deren Wert eher zweifelhaft war. Die kunstvoll gearbeitete Brosche stellte den bislang beachtlichsten Fund dar, aber selbst sie wrde die mhselige Reise zu einem von Kfern heimgesuchten Ruinenfeld allenfalls zu einem Bruchteil

  • 21

    wettmachen. Niemand blickte in seine Richtung. Kentril entschied, dass er

    sich zumindest dieses eine Andenken mehr als verdient hatte, und steckte das Artefakt in den Beutel an seinem Grtel. Als Anfhrer der Sldner stand ihm ohnehin ein grerer Anteil an allen Funden zu, daher hatte der narbengesichtige Kommandant keine Bedenken, so zu handeln.

    Kentril? Der Hauptmann zwang sich, keinen ertappten Eindruck zu er-

    wecken, als er sich zu demjenigen umdrehte, der sich ihm klammheimlich genhert hatte. Es gelang Gorst trotz seines bul-ligen Aussehens immer wieder, sich nahezu lautlos zu bewegen.

    Kentril fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und versuchte, kein Schuldbewusstsein erkennen zu lassen. Gorst! Ich dachte, du wrdest unserem geschtzten Arbeitgeber mit seinen Werk-zeugen und Rechengerten helfen! Was fhrt dich zu mir?

    Der Magische Mann ... er will dich sprechen, Kentril. Auf Gorsts rundlichem Gesicht lag ein breites Lcheln. Zauberei fas-zinierte ihn wie ein Kleinkind, und auch wenn der Vizjerei dies-bezglich bislang wenig zum Besten gegeben hatte, schien sich der barbarisch wirkende Sldner bereits an den rtselhaften Ge-rten und Objekten zu ergtzen, die Quov Tsin mitgebracht hatte.

    Sag ihm, ich werde bald nach ihm sehen. Er will dich auf der Stelle sprechen, erwiderte der Hne,

    und sein Tonfall verriet, dass er nicht verstehen konnte, wie man nicht sofort zu dem Vizjerei eilen konnte, um zu erfahren, was dieser von einem wollte. Gorst glaubte ganz offensichtlich, ir-gendein wundersames Spektakel der Hexenkunst stehe unmittel-bar bevor, und jedes Zgern seines Freundes zog das Warten nur

  • 22

    unntig in die Lnge. Hauptmann Dumon zuckte mit den Schultern, da er wusste,

    dass es keinen Unterschied ausmachte, ob er sofort losmarschier-te oder noch eine Weile wartete. Auerdem wurde ihm mit ei-nem Mal klar, dass er einen Grund hatte, um sich mit dem Vizje-rei zu unterhalten. Also gut, begeben wir uns zum Magischen Mann.

    Als er an Gorst vorbeiging, fragte dieser pltzlich: Kann ich es sehen, Kentril?

    Sehen? Was meinst du? Das, was du gefunden hast. Kentril htte fast geleugnet, irgendetwas gefunden zu haben,

    doch Gorst kannte ihn viel zu gut. Er schnitt eine Grimasse, dann zog er die Brosche aus dem Beutel. Er hielt sie so, dass nur der Mann neben ihm sehen konnte, was er in der Hand hielt.

    Gorst grinste breit. Schn. Hr zu ..., setzte Kentril an, doch der hnenhafte Kmpfer

    hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und ihn einfach stehen lassen. Mit einem Mal kam dem Hauptmann die versuchte Tu-schung tricht vor. Er vermochte nie zu sagen, was Gorst gerade wirklich durch den Kopf ging, doch es schien, als sei der Freund, was die Brosche anging, nun zufrieden gestellt. Dieses Thema schien fr ihn abgeschlossen zu sein. Gorsts Magischer Mann erwartete sie also was fr Kentrils Gefhrten offenbar weitaus bedeutungsvoller war, als das Bild einer vor Jahrhunderten ge-storbenen Frau.

    Als sie Tsin erreichten, lief der Vizjerei ungeduldig vor einer Anordnung aus Steinen, alchimistischen Gertschaften und an-deren Instrumenten seines schndlichen Handwerks auf und ab. Hin und wieder kritzelte der kahlkpfige Hexenmeister etwas auf

  • 23

    ein Pergament, das auf dem von Kentrils Leuten behelfsmig errichteten Arbeitstisch lag. In erster Linie schien er damit be-schftigt zu sein, immer wieder durch ein Fernrohr zu schauen, das auf den hchsten Punkt des Nymyr ausgerichtet war. Danach widmete er sich jeweils wieder der Schriftrolle. Gerade griff der Vizjerei nach einem Gert, das fr den Sldner beinahe wie ein Sextant aussah, aber offensichtlich hatte der Hexenmeister einige Vernderungen daran vorgenommen. Als Quov Tsins knochige Finger das Gert berhrten, bemerkte er die beiden Mnner, die sich ihm nherten.

    Ah, Dumon! Es wird auch Zeit! Und hat die Arbeit des heu-tigen Tages bislang mehr Frchte getragen als an den vorange-gangenen Tagen?

    Nein ... es ist so, wie Ihr gesagt habt. Bis jetzt haben wir kaum mehr als Abfall gefunden. Von der Brosche erwhnte er nichts, denn bei seinem Glck htte Tsin gewiss irgendetwas von Bedeutung in den Fund hineininterpretiert und ihn augenblick-lich konfisziert.

    Egal, ganz egal! Ihr und Eure Bande knnt getrost weitersu-chen, so lange Ihr mir nur nicht im Wege steht. Jedenfalls bis ich die letzten Ergebnisse auswerten konnte. Httet Ihr irgendetwas gefunden, dann wre das natrlich erfreulich gewesen, aber ins-gesamt betrachtet macht mir mangelnder Erfolg nichts aus.

    Das mochte fr den Hexenmeister gelten, aber nicht fr die Sldner, die aus ihrem Unmut keinen Hehl machten. Kentril hatte ihnen die Reise mit den Worten des Vizjerei schmackhaft gemacht, und ein Fehlschlag wrde man in erster Linie ihm zur Last legen, nicht Tsin.

    Hrt zu, Hexenmeister, murmelte er. Ihr habt genug be-zahlt, um diese verrckte Mission auf die Beine zu stellen, aber

  • 24

    Ihr habt uns noch viel mehr versprochen. Ich wre damit zufrie-den, wenn ich jetzt nach Hause heimkehren und das alles hier einfach hinter mir lassen knnte. Aber die anderen versprechen sich einiges von diesem Unternehmen. Ihr habt gesagt, wir wr-den in diesen Ruinen einen Schatz finden einen sehr reichen sogar , aber bislang haben wir ...

    Ja, ja! Ich habe das doch lngst alles erklrt! Aber das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt! Bald, sehr bald schon!

    Kentril sah Gorst an, der nur mit den Schultern zuckte, dann wanderte sein Blick zurck zu dem schmchtigen Magier. Ihr habt mir einige wilde Geschichten erzhlt, Vizjerei, knurrte Hauptmann Dumon. Und je lnger das Ganze hier dauert, desto ungeduldiger werden meine Gefhrten. Warum erklrt Ihr mir und Gorst nicht einmal mit einfachen Worten, was Ihr eigentlich beabsichtigt?

    Das wre bloe Zeitverschwendung fr mich, brummte der kleine Hexenmeister mrrisch und seufzte, als er bemerkte, wie sich Kentrils Miene zusehends verfinsterte. Also gut, aber das ist das letzte Mal, dass ich darber rede. Ihr kennt ja bereits die Legenden ber die Gottesfrchtigkeit der Bewohner dieser Stadt, darum werde ich mir das ersparen und gleich zur Zeit der Unru-hen springen seid Ihr damit einverstanden?

    Nachdem Kentril sich gegen ein groes Trmmerstck der einstigen Stadtmauer gelehnt und seine Arme verschrnkt hatte, nickte er zustimmend. Gut, erzhlt ab da. Das ist auch der Punkt, an dem die Geschichte fr meinen Geschmack etwas zu phantastisch wird.

    Ein Sldner, der sich auch noch im Herummkeln ver-sucht... Quov Tsin unterbrach seine Arbeit und begann mit der Geschichte, von der Hauptmann Dumon glaubte, er wrde sie

  • 25

    noch hundertmal hren knnen, ohne sie jemals wirklich zu verstehen. Es begann in einer Zeit ... einer Zeit, die denen unter uns vertraut ist, die wir in den Knsten und dem Kampf zwi-schen Licht und Finsternis bewandert sind ... einer Zeit bekannt als der Sndenkrieg.

    Auch wenn die Jahre als Sldner ihn abgehrtet hatten, schau-derte es Kentril, als der kleine Vizjerei das letzte Wort aussprach. Bevor er mit Tsin zusammengetroffen war, hatte er nie von der-artigen Legenden gehrt. Doch etwas an diesem mythischen Krieg, von dem sein Geldgeber sprach, lie vor dem geistigen Auge des Sldners Bilder entstehen Bilder von teuflischen D-monen, die versuchten, die Welt der Sterblichen auf einen Weg zu fhren, der geradewegs in die Verdammnis fhrte.

    Der Sndenkrieg war nicht wie ein normaler Krieg ausgetra-gen worden, denn hier hatten Himmel und Hlle gegeneinander gekmpft. Erzengel und Dmonen mochten sich zwar wie zwei Armeen gegenbergetreten sein, doch die Schlachten spielten sich berwiegend hinter den Kulissen ab, verborgen vor den Blicken der Sterblichen. Dieser Krieg hatte sich zudem ber Jahrhunderte erstreckt was bedeutete fr unsterbliche Wesen schon Zeit? Knigreiche waren entstanden und untergegangen, Teufel wie Bartuc, der Kriegsherr des Blutes, waren an die Macht gelangt und wieder geschlagen worden doch dieser Krieg hatte kein Ende finden wollen. Bereits frh in diesem Ringen war das wundersame Ureh zu einem zentralen Schlachtfeld auserkoren worden.

    Alle wussten in jener Zeit von der Gre Urehs, erluterte der Hexenmeister. Ein Quell des Lichts, eine fhrende Macht des Guten in einer unruhigen Zeit, was natrlich bedeutete, dass nicht nur die Erzengel, sondern auch die Frsten der Hlle selbst

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    die Erzbsen auf die Stadt aufmerksam wurden. Die Erzbsen. Ganz gleich, in welchem Land man geboren

    war, ob in den Dschungeln von Kehjistan oder in den khleren Felsenregionen der Westlichen Knigreiche jeder kannte die drei Erzbsen, die ber die Hllenschlnde geboten: Mephisto, der Frst des Hasses, Herr ber die Untoten. Baal, Frst der Zer-strung und Chaosbringer. Und ... Diablo, die wohl meistge-frchtete, die absolute Manifestation des Schreckens. Ein Alp-traum nicht nur fr Kinder, sondern auch fr erfahrene Krieger, die gesehen hatten, was die Menschen sich gegenseitig anzutun in der Lage waren.

    Diablo war derjenige gewesen, der vor allem seinen Blick von seinem dmonischen Reich aus auf das strahlende Ureh gerichtet und der sich an dessen Ruhm am meisten gestrt hatte. Aus dem Chaos, das Baal erschuf, konnte wieder Ordnung werden. Der Hass des Mephisto vermochte von jedem Mann berwunden zu werden, der dazu stark genug war. Aber sich nicht vor der Furcht zu frchten das war etwas, was Diablo nicht glauben und noch weniger hinnehmen konnte.

    Das Land rings um Ureh wurde mit jedem Jahr finsterer, Hauptmann Dumon. Kreaturen, die vom Bsen erschaffen wor-den oder die nicht von dieser Welt waren, lauerten denjenigen auf, die in die Stadt reisen oder sie verlassen wollten. Dstere Zauber schlichen sich ein, wo sie es nur konnten, und die He-xenmeister des Knigreichs waren kaum mehr in der Lage, sie zurckzutreiben.

    Und mit jeder Niederlage durch die Bewohner von Ureh, so fuhr der Vizjerei fort, zeigte sich Diablo entschlossener denn je. Er wrde diese wundersame Stadt zu Fall bringen und ihre Ein-wohner zu Sklaven der Hlle machen. Jeder sollte sehen, dass es

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    auf der Ebene der Sterblichen keine Macht gab, die dem belsten der Erzbsen die Stirn bieten konnte.

    Schlielich war ein Punkt erreicht, da es niemand mehr wagte, diese Stadt anzusteuern, und nur wenigen Bewohnern gelang die Flucht. Es heit, dass daraufhin der Herrscher ber dieses Reich, der gerechte und edelmtige Juris Khan, seine Priester und Ma-gier um sich scharte, damit sie alles Erforderliche unternahmen, um das Volk ein fr allemal zu schtzen. Die Legende besagt, Juris Khan habe in einer Vision einen Erzengel gesehen, der ihm erklrte, die hheren Mchte htten die Prfungen ihrer erge-bensten Anhnger beobachtet und sich veranlasst gefhlt, ihnen die sicherste Zuflucht anzubieten, die nur denkbar war, wenn die Menschen es sich zur Aufgabe machen wrden, aus eigener Kraft dorthin zu gelangen. Auf dem Gesicht des Hexenmeisters zeichnete sich pltzlich ein beinahe entzckter Ausdruck ab. Er bot den Einwohnern von Ureh die Sicherheit des Himmels selbst als Zuflucht an.

    Gorst brummte, womit er seine aus tiefstem Herzen empfun-dene Ehrfurcht angesichts solcher Worte zum Ausdruck brachte.

    Kentril schwieg, hatte aber Schwierigkeiten, sich ein solches Angebot vorzustellen.

    Der Erzengel wollte die Himmelspforten fr die Sterblichen aus Ureh ffnen und sie an einen Ort fhren, den nicht einmal alle drei Erzbsen vereint angreifen konnten? Und die einzige Bedingung war, dass die Menschen von Ureh aus eigener Kraft den Weg dorthin finden sollten?

    Eine noble Geste, warf der Hauptmann ein und konnte sich seinen Sarkasmus nicht verkneifen. Wir sind hier, aber ihr msst schon sehen, wie ihr zu uns gelangt.

    Ihr wolltet die Geschichte hren, Dumon. Soll ich nun wei-

  • 28

    tererzhlen oder nicht? Ich habe wichtigere Dinge zu tun, als fr Eure Unterhaltung zu sorgen.

    Fahrt fort, Hexenmeister. Ich werde versuchen, meine Ehr-furcht zu zgeln.

    Mit einem verchtlichen Nasermpfen sagte Tsin: Der Erz-engel erschien Juris Khan noch weitere zwei Male in dessen Trumen, jedes Mal mit dem gleichen Versprechen und jedes Mal mit einigen Hinweisen darauf, wie dieses Wunder Wirklich-keit werden konnte ...

    Von seinen Visionen geleitet, trieb Lord Khan die Hexenmeis-ter und Priester zu Anstrengungen an, wie sie noch niemals zu-vor von jemandem zustande gebracht wurden. Von dem Erzengel hatte er Hinweise darauf erhalten, was getan werden musste, aber die Umstnde der Existenz dieses Engels machten es ihm unmglich, den Sterblichen weitere Erklrungen zu geben. Doch gestrkt vom Glauben an den Himmel unternahm Ureh alle nur denkbaren Anstrengungen, um diese wunderbare Aufgabe zu bewltigen. Die Einwohner wussten, was ihnen angeboten wor-den war, und sie wussten, welches Schicksal ihnen drohte, wenn sie scheiterten.

    Das Wenige, das wir ber diese Zeit wissen, stammt von Gre-gus Mazi, dem einzigen Bewohner von Ureh, der anschlieend in der Stadt gefunden wurde. Er war einer aus dem Kreis der Ma-gier, die an dem groen Zauber beteiligt waren, und nach An-sicht der meisten Gelehrten muss er im letzten Augenblick an seinem Glauben gezweifelt haben. Denn als die Hexenmeister und Priester schlielich den Weg in den Himmel ffneten wie, wurde nie geklrt , blieb Gregus Mazi als Einziger zurck.

    Nicht gerade gerecht. Von ihm, ging Quov Tsin ber Kentrils Einwand hinweg,

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    wissen wir, dass ganz Ureh einschlielich der Stadtmauern im Moment des bergangs in ein starkes rotes Licht gehllt wurde. Gregus, der noch immer vllig erschttert war, dass man ihn zurcklie, beobachtete, wie sich ber dieser eine zweite Stadt zu erheben begann, ein exaktes, wenn auch therisches Abbild von Ureh ...

    Vor den aufgerissenen Augen des glcklosen Hexenmeisters schwebte das gewaltige Trugbild ber seiner sterblichen Hlle. Von dort, wo Gregus Mazi stand, konnte er Fackeln und sogar einige Wachen auf den geisterhaft schimmernden Zinnen ausma-chen. Ihm kam es so vor, als htte die Seele von Ureh die Ebene der Sterblichen verlassen, denn als er sich umsah, stellte er fest, dass die verlassenen Gebude bereits zerfielen und einstrzten so als wre ihnen alle Substanz entzogen und nur verrottende Ruinen zurckgelassen worden.

    Als der einsame Mann wieder zum Himmel blickte, sah er, dass die schimmernde Stadt immer strker an Substanz verlor. Die karmesinrote Aura flackerte auf und wurde so grell wie die Sonne, die wenige Augenblicke zuvor untergegangen war. Gre-gus Mazi hatte nur fr eine Sekunde die Augen gegen die Hellig-keit abgeschirmt, und in dieser einen Sekunde war der phantasti-sche Anblick der schwebenden Stadt Ureh verschwunden.

    Gregus Mazi war danach ein gebrochener Mann, Hauptmann Dumon. Anhnger von Rathma, Nekromanten aus dem tiefsten Dschungel, fanden und versorgten ihn, bis sein Verstand wei-testgehend geheilt war. Er verlie sie schlielich, da sich in sei-nem Herzen lngst eine Besessenheit manifestiert hatte. Er woll-te sich seiner Familie und seinen Freunden anschlieen, ihnen doch noch folgen, und dafr reiste der Hexenmeister um die Welt. Er versuchte herauszufinden, was er dafr bentigte. Zwar

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    hatte er an dem Zauber mitgearbeitet, der das Volk von Ureh in den Himmel hatte flchten lassen, doch waren ihm bei weitem nicht alle Einzelheiten darber bekannt gewesen.

    Kommt auf den Grund zu sprechen, Tsin, weshalb wir hier sind.

    Kretin! Der Vizjerei warf ihm einen finsteren Blick zu und fuhr fort. Zwlf Jahre, nachdem Ureh aufgestiegen war, kehrte Gregus Mazi in seine verlassene Heimat zurck. Mit sich fhrte er Schriftrollen und Bcher, die alle seine Studien belegten. Hier und da hinterlie er einzelne Notizen, die ich zum grten Teil finden konnte. Nach zwlf Jahren also kam Gregus Mazi in die Ruinen zurck ... und verschwand spurlos.

    Kentril strich sich ber seinen Schnauzbart. Er kannte eine sehr realistische Antwort auf die Frage nach dem Schicksal des Hexenmeisters. Ein Tier hat ihn gefressen. Oder aber er hatte einen Unfall.

    Ich htte das wohl auch vermutet, mein werter Hauptmann, wre ich nicht frhzeitig auf dies hier gestoen.

    Quov Tsin griff in einen groen Beutel, in dem er seine wich-tigsten Notizen aufbewahrte, und kramte eine alte Schriftrolle hervor. Er hielt sie Kentril hin, der sie nur widerstrebend entge-gennahm.

    Hauptmann Dumon entrollte das Dokument so behutsam, wie er nur konnte. Das Pergament war brchig und die Schrift stark verblichen, doch mit ein wenig Anstrengung konnte er den Text entziffern. Das hat ein Mann aus Westmarch geschrieben!

    Ja, und zwar der Sldnerhauptmann, der Gregus Mazi auf seinen Reisen begleitete. Ich empfand es als ironisch und viel-leicht sogar vielsagend, dass Ihr auf mich zukamt, als ich mein Angebot an jeden richtete, der interessiert war. Ich betrachte es

  • 31

    als Schicksal, dass wir beide den Spuren meines Vorgngers und dieses Mannes folgen.

    Dieser Mann entpuppte sich als ein gewisser Humbart Wes-sel, ein erfahrener Kmpfer mit einer dankenswert klaren Art, sich in Wort und Schrift auszudrcken. Kentril berflog die Ab-stze, konnte zunchst aber nichts finden.

    Weiter unten, empfahl Tsin. Der Sldner widmete sich dem empfohlenen Teil der alten

    Schriftrolle, den Humbart Wessel unbersehbar erst, viele Jahre spter hinzugefgt hatte.

    Am siebten Tage gegen Sonnenuntergang, so begann der Ab-schnitt, nherte sich Meister Mazi wieder dem Rand der Ruinen. Ich sag zu ihm, dass diese Reise kein gutes Ende genommen hat, und dass wir gehen sollten. Er aber erwidert, er sei sich diesmal sicher. Der Schatten wird genau im richtigen Winkel stehen. Er msse es einfach.

    Meister Mazi hat uns viel Gold versprochen und auch noch ein anderes Angebot gemacht, das niemand annehmen wollte, ganz gleich, fr wie wrdig sie sich halten mgen. In den Himmel aufzusteigen, bot er an ... Nun bin ich lter, aber ich wrde es auch heute nicht annehmen.

    Der Schatten kam so, wie er gesagt hatte. Nymyrs Hand streckte sich nach dem alten Ureh aus. Wir sahen zu und waren so sicher wie schon zuvor, dass wir uns auf die Jagd nach einem Phantom begeben hatten.

    Oh, was fr Narren wir doch waren, dass wir das glaubten. Ich kann mich an den Schatten erinnern. Und an das Leuchten.

    Wie die Ruinen auf einmal wieder zu leben schienen. Wie das Licht von innen heraus strahlte! Schwren mchte ich noch im-mer, dass ich Stimmen hrte, aber niemanden sehen konnte!

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    Ich komme ... Das waren die letzten Worte von Meister Ma-zi, aber er hatte sie nicht an uns gerichtet. Ich kann mich trotz-dem an sie erinnern, und auch daran, wie wir dachten, wir wr-den den Glanz des Goldes sehen, von dem er immer wieder ge-sprochen hatte. Doch niemand wollte eintreten. Nicht ein Mann wollte Meister Mazi folgen, der allein hineintrat.

    Wir schlugen unser Lager auf, hrten die Stimmen, hrten, wie sie nach uns zu rufen schienen. Aber keiner von uns wollte gehen. Morgen, sagte ich zu den anderen, morgen, wenn Meister Mazi wieder herauskommt und uns zeigt, dass alles in Ordnung ist, gehen wir auch hinein und holen uns unseren Anteil. Eine Nacht wird nichts ausmachen, sagte ich ihnen.

    Aber am Morgen sahen wir nur die Ruinen. Keine Lichter. Keine Stimmen. Keinen Meister Mazi.

    Lord Hyram, ich schrieb dies auf wie vereinbart, und es geht nach Zakarum ...

    Hauptmann Dumon drehte die Rolle um und suchte nach der Fortsetzung des Textes.

    Ihr werdet nichts finden. Das Wenige, was nach diesem Ab-schnitt noch erhalten ist, widmet sich anderen Dingen und war fr mich ohne Bedeutung. Nur diese Seite.

    Ein paar Zeilen, hingekritzelt von einem alten Krieger? Des-halb sind wir hier? Kentril versprte den Wunsch, das Perga-ment in Tsins hssliches Gesicht zu schleudern.

    Kretin, gab Quov Tsin zurck. Ihr seht die Worte, aber ihr knnt nicht dahinter blicken. Vertraut Ihr einem von Eurer Art nicht? Er hob seine knorrige Hand. Ach, egal. Das diente ja auch nur dem Zweck, aufzuzeigen, worum es hier geht. Gregus Mazi fand einen Weg, in das alte Ureh zu gelangen, das er zwlf Jahre zuvor verloren hatte. Und wir knnen genau das Gleiche

  • 33

    erreichen! Kentril rief sich den Satz ber das Gold ins Gedchtnis, jenes

    Gold, das ihn berhaupt erst dieses Abenteuer hatte in Angriff nehmen lassen. Er hatte aber auch gelesen, dass Humbart Wessel und seine Mnner zu verngstigt gewesen waren, um die Gele-genheit beim Schopfe zu packen, als sie sich ihnen bot. Ich verspre noch nicht den Wunsch, in den Himmel aufzusteigen, Hexenmeister.

    Der kleine Tsin schnaubte verchtlich. Ich auch nicht! Gregus Mazi war auf diesem Weg willkommen, aber ich bin auf der Su-che nach einer irdischeren Belohnung. Sobald die Menschen von Ureh aufgestiegen waren, hatten sie keine Verwendung mehr fr die Dinge, die sie als Sterbliche sammelten. Ihre Wertgegenstn-de, Zauberbcher, Talismane ... das alles mssen sie zurckgelas-sen haben.

    Und warum haben wir dann noch nichts davon entdeckt? Die Hinweise finden sich in diesem Text von Humbart Wes-

    sel! Damit die lebenden Sterblichen aufsteigen konnten, mussten Juris Khan und seine Hexenmeister einen Zauber wirken, wie es ihn noch niemals gegeben hatte. Sie mussten die Distanz zwi-schen dieser Ebene und dem Himmel berwinden, also schufen sie einen Ort, der genau dazwischen lag in Gestalt jenes Schat-ten-Urehs, das Gregus Jahre spter wiederfand!

    Hauptmann Dumon versuchte nach Krften, der Logik des Magiers zu folgen. Das ihm versprochene Gold existierte dem-nach nicht innerhalb dieser Ruinen, sondern in einer schweben-den Vision der Stadt, wie sie jener Sldnerfhrer beschrieben hatte.

    Er sah auf die Trmmer und den Schutt, alles, was von Ureh brig geblieben war. Aber wie sollten wir einen solchen Ort

  • 34

    erreichen knnen, selbst wenn er wirklich existiert? Ihr sagtet, er sei nicht Teil unserer Welt, sondern befinde sich zwischen unse-rer und ... und ...

    ... dem Himmel, genau, fhrte der Vizjerei den Satz zu En-de. Er wandte sich wieder seinen Gertschaften zu und sphte durch eines der Objekte. Gregus Mazi hat mehr als ein Jahr-zehnt bentigt, um es zu schaffen. Doch dank ihm bentigte ich fr meine Berechnungen nur drei Jahre, nachdem ich die richti-gen Informationen ergattert hatte. Ich wei ganz genau, wann sich alles abspielen wird!

    Die Stadt kommt wieder zurck? Tsins sah Kentril mit groen Augen unglubig an. Natrlich!

    Habt Ihr denn berhaupt nicht zugehrt? Aber ... Ich habe Euch jetzt mehr als genug erzhlt, Hauptmann Du-

    mon, doch nun muss ich mich wieder an die Arbeit geben! Ver-sucht, mich nicht noch einmal zu stren, es sei denn, es ist unbe-dingt erforderlich. Habt Ihr verstanden?

    Kentril straffte die Schultern und biss die Zhne zusammen. Ihr habt mich zu Euch geholt, Vizjerei.

    Habe ich das? Ach ja, natrlich. Ich wollte Euch etwas sagen. Morgen Abend ist es so weit.

    Der Hauptmann zweifelte immer mehr daran, dass er und Quov Tsin dieselbe Sprache sprachen. Was ist morgen Abend, Hexenmeister?

    Das, worber wir eben gesprochen haben, Kretin! Der Schat-ten kommt morgen Abend, eine Stunde vor Anbruch der Nacht! Tsin sah wieder auf seine Notizen. Sagen wir vorsichtshalber eineinviertel Stunden.

    Eineinviertel Stunden, wiederholte der Hauptmann ver-

  • 35

    blfft. Ja, ganz genau. Und nun geht endlich! Der kahlkpfige Viz-

    jerei vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Kentril sah ihm zu und erkannte, dass der schmchtige Mann lngst die Anwesenheit der beiden Kmpfer vergessen hatte. Das Einzige, was fr Quov Tsin zhlte, das Einzige, was fr ihn existierte, war das verschollene, legendre Ureh.

    Kentrils Gedanken berschlugen sich. Nun wusste er mit Si-cherheit, dass er einem Verrckten gefolgt war. All das voraus-gegangene Gerede ber Gold hatte den Hauptmann glauben lassen, Tsin meine damit, dass die Reichtmer der Stadt in einem Versteck untergebracht seien, und dass sie sich mit Hilfe der Schatten zu einer bestimmten Tageszeit ausfindig machen lassen wrden. Ihm war nicht klar gewesen, dass der Vizjerei einem Spuk nachjagte, einem Ort, der nicht existierte nicht auf dieser Welt jedenfalls.

    Was aber, wenn Tsin Recht hatte? Wenn die Legende um diese Stadt auch ein Krnchen Wahrheit enthielt? Im Himmel brauch-te niemand Gold. Vielleicht hatte man wirklich alles so zurckge-lassen, wie der Hexenmeister es behauptete, und sie mussten es nur finden ...

    Aber fr Humbart Wessel war diese Mglichkeit offenbar Realitt geworden, und doch hatte keiner seiner Mnner einen Schritt hinein in das schattenhafte Knigreich gewagt.

    Kentril Dumon schob die Hand in den Beutel, den er am Gr-tel trug, und holte die Brosche hervor, die er gefunden hatte. Fr die abgebildete Frau wre er gerne nach Ureh gereist. Da das aber nicht mehr mglich war, wrde er sich auch mit Schmuck aus ihrem Haus oder dem eines anderen wohlhabenden Brgers zu-frieden geben.

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    Schlielich brauchten die frheren Eigentmer ihre Schtze nicht mehr. Von seinem Posten auf dem zerfallenden Wachturm aus beo-bachtete Zayl die Sldnertruppe unter sich voller Sorge. Sie be-wegte sich wie ein kleiner, aber entschlossener Ameisenhaufen zwischen den Ruinen. Die Mnner suchten in jeder Spalte, sahen unter jedem Findling nach, und auch wenn sie kaum nennens-werte Erfolge vorweisen konnten, stellten sie ihre Bemhungen nicht ein.

    Seit der Ankunft der Neulinge hatte Zayl sie mit blasser Haut-farbe und ernster Miene beobachtet. Keiner der Zauber des ver-sierten Nekromanten hatte die Ankunft dieser Strenfriede vor-hergesagt, und zu einem so entscheidenden Zeitpunkt hielt Zayl das kaum fr puren Zufall.

    Ureh war von den Anhngern Rathmas immer sehr behutsam behandelt worden, da sie das hochempfindliches Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Existenzebenen gesprt hatten. Zayl war mit den Legenden so gut vertraut wie alle anderen, ber die wahre Geschichte, die sich dahinter verbarg, wusste er jedoch kaum etwas. Von Ureh hatte er sich immer angezogen gefhlt, sehr zur Verrgerung und Bestrzung seiner Mentoren. Sie glaubten, er sei besessen von dem Gedanken an die unglaubliche Magie und an die Macht, die derjenige in seinen Hnden halten wrde, der sie wieder erstehen lassen konnte. Immerhin hatten die Hexenmeister des versunkenen Reiches die Naht zwischen Leben und Tod viel strker berlappen lassen, als ein Nekromant es sich vorstellen konnte. Wenn die Legenden die Wahrheit er-zhlten, waren die Bewohner Urehs dem Tod entronnen was aber den Lehren Rathmas vollstndig widersprach.

  • 37

    Zayl versprte jedoch keinesfalls das Verlangen, die Geheim-nisse jener Magier zu ergrnden dies hatte er seinen Lehrern allerdings unterschlagen. Nein, der Nekromant, der die Sldner mit seinen mandelfrmigen Augen beobachtete, hatte es auf etwas vllig anderes abgesehen.

    Er wollte mit den Erzengeln selbst Kontakt aufnehmen und mit der hinter ihnen stehenden Macht.

    Wie Ratten, die nach Abfall suchen, spottete eine helle Stimme neben ihm.

    Ohne sich umzuwenden, erwiderte der Nekromant: Ich dach-te eher an Ameisen.

    Ratten sind sie, sage ich dir. Und ich sollte es wohl wissen, immerhin haben sie mir Arme und Beine abgenagt und sich dann durch meinen Brustkorb gefressen. Dieser verwahrloste Haufen dort macht auf mich den gleichen Eindruck wie die Bestien!

    Sie sollten jetzt nicht hier sein. Sie htten fortbleiben sollen. Das htte ihnen schon der gesunde Menschenverstand sagen mssen.

    Zayls Gefhrte lachte auf. Es klang hohl und verchtlich. Ich besa auch nicht genug Menschenverstand, obwohl auch ich es htte besser wissen sollen!

    Du hattest keine Wahl. Von Ureh einmal so berhrt, muss-test du schlielich zurckkehren. Der Nekromant sphte unter seiner Kapuze hervor und betrachtete das Areal hinter der Sld-nergruppe, von wo ihr mutmalicher Anfhrer soeben zu ihnen aufgeschlossen hatte. Bei ihnen ist ein Hexenmeister. Er hat sich noch nicht gezeigt, seit er herkam, aber ich kann ihn sp-ren.

    Stinkt er etwa so erbrmlich? Oh, ich wnschte, ich htte noch immer eine Nase.

  • 38

    Ich nehme seine Macht wahr ... und ich wei, er registriert meine ebenfalls, auch wenn ihm die Quelle vielleicht noch nicht bewusst ist. Zayl wich ein Stck zurck, dann erhob er sich. Von ihrer Position aus wrden ihn die Grabruber nicht entde-cken knnen. Weder er noch seine bezahlten Helfer drfen eingreifen.

    Was hast du vor? Der in Schwarz gehllte Zayl erwiderte nichts, sondern griff

    nach einer Reihe von Dingen, die er schon vorher neben sich angeordnet hatte. In seiner Grteltasche verstaute er einen aus Elfenbein geschnitzten Dolch, zwei nahezu abgebrannte Kerzen, eine kleine Phiole mit einer zhen, karmesinroten Flssigkeit dazu den menschlichen Schdel, dem der Unterkiefer fehlte und der den Mittelpunkt der Ansammlung gebildet hatte.

    Ganz sanft, spottete der Schdel. Wir sind ziemlich weit oben! Ich mchte den Sturz nicht noch einmal erleben!

    Still, Humbart. Zayl versenkte das makabre Artefakt in der Tasche und schloss sie. Nachdem er mit seinen Vorbereitungen fertig war, warf er einen letzten Blick auf die Schatzsucher in der Tiefe und sann ber deren Schicksal nach.

    Ganz gleich, wie er es anstellte, sie durften am morgigen A-bend nicht mehr hier sein davon hing nicht nur fr sie, sondern auch fr ihn selbst viel ab.

  • 39

    Drei

    Hauptmann Dumon ... Kentril wlzte sich im Schlaf und versuchte, trotz des steini-

    gen Untergrunds, auf dem er die Decke ausgebreitet hatte, eini-germaen bequem zu liegen. Lediglich Quov Tsin hatte ein Zelt, whrend die Sldner an Wind und Wetter gewhnt waren. Doch das Gebiet rund um die Ruinen von Ureh wirkte sogar auf diese hartgesottenen Kmpfer so beunruhigend, dass sie nicht zur Ruhe kommen wollten. Auch die anderen Mnner wlzten sich im Schlaf, mit Ausnahme von Gorst, der sogar auf einem Nagel-bett tief und fest geschlafen htte.

    Hauptmann Dumon ... Hmm? Was ...? Kentril sttzte sich auf einen Ellbogen auf.

    Wer ist da? Der fast volle Mond schien so hell, dass der Hauptmann einige

    Momente bentigte, bis sich seine Augen an die ihn umgebende Dunkelheit gewhnt hatten und er etwas erkennen konnte. Rings um das Lagerfeuer lagen seine Mnner, ein paar schnarchten, aber das lauteste Schnarchen kam aus dem Zelt des Hexenmeis-ters.

    Verdammter Ort ... Der Sldner legte sich wieder hin. Er freute sich bereits auf den Moment, wenn sie die Ruinen hinter sich lassen wrden.

    Hauptmann Dumon ... Kentril rollte sich von der Decke und hatte die Hand bereits

    um den Griff seines Dolchs gelegt, den er stets am Grtel trug. Seine Nackenhaare richteten sich auf, und ein eisiger Schauer lief

  • 40

    dem Anfhrer der Sldner ber den Rcken, als er eine Gestalt wahrnahm, die nur wenige Schritte von ihm entfernt zu seiner Rechten stand eine Gestalt, die gerade eben noch nicht dort gewesen war.

    Die Entdeckung an sich htte den Hauptmann vielleicht nicht sonderlich berhrt, da er sich selbst ebenfalls fast lautlos durch ein Gelnde bewegen konnte. Was ihn aber beunruhigte, was ihn erzittern lie, war die Tatsache, dass derjenige, in dessen Gesicht er starrte, kein anderer sein konnte als der glcklose Hargo!

    Dabei war da eigentlich gar kein richtiges Gesicht mehr, das er htte anstarren knnen, denn die rechte Hlfte war weggerissen worden, an ihrer Stelle schimmerte der blanke Schdel und wa-ren die verrottenden Reste von Muskeln zu sehen. Ein Auge fehlte, an seiner Stelle klaffte ein dunkelrotes Loch. Der ver-schmutzte Bart des Sldners umschloss einen Mund, der zu ei-nem Todesgrinsen verzerrt war. Das verbliebene Auge starrte Kentril vorwurfsvoll an.

    Aber es war nicht nur Hargos Gesicht, das massiv in Mitlei-denschaft gezogen worden war. Der rechte Arm war gleich un-terhalb der Schulter abgefressen worden, Brust und Bauch klaff-ten weit auf und gaben den Blick auf Rippen und Gedrme frei. Von der Kleidung des Mannes waren nur noch Fetzen brig, wodurch sein entsetzliches Schicksal noch unterstrichen wurde.

    Hauptmann Dumon ..., krchzte der unheimliche Besucher. Kentrils Finger wurden vllig schlaff, und er lie den Dolch

    fallen. Er sah sich rasch um, doch niemand sonst war von dieser grsslichen Erscheinung aufgeweckt worden. Die anderen schlie-fen, wenngleich sie sich immer wieder von einer Seite zur ande-ren drehten.

    Har-Hargo?, brachte er schlielich heraus.

  • 41

    Hauptmann Dumon... Der Leichnam torkelte ein paar Schritte vor, whrend Flusswasser aus der halb zerfressenen Gestalt sickerte. Ihr solltet nicht hier sein ...

    Was Kentril anging, htte er sich mit einem Mal nichts lieber gewnscht, als tatschlich wieder in Westmarch zu sein und sich in seiner bevorzugten Taverne einen Rausch anzutrinken. Jeder Ort auf der Welt wre besser gewesen als der, an dem er sich gerade befand.

    Ihr msst aufbrechen, Hauptmann, fuhr Hargo ungerhrt fort, obwohl in seinem Hals ein Loch klaffte, das ihn eigentlich am Sprechen htte hindern mssen. An diesem Ort wartet der Tod. Er hat mich gekriegt, und er wird auch Euch kriegen ... Euch alle ...

    Whrend er diese Warnung aussprach, hob der dahingeraffte Sldner seinen unversehrten Arm und zeigte auf den Haupt-mann. Das Mondlicht betonte den fahlen, todbringenden Glanz, der Hargos Leichnam berzog. Sogar am ansonsten unverletzten Arm hatte die Verwesung bereits eingesetzt.

    Was soll das bedeuten?, kam es Kentril ber die Lippen. Was willst du damit sagen?

    Hargo jedoch wiederholte lediglich seine Warnung. Er wird Euch alle tten. So wie mich, Hauptmann ... Er wird Euch alle mit in den Tod reien ...

    Mit diesen Worten wandte sich der Leichnam dem Nacht-himmel zu und stie einen Schrei aus eine Mischung aus Be-dauern und Angst, der das Blut in den Adern gefrieren lie.

    So hartgesotten Kentril auch war, hier sank er auf die Knie und presste sich die Hnde auf die Ohren, um das herzzerreien-de Wehklagen nicht lnger hren zu mssen. Trnen rannen ihm bers Gesicht, sein Blick war zu Boden gerichtet. Den schaurigen

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    Anblick konnte er nicht lnger ertragen. Dann verstummte der Schrei abrupt. Der Sldnerhauptmann wagte es, vorsichtig aufzublicken ... ... und erwachte. Aaaah! Kentril fuhr von seinem Schlaflager auf und warf

    die Decke zur Seite. Erst als er stand, wurde ihm bewusst, dass seine Mnner auf eine ganz hnliche Weise reagierten. Sie schrien entsetzt und warfen wilde Blicke nach allen Seiten. Zwei der Mnner hatten ihre Schwerter gezogen und fuchtelten wild herum, wobei sie Gefahr liefen, ihre Kameraden zu verletzen. Ein Kmpfer sa nur stumm da, die Augen weit aufgerissen, und zitterte am ganzen Leib.

    Kentril hrte, wie aus mehreren Richtungen ein Name gefls-tert oder gerufen wurde: Hargo.

    Ich hab ihn gesehen, keuchte Oskal. Stand vor mir, als wrde er leben!

    Von wegen leben!, zischte ein anderer. Der Leibhaftige selbst htte nicht schlimmer aussehen knnen!

    Das war eine Warnung, erklrte Benjin. Er will, dass wir von hier verschwinden. Der Kmpfer griff nach seiner Decke. Also, ich bin auf der Stelle dazu bereit!

    Hauptmann Dumon kam endlich zur Besinnung, als er sah, in welcher Verfassung sich seine Mnner befanden. Ganz gleich, welche frchterliche Botschaft Hargo berbracht hatte, der ge-sunde Menschenverstand verlangte nach vorsichtiger Vorge-hensweise.

    Halt!, ging Kentril dazwischen. Niemand geht irgendwo-hin!

    Aber, Hauptmann, protestierte Oskal. Ihr habt ihn doch auch gesehen. Ich erkenne es an Eurer Miene!

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    Das mag sein, doch ist es noch lange kein Grund, Hals ber Kopf in den Dschungel zu fliehen und vielleicht so zu enden wie Hargo, oder etwa doch?

    Dies schien ihnen allen einzuleuchten. Oskal lie die Decke fallen und betrachtete kurz die dstere Landschaft, die sich im Sden ausbreitete. Benjin erschauerte.

    Was meinst du, Gorst? Kentrils Stellvertreter war von allen in der Gruppe am gelassensten, auch wenn seine blicherweise frhliche Miene durchaus Sorge verriet. Hauptmann Dumon war froh, dass Gorst nicht in die gleiche Panik verfallen war wie die anderen.

    Wir sind hier besser aufgehoben, brummte der Riese. Hier ist es besser als da drauen.

    Habt ihr das gehrt? Nicht mal Gorst wrde jetzt in den Dschungel zurckkehren wollen! Glaubt denn wirklich einer von euch, sein berleben wre dort gesicherter als hier?

    Er hatte seine Mnner wieder unter Kontrolle. Niemand woll-te an jenen hllischen Ort zurckkehren, zumindest nicht bei Dunkelheit. Denn selbst der fast volle Mond wrde kaum helfen, die vielen dort lauernden Gefahren rechtzeitig zu erkennen.

    Kentril nickte zufrieden. Wir entscheiden das besser am Mor-gen. Und nun steckt eure Waffen weg! Bringt Ordnung in dieses Lager und sorgt dafr, dass die Feuer richtig brennen!

    Die Mnner gehorchten und nahmen sich besonders den letz-ten Befehl zu Herzen. Kentril nahm zur Kenntnis, dass sie sich allmhlich entspannten und eine vertraute Routine einsetzte. Er war sicher, dass die erfahrenen Kmpfer den Alptraum schon bald vergessen haben wrden. Mnner, die ihr Leben als Sldner bestritten, litten oft unter unruhigem Schlaf. Kentril selbst wur-de heute noch in zehrenden Trumen an seinen ersten Feldzug

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    erinnert. Damals waren sein Kommandant und fast alle Mnner der Schwadron vor seinen Augen abgeschlachtet worden. Er war nur mit Glck verschont geblieben, doch die Bilder dieser schrecklichen Geschehnisse war noch so deutlich, als wre es erst gestern geschehen.

    Dieser entsetzliche Traum hier aber war anders als jene wie-derkehrenden, qulenden Erinnerungen, denn Kentril hatte nicht als Einziger getrumt. Alle hatten es zur gleichen Zeit erlebt, und jeder seiner Mnner konnte den Traum mehr oder weniger ber-einstimmend wiedergeben ...

    Pltzlich schrte ein schroffes, durchdringendes Gerusch die berbleibsel der frchterlichen Vision aufs Neue, und Kentril hielt bereits den Griff seines Dolchs umschlossen, ehe er endlich begriff, worauf er eigentlich reagiert hatte: auf lautes Schnar-chen.

    Bei dem Verursacher handelte es sich um keinen anderen als um Quov Tsin. Der Vizjerei hatte nicht nur den Traum verschla-fen, sondern auch die sich anschlieende Panik!

    Unglubig strmte Hauptmann Dumon auf das Zelt zu, hielt sich aber im letzten Moment zurck. Was htte er davon, den schlafenden Hexenmeister zu sehen oder ihn sogar aufzuwecken? Tsin wrde den Hauptmann nur beschimpfen und dann von ihm wissen wollen, warum er seine Ruhe strte.

    Kentril wich zurck. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sich auf dem runzligen Gesicht des Vizjerei ein verchtlicher Ausdruck abzeichnete, sobald der Zauberkundige den Grund erfahren htte. Starke, tapfere Sldner, die sich vor einem Alp-traum frchteten? Quov Tsin wrde in Gelchter verfallen und Dumon und seine Mnner verhhnen.

    Nein, schlafende Hexenmeister weckte man besser nicht, ent-

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    schied Kentril. Morgen allerdings wrde er Tsin davon in Kennt-nis setzen, dass seine Sldner nicht die Absicht hatten, zu warten, bis das Gold von Ureh vom Himmel auf sie herabregnete. Mor-gen frh wrde Kentril sich mit seinen Leuten auf den Rckweg machen.

    Was hatten sie schon von allem Gold der Welt, wenn sie es mit dem Tod bezahlen mussten? Am Dschungelrand, vom Lager aus nicht zu sehen, hielt der durchnsste Hargo torkelnd inne. Zweige und Bltter, vom Nachtwind aufgewirbelt, wehten durch seine schaurige, geister-hafte Gestalt, ohne dass das verrottende Fleisch und die abgenag-ten Knochen ein Hindernis dargestellt htten. Das einzelne Auge starrte fiebrig, der Mund stand offen. Darin war eine geschwrzte Zunge und ebensolches Zahnfleisch.

    Von einem groen, knorrigen Baum blickte Zayl auf den Ghul hinab. In seiner Hand hielt der fahle Nekromant einen kleinen Talisman in der Form eines Drachen, um den ein Fetzen Stoff gewickelt war.

    Du hast deine Mission erfllt, lie er den Geist wispernd wissen. Du kannst nun ruhen, Freund.

    Hargo sah zu dem Nekromanten empor und verblasste im nchsten Moment.

    Kein sehr gesprchiger Kerl, meinte der Schdel, den Zayl auf einen Ast gesteckt hatte. Ich finde immer, dass der Tod et-was mehr Leben brauchte, um interessanter zu werden, oder?

    Sei ruhig, Humbart. Der schlanke Nekromant schob den Ta-lisman in eine Tasche seines Mantels. Den Stoff hatte er zuvor entfernt und betrachtete ihn nun einige Augenblicke lang nach-denklich.

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    Meinst du, die Jungs haben die Botschaft verstanden? Das will ich doch hoffen. Ich habe mir groe Mhe damit

    gegeben. Was das anging, hatte Zayl Recht. Er hatte den Tod eines der

    Sldner sogar von seinem Beobachtungsposten in der Nhe der Ruinen aus riechen knnen. Dadurch war es ihm mglich gewe-sen, die Spur bis zu dem Punkt zurckzuverfolgen, an dem der Mann gestorben war. Dort am Fluss war Zayl dann auf die Suche gegangen, um die Reste des dahingeschiedenen Hargo aufzusp-ren. Der Nekromant war mit diesem Stck Stoff belohnt worden, dies aber auch erst, nachdem er den Hunger jener Kreatur ansta-chelte, der der Mann zum Opfer gefallen war.

    Ein wenig Fleisch oder ein paar Tropfen Blut htten Zayl bes-sere Dienste geleistet. Doch der Stoff von der Kleidung des Toten hatte letztlich auch gengt, um den Mann zu beschwren. Im-merhin hatte er die Kleidung lange genug am Krper getragen, sodass die Verbindung stark genug gewesen war. Zayl hatte sich damit begngt, den schlafenden Geist der Sldner anzusprechen und ihren toten Kameraden zu benutzen, um sie aus Ureh zu vertreiben, ehe es zu spt war. Der tote Hargo hatte seine Aufga-be zur vollsten Zufriedenheit gelst. Der Nekromant war sicher, dass die Mnner bei Tagesanbruch die Flucht ergreifen wrden.

    Er war gar nicht erst in die Versuchung geraten, den Vizjerei in seinen Zauber einzubeziehen. Zum einen wre es reine Zeit-verschwendung gewesen, zum anderen htten die Abwehrzauber des Hexenmeisters, die auch im Schlaf aktiv waren, diesen auf Zayls Anwesenheit hingewiesen. Das jedoch durfte nicht gesche-hen.

    Wenn sie gehen, wird er auch gehen mssen, sagte die schwarz gekleidete Gestalt. Ja, er wird gehen mssen.

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    Nekromanten fhrten die meiste Zeit ein einzelgngerisches Leben und neigten wohl deshalb dazu, Selbstgesprche zu fh-ren. Auch nachdem er vor zwei Jahren auf die berreste von Humbart Wessel gestoen war und den Schdel mit Leben erfllt hatte, war es Zayl nicht gelungen, diese Angewohnheit loszu-werden.

    Humbart kmmerte es nicht, ob der andere mit sich selbst o-der mit ihm redete. Er reagierte jedoch darauf, wann immer ihm der Sinn danach stand was relativ hufig der Fall war.

    Das war verdammt gute Arbeit, sagte er. Vielleicht wird auch der Hexenmeister die Flucht ergreifen, aber nur, wenn die Krieger von hier verschwinden.

    Natrlich werden sie aufbrechen. Nach einem solchen Omen, das jeder von ihnen erlebt hat, mssten sie schon unglaubliche Narren sein, wenn sie blieben.

    Warte erst mal bis zum Morgen, mein nicht ganz so weltli-cher Freund. Das se Wispern des Goldes kann die schroffe Warnung durch einen Alptraum mhelos bertnchen! Oder glaubst du etwa, ich bin wegen des schnen Wetters und der verspielten Flussschlangen zurckgekehrt? Ha! Glaub es mir, Zayl. Wenn sie bei Tagesanbruch nicht losziehen, werden sie niemals verschwinden! Der kieferlose Schdel lachte glucksend.

    Der Nekromant nickte finster und lie den Stofffetzen zu Bo-den fallen. Beten wir, dass du dich irrst, Humbart. Die Mnner machten sich bereit und stellten sich in einer Reihe auf, damit der Hauptmann sie begutachten konnte. Unbehagen, gepaart mit Unsicherheit, zeichnete sich auf den Gesichtern vie-ler ab. Sie hatten einen weiten Weg zurckgelegt und ihr Leben fr zugesichertes Gold und Geschmeide aufs Spiel gesetzt. Wenn

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    sie jetzt umkehrten, wrden sie mit leeren Hnden dastehen. Aber wenigstens wrden sie dann zurckkehren knnen. Kei-

    ner von ihnen beneidete Hargo um dessen Schicksal. Kentril war entschlossen, seine Mnner von hier wegzubrin-

    gen. Die anderen mochten bereits wankelmtig geworden sein, doch er erkannte einen wahren Vorboten der Gefahr, wenn er ihn sah. Als er die Inspektion beendete, strich er mit der Hand ber die Grteltasche, in der sich die Brosche befand. Wenigstens wrde er nach der Heimkehr mehr besitzen als nur die beruhi-gende Gewissheit, berlebt zu haben.

    Quov Tsin verlie sein Zelt in dem Moment, als Kentril sich gerade wappnete, um sich ihm entgegenzustellen. Der kleine Hexenmeister blinzelte, als er in den Sonnenschein hinaustrat, erst dann bemerkte er, dass sich der Hauptmann nherte.

    Heute ist der groe Tag, Dumon! Die Geheimnisse, die Reichtmer von Ureh heute werden wir sie enthllen!

    Tsin, wir brechen auf. Quov Tsin kniff seine silbergrauen Augen strker zusammen.

    Was sagt Ihr da? Wir brechen auf. Wir bleiben nicht an diesem verfluchten

    Ort. Der Hauptmann hielt es fr besser, den wahren Grund zu verschweigen.

    Das ist doch lcherlich! Ein oder zwei Tage noch, dann knnt Ihr aufbrechen und seid so reich wie Knige!

    Einige der Mnner, die sie beide aus einiger Entfernung beo-bachteten, murmelten etwas. Hauptmann Dumon fluchte inner-lich. Da versuchte er, ihr aller Leben zu retten, und sie hatten nichts Besseres zu tun, als die erste Anspielung auf das angebli-che Gold mit wankelmtigen Bemerkungen zu kommentieren. Wie vergesslich manche Menschen doch sein konnten.

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    Wir brechen auf, mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich habe Euch bezahlt ... Gerade genug, um Euch hierher zu begleiten. Wir sind Euch

    nicht lnger verpflichtet, Vizjerei, und Ihr besitzt nichts, was Ihr uns noch als Lohn geben knntet.

    Der Hexenmeister ffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn dann aber abrupt wieder. Kentril, der mit einer der blichen Tiraden gerechnet hatte, reagierte verwirrt. Aber viel-leicht hatte er Tsin auch nur davon berzeugen knnen, wie sinnlos jede weitere Diskussion war.

    Wenn das Eure Entscheidung ist, bitte. Der kleine Mann drehte sich um und ging zurck zu seinem Zelt. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wrdet, ich habe zu tun.

    Kentril runzelte die Stirn, whrend er Quov Tsin nachsah. Er hatte sich gegen den Hexenmeister gestellt und war als Sieger hervorgegangen. Sein Kontrakt mit dem Vizjerei war erfolgreich aufgelst worden. Der Hauptmann und seine Leute konnten sich unverzglich auf den Weg machen ...

    Irgendetwas lie ihn zgern. Aber nur kurz. Wir knnen gehen!, jubelte er innerlich und wandte sich den

    anderen zu. Packt eure Sachen! Ich mchte, dass wir unverzg-lich aufbrechen! Verstanden?

    Sein ernster Blick und sein Befehlston veranlassten die Sld-ner, das Lager in Windeseile abzuschlagen. Whrend er seine eigenen Habseligkeiten einsammelte, sah Hauptmann Dumon hin und wieder zum Zelt jenes Mannes, in dessen Dienste sie nun nicht lnger standen. Kein einziges Mal sphte der Vizjerei heraus. Kentril fragte sich, ob der Mann wohl schmollte oder ob er einfach nur mit den Vorbereitungen fr das angebliche Spek-takel beschftigt war. Es gefiel ihm nicht so ganz, Tsin allein hier

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    zurckzulassen, doch wenn der Vizjerei bleiben wollte, whrend alle anderen Ureh schleunigst verlieen, musste es dem Haupt-mann recht sein. Seine Mnner kamen fr ihn an erster Stelle.

    Kurze Zeit spter waren die Sldner abmarschbereit. Gorst grinste Kentril an, der soeben den Mund aufmachte, um den Marschbefehl zu erteilen.

    Doch ein Grollen aus sdlicher Richtung sorgte dafr, dass ihm die Worte im Hals stecken blieben.

    Er blickte ber die Schulter und sah, dass vom Dschungel her dunkle Wolken aufzogen. Sie waren pechschwarz und kamen mit unglaublicher Geschwindigkeit nher. Der Wind frischte auf. Binnen weniger Atemzge hatte er die Heftigkeit eines Orkans erreicht. Blitze zuckten ber den Himmel, ein Sandsturm zog auf und strzte das Lager ins Chaos.

    Sucht Schutz! Kentril sah sich um und erkannte, dass einzig die verfallene Stadt ihnen den Schutz bieten konnte, den sie brauchten, wenn sie diesen titanenhaften Anschlag der Elemente berstehen wollten. Grimmig bedeutete er den anderen, ihm zu folgen.

    An einer Stelle, wo die Stadtmauer schon vor Jahren einge-strzt war, konnten die Sldner mhelos nach Ureh gelangen. Wie schon bei der vorausgegangenen Schatzsuche nahmen sie auch diesmal kaum etwas von der einst so grandiosen Architek-tur wahr. Kentril fand ein rundes, drei Stockwerke hohes Gebu-de, das er von allen Bauwerken in der nheren Umgebung noch fr das robusteste hielt. Er fhrte seine Mnner hinein, und sie kauerten sich im Inneren zusammen, um das Unwetter zu erwar-teten.

    Kaum waren die Sldner in ihre Zuflucht gelangt, setzte ein Wolkenbruch ein. Gleichzeitig schlugen gefhrlich nahe Blitze in

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    umliegende Bauten und Ruinen ein. Donnerschlge erschtterten das Gebude, als wrde es von einer ganzen Armee mit Katapul-ten beschossen. Staub und Putz rieselten von der Decke herab.

    Kentril sa in der Nhe des Eingangs und versuchte, nicht -ber das verheerende Unwetter nachzudenken. Blitz und Donner brachten ihm einmal mehr die Erinnerung an frhere Schlachten und gefallene Kameraden zurck. Aus Verzweiflung zog er schlielich die Brosche aus der Tasche und hielt sie so, dass nie-mand anderes sie sehen konnte, whrend er das Bild vertrumt betrachtete.

    Eine Stunde verging, dann zwei, schlielich drei, doch das Unwetter lie nicht nach. Die Sldner hatten keine Mglichkeit, ein Feuer zu entfachen und saen inzwischen in kleinen Gruppen zusammen. Manche von ihnen versuchten ein wenig zu dsen, andere unterhielten sich gedmpft.

    Immer mehr Zeit verstrich, bis Gorst auf einmal blinzelte und die Frage stellte, die Kentril selbst schon lngst htte aussprechen sollen wie ihm in diesem Moment bewusst wurde. Wo ist der Zaubermann?

    Bei ihrem berstrzten Aufbruch hatte keiner der Mnner auch nur einen Gedanken an den Vizjerei verschwendet. Doch so wenig der kleine Mann ihn auch kmmerte, so konnte Kentril ihn doch nicht dem Unwetter berlassen. Er steckte die Brosche zurck in die Tasche, erhob sich und sah die anderen an. Gorst, du bernimmst das Kommando, bis ich zurck bin. Ich beeile mich.

    Als er in der Tr stand, deutete nichts auf ein baldiges Ende des strmenden Regens hin. Hauptmann Dumon verfluchte sein lstiges Gewissen, dann lief er hinaus ins Unwetter.

    Der Wind peitschte so stark, dass er fast ins Haus zurckge-

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    wirbelt wurde. Er kmpfte sich trotzdem durch die Ruinen voran und suchte immer wieder ihren sprlichen Schutz.

    An dem Loch in der Stadtmauer blieb der Hauptmann stehen. Ein Blitz schlug in einiger Entfernung in den Boden ein und lie einen Regen aus kleinen Steinen und Lehmbrocken auf Kentril einprasseln. Danach atmete der Sldner tief durch und verlie den trgerischen Schutz Urehs.

    Er kniff die Augen gegen den Regen zusammen und hielt Aus-schau nach dem Zelt des Hexenmeisters.

    Schlielich entdeckte er es und stellte fest, dass es von den to-benden Elementen nicht im Geringsten betroffen zu sein schien. Obwohl es eine zerbrechliche Konstruktion war, schien es fast so, als meide jeder Windhauch und jeder Regentropfen den Kontakt mit dem Zelt. Selbst dem Unwetter ungeschtzt ausgesetzt, blieb Kentril stehen und schaute nur unglubig drein.

    Wieder schlug ganz nah ein Blitz ein. Kentril kam wieder zu sich und rannte auf das Zelt zu, whrend er sich dem Sturm e-benso hartnckig entgegenstemmte wie jedem anderen Gegner. Zweimal rutschte er aus, fiel, sprang aber sofort wieder auf. Dann endlich war Quov Tsins Unterkunft nahe genug. Er rief nach dem Hexenmeister, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten.

    Abermals schlug ein Blitz ein. Staub und Steine attackierten Kentril Dumon ebenso heftig wie der Regen. Er machte einen Satz und landete im Zelt.

    Und was, bitteschn, soll das werden? Der runzlige Vizjerei sa ber eine Schriftrolle gebeugt, als

    wisse er nichts von dem Unwetter, das drauen tobte. Verstnd-nislos musterte er Kentril.

    Ich ... ich wollte nach Euch sehen, ob ... alles in Ordnung ist, sagte der Sldner in bemhtem Ton. Tsin machte den Eindruck,

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    als sei er eben erst aus einem erholsamen Schlaf erwacht, wohin-gegen Kentril sich vorkam, als sei er durch einen der Dschungel-flsse geschwommen.

    Welche Besorgnis! Und warum sollte etwas nicht in Ord-nung sein?

    Nun, das Unwetter ... Der Hexenmeister zog eine Augenbraue hoch. Welches Un-

    wetter? Das Unwetter drauen ... Der Sldnerhauptmann hielt inne.

    Hier im Zelt war nichts von den Donnerschlgen und dem Heu-len des Windes zu hren! Der prasselnde Regen schien dem dn-nen Zeltstoff nichts anhaben zu knnen.

    Wenn da drauen ein Unwetter tobt, gab Quov Tsin zurck, solltet Ihr dann nicht durchnsst sein?

    Kentril sah an sich herab und erkannte, dass seine Stiefel und sonstige Bekleidung vllig trocken waren, und das galt auch fr seine Haare, die lediglich leicht verschwitzt von der Anstrengung waren.

    Aber ich ... wurde bis auf die Haut durchnsst ...! Hier im Dschungel ist die Luftfeuchtigkeit zeitweise sicher

    etwas extrem, aber Ihr macht auf mich keinen wesentlich ande-ren Eindruck als sonst, Dumon.

    Aber drauen ... Der Hauptmann wirbelte herum und schob die Zeltplanen des Eingangs beiseite, damit der Hexenmeister das Unwetter erkennen konnte.

    Strahlender Sonnenschein begrte den vllig verstndnislo-sen Kentril.

    Seid Ihr etwa eines mystischen Unwetters wegen den ganzen Weg durch den Dschungel zurckgerannt?, fragte der Zauber-kundige.

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    Wir haben das Lager nie verlassen, Tsin ... das Unwetter brach schon los, als wir am Packen waren.

    Und wo sind dann die anderen? Die haben Schutz gesucht ... in einer Ruine ... Noch wh-

    rend Kentril sprach, fhlte er, wie peinlich ihm die ganze Situati-on war. Mehr als ein Dutzend erfahrener Kmpfer hockte in diesem Moment in einem Haus, das ihnen seit Stunden Zuflucht bot vor ... einem wolkenlosen Himmel?

    Aber da war doch der Sturm gewesen ... Kentril sah sich um, konnte aber nirgends einen Beleg fr sei-

    ne berzeugung finden. Der felsige Boden wirkte unverndert ausgedrrt, nicht ein Tropfen Wasser war zu sehen. Der Wind wehte krftig, erreichte aber gerade mal einen Bruchteil der Str-ke, der Kentril eben noch ausgesetzt gewesen war. Und selbst sein eigener Krper widersprach dem, was er fr real gehalten hatte wie anders lie sich erklren, dass Kleidung und Haut praktisch trocken waren?

    Hmm. Hauptmann Dumon drehte sich wieder um und sah, dass sich

    Quov Tsin erhoben hatte. Er stand mit verschrnkten Armen da und betrachtete ihn zunehmend verwirrt.

    Habt Ihr Euch vor der Abreise noch an den Rumrationen vergriffen, Dumon? Ich hatte bis jetzt eine bessere Meinung von Euch ...

    Ich bin nicht betrunken. Der Hexenmeister wischte den Einwand beiseite. Das ist im

    Moment auch ganz egal, Hauptmann. Wir haben wichtigere Dinge zu besprechen. Da Ihr und Eure Leute nun doch geblieben seid, sollten wir einen Plan ausarbeiten. Die Stunde rckt rasch nher ...

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    Die Stunde ... Kentril begriff, was Tsin meinte, und rechnete schnell nach. In Anbetracht der bereits verlorenen Zeit wrden er und seine Mnner nicht mehr weit kommen. Selbst wenn sie wie geplant aufgebrochen wren, htten die Sldner bis Sonnenun-tergang nur mit viel Mhe ein sicheres Lager fr die Nacht ge-funden.

    Wenn sie hingegen noch eine weitere Nacht hier zubrachten, wrden sie am Ende vielleicht doch etwas vorzuweisen haben, das sie fur ihre Missgeschicke entschdigte.

    Aber wollten sie hier tatschlich eine weitere Nacht verbrin-gen, an einem Ort, wo ihre Trume von Toten heimgesucht wur-den und wo gewaltige Unwetter von einem Moment zum nchs-ten aufhrten?

    Ehe Kentril einen Entschluss fassen konnte, erledigte Tsin dies fr ihn. Lauft los, Dumon, und schart Eure Mnner um Euch, wies der Hexenmeister ihn an. Ich muss drauen noch einige Berechnungen vornehmen. Kommt in ein paar Stunden wieder, dann werde ich Euch sagen, was zu tun ist. Wir mssen schlie-lich den richtigen Zeitpunkt abpassen.

    Mit diesen Worten wandte sich Quov Tsin von ihm ab und vertiefte sich wieder ganz in seine rtselhaften Arbeiten. Kentril war noch immer ratlos, blinzelte kurz und verlie dann wider-strebend das Zelt. Ein letztes Mal forschte er, ob er irgendwo einen Beweis fr das Unwetter fand, dann machte er sich ergeb-nislos auf den Rckweg nach Ureh. Er konnte nur hoffen, dass er mit seiner Entscheidung, doch noch eine Weile zu bleiben, keinen schrecklichen Fehler beging.

    Erst als Kentril den eingestrzten Mauerabschnitt erreichte, fiel ihm auf, dass der Vizjerei womglich etwas zu ruhig und zu gelassen reagiert hatte, als er von dem Unwetter erfuhr. Und erst

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    da fragte er sich, ob der Hexenmeister vielleicht mehr darber wusste, als er zugeben wollte. Konnte es sein, dass der Zeitpunkt, an dem der Wetterumschwung eingesetzt hatte, genauso wenig Zufall war wie das pltzliche Ende des Unwetters?

    Doch Tsin hatte nie eine derartige Macht demonstriert ... es sei denn, alles, was die Kmpfer in den letzten Stunden erlebt hat-ten, wre nichts weiter als eine Illusion gewesen. Allerdings htte es groes Geschick erfordert, um sicher sein zu knnen, dass keiner von Dumons Mnnern eine solche Tuschung durch-schaute ...

    Aus dem Gebude, in dem er Gorst und die anderen zurckge-lassen hatte, ertnte ein Ruf. Der hnenhafte Sldner winkte Kentril zu und grinste wie gewohnt. Das ungewhnlich jhe Ende des Unwetters schien ihn nicht zu stren.

    Der Hauptmann entschied, seine Bedenken vorlufig nicht zu uern. Zumindest bestand so fr ihn und die anderen immer noch eine Chance, dieses Unternehmen mit einem satten Gewinn abzuschlieen. Eine weitere Nacht nahe Ureh wrde zu bewlti-gen sein.

    Am nchsten Morgen konnten sie schlielich immer noch ab-reisen ... Kentrils sprach mit gengend Nachdruck ber die Mglichkeit, doch noch einen Profit zu erzielen und die lange Reise nicht vl-lig umsonst unternommen zu haben, dass die Bedenken, die das beunruhigende Unwetter bei seinen Mnnern hatte aufkommen lassen, ausgerumt wurden. Ihnen allen war bewusst, dass ein verspteter Aufbruch in den Dschungel keine gute Idee war, aber noch klarer war ihnen, dass sie mit Taschen voller Schtze nach Hause zurckkehren knnten, wenn sie nur noch eine weitere

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    Nacht ausharrten. Die Furcht, die sie am Abend zuvor ergriffen hatte, reduzierte sich immer mehr auf einen schlechten Traum, der den Visionen von Gold und Juwelen weichen musste.

    So eingeschworen lie der Hauptmann seine Leute zur verein-barten Zeit antreten und wandte sich an den Hexenmeister, der letzte Berechnungen durchfhrte. Der Schatten des Berges Ny-myr hatte sich bereits weit ber Ureh ausgebreitet, doch Tsin lie Kentril wissen, dass ihr Warten nur dann belohnt wrde, wenn der Schatten die komplette Stadt auf eine ganz bestimmte Weise bedeckte.

    Endlich schaute der Vizjerei von seinen Schriftrollen auf und verkndete: Die Zeit ist gekommen.

    Wie eine Armee aus schwarzen Ameisen breitete sich der Schatten immer weiter und weiter aus. Erneut berfiel Kentril ein Gefhl des Unbehagens, doch er blieb auf seinem Posten. Bald, sehr bald schon ...

    Basara Ty Komi..., setzte Quov Tsin zu einem sonoren Ge-sang an. Basara Yn Alli!

    Kentrils Krper kribbelte, als wre er von einer gewaltigen Kraft erfasst worden. Er sah die anderen an und erkannte, dass sie das Gleiche empfunden hatten. Niemand hatte sich aber von der Stelle gerhrt.

    Gemeinsam bildete die Gruppe ein grobes Fnfeck, in dessen Mitte sich der Hexenmeister befand. Diese Form sowie die un-verstndlichen Worte, die Tsin sprach, entstammten den Schrif-ten des Zauberkundigen Gregus Mazi, der auf diese Weise angeb-lich den Korridor wieder geffnet hatte, durch den er zu den anderen gesegneten Bewohnern der Stadt gelangt war. Keiner der Anwesenden wollte den vollen Weg zurcklegen. Jeder der Mn-ner wrde sich schon zur Genge gesegnet fhlen, wenn sich auf

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    diesem Weg ausreichend viele weltliche Habseligkeiten fanden. Gazara! Wendo Ty Ureh! Magri! Magri! Die Luft schien von reiner magischer Energie erfllt zu sein.

    Wolken zogen sich ber dem in Schatten liegenden Knigreich zusammen, dunkle Wolken, die Kentril gewiss nicht an das Him-melreich, sondern an dessen Pendant erinnerten. Doch wenn diese Worte einmal funktioniert h