die 18-köpfige die l eben nordjordanischen grenzstadt ...frische früchte, gemüse, salat,...

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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 2 3 Über eine halbe Million Kriegsopfer sind aus Syrien ins Nachbarland Jordanien geflüchtet. Das SCHWEIZERISCHE ROTE KREUZ unterstützt Betagte, Frauen und kinderreiche Familien mit einem speziellen Cashprogramm. Eine Karte, die Leben rettet Älteste und Jüngste Mariam Abu Duha, 70, mit ihrer einen Monat alten Enkelin Islam. Unten: Shukran – Danke! Mariam erhält von Mit- arbeiterinnen des SRK und des Jordanischen Roten Halbmondes eine Bankkarte. TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS REMO NÄGELI A ls die Kämpfe immer näher kommen, der Ge- fechtslärm lauter wird und Granaten in die Häuser der Nachbarn einschlagen, beschliesst Familie Abu Duha zu fliehen. Weg aus dem Bürger- kriegsland Syrien, weg aus ihrer Hei- matstadt Deraa, fort ins Nachbarland Jordanien. Es ist März, als sie die Gren- ze passieren, 17 Personen insgesamt, die Grossmutter, zwei Schwiegertöch- ter und eine Menge Kinder. Die 36-jähri- ge Hiaem ist hochschwanger, sie erwar- tet ihr zehntes Kind. Die Ehemänner der Frauen sind in Syrien geblieben, um zu «arbeiten», sagt Grossmutter und Fami- lienoberhaupt Mariam, 70, – und meint damit: Die Männer sind im Kampf. Nach ihrer Flucht strandet Fami- lie Abu Duha im riesigen Flüchtlings- camp Zaatari in der nordjordanischen Wüste. 150 000 Flüchtlinge leben hier in Zelten und Containern. Nach zehn Ta- gen zieht die Familie weiter und findet in der Grenzstadt Jerash eine kleine Wohnung. Miete, Strom und vor allem Wasser (Jordanien ist unter den zehn wasserärmsten Ländern der Welt) sind teuer, das wenige Ersparte der Familie ist aufgezehrt, und als Flüchtlinge dür- fen sie nicht arbeiten. Im August bringt Hiaem ihr Kind zur Welt, Nummer zehn, ein Mädchen, es bekommt den Namen Islam. Familie Abu Duha hat jetzt 18 An- gehörige. Und braucht dringend Hilfe. Einen Monat später, Mitte Sep- tember, in einem Büro in Jerash. Die Grossfamilie Abu Duha ist gekommen und schaut zu, wie Grossmutter Mariam mit ihrem Daumenabdruck einen Ver- trag besiegelt. Mitarbeiter des Schwei- zerischen Roten Kreuzes (SRK) und Die 18-köpfige Familie Abu Duha lebt seit ihrer Flucht aus Syrien in einer kleinen Wohnung in der nordjordanischen Grenzstadt Jerash. u

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Page 1: Die 18-köpfige die l eben nordjordanischen Grenzstadt ...Frische Früchte, Gemüse, Salat, Brotfladen und Bananen für die Kinder. Familie Abu Duha schlendert durch die Gassen Jerashs

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Über eine halbe Million Kriegsopfer sind aus Syrien ins Nachbarland Jordanien geflüchtet. Das schweizerische rote Kreuz unterstützt Betagte, Frauen und kinderreiche Familien mit einem speziellen Cashprogramm.

eine Karte, die leben rettet

Älteste und Jüngste Mariam Abu Duha, 70, mit ihrer einen Monat alten Enkelin Islam.Unten: shukran –Danke! Mariam erhält von Mit­arbeiterinnen des SRK und des Jordanischen Roten Halbmondes eine Bankkarte.

TexT Marcel huwyler FoTos reMo NÄgeli

a ls die Kämpfe immer

näher kommen, der Ge-

fechtslärm lauter wird

und Granaten in die

Häuser der Nachbarn

einschlagen, beschliesst Familie Abu

Duha zu fliehen. Weg aus dem Bürger-

kriegsland Syrien, weg aus ihrer Hei-

matstadt Deraa, fort ins Nachbarland

Jordanien. Es ist März, als sie die Gren-

ze passieren, 17 Personen insgesamt,

die Grossmutter, zwei Schwiegertöch-

ter und eine Menge Kinder. Die 36-jähri-

ge Hiaem ist hochschwanger, sie erwar-

tet ihr zehntes Kind. Die Ehemänner der

Frauen sind in Syrien geblieben, um zu

«arbeiten», sagt Grossmutter und Fami-

lienoberhaupt Mariam, 70, – und meint

damit: Die Männer sind im Kampf.

Nach ihrer Flucht strandet Fami-

lie Abu Duha im riesigen Flüchtlings-

camp Zaatari in der nordjordanischen

Wüste. 150 000 Flüchtlinge leben hier in

Zelten und Containern. Nach zehn Ta-

gen zieht die Familie weiter und findet

in der Grenzstadt Jerash eine kleine

Wohnung. Miete, Strom und vor allem

Wasser (Jordanien ist unter den zehn

wasserärmsten Ländern der Welt) sind

teuer, das wenige Ersparte der Familie

ist aufgezehrt, und als Flüchtlinge dür-

fen sie nicht arbeiten. Im August bringt

Hiaem ihr Kind zur Welt, Nummer zehn,

ein Mädchen, es bekommt den Namen

Islam. Familie Abu Duha hat jetzt 18 An-

gehörige. Und braucht dringend Hilfe.

Einen Monat später, Mitte Sep-

tember, in einem Büro in Jerash. Die

Grossfamilie Abu Duha ist gekommen

und schaut zu, wie Grossmutter Mariam

mit ihrem Daumenabdruck einen Ver-

trag besiegelt. Mitarbeiter des Schwei-

zerischen Roten Kreuzes (SRK) und

Die 18-köpfige Familie abu Duha lebt seit ihrer Flucht aus Syrien in einer kleinen Wohnung in der nordjordanischen Grenzstadt Jerash.

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Page 2: Die 18-köpfige die l eben nordjordanischen Grenzstadt ...Frische Früchte, Gemüse, Salat, Brotfladen und Bananen für die Kinder. Familie Abu Duha schlendert durch die Gassen Jerashs

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Helfer des Jordanischen Roten Halb-

mondes überreichen der Frau eine

Bankkarte samt Geheimcode, mit der

sie einen monatlichen Beitrag an einem

Bankomaten abheben kann.

Vor allem alleinstehende Frauen, Be-

tagte und kinderreiche Familien profitie-

ren von der SRK-Direkthilfe, die von der

Glückskette mitfinanziert wird. Die Sum-

me variiert, je nach Anzahl Kinder, im

Schnitt sind es gegen 200 Franken. In Je-

rash unterstützt das SRK 1600 Familien

mit seinem Cashprogramm. Diese Art der

Hilfe habe viele Vorteile, sagt die SRK-

Delegierte vor Ort, Hanny Rücker. Die

Flüchtlinge könnten ihre Selbstständig-

keit bewahren, Verantwortung überneh-

men und mit dem Geld jene Dinge kau-

fen, die sie am dringendsten benötigen.

Ein weiterer Vorteil sei, erklärt Rücker,

dass mit der Cash-Hilfe keine Hilfsgüter

zu hohen Kosten um die halbe Welt trans-

portiert werden, sondern die Bedürftigen

ihre Ware vor Ort einkaufen, wovon wie-

derum das lokale Gewerbe profitiert.

Frische Früchte, Gemüse, Salat,

Brotfladen und Bananen für die Kinder.

Familie Abu Duha schlendert durch die

Gassen Jerashs und kauft ein. Es riecht

nach Gewürzen und Abgasen, der Muez-

zin ruft eben zum Dhuhr, dem islamischen

Mittagsgebet, es ist trockene 40 Grad

heiss, Händler schreien, aus einer Million

Radios plärrt der typisch wellig-arabische

Singsang, und über der Stadt kreist ein

Black-Hawk-Hubschrauber der jordani-

schen Armee. Ein Riesendurcheinander,

ein Riesenkrach – doch die Abu Duhas

geniessen es. Hiaem wiegt ihr Neugebore-

nes im Arm. Erst sei es ihnen schwergefal-

len, das SRK um Hilfe zu bitten, sagt sie.

«Aber nun sind wir sehr dankbar, nach

unseren schlimmen Erlebnissen daheim

in Syrien und der Flucht können wir mit

dem Geld aus der Schweiz endlich wieder

einigermassen normal leben.»

Zwei Millionen Syrer haben ihre

Heimat bereits verlassen, sind in die

Nachbarländer Libanon, Türkei, Irak

und Ägypten geflohen. Oder nach Jorda-

nien, 650 000 sind schon hier, bis Ende

Jahr werden es 1,2 Millionen sein – bei

gerade mal 6,3 Millionen Einheimischen.

Immer mehr Flüchtlingsfamilien in

Jerash profitieren vom SRK-Cashpro-

gramm. Bevor Bankkarten verteilt wer-

den, besuchen Hanny Rücker und ihr

Team die Familien und klären die Not-

wendigkeit genau ab. Heute sind sie bei

Flüchtlingsfamilie Al Majareesh, seit

Oktober 2012 lebt sie hier in einer Woh-

nung, sechs Erwachsene, fünf Kinder.

Die Mutter war in Syrien Sportlehrerin,

sie sagt: «Wir hatten gute Jobs, ein Auto,

ein Haus, wir waren glücklich.» Einer

der Buben liegt mit verkrampften

Gliedern auf einer Matratze, vor neun

Monaten fuhr ein Auto ihn an, seither

hat er schwere zerebrale Lähmungen.

Manche der Flüchtlinge haben

unglaubliche Kriegsgräuel erlebt.

Mohammad Khoulani, ein 44-jähriger

Innenarchitekt, floh mit seiner Frau und

den acht Kindern aus Darayya, einem

Vorort von Damaskus. Mit unfassbar

gefasster Stimme schildert er die Bom-

bardierungen, wie sie die Einschläge

gezählt hätten, «zwölf pro Minute, die

ganze Nacht lang», wie Killerbrigaden

durch die Quartiere zogen und wüteten.

Von 760 Toten spricht Khoulani, viele

seien geköpft worden, «meine Nach-

barn sind alle tot». Neben ihm sitzt sei-

ne Frau, bleich das Gesicht, starr der

Blick; während den Erzählungen ihres

Mannes hat sie nicht ein Mal geblinzelt.

Familie Abu Duha hat ihre Einkäu-

fe nach Hause gebracht. Auf dem Gas-

herd köchelt das Abendessen, die Kin-

der spielen Fangis, die Mädchen stecken

ihrem Bruder Adnan Süsses in den

Mund. Der Siebenjährige ist behindert,

in Syrien bekam er Physiotherapie, für

so was fehlt hier das Geld. Die Familie

schätzt Sicherheit und Freundlichkeit

des Gastlandes, trotzdem will sie mög-

lichst schnell heim nach Syrien. Maya-

da, eines der älteren Mädchen, will die

Schule beenden und dann studieren.

Ärztin möchte sie werden, sagt sie, und

ihr sei nun auch klar, wo sie später

arbeiten wolle, «beim Roten Kreuz».

alles frisch! Dank der SRK­Bankkarte haben die Frauen endlich wieder genug Geld für Lebensmittel.

süss und klebrig Die älteren Mädchen verwöhnen ihren behinderten Bruder Adnan, 7, mit Guetsli.

in sicherheit Familie Abu Duha unterwegs in den Gassen der 80 000­Einwohner­Stadt Jerash, Jordanien.

ein stück Plastik, das hilft Mitarbeiterinnen des SRK und des Jordanischen Roten Halbmondes erklären Hiaem Abu Duha (ganz in Schwarz), wie man die Bankkarte verwendet.

Die Kinder spielen mit SRK­Frau Hanny Rücker (r.) und Kemal Shohab vom Jordanischen Roten Halbmond.

so können sie helfenDas schweizerische Rote Kreuz unterstützt die syrischen Flüchtlinge in Jordanien.Helfen sie mit – mit Ihrer spende.Postkonto sRK 30-4200-3 Vermerk: Nothilfe syrienkonfliktwww.redcross.ch

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