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Ralf Thenior Die Geschichte vom Dichter

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Zum Wintertuinfestival Nijmegen 2009 hatten wir Ralf Thenior zu Gast als ‘Writer in Residence’. Thenior begann in den Siebzigerjahren als Verfasser von Alltagslyrik, der sich von der damaligen Tendenz zur „Neuen Subjektivität“ distanzierte, vielmehr durch die Verwendung der Alltagssprache in seinen Gedichten einen Beitrag zur Sprachkritik leisten wollte. Theniors frühe erzählende Prosa bedient sich phantastischer Elemente und trägt experimentelle Züge. Seit den Neunzigerjahren ist er auch Verfasser erfolgreicher Kinder- und Jugendbücher. Er schrieb ein Essay zum Festivalthema, ‘Sich frei schwimmen: zum Spiel und dessen Regeln’.

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LITERATURWERKSTATT

Ralf TheniorDie Geschichte vom Dichter

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Ralf Thenior

Die Geschichte vom Dichter

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Writer in Residence Wintertuinfestival 2009

TEXT: Ralf Thenior

GESTALTUNG: Jos Lenkens

AUSGABE: Literaturwerkstatt Wintertuin

© 2009

Ralf Thenior für Literair Productiehuis Wintertuin

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Publikation darf ohne vorherige

Zustimmung durch den Herausgeber in irgendeiner Form oder auf irgendeine

Weise - sei es elektronisch, mechanisch, als Fotokopie, Aufnahme oder anderweitig

- reproduziert, auf einem Datenträger gespeichert oder übertragen werden.

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Die Geschichte vom Dichter

Das Spiel ist eine Verteidigung der spontanen individuellen Energien. Und das Gedicht war seine Waffe. Das hatte er instink­tiv schon gewusst, bevor er es bei Johan Huizinga gelesen hatte. Es ging gegen die persuasive Rede, sei es in Werbung, Politik oder Religion. Es ging um die Freiheit! Es ging darum, die Freiheit der Tagträume gegen die rasende Beschleunigung des Alltags zu ver­teidigen. Es ging um sein Leben.

Müßiggang ist aller Laster Anfang hatte er von Kindesbeinen auf gehört und so machte er sich an die Arbeit. Die russischen Formalisten sagten ihm, dass jede neue Dichtergeneration sich von der vorhergehenden absetzen muss, wodurch sie für den Literaturwissenschaftler leichter unterscheidbar wird. Doch so theoretisch funktionierte es nun auch wieder nicht. Jedenfalls nicht bei ihm.

Klar war, dass er den Weg des hermetischen Gedichts nicht gehen konnte. Es war am Rande des Verstummens angelangt. Und sein Leben war noch viel zu lebendig, um sich in Stille zu üben. Bei den Naturmagischen, deren Gedichte in einen diffusen numi­nosen Raum führten, aus dem es kein Entrinnen gab, war sprach­lich zu lernen. Das Pathos der Lakonie, Schlichtheit, Genauigkeit. – All dies eher unreflektiert, als neugierige Sichtung der Dichter der unmittelbaren Vergangenheit, aber doch Einfluss nehmend in Wendungen, Bildern und Rhythmen. Doch schreiben wollte er etwas anderes. Sein Gedicht sollte mitten ins Herz der Gegenwart treffen.

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Das Prinzip der Serendipität war dem Dichter ebenfalls bekannt, noch bevor er wusste, dass, seit Horace Walpole es erfunden hatte, ein Wort dafür existierte. Sein Leben war voller glücklicher Funde. Sprüche, Redewendungen, Graffiti – Sprachbeute, die er nach Hause trug. Und natürlich die großen Ströme der Inspirati­on: Gedichte. Bilder. Musik. Kino. Durch Liebe und Freundschaft schmeckten die Tage süß und scharf. All diese Erlebnisse mach­ten sein Leben elektrisch. Die Magie des Alltags, das sich Treiben lassen, das Schwimmen in den Ereignissen war ihm nicht fremd, er genoss es und registrierte das Vorbeitreibende.

Welche Form das Gedicht annehmen sollte, war keine Frage. Es kam, wollte zur Sprache gebracht werden, suchte sich seinen Weg. Der Dichter war das Medium. Die Imaginationsmaschine in seiner Gedankenfabrik hatte die eingefütterten reality chips ebenso wie die Sprachpartikel zu einem atmenden Organismus zusammengeführt. Klang und Rhythmus waren Herzschlag und Lebensenergie des Gedichts. So kam es aus ihm heraus, f loss über Hand und Tinte aufs Papier. Dann begann die gärtnerische Arbeit: jäten, stutzen, umpflanzen. Manchmal (selten) kam ein fertiges Gedicht heraus. Das waren die Glücksmomente. Aber es ging auch anders herum. Ein Landschaftsbild mit Figuren wollte aufgerufen sein. Langsam und sorgfältig baute er die Evokation eines Augen­blicks.

Natürlich gab es ein paar Riesen, auf deren Schultern er gerne stand. Es gab poetische Haltungen und Redeweisen, denen er sich über Jahrhunderte hinweg verbunden fühlte. Barthold Hinrich Brockes mit seinem „Irdischen Vergnügungen in Gott“, Mathias Claudius durch Schlichtheit, Innigkeit und Witz. – Dies alles muss aber, dachte der Dichter, in die Jetztzeit übersetzt werden, wo dir jedes Mal, wenn du im Empire State Building vor der Fahrstuhl­tür stehst, ein Darsteller im King­Kong­Kostüm über die Schulter glotzt. Und es muss geschrieben sein in einer Sprache von heute.

So schrieb er sich ein in die Annalen seiner Generation und wurde geehrt und beschenkt. Er hatte seine Stimme gefunden, seine Gedichte waren unverwechselbar, sie hatten einen eigenen Sound. Er blieb dem freien Vers treu, dem Atemrhythmus, der

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Sprachmelodie, und entwickelte verschiedene Großformen, zu­meist längere Reisegedichte. Er war ein Meister der Augenblicks­reportage, lieferte scharf aber liebevoll gezeichnete Charakters­kizzen, kurze Rollengedichte, brillierte in Gelegenheitsgedichten.

Eines Tages erkennt er, sein Formen­Repertoire ist ausgeschrie­ben, alle Möglichkeiten sind durchdekliniert. Es ist nichts mehr übrig. Er kann sich nur noch wiederholen. Auch seine Sujets, muss er nun mit Schrecken feststellen, haben Staub ange­setzt. Sein Plädoyer für die Saumseligkeit wird von einem Heer von Arbeits losen mit Hohngelächter beantwortet, für die Tag­träumerei interessiert sich kein Schwein mehr, seit es Videospiele gibt, und der Augenblick ist auch nicht mehr das, was er früher mal war. Der Augenblick, in seiner Einheit und Reinheit, ist selten geworden, alles kreischt durcheinander. Der poetische Lakonis­mus wird unter Megamengen von Sprachschrott begraben, der aus allen Rohren über dem Konsumenten niedergeht.

Das Spiel ist eine Verteidigung der spontanen individuellen Energien. Und das Gedicht ist seine grüne Waffe. So war es ge­wesen und so würde es bleiben. Schon im Verlauf der letzten Jahre hatte er verschiedentlich unbekannte Wege beschritten, mit Binnenreim und Assonanz eine neue Musikalität des Gedichts er probend. Auch seine Bildwelten erweiterten sich, verwiesen auf neue Themen und neue Formen. Und nun ist klar, dass er noch einmal eine neue unverbrauchte Sprache finden muss, um seine Position in der Welt zu orten. Es geht um die Freiheit! – Es geht um sein Leben.

Dortmund, den 27.10.2009

Ralf Thenior

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