die kluft zwischen strategie und prozessen · strategie strukturiertes prozessmanagement steigert...

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> Prozessmanagement | MANAGEMENT Januar/Februar 2012 | io management | 41 Bild: iStockphoto Die Kluft zwischen Strategie und Prozessen Nur sieben Prozent der deutschsprachigen europäischen Unternehmen verfügen über ein umfassendes und aus der Unternehmensstrategie abgeleitetes Prozessmanagement. Dies zeigt eine aktuelle Studie der ZHAW. CLEMENTE MINONNE STRATEGIE Strukturiertes Prozessmanagement steigert die Innovationsfähigkeit von Unternehmen – es muss nur konsequent umgesetzt werden. V iele Unternehmen streben an, ihre Ge- schäſtsprozesse mittels eines bewussten, strukturierten und konsequenten Prozess- managements zu verbessern und dadurch die Qua- lität ihrer Dienstleistungen und Produkte, die or- ganisationale Produktivität sowie ihre Innova- tionsfähigkeit zu steigern. Eine empirische Studie des Zentrums für Wirtschaſtsinformatik der ZHAW bestätigt diese Aussage insofern, als dass die befragten Unternehmen als Hauptziel angaben, die Qualität Ihrer Prozesse zu optimieren sowie ihre organisationale Produktivität zu verbessern. Lediglich ein Fünſtel der befragten Unternehmen sieht in der Anwendung von Prozessmanagement einen Ansatz, um ihren Innovationsgrad zu stei- gern. Interessanterweise spielen das Auffinden prozessualer Engpässe sowie die Unterstützung von In- und Outsourcing-Entscheidungen bei der Zielformulierung eine untergeordnete Rolle. Knapp zwei Drittel der Befragten gaben an, ihre Organisation erfülle die Reifegradstufen 1 und 2 (vgl. Grafik auf Seite 43). Dies bedeutet, dass einzelne Aspekte des Prozessmanagements durch- aus thematisiert werden. Rund ein Drittel der Un- ternehmen erklärte, bestimmte Prozessmanage- ment-Methoden seien zwecks kontinuierlicher Prozessverbesserungen bereits eingeführt worden. Doch nur 7 Prozent der Befragten bestätigten, dass in ihrem Unternehmen Methoden und Richt- linien für das Prozessmanagement eingeführt wurden. Eine branchenbezogene Betrachtung zeigt, dass die Reifegradstufen 3 oder 4 insbesondere bei Organisationen des Banken- und Informatiksek- tors erreicht wurden. Abgesehen von diesen

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Prozessmanagement | MANAGEMENT

Januar/Februar 2012 | io management | 41

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Die Kluft zwischen Strategie und ProzessenNur sieben Prozent der deutschsprachigen europäischen Unternehmen verfügen über ein umfassendes und aus der Unternehmensstrategie abgeleitetes Prozessmanagement. Dies zeigt eine aktuelle Studie der ZHAW. CLEMENTE MINONNE

STRATEGIE Strukturiertes Prozessmanagement steigert die Innovationsfähigkeit von Unternehmen – es muss nur konsequent umgesetzt werden.

V iele Unternehmen streben an, ihre Ge-schäftsprozesse mittels eines bewussten, strukturierten und konsequenten Prozess-

managements zu verbessern und dadurch die Qua-lität ihrer Dienstleistungen und Produkte, die or-ganisationale Produktivität sowie ihre Innova- tionsfähigkeit zu steigern. Eine empirische Studie des Zentrums für Wirtschaftsinformatik der ZHAW bestätigt diese Aussage insofern, als dass die befragten Unternehmen als Hauptziel angaben, die Qualität Ihrer Prozesse zu optimieren sowie ihre organisationale Produktivität zu verbessern. Lediglich ein Fünftel der befragten Unternehmen sieht in der Anwendung von Prozessmanagement einen Ansatz, um ihren Innovationsgrad zu stei-gern. Interessanterweise spielen das Auffinden prozessualer Engpässe sowie die Unterstützung von In- und Outsourcing-Entscheidungen bei der Zielformulierung eine untergeordnete Rolle.

Knapp zwei Drittel der Befragten gaben an, ihre Organisation erfülle die Reifegradstufen 1 und 2 (vgl. Grafik auf Seite 43). Dies bedeutet, dass einzelne Aspekte des Prozessmanagements durch-aus thematisiert werden. Rund ein Drittel der Un-ternehmen erklärte, bestimmte Prozessmanage-ment-Methoden seien zwecks kontinuierlicher Prozessverbesserungen bereits eingeführt worden. Doch nur 7 Prozent der Befragten bestätigten, dass in ihrem Unternehmen Methoden und Richt-linien für das Prozessmanagement eingeführt wurden.

Eine branchenbezogene Betrachtung zeigt, dass die Reifegradstufen 3 oder 4 insbesondere bei Organisationen des Banken- und Informatiksek-tors erreicht wurden. Abgesehen von diesen

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Teile davon auslagern. Lediglich 7 Prozent erklär-ten, sie würden sich in naher Zukunft mit der ge-nauen Analyse und Auslagerung ihrer Geschäfts-prozesse befassen. Fast die Hälfte der Umfrageteil-nehmer hat bis heute noch keine Prozesse ausgela-gert und auch keine Pläne, dies in naher Zukunft zu tun. Für lediglich 5 Prozent kommt Outsourcing generell nicht in Frage.

Für mehr als die Hälfte der befragten Unter-nehmen scheint die potenzielle Auslagerung der internen Informatik grossen Nutzen darzustellen. Auch wird die Auslagerung von Teilprozessen oder einzelnen Tätigkeiten aus den Bereichen Hu-man Resource Management sowie der Logistik und der internen Dienstleistungserbringung so eingeschätzt. Nur 4 Prozent gaben an, dass sie im Bereich von Forschung und Entwicklung und bei Stabsstellen einen Nutzen von Outsourcing sehen. Offensichtlich scheint in diesem Kontext die Sor-ge nach dem Verlust von Kernkompetenzen hoch zu sein.

Dedizierte Softwarewerkzeuge für Prozessma-nagement werden von knapp der Hälfte der be-fragten Unternehmen heute schon eingesetzt. Dies unterstreicht, dass softwarebasierte Werk-zeuge für die Umsetzung von Prozessmanage-ment von einem grossen Teil der befragten Unter-nehmen akzeptiert sind und vielerorts aktiv und auch nutzenbringend eingesetzt werden.

Auf die Fragen nach den Zielen, die durch den Einsatz von Softwarewerkzeugen für Prozessma-nagement erreicht werden sollen, steht die Ant-

beiden Spitzenreitern entsteht somit ein er-nüchterndes Bild zur Umsetzung von Prozessma-nagement im deutschsprachigen Europa. Im Ein-klang mit der Betrachtung des Reifegrades zeigt sich auch, dass Unternehmen, die über eine dedi-zierte (interne) Stelle für Prozessmanagement ver-fügen, am weitesten entwickelt sind.

Hindernisse und Herausforderungen | Bei der Transformation in eine prozessorientierte Organi-sation stellen die mangelnde Unterstützung seitens des Führungsteams sowie fehlende beziehungs-weise ungenügende Vorgaben aus der Unterneh-mensstrategie die grössten Hindernisse dar. Als weiteres Hindernis wurden fehlende Zahlen zum finanziellen Nutzen von Prozessmanagement er-wähnt. Zu wenig Fachkompetenz im Prozessma-nagement respektive mangelnde Ressourcen stel-len weitere Hinderungsgründe dar. Die in diesem Kontext stehenden Kosten (Investitionen, operati-ves Management, etc.) scheinen dagegen kein be-sonderer Hinderungsgrund zu sein, um Prozess-management einzuführen.

Erstaunlicherweise leiten 78 Prozent der Orga-nisationen die Geschäftsprozesse nicht oder nur teilweise aus der Organisationsstrategie ab. Dies, obwohl für die Umsetzung von Organisationsstra-tegien vielerorts das Instrument der Balanced Scorecard eingesetzt wird, das – zumindest metho-disch betrachtet – diesbezüglich Hilfe leisten sollte. Lediglich 14 Prozent der befragten Unter-nehmen leiten Geschäftsprozesse mehrheitlich oder vollständig aus ihrer Strategie ab. Eine mögli-che Erklärung für diese Diskrepanz könnte die vielerorts mangelnde Feinkörnigkeit strategischer Vorgaben im Sinne von Zielformulierungen und konkreten Massnahmenbeschreibungen sein.

Als Funktionsbereiche, die aufgrund eines ein-geführten Prozessmanagements den höchsten Nutzen erzielen, wurden die (interne) Beratung und Dienstleistungserbringung sowie die Infor-matik und die Beschaffung bezeichnet. Betrachtet man die unterschiedlichen Branchen vertiefter, so treffen die Antworten mehrheitlich auf den Ban-ken- und Informatiksektor zu.

Zögerliches Outsourcing | Bei der Frage nach der Auslagerung von Geschäftsprozessen gaben knapp über ein Viertel der befragten Unternehmen an, dass sie heute schon Geschäftsprozesse oder

DER AUTOR

Clemente Minonne, Dr., ist Leiter des Center for

Knowledge and Informa-tion Management sowie

Organisationsberater und Dozent an der School

of Management and Law der Zürcher Hochschule

für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).

[email protected]

POTENZIALENTFALTUNG

Viele Unternehmen nutzen die Methoden und Werkzeuge des Prozessmanagements noch nicht.

Stufe 4:Richtlinien und Methoden grösstenteils eingeführtsowie kontinuierliche Verbesserung grösstenteils etabliert.

7%

32%

23%

38%

Stufe 3:Bestimmte BPM-Methoden eingeführt sowie kontinuierliche Verbesserung teilweise etabliert.

Stufe 2:Ausgewählte BPM-Themen adressiert sowie Bewusstsein für kontinuierliche Verbesserung vorhanden.

Stufe 1:Generelles Bewusstsein für BPM sowie Sensibilisierung für kontinuierliche Verbesserung vorhanden.

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wort «Erhöhung der Effektivität der Geschäfts-prozesse» an erster Stelle. Davon abgeleitet folgt die Erhöhung der Qualität der angebotenen Dienstleistungen, respektive Produkte. Dies lässt vermuten, dass sich diese Unternehmen stark auf sogenannte Kernprozesse konzentrieren. Solche Softwarewerkzeuge werden von den befragten Unternehmen mit Abstand am häufigsten (81 Prozent) für die Modellierung von Geschäftspro-zessen verwendet. Weitere Verwendungszwecke sind die Prozessanalyse (55 Prozent) sowie die Unterstützung von Aspekten in den Bereichen Governance, Risk und Compliance (46 Prozent). Zusätzlich resultierte, dass die Automatisierung (41 Prozent) und das Monitoring (38 Prozent) von Prozessen im Vergleich zu deren Simulation (17 Prozent) mehr Bedeutung haben. Letzteres könn-te mit den vielfach fehlenden Funktionalitäten der am Markt erhältlichen Softwarewerkzeuge erklärt werden.

Ungenutzte Möglichkeiten | Aufgrund der Stu-dienresultate zeigt sich, dass sich insbesondere die strategische Perspektive des Prozessmanagements in der Praxis wesentlich komplexer gestaltet, als dies auf den ersten Blick zu vermuten ist. Vielerorts scheinen Unternehmen das Potenzial noch nicht vollumfänglich zu nutzen, das ihnen Methoden und unterstützende Werkzeuge für das Prozess-management bieten. Eine reine Automatisierung von bestehenden Geschäftsprozessen wird dem Grossteil der Unternehmen im deutschsprachigen

Reifegrad von Prozessmanagement im deutschsprachigen Europa Grafik

Das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Prozessmanagement besteht, mit der Umsetzung hapert es. Quelle: Minonne, C. et al. (2011)

Literatur Minonne, C.; Colicchio, C.; Litzke, M.; Keller T. (2011): Business Process Management 2011 - Status quo und Zu-kunft: Eine empirische Studie im deutschsprachigen Europa, vdf Hochschulverlag, 1. Aufl., Zürich. Kaplan, R. S.; Nor-ton, D. P. (1997): Balanced Scorecard. Strategien erfolgreich umsetzen, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart.

Europa kaum gerecht und greift zu kurz, da damit hauptsächlich der Produktivitätsfaktor (zeitliche Dimension) erhöht wird. Qualitäts- oder auch In-novationssteigerungen werden hierbei kaum er-reicht. Automatisierung im herkömmlichen Sinne bedeutet die Ausgestaltung von konkreten Ele-mentarprozessen in einer möglichst effizienten und ausführbaren Form.

Generell zeigt der Marktspiegel, dass der Rei-fegrad von Prozessmanagement in Unternehmen noch keine signifikante Stufe erreicht hat; dies un-abhängig ihrer Grösse. Es besteht jedoch ein gene-relles Bewusstsein für diese Managementdiszi-plin. Doch Bewusstsein allein wird kaum genü-gen, um die Anforderungen an die Unternehmen erfolgreich zu meistern. Ein erster Schritt in Rich-tung Aufklärung und Verstehen scheint vielver-sprechend zu sein. Wer Prozessmanagement ver-nünftig angeht, wird von Anfang an darauf be-dacht sein, die Zielvorgaben für die betroffenen Umsetzungsmassnahmen in entsprechender De-taillierungstiefe zu erarbeiten. <